Kapitel neunundsiebzig

ZENTRALIRAN

5. Dezember, 09:46 Uhr GMT+3:30

 

 

Sarie van Keuren schlug verzweifelt nach dem Mann, der sie über den Gang zerrte, und verlor fast das Gleichgewicht, während der ohrenbetäubende Alarm schließlich verstummte.

Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war. Das Verhalten der Männer hatte sich seit dem gedämpften Knall einer Explosion schlagartig geändert. Omidis selbstgefälliges Lächeln war wie weggewischt, und er lief voraus und brüllte den verängstigten Leuten in den Büros und Labors Befehle zu.

Noch einmal boxte sie dem Mann, der sie festhielt, vergeblich mit der Faust in die Seite, während er mit ihr durch eine schwere Stahltür eilte, die sie noch nie offen gesehen hatte. Drinnen hasteten die Wissenschaftler hin und her, die Omidi von Saries Gruppe abgezogen hatte; sie sammelten in aller Eile Akten, Proben und Computerfestplatten ein.

Der Wächter ließ sie los, zeigte drohend mit dem Finger auf sie und sagte etwas, das wohl bedeutete, sie solle sich nicht von der Stelle rühren.

Er lief zu den anderen, um ihnen dabei zu helfen, die Sachen zu einer Schütte zu tragen, die zum Verbrennungsofen führte, während Sarie ihre Aufmerksamkeit der Glaswand zu ihrer Linken zuwandte. In dem Raum befanden sich drei infizierte Männer, die mit ihren gebrochenen und blutenden Händen gegen die gläserne Barriere schlugen, während das Durcheinander im Labor immer größer wurde. Sie zeigten keinerlei gegenseitige Aggression – ja, sie schienen einander gar nicht wahrzunehmen.

Waren sie nicht mit der letzten Version des Parasiten infiziert? Konnte es sein, dass ihre Modifikationen am Menschen keine Wirkung hervorriefen? Vielleicht waren die Veränderungen einfach noch nicht stark genug. Es war denkbar, dass die Betroffenen sich immer noch vorzugsweise Opfer suchten, die noch nicht infiziert waren, und sich erst gegeneinander wandten, wenn niemand sonst in Reichweite war.

Mehrak Omidi hämmerte verzweifelt Befehle in eine Computertastatur, während er immer wieder auf zwei Monitore blickte, die knapp unterhalb der Decke angebracht waren. Sie machte ein paar zögernde Schritte darauf zu und versuchte zu erkennen, was die Bilder von dem Gelände rund um die Anlage zeigten.

Sarie realisierte zu ihrer großen Freude, dass da bewaffnete Männer gegen die Wachposten kämpften, doch ihre Hoffnung schwand gleich wieder, als sie erkannte, dass es nicht die Amerikaner waren. Es schienen Iraner zu sein, und selbst sie konnte sehen, dass es keine erfahrenen Soldaten waren. Einige schienen nicht einmal in die Richtung zu blicken, in die sie schossen.

Omidi sprang auf und lief zu einem gekühlten Safe. Er gab auf einem Tastenfeld einen langen Code ein, die Tür ging auf, und eisige Luft strömte heraus. Omidi nahm ein Gestell mit Ampullen heraus und stellte sie vorsichtig in einen mit Schaumstoff ausgekleideten Koffer.

Keiner der Anwesenden schien noch auf sie zu achten, und so schlich sie zu einem Schreibtisch ein paar Meter entfernt. Sie tastete hinter ihrem Rücken nach einer Schere und steckte sie hinten in ihre Hose, als Omidi den Koffer schloss und mit drei Wächtern zu ihr lief.

Er packte sie am Arm und zog sie zur Tür, drehte sich aber noch einmal kurz um und rief den beiden Sicherheitsleuten, die noch im Raum waren, eine Anweisung zu. Sie nahmen ihre Waffen von den Schultern, und Sarie verfolgte entsetzt, wie sie auf die Wissenschaftler zu feuern begannen, die noch damit beschäftigt waren, die Spuren ihrer Arbeit zu beseitigen.

Es war innerhalb weniger Sekunden vorbei. Rauch hing im Raum, und der Gestank von Schießpulver stieg ihr in die Nase. Sie blickte auf die toten Wissenschaftler hinunter, während die drei Infizierten immer noch versuchten, durch die Glaswand zu kommen. Als Omidi sie mit sich zerrte, hatte sie keine Kraft mehr, um sich zu wehren.

Sie erreichten das Ende des Korridors, während ringsum weiter Schüsse hallten. Einer von Omidis Männern tippte einen Code in ein Tastenfeld an der Wand, und eine Stahltür glitt auf. Dahinter lag eine riesige Höhle, von Betonsäulen gestützt und von Lichtern an der Decke erhellt. Sie wurde ins Fahrerhaus eines Militärlasters geschoben, und Omidi setzte sich neben sie. Seinen Koffer hielt er so fest, als enthielte er ein Wundermittel gegen Krebs.

Ihm fiel auf, wie sie auf den Koffer starrte, und er lächelte grimmig. »Meine Leute haben es geschafft, den Parasiten fast achtundvierzig Stunden außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten. Zeit genug, um ihn nach Mexiko zu bringen und über die amerikanische Grenze zu schmuggeln.«

Einer der Sicherheitsleute setzte sich auf den Fahrersitz; er hatte einen Laptop bei sich, den Sarie erkannte – er hatte Yousef Zarin gehört. Omidi schaltete ihn ein, als ein weiterer Mann hinten aufsprang, um das Maschinengewehr zu übernehmen, das auf der Ladefläche montiert war.

»Wie gefällt Ihnen das?«, sagte Omidi. »Das Programm, das Sie entwickelt haben, um uns zu zerstören, wird uns retten.«

Der Fahrer ließ den Motor an und manövrierte den Laster rückwärts aus dem Parkplatz. Bald würde es zu spät sein. Sie musste irgendetwas tun.

Die Schere steckte immer noch hinten in ihrem Hosenbund, und sie zog sie heraus und stieß sie dem Fahrer zwischen die Rippen, während sie mit der anderen Hand nach dem Lenkrad griff. Der Mann stieß einen überraschten Schrei aus, doch die Schere war nur wenige Millimeter eingedrungen, und er trat abrupt auf die Bremse.

Sie wurden nach vorne geschleudert, und Sarie zog instinktiv am Griff von Omidis Tür. Als sie aufschwang, stieß sie sich ab und flog mit Omidi hinaus. Sie kamen hart auf dem Boden auf, doch Sarie war darauf vorbereitet und rollte sich ab, während Omidi direkt auf dem Rücken landete.

Er verlor den Koffer, der über den Lehmboden schlitterte, und Sarie erwischte ihn am Griff, noch bevor sie wieder auf den Beinen war.

Es hatte keinen Sinn, zurückzublicken. Sie sprintete zur Tür zurück, durch die sie gekommen waren. Hinter sich hörte sie laute Stimmen, gefolgt vom Knattern des Maschinengewehrs auf der Ladefläche, doch die Kugeln gingen ins Leere.

Schneller als erhofft hatte der Schütze die Waffe ausgerichtet, und sie musste hinter einer Betonsäule in Deckung gehen. Die mächtigen Geschosse hämmerten einige Sekunden auf die Säule ein und schlugen ganze Betonbrocken heraus, bis der Stahl darunter zum Vorschein kam. Dann wurde es plötzlich still.

»Dr. van Keuren«, rief Omidi. »Hören Sie mir zu. Sie können nirgendwohin. Kommen Sie heraus, und ich garantiere Ihnen, dass Ihnen nichts passieren wird. Hören Sie mich?«

Sie lugte kurz hinter der Säule hervor und zog den Kopf rasch wieder zurück, als sie den Mann sah, den sie mit der Schere verletzt hatte. Er näherte sich mit der Pistole in der Hand, einen großen Blutfleck auf dem Hemd. Omidi tippte etwas in seinen Laptop, der offensichtlich nicht zerschmettert war, wie sie gehofft hatte.

Selbstverständlich würde Omidi sie nicht verschonen. Er hatte den MG-Schützen nur aus Sorge um den Koffer das Feuer einstellen lassen. Wenn er sie erwischte, würde er sie entweder auf der Stelle töten und den Parasiten auf Amerika loslassen, oder sie einsperren und zwingen, weiter an dem Erreger zu arbeiten. Nichts davon war eine reizvolle Aussicht.

Sie hörte ein Knarren hinter sich und sah, dass die Tür zur Anlage langsam zuging. Er hatte Zarins Programm gestartet, um die Angreifer einzuschließen und die infizierten Tiere freizulassen.

Sie hatte keine Wahl und lief zur Tür, den Koffer an die Brust gedrückt. Sie zwang sich, nicht auf die Schüsse zu achten, und konzentrierte sich ganz darauf, die Tür zu erreichen, bevor der Spalt zu eng wurde.

Ein brennender Schmerz flammte in ihrem Bein auf, und sie schlitterte hilflos über den Boden, während ihr der Koffer aus der Hand flog. Auf der Schwelle kam sie zum Stillstand und griff nach dem Griff, als eine Kugel neben ihr in die Felswand einschlug. Sie zuckte zurück, und die Tür stieß gegen ihre Schulter. Verzweifelt versuchte sie, die Tür aufzudrücken, doch der Schließmechanismus war zu stark. Der Mann, den sie verletzt hatte, lief auf sie zu, und der Lauf des Maschinengewehrs auf dem Laster war direkt auf sie gerichtet. Sie konnte nichts mehr machen. Sie würden den Koffer bekommen. Aber wenigstens nicht sie selbst.

Sarie schleppte sich durch die Tür und zog gerade noch den Fuß aus dem Spalt, ehe sie zuging. Einige Sekunden blieb sie auf dem kalten Boden liegen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

Die Wunde am Bein war nur oberflächlich, und sie zerriss ihren Ärmel, um sie zu verbinden. Sie hatte keine Ahnung, wer die Anlage angriff, aber diese Leute waren auf jeden Fall ihre einzige Hoffnung.

Sarie rappelte sich mühsam auf und erstarrte, als das Dröhnen in ihren Ohren einem anderen Geräusch wich – einem Kreischen, das immer lauter wurde.

Die Affen waren frei.

Die Ares Entscheidung
cover.html
e9783641091972_cov01.html
e9783641091972_fm01.html
e9783641091972_ata01.html
e9783641091972_toc01.html
e9783641091972_c01.html
e9783641091972_c02.html
e9783641091972_c03.html
e9783641091972_c04.html
e9783641091972_c05.html
e9783641091972_c06.html
e9783641091972_c07.html
e9783641091972_c08.html
e9783641091972_c09.html
e9783641091972_c10.html
e9783641091972_c11.html
e9783641091972_c12.html
e9783641091972_c13.html
e9783641091972_c14.html
e9783641091972_c15.html
e9783641091972_c16.html
e9783641091972_c17.html
e9783641091972_c18.html
e9783641091972_c19.html
e9783641091972_c20.html
e9783641091972_c21.html
e9783641091972_c22.html
e9783641091972_c23.html
e9783641091972_c24.html
e9783641091972_c25.html
e9783641091972_c26.html
e9783641091972_c27.html
e9783641091972_c28.html
e9783641091972_c29.html
e9783641091972_c30.html
e9783641091972_c31.html
e9783641091972_c32.html
e9783641091972_c33.html
e9783641091972_c34.html
e9783641091972_c35.html
e9783641091972_c36.html
e9783641091972_c37.html
e9783641091972_c38.html
e9783641091972_c39.html
e9783641091972_c40.html
e9783641091972_c41.html
e9783641091972_c42.html
e9783641091972_c43.html
e9783641091972_c44.html
e9783641091972_c45.html
e9783641091972_c46.html
e9783641091972_c47.html
e9783641091972_c48.html
e9783641091972_c49.html
e9783641091972_c50.html
e9783641091972_c51.html
e9783641091972_c52.html
e9783641091972_c53.html
e9783641091972_c54.html
e9783641091972_c55.html
e9783641091972_c56.html
e9783641091972_c57.html
e9783641091972_c58.html
e9783641091972_c59.html
e9783641091972_c60.html
e9783641091972_c61.html
e9783641091972_c62.html
e9783641091972_c63.html
e9783641091972_c64.html
e9783641091972_c65.html
e9783641091972_c66.html
e9783641091972_c67.html
e9783641091972_c68.html
e9783641091972_c69.html
e9783641091972_c70.html
e9783641091972_c71.html
e9783641091972_c72.html
e9783641091972_c73.html
e9783641091972_c74.html
e9783641091972_c75.html
e9783641091972_c76.html
e9783641091972_c77.html
e9783641091972_c78.html
e9783641091972_c79.html
e9783641091972_c80.html
e9783641091972_c81.html
e9783641091972_c82.html
e9783641091972_c83.html
e9783641091972_c84.html
e9783641091972_c85.html
e9783641091972_c86.html
e9783641091972_c87.html
e9783641091972_c88.html
e9783641091972_c89.html
e9783641091972_c90.html
e9783641091972_c91.html
e9783641091972_c92.html
e9783641091972_bm01.html
e9783641091972_bm02.html
e9783641091972_cop01.html