Kapitel sechsundsiebzig
ZENTRALIRAN
5. Dezember, 06:54 Uhr GMT+3:30
Das grauenhafte Kreischen der Tiere und das metallische Klappern der Käfige war schwer zu ertragen, als Sarie in den Raum mit den Versuchsaffen eintrat. Sie unterdrückte den Drang, aus dem beengenden Schutzanzug zu schlüpfen und hinauszulaufen, legte das Klemmbrett weg und nahm die große Spritze zur Hand.
Sie war gefüllt mit dem Blut eines Tieres im Endstadium der Infektion, und Sarie wusste, dass die empfindlichen Parasiten darin bald sterben würden. Sie hatte nicht die Zeit, um noch länger zu überlegen, ob sich das Problem nicht vielleicht doch auf eine nicht ganz so grauenhafte Weise lösen ließ. Sie musste handeln.
Als sie am ersten der mit Tüchern verhüllten Käfige vorbeikam, reagierten die Affen darin auf das Geräusch ihrer Schritte und warfen sich gegen die Gitterstäbe, um zu ihr zu gelangen. In den nächsten Käfigen befanden sich Tiere, die erst vor wenigen Stunden infiziert worden waren. Sie reagierten überhaupt nicht, sondern hockten einfach nur teilnahmslos und benommen da. Sarie ging auch an ihnen vorbei. Ihr Ziel waren die Affen, die noch gar nicht mit dem Erreger in Kontakt gekommen waren.
Jedes Tier hing an einem Tropf, über den Medikamente oder Krankheitserreger verabreicht werden konnten. Sarie spritzte das Blut in den Behälter ein und tippte einen Befehl in einen Laptop. Die Tiere würden der zehnfachen Dosis des Parasiten ausgesetzt sein, als man sie bei einem Angriff normalerweise abbekam. Nach der Formel, die sie aufgestellt hatte, sollten bei der zweiten und der dritten Gruppe die Symptome etwa gleichzeitig voll zum Ausbruch kommen. Die Tiere der ersten Gruppe würden dann schon kurz vor dem Tod stehen, aber immer noch etwa dreißig Prozent ihrer maximalen Kraft und Beweglichkeit besitzen. Mehr als genug, um eine tödliche Wirkung zu entfalten.
Die übliche Prozedur, die Spritze zu entsorgen und den Schutzanzug abzulegen, war nun zwar sinnlos, doch sie hielt sich an das Protokoll. Auch wenn nur noch wenig Zeit war, durfte sie nicht riskieren, dass die Sicherheitskameras irgendetwas Ungewöhnliches aufschnappten.
Als sie das äußere Büro betrat, zeigte die Wanduhr genau 7:30 Uhr. Yousef Zarin war der einzige Anwesende; er arbeitete an einem Computer, von Akten und losen Blättern umgeben.
Sie setzte sich zu ihm, mit dem Rücken zu den Überwachungskameras, und betrachtete den Plan auf seinem Bildschirm. Es war ein riesiger Glücksfall, dass die Anlage einst geschlossen worden war, nachdem sie seine Inspektion nicht bestanden hatte – niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Passwörter zu löschen, die bereits zu seiner Zeit verwendet worden waren. Zarin hatte vollen Zugang zum System und ausreichende Kenntnisse im Programmieren, um diesen Zugang zu nutzen.
»Ist alles bereit?«, fragte sie.
Er nickte. »Wenn wir den Notfallalarm auslösen, werden alle Außentüren automatisch verriegelt, so wie ursprünglich vorgesehen. Ich habe jedoch zwei kleine Änderungen eingefügt. Die Innentüren sollten eigentlich ebenfalls verschlossen werden, um die verschiedenen Bereiche des Gebäudes streng zu trennen, damit eine eventuelle Katastrophe möglichst eng begrenzt bleibt. In dieses Programm habe ich einen kleinen Fehler eingebaut. Der Schließvorgang wird zwar eingeleitet, aber nicht ganz durchgeführt.«
»Das heißt, die Türen bleiben offen.«
»Genau. Die zweite Änderung war etwas schwieriger, weil ich das Programm hier ganz neu schreiben musste, aber ich habe eine Simulation durchgeführt, und es funktioniert einwandfrei.«
»Die Affenkäfige?«
»Ja. Die Schlösser an den Käfigen werden aufgehen und in dieser Position bleiben.«
Sie nickte langsam und versuchte ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie waren gerade dabei, die Anlage in ein einziges Grab zu verwandeln. Es würde zu einem unvorstellbaren Ausbruch von Gewalt und Chaos kommen, ehe es für immer still wurde.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Zarin mit Sorge in seinen dunklen Augen.
»Ja.«
»Es ist keine erfreuliche Aussicht, nicht wahr?«
»Nein. Aber ich komme schon klar damit.«
»Ich auch«, sagte er. »Aber ich hätte schon gern meine Familie noch einmal gesehen. Es bleibt so viel ungesagt, wenn man glaubt, man hat noch genug Zeit.«
Sie lächelte schwach und musste sich mit einem bitteren Gefühl eingestehen, dass es niemanden gab, den sie noch einmal dringend hätte sehen müssen. Die Universität würde eine stilvolle Gedenkfeier veranstalten, wenn klar war, dass sie nicht zurückkehren würde. Ihre Kollegen würden den Kopf schütteln und sagen, dass sie sie immer schon vor den Gefahren ihres Lebens in der Abgeschiedenheit gewarnt hätten. Und dann würden sie zur Tagesordnung übergehen.
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen«, sagte Zarin und stand auf. »Ich möchte beten.«
Sie sah ihm nach und wünschte sich, sie hätte den Glauben ihres Vaters geerbt. Ein wenig Trost von oben wäre recht willkommen gewesen, zumal es in der Anlage keinen Tropfen Alkohol gab.
In der Kaffeemaschine war noch ein kleiner Rest von vergangener Nacht übrig – damit würde sie sich begnügen. Es war schon bizarr, dass sie an dem Punkt in ihrem Leben angelangt war, an dem ihr nicht einmal mehr die Zeit blieb, um sich frischen Kaffee zu machen.
Was würden die Leute, die irgendwann kommen würden, denken, wenn sie dieses Bild des Schreckens sahen: das Blut, die demolierten behelfsmäßigen Barrikaden, die menschlichen und tierischen Leichen, noch ineinander verschlungen.
Das Entscheidende war jedoch, dass sie den Parasiten dann ebenfalls mit ins Grab genommen hätten.