Kapitel einundachtzig
ZENTRALIRAN
5. Dezember, 11:02 Uhr GMT+3:30
Der Arm tauchte erneut im Türspalt auf und griff verzweifelt in die Dunkelheit. Sarie zuckte zurück und verhedderte sich in den Jacken, die in dem vollen Wandschrank hingen, ohne jedoch ihren Griff um den Ledergürtel zu lockern, den sie um den Knauf geschlungen hatte.
Mit dem scharfen Ende eines abgebrochenen Besenstiels stieß sie nach dem Angreifer und traf den blutüberströmten Oberarm beim fünften Versuch. Der Mann schien es nicht einmal zu bemerken und änderte seine Strategie; er griff nun nicht mehr blind in den Schrank, sondern versuchte die Tür aufzureißen.
Sie hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, um seine wütenden Schreie nicht hören zu müssen. Vielleicht hätte sie es einfach tun sollen, denn ihr Kampf war ohnehin zwecklos. Sie hatte keine Chance, aus der Anlage herauszukommen, und irgendwann würde sie müde werden, während er es immer weiter versuchen würde, bis sein Herz aufhörte zu schlagen. Wenn sie ihn hereinließ, würde es in einer Minute vorbei sein. Vielleicht noch schneller.
Er schaffte es, seine Schulter in den Spalt zu zwängen, und sie sah sein Gesicht in dem schummrigen Licht. Der Speichel troff ihm in langen roten Fäden über den Bart, die geweiteten Augen versuchten das Opfer zu finden.
Sie schwang den Besenstiel nach seinem Gesicht und fügte ihm einen tiefen Riss unter dem Auge zu. Doch auch das bewirkte nichts, außer dass er noch unheimlicher aussah. Sie ließ ihre nutzlose Waffe fallen, stemmte einen Fuß gegen die Wand und umfasste den Gürtel mit beiden Händen, um den Angreifer in der Tür einzuklemmen.
Ihre Unterarme brannten wie Feuer, und ihre Handflächen waren schweißnass, sodass ihr das Leder langsam, aber unaufhaltsam durch die Finger glitt. Die Tür öffnete sich wieder ein paar Zentimeter, und der Kopf des Mannes drang noch weiter herein. Aus dem Riss in seinem Gesicht floss Blut, das mit dem tödlichen Parasiten verseucht war. Sie spürte heißes Blut auf ihre Hand tropfen, aber das spielte keine Rolle mehr. In wenigen Sekunden würde sie nicht mehr weiterkämpfen können – sie würde den Gürtel loslassen müssen, die Tür würde auffliegen …
Und dann war er weg.
Von draußen hörte sie Schreie und Schüsse, ohne zu wissen, was es zu bedeuten hatte. Wenige Augenblicke später krallten sich Finger um die Türkante und versuchten die Tür aufzuziehen.
»Geh weg!«, schrie sie, packte den Besenstiel und verfehlte die Hand nur knapp, als sie im letzten Moment zurückgerissen wurde.
»Sarie! Bist du das?«
Die Hand tauchte wieder auf, und sie stieß erneut zu.
»Lass die Tür los, Sarie! Und um Himmels willen nimm das Ding weg!«
Der Akzent klang nicht iranisch. Er war eher amerikanisch. Und die Stimme klang irgendwie vertraut.
»Sarie. Hör zu. Mach die Tür auf, ja?«
Der Gürtel glitt ihr aus den Händen, und sie blinzelte ins Licht, als Jon Smith sie aus dem Wandschrank hob.
»Bist du okay?«, fragte er und suchte sie nach Wunden ab, in die der Parasit gelangt sein konnte, ehe er sie auf den Boden ließ. »Was ist passiert? Ist das von dem Kerl? Hat er …«
Sie schüttelte den Kopf und schlang schluchzend die Arme um seinen Hals. Der Mann, der sie angegriffen hatte, lag fünfzehn Meter entfernt am Boden, mit weggerissener Schädeldecke. Peter Howell stand neben ihm und behielt zusammen mit drei bewaffneten Iranern den Gang im Auge.
»Es tut mir leid, aber wir haben nicht viel Zeit.« Smith schob sie sanft von sich.
»Weniger als du glaubst«, erwiderte Sarie und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Omidis Leute haben den Parasiten transportierbar gemacht. Ich hab versucht, ihn aufzuhalten, aber er ist weg. Und er hat den Parasiten mitgenommen.«
Smith blickte den Gang hinunter, als das ferne Geheul der Affen zu ihnen drang. Dass sie die letzte Begegnung mit den Tieren überlebt hatten, verdankten sie einer Reihe von glücklichen Umständen – dass keines der Tiere klein genug war, um durch den Spalt zu schlüpfen, oder groß genug, um die Tür aufzudrücken. Außerdem war ihm ein Glückstreffer gelungen, über den er selbst gestaunt hatte. Beim nächsten Mal würden die Götter nicht so gnädig sein.
»Was meinst du damit – er ist weg, Sarie?«
»Er ist in einen Laster gestiegen und weggefahren.«