Kapitel achtundsechzig
WESTIRAN
30. November, 14:49 Uhr GMT+3:30
Nachdem man ihnen die Rucksäcke abgenommen hatte, machte man ihnen klar, dass man sie hier draußen sterben lassen würde, wenn sie nicht Schritt halten konnten. Und das war keine leere Drohung. Der Wind war wieder stärker geworden, und es war inzwischen so kalt, dass sie allein mit ihren Skiern und der Kleidung auf ihrer Haut sicher nicht lange überleben würden.
Trotzdem hatte Smith das Gefühl, dass sie wenigstens für den Moment sicher waren. Die neun Männer, die ihnen aufgelauert hatten, verteilten sich in einer immer länger werdenden Kette über das freie Feld. Er blickte sich nach dem Mann um, der ihn bewachte und sah, dass er etwa hundert Meter hinter ihm stehen geblieben war, erschöpft auf seine Stöcke gestützt, während ihm ein anderer den riesigen Rucksack abnahm und ihn selbst auf den Rücken schnallte. Smith lächelte, als er sah, dass der Mann, der dem jungen Soldaten aus der Patsche half, niemand anderer als Peter Howell war.
Außer den harschen Anweisungen und Drohungen vor dem Marsch hatte keiner mehr etwas zu ihnen gesagt. Und so war sich Smith immer noch nicht sicher, wer diese Leute waren. Hatte Farrokh sie geschickt? Oder gehörten sie zu einer iranischen Militärpatrouille, die sie festnahm, um sie ins Gefängnis zu bringen, weil sie unbefugt die Grenze überschritten hatten? Waren es vielleicht Banditen oder Drogenschmuggler, die ein Lösegeld für sie erpressen wollten? Auf all diese Fragen wusste er noch keine Antwort.
Sicher war nur, dass diese Gruppe keine Elitetruppe war. Ihre Fitness und ihre skifahrerischen Fähigkeiten schienen recht unterschiedlich zu sein, und ihre Ausrüstung sah, gelinde gesagt, etwas veraltet aus.
Smith zog das Tempo leicht an und spürte die kalte Luft in den Lungen, als er zu dem Unglücklichen aufschloss, dem man seinen dreißig Kilo schweren Rucksack aufgeladen hatte. Eine Hand hatte er in der Jackentasche vergraben, in der anderen hielt er die beiden Stöcke, während er sich mühsam vorwärtsschleppte, bereits gezeichnet von der Kälte und der monotonen Wanderung über das stetig ansteigende Gelände.
Er erschrak, als Smith neben ihm auftauchte und den seitlichen Reißverschluss des Rucksacks aufriss, doch er war zu erschöpft, um zu verhindern, dass der amerikanische Gefangene, wie er dachte, eine Waffe hervorziehen würde.
Doch Smith holte ein Paar hochwertige Kletterhandschuhe heraus, die er als Reserve mithatte. Der junge Mann blickte ihn über den Rand seiner Drahtgestellbrille hinweg an, die von einer Eisschicht überzogen war, und nickte kurz zum Dank.
Smith beschleunigte wieder und überholte einen der überraschten Männer nach dem anderen, bis er den Mann an der Spitze erreichte.
»Ihr Team braucht eine Pause.«
Der Mann spannte sich an und wirbelte herum, offenbar überrascht, dass sein Gefangener so schnell und lautlos zu ihm hatte aufschließen können.
»Vielleicht brauchen eher Sie selbst eine Pause?«
Statt einer Antwort deutete Smith mit dem Daumen zurück.
Der Mann sah sich zu seiner immer weiter auseinanderreißenden Truppe um und runzelte frustriert die Stirn, als er sah, dass Howell nicht nur seinen Rucksack, sondern auch sein Gewehr wieder übernommen hatte, und seinen Leuten zeigte, wie man sich effizient durch das tief verschneite Gelände bewegte.
»Akademiker und Intellektuelle«, seufzte der Mann auf Englisch mit leichtem Akzent. »Sie machen zwar gern Sport, aber auch wenn sie trainieren, sind sie doch meistens … wie soll ich sagen?«
»Nicht topfit?«, sagte Smith.
Der Mann schüttelte den Kopf und wirbelte den Schnee von seiner Mütze auf seinen ordentlich gestutzten Bart. »Schwächlinge. Das wollte ich sagen. Nicht wie ihr Amerikaner und Briten. Ihr schafft es sogar, einen Arzt und einen alten Mann im Dschungel von Uganda einem der gefürchtetsten Terroristen der Welt entwischen zu lassen und dann siebzig Kilometer durch die iranischen Berge zu schicken. Ihr seid Killer. Geborene und ausgebildete Killer.«
Er glitt auf seinen Skiern davon, und Smith wartete auf Howell.
»Habt ihr schon Freundschaft geschlossen?«, fragte der Brite. Der nächste der Männer war über fünfzig Meter hinter ihnen und bemühte sich nach Kräften, die Skitechnik anzuwenden, die Howell ihm beigebracht hatte.
»Also, ich habe eher das Gefühl, dass er uns nicht mag. Trotzdem dürften das die Leute sein, die wir gesucht haben.«
»Und das heißt jetzt, wir sollen ihnen trauen?«
»Uns bleibt kaum etwas anderes übrig.«
»Ich hatte mal einen Kumpel, der sagte oft: ›Was ist das Schlimmste, das dir passieren kann?‹«
»Du hattest einen Kumpel?«
»Eine Bombe. Wir konnten nicht mal genug von ihm zusammenkratzen, um es in eine Kiste zu legen. Irgendwie hat er am Ende seine Frage selbst beantwortet.«
Smith sagte nichts und wanderte weiter den Hang hinauf, in einem Tempo, das ihn wieder zu dem Mann an der Spitze aufschließen ließ. »Ich glaube, wir sollten nicht vergessen, dass wir auf derselben Seite stehen«, sagte er.
»Tun wir das?«, erwiderte der Mann, ohne sich umzublicken. »So wie 1953, als die CIA unseren demokratisch gewählten Premierminister stürzte und ihn durch einen Diktator ersetzte?«
Smith wusste, dass er besser schweigen sollte – immerhin war dieser Mann ihre einzige Hoffnung, zu Farrokh zu gelangen. Andererseits brachte er es einfach nicht fertig, zu schweigen, wenn jemand massive Vorwürfe gegen sein Land erhob und die Dinge allzu einseitig darstellte.
»War es nicht so, dass dieser Premierminister die Anlagen von British Petroleum im Iran einfach verstaatlicht hat?«
»Ah ja. Euer Öl. Das Wichtigste auf der Welt – wichtiger als das Leben von Unschuldigen. Viel wichtiger als die Demokratie, die ihr allen aufzwingen wollt. Das heißt, allen außer den Saudis, wo Frauen nicht einmal ein Auto lenken dürfen.«
»Alles, was wir wollen, ist, dass ihr uns verlässlich eine bestimmte Menge Öl liefert und unsere Bürger in Ruhe lasst. Dafür lassen wir weiter unser Geld in die gesamte Region fließen.«
»Und wenn wir euer Geld nicht wollen? Wenn wir unsere eigene nukleare Abschreckung wollen, um uns gegen eure Regierung zu schützen, die öffentlich gedroht hat, uns zu vernichten?«
»Das war nie die Position unserer Regierung – das kam von ein paar Abgeordneten, die den Mund ein bisschen voll genommen haben.«
»Aber Regierungen kommen und gehen, und die Umstände können sich ändern, nicht wahr?«
»Ich glaube, wir werden die Probleme der Welt heute auch nicht lösen«, sagte Smith, während die Sonne hinter den Bergen verschwand. »Sagen wir doch einfach, unsere Länder haben sich beide nicht immer ganz korrekt verhalten, und konzentrieren wir uns auf das, was vor uns liegt, nicht auf das, was einmal war.«