Kapitel zweiundachtzig

ZENTRALIRAN

5. Dezember, 11:23 Uhr GMT+3:30

 

 

Mehrak Omidi blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Straße hinaus, die sich am fernen Horizont verlor. Der holprige Belag und die instabile Position des Wächters hinten am Maschinengewehr machten es unmöglich, schneller als achtzig Stundenkilometer zu fahren – eine Geschwindigkeit, die ihm unerträglich langsam erschien.

»Wie weit bist du noch von Avass entfernt?«

Omidi klemmte sich das Satellitentelefon zwischen Ohr und Schulter und scrollte auf dem GPS-Gerät. Der abgelegene Ort mit seinen weniger als dreitausend Einwohnern war nicht einmal verzeichnet, doch anhand der Landschaft glaubte er die Entfernung recht gut einschätzen zu können.

»Weniger als eine Stunde, Exzellenz.«

»Und die Anlage?«, fragte Ayatollah Khamenei. »Wie ist die Situation dort?«

»Die infizierten Tiere sind frei, und der Hauptzugang wurde gestürmt.«

»Waren das die Amerikaner?«

»Iraner. Angehörige des Widerstands, denke ich. Aber es besteht wohl kein Zweifel, dass die Amerikaner ihre Hände im Spiel haben.«

»Dann wissen sie viel.«

»Zu viel, Exzellenz.«

Das ungewohnte Gefühl der Angst breitete sich langsam in seinem Bauch aus. Es gab kein Zurück mehr – sie hatten alle Brücken hinter sich abgerissen. Bahame war fast sicher tot, und nach den Berichten der internationalen Medien war sein Guerillaheer so gut wie ausgelöscht. Was immer mit Jon Smith passiert sein mochte, er hatte seinen Vorgesetzten bestimmt alles erzählt, was er wusste, und die Amerikaner würden dementsprechend handeln – wenn möglich, zusammen mit verbündeten Staaten, notfalls aber auch allein.

»Exzellenz, es tut mir leid. Ich …«

»Es gibt nichts, was dir leidtun müsste, Mehrak. Du hast das getan, was man von einem treuen und unermüdlichen Soldaten im Dienst Gottes erwarten kann.«

Seine Stimme klang wieder so fest und unerschütterlich, wie Omidi sie einst vor Jahrzehnten kennengelernt hatte.

»Fahr weiter nach Avass«, fuhr Khamenei fort. »Ich habe die Polizei dort verständigt, und sie rufen noch mehr Männer, die sich ihre Treue zu Gott und der Revolution bewahrt haben. Sie werden dich schützen, bis das Militär bei dir ist.«

»Wie lang?«

»Das erste Transportflugzeug sollte in weniger als vier Stunden da sein.«

»Vier Stunden«, wiederholte er langsam. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Die Truppen, die ihre Verteidigung durchbrochen hatten, würden inzwischen wissen, dass er entkommen war, und ihn verfolgen.

»Exzellenz, ich …«

Das Fenster neben ihm explodierte, und die Glassplitter prasselten auf ihn ein, als der Wagen scharf ausscherte. Omidi ließ das Telefon fallen und duckte sich auf den Boden. Er schützte den Koffer mit seinem Körper, während die Kugeln gegen die Tür neben ihm schlugen.

Sein Fahrer blutete aus einer tiefen Wunde an der Stirn, doch es gelang ihm, das Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Der Mann hinten auf der Ladefläche wurde gegen das Fahrerhaus geschleudert und versuchte das Maschinengewehr auf die Angreifer auszurichten, die auf einem Hügel östlich der Straße aufgetaucht waren.

Im nächsten Augenblick ertönte das Knattern ihres Maschinengewehrs, und die Schüsse gegen die Tür verstummten. Omidi richtete sich so weit auf, dass er über das Armaturenbrett sehen konnte, während der Fahrer das Letzte aus dem Motor herausholte.

Ein rostiger Kleinwagen erschien vor ihnen auf einer Hügelkuppe, direkt vor einem engen Straßenabschnitt, der auf einer Seite von einem Graben, auf der anderen von einer Felswand begrenzt wurde. Das Auto wurde immer schneller, und Omidi sah die Entschlossenheit in der leicht vorgebeugten Haltung des Fahrers. Er wollte sie offensichtlich rammen.

Das Knattern des Maschinengewehrs wurde lauter, als sich das Feuer gegen das entgegenkommende Fahrzeug richtete; die Kugeln zerrissen den Kühlergrill, durchlöcherten die Motorhaube und rissen schließlich einen großen Teil des Autodachs weg.

Das Auto schlingerte nach links, dann nach rechts – der Kopf des Fahrers hing nur noch an einem Stück Haut. Der Kleinwagen prallte gegen den rechten Kotflügel des Lasters und wurde gegen die Felswand geschleudert.

Der MG-Schütze feuerte weiter auf das Fahrzeug, aus dem immer noch vereinzelte Schüsse kamen, die sich jedoch bald in der Ferne verloren.

»Mehrak! Bist du da? Mehrak!«

Khameneis blecherne Stimme tönte unter dem Beifahrersitz hervor. Omidi blieb unten und tastete einige Augenblicke blind herum, ehe er das Telefon am Boden fand.

»Ja, Exzellenz. Ich bin hier.«

»Was ist passiert?«

»Wir wurden angegriffen. Der Widerstand weiß offenbar, dass das die einzige Straße ist, die von der Anlage wegführt.«

»Bist du verletzt?«

»Nein. Mir fehlt nichts.«

»Und der Parasit?«

Omidi tippte einen Code in das Tastenfeld des Koffers und öffnete ihn, worauf neun Ampullen zum Vorschein kamen.

»Alles heil geblieben.«

»Gelobt sei Gott.«

»Exzellenz, wenn auf der Straße Terroristen sind, dann sind vielleicht auch welche im Dorf.«

»Ich verständige unsere Leute in Avass und warne sie. Sie werden auf dich warten und dich eskortieren.«

»Danke, Exzellenz.«

»Mehrak, ich weiß, ich brauche dir nicht zu erklären, wie wichtig es ist, dass diese Ampullen heil nach Teheran kommen. Sieben Männer mit US-Visa stehen bereit. Wir müssen schnell und entschlossen zuschlagen, bevor die Amerikaner etwas gegen uns unternehmen können.«

Die Ares Entscheidung
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