Kapitel neunundvierzig

LANGLEY, VIRGINIA, USA

27. November, 11:29 Uhr GMT-5

 

 

Dave Collen sah abgespannt aus, als er sich in einen der Stühle vor Drakes Schreibtisch fallen ließ. Seine geröteten Augen ließen vermuten, dass er in den vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte, und nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, war er in seiner Unternehmung wenig erfolgreich gewesen.

»Wir haben immer noch keine Einzelheiten darüber, was mit Smith und seinen Leuten passiert ist, nachdem sie festgenommen wurden. Wir wissen nur, dass sie zu einem alten Militärstützpunkt gebracht und acht Stunden später wieder freigelassen wurden. Vielleicht haben wirklich nur ein paar Soldaten zufällig mitbekommen, wie Smith mit dem Messer auf Sebastiaan Bastock losgegangen ist …«

»So ein Zufall«, erwiderte Drake wenig überzeugt. »Und es erklärt auch nicht, warum Bastock anscheinend wenig später tot war.«

»Ich kann es ja auch nicht glauben, aber die Leute, die sie für uns beobachten, haben keinen Zugang zu dem Stützpunkt. Wir wissen einfach nicht, was dort passiert ist.«

»Und nachdem man sie freigelassen hat?«

»Sie kauften sich einen Wagen auf dem Schwarzmarkt und fuhren Richtung Norden, gefolgt von Sembutus Männern. Keine nennenswerten Stopps, bis sie zur Farm von Noah Dürnberg kamen. Sie haben dort übernachtet und sind dann tiefer in Bahames Territorium vorgedrungen. Dort haben wir sie verloren.«

»Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen Dürnberg und dem Parasiten?«

»Nicht dass wir wüssten. Er wohnt in dem Haus, das sein Vater gebaut hat, ein Arzt, der eine entfernte Verbindung zu Idi Amin hatte.«

»Ein Arzt? Kann es sein, dass er mit dieser Infektion zu tun hatte?«

Collen zuckte hilflos die Achseln. »Er ist lange tot. Selbst wenn es so wäre, weiß heute niemand mehr etwas darüber.«

»Verdammt viele offene Fragen.« Drake war sichtlich frustriert.

»Ich hab dir ja gesagt, dass wir aus Uganda nicht mehr so viel bekommen werden, wenn Brandon nicht mehr da ist.«

»Haben wir wenigstens jemanden, den wir zu Dürnbergs Farm schicken können, damit er sich dort umsieht?«

Collen schüttelte den Kopf. »Es kommt leider noch schlimmer. Nachdem Smith und seine Leute von dort aufbrachen, wurde die Farm niedergebrannt – mit Dürnberg drin. Seine Frau und sein Kind hielten sich in Kampala auf, weil sie vorhatten, auszuwandern. Wir haben Leute hingeschickt …«

»Und?«

»Sie fanden sie in der Badewanne, mit aufgeschlitzter Kehle.«

Drake fuhr sich mit der Hand über den Mund. Als er sie wegnahm, war sie schweißnass. Dürnberg hatte also etwas gewusst, und irgendjemand wollte verhindern, dass es herauskam. Aber wer? Die naheliegende Antwort war Bahame, aber war es wirklich so? Dass Smith und sein Team zu einem Militärstützpunkt gebracht worden waren und jetzt verfolgt wurden, deutete in eine andere Richtung – Charles Sembutu. Konnte es sein, dass es eine Verbindung zwischen ihm und den Iranern gab?

Collen schien seine Gedanken zu lesen. »Larry, wir verlieren die Kontrolle über die Situation. Erst dieses amerikanische Team, das irgendwo im Dschungel verschollen ist, dann wird die Familie eines alten Arztes ermordet, außerdem schnüffelt da eine der gefährlichsten Agentinnen herum – und zwar so intensiv, dass wir uns um sie kümmern müssen. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir mit dem, was wir haben, zum Präsidenten gehen.«

»Kriegst du jetzt kalte Füße?«, erwiderte Drake nun etwas lauter in dem schalldichten Raum. »Wolltest du nur mitmachen, solange du nicht das kleinste Risiko eingehen musst? Solange …«

»Bullshit, Larry!«, fiel ihm Collen ins Wort. »Ich war von Anfang an dabei, und ich bin der Einzige, der sich hier die Hände schmutzig macht. Dein Job ist es ja nicht, verlässliche Leute zu finden, die Smith quer durch den verdammten Dschungel folgen. Und du warst auch nicht in Brandons Schlafzimmer, als er starb. Aber jetzt ist einer unserer besten Mikrobiologen verschwunden, und dazu noch die weltweit führende Expertin für parasitäre Infektionen. Was ist, wenn Bahame sie geschnappt hat? Herrgott, oder Omidi? Dann haben wir es vielleicht nicht mehr mit einer normalen Infektion zu tun, die relativ leicht einzudämmen wäre. Wir wären im schlimmsten Fall mit einer brandgefährlichen Biowaffe konfrontiert.«

Drake öffnete den Mund, um etwas einzuwenden, doch dann stockte er und atmete erst einmal tief durch. »Es tut mir leid, Dave. Ich weiß, wie viel du schon investiert hast.«

»Ich schätze, wir sind alle ein bisschen angespannt«, meinte Collen mit einem gezwungenen Lächeln.

Drake nickte. »In einem Punkt hast du recht: Das Risiko  – für uns und für das Land – ist größer, als wir gedacht hatten. Aber ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern würde, wenn wir jetzt einen Schlussstrich ziehen. Was soll Castilla denn tun? Bahame angreifen? Der Kerl hat schon unser bestes Team ausgeschaltet. Soll er mit unseren Vermutungen an die Öffentlichkeit gehen? Dann entwickelt sich das Ganze zu einem politischen Geplänkel, das den Iranern noch mehr Zeit gibt, die Sache vorzubereiten und ihre Spuren zu verwischen. Khamenei verliert die Kontrolle über das Land – das weiß er besser als wir. Er setzt alles auf diese eine Karte. Ihm bleibt gar nichts anderes übrig.«

Drake hielt inne, um Collen antworten zu lassen, doch der starrte schweigend auf den Boden.

»Also, ich schlage Folgendes vor, Dave: Wir legen unseren Bioterrorspezialisten ein paar neue Szenarien vor, darunter auch etwas, das annähernd unserem Worst-Case-Szenario entspricht, also dem Fall, dass dieser Parasit als hochwirksame Waffe eingesetzt wird. Dann haben wir eine Strategie, die wir rasch anwenden können, falls es den Iranern wirklich gelingt, den Parasiten entsprechend zu modifizieren, bevor sie ihn loslassen. Die Opferzahlen wären höher als unsere Schätzung, sollten aber innerhalb der Dreiviertelmillion bleiben, die wir als Grenze des Akzeptablen gesetzt haben. Obwohl ich nicht glaube, dass wir es mit einer so hoch entwickelten Waffe zu tun bekommen. Ich habe so das Gefühl, dass Smith und seine Leute tot sind.«

Sein Assistent nickte schweigend.

»Siehst du die Sache auch so?«, fragte Drake.

Collen sah ihm schließlich in die Augen. »Ja. Tut mir leid, Larry. Du hast recht. Wir haben von Anfang an gewusst, dass es nicht einfach wird, die Iraner zu erwischen, aber …«

»Wir hatten gehofft, dass es nicht ganz so schwer wird«, führte Drake seinen Gedanken zu Ende.

»Ja.«

»Okay, also dann eins nach dem anderen. Wie ist die Lage mit Randi Russell?«

»Da gibt es bessere Neuigkeiten. Sie tut überhaupt nichts mehr, und es gibt auch keine Hinweise auf elektronische Aktivitäten. Seit ihrem Anruf bei der Transportsicherheitsbehörde scheint sie absolut nichts mehr unternommen zu haben.«

»Kein Gespräch mehr mit ihrem Freund vom FBI über Brandons Tod?«

»Nichts.«

»Hat sie noch einen Versuch unternommen, mit Smith Kontakt aufzunehmen?«

»Nicht nach dem zweiten Anruf in Fort Detrick.«

»Dann glaubst du also, dass sie mit ihrer Suche nicht weiterkommt?«

»Also, es sieht ganz so aus, als würde sie nicht mehr wissen als das, was auf dem Zettel stand, den Brandon ihr zugesteckt hat.«

»Glaubst du, sie hat aufgegeben? Sollten wir unseren Plan fallenlassen, sie auszuschalten?«

Collen schüttelte den Kopf. »Wenn es jemand anders wäre, würde ich sagen, ja, wir lassen es. Aber Randi Russell gibt nie auf. Wenn sie sich einmal in etwas verbissen hat, dann lässt sie nicht mehr los, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Ich glaube, sie ist in einer Sackgasse gelandet und überlegt erst einmal, wie sie weiter vorgehen soll.«

»Ja, so wird es sein. Dann müssen wir jetzt zuschlagen – bevor sie irgendeine neue Spur findet. Hast du schon mit Gholam gesprochen?«

»Es ist alles vorbereitet. Wir haben ihm alle Details gegeben, und er wartet nur noch auf das Kommando.«

Drake trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch und starrte einen Moment lang auf die geschlossene Tür zu seinem Büro. Padshah Gholam war ein afghanischer Maulwurf, der mit einem Studentenvisum in Maryland lebte. Er war der CIA bereits länger bekannt gewesen, doch man hatte ihn in die Staaten einreisen lassen, um etwas über seine Kontaktleute herauszufinden. Sie knackten sein Kommunikationssystem, und Collen gab sich als sein afghanischer Kommandant aus, während er gleichzeitig die Überwachung der Agency umging. So bekam Gholam die Anweisung, eine amerikanische Agentin auszuschalten, die für den Tod von zahllosen Dschihad-Kämpfern in allen Erdteilen verantwortlich war.

Es war ein nahezu perfektes Szenario. Niemand in der Agency würde Gholams Motive anzweifeln, man würde vielmehr alles tun, um zu vertuschen, dass man ihn nicht daran hatte hindern können. Randi Russell würde verschwinden, und die näheren Umstände ihres Todes würden nie wirklich geklärt werden.

»Okay, dann tu es.«

»Nur damit es keine Missverständnisse gibt«, sagte Collen langsam. »Du willst, dass ich ihm das Kommando gebe, Russell auszuschalten.«

Drake nickte. »Tu es jetzt, bevor sie alles kaputt macht.«

Die Ares Entscheidung
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