Kapitel fünfundsiebzig

ZENTRALIRAN

5. Dezember, 02:01 Uhr GMT+3:30

 

 

Jon Smith brachte seine steifen Beine auf dem felsigen Boden in eine nicht ganz so unbequeme Position. Sie befanden sich knapp 300 Kilometer nordöstlich von Farrokhs Trainingscamp und hatten das letzte Viertel der Strecke auf Pferden zurückgelegt. Gewiss eine unauffällige und effiziente Art der Fortbewegung, doch soweit er sich erinnern konnte, hatte er zum letzten Mal an seinem fünften Geburtstag auf einem Pferd gesessen.

Er schwenkte das auf einem Stativ montierte Nachtsichtfernrohr und überblickte den Maschendrahtzaun, die Wachtürme und die Maschinengewehrstellungen. Am meisten beunruhigte ihn aber, was er nicht sah: ein Gebäude. Das gesamte Biowaffenlabor war unterirdisch angelegt – tief unter der Erde, wenn Farrokhs Informationen stimmten.

Es gab einen Felsvorsprung in der Mitte des schwer bewachten Geländes, in den eine graue Stahltür von unbekannter Stärke eingebaut war. Ein schlimmeres Szenario war kaum vorstellbar – abgesehen vielleicht von riesigen außerirdischen Robotern.

»Sie haben noch immer keinen Plan von der Anlage auftreiben können?«, fragte er leise. Sie lagen halb eingegraben im Sand, eineinhalb Kilometer östlich des Zauns. Näher heranzukommen hätte militärische Fähigkeiten verlangt, über die sein Begleiter nicht verfügte.

»Ich fürchte, nein«, antwortete Farrokh.

»Keine alten Baugenehmigungen? Baupläne? Inspektionsberichte?«

»Es gibt absolut keine Informationen über die Anlage. Das ist ziemlich ungewöhnlich und hat uns erst auf den Ort aufmerksam gemacht.«

Die Wachtürme und der Zaun sahen neu aus und schienen aus ortsüblichem Material errichtet worden zu sein. Alles wirkte etwas schlampig, doch das war durchaus beabsichtigt  – man wollte keine Strukturen errichten, die von oben erkannt wurden.

Smith richtete das Beobachtungsfernrohr auf den östlicheren von zwei Wachtürmen, die den Eingang schützten. Auch wenn er genau wusste, wo er suchen musste, dauerte es beeindruckende dreißig Sekunden, bis er eine Bewegung ausmachen konnte.

Peter Howell und ein noch älterer ehemaliger Angehöriger der iranischen Sondereinsatzkräfte hatten die vergangenen fünf Stunden unter einer schmutzigen Plane verbracht, mit der sie sich an den äußeren Verteidigungsring der Anlage herangeschoben hatten. Sie schafften es schließlich bis zu einer niedrigen Böschung, und Smith hörte das Vibrieren des Handys an Farrokhs Hüfte. Der Iraner blickte kurz hinunter und hielt es dann Smith hin, damit er den Text auf dem Display lesen konnte.

Graben. 2m tief 4m breit. Brücke mit Sprengsätzen.

Er hatte eigentlich nichts anderes erwartet, insgeheim aber auf ein bisschen Glück gehofft. Jeder Versuch, an irgendeiner anderen Stelle einzudringen, würde mit Sicherheit damit enden, dass man von den Maschinengewehren in den Türmen zerrissen wurde.

»Das heißt dann wohl – entweder durch den Haupteingang oder gar nicht«, meinte Farrokh.

Smith nickte in der Dunkelheit und musste sich eingestehen, dass ihre Chancen so gut wie nicht vorhanden waren. Die Wachposten würden angreifende Streitkräfte schon von Weitem erspähen und die Brücke sprengen, sobald Ärger drohte.

Farrokh tippte eine kurze Antwort ein und wandte sich wieder seinem Fernrohr zu, während Smith sich auf den Rücken drehte und zum Sternenhimmel hinaufblickte. Er fragte sich, ob Sarie noch lebte. Ob sie noch in dem Bunker war.

»Was können Sie aufbieten, Farrokh?«

»Fünfzig gute Männer, die bereit sind, für ihre Überzeugungen zu sterben.«

Und genau das würde diesen unerfahrenen Leuten auch passieren, wenn sie gegen die kampferprobten Soldaten in ihrer befestigten Stellung anrannten.

»Artillerie?«

»Nein. Wir haben Granaten, aber die müssten wir mit der Hand werfen.«

»Was ist mit Technologie? Können wir die Kommunikation zur Anlage unterbrechen?«

»Nein, sie benutzen Satelliten, und wir haben keine entsprechenden Störsender.«

»Was ist mit ihrer Stromversorgung?«

»Es gibt keine Leitungen hinein, also müssen sie den Strom vor Ort erzeugen.«

Smith atmete langsam aus. Das war keine Operation, bei der man sich mit begrenzten Maßnahmen begnügen konnte. Wenn es ihnen gelang, den Sicherheitswall zu durchbrechen, mussten sie dafür sorgen, dass der Parasit nicht nach draußen gelangte. Und Sarie van Keuren musste entweder herausgeholt oder eliminiert werden.

»Sie müssen mich mit meinen Leuten sprechen lassen, Farrokh. Wir haben vielleicht genug Informationen, um sie zu überzeugen, in den iranischen Luftraum einzudringen. Wir haben bunkerbrechende Bomben, die …«

»Ausgeschlossen. Ich werde nicht amerikanisches Militär auf mein Land loslassen.«

»Ich bin auch amerikanisches Militär.«

»Da ist doch ein kleiner Unterschied, meinen Sie nicht auch?«

»Es geht hier um Millionen Menschenleben, Farrokh. Das ist kein …«

»Was wäre gewesen, wenn Sie sicher gewusst hätten, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hat? Hätten Sie dann der irakischen Luftwaffe geholfen, in euren Luftraum einzudringen und eure Militärbasen zu zerstören, um den Angriff auf den Irak zu verhindern, der so viele Menschenleben gekostet und unermessliches Leid in der ganzen Region verursacht hat? Wir haben fünfzig Männer, die bereit sind, ihr Leben zu geben, wenn ich das Kommando gebe, Colonel. Das ist alles.«

Smith drehte sich auf den Bauch und wünschte sich, er könnte dem Iraner einen Stein auf den Hinterkopf schmettern und sich sein Telefon schnappen. Doch er hatte gesehen, dass der Mann jedes Mal, wenn er es benutzte, einen Code eingab. Und ohne den Code würde ihm das Handy nichts nützen.

»Sie sind der Boss, Farrokh. Rufen Sie Howell und Ihren Mann zurück. Ich will hier weg sein, bevor die Sonne aufgeht.«

Der Iraner tippte erneut eine Nachricht ein, und wenige Augenblicke später vibrierte das Handy mit einer Antwort.

Noch nicht. Hab ’ne Idee. Wird sicher lustig.

Die Ares Entscheidung
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