Ich will in Deinen Erdentagen
Dir stets ein treuer Engel sein!«
Bei dem Klange dieser Worte warf das schöne Mädchen einen Blick des Stolzes auf den Pflegebruder. Herr Seidelmann aber legte das Buch wieder fort und sagte:
»Abermals ein Liebesgedicht! Das werden Sie wohl dieses Mal nicht bestreiten.«
»Nein,« antwortete Robert ruhig:
»Und solche Sachen lesen Sie?«
»Sogar sehr gern.«
»Das glaube ich. Wer mit einem jungen Mädchen Tag und Nacht allein im Zimmer steckt, der liest natürlich sehr gern Liebeslieder. Aber diese Lieder werden zu Thaten, zu unzüchtigen, verbrecherischen Thaten, welche ich –«
»Herr Vorsteher!« unterbrach ihn Robert drohend. »Sie kommen an Stelle des Hauswirthes zu uns; wir müssen Ihre Gegenwart dulden. Außerdem ehre ich Ihr Amt in Ihrer Person, aber Beleidigungen wie diejenigen, welche Sie heut aussprachen, werde ich niemals dulden!«
Da warf ihm der fromme Mann einen giftigen Blick zu und antwortete:
»Haben Sie Bettstellen?«
»Nein!« antwortete Robert, ganz verblüfft über diese Frage. »Vater hat sie aus Noth verkaufen müssen.«
»Wie schläft die Familie?«
»Vater und ich hier auf Stroh und Marie mit den kleinen Geschwistern draußen auf den Matrazen.«
»Das glaube, wer da will, nur ich nicht! Sie sind vor zwei Wochen um eine Unterstützung für Ihren kranken Vater eingekommen. Das Armenamt hat mich beauftragt, den Fall zu untersuchen. Ich finde keineswegs, daß Sie noch unterstützungsbedürftig sind. Sie lesen Liebeslieder, noch dazu von einem Türken, denn der Verfasser heißt Hadschi Omanah, ein muhamedanischer Name; Sie schreiben sogar die Liebeslieder eines Menschen ab, welcher als Hochverräter landesflüchtig werden mußte; die ganze Familie lebt und schläft in einer unzüchtigen Gemeinschaft durcheinander; ich werde mit Stolz und –«
»Herr Seidelmann, sind Sie fertig!« rief Robert drohend, indem er auf ihn zutrat.
»Jawohl!« antwortete der Gefragte, sich furchtsam zurückziehend. »Die Unterstützung erhalten Sie nicht, und wenn bis morgen Abend die Miethe nicht bezahlt ist, werden Sie auf die Straße geworfen, Sie Primaner in Liebesliedern!«
Damit verließ er in höchster Eile die Wohnung.
Während er die Treppe hinabschritt, vernahm er unten im Parterre einen lebhaften Wortwechsel. Er blieb unten auf der letzten Stufe stehen, um zu lauschen.
Da unten gab es nämlich nicht weniger Armuth als oben im dritten Stockwerke. In einem naßkalten Lokale wohnte ein Holzhacker mit seiner Frau, welche lange Jahre für die Leute gewaschen hatte, jetzt aber an der Gicht so darnieder lag, daß sie die Extremitäten kaum mehr bewegen konnte. Dazu war das große Unglück gekommen, daß der Mann sich in das Bein gehackt hatte und nun auch nichts zu verdienen vermochte. Die Wunde heilte schwer zu, um die jetzige Jahreszeit um so schwerer; gelebt wollte sein, so kam es, daß der Hunger bald der Gast der sonst braven Familie wurde.
Die Miethe konnte nicht bezahlt werden. Der Vorsteher als Armenpfleger versicherte stets, daß erst noch Andere zu versorgen seien, und hatte ihnen nur den Vorschlag machen können, ihre Sorgen dadurch zu erleichtern, daß er ihnen den einen ihrer zwei Knaben abnehmen wollte.
Das war ein Bild von einem Jungen. Ein fremder Herr, der ihn – scheinbar zufällig – gesehen hatte, war ganz närrisch auf ihn gewesen. Die Eltern konnten sich nicht von ihm trennen.
In letzter Zeit war die Noth so groß geworden, daß der Mann sich hingesetzt und Hampelmänner geschnitzt hatte, welche sein ältestes Töchterchen auf dem Christmarkte verkaufen sollte. Heute nun saßen sie und lauerten mit Schmerzen auf die Heimkehr der Kleinen. Ein paar Pfennige brachte sie doch wohl mit!
Da endlich ging die Thür auf, und sie kam; aber hinter ihr erschien die Gestalt eines Polizisten. Die Eltern erschraken, und die Kinder versteckten sich.
»Wohnt hier der Holzhacker Schubert?« fragte der Polizist.
»Ja,« wurde ihm geantwortet.
»Dieses Mädchen ist Eure Tochter?«
»Ja, meine Älteste.«
»Ihr habt sie auf den Markt betteln geschickt!«
»Nein, Herr. Das ist mir nicht eingefallen! Sie hat nur einige Hampelmänner verkaufen sollen.«
»Das macht doch nur uns nicht weiß! Sie hat gebettelt; sie muß da eine ungeheure Gewandtheit besitzen, denn sie hat volle drei Thaler zusammengefochten. Darum wurde sie arretirt. Das Geld und die famosen Hampelmänner sind natürlich confiscirt worden. Die kleine Landstreicherin, die übrigens ganz frech geleugnet hat, daß sie betteln kann, bringe ich Euch hiermit; die Strafverfügung aber erhaltet Ihr morgen.«
Er entfernte sich. Die Eltern hatten ihm gar nicht zu antworten vermocht, so starr waren sie vor Schreck und Erstaunen. Sie fragten das Kind, welches weinend Alles erzählte. Sie hätten gern die Karte gehabt, auf weicher der Name der Wohlthäterin gestanden hatte, aber die war dem Kinde, als es von dem Polizisten so scharf angeredet wurde, aus der Hand gefallen.
Da trat Herr Seidelmann ein. Er grüßte nach seiner Weise und sagte dann im Tone des Beileides:
»Ich begegnete einem Polizisten, welcher bei Euch gewesen ist. Was ist denn geschehen?«
Der Holzhacker erzählte ihm Alles.
»Das habt Ihr davon,« meinte der Fromme, »daß Ihr den Rath Eures Seelsorgers verachtet. Hättet Ihr mir den Knaben überlassen. Der Künstler, welcher ihn wieder zu einem Künstler erziehen wollte, hätte Euch zehn Thaler geschenkt, und Ihr hättet nicht nöthig gehabt, das Mädchen auf den Markt zu schicken.«
»Zehn Thaler?« fragte die Waschfrau. »Höre, Mann!«
»Zehn Thaler?« wiederholte der Holzhacker. »Davon haben Sie uns gar nichts gesagt!«
»So habt Ihr es überhört. Nun kommt morgen die Polizeistrafe, die Ihr zahlen müßt, wenn Ihr nicht sofort ausgepfändet werden wollt, der Miethzins dazu – hm!«
Er griff in die Tasche, zog eine Zuckerdüte hervor und gab sie dem hübschen, kräftig gebauten Knaben, welcher wohl vier Jahre alt sein mochte.
»Das ist von dem Onkel, der Dich so lieb hat!« sagte er dabei. »Möchtest Du einmal zu ihm kommen?«
»Ja,« antwortete natürlich der Junge, indem er ein Stück des Inhaltes in den Mund schob.
»Nun, was sagt Ihr dazu?«
Die Eltern blickten einander fragend an. Kein Brod, kein Holz, keine Kohlen, morgen Hauszins und Polizeistrafe! Das Kind zu einem großen Künstler, bei dem es jedenfalls besser aufgehoben war als bei ihnen! Und dagegen zehn blanke Thaler!
»Was denkst Du, Frau?« fragte der Mann.
»Mach’, was Du willst!«
»Herr Seidelmann, wann würden wir das Geld bekommen?«
»Sogleich!«
»Wann wird der Junge geholt?«
»Noch heute Abend. Ich schicke mein Dienstmädchen her.«
»Na, dann in Gottes Namen. Der Junge ist uns zwar an’s Herz gewachsen, aber die Noth ist groß; er wird nicht länger zu hungern brauchen, und ich bin ja überzeugt, daß Sie uns nur einen Rath geben, der gut ist. Es kann zu seinem Glücke sein, und unser Kind bleibt er doch!«
»Das ist sehr verständig von Euch gedacht, und ich danke Gott, daß er Euer Herz zu diesem Entschlusse gelenkt hat. Schreiben können Sie doch, Schubert?«
»Leidlich.«
»Das ist gut. Ich werde dem Mädchen einen Revers mitgeben, welchen Sie unterschreiben müssen. Das Kind muß doch eine Legimitation haben. Hier ist das Geld.«
Er bezahlte die zehn Thaler und ging, von den Segenswünschen der Eltern begleitet. Auf der Gasse angekommen, eilte er sogleich zur nächsten Droschkenstation und fuhr – nach dem Circus, dessen Besitzer zufälliger Weise auch sofort zu sprechen war.
»Nun,« fragte dieser. »Haben Sie es den Leuten vorgestellt, Herr Seidelmann?«
»Ja, aber sie bedenken sich noch immer.«
»Was giebt es da zu bedenken! Ich zahle die sechzig Thaler, und sie geben mir dafür den Jungen!«
»Hm! Wenn Sie stets hier blieben, damit die Eltern das Kind zuweilen sehen könnten.«
»Das geht nicht; ich besuche alle Haupt-und größeren Städte. Und übrigens ist es am Besten, man hat die Eltern nicht in der Nähe. Aus den Augen, aus dem Sinn!«
»Da glaube ich nicht, daß sie darauf eingehen.«
»Das wäre mir fatal! Ich habe noch nie so einen prächtigen Jungen gesehen! Er ist geradezu zum Kunstreiter geboren. Ich brauche unbedingt so einen Knaben. Ein Junge, der Etwas leistet, zieht die Leute herbei. Leider sind mir in fünf Jahren drei solche Jungens verunglückt. Der Eine brach das Genick, und die beiden Anderen stürzten und starben etwas später.«
»Das dürften diese braven Leute nicht wissen. Uebrigens ist ihnen auch die Summe, welche Sie bieten, zu niedrig.«
»Sechzig Thaler? Wieviel verlangen sie denn?«
»Gerade das Doppelte.«
»Das ist viel, sehr viel! Wie nun, wenn mir der Junge gleich beim ersten Male den Hals bricht?«
»Das steht doch nicht zu erwarten. Diese Leute stecken in Noth, sonst würden sie den Jungen gar nicht hergeben, selbst dann nicht, wenn ich als Armenpfleger ihnen zureden wollte. Geben sie ihn her, so dann nur gegen eine Summe, welche genügend ist, ihre Noth wenigstens auf einige Zeit zu lindern.«
»Aber gleich das Doppelte!«
»Ich kann weder den Eltern, noch Ihnen zu-oder abraten. Ich habe meinen Auftrag ausgerichtet. Sie nehmen ihn nicht an, und so ist es wohl Gottes Wille, daß der Knabe bei den Eltern bleibt.«
Er machte Miene, zu gehen; der Direktor ließ ihn aber nicht fort.
»Wären denn nicht hundert Thaler genügend?« fragte er.
»Es sind gerade hundertzwanzig, welche die Eltern brauchen!«
»Hm! Der Junge ist bildhübsch! Ich kann mir Etwas mit ihm verdienen!«
»Das ist sicher! Bedenken Sie, daß er gezwungen ist, für Sie zu arbeiten, bis er mündig ist.«
»Das habe ich auch zu rechnen. Na, Herr Seidelmann, so mag es sein! Ich zahle die hundertzwanzig Thaler!«
»Wann?«
»Das kommt darauf an, wenn ich den Jungen erhalte.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, und denke, daß ich ihn Ihnen noch heute schicken kann, und zwar mit den nöthigen Papieren.«
»So gebe ich jetzt sechzig und die anderen sechzig dem Boten, der ihn bringt.«
»Gut! Abgemacht! Diesen Knaben vom Hungern erlöst, ist ein Werk, dessen sich die Engel freuen werden!« –
Vorhin, als Herr Seidelmann so schnell von Bertrams fortgegangen war, hatten die beiden Geschwister einander eine Weile stumm angesehen. Dann hatte Marie ihm die Hand hingehalten und gesagt:
»Laß ihn, lieber Robert! Dieser Heuchler ist nicht werth, daß wir nur an ihn denken, viel weniger aber uns über ihn ärgern!«
»So denkst Du als Mädchen! Er hat uns fürchterlich beleidigt!«
»Vergiß das für heute! Komm, setze Dich, wir wollen weiter arbeiten!«
Er antwortete nicht. Es stürmte in ihm. Um sich zu beruhigen, schritt er einige Male im Zimmer auf und ab. Dann, als er, sich die Hände reibend, wieder zur Feder greifen wollte, zupfte ihn jemand am Rockschoße. Er drehte sich um. Es war ein kleines Schwesterchen.
»Lieber Robert, gib mir ein Stückchen Brot!« bat es schluchzend. »Ich kann es nicht mehr aushalten. Es tut so weh dahier!«
Dabei legte das Kind das Händchen auf den Leib.
Er stand wieder von seinem Stuhle auf. Er wollte sich beherrschen, brach aber doch in ein lautes Schluchzen aus. Als das die Kleinen hörten, stimmten sie weinend ein. Dazu fiel der Kranke in ein Husten, welches ihn zu zersprengen drohte.
»Marie, es geht nicht; es geht wirklich nicht!« sagte Robert. »Die Geschwister können nicht bis morgen warten!«
»Aber wie wollen wir helfen?« fragte sie unter Thränen.
»Ich weiß es, und ich thue es!«
Bei diesen Worten ging er zum Koffer, um ihn zu öffnen. Sie eilte ihm nach und ergriff ihn beim Arme.
»Du meinst Deine Kette? Nein, die darfst Du nicht verkaufen. Sie ist das Einzige, was Du von Deinen Eltern hast. Nur durch die Kette kann es Dir einmal gelingen, sie zu finden.«
»Ich werde sie nicht verkaufen, sondern nur versetzen.«
»Und wenn Du sie dann nicht einlösen kannst?«
»Das will ich doch nicht hoffen!«
Da trat sie näher zu ihm heran, legte den Arm um ihn, blickte bittend zu ihm empor und fragte:
»Möchtest Du es denn nicht noch einmal wagen, lieber Robert – ja!«
»Was?« fragte er.
»Zum Buchhändler zu gehen?«
»Mein Gott! Es geht nicht! Ich mußte bereits das letzte Mal tief gedehmüthigt das Local verlassen.«
»Aber dennoch noch einmal! Bitte, bitte! Mir zu Liebe!«
Er blickte auf sie nieder, sah in ihre thränenumflorten, flehenden Augen und konnte nicht widerstehen.
»Nicht wahr, liebe Marie, auch Du hast recht großen Hunger?« fragte er.
»Du nicht?«
»Sehr, sehr!«
»Und ich auch,« gestand sie.
Dabei legte sie ihr Köpfchen an seine Brust und weinte bitterlich, so bitterlich, wie er es gar nicht für möglich gehalten hätte, daß ein Mensch weinen könne. Er zog sie an sich, küßte ihr die Thränen von den Augen und sagte:
»Sei ruhig, Marie! Du sollst essen, Du und Ihr alle. Ich gehe zum Buchhändler.«
»Und wenn er Dich wieder fortschickt?«
»Nun, ich nehme die Kette mit. Brod muß ich bringen. Erhalte ich dort nichts, so gehe ich doch noch zum Pfandleiher.«
»So thue es, o Gott, es ist das Einzige, was Du besitzest. Wenn die Kleinen es doch bis morgen aushalten könnten, wo wir dann Geld haben! Aber es geht nicht! Und der arme Vater hat auch nichts, weder Medizin noch Essen.«
»Du siehst also ein, daß ich unbedingt Rath schaffen muß!«
»Ja. Aber verleihe die Kette nur nicht zu theuer, sonst wird uns das Einlösen zu schwer.«
»Keine Sorge! Diese Juden geben selbst gern wenig!«
Er öffnete den Koffer. Dieser enthielt einige Wäschestücke. Dabei lag ein kleines Kästchen, in welchem sich der Gegenstand ihrer Sorge und zugleich ihrer Hoffnung befand. Es war ein dünnes, außerordentlich minutios gehaltenes Halskettchen von altmodischer Arbeit. In der Mitte hing ein Herz mit einer Freiherrnkrone und den drei Buchstaben R.v.H. Aber was verstand Robert von Heraldik und von dem Unterschied der Kronen!
Er steckte das Kästchen zu sich, setzte ein dünnes, abgeschabtes Studentenmützchen auf und ging.
»Holst Du Brod? Bring recht viel!« riefen ihm die kleinen Geschwister nach.
Drunten packte ihn die Kälte mit grimmigen Armen. Er hüllte sich so viel wie möglich in sein kurzes Röckchen und schlug einen Trab an, um sich möglichst zu erwärmen. Durch Gäßchens, Gassen und Straßen kam er und endlich an einen offenen Platz, welcher voller Buden stand. Die Häuser, welche ihn umgaben, waren wahre Paläste. Laden glänzte da an Laden. Er schritt zaghaft auf einen derselben zu. Der Inhaber desselben war ein Kunst-und Verlagshändler.
Die hohen, breiten Fenster waren mit werthvollen Gemälden und Kupferstichen belegt, und dazwischen erblickte man die hervorragendsten Erzeugnisse der Literatur.
Trotz seines Hungers hätte Robert es doch vielleicht nicht gewagt, in den glänzenden Laden zu treten; aber da fiel sein Blick auf einen ausliegenden Saffianband, auf welchem ebenso zu lesen war »Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder. Gedichte von Hadschi Omanah«. Das gab ihm Muth. Er öffnete die Thür und trat ein.
Der Laden war voller Menschen. Der mehr als anspruchslos gekleidete Jüngling wurde zunächst gar nicht bemerkt; endlich aber fragte einer der Diener, was er wünsche, und er antwortete, daß er mit dem Prinzipale zu sprechen begehre. Dieser befand sich im Hintergrunde des Ladens und kam herbei.
Als er Robert erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht.
»Was wünschen Sie, Herr Bertram?« fragte er von oben herab.
»Ich befinde mich in einer Lage, welche mir gebietet, meine Bitte nochmals zu wiederholen.«
»Welche Bitte war das?«
»Ich leide buchstäblich Hunger, mein Herr. Ich bin kein Bettler; aber ich möchte Sie doch fragen, ob mein Werk Ihnen nicht so viel trägt, daß Sie sich zu einem kleinen Nachtrage zum Honorar verstehen könnten.«
»Ganz und gar nicht! Ihr Werk bringt mir gar nichts ein. Bis jetzt habe ich nur zugesetzt. Wieviel zahlte ich Ihnen für das Manuscript?«
»Zwanzig Thaler.«
»Nun sehen Sie! Das ist mehr als reichlich für die Gedichtssammlung eines Anfängers. Das Honorar ist dennoch das Wenigste, was man zahlt. Papier, Druck, Satz und Anderes, das läuft sogleich in die Tausende. Haben Sie nicht einen zweiten Band?«
»Oh, wie gern würde ich ihn liefern! Aber ich muß nach Brod arbeiten, nach dem trockenen Brode! Hätte ich einen kleinen Zuschuß zum ersten oder Vorschuß zum zweiten Bande, so würde mir das Schreiben wenigstens nicht zu einer so absoluten Unmöglichkeit wie jetzt.«
»Junger Mann, das Genie verkommt im Glück. Nur im Ringen, im Kampfe mit dem Leben erstarkt es und kommt zu Kräften. Ich kenne das; ich habe mit so sehr viel Talenten und Genies zu thun. Wollte ich Ihnen Geld zahlen, so wäre das eine Beleidigung Ihres Genies.«
»Aber eine Rettung für meinen Körper, ohne welchen das Genie ein Nichts ist.«
»Sie nehmen die Sache zu drastisch. Ringen Sie, ringen Sie; kämpfen Sie: dann werden Sie ein Held der Feder, eher aber nicht. Gott soll mich behüten, meine Mitarbeiter zu verwöhnen! Es würde bald kein Talent mehr geben. Uebrigens sehen Sie, daß ich außerordentlich beschäftigt bin. Kommen Sie wieder, wenn der zweite Band fertig ist, eher aber nicht. Ich werde das Manuscript dann innerhalb eines Vierteljahres durchlesen, und wenn es mir gefällt, so zahle ich Ihnen vielleicht fünfundzwanzig anstatt zwanzig Thaler. Für jetzt aber – – habe die Ehre, Herr Bertram!«
Er drehte sich um und verschwand. Robert stand mitten unter den zahlreichen Anwesenden wie von Gott verlassen. Es war ihm, als sei er nun einmal partout zum Hungertode verdammt.
Draußen hatte ein Schlitten gehalten. Ein Herr stieg aus und trat ein. Er hatte etwas so Hochvornehmes an sich, daß sich aller Augen auf ihn richteten, selbst der Chef eilte herbei, um nach seinen Wünschen zu fragen. Dabei fiel sein Blick auf Robert, welcher noch immer dastand und mit sich zu Rathe ging, ob er nicht vielleicht einen letzten Angriff versuchen solle. Dem Chef war die Anwesenheit des so ärmlich Gekleideten unangenehm.
»Wollen Sie sonst noch etwas?« rief er ihm mit scharfer, ärgerlicher Stimme zu.
»Etwas Anderes nicht,« antwortete Robert stockend, indem er einige Schritte näher trat. »Aber dennoch möchte ich mir die ganz gehorsamste Bitte um –«
»Schon gut, schon gut!« wurde er unterbrochen. »Ich habe Ihnen bereits angedeutet, daß ich für Sie kein Geld habe. Entfernen Sie sich gefälligst.«
Das war stark; das war mehr als stark; das war sogar niederträchtig. Aller Augen richteten sich auf Robert. Diesem war es, als müsse er vor Scham in die Erde sinken. Er griff unwillkürlich mit den Händen um sich, als wolle er nach einer Stütze suchen. Er wankte. Da trat der fremde Herr herbei, welcher zuletzt hereingekommen war, legte den Arm um seine Schulter und sagte:
»Sie fallen ja um, junger Mann! Was haben Sie?«
»Hunger!« antwortete Robert mit leiser Stimme und mehr instinctiv als mit Ueberlegung.
»Hunger? Mein Gott! Kommen Sie heraus!«
Er geleitete ihn bis vor die Thüre, wo er mit ihm stehen blieb.
»Ist es wahr, daß Sie hungern?«
»O sehr!«
»Hält man das für möglich! Was sind Sie?«
»Schriftsteller.«
»Was wollen Sie hier im Laden?«
»Einen kleinen Vorschuß, ich soll den zweiten Band schreiben.«
»Sie haben schon einen ersten Band geschrieben?«
»Ja.«
»Was?«
»Gedichte.«
»Ah, das ist allerdings nicht einträglich. Wollen Sie mir Ihren Namen und ihre Wohnung mittheilen?«
»Robert Bertram, Wasserstraße elf, drei Treppen.«
»Drei? Ja, Dichter pflegen hoch zu wohnen, zumal wenn sie noch so jung sind wie Sie. Bitte, nehmen Sie.«
Er drückte dem jungen Manne aus seiner Börse etwas in die Hand und trat dann in den Laden zurück, so daß Robert gar keine Zeit zum Danke fand. Er warf einen Blick auf das Empfangene. Es waren zwei Louisd’or.
Da war mit einem Schlage alle Schwachheit verschwunden. Er fühlte sich so wohl und kräftig, daß er es mit einem Riesen hätte aufnehmen mögen. Er dachte gar nicht daran, die Rückkehr des edlen Gebers abzuwarten, sondern er eilte, sofort die Einkäufe zu machen, welche nöthig waren, um zunächst die dringendsten Bedürfnisse der Seinigen zu befriedigen.
Als er nach Hause kam, fielen die Kleinen über ihn her, der Vater und Marie weinten vor Freude. Als der Hunger gestillt war, mußte er erzählen. Dann fragte Marie:
»Also die Kette ist gerettet?«
»Ja, Gott sei Dank!«
»Und wer war der fremde Herr?«
»Es war – – ah, das weiß ich nicht! Ich habe ihn nicht gefragt, ja ich glaube, daß ich mich sogar nicht einmal bei ihm bedankt habe. Ich war ganz von Sinnen vor Hunger und Beschämung.« – –
Jener Herr ließ die Bücher, welche er eingekauft hatte, in seinen Schlitten legen und stieg selbst auch ein.
»Oberst von Hellenbach,« befahl er dann.
Der Schlitten sauste davon und hielt vor einem Hause, dessen erste Etage festlich erleuchtet war. Die Straße, zu welcher es gehörte, lag vor der Wasserstraße, mit welcher sie parallel ging, so daß die Gärten Beider an einander stießen.
Mit diesem Befehle stieg der Fremde aus und trat ein. Droben kamen ihm mehrere Diener entgegen, welche ihm Hut und Pelz abnahmen. Als sie den Pelz erblickten, machten sie Gesichter, in denen sich das Erstaunen mit der tiefsten Ehrerbietung paarte. Es war ein Zobelpelz, wie ihn kaum der russische Czar kostbarer tragen kann.
»Wen befehlen der Herr, zu melden?« fragte der eine der Domestiken.
»Fürst von Befour.«
Im nächsten Augenblick erschallte der Name in den Saal, und die Augen aller dort Anwesenden flogen nach der Thür.
Also, er kam doch, der räthselhafte Mann! Da brauchte man nicht bang zu sein, daß das Räthsel gelöst sein werde.
Der Herr des Hauses eilte ihm entgegen, um ihn zu seiner Dame zu bringen. Natürlich fand sich auch sofort die Tochter der Beiden ein. Es war das Diejenige, von welcher Helfenstein mit seiner Frau gesprochen hatte.
Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.
Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen umsomehr von dem Anderen ab.
Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich Alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Munde zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch Alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrumente nöthigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Munde folgendes Lied:
»Es glänzt der helle Thränenthau
In Deinem Aug’, dem todesmatten;
Du sehnst Dich nach des Himmels Blau
Hinaus aus düstrem Waldesschatten.
Es rauscht der Bach am Felsenspalt
Sein melancholisch Lied:
Hier ist’s so eng, hier ist’s so kalt,
Wo nie der Nebel flieht!
Du meine süße Himmelslust
O traure nicht, und laß das Weinen!
Dir soll ja stets an treuer Brust
Die Sonne meiner Liebe scheinen.
Drum schließe Deine Augen zu,
Worin die Thränen glühn;
Ja, meine wilde Rose, Du
Sollst nicht im Wald verblühn!«
War der Text, den er bei ihrer ausgezeichneten Aussprache Wort für Wort genau verstehen konnte, schon an sich in Beziehung sowohl auf Gedankeninhalt als auch auf den Ausdruck ein dichterisches Meisterwerk, so fühlte sich der Fürst am Schlusse des Vortrages von der innigen, seelenvollen und doch resoluten Composition tief ergriffen. Fanny von Hellenbach hatte eine tiefe, kräftige Altstimme, welcher aber doch die Wiedergabe contemplativer Gefühle geläufig war. Ihre Stimme war der Vox humana der Orgel ähnlich, wenn sie vollständig rein und ohne jenes Streichen getroffen ist, welches die Viola di Gamba in höherem Maße zu besitzen pflegt.
Sie wies den stürmischen Applaus durch eine Verbeugung von sich ab und zog sich dann nach einem Weilchen in ein Nebenzimmer zurück.
Diese Fanny war ein Mädchen von seltenen und ebenso glänzenden Eigenschaften. Der Fürst fühlte das Verlangen, sie kennen zu lernen, erhob sich von seinem einsamen Platze und folgte ihr, was bei der Versammlung nicht wenig Erregung hervorrief.
Sie stand an einem Fenster und blickte durch die von der Wärme des Zimmers abgethauten Scheiben in die schneehelle Nacht hinaus. Dieses Fenster ging nach hinten in den Hof. Hinter dem Letzteren schien ein Garten zu liegen, und dann stiegen hohe Häuser, welche zur Wasserstraße gehörten, dunkel empor, die weitere Aussicht verschließend.
Als sie Schritte hinter sich vernahm und, sich herumdrehend, den Fürsten erblickte, erröthete sie, ein Wenig vor Freude und auch ein Wenig vor Bangigkeit. Daß er, der sich von den Anderen zurückgezogen hatte, in so auffälliger Weise sie aufsuchte, war ohne Zweifel eine Auszeichnung für sie. Aber würde sie mit ihren gesellschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen auch vor ihm bestehen können?
So fragte sie sich.
Der Fürst war ein wunderbar schöner Mann. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre zählen. Man wußte, daß er aus Ostindien kam, doch war sein Teint keineswegs gebräunt, sondern im Gegentheil von einer Weiße und Reinheit, als ob er stets im Norden Europa’s gelebt habe. Sein Haar war tiefdunkel und voll, sein Bart ebenso. Sein Gesicht zeigte zwei Narben. Die eine ging quer über die Stirn und Nasenwurzel hinweg, und die andere kam vom rechten Ohre herab, ging über die Wange und verlief sich in dem stattlichen Schnurrbarte, den er sicherlich mit keinem anderen vertauscht hätte. Eigenthümlicher Weise wurde das Gesicht durch diese beiden Narben keineswegs verunziert; sie gaben demselben im Gegentheile einen männlich unternehmenden Character und jenes eigenthümliche, undefinirbare Etwas, welches den Frauenherzen so gefährlich ist. Er trug eine einfache, aber feine Gesellschaftstoilette, ganz ohne alles Ueberladene; aber der einzige Ring, den man an seinen Händen bemerkte, zeigte einen Solitair, welcher sicherlich den Werth von einer halben Million hatte.
Wie würde er beginnen, und wie würde sie zu antworten haben? fragte sie sich. Aber ohne alle gesellschaftlichen Floskeln sagte er einfach:
»Ich bin Freund der Dicht-und Tonkunst, mein Fräulein. Noch nie hörte ich das von Ihnen vorgetragene Lied. Darf ich mich erkundigen, von wem es ist?«
Da befand sie sich ja mit einem Male in ihrem liebsten und bekanntesten Fahrwasser.
»Das Lied, das heißt der Text ist von Hadschi Omanah, Durchlaucht,« antwortete sie.
»Hadschi Omanah? Das ist ein mohammedanischer Geschichtsschreiber, welcher im sechzehnten Jahrhunderte lebte. Einen Zweiten dieses Namens kenne ich nicht, und doch kann es unmöglich dieser sein.«
»Vielleicht ein Pseudonym?«
»Das ist möglich, sogar wahrscheinlich. Und der Componist, meine Gnädige?«
Sie erröthete ein Wenig, indem sie antwortete:
»Der Componist spricht mit Ihnen, Durchlaucht.«
»Wie? Ist’s möglich! Sie haben dieses Lied in Musik gesetzt?«
»Ich habe es gewagt!«
»Ja, es ist allerdings ein Wagniß! Ein Lied, oder zum Beispiel ein Salonstück für das Clavier zu componiren, das ist ein sehr, sehr großer Unterschied. Sie haben Ihre Aufgabe vortrefflich gelöst, mein Fräulein. Und das konnten Sie blos, weil Sie ein vortreffliches Herz besitzen. Ein herz-und seelenloser Mensch wird nie ein Lied componiren können.«
Das war gar nicht die auffällige, aufdringliche Weise, in welcher Andere ihr Beifall zu spenden pflegten. Er sprach so einfach, und doch hörte man es, daß er ganz anders hätte sprechen können. Er sprach wie ein Bruder zur Schwester, ohne allen rednerischen Schmuck, ohne alle Verzierung. Seine Stimme hatte einen eindringlich herzlichen Klang. Seine Sprache hatte zwar etwas Fremdartiges, aber er war des Deutschen ganz und gar mächtig. Sie fühlte sich ganz herzlich zu diesem Manne hingezogen.
»Wie schade, daß ich nun die Componistin und Sängerin, nicht aber den Dichter kenne,« fügte er hinzu.
»Ist Ihnen sein Buch nie in die Hand gekommen, Durchlaucht?«
»Niemals.«
»Hier liegt es sogar.«
Sie trat an ein Tischchen, auf welchem mehrere Albums lagen, und nahm von dort den bekannten Saffianband mit der Aufschrift ›Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder‹. Sie reichte ihm das Buch dar. Während der darinnen leicht blätterte, bemerkte sie:
»Eigenthümlich, daß Ihr Name darin vorkommt!«
»Mein Name? Ah, das wäre allerdings eigenthümlich!«
»Ja. Als wir zum ersten Male hörten, daß ein Fürst von Befour hier angekommen sei, schlugen wir alle Hof-und Adelskalender nach – vergebens. Sie wissen, Durchlaucht, Damen sind stets wißbegierig. Um so mehr verstimmt wurden wir, als auch in keinem Lexikon dieses Wort zu finden ist.«
»Ein Wenig, ja,« antwortete sie unter einem reizenden Lächeln. »Da las ich das unvergleichlich schöne, ja, das großartige Bild der tropischen Nacht und – da fand ich das Wort Befour.«
»Wirklich? Das ist für mich von hohem Interesse. Sollte der Dichter wirklich ein Orientale sein!«
»Nein. Ein Orientale dichtet nicht deutsch.«
»Richtig! Und hätten wir eine Uebertragung vor uns, so würde der Name des Uebersetzers genannt worden sein. Wo steht das betreffende Gedicht?«
»Darf ich es Ihnen aufschlagen und vorlesen, Durchlaucht? Es ist mir nämlich das beste und liebste der ganzen Sammlung.«
»Bitte, thun Sie es!«
Sie suchte die Seite, trat einige Schritte zurück und declamirte lesend, das Buch in der Linken:
»Wenn um die Berge von Befour
Des Abends erste Schatten wallen,
Dann tritt die Mutter der Natur
Hervor aus unterird’schen Hallen