Kapitel einundsiebzig

WESTIRAN

2. Dezember, 10:51 Uhr GMT+3:30

 

 

Sepehr Mouradipour spähte durch das Zielfernrohr auf die Männer, die teilweise vom aufgewirbelten Schnee verdeckt waren. Sie wanderten jetzt über flacheres Terrain, sodass die Formation wieder enger zusammengerückt war.

Er trug einen weißen Overall mit Kapuze und hatte sich auf einer aufblasbaren Matratze zum Schutz vor der Kälte im Schnee zusammengekauert. Das Gesicht war zur besseren Tarnung mit weißen Farbstreifen bedeckt, sodass man es für Erde oder ein paar Steine halten konnte, die aus dem Schnee hervorguckten.

Die Gruppe, die er verfolgte, schien hauptsächlich aus seinen Landsleuten zu bestehen – nach seinen Informationen Anhänger von Farrokh. Verräter und Atheisten. Es würde ihm eine Freude sein, sie zu töten.

Er fand schließlich die Männer, für deren Eliminierung er bezahlt wurde, etwa in der Mitte der Formation. Beide trugen hellgraue westliche Skikleidung; der eine hatte breite Schultern, eine dunkel getönte Haut und schwarzes Haar, das unter der Wollmütze hervorguckte. Sein Begleiter war dünner und hatte eine helle, rot verbrannte Haut.

Mouradipour drückte auf einen Knopf an der Seite seines Gewehrs und schickte ein Signal, das seinen Männern verriet, dass die Ziele zweihundert Meter entfernt waren. Eine LED, die in seine Sonnenbrille eingebaut war, blinkte zur Antwort sieben Mal. Seine Männer waren bereit.

Die Gruppe brauchte etwas länger als erwartet, um die Entfernung zu überwinden, doch auf diesem Terrain war die Geschwindigkeit immer schwer abzuschätzen. Seine Männer würden sich bestimmt darauf einstellen, ohne dass er sie darauf hinweisen musste. Er verlangte von ihnen absolute Disziplin und hatte schon viele Gräber für all jene geschaufelt, die diesem Anspruch nicht gerecht wurden. Das Team, mit dem er jetzt arbeitete, hatte schon neun Missionen dieser Art durchgeführt und sich dabei noch keinen einzigen schwerwiegenden Fehler geleistet.

Mouradipour wartete, bis die Mitte der Kolonne auf der Höhe einer Klippe war, die ihm als Bezugspunkt diente, dann schickte er drei kurze Signale ab.

Es ging alles blitzschnell. Seine Männer stürmten aus der Deckung, und am Bergkamm gegenüber tauchten Scharfschützen auf. Einige von Farrokhs Leuten griffen unbeholfen nach ihren Waffen, doch die Gewehre hingen an ihren Rucksäcken und waren somit außer Reichweite; außerdem hätten sie sie mit ihren dicken Handschuhen ohnehin nicht bedienen können. In weniger als fünf Sekunden waren sie alle auf den Knien, die Hände auf dem Kopf.

Mouradipour eilte in Schneeschuhen den Hang hinunter und näherte sich dem ersten der beiden Fremden; er riss ihm die Mütze herunter und verglich sein Gesicht mit dem Foto, das er sich eingeprägt hatte. Die Gesichtsfarbe stimmte, die hohen Wangenknochen ebenfalls, doch die Augen waren nicht von dem intensiven Blau, das er erwartet hatte. Eine Täuschung durch den Lichteinfall? Getönte Kontaktlinsen?

Als er dem zweiten Mann die breite Skibrille herunterzog, sah Mouradipour zu seinem Entsetzen das faltenlose Gesicht eines Mannes Anfang dreißig.

»Falle!«, schrie er auf Persisch und griff nach dem Gewehr an seiner Schulter. Im nächsten Augenblick krachten gezielte Schüsse, und seine Männer sanken um ihn herum zu Boden. Ihre Gefangenen, die noch vor wenigen Augenblicken so erschöpft und hilflos gewirkt hatten, warfen sich blitzschnell auf den eisigen Boden, um ihren verborgenen Kameraden aus der Schusslinie zu gehen, und zogen ihrerseits Pistolen aus den Jacken hervor.

Mouradipour hatte seine Waffe kaum berührt, als er von den Beinen gerissen wurde. Noch bevor er auf dem Boden gelandet war, wurde ihm eine dünne Drahtschlinge über den Kopf gezogen, die sich durch den gefütterten Kragen seines Overalls schnitt und ihm die Kehle zuschnürte. Mit jeder Bewegung, die er machte, zog sich die eisige Metallschlinge noch enger zusammen.

Ein einsamer Skifahrer kam den Hang heruntergefahren und glitt mit etwas steifen Bewegungen zwischen seinen toten oder tödlich getroffenen Männern hindurch. Die Gestalt war von merkwürdig kurviger Figur, wie er trotz der dicken Kleidung erkannte. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er nach oben, als der Skifahrer direkt vor ihm stehen blieb und die dicke Kapuze aus dem Gesicht zog. Verwirrt sah er, wie das kurze blonde Haar und die makellose Haut einer jungen Frau zum Vorschein kamen.

 

»Machen Sie Ihren Anruf«, sagte Randi Russell mit zusammengebissenen Zähnen und rückte ihr Gewehr an eine Stelle ihrer Schulter, die ihr nicht ganz so große Schmerzen bereitete.

Der Flug von Amerika im Frachtraum einer C-141B Starlifter, die heimliche Überquerung der iranischen Grenze und die neunzehn Stunden dauernde Verfolgung dieser Mistkerle hatten nicht gerade dazu beigetragen, ihre Stimmung zu heben.

Fred Klein hatte ihr vorgeschwärmt, wie großartig diese neuen kugelsicheren Westen aus gentechnisch veränderter Seide seien – sie seien viermal so stark wie Kevlar, hatte er ihr versichert, und dabei viel leichter, was ebenfalls nicht ganz unwichtig war, zumal sie in jener Nacht noch einige Beutel mit falschem Blut am Körper getragen hatte.

Ihr war gar nicht wohl dabei gewesen, auf die Kugel eines afghanischen Killers zu warten und dabei eine Schussweste zu tragen, die aus dem gleichen Material war wie ihre Unterwäsche, und ihre Bedenken hatten sich als gerechtfertigt herausgestellt. Der blaue Fleck auf ihrem Rücken hatte einen Durchmesser von fast dreißig Zentimetern und schimmerte in den Farben eines Sonnenuntergangs über Miami.

»Welchen Anruf?«, erwiderte Mouradipour. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Randi zog ein Fläschchen Ibuprofen hervor, schüttelte fünf Tabletten in den Mund und schluckte sie hinunter, ehe sie sprach. »Erzählen Sie mir keinen Scheiß, Sepehr. Ich kann ziemlich ungemütlich werden.«

Er sah auf die Leichen seiner Männer hinunter, die in den von ihrem warmen Blut geschmolzenen Schnee einsanken. »Und was, wenn ich Ihren Anruf mache?«

»Dann halten wir Sie lange genug fest, um sicherzugehen, dass Sie keinen Blödsinn machen, wie zum Beispiel mit irgendeinem Codewort zu signalisieren, dass Sie gefasst wurden. Wenn alles glattgeht, lassen wir Sie frei.«

»Was für eine Sicherheit habe ich?«

»Sicherheit? Wie wär’s damit? Wenn Sie nicht in den nächsten fünf Sekunden den verdammten Anruf machen, dann können Sie sicher sein, dass ich meinem Freund hier sage, er soll Ihnen den Kopf abschneiden.«

Die Drahtschlinge um seinen Hals zog sich zusammen, und nach kurzem Zögern griff er langsam in seine Tasche.

Randi trat einen Schritt zurück und spähte in die Ferne. Alle Karten, Satellitenbilder und Koordinaten, mit denen Mouradipour gearbeitet hatte, waren raffinierte Fälschungen; er hatte nicht wissen können, dass Jon und Peter in Wahrheit hundert Meilen weiter nördlich unterwegs waren. Vorausgesetzt, sie waren noch nicht erfroren, auf eine iranische Grenzpatrouille gestoßen oder von dem unberechenbaren Farrokh erschossen worden.

Sie zog ihr eigenes Satellitentelefon hervor und schickte eine Meldung an Covert One ab, dass Mouradipour seinen Anruf machen würde. Mithilfe ihrer Kontaktleute in der NSA würden sie den Weg des Anrufs um den Planeten verfolgen können. Was Klein nicht wusste, war, dass Charles Mayfield das Gleiche in der Zentrale der CIA machen würde  – eine kleine unabhängige Überprüfung, die ihr helfen würde, ruhig zu schlafen.

Randi drehte sich um und glitt auf ihren Skiern langsam weiter. Sie empfand Wut, aber auch eine gewisse Verzweiflung, die ihr um einiges mehr zu schaffen machte. Erst als die Stimmen ihrer Männer vom Wind geschluckt wurden, blieb sie stehen und dachte darüber nach, dass sie im Grunde gehofft hatte, nichts als Schnee hier vorzufinden. Dass sie gehofft hatte, Klein habe sich geirrt.

Doch diese Illusion war ihr genommen worden. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Mouradipours Anruf genau dorthin gehen würde, wo Klein es vermutet hatte – zu einem Mann, für den sie schon oft ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um seine Anweisungen durchzuführen. Einem Mann, den sie respektiert und bewundert hatte.

Lawrence Drake.

Die Ares Entscheidung
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