Mein ganz erschrocknes Herz erbebt

Daß mir die Zung’ am Gaumen klebt!«

 

Der Chor schwieg. Der Pfarrer begann mit dem evangelischen Gruße und verlas dann Namen, Stand, Geburts-und Sterbetag und Alter des Todten. Die Hörer glaubten, daß jetzt die Rede beginnen werde. Es geschah noch nicht. Robert und Marie wurden bis hart an den Sarg geführt. Der Erstere ließ es ganz theilnahmslos geschehen, die Letztere aber brach in die Knie. Doch hörte man sie weder sprechen noch weinen oder schluchzen.

Da gab der Geistliche abermals das Zeichen und der Chor sang:

 

»O Ewigkeit, Du machst mir bang!

O, ewig, ewig ist so lang,

Da gilt fürwahr kein Scherzen!

Drum, wenn ich diese lange Nacht

Zusammt der großen Pein betracht,

Erschreck ich recht von Herzen.

Nichts ist zu finden weit und breit

So schrecklich wie die Ewigkeit!«

 

Jetzt nun begann der Pfarrer. Er war ein tüchtiger Redner, und er sprach mit Begeisterung für den Zweck, den er verfolgte. Sein Text war wohl sehr kräftig gewählt, und seine Rede zeigte ganz dieselbe Eigenschaft, aber das wurde hier nicht abgewogen.

Seine Rede wirkte geradezu erschütternd. Aus hundert Augen flossen Thränen, und auf allen Seiten hörte man nicht ganz verhaltenes Schluchzen. Nur die Beiden, auf welche es ganz besonders abgesehen war, weinten nicht: Robert und Marie.

Die Rede wurde beendet. Noch lag Marie auf den Knieen, aber mit trockenen Augen, und ihr Bruder stand dabei, unberührt von Dem, was bei und um ihn geschah.

Der Pfarrer blickte den Gerichtsdirector fragend an. Dieser nickte leise und sofort begann der Chor von Neuem:

»Solang ein Gott im Himmel lebt

Und über allen Wolken schwebt,

Wird solche Marter währen:

Es wird sie plagen Kält und Hitz,

Angst, Hunger, Schrecken, Feu’r und Blitz,

Und sie doch nicht verzehren.

Nur dann kann enden diese Pein,

Wenn Gott nicht mehr wird ewig sein!«

 

Jetzt wurde der Segen über die Leiche gesprochen, langsam und feierlich, daß er zu aller Herzen ging. Dann folgte noch der Vers:

»Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,

Ermuntre Dich, verlornes Schaf,

Und bessre bald Dein Leben!

Wach auf! Es ist doch hohe Zeit.

Es kommt heran die Ewigkeit,

Dir Deinen Lohn zu geben!

Vielleicht ist heut Dein letzter Tag!

Kein Mensch weiß, wann er sterben mag!«

 

Während dieses Gesanges sollte der Sarg geschlossen und in die Grube gesenkt werden. Man ergriff den Deckel. Da aber ertönte ein lauter, schriller Schrei, so laut und schrill, daß er selbst den Gesang durchdrang. Marie hatte ihn ausgestoßen. Sie raffte sich mit aller Gewalt, deren sie noch fähig war, empor.

»Vater! Mein Vater – Vater – Va –«

So ertönte es in markerschütterndem Tone. Sie konnte das Wort nicht zum vierten Male aussprechen, sie brach zusammen. Man schaffte sie augenblicklich nach der Droschke.

Nun rasselte der Sarg zur Tiefe. Kein Mensch warf ihm eine Hand voll Erde nach. Die Feier war beendet, aber die Menge entfernte sich nicht, sie wartete. Man wollte Robert sehen.

Man hatte ihm vorhin, als man ihn aus der Zelle holte, seine Ketten abgenommen, er war also nicht gefesselt. Er wurde jetzt in die Mitte der Beamten genommen und fortgeschafft.

Er ließ es ruhig geschehen. Er hielt den Blick starr vor sich hin gerichtet. Jedermann erkannte, daß er vollständig geistesabwesend sei. Unzählige Augen waren auf ihn gerichtet. Er sah sie nicht, er bemerkte sie nicht.

Wirklich nicht?

Bereits war er bis nahe an das Thor gekommen, da blieb er plötzlich stehen. Sein starrer Blick hatte zwei schwarze, dunkle Augensterne getroffen. Was war das? Wurde seine Seele lebendig? Sein kaltes Auge erhielt Bewegung und Glanz. Er stutzte noch einen Augenblick, dann aber geschah Etwas, was seine Wächter nicht zu verhindern vermochten, da sie nicht darauf vorbereitet gewesen waren.

Aber ehe dies erzählt werden kann, ist es nöthig, vorher um einen Tag zurückzugehen.

Die Kunde von dem Einbruch bei Oberst von Hellenbach hatte die Bevölkerung der Hauptstadt in große Erregung versetzt. Der Schreck hatte sich gesteigert, als man erfuhr, daß der berüchtigte und gefürchtete Bormann die That ausgeführt habe.

Am anderen Tage hatte folgende Notiz in den Blättern gestanden:

 

»Es ist nun doch dem Bemühen der Behörde gelungen, die Persönlichkeit des mit dem Riesen Bormann ergriffenen Einbrechers festzustellen. Der noch sehr junge Mensch heißt Robert Bertram, hat sich scheinbar mit Abschreibereien beschäftigt und ist der Sohn eines schwindsüchtigen Schneiders in der Wasserstraße Nr. 11.

Daß dieser angebliche Schreiber ein äußerst gefährlicher und verwegener Mensch ist, läßt sich nicht nur daraus schließen, daß er der Verbündete des berüchtigsten Einbrechers ist, sondern auch daraus, daß er mit einem lebensgefährlichen Werkzeuge bewaffnet war.

Gegen solche aus der menschlichen Gesellschaft getretene Subjecte ist natürlich die allerstrengste Schärfe des Gesetzes in Anwendung zu bringen.

Uebrigens diene zur Berichtigung, daß der Einbruch nicht, wie erst verlautete, in der zweiten Stunde, sondern ganz kurz nach Mitternacht stattfand. Richtig aber ist es, daß man die Entdeckung des Verbrechens und die Ergreifung der Uebelthäter der Intervention des ›Fürsten des Elendes‹ verdankt.«

 

Also war festgestellt worden, wer der zweite Spitzbube war. Man las diese Notiz und ging dann zur gewöhnlichen Tagesordnung über. Tiefer berührte sie nur die Bewohner der Wasserstraße und besonders die des Hauses Nummer Elf.

Zwei Orte aber waren es, an denen diese Veröffentlichung einen außergewöhnlichen Eindruck hervorbrachte. Der erste dieser Orte war das Haus des Trödlers Salomon Levi.

Seine Tochter Judith saß oben in ihrem Zimmer und las gerade das Gedicht, welches Robert so absprechend beurtheilt hatte; da kam es eilig die Treppe heraufgepoltert, die Thür wurde mit Vehemenz aufgerissen, und ihr Vater trat ein, ein Zeitungsblatt in der Hand. Hinter ihm stand die Mutter, die Hände ringend.

»Was ist’s?« fragte Judith erschrocken. »Was ist geschehen?«

»Was geschehen ist?« fragte Salomon Levi. »Was soll sein geschehen! Ein großmächtiges Unglück ist geschehen, ein Mallör, wie es sein kann gar nicht größer und schlimmer auf der Welt!«

»So sage es doch!«

»Ein Mallör, ein großes, gewaltiges Mallör, meine Tochter Judithleben!« jammerte Rebecca.

»Schweig, Weib!« wurde sie von ihrem Manne angeherrscht. »Wenn Israel sich befindet in Traurigkeit, so haben erst zu klagen die Männer! Dann, wenn diese sind fertig geworden, können auch beginnen zu jammern die Weiber!«

»Aber so redet doch!« bat Judith, der es ganz angst wurde.

»Ja, reden werde ich, reden von dem großen Verluste, der da hat betroffen meine Familie und meine Tochter, mein Kind, meine Judith, welche hat ein zu weiches Herze und darum giebt hinaus das Geld, ohne zu fragen ob es auch wieder kommt herein!«

»Geld? Ah, handelt es sich nur um Geld? Ich hätte viel, viel Schlimmeres gedacht!«

Salomon Levi schlug die Hände sammt dem Zeitungsblatte über dem Kopfe zusammen und rief:

»Geld? Nur Geld? Ist Geld wirklich nur Geld? Nein! Geld ist Capital, ist Reichthum, ist Größe, ist Glück, ist Seligkeit. Man kann nur dann sein ein Mensch, wenn man hat Geld, viel Geld. Man darf es nicht hinausgeben mit Leichtsinn. Du aber hast dies gethan und wirst es verlieren, das ganze, ganze Geld!«

»Verlieren? Ich? Wieso? Ich habe keinem Menschen Geld gegeben, welches ich verlieren könnte!«

»Nicht? Hast Du nicht gegeben eine große Summe für eine Halskette von Gold? Hast Du das nicht gethan?«

»Du meinst an Bertram, den Dichter der Wüstenbilder?«

»Ja.«

»O, das kann und werde ich nicht verlieren.«

»Täusche Dich nicht, Judith! Dieses Geld ist verloren!«

»Auf keinen Fall. Ich habe ja die Kette und auch noch die Schuldverschreibung.«

»Wie nun, wenn diese Kette ist geraubt oder gestohlen?«

Sie blickte ihn überrascht an.

»Wo denkst Du hin! Ein Dichter kann nicht stehlen.«

»Nicht? Kann er nicht? Wirklich nicht? Aber wenn er nun nicht nur stiehlt, sondern sogar einbricht?«

»Vaterleben, Du bist krank! Robert Bertram soll eingebrochen sein, soll geraubt haben?«

»Ich werde es Dir beweisen! Du sagst selbst, daß sein Name lautet Robert und Bertram?«

»Ja.«

»Er hat gesagt, daß er wohnt in der Wasserstraße hier?«

»Ja, Nummer Elf.«

»Und er hat auch gesagt, daß er ist Schreiber, um abzuschreiben anderen Leuten für Geld?«

»Das hat er gesagt. Ist das eine Schande für ihn?«

»Nein. Aber das ist eine Schande für ihn, wenn hier auf dem Tagesblatt von der Zeitung ist zu lesen von ihm: ›Es ist nun dem Bemühen der Behörde gelungen, die Persönlichkeit des mit dem Riesen Bormann ergriffenen Einbrechers festzustellen.‹ Ist das keine Schande?«

»Für ihn doch nicht!«

»Nicht? Da steht weiter: ›Der noch sehr junge Mensch heißt Robert Bertram, hat sich scheinbar mit Abschreibereien beschäftigt und ist der Sohn eines schwindsüchtigen Schneiders in der Wasserstraße Nummer Elf.‹ Ist das nicht eine grausige Schande?«

Sie war leichenblaß geworden.

»Herr Sabaoth!« rief sie. »Das steht dort?«

»Ja, hier!«

»So, grad so steht es dort?«

»Grad so!«

»Das ist unmöglich! Er kann es nicht sein! Man meint einen Anderen! Ich glaube es nicht.«

»So siehe es Dir an mit Deinen eigenen Augen!«

Er hielt ihr das Blatt entgegen, und sie ergriff es. Es war ihr so eigenthümlich zu Muthe, ganz so, als ob man sie selbst beschuldigt hätte. Sie las, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen.

»Nun, steht es dort?« fragte Salomon Levi.

»Ja, es steht dort!« bestätigte seine Frau. »Ich habe es auch schon gelesen, mit meinen Augen, mit meinen eigenen, und dazu habe ich aufgesetzt die Brille, welche wir heute haben abgekauft dem Studenten für einen Gulden vierzig Kreuzer, weil das Gestelle ist von gelbem Golde.«

Judith war ein willensstarkes, kräftiges Mädchen. Der Schreck hatte sie überrascht. Jetzt beherrschte sie sich. Sie zwang sich zur Ruhe. Sie hielt das Blatt nun ohne das leiseste Zittern in der Hand und las, las von Anfang bis zu Ende, vom ersten Worte an bis zum letzten.

»Nun, habe ich richtig gesprochen?« fragte der Vater.

Da legte sie das Blatt auf den Tisch, griff nach einem Tuche, welches zur Hand lag und antwortete ruhig: »Ich werde Euch beweisen, daß er unschuldig ist!«

Sie warf das Tuch über; ihr Vater aber ergriff sie beim Arme und sagte, sie erschrocken betrachtend:

»Was willst Du thun, meine Tochter? Ich glaube gar, Du willst verlassen dieses Haus, um zu gehen auf die Straße!«

»Ja, das will ich!« antwortete sie kalt.

»Und wohin willst Du gehen?«

»Nach der Nummer Elf.«

»Dorthin? Zu wem, Judithleben?«

»Zu ihm, zu Robert!«

»Zu ihm? Zu Robert? Zu dem Dichter? Glaubst Du denn wirklich, daß Du ihn finden wirst in dem Hause auf unserer Straße, über dessen Thür steht geschrieben die Nummer Elf?«

»Warum nicht?«

»Hast Du nicht gehört, daß er sitzt gefangen im Kerker, wo da sind die Spitzbuben, Einbrecher und ertappte Pfandleiher?«

»So gehe ich dorthin!«

»Gott Abrahams! Bist Du denn geschlagen mit Blindheit auf den Augen und auch im Verstande? Denkst Du denn, daß man Dich wird einlassen in den Kerker, um zu sprechen mit dem Dichter?«

»Ich werde es erzwingen!«

Sie that einen Schritt vorwärts. Sie schien fest entschlossen zu sein, ihren Entschluß auszuführen. Ihre Mutter war ganz erschrocken darüber. Sie schlug die Hände zusammen und rief: »Wo denkst Du hin, Tochterleben; werden wir zugeben, daß unser Kind geht in das Gefängniß, wo da sind lauter Verbrecher und Leute, denen man wohl abkauft Uhren, Ringe und Lampen, denen man aber nicht macht einen Besuch an einem solchen Orte!«

»Laßt mich! Ich gehe doch!«

Da nahm sie ihr Vater bei den Schultern, setzte sie mit Gewalt auf den Stuhl nieder und fragte:

»Sage vorher Deinem Vater, was Du willst im Gefängnisse?«

»Ihn retten!«

»Du bist ein eigensinniges, ein streitbares Geschöpf! Was Du Dir vorgenommen hast, das thust Du, denn wir haben Dir gelassen zuviel Willen in den Jahren Deiner Kindheit. Aber Du bist auch ein vernünftiges Mädchen und wirst nicht bringen ein Opfer, mit dem nicht verbunden ist ein Profit. Laß uns sprechen offen über diese Sache! Wie willst Du ihn retten?«

»Indem ich beweise seine Unschuld!«

»Wie willst Du beweisen seine Unschuld?«

»Sie steht bereits da in der Zeitung!«

»Hier? Auf diesem Tageblatt vom Journale der Zeitung?«

»Ja. Hast Du nicht gelesen, daß der Einbruch ist vorgenommen worden kurz nach der Zeit der Mitternacht?«

»Das habe ich gelesen.«

»Nun, als er von mir ging, hatte es bereits Mitternacht geschlagen. Kann er da verübt haben den Einbruch?«

»Warum nicht? Er kann gemacht haben sehr schnell und rasch.«

»So schnell geht das nicht. Zu einem solchen Einbruche sind sehr viele Vorbereitungen zu treffen.«

»Die hat der Riese Bormann getroffen oder –«

Er hielt inne. Sein Gesicht drückte Bestürzung aus.

»Was ist Dir; was hast Du, Salomonleben?« fragte die Alte.

»Es fällt mir da Einer ein, Rebecca,« antwortete er, »an den wir hierbei gar nicht gedacht haben.«

»Wer?«

»Der Hauptmann.«

»Der Hauptmann? Gott unserer Väter! Es ist ja wahr!«

»Ja,« nickte der Jude. »Der Hauptmann ist es ja, welcher befohlen und vorbereitet hat diesen Einbruch, um zu machen dem Riesen ein rothes Maal und ihn zu retten.«

»Was geht das mich an!« meinte Judith.

»Dich? Sehr viel, sehr viel! Haben wir nicht genommen eine große Summe Geldes, um ihm beizustehen bei diesem Plane?«

»Aber Bertram darf dabei nicht unglücklich werden!«

»Wer sagt denn, daß er wird werden unglücklich? Willst Du nicht sein gut und verständig, mein Tochterleben? Dein Vater ist klug. Er wird Dir sagen, wie Du Dir zu überlegen hast diese Sache. Entweder ist der Bertram mit beim Hauptmanne, oder er ist unschuldig –«

»Er ist unschuldig!« behauptete Judith.

»Sei ruhig. Laß uns überlegen! Also, entweder er ist mit beim Hauptmanne; dann hat der Hauptmann seine Absicht mit ihm, und wir dürfen nicht stören. In diesem Falle aber ist der Bertram ein Dieb, und er soll nicht werden mein Schwiegersohn!«

»Aber ich sage ja, daß er unschuldig ist!«

»Kannst Du darauf schwören einen Eid?«

»Ja, zehn!« antwortete sie voll zuversichtlicher Ueberzeugung.

»Nicht einen einzigen! Du hast ihn gesehen erst ein einziges Mal! Du mußt ihn erst länger kennen lernen. Aber, selbst wenn er ist unschuldig, so hat der Hauptmann mit ihm eine Absicht, und wir müssen es gehen lassen, wie es ist!«

»Ihn verderben lassen! Nimmermehr!«

»Tochter, Tochter!« warnte der Alte. »Habe ich gesagt, daß wir ihn wollen verderben lassen? Nein. Er ist ein großer Dichter, und wenn er ist unschuldig, so soll er nicht rennen und laufen in das Unglück. Aber auch wir wollen uns nicht stürzen in Angst und Sorgen. Wenn er ist unschuldig, so werden wir warten eine kurze Zeit. Wird er dann noch nicht gelassen aus dem Kerker heraus, so werden wir hingehen und beweisen, daß er ist gewesen bei uns an diesem Abende. Vor allen Dingen müssen wir abwarten einen Besuch des Hauptmannes, um zu erfahren, ob er uns erlaubt zu retten den Dichter der Wüstenbilder.«

»Und wenn er es uns nicht erlaubt, sollen wir da den Unschuldigen verurtheilen lassen?« fragte Judith.

»Nein. Dann werde ich zu Dir sagen: Judithleben, gehe hin und sage, daß er unschuldig ist.«

»Und bis dahin soll er also schmachten?«

»Es wird sein nur einige Tage. Mancher wird eingesteckt und bald wieder freigelassen, weil er ist ohne Schuld. Warum willst Du Dich zanken mit dem Gericht, wenn das Gericht ihn wird freigeben ganz von selbst? Warum sollen erfahren die Leute, daß Du ihn hast lieb und daß er gewesen ist bei Dir in Deinem Zimmer, um zu lesen Gedichte und zu essen Allerlei mit Knoblauch?«

»Ich brauche mich nicht zu schämen. Er ist ein großer Dichter und ein Edelmann, sobald er seinen Vater findet.«

»Ich will es hoffen! Dann wirst Du die Frau eines großen Dichters, der da heißt Robert Bertram, anstatt Wolf von Geheimrath Göthe oder Friedrich von Professor Schiller, und ich und Rebecchen werden sein die Schwiegereltern eines Edelmannes, welcher sich kann legitimiren durch eine goldene Kette um den Hals, als er noch war ein Kind. Dann werden sie uns hauen in Stein, den Buchstaben zu zwanzig Kreuzer. Aber wir müssen klug sein und jetzt noch keinem Menschen ein Wort sagen von der Kette um den Hals, sonst kommen andere Mädchen, um zu werden die Frau eines Dichters, und andere Väter und Mütter, um zu sein die Schwiegerleute eines Mannes vom verlorenen und wiedergefundenen Adel. Also, sei still, Judithleben! Laß und noch warten einige Tage, bis wir können sehen klar in dieser Angelegenheit!« –Der zweite Ort, an welchem die erwähnte Zeitungsnotiz mehr als anderswo beachtet wurde, lag in der Palaststraße.

Dort, in dem großen Palais des Fürsten von Befour, in einem fast kaiserlich ausgestatteten Zimmer, saß – Gustav Brandt der Försterssohn.

Ja, Gustav Brandt war es, der da am Fenster saß, vor sich ein Tischchen mit fein gearbeiteter Elfenbeinplatte, auf welchem ein ganzer Stoß Zeitungen lag. Er war sofort wieder zu erkennen. Das vollständig glatt rasirte Gesicht war ganz das alte. Kaum sah man es ihm an, daß zwanzig Jahre vergangen waren, seit dem Tage, an welchem er als verkleideter Flüchtling seinem ›Sonnen strahle‹ im Walde von Helfenstein die Hand geküßt hatte. Nur reifer waren die Züge geworden, reifer, ausgesprochener und vornehmer.

Es lag Etwas in diesem schön ausgearbeiteten, durchgeistigten Gesichte, was dem Profanen die Annäherung durchaus und absolut verweigerte, obgleich man nicht sagen konnte, was es war.

Auf dem kostbaren Divan, gar nicht weit entfernt, saß jenes schöne, ehrwürdige Ehepaar, welches, in dem kleinen Häuschen der parallelen Siegesstraße wohnend, dem Schlosser den Ort gesagt hatte, wo der Fürst des Elendes unter dem Namen eines Kunstmalers Brenner zu finden sei. Diese beiden Leute waren Gustavs Eltern, der alte Förster Brandt und seine Frau.

Diese drei schienen in einem animirten Gespräch begriffen zu sein, denn soeben sagte der alte Förster: »Ja, damals, als Du von uns schiedest, dachten wir wohl, daß Du einst zurückkehren würdest, nicht aber als ein solcher Fürst und Krösus.«

»Pah!« antwortete Gustav. »Ich wollte als ein Gerechtfertigter wiederkehren, das ist besser als aller Reichthum!«

»Klage nicht, mein Lieber! Du bist ja bereits unserem Wilde auf der Fährte!«

»Ja, wir wollen hoffen, daß es zum Schusse kommt.«

»Du denkst also wirklich, daß Baron Franz der Mörder ist?«

»Ich denke es nicht nur, sondern ich bin überzeugt.«

»Und daß er auch der Hauptmann ist?«

»Jedenfalls.«

»So ist es auch möglich, daß er und kein Anderer unter dem Waldkönige zu verstehen ist.«

»Fast möchte ich auch das behaupten; jedenfalls aber werde ich es nächstens untersuchen.«

»Nimm Dich nur in Acht! Wenn er Dich erwischt und erkennt, so bist Du ohne Gnade und Barmherzigkeit verloren.«

»Pah! Er, und mich erkennen! Hat er mich bisher erkannt?«

»Allerdings noch nicht.«

»Hat Baronesse Alma mich erkannt?«

»Auch nicht, was mich eigentlich wundert.«

»Euch wundert? Habt Ihr mich erkannt?«

»Ja, das ist wahr. Höre, Alte, ist das nicht wirklich ein blaues Mirakel, daß unser Sohn sechs Wochen, sechs volle Wochen bei uns hat wohnen können, ohne daß wir eine Ahnung hatten, wer er war?«

Die Försterin neigte lächelnd den Kopf.

»Wunderbar ist’s freilich,« meinte sie. »Diese Farben, diese Haare und Bärte, das Alles ist ja geradezu meisterhaft! Freilich hat mir während dieser sechs Wochen die Stimme Gustav’s oft und viel zu schaffen gemacht, die Stimme und die Augen.«

»Auch da läßt sich nachhelfen,« lachte Gustav. »Was nun die Bärte und Perrücken betrifft, so ist es kein Wunder, daß sie so täuschend wirken. Sie sind ja nicht nachgemacht, sondern wirklichen Menschen vom Kopfe und vom Gesicht gezogen und dann präparirt worden. Da läßt sich das Alles leicht erklären.«

»Prr! Scalpirt!« schüttelte sich die Försterin.

»O nein! Die Menschen waren todt. Die Bärte und Perrücken sind hinterindische Kriegstrophäen. Mir nun bringen sie jetzt einen wirklich ungeheuren Nutzen. Aber hört, was ich da lese!«

Er nahm das Blatt zur Hand und las den erwähnten Artikel vor, auf den sein Auge gefallen war. Die Eltern horchten aufmerksam zu. Dann meinte der Förster: »Ein Schreiber? Robert Bertram? Kenne ihn nicht. Aber ein schlechter Hallunke ist er auf jeden Fall!«

Gustav hatte das Blatt fortgelegt und blickte höchst nachdenklich vor sich hin. Erst nach einer Weile sagte er: »Diese Meinung möchte ich denn doch nicht sofort unterschreiben!«

»Warum nicht?«

»Wo der ›Hauptmann‹ und der Bormann mit einander arbeiten, da hat der Teufel seine Hand im Spiel; da kann auch ein sehr ehrlicher Mensch unschuldig unglücklich werden. Bertram? Hm! Mir ist, als ob ich den Namen bereits einmal gehört hätte!«

»Namen hört man oft und viele!«

»Ich meine, unter besonderen Umständen. Wasserstraße! Robert Bertram aus der Wasserstraße! Hm!«

Er sann und sann. Endlich schien er eine Spur entdeckt zu haben.

»Ach,« sagte er, »Vater, erinnerst Du Dich noch jenes jungen Schriftstellers, von dem ich Dir erzählte? Er wurde von seinem Verlagsbuchhändler so grausam abgewiesen.«

»Ja. Du gabst ihm eine Kleinigkeit, und er bedankte sich nicht.«

»O, das unterließ er aus purem, reinem Glücke! Das nehme ich ihm nicht übel.«

»Das sieht Dir ganz ähnlich! Zuletzt nimmst Du es nicht einmal dem Baron übel, daß er Dich zum Doppelmörder gestempelt hat!«

»Das ist etwas Anderes! Aber jener junge Mann nannte sich Bertram, wenn ich mich nicht irre.«

»War jedoch nicht Schreiber!«

»Das ist richtig, sondern Schriftsteller. Ich werde mich aber doch erkundigen. Der Hauptmann soll mir die Unschuldigen in Ruhe lassen. Die Wasserstraße liegt hinter derjenigen, in welcher Hellenbachs wohnen. Wie leicht – alle Wetter! Da kommt mir ein Gedanke!«

»Welcher?«

»Wie nun, wenn dieser arme Bertram herbeigeeilt wäre, um den Einbruch zu vereiteln?«

»Auch möglich!«

»Und wäre dabei als Spitzbube angesehen und ergriffen worden?«

»Höchst fatal!«

»Das ist mehr als fatal! Ich werde diesem Hauptmanne einmal hinter den Sattel steigen! Ich will ihn nicht eher ergreifen, als bis ich Alles beisammen habe; aber er darf es mir auch nicht gar zu bunt treiben, sonst reißt mir die Geduld!«

Er griff nach einer silbernen Glocke, welche auf dem Tischchen stand, und schellte. Sofort trat ein gallonirter Diener ein. Dieser war ein hübscher, junger Mensch mit sehr intelligenten und ehrlichen Gesichtszügen.

»Anton!« sagte der Fürst.

»Durchlaucht!«

»Erinnerst Du Dich meiner vorgestrigen Weisung?«

»Sehr wohl!«

»Ist sie ausgeführt worden?«

»Nach Kräften.«

Bei diesen Worten spielte ein zufriedenes Lächeln um die Lippen des Dieners.

»So? Wirklich?«

Der Diener verneigte sich.

»War die Annäherung so leicht?«

»Was man gern thut, fällt nie schwer.«

»Und der Sturm auf das Mädchen?«

»Es ging nicht lebensgefährlich her. Die Baronin von Helfenstein ist eine gute Lehrerin.«

»Wo trafst Du die Zofe?«

»Ich lauerte in der gegenüberliegenden Restauration, bis sie ausging; dann begann der Angriff.«

»Mit Erfolg?«

»Sofort! Die Livrée Euer Durchlaucht ist ja die eleganteste, die es nur geben kann!«

»Ah, damit willst Du sagen, daß Du ein hübscher Kerl bist, und die Livrée, mit Chic zu tragen weißt! Sahst Du die Zofe dann später wieder?«

»Am Abend.«

»Schon! Das geht schnell! Und dann?«

»Gestern Vormittags und auch des Abends.«

»Gratulire! Was aber nun?«

»Heute Abend ist Hausball.«

»Wo?«

»Beim Grafen Rudolstein.«

»Was hast Du mit diesem Ball zu schaffen?«

Anton machte ein sehr vielsagendes Gesicht und antwortete mit einer ernsten Miene:

»Ich bin geladen!«

»Zum Ball?« fragte Brandt erstaunt.

»Ja.«

»Beim Grafen Rudolstein?«

»Ja, und die Zofe auch mit.«

»Sprich nicht in Räthseln!«

»Die einfache Lösung ist, daß der Graf und die Gräfin auf einige Wochen verreist, also abwesend sind.«

»Ah, so! Nun giebt die zurückgebliebene Dienerschaft einen Ball aus dem Keller und der Küche der Herrschaft?«

»So ziemlich denke ich es mir.«

»Ihr seid Schlingels! Ich hoffe, daß so Etwas nicht etwa auch einmal bei mir geschieht! Also die Zofe kommt?«

»Ganz gewiß! Ich soll sie sogar in der Nähe erwarten.«

»Hm! Wenn Du nun zu Hause bleiben mußt?«

»Ich hoffe, daß Durchlaucht die Gnade haben werden, mir einen Urlaub zu bewilligen!«

»Vielleicht thue ich es, jedenfalls aber nur unter einer Bedingung!«

»Ich werde sie zu erfüllen suchen.«

»Du begleitest die Zofe heim.«

»Das wird mich wenig Ueberwindung kosten!«

»Ich glaube es. Ich habe nämlich Veranlassung, anzunehmen, daß ich bereits nächster Tage, vielleicht schon morgen, in der Lage bin, Jemand zu brauchen, der die Zimmer des Barons und der Baronin genau kennt.«

»Das wird seine Schwierigkeiten haben!«

»Bist Du ein Dummkopf?«

Anton schüttelte sich, als ob er vor irgend Etwas Abscheu hege.

»Also gut!« fuhr der Fürst fort. »Vielleicht bin ich sogar gezwungen, noch mehr von Dir zu verlangen. Ich vermuthe nämlich, daß ich bestohlen werden soll.«

»Du?« fiel da der alte Förster überrascht ein.

»Ja, ich,« antwortete der Gefragte.

»Wann?«

»Nächstens, vielleicht schon morgen.«

»Das soll man nur schön bleiben lassen! Wer hier die Nase sehen läßt, dem schieße ich zehn Läufe Schrot ins Gesicht!«

»Das ist nicht meine Absicht, lieber Vater.«

»Nicht? Was denn? Willst Du Dich bestehlen lassen?«

»Vielleicht!«

»Was? Donnerwetter! Man soll hier ausräumen dürfen?«

»Gewiß!«

»Aber, Kerl, Gustav! Bist Du klug?«

»Ich hoffe!« Und sich wieder zu dem Diener wendend, fuhr er fort: »Du weißt, unter welchen Bedingungen ich Dich engagirt habe, und ebenso bist Du auch überzeugt, wie sehr ich Dir vertraue –«

»Mein gnädiger Herr, ich gehe für Sie ins Feuer!« fiel Anton ein.

»Ich weiß das, und darum habe ich grad Dich für das Schwierige auserwählt. Also, ich sagte, daß ich nächster Tage vielleicht bestohlen werde. Es liegt mir nun daran, zu erfahren, wer die Gegenstände besitzen wird, der Baron von Helfenstein oder die Baronin, seine Frau.«

Der Diener machte ein höchst erstauntes Gesicht; der alte Förster aber fuhr geradezu vom Sitze empor.

»Alle Teufel!« rief er. »Sind sie es, welche Dich bestehlen werden oder bestehlen wollen?«

»Ja,« nickte Gustav.

»Wie denn?«

»Entweder eigenhändig oder durch Dritte.«

»Ah, ich verstehe, ich verstehe! Und Du läßt es Dir gefallen?«

»Ja, natürlich nur, um sie desto fester zu haben. Nun also, Anton, hast Du Dich von Deinem Erstaunen erholt?«

»Ja. Was ich hörte, war allerdings so, daß ich hoffe, mein Erstaunen werde Verzeihung finden.«

»Dieses Mal noch; dann aber nicht mehr. Ein guter Diener findet an einem Auftrage seines Herrn nichts zu staunen! Also, ich setze den Fall, die Baronin käme des Abends zu mir auf Besuch und fände Etwas, was sie des Einsteckens für werth befände, ein Geschmeide zum Beispiel oder sonst etwas dem Ähnliches. Sie brächte es nach Hause; wäre es mir da möglich, noch an demselben Abende zu erfahren, wohin sie es gesteckt hat?«

Der Diener machte ein halb trolliges und halb verlegenes Gesicht.

»Nun?« fragte der Fürst.

»Hm!« antwortete der Gefragte achselzuckend.

»Höre, Anton, Du weißt, warum ich lauter tüchtige und ausgezeichnete Polizisten als Diener engagirt habe?«

»Allerdings, Durchlaucht.«

»Ich habe Euch mir vom Polizeiminister erbeten, und Dich hat die Exzellenz am Besten empfohlen.«

»Das ist mir eine hohe Auszeichnung!«

»Willst Du diese Empfehlung zu Schanden machen?«

»Durchaus nicht; aber der gnädige Herr geben vielleicht zu, daß die Aufgabe, welche mir jetzt zuertheilt wird, ihre großen, ihre außerordentlichen Schwierigkeiten hat?«

»Gewiß! Aber ist die Lösung unmöglich?«

»Nein. Stehen mir die Dietriche zur Verfügung?«

»Alles, was Du brauchst.«

»So bitte ich, mir zwei Stunden des Nachdenkens zu erlauben!«

»Um mir dann zu sagen, ob Du die Aufgabe übernehmen wirst oder nicht? Meinst Du es so?«

»Nein, sondern ich meine, um dann klar darlegen zu können, in welcher Weise ich diese Aufgabe zu lösen beabsichtige. Ich muß mich doch der Zustimmung Euer Durchlaucht versichern.«

»Das ist etwas anderes! Also, die zwei Stunden sind gewährt!«

Er winkte zur Entlassung, und Anton entfernte sich.

»Kein dummer Kerl!« meinte der Förster.

»Und treu, verschwiegen und zuverlässig wie Alle, welche der Minister mir zur Verfügung gestellt hat,« fügte Gustav hinzu.

»Ja,« meinte der alte Brandt mit einem Anfluge von Stolz, »es ist doch gut, wenn man einen Studiengenossen hat, der im Alter von vierzig Jahren bereits Polizeiminister ist! Aber wie kommst Du auf den Gedanken, daß Du bestohlen werden sollst?«

»Ist dieser Gedanke so unbegreiflich? Bin ich nicht als der reichste Mann der Residenz oder gar des ganzen Landes bekannt?«

»Das ist wahr. Wenn also der ›Hauptmann‹ gewisse Absichten hat, so ist das zu begreifen, aber seine Frau – hm!«

»Ich weiß nicht, ob sie der Versuchung wird widerstehen können.«

»Du willst sie in Versuchung führen?«

»Ja.«

»Aus welchem Grunde?«

»Darüber später! Uebrigens, daß der ›Hauptmann‹ Absichten hat, das weiß ich genau. Es giebt da unten am Flusse einen alten, verkommenen Apotheker, welcher verschiedener Fehler wegen die Concession verloren hat. Er darf nicht mehr dispensiren und –«

»Ah, der alte Medikaster, welcher auch den Viehdoctor macht?«

»Ja. Als kürzlich der Rappe lahmte und das Mittel des Thierarztes nicht sofort anschlug, ist der Kutscher ohne mein Wissen zu diesem Winkelapotheker gegangen, und das Mittel desselben hat schnell gewirkt. Der Kutscher –«

»Hm, auch ein Polizist!«

»Natürlich! Er hat bei dem Apotheker so etwas wie Wildpret, nämlich menschliches, gerochen, und ist öfters zu ihm gegangen, hat auch später unseren Adolf mitgenommen –«

»Das ist erst der richtige Tausendsassa!«

»Ja, ausgezeichnet ist er, der reine Spürhund! Dieser nun hat mir verschiedene Mittheilungen gemacht, welche ich nun auszunutzen entschlossen bin.«

Er ergriff die Glocke abermals und schellte dreimal, während er dies vorhin nur einmal gethan hatte. Nach kurzer Zeit trat ein anderer Diener ein. Er war kurz und dick gebaut, sah recht behäbig und behaglich aus und schien kein Wässerchen trüben zu können. Wer ihn genauer ansah, bemerkte vielleicht an den hervorgezogenen Augäpfeln, daß dieser Diener gewohnt sei, eine scharfe Brille zu tragen. In seiner jetzigen Stellung aber schien ihm das nicht erlaubt oder gerathen zu sein.

»Adolf!«

»Gnädiger Herr!«

Diese beiden Worte hatten einen so knappen, exacten Ton, als befände sich der Mann als Offizier vor seinem General. Das hätte man von seiner legeren Behaglichkeit kaum erwartet.

»Weiter gehorcht?«

»Ja.«

»Etwas gehört?«

»So ziemlich.«

»Wichtiges?«

»Wie man es dreht und faßt. Ich habe dem Alten weiß gemacht, daß ich mit Ihnen nicht verkommen kann.«

»Ah!« lachte Gustav. »Warum nicht?«

»Sie sind zu stolz, zu knickerig, zu anspruchsvoll! Sie halten einen Diener nicht für einen Menschen! Uebrigens will ich heirathen, und Sie dulden das nicht!«

»Das ist ja eine ganze Litanei! Gehst Du wieder hin?«

»In einer Viertelstunde.«

»Wovon unterhaltet Ihr Euch?«

»Daß ich Ihnen heute früh aufgesagt habe.«

»Sapperment!«

»Und daß Sie mir den Lohn verweigern!«

»Noch besser!«

»Ich muß mit dem Kutscher schlafen!«

»Schlingel!«

»Ich möchte mit allen vier Fäusten drein schlagen!«

»Schön! Ich werde Dir möglichst aus dem Wege gehen!«

»Sie haben mir sogar mit einer Ohrfeige gedroht!«

»Das ist kühn!«

»Ja, wir sind so zusammengerathen, daß ich das Leben hier satt habe. Ich halte es nicht länger mehr aus!«

»So gehe fort und heirathe! Wer ist sie denn eigentlich?«

Adolf zog ein Gesicht, als ob er eine Bürste verschlingen müsse, und antwortete dann mit Nachdruck:

»Die – die – Jet – Jette!«

»Die Jette? Was für eine Göttin ist das?«

»Drei und einen halben Fuß lang, zwei Fuß in den Achseln, dünn wie eine Fensterscheibe und Arme wie ein Paar Windmühlenflügel!«

»Eine wahre Venus! Keinen Kropf?«

»Nein, aber sie geht lahm!«

»Doch wenigstens ein Ersatz für den fehlenden Kropf! Wessen Tochter ist denn diese Holde?«

»Sie ist die einzige Tochter des Apothekers, vier andere Töchter nicht mitgerechnet, die aber noch nicht verheirathet sind.«

Brandt lachte fröhlich auf.

»Aber die Jette ist verheirathet?«

»Sie war es. Jetzt ist sie Wittwe nebst Mutter von drei Kindern. Ich habe mir vorgenommen, der Waisenvater von allen Vieren zu sein.«

»Hast Du bereits mit dem Alten gesprochen?«

»Nein.«

»Aber mit der Jette?«

»Auch noch nicht; aber sie erwarten aller Minuten, daß ich losplatze. Der Sieg ist mir gewiß. Ich soll mit der Witwe und meinen drei Stiefkindern von ihrer Seite in die Oberstube ziehen. Eine Bodenkammer und die Hälfte Keller bekomme ich auch.«

Das hatte der verkappte Polizist mit der ernstesten Würde vorgetragen. Dann fuhr er fort:

»Und weil ich hier mich nicht wohlfühlen kann und dort ein solches Glück finde, so ist es leicht begreiflich, daß ich mir das Bessere erwähle. Wer rasch handelt, handelt gut; ich werde also sehen, ob die Gelegenheit heute günstig ist.«

Da machte Brandt ein ernstes Gesicht und fragte:

»Aber, Adolf, daß wir uns nicht etwa später Vorwürfe machen müssen! Ich liebe es nicht, mit Menschenherzen zu spielen!«

Aus dem Auge des Dieners brach ein scharfer Blitz. Es war fast der Blick eines Hundes, der sich auf einen Wolf stürzt.

»Der gnädige Herr haben Recht, sehr Recht,« sagte er, »aber wie nun, wenn der Mensch sich sein Herz aus dem Leibe gerissen hat, um seine Mitbrüder nach Lust quälen zu können und ihre Schmerzen nicht mitzufühlen? Solche Menschen giebt es. Sie gleichen dem Raubzeuge und müssen vertilgt werden, ohne Rücksicht, mit allen Mitteln, auf jede Art und Weise, mit List und mit Gewalt! Ich bin ein Polizist, das heißt ein Spürhund, ein Wächter von Beruf. Kommt mir ein Raubthier in den Weg, ein Iltis, ein Wiesel, ein Marder, ein Fuchs, ein Wolf, ich werfe mich auf ihn und frage nicht, ob es ihm weh thut.«

»Ja, das ist die rechte Art und Weise, das Haus seines Herrn zu beschützen. Wirst Du mir Neues bringen?«

»Ich hoffe es!«

»Dann gut für jetzt!«

Er entließ den Diener, und dieser ging.

Einige Zeit vorher hatte sich die bereits erwähnte hintere Thür am Palais des Barons von Helfenstein geöffnet, und es war ein Mann heraus getreten, welcher rothes Haar, einen rothen Vollbart und dazu eine blaue Schutzbrille trug. Seine Kleidung war nicht im Geringsten elegant, aber auch nicht grad schäbig zu nennen. Er trug sich wie Einer, der bessere Tage gesehen hat und davon die Erinnerung noch im Gewand an seinem Leibe trägt.

Er verschloß die Thüre, steckte den Schlüssel ein und wendete sich dem Flusse zu, und zwar demjenigen Theile desselben, an welchem die Armuth ihre Hütten aufgeschlagen hat. Dort betrat er ein kleines, einstöckiges Häuschen und klopfte an die wackelige Thür des Hinterstübchens.

Es regte sich nichts. Er klopfte abermals, und zwar jetzt auf eine eigenthümliche Weise, die fast wie ein Erkennungszeichen klang. Sofort regte sichs im Innern.

»Gleich!« gröhlte eine tiefe Baßstimme.

Die Thür wurde geöffnet. Ein langer, riesenhaft stark gebauter Mann blickte heraus. Sein Gesicht war wohl weniger ein verschlafenes, als ein versoffenes. Er sagte: »Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht!«

Der Rothe fuhr sich mit der Hand nach dem rechten Auge, als ob er dasselbe auswischen wolle.

»Ach so!« meinte der Riese, jetzt in bedeutend freundlicherem Tone. »Ein Eingeweihter! Kommen Sie herein!«

Er ließ den Andern eintreten und schloß dann die Thür hinter ihm zu, indem er auf einen Schemel deutete: »Setzen Sie sich!«

Dieser Schemel, ein alter Tisch und ein noch älterer Stuhl, nebst einem Strohbunde in der Ecke, das war das ganze Ameublement des armseligen Raumes. Der Rothe nahm auf dem Schemel Platz und deutete nach dem Tische, auf welchem eine fast ganz geleerte Schnapsflasche stand.

»So fleißig beschäftigt?«

»Fleißig? Woher soll die Arbeit kommen? Es ist ja kein einziger Tropfen mehr drin?«

Damit nahm er die Flasche und leerte den Rest mit einem Zuge. Der Rothe lächelte und sagte:

»So müssen Sie wieder füllen!«

»Wovon?« lachte der Andere höhnisch.

»Sind Sie so sehr ausgebrannt?«

»Vollständig!«

»Wo ist Ihre Frau?«

»Betteln. Aber sie ist seit vier Tagen nicht nach Hause gekommen. Sie lebt in Florio da draußen herum; ich aber sitze hier und verdurste, indem ich auf sie warte. Wenn sie kommt, so schlage ich ihr die Knochen entzwei!«

»Giebt es denn keine Arbeit?«

»Arbeit?« fuhr der Riese auf. »Wollen Sie mich beleidigen?«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»So kennen Sie mich nicht!«

»Sehr gut sogar!«

»So? Nun, wer bin ich denn?«

»Der Tausendkünstler Bormann!«

»Hol’s der Teufel, er kennt mich! Wer sind denn Sie?«

»Das ist Nebensache. Der Hauptmann sendet mich.«

»Donnerwetter! Ist’s wahr?«

»Ja.«

»Da hat die Noth ein Ende; da regnet es Geld!«

»Gemach, gemach!«

»Etwa nicht, he? Da können Sie nur wieder gehen! Wer zu mir kommt, muß Geld haben, um bezahlen zu können.«

»Wenn er Etwas von Ihnen verlangt!«

»Sie verlangen wohl nichts? So verschwinden Sie schleunigst! Ich lasse mich nicht ungestraft nutzloser Weise stören!«

Der Andere nickte ihm behaglich zu, griff in die Tasche und klimperte mit dem darin befindlichen Gelde.

»Alle Teufel!« rief Bormann. »Das hat einen verdammt guten Klang! Heraus damit, heraus!«

»Oho! Nur langsam! Erst das Geschäft, und dann der Lohn!«

»Meinetwegen! Aber ein Stück müssen Sie doch flott machen; denn ich gebe Ihnen bei allen Teufeln mein heiliges Wort, daß ich nicht eher zu sprechen sein werde, als bis die Flasche wieder voll ist!«

»Gut! Wieviel also?«

»Zwanzig Kreuzer.«

»Hier!«

Er zog einen Guldenzettel hervor und reichte ihn dem Anderen hin: dieser griff schleunigst zu und sagte: »Einen ganzen Gulden? Desto besser! Warten Sie!«

Er ergriff die Flasche, öffnete die Thür und sprang fort.

»Bestie!« murmelte der Rothe, der natürlich kein anderer als der ›Hauptmann‹ war. »Mit solchem Pack hat man zu verkehren! Aber es sind die besten Arbeiter!«

Nach kurzer Zeit kehrte Bormann zurück. Sein Gesicht glühte und seine Augen leuchteten unheimlich.

»Hier, eine volle Flasche,« sagte er. »Eine habe ich zuvor erst ausgetrunken. Nun können wir vom Geschäft sprechen. Also sagen Sie, was Sie wollen!«

»Sie glücklich machen!«

»Donnerwetter! Das ist viel gesagt!«

»Ich weiß, was ich sage!«

»Ob Sie es auch halten werden!«

»Ich denke!«

»Oder halten können!«

»Pah!«

»Sie thun ja recht reich. Haben Sie eine Ahnung davon, was ich brauche, um mich glücklich zu fühlen?«

»Ja.«

»Nun, so sagen Sie!«

»Die Mittel, um mit einigen Leuten als Künstler im Lande herumziehen zu können!«

»Weiß Gott, er hat es errathen! Ja, Künstler bin ich, und Director will ich sein!«

»Nun, so engagiren Sie sich eine kleine Truppe.«

»Ich wüßte schon, wen! Meine Frau und noch Zwei oder Drei, das genügt, Dazu braucht man aber Geld!«

»Wieviel!«

»Zweihundert Gulden!«

»Thun’s nicht auch hundertfünfzig?«

»Nein!«

»Gut, der ›Hauptmann‹ schickt Ihnen die Zweihundert.«

Bormann sprang von seinem Stuhle auf, als ob er electrisirt worden sei. Er blickte den Sprecher scharf an und fragte: »Herr, ist’s wahr, ist’s wahr?«

»Was hätte ich für Grund, Ihnen eine Lüge zu sagen?«

»Ja, das wollte ich Ihnen auch nicht gerathen haben. Ich würde Sie zu Brei zerschlagen! Also heraus mit dem Gelde!«

»Langsam, langsam, mein Lieber!«

»Ach so! Ja, das habe ich in meiner Freude ganz und gar vergessen. Wo gäbe es denn einen Menschen, der sein Geld umsonst weggäbe? Also, was verlangt der Hauptmann von mir?«

»Eine Kleinigkeit.«

»So? Hm! Kleinigkeit! Ich kenne das! Na, ich habe ihm schon manche Gefälligkeit erwiesen, warum also nicht auch jetzt?«

»Er hat Sie aber auch jedenfalls gut dafür bezahlt!«

»Das ist richtig. Wir sind stets nobel gegen einander gewesen. Also, welche Kleinigkeit meinen Sie?«

»Es ist ein Dienst, den Sie eigentlich auch sich selbst leisten.«

»Da machen Sie mich neugierig!«

»Was man dem Bruder thut, das thut man sich doch auch selbst!«

»Ah, Sie meinen den? Diesen dummen Kerl?«

»Ja.«

»Danke sehr!«

»Wieso?«

»Für den rühre ich keine Hand!«

»Warum nicht?«

»Er ist’s nicht werth, ganz und gar nicht werth!«

»Das müssen Sie mir erklären!«

»Er selbst ist Schuld an Allem. Warum sitzt er denn jetzt? Weil er so dumm gewesen ist, sich erwischen zu lassen!«

»Sind Sie noch nicht erwischt worden?«

»Hm, ja! Viele Male!«

Er that einen tüchtigen Schluck aus seiner Flasche und fuhr dann fort:

»Das will ich ihm also auch nicht nachtragen. Aber das Letzte kann ich ihm nicht vergeben!«

»Was?«

»Den letzten Einbruch bei Hellenbachs.«

»Was finden Sie hier so Unverzeihliches?«

»Das begreifen Sie nicht? Da sind Sie grad so ein dummer Kerl wie mein Bruder! Er hat im Loch gesteckt?«

»Ja.«

»Ist dennoch herausgekommen, um einzubrechen?«

»Ja.«

»Wissen Sie, wer ihm da geholfen hat?«

»Nun?«

»Der Hauptmann, kein Anderer. Der hat irgend eine gute Absicht dabei gehabt, einen feinen, pfiffigen Kniff. Und mein Bruder, der Tolpatsch, läßt sich erwischen! Ehe mir das geschehen wäre, hätte ich lieber Alles und Alle todtgeschlagen!«

»Ihre Vermuthung hat vielleicht das Richtige getroffen.«

»Nicht wahr, ich habe Recht? Wissen Sie etwas davon?«

»Ich spreche nicht davon. Also Sie wollen wirklich nichts für Ihren Bruder thun?«

»Nein.«

»Dann ist unsere Unterredung beendet!«

Er stand auf, als ob er sich entfernen wolle.

»Halt!« rief da Bormann. »So schnell geht das nicht! Ich brauche Geld, und wenn ich es auf keine andere Weise bekommen kann, so will ich mich denn also mit meinem Bruder befassen.«

Der Rothe setzte sich langsam wieder nieder und sagte:

»Gut! Freut mich, daß Sie Verstand annehmen! Es ist ja auch besser für Sie! Kommen wir also zur Sache!«

»Ja, kommen wir zur Sache!«

Dabei griff er zur Flasche und trank sie aus.

»Sie haben vorhin ganz recht gerathen,« sagte der Rothe. »Ihr Bruder wurde auf Veranlassung des Hauptmannes, dem dies sehr viel Geld gekostet hat, herausgelassen –«

»Wohl den Schließer bestochen?«

»Ja.«

»Ich hörte so Etwas.«

»Ihr Bruder erhielt ein rothes Maal auf die Wange. Das sollten Die sehen, bei denen er einbrach. Dadurch wurde die Annahme begründet, daß es Einen giebt, der ihm außerordentlich ähnlich sieht, der aber ein Maal auf der Wange hat. Nun aber war der Hauptmann im Stande, zu beweisen, daß Derjenige, welcher den Einbruch verübt hat, wegen dessen Ihr Bruder sich jetzt in Untersuchungshaft befunden hat, ein rothes Maal an der Wange hatte. Folglich mußte Ihr Bruder freigesprochen werden!«

»Alle Teufel!«

»Oder etwa nicht?«

»Ganz sicher! Verdammt feiner Kniff! Das kommt direct aus dem Kopfe des Hauptmannes, aus keinem anderen.«

»So ist’s allerdings in Wirklichkeit. Ihr Bruder wurde zweimal herausgelassen. Das erste Mal verdarb er es, und das zweite Mal ließ er sich gar gefangen nehmen!«

»So ein riesenhafter Dummkopf! Was aber nun? Ich glaube nicht, daß er noch zu retten ist!«

»Für jetzt gilt es nur, Zeit zu gewinnen. Und da sollen Sie auch mit helfen.«

»Wieso?«

»Ihr Bruder muß für verrückt gelten.«

»Donnerwetter! Er soll so thun, als ob er verrückt sei?«

»So ähnlich, aber nicht ganz, denn er wird in Wirklichkeit ein Wenig verrückt sein!«

»Hole Sie der Teufel!«

»Jetzt noch nicht! Der Hauptmann braucht Ihren Bruder, er will Alles für ihn thun. Nun giebt es eine Medicin, welche verrückt macht, verstanden, mein Lieber?«

»Ja, solche Mittel giebt es mehrere!«

»Sie sind entweder zu gefährlich oder nicht zuverlässig.«

»Belladonna?«

»Vielleicht. Oder wenigstens den Stoff, der sich in der Tollkirsche befindet. Man nennt ihn Atropin.«

»Den soll mein Bruder erhalten?«

»Ja.«

»Wenn er nun wirklich verrückt wird?«

»Das soll er ja!«

»Und auch verrückt bleibt?«

»Der Hauptmann wird schon sorgen, daß dies nicht geschieht!«

»Gut! Der Hauptmann versteht sich auf solche Sachen. Aber was soll der Wahnsinn meinem Bruder helfen?«

»Sehen Sie das nicht ein?«

»Jetzt noch nicht.«

»Nun, erstens wird dadurch die Untersuchung unterbrochen. Dadurch fällt Manches in Vergessenheit. Der Kranke wird scharf beobachtet, und resultirt man, daß er wirklich geisteskrank ist, so schickt man ihn in eine Irrenanstalt.«

»Die soll der Teufel holen! Ich mag nichts davon wissen!«

»Unsinn! Dort wird er nicht so streng gehalten. Er genießt Freiheiten, die es im Zuchthause nicht giebt.«

»Ah, jetzt begreife ich, dann wird er herausgeholt?«

»Ja, wenn er nicht bereits vorher freigesprochen worden ist.«

»Freigesprochen?«

»Ja.«

»Nicht möglich!«

»Warum nicht? Ist es denn nicht Wahnsinn, einzubrechen?«

»Donnerwetter! Zielen Sie dahin? Man soll annehmen, daß er bereits seit längerer Zeit wahnsinnig ist?«

»Natürlich!«

Der Riese nickte langsam und bedächtig mit dem Kopfe. Dann brachte er die sehr wichtige Frage vor:

»Aber wie soll mein Bruder zu der Medicin kommen?«

»Durch Sie.«

»Durch mich? Da verrechnen Sie sich ganz und gar! Wenn man alle Brüder mit einander sprechen läßt, uns Beide aber nicht. Ich darf auf keinen Fall zu ihm. Ich stehe ja wohl noch schwärzer angeschrieben, als er selbst!«

»Auf diesem offiziellen Wege soll es auch gar nicht geschehen. Da würden wir ihm gar nichts helfen, sondern die Sache nur verschlimmern. Nein, es soll heimlich geschehen. Sie sind doch wohl unter Anderem auch Trapez-und Seilkünstler?«

»Das versteht sich! Ich bin Alles!«

»Nun, dann sind Sie ja der Mann, den wir brauchen können!«

»In welcher Weise aber?«

»Hm, man muß eine Leiter anlegen.«

»Also von außen?«

»Ja.«

»An das Fenster seiner Zelle?«

»Natürlich.«

»Wissen Sie es?«

»Sehr genau. Ich habe mich erkundigt. Ich habe einen Bekannten, welcher der Freund des Gefängnißgeistlichen ist.«

»Schön! Es wäre verteufelt unangenehm, wenn man an ein falsches Fenster käme!«

»Natürlich! Man kann da nicht vorsichtig und sicher genug gehen.«

»Aber eine Leiter von außen? Verdammte Geschichte!«

»Das ist wahr! Der Hauptmann hatte eine Leiter construirt, welche von Eisen war, zusammengelegt werden konnte und dennoch bis in das dritte Stockwerk reichte; die ist aber mit Ihrem Bruder in die Hände der Polizei gefallen.«

»Dieser Kerl ist wirklich Prügel werth. Aber ich kenne das hiesige Gefangenenhaus auch ziemlich genau. Wo liegt mein Bruder?«

»Nach dem Hofe zu.«

»Wieviel Treppen?«

»Drei. Im Parterre giebt es keine Zellen. Drei Treppen, das zweite Fenster von der Ecke aus.«

»So, so! Hm, hm! Ah, da fällt mir etwas ein!«

»Was?«

»Geht keine Steigleiter der Feuerwehr an?«

»Nicht gut.«

»Warum nicht?«

»Erstens ist keine so schnell zu bekommen –«

»O, sehr schnell! Da in der Nähe hat die freiwillige Feuerwehr dieses Bezirkes ihren Uebungsplatz im Garten des Gasthofes. In einem Schuppen befinden sich die Leitern.«

»Das wäre günstig. Aber Sie müssen ja die Leiter in dem unteren Zellenfenster einhaken!«

»Was thut das?«

»Der, welcher in der Zelle sitzt, kann Alles verrathen.«

»Unsinn! Kein Gefangener wird so schlecht sein, den anderen zu verrathen. Uebrigens kann ich dem Manne ja Etwas mitnehmen, um ihn zum Schweigen zu bewegen, Etwas zu essen oder zu trinken.«

»Und wenn er dennoch nach der Wache ruft?«

»Pah! Bis die kommt, bin ich lange wieder herunter und über die Hofmauer weg! Nimmt die Medicin viel Platz weg?«

»Nein.«

»Nun, so ist die Sache viel leichter, als ich es mir dachte. Also abgemacht! Ich übernehme den Streich.«

»Wie viele Leute brauchen Sie?«

Der Riese blickte ihn eine Weile an, brach dann in ein schallendes Gelächter aus und fragte, noch immer lachend: »Wie viele Leute?«

»Ja.«

»Meinen Sie etwa, daß ich ein Bataillon Husaren mitnehmen soll?«

»Das nicht, aber –«

»Was, hm! Ich brauche keinen Menschen! Ich habe zwei Leitern nöthig: Eine bis zum Fenster des zweiten und eine bis zu demjenigen des dritten Stockes. Diese Feuerwehrleitern sind sehr leicht. Ich trage zwei Dutzend und noch mehr.«

»Aber wenn Etwas passirt!«

»Was soll passiren? Denken Sie, daß ich so dumm bin wie mein Bruder, der sich erwischen läßt? Höchstens einen Mann Wache könnte ich gebrauchen, der draußen vor der Hofmauer stehen bleibt und aufpaßt, daß ich nicht unversehens überrascht werde.«

»Gut! Das ist mir lieb! Ich möchte doch gerne gewiß sein, daß Alles ohne Hinderung verläuft.«

»So wollen Sie selbst mitgehen?«

»Ja.«

»Mir auch recht. Wann?«

»Nicht zu früh. Möglichst gegen Morgen, da um diese Zeit die Leute am Tiefsten schlafen.«

»Wo treffen wir uns?«

»Soll ich Sie hier abholen?«

»Ich bin es zufrieden. Haben wir noch Etwas zu besprechen?«

»Wohl nicht. Ich denke, daß wir fertig sein werden.«

»Sie irren sich,« meinte der Riese lächelnd.

»Nun, was noch?«

»Das Geld!«

»Ach ja! Das ist für Sie doch die Hauptsache. Oder nicht?«

»Das will ich meinen! Donnerwetter, ohne Geld würde ich nicht ein einziges Fingerglied bewegen! Also zweihundert Gulden!«

»Ja.«

»Heraus damit!«

»Oho! So schnell geht das nicht! Meinen Sie, daß man eine Arbeit bezahlt, noch ehe sie begonnen worden ist?«

»Ich betrüge Sie nicht!«

»Das weiß ich; auch bin ich gar nicht der Mann, der sich so leicht betrügen läßt!«

»Wollen Sie etwa erst nach Schluß der Oper bezahlen?«

»Eigentlich sollte ich es; denn man kann nicht genug vorsichtig sein!«

»Sackerment! Geht das auf mich?«

»Ja.«

»Das will ich mir verbitten! Ich wiederhole, daß ich Sie nicht betrüge!«

»Und ich wiederhole, daß ich das weiß. In Geschäften sind Sie ehrlich, aber wie steht es denn mit der Zuverlässigkeit?«

»Was meinen Sie?«

Der Rothe deutete auf die leere Schnapsflasche und antwortete:

»Hier! Wenn ich Ihnen Geld gebe, so werden Sie so lange trinken, bis Sie nicht mehr können. Komme ich dann, so kann ich Sie nicht mehr gebrauchen.«

Der Riese blickte eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:

»Hm! So ganz unrecht haben Sie freilich nicht!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich bin ein verfluchter Kerl! Die Bulle hat es mir nun einmal angethan. Ich möchte gern wieder zu einer Künstlertruppe kommen; aber wenn ich heute trinke, so wird nichts daraus.«

»Also ist es besser, ich zahle jetzt nichts.«

»Gut! Der Gulden reicht bis heute Abend.«

»Abgemacht also! Adieu!«

Er erhob sich und reichte dem Anderen die Hand hin.

»Oho!« sagte dieser und zog die seinige schnell zurück.

»Was denn noch?«

»Jetzt sage ich, wie Sie vorhin, daß es nicht so schnell geht. Wir sind noch nicht fertig.«

»Ich wüßte nichts Weiteres.«

»Es ist auch nichts Weiteres; es handelt sich nur noch um das Geld. Nämlich, Sie sagen, daß ich es heute Abend erhalten soll. Aber zu welcher Zeit denn?«

»Wenn wir fertig sind.«

»Das fällt mir nicht ein! Ehrliches Spiel verlange ich!«

»Ich werde ja ehrlich sein!«

»Nun, so theilen wir die Summe. Die eine Hälfte geben Sie mir, wenn wir aufbrechen, und die andern Hundert erhalte ich, wenn ich mit der Geschichte fertig bin!«

»Auch darauf gehe ich ein!«

»Topp?«

»Topp!«

Sie schlugen mit einander ein und gingen dann auseinander.

Der Rothe blieb in dieser Stadtgegend. Er schritt am Wasser hin, bog in ein enges Gäßchen ein und blieb dann vor einem alten Hause stehen, welches so schmal war, daß neben der niederen Thüre nur zwei schmale Fensterchen Platz gefunden hatten.

Er klopfte. Ein Gesicht erschien an dem einen fast ganz erblindeten Fenster; dann dauerte es immer noch eine Weile, bis die verschlossene Hausthüre geöffnet wurde. Ein langer, hagerer Mann erschien, welcher nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Sein Kinn war spitz; seine Nase war spitz, und sein Blick war am allerspitzigsten. Er musterte den Ankömmling und fragte dann: »Zu wem wollen Sie?«

»Zu Ihnen?«

»Kennen Sie mich?«

»Sehr gut.«

»Wo? Oben oder unten?«

»Unten.«

»Hinten oder vorn?«

»Ganz hinten.«

»Ah! Sie sind – ein – ein –«

»Halten Sie den Mund, und lassen Sie uns eintreten!«

Er drängte sich in den engen Flur und trat in die Stube. Ein entsetzlicher Dunst schlug ihm entgegen. Fünf häßliche Frauenzimmer saßen an einem Tische und waren beschäftigt, Cigarren zu machen. Der angefeuchtete Taback lag auf der Diele, unter dem Tische, unter dem Ofen, unter den Stühlen, auf den Fensterbrettern, kurz überall. Der Brodem war nicht zum Aushalten. Und wie es in der Stube aussah, so sahen auch die Frauenzimmer aus.

Sie glotzten den Ankömmling neugierig an, sagten aber kein Wort, sondern rollten ohne Pause ihre Wickeln weiter.

Der Alte deutete auf die Ofenbank und sagte:

»Setzen Sie sich, wenn Sie nichts Außerordentliches bringen, und brennen Sie sich eine Cigarre an. Neubacken schmecken sie am Allerbesten.«

»Danke, danke!«

»Warum denn nicht? Jette, gieb dem Herrn eine!«

Die, welche angeredet worden war, war die Kleinste und auch die Hübscheste. Aber dennoch hätte ein wahrer Heldenmuth dazu gehört, ihr nur die Hand zu reichen.

Sie nahm einen Wickel, rollte ihn in den Decker, drehte die Spitze an, klebte sie mit Kleister zu, welcher ganz wie Teichschlamm aussah und noch schlimmer stank, und als dieses Bindemittel noch nicht recht halten wollte, spuckte sie darauf und strich es sorgfältig glatt. Dann hielt sie dem Fremden die prachtvolle Habanna caballeros liebreich entgegen.

Er machte ein Gesicht, als ob er im Sterben liege, wehrte mit beiden Händen emsig ab und sagte: »Danke, danke, Frau Henriette! Ich rauche nie, niemals! Meine Brust ist schwach; sie kann den Taback nicht vertragen.«

»Wie?« fragte der Alte. »So genau kennen Sie meine Familie? Sie wissen, daß Jette verheirathet war?«

»Wie Sie sehen, lieber Doctor!«

»Doctor? Himmelelement, Sie sind ein nobler Kerl!«

»Das bin ich stets, und ich hoffe, es Ihnen auch heute zu beweisen.«

Dabei griff er mit der Hand nach dem rechten Auge, als ob er sich dasselbe auswischen wolle. Der alte, frühere Apotheker sah das. Er erhob sich sofort. Seine Miene wurde respectvoller. Er betrachtete sich den Mann noch einmal genau und sagte dann: »Entschuldigung! Sie kennen mein Haus unten und ganz hinten; Sie wissen das Zeichen; Sie sind kein gewöhnlicher Mann!«

»Sie können Recht haben.«

»Womit kann ich dienen?«

»Ich bedarf Ihrer Apotheke.«

»Schön! Kommen Sie herunter!«

Da rief die Stimme der Kleinen:

»Vater! Lieber Vater!«

Und die Stimmen der vier Anderen fielen mit ein:

»Vater! Sollen wir denn nicht mit?«

Der Alte blieb stehen und blickte den Fremden fragend an.

»Wissen Sie, was sie meinen?« fragte er ihn.

»Ja, bester Doctor,« antwortete der Gefragte lachend.

»Dürfen sie?«

»Wenn Sie es erlauben?«

»Gern; aber bezahlen müssen Sie!«

»Das versteht sich ganz von selbst! Kommen Sie, meine Damen!«

Die ganze Gesellschaft verließ die stinkende Stube. Der Apotheker versicherte sich erst, daß die Hausthür wirklich verschlossen sei, und öffnete dann eine mitten im Flur angebrachte hölzerne Fallthür. Jetzt zeigte sich eine schmale, steinerne Treppe, welche nach unten in den Keller führte.

Dieser schien im Verhältnisse zur Breite und Tiefe des Hauses ziemlich groß zu sein. Unten wurden einige alte Lampen angebracht, welche den vorderen Theil des Kellers nothdürftig erleuchteten. Hier standen einige halb verfaulte Bänke, auf welchen die fünf Grazien Platz nahmen. In der Ecke stand ein Faß, daneben ein Blechmaß. In das Letztere ließ der Apotheker aus dem Fasse ein und reichte es dem Fremden. Dieser nippte vorsichtig. Es war der armseligste Kartoffelfusel. Er gab das Maß den Damen hin, und diese fielen mit wahrer Gier über das Labsal her.

»Kommen Sie nun weiter!« bat der Apotheker.

Im Hintergrunde gab es eine Thür, welche in einen Nebenraum führte. Dort traten sie ein. Beim Scheine der Lampe, welche der Apotheker in der Hand hielt, war ein wüstes Durcheinander von Kräutern, Blumen, Flaschen, Gläsern, Phiolen, Tiegeln und Ähnlichem zu erkennen. Einige Schemel ragten aus dem Chaos hervor.

»Ist’s ein Geheimniß, was Sie haben?« fragte der Alte.

»Ja.«

»So will ich schließen.«

Er schob die Thür zu, verriegelte sie von innen und nahm dann erwartungsvoll auf einem der Schemel Platz. Der Andere setzte sich auch, griff in die Tasche, zog eine große Münze hervor, zeigte sie dem Apotheker und fragte: »Kennen Sie das?«

»Mein Gott! Der Hauptmann selbst!«

Bei diesen Worten fuhr er wieder von seinem Sitze empor.

»Bleiben Sie sitzen!« gebot der Hauptmann. »Und beantworten Sie meine Fragen!«

»Ich stehe ganz, ganz, ganz zu Befehl!«

»Giebt es ein Mittel, einen Menschen auf einige Zeit verrückt zu machen?«

»Ja.«

»Wohl sogar mehrere?«

»Sie sind allerdings verschieden, je nach dem Zweck, den man verfolgt.«

»Aber, wohlgemerkt, ich meine nur eine zeitweilige Wirkung.«

»Ich verstehe.«

»Ich brauche ein solches, welches von der Diagnose der Ärzte nicht entdeckt werden kann.«

»Das ist schwierig, sehr schwierig!«

»Aber doch möglich?«

»Ich hoffe es. Aber es wird theuer sein, sehr theuer!«

»Schweigen Sie, Alter! Sie wissen, daß Sie mir mit diesen Faxen nicht kommen dürfen. Ich zahle, was Sie verlangen. Wollen Sie mir dieses Mittel verschaffen?«

»Bis wann?«

»Bis heut um Mitternacht?«

»Donner! Diese Zeit ist zu kurz!«

»Später kann ich es nicht gebrauchen. Wollen Sie oder nicht? Ich habe noch Andre, an die ich mich wenden kann.«

»Nein, nein, nein! Bitte, bleiben Sie! Ich diene Ihnen ja mit dem größten Eifer und Vergnügen! Nur möchte ich um einige Anhaltspunkte ersuchen dürfen.«

»Welche Punkte meinen Sie?«

»Erstens Alter und Constitution des Kranken.«

»Zweiunddreißig Jahre; gebaut wie ein Goliath.«

»Welche Krankheiten hat er gehabt?«

»Niemals die Spur einer solchen!«

»Soll er zum Toben gebracht werden?«

»Nein.«

»Also stiller Wahnsinn?«

»Ja. Er darf nicht phantasiren, nicht irre reden, damit er keine dummen Dinge plaudert. Verstanden?«

»Ich verstehe. Wie lange soll der Wahnsinn währen?«

»Sagen wir zunächst drei Monate.«

»Gut. Das ist nicht so schwer.«

»Kann er nöthigenfalls verlängert werden?«

»Das versteht sich.«

»Wie viele Dosen muß man geben?«

»Eine einzige.«

»Das ist gut, sehr gut! Aber schadet die Gabe seiner Constitution?«

»Das versteht sich! Ich muß aufrichtig mit Ihnen sein.«

»Aber die Folgen sind später zu beseitigen?«

»Gewiß! Aber es darf nicht allzu spät sein.«

Die Beiden horchten jetzt. Die vordere Kellerthür hatte sich in ihren kreischenden Angeln gedreht. Eine männliche Stimme wurde hörbar, und die Stimmen der Mädchen wurden laut und munter.

»Wer ist das?« fragte der Hauptmann leise.

Der Apotheker lauschte einige Augenblicke und antwortete dann in einem beruhigenden Tone:

»Keine Sorge, Herr! Es ist ein guter Freund von mir.«

»Ein Eingeweihter?«

»Noch nicht.«

»Sie hoffen also, daß er es noch wird?«

»Ja.«

»Ich muß, wenn ich jetzt gehe, an ihm vorüber; darum muß ich es wissen, wer und was er ist.«

»Er ist Diener, und zwar beim Fürsten von Befour.«

»Alle Teufel! Bei Dem! Mann, wie unvorsichtig handeln Sie da! Nehmen Sie sich ja in Acht!«

»Warum?«

»Der Fürst scheint uns feindlich gesinnt zu sein.«

»Ich weiß es; einen desto besseren Freund haben wir an seinem Diener.«

»Ein Spion vielleicht.«

»Keineswegs. Er wird nicht mehr lange in seiner gegenwärtigen Stellung, die er gar nicht lobt, verbleiben.«

»Hat er eine andere?«

»So ziemlich.«

»Wo?«

»Bei – hm – bei mir.«

Der Hauptmann blickte den Alten erstaunt an, schüttelte bedenklich den Kopf und fragte dann:

»Bei Ihnen? Als was?«

»Als – hm, vielleicht als Schwiegersohn.«

»Was? Er will eine Ihrer Töchter heirathen?«

»Ich hoffe, daß er es thun wird!«

»Welche denn?«

»Jette, die Schönste.«

»Ist er denn alt?«

»Nein, jung.«

»Häßlich?«

»Sehr hübsch im Gegentheile!«

»Mann, sehen Sie sich vor! Mir scheint, daß bei dieser Angelegenheit irgend Etwas nicht in Ordnung ist!«

»Alles ist in Ordnung, Alles!«

»Aber ein hübscher, junger Mensch, der in einem solchen Hause servirt, kann doch unmöglich –«

Er hielt inne, um den Apotheker nicht zu beleidigen. Dieser lächelte siegesgewiß vor sich hin und sagte: »Ich verstehe, ich verstehe! Ich bin keineswegs in meine Mädel vernarrt. Ich hätte mir also bereits selbst ganz Dasselbe gesagt, wenn nicht ein Punkt wäre, welcher geeignet ist, mich ganz zu beruhigen.«

»Welcher Punkt?«

»Der junge Mann ist Gymnasiast gewesen, hat aber aus Armuth Kellner werden müssen. Sein Lieblingsfach war Chemie. Die hat er auch als Kellner fortgetrieben. Sie liegt ihm im Herzen, in der Seele, im Leibe, in allen Gliedern. Ich weiß, wie das ist, denn es ist mir selbst so gegangen.«

»Versteht er denn etwas?«

»Herr, er ist, bei Gott, gescheidter noch als ich! Sodann kam er in die Dienste des Fürsten von Befour. Auch hier hat er heimlich experimentirt. Der Fürst hat es entdeckt und streng verboten. Als das nichts half, hat er ihm sein ganzes, kleines, mühsam zusammengespartes Laboratorium zertrümmert und vernichtet. Von daher datirt der Groll, die Rache.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Er brennt vor Verlangen, sich an ihm zu rächen.«

»Wie kam er zu Ihnen?«

»Ich traf ihn ganz zufällig in einer Bierwirthschaft. Wir kamen auf Chemie zu sprechen; ich sagte, daß ich auch Fachmann sei, und als ich bemerkte, daß er ganz darauf versessen sei, bot ich ihm meinen Keller zum Experimentiren an. Jetzt bringt er alle seine freien Stunden hier zu und wird wohl gar nicht wieder von mir fort zu bringen sein. Sein Herr darf natürlich kein Wort davon wissen.«

Der Alte ahnte nicht, daß jenes erste Zusammentreffen in der Bierwirthschaft kein zufälliges gewesen, sondem von dem schlauen Adolf arrangirt worden war.

»Wenn es so ist,« sagte der Hauptmann, »so möchte ich ihn wohl kennen lernen.«

»Das ist sehr leicht. Wir brauchen uns nur zu ihm zu setzen.«

»Schön! Sind wir denn mit unserer Angelegenheit zu Ende?«

»Bis auf den Preis.«

»Wie viel fordern Sie?«

»Zwanzig Gulden, da Sie nicht handeln, Herr.«

»Hier sind sie!«

Er zog seine Börse und zählte ihm die Summe in die Hand. Dann erhob er sich von seinem Sitze und sagte leise: »Ich bin Architect und heiße Jacob. Ich bin nicht von hier, will mir aber in der Residenz eine Stelle suchen!«

»Schön! Kommen Sie!«

Er öffnete die verschlossene Thür, und die beiden traten in den vorderen Raum zurück. Dort saßen die Mädchen um Adolf herum. Sie hatten bereits mehrere Maß geleert, aber es war ihnen noch nicht die mindeste Wirkung des Fusels anzumerken.

»Willkommen, lieber Adolf!« grüßte der Ex-Apotheker. »Haben Sie heute frei?«

»Glücklicher Weise, ja.«

»Wie lange?«

»So lange es mir beliebt.«

»Was? So lange? Ganz nach Ihrem Wohlgefallen?«

»Ja. Ich habe gekündigt und dann um die Erlaubniß gebeten, mich heute nach einer anderen Stellung umsehen zu dürfen.«

»Und das werden Sie wohl auch thun?«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich werde niemals wieder ein Herrendiener. Ich will endlich einmal auf eigenen Füßen stehen. Ein kleines Ersparniß habe ich; das reicht hin, ein Geschäftchen anzufangen. Dann kann ich nebenbei nach Herzenslust laboriren. Wenn heut zu Tage Einer ein neues Pflaster oder eine neue Salbe erfindet, kann er in einigen Jahren Millionär sein.«

»Das heiße ich vernünftig gesprochen! Aber wissen Sie, daß zu einem Geschäfte vor allen Dingen eine Frau gehört?«

»Hm! Das weiß ich gar wohl!«

Dabei warf er einen Blick, welcher scheinbar verstohlen sein sollte, aber von Allen bemerkt wurde, auf die kleine Jette, welche eben im Begriffe, stand das Blechmaaß an den Mund zu führen.

»Dann suchen Sie nur so bald wie möglich!« fuhr der Alte fort.

»Werde gar nicht weit zu laufen brauchen! Aber, wollen Sie sich denn nicht ein Bischen mit hersetzen?«

»Auf ein Weilchen, ja. Dieser Herr ist Architect und heißt Jacob. Er sucht sich hier eine Anstellung. Und Dieser hier ist Diener beim Fürsten von Befour, hustet aber auf seine Anstellung. So, nun kennen sich die Herren. Jette, schenk ein!«

Damit waren die Beiden einander vorgestellt. Der alte Apotheker setzte sich zu seinen Töchtern, und auch der ›Hauptmann‹ ließ sich bei ihnen nieder. Er nahm in der Weise Platz, daß er dem Bedienten des Fürsten gegenüber saß und ihn also genau beobachten konnte. Sein Mißtrauen war verschwunden, und er sagte sich im Stillen, daß er mit seinem Gegenüber eine treffliche Acquisition machen könne. Hatte er im Hause des Fürsten von Befour einen treuen und zuverlässigen Verbündeten, so mußte ihm dies vom allergrößten Nutzen sein.

Es wurde getrunken. Dabei ließen weder der verkleidete Baron, noch der Diener des Fürsten es sich merken, welche Mühe es ihnen kostete, den miserablen Fusel des Apothekers zu überwältigen. Sie thaten vielmehr, als ob ihre Kehlen für dieses Getränk eingerichtet seien, und gaben sich Mühe, die Unterhaltung zu einer recht animirten zu machen. Dabei verfolgte natürlich jeder von ihnen den heimlichen Zweck, den Andern auszuhorchen, um sich über ihn Klarheit zu verschaffen.

Trotz alledem aber war die Unterhaltung eine sehr animirte. Besonders glückliche Stimmung zeigte Jette, des Apothekers ›schönste‹ Tochter. Ihr Geliebter befand sich bei ihr. Sie konnte in kurzer Zeit seinen Antrag erwarten; dann war sie seine Verlobte, und nachher würde sie seine Frau sein, die Frau eines so schönen, jungen Mannes! Sie schwamm in einem Meere von Seligkeit, und ihre gute Laune theilte sich ganz natürlicher Weise auch den Anderen mit.

Adolf, der Diener, zeigte sich als ein sehr lustiger, unterhaltender Kamerad. Er steckte voller Witze und Anecdoten und ließ dazwischen Bemerkungen fallen und Ansichten hören, welche den Baron zu der Vermuthung bringen mußten, daß es mit der Moralität und Gewissenhaftigkeit dieses lustigen Burschen nicht auf das Beste bestellt sei.

Darum nahm er sich vor, ihm noch ein Wenig mehr auf den Zahn zu fühlen, als es jetzt in Anwesenheit der Anderen möglich war. Aus diesem Grunde brach er nicht eher auf, als bis auch der Diener des Fürsten von Befour sich zum Gehen anschickte. Beide verließen mit einander das Haus des Apothekers. Draußen gingen sie noch eine Strecke mit einander fort, und dann blieb Adolf an einer Ecke stehen. Er deutete mit der Hand nach der Seitenstraße und sagte: »Jetzt werden wir uns trennen müssen, mein lieber Herr Jacob. Meine Wohnung, das heißt, das Palais meines gegenwärtigen Herrn, liegt nach dieser Richtung hin.«

»Das ist doch kein Grund, uns so schnell zu trennen!«

»Wie es den Anschein hat, gehen Sie doch gradaus?«

»Ich bin Herr meiner Zeit. Ich kann gehen und kommen, wann, wo und wie es mir beliebt.«

»Sie Glücklicher!«

Dieses Wort war mit einem wohl berechneten Seufzer ausgesprochen. Der Baron hörte dies und sagte im Tone des Bedauerns: »Sie Ärmster! Ja, Herrendienst ist eine schwere, unangenehme Sache. Sie gefallen mir, und darum nehme ich herzlich Theil an Ihnen. Sind Sie denn gezwungen, schon jetzt nach Hause zu gehen?«

»Nein. Sie haben bereits gehört, daß ich heute frei habe.«

»Nun, warum wollen wir uns da so schnell trennen? Oder muß ich vielleicht befürchten, daß Sie sich in meiner Gesellschaft nicht wohl befinden? Das würde mir um so mehr leid thun, als ich Ihnen, wie gesagt, meine wärmste Sympathie widme und Ihre nähere Bekanntschaft wünsche.«

Der schlaue Geheimpolizist merkte, daß er jetzt zugreifen müsse. Es fiel ihm ganz und gar nicht ein, zu glauben, daß dieser Mann wirklich ein Architect und in der Residenz fremd sei. Er hielt ihn für einen höchst problematischen Menschen, der vielleicht gar mit dem geheimnißvollen ›Hauptmanne‹ in Beziehung stand. Er ahnte, daß dieser sogenannte Architect seine Bekanntschaft wünsche, um irgend einem auf den Fürsten von Befour bezüglichen Plan näher zu treten. Er nahm sich vor, scheinbar darauf einzugehen. Darum antwortete er: »Wo denken Sie hin! Ihre Unterhaltung hat mir bewiesen, daß Sie ein Mann von ganz bedeutenden Kenntnissen sind. Ihre Bekanntschaft kann mir also doch nur Nutzen bringen. Ich will aufrichtig sein und hinzufügen, daß auch Ihre Person mir sehr sympathisch ist. Auch ich wünsche also, daß wir uns heute nicht zum letzten Male sehen!«

»Schön! So ist es recht! Das nenne ich mir aus der Seele gesprochen! Es wird am Besten sein, wir bleiben gleich jetzt ein Wenig länger bei einander, natürlich, falls Sie derselben Ansicht sind.«

»Ich stimme bei.«

»Schön! Hier, meine Hand! Lassen Sie uns Freunde sein!«

Obgleich sie auf offener Straße neben einander hinschritten, reichte der Baron dem Andern die Hand hin. Dieser schlug ein und sagte fröhlich: »Hier! Topp! Es ist für einen Herrendiener allerdings nicht sehr gerathen, sich viel mit Bekanntschaften einzulassen. Man hat keine Zeit dazu, sich seinen Freunden zu widmen! Aber wie ich Ihnen bereits sagte, bleibe ich nicht in meiner jetzigen Stellung. Ich ergreife eine Beschäftigung, welche mir freie Zeit gewährt, und dann werde ich ein Mensch sein, welcher so gesellig leben kann, wie andere Leute.«

»Das freut mich! Also, wir gehen nicht sofort auseinander?«

»Nein.«

»Was aber thun? Ist Ihnen nicht ein Kneipchen hier in der Nähe bekannt, in welchem man recht hübsch und gemüthlich allein sitzen und, ohne Störung befürchten zu müssen, von Diesem und Jenem plaudern kann?«

»Hm!« antwortete Adolf, indem er eine bedenkliche Miene zog. »Ein solches Kneipchen weiß ich gar wohl, aber –«

»Nun, aber? Was für ein Aber giebt es dabei?«

»Ein ganz bedeutendes. Diese Kneipe ist nämlich eine Weinstube.«

»Und das erregt Ihr Bedenken?«

»Ja, natürlich.«

»Warum?«

»Hm! Ich sollte mich eigentlich nicht blamiren.«

»Wieso, blamiren?«

»Nun, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich mich viel mit chemischen Experimenten beschäftigt habe. Das kostet Geld, und da –«

Er hielt verlegen inne. Der Baron lachte und fragte dabei:

»Da steht es mit Ihrem Beutel nicht zum Besten?«

»Ja,« nickte der Diener, »so ist es.«

»Und das bringt Sie so außerordentlich in Verlegenheit?«

»Gewiß! Es ist nämlich nicht eine gewöhnliche Weinstube. Man bekommt keineswegs Grünberger, die Flasche für zwanzig Kreuzer. Aber Sie wollten ein Kneipchen haben, wo man ungestört sein kann, und das ist in dieser Weinstube der Fall. Es giebt da allerliebste kleine Cabinets zu zwei, drei und vier Personen. Dafür aber sind die Preise so, daß wenigstens ich sie nicht zu erschwingen vermag.«

»Das lassen Sie sich nicht anfechten! Ich bin zwar auch kein Crösus, und zudem jetzt ohne Anstellung und Beschäftigung, aber ein Glas Wein kann ich für einen guten Freund doch noch bezahlen.«

Adolf war in Beziehung auf sein Einkommen von dem Fürsten sehr gut gestellt. Er hatte von seiner angeblichen Armuth gesprochen, um von dem Anderen zu erfahren, ob dieser bei Mitteln sei. Ein stellen-und beschäftigungsloser Architect pflegt keine theuren Weine trinken zu können. Ging Jacob also auf die Weinkneiperei ein, so ließ sich vermuthen, daß der Verdacht des Polizisten nicht ganz unbegründet sei. Dieser antwortete also, indem er den Kopfe schüttelte: »Ein Glas nur? Das reicht nicht. Dort, wo ich meine, wird nicht ein Glas verkauft. Man muß gleich ganze Flaschen bestellen.«

»Nun, das ist auch kein Unglück! Ich werde trotzdem noch nicht Bankerott machen. Bitte, führen Sie mich hin!«

Der Baron kannte alle Hotels und Wirthschaften der Stadt. Er bemerkte zu seiner Freude, daß Adolf ihn allerdings nach einer der nobelsten Weinstuben führte, wo es abgesonderte Cabinets gab. Sie nahmen ein solches, ließen sich nach der Karte Jeder eine Flasche Wein geben und dann, als der Kellner sich entfernt hatte, und sie sich allein befanden, streckte der Baron sich behaglich aus, blickte sich in dem kleinen, eleganten Raume um und sagte: »Es ist wirklich nicht übel hier. Auch der Wein ist gut, wenn er auch nicht die Sorten erreicht, welche man bei Ihrem Herrn trinkt.«

Adolf machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:

»Sie wollen sagen, welche mein Herr allein trinkt!«

»Hm! Sie dürfen sich doch auch zuweilen einen Schluck nehmen?«

»Ich? Wir Diener? Was fällt Ihnen ein? Dieser Fürst von Befour ist der ausgesprochenste Geizhals, den es nur geben kann. Er trinkt allerdings nur die feinsten Marken. Wir aber erhalten nur Sonntags pro Person ein Gläschen Moselblümchen. Und was für ein Blümchen ist das! Es schmeckt, als ob man einen ganzen Tragkorb voll Rasirpinsel und Scheuerbürsten verschlucke.«

»Pfui Teufel! Aber wenn er Gesellschaft bei sich sieht, bei Diners, Soupers und Dergleichen, muß er doch Wein geben. Und dann wird wohl auch ein Schluck für Sie mit abfallen?«

»Ja, prosit die Mahlzeit! Gesellschaften bei sich sehen! Durchfragen Sie die ganze Residenz, und Sie werden hören, daß der Fürst noch keinen einzigen Menschen zu sich geladen hat.«

»Wirklich? Ich denke, er ist Millionär?«

»Das ist er auch und zwar was für einer! Ich glaube, er besitzt so viele Millionen, wie ich Pfennige habe.«

»Und ist so geizig?«

»Geradezu raffinirt geizig! Ich muß Ihnen Einiges erzählen!«

Er war ebenso raffinirt schlau, wie er seinen Herrn als raffinirt geizig hinstellen wollte. Er entwarf von dem Fürsten eine Schilderung, welche der gegenwärtigen Situation und seinen Absichten ganz angemessen war. Er ließ hindurchblicken, daß er nicht nur mit seiner Lage höchst unzufrieden sei, sondern seinen Herrn geradezu hasse; ja, er that sogar einige ihm scheinbar unbemerkt entschlüpfende Äußerungen, welche vermuthen ließen, daß er eine stille Rache hege und gar nicht abgeneigt sei, derselben die Zügel schießen zu lassen, falls sich eine passende Gelegenheit dazu finden sollte.

Der Baron hörte ihm aufmerksam zu. Er hatte nicht die mindeste Ahnung, daß der Sprecher ein verkappter Polizist sei. Er freute sich im Innern, ihn gefunden zu haben, denn er war vollständig überzeugt, in ihm ein Werkzeug seiner Pläne zu engagiren.

»Das ist freilich traurig,« sagte er, als Adolf geendet hatte. »So habe ich mir einen Millionär allerdings nicht vorgestellt! Also, kaum satt zu essen giebt er seinen Leuten!«

»Ja, so ist es!«

»Und Ihnen gönnt er nicht einmal das unschuldige Vergnügen, sich in Ihrer freien Zeit mit Ihrem Steckenpferde zu beschäftigen?«

»Die Retorten und Gläser hat er mir zerbrochen!«

»Ohne Ihnen die Kosten zu ersetzen?«

»Fällt ihm gar nicht ein!«

»Das ist nicht nur ungerecht, sondern man fühlt sich geradezu veranlaßt, es im höchsten Grade fuchsig zu nennen.«

»Anders nicht! Donnerwetter! Ich wollte –«

Er hielt erschrocken inne.

»Nun, was wollten Sie?«

Sein Auge war bei dieser Frage mit Spannung auf den Andern, dessen Gesicht von innerer Aufregung zeugte, gerichtet.

»Ah, es ist nicht gut, davon zu sprechen!«

»Warum nicht?«

»Man soll nicht unvorsichtig sein!«

»Papperlapapp! Halten Sie mich für falsch?«

»Das ganz und gar nicht. Sie sehen wohl ein, daß Einem bei einer solchen Behandlung einmal die Galle überlaufen muß.«

»Natürlich! Ganz natürlich! Ein Anderer wäre ganz sicher nicht so geduldig wie Sie. Er würde – hm!«

Jetzt war er es, der vorsichtig inne hielt.

»Reden Sie weiter! Immer reden Sie weiter!«

»Nun, er würde dem Fürsten Eins auswischen!«

»Das ist wahr! Auswischen! Aber wie!«

»Er würde sich für seine Verluste bezahlt machen.«

»Sie meinen, er würde den Fürsten verklagen?«

»Das nicht. Eine Klage wäre die allergrößte Dummheit. Gegen einen solchen Mann kann kein Kläger aufkommen. Nein, hier wäre nur Selbsthilfe am Platze.«

»Selbsthilfe? Hm!«

Er warf dabei einen vorsichtigen Blick um sich und nickte leise, als ob er mit der Ansicht seines Gefährten ganz einverstanden sei.

»Ja,« fuhr dieser fort. »Rücksichtslosigkeit gegen Rücksichtslosigkeit! Das ist aber nicht Jedermanns Sache.«

»Wie meinen Sie das?«

»Es gehört Klugheit dazu!«

»Halten Sie mich vielleicht für dumm?«

»Das nicht. Aber auch Muth muß man haben.«

»Halten Sie mich für feig?«

»Dieses auch nicht. Ich an Ihrer Stelle wüßte, was ich machte!«

»So sagen Sie es!«

»Werde mich hüten!« meinte der Baron vorsichtig.

»Donnerwetter! Glauben Sie etwa, daß ich ein Mann bin, dem man keinen guten Rath geben darf?«

»Wir kennen uns zu wenig. Dennoch aber gestehe ich Ihnen, daß ich gern Vertrauen zu Ihnen haben möchte.«

»Das können Sie auch! Also reden Sie getrost!«

»Na, ich will es einmal wagen. Also, Sie möchten, wenn Sie Ihre jetzige Stelle aufgegeben haben, sich gern mit Chemie beschäftigen?«

»Das ist mein Wunsch. Chemie ist meine Leidenschaft.«

»Und dabei ein Gewerbe treiben, welches Ihnen genug Zeit für Ihr Steckenpferd giebt und Sie auch gut ernährt?«

»Natürlich!«

»Dazu gehört Geld!«

»Ich habe eine Kleinigkeit erspart, und der alte Apotheker wird auch Etwas hergeben müssen, wenn ich seine Jette heirathe.«

»Gewiß. Aber wird das ausreichen?«

»Ich hoffe es!«

»Ich befürchte das Gegentheil. Uebrigens, sagen Sie mir einmal aufrichtig, ob Sie das Mädchen oder vielmehr diese kleine Jette aus aufrichtiger Liebe heirathen würden?«

»Hm!« brummte Adolf verlegen.

»So ein Prachtkerl wie Sie! Könnten Sie nicht eine andere bekommen, lieber Freund?«

»Aber nicht mit Geld!«

»Pah! Wer von der Natur so ausgestattet wurde, wie Sie, der bekommt allemal ein Mädchen, welches nicht ganz ›ohne‹ ist. Und wie ich den Alten kenne, hat er kein großes Vermögen. Selbst wenn er es hätte, würde er sich hüten, Ihnen allzusehr unter die Arme zu greifen. Er ist zähe, wenn auch nicht so sehr, wie Ihr millionenreicher Fürst von Befour.«

»Herr, wollen Sie mir Sorge machen?«

»Nein. Ich will Ihnen nur als Freund die Wahrheit vor die Augen führen. Wie nun, wenn Sie dann die Frau haben, welche Sie des Geldes wegen nehmen, und der Alte giebt Nichts heraus?«

»Das wäre verteufelt ärgerlich!«

»Gewiß! Uebrigens giebt es auch noch andere Mittel, Ihren Zweck zu erreichen.«

»Ich kenne kein einziges!«

»Aber ich!«

Er machte dabei eine sehr geheimnißvolle Miene. Adolf betrachtete ihn aufmerksam und erwartungsvoll und fragte: »Wollen Sie mir das nicht sagen?«

»Gern! Aber, lieber Freund, können Sie schweigen?«

»Ich bin niemals eine Plaudertasche gewesen!«

»Sprachen Sie nicht davon, eine Restauration oder so etwas Ähnliches zu errichten?«

»Das ist ja mein Ideal!«

»Nun, ich weiß Einen, der Ihnen die Mittel dazu geben würde!«

»Sapperment!«

»Der Ihnen so viel geben würde, daß Sie auch nebenbei Chemie treiben könnten, Ihr Steckenpferd, wie Sie sagen.«

»Dieser Mensch wäre geradezu ein Engel!«

»Das wohl nicht. Er würde es nicht thun, ohne Gegenleistungen zu beanspruchen.«

»Ich würde Alles thun!«

»Auch wenn das, was er verlangte, nicht ganz mit den Gesetzen in Einklang zu bringen wäre?«

»Pah! Was ist ein Gesetz!«

Diese Worte wurden in wegwerfendem Tone gesprochen. Der Baron war sehr erfreut darüber. Er fragte:

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, daß das Gesetz eine von Menschen gegebene Satzung ist. Als es gemacht wurde, hat man mich nicht um Erlaubniß gefragt; soll ich nun fragen, wenn es mir nicht paßt, wenn mir gerade das Gegentheil von Nutzen ist?«

»Ich sehe, daß Sie kein dummer Kerl sind. Wollen einmal aufrichtig sprechen. Haben Sie von dem Hauptmanne gehört?«

»Ja. Aber was wissen Sie denn von ihm? Ich denke, Sie sind fremd hier?«

»Hat er nicht auch auswärts seine Leute?«

Adolf machte ein erstauntes Gesicht. Er blickte den Andern mit dem Ausdrucke beinahe freudiger Ueberraschung an und fragte: »Wollen Sie damit sagen, daß –«

»Nun, daß –?« lachte der Andere.

»Daß Sie mit dem Hauptmann zu thun haben?«

»Hm! Wenn das nun so wäre?«

Da sprang Adolf auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief, indem seine Augen vor Freude leuchteten: »Sakkerment, da wären Sie mein Mann!«

»Pst! Sachte, sachte! Die Wände scheinen hier ein wenig dünn zu sein!«

»Das ist wahr! Aber, Donnerwetter! Welch ein Glück, daß ich Sie heute getroffen habe!«

»Warum?«

»Weil ich längst den Wunsch gehegt habe, einmal mit dem ›Hauptmann‹ zusammen zu treffen!«

»Ich bin es aber doch nicht!«

»Aber Sie haben mit ihm zu thun!«

»Auch das habe ich nicht direct gesagt!«

»Ich weiß es. Man muß da vorsichtig sein. Aber Sie sagten vorhin, daß wir aufrichtig mit einander sein wollen, und ich wiederhole jetzt dieses Wort. Wir sind hier allein, und kein Mensch kann uns hören. Sagen Sie mir einmal ganz offenherzig, warum Sie den ›Hauptmann‹ erwähnt haben?«

»Weil ich weiß, daß er sehr gut bezahlt.«

»Das steht zu erwarten.«

»Daß er seinen Leuten empor hilft. Es würde ihm ein Leichtes sein, Ihnen eine hübsche Restauration zu verschaffen.«

»Aber was er dafür verlangen wird!«

»O, nicht viel. Ich glaube, daß es ihn freuen würde, zu hören, daß Sie sich gern mit Chemie beschäftigen.«

»Ja,« nickte Adolf nachdenklich, »auf diesem Felde würde sich sehr leicht Gelegenheit bieten, ihm dankbar zu sein. Haben Sie ihn vielleicht gesehen? Sind Sie ihm persönlich bekannt?«

»Nein. Aber ich bin im Stande, Sie ihm in jedem Augenblicke zu empfehlen. Ich will Ihnen nun auch gestehen, daß ich gar kein Architect bin.«

Der Polizist fingirte ein großes Erstaunen.

»Was Sie sagen!« rief er aus.

»Ja,« lächelte der Baron. »Ich bin etwas ganz Anderes, als ich scheine. Ich brauche mich gar nicht sehr anzustrengen, wenn es gilt, Ihnen nützlich zu sein.«

»So ist heute der beste und glücklichste Tag meines Lebens. Was meinen Sie, soll ich diese Jette laufen lassen?«

»Immerzu!«

»Aber was dann weiter?«

»Das wollen wir besprechen. Es kommt darauf an, ob ich überzeugt sein darf, daß Sie verschwiegen sind.«

»Stellen Sie mich getrost auf die Probe!«

»Das werde ich natürlich auch.«

»Wann?«

»Wann? Nun, heute schon.«

»Ich habe nichts dagegen und werde die Probe bestehen!«

Da erhob sich der Baron. Er schritt einige Male nachdenklich in dem kleinen Cabinette auf und ab. Dann streckte er sich wieder auf den Sessel nieder, nippte von seinem Glase und sagte: »Wer von dem Hauptmann engagirt wird, muß ihm vorher den Schwur der Treue leisten!«

»Ich bin bereit dazu!«

»Wer diesen Schwur bricht, wird mit dem Tode bestraft!«

»Ich werde ihn nicht brechen!«

»Bevor er in den Bund aufgenommen wird, muß er eine Probe ablegen, ob er auch brauchbar ist!«

»Ich bin bereit zu dieser Probe!«

»Sie sagen das so gleichmüthig, und doch müssen Sie gewärtig sein, daß etwas Schweres von Ihnen verlangt wird!«

»Ich hoffe, daß man nichts verlangt, was mir unmöglich ist, und daß ich auch angemessen dafür belohnt werde!«

»Natürlich! Ich meine, daß es für uns Beide vortheilhaft ist, wenn wir uns nicht mit unnützen Einleitungen abgeben. Gehen wir also gerade auf das Ziel los! Ich kenne eine Restauration, welche für Sie passen würde.«

»Wirklich? Welche meinen Sie?«

»Ist Ihnen die Restauration zur ›Eintracht‹ bekannt?«

»Sehr gut! Sie soll verpachtet oder gar verkauft werden.«

»Der ›Hauptmann‹ wird Ihnen gern den Pacht zahlen. Und wenn er dann sieht, daß Sie treu sind, ist es sehr wahrscheinlich, daß er es Ihnen ermöglicht, das Haus zu kaufen.«

»Himmelelement! Da bin ich bereit, Alles zu thun!«

»Nur nicht zu hitzig! Ich kann mir ungefähr denken, was der ›Hauptmann‹ als Probe von Ihnen verlangen wird.«

»Was?«

»Sie sollen sich an Ihrem gegenwärtigen Herrn rächen.«

»Na, etwas mir Angenehmeres kann er ja gar nicht fordern! Das heißt ja, zwei Fliegen mit einem Schlage treffen?«

»Allerdings! Ist Ihnen das Palais des Fürsten von Befour genau bekannt?«

»Natürlich! Ich wohne ja da!«

»Ich meine, ob in allen seinen Räumlichkeiten?«

»Ich bin überall gewesen.«

»Es scheint des Nachts erleuchtet zu sein?«

»Es brennen auf allen Corridoren Gasflammen.«

»Das ist unangenehm, höchst unangenehm!«

»Warum?«

»Wenn man nun Lust hätte, sich die Einrichtung des Palastes, die eine äußerst kostbare sein soll, bei Nacht zu betrachten?«

»Warum nicht am Tage?«

Der Baron schüttelte den Kopf und antwortete:

»Sie fragten vorhin, ob ich Sie für einen Dummkopf halte!«

»Pah! Ich bin keiner! Ich frage nur, um mich zu orientiren.«

»Nun, so beantworten Sie mir meine Frage!«

»Handelt es sich nur um eine Besichtigung des Palastes?«

»Hm! Es ist möglich, daß am andern Morgen nicht Alles in genauer Ordnung gefunden würde.«

»Das würde mich nur freuen!«

»Wirklich?«

»Ja. Wer aber soll die Besichtigung vornehmen?«

»Ein Mann, der sich Ihnen mit einem Zeichen zu erkennen giebt, welches wir vorher besprechen würden.«

»Ein einzelner Mann?«

»Vielleicht hätte er einen Begleiter mit.«

»Ich verstehe. Begleiter mit gewissen Werkzeugen?«

»Meinetwegen!«

»Was werde ich erhalten, wenn ich die Herren, welche diese Besichtigung vornehmen wollen, herumführe?«

»Sie erhalten die Mittel, sich eine gemüthliche Zukunft zu gründen, vorausgesetzt, daß Sie nach dieser Probe auch bereit sind, in den Bund zu treten und ihm gegen Belohnung auch fernerhin zu dienen.«

»Dann bin ich einverstanden!«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Hier meine Hand! Schlagen Sie ein! Topp?«

»Topp!«

Sie schlugen ein. Der Baron behielt die Hand des Polizisten in der seinigen, blickte ihm fest in die Augen und sagte: »Aber gehen Sie diesen Pakt nicht etwa leichtsinnig ein. Ich habe Ihnen gesagt, daß es sich um Leben und Tod handelt!«

»Ich weiß es!«

»Das heute Abend soll nur eine Probe sein. Hegen Sie um Gotteswillen keine hinterlistigen Absichten! Das Schwert wird vom ersten bis zum letzten Augenblicke über Ihrem Haupte hängen!«

»Ich habe keine Angst!«

»Das ist mir lieb um Ihretwillen. Das Palais ist an seinen Parterrefenstern mit eisernen Läden verschlossen. Ich weiß auch, daß die Thürschlösser patent sind. Durch Gewalt ist kaum einzudringen. Sie werden öffnen?«

»Ja. Ich werde dafür sorgen, daß ich die Schlüssel habe.«

»Wann?«

»Das ist allerdings unbestimmt. Der Fürst pflegt sehr spät nach Hause zu kommen und dann noch einige Zeit zu arbeiten.«

»Das thut nichts. Es ist jetzt sehr lange Nacht. Wird es vielleicht um drei Uhr passend sein?«

»Ich hoffe es.«

»Gut! Das Palais liegt etwas von der Landstraße zurück, von welcher es durch einen Vorgarten getrennt wird. Punkt drei Uhr, wenn es diese Stunde auf der Hauptkirche schlägt, wird ein Mann langsam und leise vorübergehen – –«

»Ich werde da am Gitterthore stehen.«

»Ja. Der Mann wird gerade vor diesem Thore sein weißes Taschentuch verlieren. Die Gasflammen brennen. Sie müssen also das Tuch bemerken. Es ist das Zeichen, daß es Derjenige ist, auf den Sie zu warten haben.«

»Soll ich ihn anreden.«

»Ja, Sie werden das thun. Er darf dies nicht, da zufälligerweise ein Anderer als Sie dort stehen könnte.«

»Was soll ich sagen?«

»Sie fragen ihn leise, ob er vom Hauptmann kommt. Das Uebrige wird sich dann ganz von selbst ergeben.«

»Schön! Ich werde dafür sorgen, daß wir die Inspection des Palastes ganz ungestört vornehmen können.«

»Pflegt der Fürst seine Möbels fest zu verschließen?«

»Ja. Nur in dem Zimmer, in welchem er sich zeitweilig befindet, wendet er diese Vorsicht nicht an.«

»Sie meinen?«

»Daß zum Beispiel die Schränke und Kästen seines Studierzimmers so lange offen stehen, als er sich in demselben befindet.«

»Und daß also auch die Kästen seines Schlafzimmers unverschlossen sind, während er schläft.«

»Ja.«

»Das ist günstig. Hat er einen leisen Schlaf?«

»Im Gegentheil einen sehr festen. Er ist des Morgens schwer zu erwecken. Man muß oft zweimal kommen.«

»Auch das ist vortheilhaft. Ueber unser Vorhaben giebt es für jetzt weiter nichts zu bemerken. Aber einige anderweitige Fragen möchte ich noch an Sie stellen. Geht Ihr Herr viel aus?«

»Fast gar nicht.«

»Auch nicht im Geheimen?«

»Das fällt ihm natürlich nicht ein!«

»Haben Sie von dem Fürsten des Elendes gehört?«

»Natürlich! Alle Welt hat von ihm gehört.«

»Ich will Ihnen gestehen, daß ich den Gedanken hatte, er und Ihr Herr könne eine und dieselbe Person sein.«

Da schlug Adolf ein lautes Gelächter auf und antwortete:

»Welch’ ein Gedanke! Der und der Fürst des Elendes sein! Nehmen Sie es mir nicht übel; aber das ist doch zu drollig! Dieser Geizhals und solche Ausgaben machen, wie sie der Fürst des Elends macht!«

»Vielleicht stellt er sich nur geizig, um die Spur von sich abzulenken! Das ist doch möglich.«

»Nein. Das muß ich am besten wissen.«

»Allerdings! Sie sind sein Diener. Sie müßten es also genau wissen, wenn er sich heimlich in der Stadt herumtriebe.«

»Sicher! Wenn Sie ihn da in Verdacht haben, so geben Sie diesen Gedanken getrost auf!«

»Ich will Ihnen glauben. Nun aber ist meine Zeit verflossen. Sie sehen ein, daß gewisse Vorbereitungen für heute Abend zu treffen sind. Ich gehe also; Sie aber können getrost noch bleiben und gemüthlich austrinken!«

»Gern, aber – die Bezahlung?«

»Hier ist Geld. Sie sehen, daß ich nicht knausere. Und der ›Hauptmann‹ hat noch ganz andere Mittel, Sie zu belohnen. Also, ich verlasse mich auf Sie. Adieu!«

»Adieu!«

Der Baron ging. Er hatte einige Goldstücke auf den Tisch geworfen. Adolf nahm sie in die Hand, betrachtete sie und murmelte: »Nicht übel! Ich hätte nicht geglaubt, heute so eine wichtige Bekanntschaft zu machen. Wäre es dunkel, so würde ich diesem Kerl nachschleichen, um zu sehen, wohin er geht. Na, er kommt ja heute Abend wieder. Ich muß auf alle Fälle wissen, wer er ist.«

Er nahm das Glas, that einen langsamen tiefen Zug, schnalzte mit der Zunge und fuhr dann in seinem Selbstgespräch fort: »Jetzt sehe ich ein, was für ein gescheidter Kerl dieser Fürst von Befour ist. An ihm ist ein Polizist, wie er im Buche steht, verdorben. Alles klappt und schnappt. Er wird den ›Hauptmann‹ fangen, obgleich er ihm noch Freiheit läßt. Jetzt aber gehe ich auch. Ich muß zum Goldschmied.«

Er klingelte, bezahlte und verließ das Lokal. Draußen wendete er sich den noch tiefer liegenden und noch ärmeren Gäßchen zu, bis er ein Haus erreichte, welches fast einzubrechen drohte.

Hinter einem der Parterrefenster sah man allerlei fragliche Schmucksachen ausgelegt, und an der oberen Fensterscheibe klebte ein Papier mit den Worten: »Einkauf von Juwelen, Gold, Silber und Schmucksachen.«

Er trat in den Flur und dann in das ärmliche Lädchen, welches gar nicht nach Juwelen und Schmucksachen aussah. Bei seinem Gruße erhob sich ein kleines, buckeliges Männchen von dem Stuhle, welcher an dem einzigen Tische stand, der vorhanden war.

»Ah, der Herr Adolf des Herrn Fürsten!« sagte der Kleine. »Ihr Herr sendet Sie?«

»Ja. Sind die Sachen fertig?«

»Gestern habe ich letzte Hand angelegt. Ich hätte sie abgeliefert, wenn mir nicht befohlen worden wäre, zu warten, bis Sie kommen. Wollen Sie die beiden Kästen mitnehmen?«

»Ja. Wie steht es mit der Rechnung?«

»O, ich bin bereits vorher bezahlt. Seine Durchlaucht haben mich aus dem tiefsten Elend gezogen. Ich habe doppelt soviel erhalten, als ich zu fordern hatte.«

Er ging in einen Nebenraum und brachte zwei Holzkästen hervor, welche nicht sehr groß waren, aber ziemlich schwer zu sein schienen.

»Hier sind sie und hier auch die beiden Schlüssel,« sagte er. »Wollen Sie das Alles selbst tragen, oder soll ich helfen?«

»Danke! Ich brauche Niemand. Adieu!«

Er schlug nun die grade Richtung nach der Palaststraße ein. Als er nach Hause kam, schritt er sofort auf die Gemächer des Fürsten zu. Die beiden Kästen setzte er im Vorzimmer ab. Dann trat er ein. Der Fürst befand sich in seinem Arbeitszimmer. Er warf einen Blick auf den Diener und sagte sofort: »Ah, Du bringst etwas Neues und Gutes?«

»Ja, Durchlaucht. Ich habe einen Fang gemacht, oder vielmehr, wir werden heute einen Fang machen!«

»Wen? Deinem Gesicht nach ist dieser Fang ein bedeutender. Du meinst doch nicht etwa den Hauptmann?«

»Gerade diesen!«

»Nun, so sage ich Dir, daß ich ihn nicht fangen werde.«

Der Diener machte ein ganz verdutztes Gesicht.

»Es liegt mir an diesem Fange noch nichts,« fuhr der Herr fort. »Doch, man muß ja doch mit den Verhältnissen rechnen. Erzähle!«

Adolf berichtete, was er erlebt und erfahren hatte. Der Fürst hörte ihm zu, trat dann an das Fenster und blickte, in tiefes Nachdenken versunken, hinaus. Nach einer Weile drehte er sich wieder in das Zimmer zurück und sagte: »Für wen hältst Du diesen Architekten?«

»Natürlich für einen Vertrauten des Hauptmannes.«

»Ich nicht. Es ist der Hauptmann selbst gewesen.«

»Donnerw – – –!« entfuhr es dem Diener. »Auf diesen Gedanken bin ich allerdings nicht gekommen!«

»Er hat ein sehr wichtiges Arrangement mit Dir getroffen, das konnte nur der Hauptmann thun. Du meinst also, daß er heute in der Nacht kommen wird?«

»Gewiß! Punkt drei Uhr!«

»Und was räthst Du mir?«

»Er wird nicht allein kommen, sondern seine Spießgesellen mitbringen. Wir lassen sie ein und nehmen sie Alle gefangen.«

Der Fürst ließ ein überlegenes Lächeln sehen. Er erhob, spaßhaft drohend, den Finger und sagte:

»Du willst ein Polizist sein?«

»Ich bin es, selbst in Ihrem Dienste!« antwortete Adolf, indem dem Tone seiner Stimme eine kleine Kränkung anzuhören war.

»Und Du hältst Dich natürlich für einen guten Polizisten?«

»Ich thue möglichst meine Pflicht.«

»Ich bin davon überzeugt; aber ich sage Dir, daß ich heute die Einbrecher nicht fangen werde.«

»Nicht?« fragte Adolf, beinahe erschrocken.

»Nein!«

»Aber die prächtige Falle, die ich ihnen gestellt habe!«

»Ich werde mich trotz dieser Falle bestehlen lassen und ruhig zusehen, daß die Diebe entwischen.«

»Aber, bitte tausendmal um Entschuldigung, das begreife ich nicht!«

»Ich will den Hauptmann fangen!«

»Er wird ja kommen!«

»Meinst Du? Wenn er käme, so wäre er werth, mit Ruthen gezüchtigt zu werden wie ein dummer Bube, der nichts lernen will. Er wird nicht kommen; er wird die Besten seiner Leute schicken. Er kann sich ja noch gar nicht auf Dich verlassen. Er stellt Dich auf die Probe, und dieser Probe wegen wird er nicht seine Person, seine Freiheit, sein ganzes Werk auf das Spiel setzen.«

Adolf zog ein etwas beschämtes Gesicht. Er sagte:

»Durchlaucht, Verzeihung! Ich sehe wieder einmal ein, daß Sie stets und immer unser Meister sind!«

»Du meinst also, daß ich Recht habe?«

»Gewiß!«

»So werde ich Dir ferner sagen, wie Alles kommen wird. Längst vor drei Uhr wird mein Palais von den Leuten des Hauptmannes umzingelt sein. Sie werden sich im Garten und überall verstecken. Sie erwarten, bei mir einen glänzenden Fang zu thun; daher werden sie zahlreich kommen. Bei ihnen wird allerdings der Hauptmann sein; aber in das Innere des Hauses wird er sich nicht wagen.«

»Das leuchtet mir allerdings ein.«

»Einer seiner besten Leute wird an das Thor kommen; aber sobald Du öffnest, werden Mehrere hinzutreten. Sie werden sich Deiner Person versichern, um Dich sofort zu tödten, wenn sie eine Spur von Verrath merken.«

Der verlorne Sohn
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