Kapitel dreiundvierzig
NORDUGANDA
25. November, 12:07 Uhr GMT+3
Jon Smith warf erneut einen Blick auf die handgezeichnete Karte, während sie auf einem kaum erkennbaren Weg dahinkrochen, der das hügelige Land durchschnitt.
Sie hatten die Farm nach einem kräftigen Frühstück verlassen, das Dürnberg unbedingt noch für sie hatte zubereiten wollen, und jetzt stand die Sonne direkt über ihnen. Die Temperatur war mittlerweile so hoch, dass selbst die leistungsstarke Klimaanlage von Jananis Wagen überfordert war. Der Wind wirbelte dichte Staubwolken in der Ferne auf.
»Das wird nicht viel helfen«, meinte Sarie, als Smith sich aus dem Fenster beugte, um sein schweißnasses Gesicht im Fahrtwind zu trocknen. Sie hatte recht – die Luft fühlte sich an, als würde sie aus einem Umluftbackofen herangeweht werden.
Er zog den Kopf zurück und beugte sich ein wenig vor, um den schweißnassen Rücken von der Sitzlehne zu lösen. »Laut Karte müsste da vorne eine Kreuzung mit einer etwas besseren Straße sein. Wir biegen links ab, dann sind es nur noch ungefähr zwei Kilometer bis zu den Höhlen.«
»Wenn die Kreuzung noch da ist«, warf Howell ein. »Das ist nicht gerade eine neue Karte.«
»Mehr haben wir nun mal nicht. Wie sieht’s hinter uns aus, Sarie?«
»Nichts. Ich glaube, unsere Freunde haben uns verlassen.«
Die Soldaten, die ihnen so lange gefolgt waren, ließen sich seit dem vergangenen Nachmittag nicht mehr blicken. Vielleicht waren sie mit einem Achsbruch liegen geblieben oder in einem der Bäche weggeschwemmt worden, die sie überquert hatten, seit sie aus Kampala aufgebrochen waren. Natürlich konnte es auch sein, dass sie einfach umgekehrt waren. Bahame würde es sicher nicht tolerieren, dass Soldaten der ugandischen Armee in seinem Revier herumstreiften.
Die Straße wurde flacher, und Howell nutzte die Gelegenheit, um Gas zu geben, bevor sie zu einer lang gezogenen Kurve kamen. Die Hitze und die eintönige Weite der Landschaft hatten seine normalerweise rasiermesserscharfen Reflexe etwas abgestumpft, und er trat einen Sekundenbruchteil zu spät auf die Bremse. Der Wagen brach aus und schlitterte unkontrolliert dahin – direkt in das Militärfahrzeug, das vor ihnen geparkt war.
Howell griff sofort nach seinem Sturmgewehr, doch Smith hielt ihn am Arm zurück. Das Fahrerhaus des Trucks war leer, doch hinten saßen drei bewaffnete Männer, deren erhöhte Position ideal war, um durch die Windschutzscheibe des Land Cruisers zu feuern. Im nächsten Augenblick strömten Männer in Tarnanzügen aus dem hohen Gras, ihre schussbereiten Waffen auf sie gerichtet.
»Aussteigen!«, befahl einer von ihnen auf Englisch mit starkem Akzent.
»Ihr folgt uns schon seit Kampala«, erwiderte Smith, während sie vorsichtig aus dem Wagen ausstiegen. »Wir haben die Erlaubnis, hier zu sein.«
Sechs Gewehre waren auf sie gerichtet, und aus dem Augenwinkel beobachtete Smith, wie Howell die Soldaten einschätzte. Sie schienen ein bisschen besser zu sein als die schlecht ausgebildeten Teilzeitkräfte, wie sie in diesem Teil der Welt so häufig eingesetzt wurden.
Mit einem Mal wurde ihm so richtig bewusst, wie allein sie waren. War Sembutu zu dem Schluss gekommen, dass sie mehr Ärger machten, als sie ihm nützen konnten, und dass es besser sei, sie einfach verschwinden zu lassen? Er würde nicht einmal ein Risiko damit eingehen. Niemand würde je ihre Leichen finden, und für ihr Verschwinden würde man sehr glaubwürdig Bahame verantwortlich machen können, oder irgendeine andere der vielen Ursachen, an denen Menschen in diesem Teil der Welt tagtäglich starben.
»Ihr müsst umkehren«, sagte der Mann. »Fahrt nach Hause.«
»Wir sind Wissenschaftler«, erwiderte Sarie. »Wir sind hier, um einige Tiere zu studieren, die hier bei euch vorkommen.«
»Sie studieren Ameisen, nicht?«
»Das stimmt, wir …«
»Sie wollen wegen ein paar Ameisen sterben?«
»Wir studieren nicht nur Ameisen«, fügte Smith hinzu. »Wir erforschen auch Krankheiten und wie sie sich ausbreiten. Diese Arbeit kann Menschenleben retten.«
»Nicht das eure, wenn Bahame euch findet.«
»Dieses Risiko gehen wir ein.«
Der Mann stand einige Augenblicke stirnrunzelnd da und fragte sich zweifellos, wie jemand so unglaublich dumm sein konnte. Schließlich zog er ein Satellitentelefon aus der Tasche und sprach ein paar unverständliche Sätze hinein. Als er die Verbindung trennte, blickte er noch missmutiger drein als vorher.
»Wenn ihr nicht umkehrt, sollen meine Männer und ich euch beschützen.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, aber das ist wirklich nicht notwendig. Wir wollen Sie nicht in Gefahr bringen. Es …«
»Dann fahrt zurück nach Kampala.«
»Ich fürchte, das können wir nicht machen.«
Der Mann stieß einen frustrierten Seufzer aus und ging zu dem Militärfahrzeug zurück.
»Wie geht’s?«, fragte Smith, während er über einen schroffen Felshaufen kletterte, um zu Sarie zu gelangen. Sie befanden sich nun in offenem felsigem Grasland mit vereinzelten Baumgruppen, die wie riesige Sonnenschirme aussahen. Sie stand im Schatten eines Baumes, und er zog eine Feldflasche hervor und nahm einen Schluck, ehe er sie ihr hinhielt.
»Ein ganz normaler Tag im Büro«, gab sie zurück. Ein paar Fältchen erschienen in ihren Augenwinkeln, als sie durch ihre Sonnenbrille auf die Formen hinunterblickte, die der Wind im Gras bildete. »Aber ich frage mich langsam, ob wir hier richtig sind. Mit so vielen Leuten hätten wir eigentlich schon etwas finden müssen.«
Sie hatten Sembutus Soldaten überredet, ihnen zu helfen, und so schritten sie jetzt im Abstand von fünfundzwanzig Metern zusammen mit Peter Howell durchs Gelände und suchten nach dem Eingang zu einer Höhle.
»Laut Karte sollte es aber hier sein.«
»Ich hoffe für seine Patienten, dass Dr. Dürnberg ein besserer Arzt als Kartograf war.«
Smith nahm seinen Cowboystrohhut ab und hielt ihn hoch, um seine Augen gegen die Sonne abzuschirmen, während er auf die endlose Landschaft hinausblickte.
»Das sind wirklich harte Bedingungen«, meinte Sarie. »Aber du schlägst dich viel besser, als ich gedacht hätte.«
Smith lächelte. »Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment oder als Beleidigung nehmen soll.«
»Es ist eine Feststellung«, sagte sie mit forschendem Blick. »Dir und Peter scheint das Gelände und die Sonne nicht viel auszumachen, und du wirst auch nicht nervös, wenn ein paar Leute ihre Waffen auf dich richten. Von ihm weiß ich ja, dass er früher beim SAS war, aber warum kommst du so gut mit allem zurecht?«
»Ich war zwar nicht beim SAS, aber ich habe jahrelang in MASH-Einheiten an der Front gearbeitet.«
»Ah ja.« Sie klang nicht wirklich überzeugt. »Ich komme auch herum, Jon. Ich kenne einige Militärärzte, und manche erleben auch wirklich einiges. Und dass sie recht fit sind, ist auch klar.«
»Aber?«
»Aber das ist die Art von Fitness, die man sich im Studio holt, wenn man dreimal die Woche hingeht. Oder gelegentlich mal bei einem Triathlon mitmacht, um sich etwas zu beweisen. Hier im Busch – das ist etwas anderes. Aber das weißt du ja alles selbst, nicht wahr?«
Smith war nicht glücklich über den Verlauf, den ihr Gespräch nahm – deshalb war er fast erleichtert, als einer der Soldaten einen erschrockenen Schrei ausstieß. Er zog seine Pistole aus dem Holster und lief über das holprige Gelände in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sarie folgte dicht hinter ihm.
Sembutus Männer schwenkten tief geduckt ihre Gewehre hin und her, während Howell ihnen zurief, die Ruhe zu bewahren.
Schließlich sah Smith, was passiert war. Einer der Soldaten steckte bis zur Brust in einem Loch in der Erde und hatte gerade noch rechtzeitig die Arme über dem Boden ausgebreitet, um nicht in die Tiefe zu stürzen.
Smith und Sarie packten ihn an den Schultern und zogen ihn heraus, während die anderen herankamen und zusahen.
»Alles okay?«
Der Mann schien ihn nicht zu verstehen, und Smith zeigte auf das Blut, das sein rechtes Hosenbein durchtränkte. »Legen Sie sich einen Moment hin und ruhen Sie sich aus. Ich bin Arzt.«
Jemand übersetzte es für ihn, und Smith zog ein Messer heraus und schnitt die Hose ab, um die klaffende Wunde zu untersuchen, die sich der Soldat an dem scharfen Fels zugezogen hatte.
»Ich habe eine Erste-Hilfe-Ausrüstung dabei«, sagte Howell, wühlte in seinem Rucksack und zog eine gut bestückte Kunststoffbox heraus. Smith reinigte die Wunde mit Alkohol und nahm dann eine gekrümmte Nadel und etwas Faden zur Hand.
»Sagen Sie ihm, es wird ein bisschen wehtun.«
Der Mann lag still da und zuckte nicht mit der Wimper, während Smith die Wunde nähte.
»Ich glaube, Dr. Dürnberg hat seine Sache doch nicht so schlecht gemacht«, meinte Sarie, als sie – flach auf dem Boden liegend – in das Loch hinunterblickte. »Es sind ungefähr fünfzehn Meter bis ganz hinunter. Ich kann nicht genau sagen, wie es unten weitergeht, aber es sieht sehr breit aus.«
»Wie sieht der Fels aus, an dem er sich verletzt hat?«, fragte Smith.
»Sauber und trocken.«
Smith nickte. Es konnte gut sein, dass sie den Ursprungsort des Parasiten gefunden hatten. Der Höhleneingang war völlig überwuchert, sodass es leicht passieren konnte, dass jemand, der sich in die Gegend verirrte, hineinfiel. Wäre der Soldat hinuntergestürzt, so wäre die Wunde vielleicht mit Wasser und Fledermauskot verunreinigt worden, was zu einem ernsten Problem hätte werden können. Sie hatten noch einmal Glück gehabt.
Smith verband die Wunde, während Sarie ihre Ausrüstung auspackte und Howell die Soldaten anwies, das Buschwerk von dem Loch zu entfernen.
Als Smith fertig war, nahm er eine Taschenlampe, beugte sich über die Höhle und ließ den Strahl langsam kreisen. Es war unmöglich, hinunterzuklettern – man konnte einfach nicht genau erkennen, wie es nach dem Eingang weiterging. Auf dem Boden waren Felsbrocken verstreut, die sich im Laufe der Jahrtausende gelöst hatten, und jenseits des Lichtkegels hörte man ein tropfendes Geräusch.
»Was meint ihr?«, fragte er, während er von dem Loch zurückkroch.
»Ich würde sagen, wir sehen es uns mal an«, antwortete Sarie und griff nach einem Seil und einem Karton mit Chirurgenhandschuhen.
Er runzelte die Stirn und blickte sich um. Außer den Handschuhen und ein paar einfachen OP-Masken hatten sie keinerlei Schutzkleidung gegen Biogefahren. Das Seil war ihre einzige Kletterausrüstung. Nicht gerade ideale Voraussetzungen. Aber in dieser Situation konnten sie es sich nun einmal nicht aussuchen.
»Könnt ihr mich halten?«
Da sie das Seil nirgends befestigen konnten, mussten Howell und die Soldaten das eine Ende festhalten wie ein Team beim Tauziehen. Nicht gerade ermutigende Aussichten.
»Wenn’s nicht so ist, wirst du’s als Erster merken, Kumpel.«
»Na toll«, murmelte Smith und zog kurz am Seil, um zu testen, ob sie es fest im Griff hatten, während er sich in das Loch hinunterließ. Er fand guten Halt unter den Füßen und war bald in der gleichen Position wie der Soldat, der hineingestolpert war. Er zögerte, den festen Boden ganz aufzugeben.
»Los geht’s«, sagte Howell und grub seine Schuhe fest in die feuchte Erde, um einen möglichst guten Halt zu haben.
Smith schloss die Augen und versuchte, weder an die fünfzehn Meter zu denken, die zwischen ihm und dem Boden der Höhle lagen, noch an den Parasiten, in dessen Reich sie eindrangen.
Schließlich holte er tief Luft und schlang die Beine um das Seil. Er fand Halt an den Knoten, die Howell hineingeknüpft hatte, und hörte die besorgten Schreie der Afrikaner, als sie zum Loch schlitterten.
»Schnell wäre besser als langsam«, rief Howell mit deutlicher Anstrengung in der Stimme.
Smith kletterte rasch nach unten, war jedoch nicht wirklich beruhigt, als er festen Boden unter sich spürte. Er vergewisserte sich noch einmal, dass die Hosenbeine fest in den Schuhen steckten und die Ärmel in den Chirurgenhandschuhen. »Ich bin da, Sarie. Du kannst jetzt kommen.«
Sie begann ihren Abstieg, hatte aber Mühe, die Knoten unter ihren Füßen zu finden, und stöhnte hörbar. Als sie in Reichweite kam, fasste Smith sie an den Beinen und hob sie zu sich herunter.
»Bei dir hat es so leicht ausgesehen«, sagte sie, während sie ihre schmerzenden Finger krümmte und streckte.
»Bist du okay?«
»Mir geht’s großartig, danke. Hast du schon bemerkt, wie angenehm es hier unten ist?«
Als sie es erwähnte, fiel ihm auch auf, dass es hier drin um gut fünfzehn Grad kühler war als draußen und dass ein leichtes Lüftchen wehte. Es hatte eben alles auch seine positiven Seiten – auch wenn man manchmal sehr genau hinsehen musste, um es zu bemerken.
Sie half ihm, seinen Rucksack abzunehmen, ließ ihn versehentlich fallen und versuchte mit etwas ungeschickten Fingern, ihn zu öffnen.
»Nervös?«, fragte er, schob ihre Hand sanft zur Seite und öffnete die Clipverschlüsse selbst.
»Ein bisschen. Also, ich muss zugeben, ich fühle mich nicht besonders wohl, wenn es eng wird. Und die meisten Parasiten, mit denen ich arbeite, leben nicht …« Sie schwieg einen Augenblick. »Und du?«
»Ob ich Angst habe? Ja. Aber nicht unbedingt in engen Räumen, das nicht. Im Gegenteil, ich fühle mich richtig wohl in einem schönen Schutzanzug gegen Biogefahren.«
Sie lächelte, und ihre Zähne blitzten in dem hellen Sonnenlicht, das von oben hereindrang. »Ich kann verstehen, dass das vielleicht auch seine Vorteile hat.«
Ein Schatten huschte über sie hinweg, und Smith blickte hinauf und erkannte Howells Gesicht.
»Alles in Ordnung da unten?«
»Ich kann mich nicht beklagen. Hier ist es sogar klimatisiert.«
Der Brite schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich bleib trotzdem lieber hier in der Sonne.«
Smith wusste, dass Peter Howell es jederzeit mit zwanzig bewaffneten Männern aufnahm, mit nichts als einem Kugelschreiber bewaffnet, aber sehr enge Räume hatte er noch nie gemocht. Das war in seinen Augen kein fairer Kampf.
»Ich schau mal, ob man hier irgendwo ein Netz aufhängen kann«, sagte Sarie. »Ich würde gern eine Fledermaus …«
Das unverkennbare Krachen eines Gewehrschusses hallte durch die Höhle, gefolgt von dem dumpfen Geräusch und dem Stöhnen eines Mannes, der den Flug der Kugel stoppte. Im nächsten Augenblick fiel das Seil zu ihnen herunter.
»Peter!«, rief Smith, doch Howell war weg, und die einzige Antwort waren die wütenden Feuerstöße von mindestens drei Maschinengewehren.
»Peter!«, rief Sarie. »Was ist los? Bist du okay?«
Von oben hörte man den dumpfen Aufprall eines Körpers auf dem feuchten Boden, und für einen Moment wurde es dunkel. Smith packte Sarie, um sie beiseite zu ziehen, damit der herabstürzende Soldat nicht auf sie fiel.
Smith hockte sich zu dem Mann und tastete nach einem Puls.
»Ist er …«, begann Sarie.
»Die Kugel hat ihn in die Brust getroffen. Er war tot, bevor er unten war.«
Smith gab ihr das Gewehr des Toten und sah in seinen Taschen nach, ob er noch irgendetwas Brauchbares bei sich hatte. Nichts außer ein paar ugandischen Shillings und einer Hasenpfote.
»Hier können wir jedenfalls nicht mehr raus«, sagte Smith, fasste sie am Arm und ging mit ihr den Abhang hinunter in die Dunkelheit. »Sarie? Hörst du, was ich sage?«
Ihr Atem ging in kurzen Stößen. Sie konnte den Blick nicht von der Leiche am Boden wenden. Smith trat vor sie hin, um ihr die Sicht zu verstellen. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich brauche nur ein paar Sekunden, okay?«
Ihr Atem wurde wieder ruhiger, und sie schloss einen Moment lang die Augen. Als sie sie wieder aufmachte, hatte sie sich einigermaßen gefasst. »Was ist mit Peter?«
»Wir können im Moment nichts für ihn tun. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Damit wir hier wieder rauskommen.«
»Und wie genau sollen wir das anstellen? Ich bin noch nie in einer Höhle festgesessen, während draußen ein paar Bewaffnete warten. Und du?«
»Ich schon.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst.«
»Doch. Spürst du den Luftzug?«
Sie nickte.
»Dann sehen wir mal nach, wo er herkommt.«
Die Felsbrocken behinderten sie mehr, als ihnen lieb war, doch wenigstens war der Boden flach und führte nicht endlos weiter nach unten zum Mittelpunkt der Erde. Sie blieben alle paar Minuten stehen, um zu horchen, ob ihnen jemand folgte, doch abgesehen vom gelegentlichen Krachen eines Steinbrockens, der sich vom Dach der Höhle löste, war alles still ringsum. Der Gang wurde enger und endete schließlich an einer Wand mit einem ein Meter breiten Loch. Sarie leuchtete mit der Taschenlampe hinein, doch das Licht wurde von einer Felswand zurückgeworfen, vor der der Gang nach rechts abbog.
»Du wirst mir jetzt sicher sagen, dass wir da hinein müssen, stimmt’s?«
Smith streckte die Hand aus, um die Luft zu fühlen, die aus dem Gang herauswehte. »Wenn du einen besseren Vorschlag hast – jederzeit.«
Sie stand schweigend da und kaute ratlos an ihrer Unterlippe.
»Ladys first«, sagte er schließlich.
»Du willst, dass ich vorausgehe? Das ist nicht dein Ernst.«
»Ich will dir nicht zu nahe treten, Sarie – aber wenn du die Panik bekommen solltest, dann hab ich dich lieber vor mir als hinter mir. Geh nur ganz langsam und gib gut auf den Weg acht. Ich bleibe dicht hinter dir.«
Sie zögerte viel länger, als ihm lieb war, und starrte in die Dunkelheit, während er nach irgendwelchen Anzeichen lauschte, dass sie verfolgt wurden. Peter würde die Angreifer so lange aufhalten, wie er konnte, aber es war schwer zu sagen, wie viel Zeit ihnen blieb, weil sie keine Ahnung hatten, wie viele Bewaffnete da draußen waren und über welche Feuerkraft sie verfügten.
Schließlich nahm sie das Gewehr, das sie dem toten Soldaten abgenommen hatten, und kroch in die Öffnung.
In dem schmalen Durchgang schien die Zeit stehen zu bleiben, und Smith musste immer wieder auf die Leuchtzeiger seiner Uhr sehen, um sich zu vergewissern, dass es nur Minuten waren, die vergingen, und nicht Stunden. Sarie blieb einige Male stehen, um ruhig durchzuatmen, dann kroch sie weiter, ohne zu jammern.
Nach fünfzehn Minuten hielt sie plötzlich an – ein bisschen abrupter als zuvor. »Jon? Ich glaube, wir haben ein Problem.«
»Alles klar, ich bin da. Bist du okay?«
»Ja. Aber vor mir ist nur noch ein kleiner Felsvorsprung und dann ein Abgrund. Die Taschenlampe reicht nicht weit genug, um zu sehen, wie tief es hinuntergeht.«
»Ist zufällig ein loser Felsbrocken in der Nähe? Stoß ihn runter und zähle, bis du ihn aufschlagen hörst.«
»Okay. Moment.«
Ihre Antwort kam nicht so schnell, wie er gehofft hatte.
»Sechs Sekunden.«
»Das ist ein bisschen tiefer, als unser Seil reicht. Führt der Vorsprung irgendwohin?«
»Nach rechts.«
»Wie breit ist er?«
»Einen halben Meter.«
»Kommst du auf den Vorsprung hinaus?«
»Ohne runterzufallen, meinst du?«
»Das wär schön, ja.«
Er hörte ihren Seufzer und dann das Kratzen des Gewehrs, als sie es vor sich herschob.
»Verdammt!«, stieß sie hervor, und ihr Schrei hallte von den Felswänden wider. Er wollte sie schon fragen, was los war, doch dann hörte er das metallische Klappern des Gewehrs, das tief unter ihnen aufschlug.
Großartig.
»Ist schon okay, Sarie. Kein Problem. Konzentriere dich ganz auf das, was du tust.«
Er fasste sie mit der Hand am Fußknöchel, als sie um die Ecke bog, obwohl er bezweifelte, sie festhalten zu können, falls sie abstürzte. Wahrscheinlich würde sie ihn mit sich in die Tiefe reißen.
»Okay«, sagte sie und bemühte sich, ruhig zu atmen. »Ich bin draußen. Auf dem Vorsprung. Aber er hört vor mir auf. Da ist ein Spalt – ungefähr einen Meter –, bevor es weitergeht.«
»Kannst du aufstehen?«
»Unmöglich.«
»Über so einen breiten Spalt kommst du nur, wenn du springst.«
»Glaubst du, das weiß ich nicht?«, kreischte sie und wartete einige Augenblicke, dann fügte sie mit ruhigerer Stimme hinzu: »Es tut mir leid, Jon. Ich weiß, du willst mir nur helfen. Aber der Vorsprung ist so schmal, dass meine linke Seite in der Luft hängt, und die Wand neben mir fühlt sich an wie Erde und Schlamm. Da kann ich unmöglich das Gleichgewicht halten.«
»Verstehe«, sagte er ruhig. »Dann machen wir jetzt Folgendes: Du kriechst zurück, bis du mit der Hüfte auf der Höhe des Lochs bist, in dem ich warte. Verstanden?«
»Ja. Okay. Zurück. Zurück ist gut.«
Das Licht der Taschenlampe in ihrer Hand wanderte über die Felswand, während sie sich vorsichtig rückwärts schob.
»Das reicht. Du machst das sehr gut.«
Er streckte die Hand aus, bis er ihre Hose spürte, und fasste sie mit festem Griff hinten am Hosenbund.
»Ich würde dich auch gern näher kennenlernen, Jon. Aber glaubst du wirklich, dass das jetzt der richtige Moment ist?«
Sie lachten beide, etwas länger und lauter, als der Scherz es eigentlich gerechtfertigt hätte, doch das Lachen half ihnen, ein wenig von ihrer Anspannung abzubauen.
»Okay, Sarie. Ich habe mich hier drin festgeklemmt. Ich komm nicht raus und lass dich nicht los. Also steh einfach auf, und mach dir keine Sorgen, dass du fallen könntest.«
»Du hast leicht reden.«
»Stimmt, es war wirklich nicht schwer.«
Sie lachten wieder, und er stemmte sich noch fester gegen die Felswand, während sich ihre Hüfte hob. Als ihre Schultern das obere Ende des Lochs erreichten, begann er zu ziehen, sodass sie mit dem Rücken gegen die Felswand gedrückt wurde.
»Und jetzt geh nach rechts und schau, ob du an der Felswand irgendwas Festes findest.«
»Ja … okay, ich hab etwas gefunden. Es fühlt sich ziemlich fest an.«
»Dann hilf du mir jetzt.«
Nicht einmal eine Minute später war auch er auf den Beinen, den Rücken gegen die Wand gedrückt und mit den Zehen über einem Abgrund, der so dunkel war wie der Weltraum. Sie bewegten sich langsam nach rechts, und er nahm ihre Hand und stützte sie, als sie über den Spalt sprang. Vorsichtig schoben sie sich an der Felswand entlang, und der Luftzug wurde immer stärker. Als er schließlich zu einem Wind anschwoll, der ihr prekäres Gleichgewicht gefährdete, blieben sie stehen.
»Schalt kurz die Taschenlampe aus, Sarie.«
»Was? Warum?«
»Bitte, tu mir den Gefallen.«
Sie knipste das Licht aus, und er wartete, bis sich seine Augen an die Finsternis gewöhnten. Nach einigen Sekunden war es nicht mehr stockdunkel um sie herum, sondern grau vom fernen Sonnenlicht.