Kapitel neununddreißig

LANGLEY, VIRGINIA, USA

24. November, 12:05 GMT-5

 

 

»Brandon hätte ein solches Aufheben nicht gewollt, aber als sein Freund freut es mich schon, dass wir uns hier an ihn erinnern.« Der Mann trat hinter dem Rednerpult von einem Fuß auf den anderen.

Dave Collen blendete seine Stimme aus – er konnte sich nicht einmal mehr an den Namen des Redners erinnern, und es interessierte ihn auch nicht, was er zu sagen hatte.

Der kleine Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Während er die Gesichter überblickte, fragte er sich, wie viele von ihnen Brandon Gazenga wirklich gekannt hatten und wie viele nur aus Neugier und wegen des Gratisbuffets gekommen waren. In einigen Gesichtern erkannte er echte Gefühle, doch die meisten blickten ernst, aber unbeteiligt drein.

»Ich bin sicher, jeder hier weiß, was für ein begabter Analytiker Brandon war, aber so wie die Dinge in der Agency nun einmal laufen, hatten viele hier keine Gelegenheit gehabt, ihn näher kennenzulernen und zu sehen, was für ein großartiger Kerl er war«, fuhr der Mann fort, und die Trauer schnürte ihm fast die Kehle zu. »Ich hatte das Glück, in den vergangenen Jahren eng mit ihm zusammenzuarbeiten …«

Collen sah sich weiter in der Menge um, ohne zu finden, wonach er suchte.

Es war schon schlimm genug, dass sie Gazenga so früh hatten eliminieren müssen, aber wie er gestorben war, machte die Sache noch unangenehmer. Wer hätte gedacht, dass er so kurz vor seinem Tod, während er auf seinem schmutzigen Teppich erstickte, plötzlich so viel Rückgrat zeigen würde? Nachdem er gestanden hatte, Russell kontaktiert zu haben, nannte er schließlich auch noch Zeit und Ort des Treffens – und Collen hatte seinen Teil der Abmachung eingehalten und ihm das wirkungslose Gegengift hingehalten.

Er hatte erwartet, dass Gazenga ihm das Fläschchen aus der Hand reißen und sich die nutzlosen Tabletten verzweifelt in den Mund stecken würde. Doch er hatte sie ganz ruhig entgegengenommen, langsam geschluckt und den Kopf zurückgelegt. Collen ging erst weg, als der Blick des Analytikers starr und leer wurde.

Sie hatten ihr Team zu dem Treffpunkt geschickt, doch es wurde schnell klar, dass Gazenga gewusst haben musste, dass er sterben würde, und gelogen hatte. Der Tracker, den sie an Randi Russells Wagen angebracht hatten, verriet ihnen, dass sie nach Pennsylvania fuhr, doch es war zu spät, um ihr dort eine Falle zu stellen.

Collen hob den Kopf, als die Tür am Ende des Saals geöffnet wurde und Randi Russell hereinkam. Er stieß Larry Drake an und deutete mit einem kaum merklichen Kopfnicken auf sie. Es war kein Beweis, dass sie gewusst hatte, dass es Gazenga war, der ihr die Nachricht zugesteckt hatte, aber immerhin ein starkes Indiz dafür. Sie war kaum der Typ, der solche Gedenkveranstaltungen besuchte – vor allem wenn sie den Verstorbenen gar nicht gekannt hatte.

»Wann sehe ich Ergebnisse?«, flüsterte der DCI und meinte damit den neuen Plan für Russells Eliminierung.

»Bald. Wir müssen noch ein paar Details klären. Sie wohnt im Blockhaus eines Freundes, wenn sie in den Staaten ist. Das ist perfekt für unseren Plan – kein Sicherheitssystem, meilenweit keine Nachbarn, und es führt nur eine kaum befahrene Landstraße hin.«

»Warum ist es dann noch nicht erledigt?«

»Der Mann, den ich dafür einsetzen will, ist nicht leicht zu kontaktieren, wenn man keine Spuren hinterlassen will.«

»Keine Fehler, Dave, ist das klar? Das können wir uns einfach nicht mehr leisten.«

Collen nickte und fragte sich, ob er die Situation nicht ein bisschen zu optimistisch dargestellt hatte. Er hatte Gazengas Aktivitäten am Computer untersucht und alles über seine sorgfältig verborgene Suche nach einer Ansprechperson gefunden  – mehr aber auch nicht. Auch bei Randi Russell hatte er nichts Brauchbares entdeckt.

Doch die Tatsache, dass er nichts gefunden hatte, bedeutete nicht, dass es nichts zu finden gab. Es war durchaus möglich, dass Gazenga ihr wirklich nur eine Zeit und einen Ort genannt hatte, aber sicher konnte er sich nicht sein.

Besonders schlimm war aber, dass sie nun nicht mehr mitbekamen, was in Uganda passierte. Alles, was sie zur Verfügung hatten, waren die Satellitenbilder, die ihnen zeigten, wo sich Smith in etwa aufhielt, und ein einzelner unzuverlässiger Mann vor Ort.

Es war klar, dass sie sich keinen Fehler mehr erlauben durften. Die Frage war nur, ob sie nicht schon einen zu viel gemacht hatten.

 

Randi Russell ging lautlos an der Wand entlang und stimmte in das gedämpfte Lachen mit ein, als der Sprecher eine Geschichte von einem Rafting-Urlaub erzählte, den er mit Gazenga verbracht hatte. Sie blieb schließlich bei einem Tisch stehen und hob die Alufolie über einem der Teller.

Doughnuts.

Sie nahm einen heraus, biss hinein und zog sich in einen Winkel des Saales zurück. Während sie die Menge überblickte, fragte sie sich, wie viele wohl kommen würden, wenn das Glück auch sie eines Tages verließ. Wenn man einen Job wie den ihren hatte, bei dem man Dinge tat, über die man nicht reden durfte, und das noch dazu in Ländern, die die meisten Leute nicht einmal auf der Landkarte finden würden, dann hatte man zwangsläufig keinen großen Freundeskreis. Und die wenigen Freunde, die sie hatte, zeigten sich nicht gern in der Öffentlichkeit und gaben nicht gern zu, dass sie sie kannten.

Nein, es würde keine schönen Lobesreden geben, in denen ihr Leben und ihre Arbeit gewürdigt wurden. Sie würde sich damit begnügen müssen, dass ein paar anonyme Männer und Frauen in irgendwelchen staubigen Bars in der Dritten Welt ein Glas auf sie tranken. Und im Grunde wollte sie es auch gar nicht anders.

Der Sprecher kam zum Ende seiner Rede und zeigte nach rechts. »Director Drake hat Brandon persönlich gekannt und möchte auch ein paar Worte sagen, also höre ich jetzt lieber auf. Sind Sie so weit, Sir?«

Randi beobachtete, wie Drake unter respektvollem Applaus ans Rednerpult trat. Das schien die Gerüchte zu bestätigen, dass Gazenga an einer wichtigeren Sache mitgearbeitet hatte. Woran, war allerdings ein Rätsel. Sein Spezialgebiet war Zentralafrika, und sie konnte nicht erkennen, dass dort irgendetwas anderes vor sich ging als das normale Chaos, das nur mit Mühe im Zaum gehalten wurde.

Natürlich hatte sie noch keine gründlichen Nachforschungen anstellen können. Dass er unter durchaus glaubwürdigen Umständen gestorben war, kurz nachdem er ihr die Nachricht zugesteckt hatte, ließ zwei mögliche Erklärungen zu. Die eine war, dass er einfach seinen Kühlschrank öfter hätte aussortieren müssen. Die andere war, dass mächtige und skrupellose Leute seinen Tod gewollt hatten. Wenn man annahm, dass Letzteres zutraf, dann war klar, dass die Betreffenden so diskret wie möglich vorgehen wollten.

Leider war sie noch keinen Schritt weitergekommen. Jon hatte sich nach der Nachricht, die sie ihm hinterlassen hatte, noch immer nicht gemeldet, und alles, was sie über ihn in Erfahrung gebracht hatte, war, dass er Urlaub von seinem Job in Fort Detrick genommen hatte. Was er mit seinem Urlaub anstellte, war immer noch ein Rätsel.

Sie ließ von einem Freund bei der Transportsicherheitsbehörde TSA überprüfen, ob Smith einen Linienflug irgendwohin genommen hatte, doch die Antwort ließ verdächtig lange auf sich warten. Wenn Jon in Schwierigkeiten steckte, musste sie ihn finden und seinen Arsch retten.

Aber jetzt sah sie sich erst einmal auf Brandon Gazengas Trauerfeier um. Es würde interessant sein, zu sehen, wem ihr Kommen auffiel.

Die Ares Entscheidung
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