Kapitel vierzig
NORDUGANDA
25. November, 00:42 Uhr GMT+3
Das Gewirr der fliegenden Insekten sah wie Rauch im Licht der Scheinwerfer aus, als Peter Howell das Fahrzeug vorsichtig in einen schlammigen Graben manövrierte und dann aufs Gaspedal trat, um herauszubeschleunigen. Jenseits des Lichtkreises war die Dunkelheit so tief und undurchdringlich wie auf dem Meeresgrund.
Smith drehte sich zum Rücksitz um, auf dem Sarie sich ausgestreckt hatte, eine Hand schlaff auf ihrem Gewehr. Sie erinnerte ihn in mancher Hinsicht an Sophia, mit ihrer riesigen Begeisterung für ihre Arbeit, ihrem Lächeln und ihrem Sinn für das Abenteuer.
Wie würde sein Leben heute aussehen, wenn sie nicht gestorben wäre? Wo wäre er dann in diesem Moment? Würde er vielleicht gerade seinen Rasen mähen? Oder mit ihren Kindern im Minivan unterwegs sein? Irgendwie konnte er sich beides nicht so recht vorstellen.
Als er wieder nach vorne blickte, schwirrten nicht mehr so viele Insekten um sie herum, sodass er das Fenster öffnen konnte, um die warme feuchte Luft hereinzulassen.
»Hast du dich schon mal gefragt, was du danach machen wirst, Peter?«
»Nach was?«
»Du weißt schon … Wenn wir zu alt sind, um durch den Dschungel zu hetzen und irgendwas nachzujagen.«
Howell, der nur im schwachen Licht der Anzeigen im Armaturenbrett zu erkennen war, schüttelte den Kopf. »Leute wie wir gehen nicht in den Ruhestand, Jon. Eines Tages sind wir nicht mehr so schnell, wie wir mal waren, oder wir machen einen Fehler, und das ist es dann.«
Smith atmete langsam aus und sank tiefer in den Ledersitz. »Ein netter Gedanke.«
Howell streckte die Hand aus und klopfte seinem Freund auf den Schenkel. »Aber so weit sind wir noch nicht, Kumpel«, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen. »Ich schätze, ein paar gute Kämpfe liegen schon noch vor uns.«
Vor ihnen tauchte ein alter Holzzaun auf, und Smith zeigte mit der Hand darauf. »Könnte es das sein?«
»Sind wir da?«, fragte Sarie benommen, setzte sich auf und beugte sich zwischen den Sitzen nach vorne.
»Ich bin mir noch nicht sicher.«
Howell fuhr am Zaun entlang, bis sie zu einem Tor kamen. Sarie sprang aus dem Wagen, noch bevor er zum Stillstand gekommen war, streckte ihren verspannten Rücken und ging zum Tor. Es ließ sich leicht öffnen, und die Straße, die in das Grundstück führte, war nicht überwuchert. Vielleicht hatten sie heute einmal wirklich Glück.
Nach zehn Minuten tauchte ein großes altes Haus auf, an dessen ausgeblichenen Wänden Blütenranken emporkletterten. Sarie wollte ihre Autotür öffnen, doch Smith streckte rasch die Hand aus und hielt sie auf. »Rechts bewegt sich was.«
»Ich seh’s«, gab Howell zurück und blickte rasch in den Rückspiegel. »Hinter uns auch. Mindestens drei. Eine Machete, zwei Gewehre, keine automatischen.«
»Was? Was ist da los?«, fragte Sarie.
»Warten Sie im Auto«, sagte Smith, dann öffnete er seine Tür und stieg aus. Ein Sicherheitslicht auf der Veranda ging an, und er hob langsam einen Arm, um seine Augen abzuschirmen. Im nächsten Augenblick kam ein weißer Mann in Jeans und T-Shirt barfuß durch die Haustür heraus, eine Schrotflinte in der Hand.
»Wer sind Sie?«, wollte er wissen.
»Ich bin Dr. Jon Smith, aus den Vereinigten Staaten.«
»Und Ihre Freunde?«
Smith blickte sich kurz um und sah die Afrikaner, die Howell im Rückspiegel bemerkt hatte. Auch hinter den Hausecken war jemand verborgen, sodass insgesamt mindestens fünf Gewehre auf sie gerichtet waren. Howell und Sarie würden vielleicht überleben, wenn sie Glück hatten, aber Smith wusste, dass er bei einem Schusswechsel keine Chance hätte.
»Mein Freund Peter Howell und Dr. Sarie van Keuren von der Universität Kapstadt.«
Der Mann überlegte einen Augenblick, dann lehnte er sein Gewehr an eine der Säulen der Veranda.
»Es tut mir leid, dass wir Sie so empfangen.« Er streckte die Hand aus, während er die Treppe herunterkam. »Wir haben hier nicht so oft unangekündigten Besuch, und es ist hier in der Gegend auch nicht mehr so friedlich, wie es einmal war. Ich bin Noah Dürnberg.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Smith, während die Autotüren hinter ihm aufgingen. Als er sich umblickte, sah er, dass die Afrikaner, die sich von hinten genähert hatten, schon wieder kehrtmachten.
Dürnberg bat sie ins Haus, und sie setzten sich im schwachen Licht einer Kerosinlampe an einen schweren Küchentisch. »Wir müssen hier draußen den Strom, den wir brauchen, selbst erzeugen«, erläuterte er. »Darum schalten wir am Abend alles ab. Die Generatoren machen einen Höllenlärm.«
Er holte ein paar Flaschen Bier aus einem Schrank und teilte sie aus. Sie waren warm, aber Smith öffnete seine Flasche trotzdem dankbar.
»Wo wollt ihr denn hin?«, fragte Dürnberg und setzte sich auf eine handgeschnitzte Bank beim Fenster.
»Hierher.«
»Hierher? Sie meinen die Gegend hier? Was …«
»Ich meine diese Farm.«
Der Mann war sichtlich verwirrt, und so fügte Smith hinzu: »Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Vater Dr. Lukas Dürnberg ist?«
Er nickte. »Das war er, ja. Er lebt schon seit Jahren nicht mehr.«
»Das tut mir leid.«
»Wir haben eigentlich gar nicht damit gerechnet, noch jemanden hier anzutreffen«, sagte Sarie. »Wir haben keine Informationen über Sie gefunden und haben gehofft, dass uns die Leute hier in der Gegend vielleicht weiterhelfen könnten.«
»Mein Vater hat eins von Idi Amins Kindern gerettet, dafür hat er uns dieses Stück Land gegeben. Ich glaube, man hat uns einfach vergessen – ein paar Weiße, die in einer abgelegenen Gegend eine Farm bewirtschaften, interessieren niemanden. Die Regierung hat in diesen Tagen andere Sorgen.«
»Es ist sicher nicht leicht hier, wenn man mitbekommt, wie Bahame seine Macht in der ganzen Region ausdehnt«, meinte Howell.
Der Farmer nickte traurig. »Mein Vater hat dieses Haus gebaut. Wir haben unser Leben hier, Freunde, Leute, die auf uns zählen, damit sie Brot auf dem Tisch haben. Aber meine Frau und mein Sohn sind gerade in Kampala auf der Suche nach einem Land, das uns aufnimmt. Es ist einfach zu gefährlich geworden hier draußen.«
»Ich kann mir vorstellen, was Sie durchmachen«, sagte Sarie. »Ich bin auf einer Farm in Namibia aufgewachsen und musste auch weg von dort. Ich denke immer noch jeden Tag daran.«
Dürnberg nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier. »Genug von den Dingen, die sowieso in Gottes Hand liegen. Warum interessieren Sie sich für meine Familie?«
Smith zog das Dokument hervor, in dem die Vermutung von Dürnbergs Vater erwähnt wurde, eine parasitäre Infektion entdeckt zu haben. Der Farmer überflog den Text kurz, dann stand er auf und holte sich noch ein Bier aus dem Schrank.
»Sie müssen noch sehr jung gewesen sein, als er daran gearbeitet hat«, sagte Smith.
»Ich war zwölf.«
Smith zog die Stirn in Falten. In dem Papier, das er dem Mann gezeigt hatte, war die Zeit nicht angegeben, in der sich das Ganze zugetragen hatte. »Sie erinnern sich noch daran, dass er von dem Parasiten sprach?«
»Nein«, antwortete Dürnberg und setzte sich wieder zu ihnen. »Aber ich erinnere mich noch, wie er selbst daran erkrankte und meine Schwester Leyna angriff. Und ich erinnere mich auch daran, dass ich das Gewehr nahm, das er mir zum Geburtstag geschenkt hatte, und ihn erschoss.«
Es wurde still in der Küche. Dürnberg blickte auf ein Fenster, das vor der Dunkelheit draußen zu einem Spiegel geworden war.
»Es tut mir leid, dass wir davon angefangen haben«, sagte Smith schließlich.
»Unsere Feldarbeiter verbrannten seine Leiche und wollten auch Leyna umbringen – sie sagten, die Dämonen würden in ihr wachsen. Wir liefen hinaus und schlossen uns in einem Nebengebäude ein. Sie setzten sich rund um das Gebäude und warteten. Nach einer Weile wurde Leyna verwirrt und wusste nicht mehr, wo sie war. Dann wurde sie wild und griff mich an. Schließlich habe ich sie auch erschossen.«
Smith verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück an die Wand. Sie hatten zwar immer noch keine handfesten Beweise, aber die Sache war trotzdem eindeutig. Es handelte sich also nicht um Massenhypnose oder Drogen. Es war ein Krankheitserreger, und noch dazu einer, der höllisch gefährlich war.
»Ich weiß, das muss furchtbar für Sie sein, aber können Sie uns noch irgendetwas über diese Krankheit sagen?«, fragte Sarie. »Hat Ihr Vater irgendwelche Experimente damit gemacht? Haben Sie irgendeine Idee, wie er sich die Infektion zugezogen haben könnte?«
Dürnberg schüttelte den Kopf. »Ich war zu jung, um das mitzubekommen. Aber ich habe da ein paar Dinge, die Ihnen vielleicht weiterhelfen.«