Kapitel siebenunddreißig
NORDUGANDA
24. November, 10:01 Uhr GMT+3
Mehrak Omidi lief hinter Bahame durch den Wald und versuchte, so nah wie möglich bei ihm zu bleiben, auch wenn er immer wieder einem Baum oder einem anderen Hindernis ausweichen musste. Zusammen mit den bewaffneten Wächtern, die sie umgaben, rannten sie so schnell und lautlos wie möglich parallel zur Straße, in einem Abstand, der es ihnen ermöglichte, das Geschehen zu verfolgen.
Die meisten der Infizierten waren schneller als sie, aber zwei Nachzügler blieben durch das Laub hindurch in Sicht. Der eine war ein Kind von höchstens vier Jahren, das ahnungslos und hilflos dem wütenden Impuls folgte, der es antrieb. Der zweite bot einen noch mehr schockierenden Anblick – ein alter Mann mit einem offenen Schienbeinbruch, der ihm nicht einmal bewusst zu sein schien. Er stürzte alle paar Meter, rappelte sich wieder hoch, humpelte ein paar Schritte und brach erneut stark blutend zusammen. Omidi wurde etwas langsamer und verfolgte wie gebannt den Kampf des Mannes, der schließlich nicht mehr aufstand und sich nur noch mit den Ellbogen vorwärtsschleppte.
Fünf Minuten später erreichten sie das Dorf. Bahame nahm ihn am Arm und zog ihn zu einer Stelle, wo sie genügend Deckung hatten, das Geschehen aber trotzdem recht gut beobachten konnten. Omidi war erneut verblüfft von dem, was er da sah. Die Dorfbewohner kämpften verzweifelt – mit Stöcken, Macheten und Farmwerkzeug. Ein Mann hatte ein altes Gewehr, wurde jedoch niedergerissen, ehe er auch nur einen Schuss abgeben konnte. Die Infizierten waren überall – mit ihrer Geschwindigkeit und Kraft wirkten sie wie eine große Armee, obwohl sie gar nicht so zahlreich waren.
Eine Frau flüchtete sich zwischen die Bäume direkt vor ihnen, und Bahame zog Omidi tiefer ins Gebüsch. Sie kam vielleicht zehn Meter weit, bevor ein kleiner Junge – von oben bis unten voller Blut – sie erwischte und sich auf ihren Rücken warf. Nach wenigen Augenblicken rührte sie sich nicht mehr unter seinen brutalen Schlägen, doch er prügelte weiter auf sie ein – begleitet von den verzweifelten Schreien aus dem Dorf –, bis er schließlich zusammenbrach. Es war nicht zu erkennen, ob er bewusstlos war oder tot.
Eine der Hütten stand in Flammen. Omidi wandte sich Bahame zu und sah, wie sich das Feuer in seinen Augen spiegelte, die glasig waren vom Rausch der Macht. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass der Afrikaner seinen Leuten nichts vorspielte, um sie an sich zu binden. Der Mann glaubte wirklich an seine göttliche Kraft.
Das Schreien eines Kindes drang aus der brennenden Hütte, und ein infizierter Mann stürmte hinein, als wolle er das arme Ding retten. Im nächsten Augenblick verstummte das Kind. Als der Mann wieder auftauchte, brannte sein langes blutbeflecktes Gewand. Trotzdem schloss er sich sofort wieder dem Kampf an und sprintete hinter einer Frau her, die sich in ein Gehege voller aufgescheuchter Ziegen flüchtete. Er hätte sie fast noch erwischt, ehe er mit den Händen an dem klapprigen Zaun in den Flammen verbrannte.
Omidi kroch unter dem Busch hervor, während die restlichen Dorfbewohner überwältigt wurden. Es war jedoch nicht mehr ein kleines Dorf in Uganda, das er vor sich sah – nein, er sah New York, Chicago und Los Angeles. Was für ein Bild.