»Ist es aber nicht, da ich mich ruhig bestehlen lassen werde.«
»Aber, mein Gott, die Kostbarkeiten?«
»Pah! Sie werden sich täuschen. Was wirklich kostbar und unverschlossen ist, das werden wir entfernen. Sie werden weiter nichts finden als meine Juwelen.«
»Diese sind aber Millionen werth!«
»Die ich im Schranke habe, ja. Aber Du wirst jetzt zu dem kleinen Juwelenhändler gehen und die Geschmeidesachen holen, die ich ihm zur Reparatur gegeben habe; dann – –«
»Ich war bereits bei ihm.«
»Ach! War er fertig?«
»Ja. Ich habe die Sachen mit.«
Er ging in das Nebenzimmer zurück und holte die beiden Kästen herein; dann gab er seinem Herrn die Schlüssel. Dieser öffnete und packte den Inhalt aus, um Stück für Stück genau zu untersuchen. Adolf stand ganz geblendet dabei. Das war ein Schatz, ein Reichthum, dessen Höhe er nicht im Entferntesten zu taxiren vermochte. Als der Fürst das letzte Stück betrachtet hatte, legte er es befriedigt fort und sagte: »Alle diese Sachen werden mir heute Nacht gestohlen werden.«
Adolf konnte nicht an sich halten. Er sagte:
»Durchlaucht, wenn Sie diese Kostbarkeiten nun dann nicht wieder zu erlangen vermögen?«
»Pah!« lächelte der Fürst. »Wie hoch schätzest Du ihren Werth?«
»Auf Millionen natürlich!«
»Wenn das wirklich wäre, so würde ich ihren Verlust nicht riskiren. Alle diese Sachen zusammen sind nicht tausend Gulden werth.«
Der Diener warf einen langen, erstaunten Blick auf seinen Herrn. Dieser nickte ihm vergnügt zu und meinte:
»Und diese tausend Gulden wende ich daran, um zu erfahren, wer der Hauptmann eigentlich ist. Was Du hier siehst, ist Alles, Alles unecht. Dieses Gold wird in vier Wochen schwarz sein; die Perlen sind nachgemacht, und die Steine sind nichts als Glasfluß, allerdings höchst täuschend gearbeitet. Meine echten Kleinodien werden fortgeräumt und die falschen an ihre Stelle gelegt. Der Hauptmann wird aus seinen Himmeln fallen, wenn er erkennt, daß er betrogen wurde.«
»Ah, Durchlaucht, da wird mir das Herz wieder leicht. Das ist ein Streich, wie nur Sie ihn ersinnen konnten. Wann räumen wir diese Sachen in den Schrank?«
»Jetzt noch nicht. Ich vermuthe, daß vorher eine Person kommen wird, der ich die echten zeigen muß. Wenn mich meine Berechnung nicht täuscht, werde ich heute den Besuch einer Dame bekommen. Ich werde mich mit ihr in meinem Zimmer unterhalten. Du wartest im Vorzimmer. Wenn ich klingele und ein Glas Wasser verlange, so ist dies ein Zeichen für Dich, an Deinen Posten zu gehen – –«
»An welchen?« fiel der Diener ein.
»Du bringst mir das Glas Wasser und sagst mir dabei, daß der Haushofmeister mir die gewünschte Rechnung vorlegen wolle. Du kehrst in das Vorzimmer zurück, verlässest dasselbe aber so leise wie möglich. Dort steckst Du Dich unter den Tisch, dessen Decke Dich vollständig verbergen wird. Du nimmst eine solche Stellung ein, daß Du den Geschmeideschrank im Auge hast, und wartest, was da kommen werde. Du kennst Stück für Stück der Kleinodien, welche sich dort befinden?«
»Sehr genau.«
»Sollte etwas passiren, so siehst Du dann nach, was fehlt, schreibst es mir auf, steckst den Zettel in ein Couvert als einen Brief, welcher soeben abgegeben wurde. Ist es nöthig, so schreibe ich die Antwort, welche Du öffnest und im Vorzimmer liesest, um Dich darnach zu richten! Hast Du Alles verstanden?«
Das Gesicht, welches der Diener machte, berechtigte allerdings zu dieser Frage.
»Verstanden wohl, aber nicht begriffen,« antwortete er.
»Nun, die betreffende Dame wird, wie ich vermuthe, sich während meiner Abwesenheit in mein Toilettenzimmer begeben, um sich mit dem Schranke zu beschäftigen. In welcher Weise sie dies thun wird, das weiß ich jetzt noch nicht, werde es aber dann sofort durch Dich brieflich erfahren. Laß sogleich anspannen. Anton fährt mit.«
Während der Diener diesen Befehl vollführte, brachte der Fürst das falsche Geschmeide in Verwahrung und machte dann Toilette. Als er dann unten in den Wagen stieg, befahl er: »Zum Baron von Helfenstein!«
Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf Anton. Dieser verneigte sich verständnißinnig und sprang hinten auf. Die Equipage setzte sich in Bewegung. Am Palaste des Barons angekommen, begab sich der Fürst zur Baronin; der Diener blieb nicht beim Wagen, sondern trat auch ein, um womöglich ein Wort mit der Zofe sprechen zu können.
Ella von Helfenstein war sehr erfreut, als sie den Fürsten bei sich eintreten sah. Auf seine Entschuldigung, daß er bereits wieder bei ihr vorspreche, erwiderte sie: »Sie sind stets hoch willkommen, Durchlaucht. Wie gut aber, daß Sie nicht eine Viertelstunde später kommen.«
»Sie wollten ausfahren? Ah, ich bedaure! Ich werde Sie also um meine sofortige Verabschiedung bitten müssen.«
»O nein, nein! Ich wollte nur auf einige Augenblicke zu Oberst von Hellenbach, um mich nach Fanny’s Befinden zu erkundigen.«
»Auch ich will nachher zum Oberst, und zwar zu dem gleichen Zwecke. Die junge Dame ist aller Theilnahme werth. Sie hat sich wirklich heldenmüthig bewiesen. Sie befand sich in Lebensgefahr.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Gewiß! Dieser Bormann soll ja ein Mensch sein, dem selbst das Schlimmste zuzutrauen ist.«
»Das habe ich bisher auch gedacht. Aber wird sich ein solcher Mensch denn wirklich mit einem maladen Subject verbinden, wie Derjenige ist, den man mit ihm gefangen hat?«
»Sie meinen den Schreiber? Ich las von ihm. Beinahe aber möchte ich sagen, daß ich an der Schuld dieses jungen Mannes zweifle.«
»Ah! Warum?«
»Wie soll er zu dem Riesen gekommen sein?«
»Diese Frage wird die Untersuchung beantworten. Aber, Durchlaucht, sind Sie gekommen, damit wir uns mit einem so außerordentlich widerwärtigen Thema beschäftigen?«
»Allerdings nicht. Ich beabsichtigte, dem Oberst meinen Besuch zu machen und im Vorüberfahren Ihnen meine Ergebenheit zu beweisen.«
»Nur im Vorüberfahren?« fragte sie schmollend.
»Wünschen Sie, daß ich eine längere Pause mache?«
»Gewiß. Oder wäre Ihnen unsere letzte Unterredung wieder entfallen? Das wäre ja beinahe beleidigend für mich.«
»Ich bin ganz glücklich, daß ich mich eines ausgezeichneten Gedächtnisses erfreue, wenn sich dasselbe auch leider oft mit Dingen zu beschäftigen hat, welche viel, viel weniger interessant sind als der Gegenstand unserer Unterhaltung.«
»Darf ich vielleicht erfahren, welche Dinge dies sind?«
»Ich beschäftige mich sehr viel mit Wissenschaften.«
»Darum sind Sie so ernst. Hätte ich das Recht, Ihnen zu befehlen, so würde ich Ihnen diese Beschäftigung verbieten.«
»Sie würden mir etwas entziehen, was im Stande ist, dem Menschen die reinsten Freuden und Genüsse zu gewähren.«
»Genüsse? Sollten diese alten, trockenen Bücher wirklich glücklich machen können? Ich meine, man sollte sein Glück ganz anderwärts suchen. Die Wissenschaft macht menschenscheu; sie drängt zur Einsamkeit. Darum schließen auch Sie sich ab, während Sie doch berufen sind, der Oeffentlichkeit anzugehören. Sie sind reich, sogar unermeßlich reich, wie man sagt. Sie besitzen eine Einrichtung, wie es keine zweite in der Residenz giebt. Warum öffnen Sie Ihr Haus nicht den Kreisen, welche sich nach der Erlaubniß sehnen, bei Ihnen Zutritt zu erlangen?«
Er bemerkte gar wohl, welches Ziel sie mit ihrer Frage zu erreichen strebte, darum antwortete er: »Sollte es wirklich Jemand geben, den es so sehr verlangte, meine Räume zu betreten?«
»Gewiß, gewiß!«
»Darf ich vielleicht um Namen bitten?«
»Ich könnte sehr viele nennen, aber ich will mich mit einem begnügen, zumal ich annehme, daß dieser eine hinreichend sein wird, Sie zu überzeugen, wie grausam Sie handeln, indem Sie sich abschließen.«
»Ich bin ganz Ohr, diesen Namen zu hören.«
»Ella von Helfenstein.«
»Ah, das ist ja der Ihrige!«
»Allerdings. Genügt er nicht, Sie zur Besserung zu bewegen?«
Er blickte ihr voll in die Augen. Dieser Blick hatte etwas Triumphirendes an sich. Er erkannte ja, daß er mit seinen Vermuthungen, die immerhin verdienten, kühn genannt zu werden, das Rechte getroffen hatte. Sie aber verstand diesen Blick ganz anders. Sie las aus demselben den Triumph, sie besiegt und erobert zu haben, darum fuhr sie fort: »Darf ich hoffen, daß meine erste, allerdings unausgesprochene Bitte in Erfüllung gehen werde?«
Sein Gesicht wurde ernst.
»Ella,« sagte er, »wollen Sie mich zwingen, der Einsamkeit zu entsagen, die mir so lieb geworden, so unentbehrlich ist? Wollen Sie mich zwingen, mich in Gesellschaften zu zerstreuen, deren Glieder mir innerlich fern stehen und mir stets fremd bleiben werden?«
»Nein, das will ich nicht, ganz gewiß nicht. Aber sagen Sie, Durchlaucht, bin auch ich Ihnen fremd?«
»Welche Frage!«
Da trat sie zu ihm heran, legte ihm den vollen Arm auf die Schulter und fragte in ihrem süßesten Tone:
»Also nicht? Ich bin Ihnen nicht fern?«
»Ich beteure Ihnen, daß Sie mir unendlich nahe stehen!«
Er sagte mit diesen zweideutigen Worten allerdings das Richtige; denn sie stand ganz nahe bei ihm, so nahe, daß ihr Körper den seinigen berührte.
»Nun, dann bin ich zufrieden,« versicherte sie. »Dann ist es ja gar nicht meine Absicht, Sie für Andere zu gewinnen. Ich würde dann am Allermeisten verlieren. Aber, Durchlaucht, dann dürfen Sie doch wenigstens mir gewähren, was Sie Anderen versagen!«
»Den Zutritt zu mir?«
»Ja. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich vor Verlangen brenne, die Räume zu sehen, welche Sie bewohnen. Ich muß erfahren, wie und wo Derjenige lebt und wohnt, dem – ich so nahe stehe. Ist dieser Wunsch so ganz und gar unerfüllbar?«
»Nein, Ella, er ist nicht nur erfüllbar, sondern er erfüllt mich sogar mit inniger Freude, mit Entzücken. Aber –«
Sie wartete, daß er fortfahren solle, als er jedoch schwieg, fragte sie in schmeichelndem Tone:
»Soll ich mich mit diesem Aber zufriedengeben?«
»Ist es denn möglich, Sie allein bei mir zu empfangen?«
»Ich soll also die Einzige sein, der Sie Ihr Sesam öffnen?«
»Es giebt allerdings nur eine allereinzige Person, der ich eine Ausnahme gestatte, und diese Person sind Sie.«
»Und Sie meinen, daß ich diese Erlaubniß nicht benützen kann?«
»Die Dehors –«
Da legte sie ihm auch die andere Hand auf die Schulter, neigte sich zu ihm, der auf dem Stuhle saß, nieder und fragte: »Kennt die Liebe eine Dehors? Nein! Sie hat ihre eigenen Gesetze und denen gehorcht sie, ohne zu fragen, ob sie nach den kalten Regeln der Convenienz handelt. Darf ich kommen?«
Er that, als ob er nur ihrem liebevollen Drängen weiche:
»Ja, Ella.«
»Wann?«
»Wollen Sie das nicht selbst bestimmen?«
»Gut! Heute?«
»Ah, heute bereits?«
Er that, als ob er beinahe erschrocken sei. Sie stieß ein kurzes, goldenes Lachen aus und fragte:
»Sind Sie bereits für anderwärts engagirt?«
»Nein. Ich werde während des ganzen Abends zu Hause sein.«
»Gut, so komme ich!«
»Aber – der Baron!«
»Der Baron? Mein Mann? Pah! Er wird sehen und bemerken, daß ich ausfahre, weiter nichts. Er ist rücksichtslos gegen mich und so bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig.«
»So werde ich Sie also erwarten.«
»Aber nicht für kurze Zeit. Ich lasse meinen Wagen wieder zurückgehen. Sie werden die Güte haben, mich dann nach Hause fahren zu lassen. Ich quartiere mich förmlich bei Ihnen ein. Ich muß mich ganz genau bei Ihnen umsehen, um zu wissen, in welche Umgebung ich Sie zu versetzen habe, wenn ich an Sie denke und von Ihnen träume. Ist Ihnen das unangenehm?«
»Wollen Sie mich kränken, gnädige Frau?«
»Gnädige Frau! Wie kalt!«
»Und doch bediene ich mich dieses Ausdruckes mit vollem Rechte. Ich bedarf Ihrer Gnade. Ich werde für einen ganzen Abend dem Eindrucke Ihrer Schönheit vollständig schutzlos preisgegeben sein.«
»Nun, so wird es auf Sie selbst ankommen, ob ich Gnade walten lasse. Für jetzt fühle ich keinen Beruf dazu.«
Er fühlte, daß sie im Begriffe stand, sich inniger an ihn zu schmiegen; darum erhob er sich rasch und trat einen Schritt zurück.
»Ich hoffe doch nicht, daß Sie bereits wieder aufbrechen wollen!« sagte sie, indem ihr Gesicht den Ausdruck der Enttäuschung zeigte.
»Ich bin leider dazu gezwungen. Da ich so glücklich sein werde, Sie den ganzen Abend bei mir zu sehen, muß ich die kurze Zeit bis dahin den Geschäften widmen, welche nöthig sind.«
Er sah, daß sie eine Liebkosung, einen Abschiedskuß erwartete, aber es gelang ihm doch, mit einer bloßen Verbeugung zu entkommen. Hätte er gewußt, daß sie von Seidelmann geküßt worden war, so wäre seine Abscheu gegen sie noch viel größer gewesen. Vielleicht hätte er in diesem Falle sogar auf ihren Besuch verzichtet.
»Welch’ schöner Mann!« flüsterte sie, als er fort war. »Ich möchte fast glauben, daß ich ohne ihn nicht zu leben vermag. Ich liebe ihn, ich liebe, liebe, liebe ihn! Ich könnte für ihn Alles, Alles, Alles thun! Ich könnte stehlen, morden – ich könnte sogar meinen Mann, diesen – ah! – verrathen!«
Und er, der Fürst, als er nach der Treppe schritt, schüttelte sich und flüsterte leise:
»Gemeines Weib! Sie besucht mich, des Abends, allein! Ich verachte sie mit jeder Faser meines Herzens; aber ich darf sie nicht von mir weisen, wenn ich siegen will.«
Als er unten einstieg, flüsterte ihm der Diener zu:
»Ein anderes Arrangement mit der Zofe getroffen!«
»Wieso?«
»Wir gehen nicht zum Ball.«
»Schön! Ihr werdet allein sein. Die Baronin besucht mich für den Abend. Das Uebrige nachher!«
Er fand die Familie des Obersten allein. Sie fühlten sich Alle durch seinen Besuch im höchsten Grade geehrt und geschmeichelt. Natürlich war der Einbruch der alleinige Gegenstand des Gespräches. Der Oberst zeigte sich sehr befriedigt, daß man die Rücksicht gehabt hatte, seine Tochter nicht an Gerichtsstelle zu verhören. Der Assessor war selbst gekommen, um ihre Aussage zu Protocoll zu nehmen. Grad als man noch darüber sprach, trat der Diener ein und meldete: »Herr Assessor von Schubert.«
»Ah, jedenfalls etwas Neues und Wichtiges!« meinte der Oberst. »Der Herr mag eintreten.«
Der junge Untersuchungsrichter folgte der Einladung und wurde dem Fürsten vorgestellt, vor dem er sich respectvoll verbeugte.
»Ich habe sehr um Verzeihung zu bitten, daß ich Zutritt nehme,« sagte er, »zumal es eigentlich nichts Zwingendes ist, was mich dazu veranlaßt. Ich komme, um Ihnen, gnädiger Herr, eine Bitte oder vielmehr zunächst eine Frage vorzutragen.«
»Ich stehe gern zur Verfügung,« antwortete der Oberst.
Und als der Assessor einen halben fragenden Blick auf den Fürsten warf, fuhr der Oberst fort:
»Ist der Gegenstand Ihres Besuches ein Amtsgeheimniß?«
»Allerdings nein.«
»So werden Durchlaucht gestatten, Sie zu hören«
»Gewiß!« antwortete der Genannte. »Ich nehme so aufrichtig Theil an den Schicksalen Ihrer lieben Familie, daß ich mich für dieselben ebenso interessire wie für meine eigenen Angelegenheiten. Natürlich setze ich voraus, daß meine Anwesenheit dem Herrn Assessor nicht störend erscheint.«
»Nicht im Geringsten,« antwortete der Beamte. »Es handelt sich um den angeschuldigten Bertram –«
»Ah!« meinte der Fürst. »Der junge Mann ist der Gegenstand des allgemeinen Stadtgespräches. Man kann sich nicht denken, wie der Riese sich mit ihm verbinden konnte.«
»Das ist auch mir ein Räthsel.«
»Hat er gestanden?«
»Kein Wort. Ich habe überhaupt noch kein Verhör mit ihm vornehmen können. Er liegt entweder in vollständiger Lethargie, oder er phantasirt. Er scheint krank zu sein.«
»Oder zu simuliren!« bemerkte der Oberst.
»Der Untersuchungsrichter ist gezwungen, dies zunächst anzunehmen; in der Folge aber bin ich beinahe zu der festen Ueberzeugung gekommen, daß von einer Verstellung keine Rede ist.«
»Nun, wenn er in Wirklichkeit phantasirt, so läßt sich aus seinen Reden vielleicht auf den Gegenstand der Untersuchung schließen?«
»Nicht im geringsten. Er ruft immer: ›O Nacht, Nacht, Nacht!‹ oder er declamirt Verse.«
»Bekannte Verse?«
»Das eine Gedicht hat die Fee des Meeres zum Gegenstande, und das andere ist die Nacht des Südens aus der Gedichtsammlung des Hadschi Omanah.«
»Sonderbar!«
»Höchst sonderbar! Er scheint körperliche Schmerzen zu leiden. Er hat sein Lager zerstört und zerrissen, vielleicht unter dem Eindrucke dieses Schmerzes. Heut haben wir ihn zur Leiche seines Vaters geführt. Wir glaubten, ihn zum Sprechen zu bringen, aber vergebens. Und morgen – ah, das ist eben der Gegenstand, welcher mich zu Ihnen führt.«
»Wenn Sie einen Wunsch auszusprechen haben, soll es mich freuen, ihn erfüllen zu können!«
»Diese Erfüllung ist möglich, allerdings nur in Rücksicht auf die Eigenthümlichkeit der Veranlassung. Sie haben bereits gehört, daß der Pflegevater dieses jungen Mannes vor Schreck gestorben ist?«
»Gewiß!« antwortete Fanny. »Es mag entsetzlich sein! Der Sohn ein Einbrecher, der Vater todt vor Schreck und die kleinen Kinder nun im Waisenhause! Die Familie soll da drüben auf der Wasserstraße gewohnt haben, so, daß man von uns grad in ihre Fenster blicken kann. Ich vermag nicht, einen Blick hinüber zu senden!«
»Es ist Ihnen von da drüben so Schlimmes gekommen,« sagte der Assessor. »Ich kann den Zusammenhang nicht begreifen. Ich vermag nicht einzusehen, wie der Riese aus dem Gefängnisse heraus zu dem Schreiber kommt.«
»Es giebt zwei Erklärungen,« bemerkte da der Fürst.
Die anderen blickten ihn erwartungsvoll an, und der Assessor sagte rasch:
»Durchlaucht geruhen, von Erklärungen zu sprechen? Mir scheint für jetzt eine Erklärung noch unmöglich; ich würde bereits für einen Fingerzeig im höchsten Grade dankbar sein!«
»Nun, glauben Sie, daß Bertram’s Unschuld ausgeschlossen ist?«
»Ich verurtheile keinen Angeklagten, ehe ich nicht überzeugende Beweise seiner Schuld habe.«
»So giebt es also zwei Fälle: Entweder ist Bertram schuldig oder er ist es nicht. Im ersteren Falle müssen wir wohl annehmen, daß er mit dem Riesen den Einbruch nicht direct hat besprechen können.«
»Das ist zweifellos sicher.«
»Also muß es eine dritte Person geben, welche den Plan dazu entworfen hat.«
»Und wer könnte das sein?«
»Haben Sie nicht an den ›Hauptmann‹ gedacht, Herr Assessor?«
»Gewiß. Ich bin sogar auf ihn hingewiesen worden. Bormann nämlich behauptet, von dem Schließer herausgelassen worden zu sein; dieser aber stellt dies ganz entschieden in Abrede. Er will nicht das geringste davon wissen und sagt, daß es nur der Hauptmann gewesen sein könne, welchem es auf irgend eine, bis jetzt noch unerklärliche Weise gelungen sei, den Riesen aus dem Gefängnisse zu befreien.«
»Das ist wohl möglich,« meinte der Fürst.
Er wollte fortfahren, aber der Assessor fiel ihm in die Rede:
»Auf welche Weise meinen Durchlaucht?«
»Die Art und Weise ist auch mir dunkel, doch habe ich einen sehr guten Grund, zu glauben, daß der ›Hauptmann‹ seine Hand wirklich im Spiele hatte. Ich werde nachher diesen Grund näher bezeichnen. Vorher aber muß ich auf meinen unterbrochenen Satz zurückkommen.«
»Die Annahme, daß Bertram schuldig ist?«
»Ja. Ist er wirklich schuldig, so ist als sicher zu denken, daß er ein Untergebener des Hauptmannes ist.«
»Der Schluß ist richtig, obgleich es mir nicht wahrscheinlich sein will, daß der Hauptmann sich dieser Art von Kräften bedient.«
»Nun, so kommen wir zu unserem zweiten Falle, Herr Assessor. Bertram ist unschuldig!«
»Welchen Grund gäbe es, dies anzunehmen?«
»Gnädiges Fräulein bemerkten vorhin, daß man von hier aus die Fenster von Bertram’s Wohnung sehen könne?«
»So ist es,« antwortete Fanny von Hellenbach. »Ich habe mich orientirt. Ich kann von meinem Zimmer aus fast gerade in diese Fenster blicken.«
»In diesem Zimmer hat der Einbruch stattgefunden?«
»Ja.«
»Wenn man hinüberblicken kann, so ist anzunehmen, daß man auch von drüben herüber in die Fenster dieses Zimmers sehen kann!«
»Gewiß!«
»Gnädiges Fräulein, brannte bei Ihnen Licht, als die That geschah?«
»Ja.«
»Ah! Denken Sie sich Bertram, zu derselben Zeit drüben an seinem Fenster stehend. Er blickte herüber nach dem erleuchteten Fenster. Er sah, daß dasselbe von außen geöffnet wurde, er erblickte die Gestalt oder auch wohl nur den Schatten eines Mannes, welcher einstieg, jedenfalls in verbrecherischer Absicht; er folgte dem augenblicklichen Drange seines Herzens, diese Absicht zu vereiteln!«
»Das läßt sich allerdings als möglich denken; aber er war bewaffnet und hatte die geraubte Kette in der Hand, als er ergriffen wurde. Diese beiden Punkte fallen schwer in’s Gewicht.«
»Sollten sie sich nicht auch erklären lassen? Wie ist der Riese an die Mauer gekommen?«
»Er befand sich, wie sich zeigte, in dem Besitze einer eisernen, ausgezeichnet construirten und zusammenlegbaren Leiter. Diese diente aber nur zur Ersteigung des Fensters. Er ist zweifelsohne durch das Haus der Wasserstraße herübergekommen. Der Schlüssel zu diesem Hause fand sich in seiner Tasche, und die Gartenmauer, welche beide Grundstücke trennt, hat er mit Hilfe einer Holzleiter erklettert, welche zu dem Hause der Wasserstraße gehörte.«
»Ja. Sie wurde von den Polizisten bemerkt, nachdem die Arretur vollbracht war.«
»Ist das Messer recognoscirt worden?«
»Ja. Die kleinen Geschwister des Angeklagten, welche sich im Waisenhause befinden, sagten aus, daß es ihnen gehört habe.«
»Und wo hat sich der Angeklagte vor der That befunden?«
»Die Kleinen konnten darüber nichts sagen. Nun ist zwar noch eine größere Schwester vorhanden, aber diese scheint infolge des Schreckes geistig gestört zu sein –«
»Dieses arme Mädchen!« fiel Fanny ein.
»Ich nahm sie in’s Verhör,« fuhr der Assessor fort. »Sie konnte sich zwar besinnen, daß ihr Bruder zum Abendbrot geladen gewesen sei, aber wo, das war ihr entfallen. Er war dann nach Hause gekommen und in seine Kammer gegangen, nach einiger Zeit aber in höchster Aufregung zurückgekommen und zum Zimmer hinausgesprungen.«
»Ah, meine Vermuthung!« sagte der Fürst. »Das ist es, was ich wissen wollte! Lassen Sie mich fortfahren! Bertram also erblickte den Einbrecher von Weitem; er faßt den Entschluß, die That zu vereiteln. Die Seinen können ihm dabei nicht helfen, darum hält er es für besser, ihnen gar nichts zu sagen, um sie nicht zu beunruhigen. Er ergreift das Messer, rennt die Treppen hinab und in den Hof; dort liegt die Leiter. Er klimmt hinauf, springt drüben hinab und eilt auf die Hinterseite dieses Hauses zu. Dort erblickt er die Leiter, welche zum Fenster emporführt. Er klettert eiligst hinan, findet das Fenster offen, steigt ein und sieht den Einbrecher bei seinem Raube. Er will ihn hinweg schleudern, reißt ihm dabei die Kette aus der Hand, und in diesem Augenblicke dringen die Polizisten in das Zimmer. Sie sehen ihn mit Kette und Messer; sie halten ihn also für einen Complicen des Riesen und nehmen ihn gefangen. Ist das nicht denkbar, Herr Assessor?«
Der Beamte war den Worten des Fürsten mit größter Spannung gefolgt. Jetzt sagte er:
»Durchlaucht, ich bewundere höchst Dero außerordentliche Kombinationsgabe. Es ist, als ob man bei der Handlung zugegen wäre. In diesem Augenblicke lerne ich dem Ereignisse allerdings eine ganz andere Seite abzugewinnen.«
»Das soll mich außerordentlich freuen!«
»Ich erinnere mich, daß zwei der Polizisten sagten, welche am hinteren Thore Wache hielten daß sie einen Menschen eiligen Laufes von drüben herkommen sahen, welcher die Leiter erklimmte. Darauf hörten sie oben einen Ruf ›Zurück, Elender!‹ oder so ähnlich, und dann –«
»Ja,« fiel Fanny schnell ein, »das waren die Worte, welche auch ich gehört habe.«
»Hat einer der Polizisten sie gesprochen?« fragte der Fürst.
»Ich muß mich erkundigen,« antwortete der Assessor.
Der Fürst zuckte die Achsel und sagte in höflichem Tone, dem aber doch eine Art von Strenge anzuhören war:
»Diese Antwort hätte ich nicht erwartet!«
»Warum?«
»Weil gerade darauf, wer diese Worte gesprochen hat, so sehr viel ankommt.«
Man sah, daß der Beamte mit sich selbst kämpfte. Er fühlte gar wohl den Vorwurf, welcher in diesen Worten lag; aber er war zu pflichtgetreu, um sich von einem falschen Zorne übermannen zu lassen, und er gestand in edler Freimüthigkeit: »Ich habe ganz dieselben Worte aus dem Munde des phantasirenden Bertram gehört.«
»Wirklich? Ah, so ist es höchst wahrscheinlich, daß er es ist, der diesen Ruf ausgestoßen hat. Und in diesem Falle muß ich annehmen, daß meine Combination das Richtige getroffen hat.«
»Es sollte mich herzlich freuen, wenn sich dies bewahrheitete. Diese Nummer Elf der Wasserstraße ist vom Unglück –«
»Nummer Elf?« fiel der Fürst ein.
»Ja, Durchlaucht.«
»Nummer Elf! Wasserstraße Nummer Elf! Robert Bertram Wasserstraße Nummer Elf! Ah! Wo habe ich diese Adresse doch bereits einmal vernommen?«
Er blickte nachdenklich vor sich nieder und wiederholte diese Worte noch einige Male; dann aber sprang er plötzlich auf. Ueber sein Gesicht leuchtete es wie eine helle Erinnerung. Er wendete sich an den Assessor: »Er declamirt in seinen Phantasien das Gedicht von der Nacht des Südens?«
»Ja, Durchlaucht.«
»Er spricht das Wort ›Nacht‹ öfters aus?«
»Ja, und zwar in einem geradezu anbetenden Tone.«
»Erinnern Sie sich, in welchem Verlage die Gedichte von Hadschi Omanah erschienen sind?«
»Bei Zimmermann hier.«
»Ah! Welch’ eine Entdeckung! Welch’ eine Entdeckung! Herr Assessor, ich setze eine Million Gulden zum Pfande, daß dieser Robert Bertram unschuldig ist, vollständig unschuldig!«
Diese Worte brachten einen außerordentlichen Eindruck hervor, zumal der Fürst sich ganz von seiner Idee begeistert zeigte. Seine Augen leuchteten auf Fanny in einem räthselhaften Lichte.
»Ich möchte das gern beweisen können,« sagte der Beamte. »Aber woher den Beweis nehmen?«
»Die Psychologie liefert den Beweis, die Psychologie, Herr Assessor!«
»Darf ich fragen, auf welche Weise?«
»Jetzt nicht, hier nicht, später, morgen! Aber ich bin vollständig überzeugt, Ihnen den Beweis liefern zu können. Lassen Sie mich lieber auf meinen ersten Punkt zurückkommen, auf die Annahme, daß der ›Hauptmann‹ dem Riesen aus dem Gefängnisse geholfen hat. Wer, Herr Assessor, hat die Anzeige gebracht, daß ein Einbruch stattfinden soll?«
»Ein Kunstmaler Brenner.«
»Woher wußte er es?«
»Vom Fürsten des Elendes.«
»Das ist es, was ich hören wollte. Dieser räthselhafte Fürst des Elendes scheint besser unterrichtet zu sein, als selbst die Beamten. Ich machte heute eine Spazierfahrt. Unterwegs bat mich ein Herr, welcher sich den Fuß vertreten hatte, ihn mit in mein Coupée zu nehmen, und ich that es. Wir unterhielten uns, unter Anderem auch von den Tagesneuigkeiten und von dem Einbruche. Der Fremde behauptete, daß der ›Hauptmann‹ den Riesen befreit habe, nur für kurze Zeit, nur für die Zeit des Einbruches. Der Riese mußte sich ein Maal auf die Wange machen. Fräulein von Hellenbach mußte dieses Maal sehen, sie mußte es später bei der Anzeige erwähnen. Der Einbrecher nannte sich Bormann; er hatte ein Maal. Der echte Bormann hat kein Maal; daraus konnte der Vertheidiger des Riesen bei einiger Geschicklichkeit den Schluß ziehen, daß es einen Menschen gebe, welcher dem Angeklagten täuschend ähnlich sehe. Ja, bei Raffinerie und falls Daten eintrafen, auf welche man gerechnet hatte, die aber durch die Entdeckung des Einbruches vereitelt wurden, konnte wohl gar bewiesen werden, daß der Riese an dem Verbrechen, wegen dessen er sich in Untersuchungshaft befand, unschuldig sei.«
»Eine kühne Behauptung,« meinte der Assessor.
»Das dachte ich auch; aber als ich erfuhr, wer es war, der diese Behauptung aufstellte, warf ich allen Zweifel bei Seite.« Nämlich als der Fremde ausstieg, wo ein Seitenweg von der Straße abzweigte, bedankte er sich und sagte: »Mein Herr, Sie werden manches meiner Worte wunderbar gefunden haben. Ich bin Der, den man den Fürsten des Elendes nennt!«
»Der Fürst des Elendes?« rief der Assessor.
»Der Fürst des Elendes?« fielen die Anderen ein.
»Ja,« antwortete der Gefragte. »Ich war mit dem Fürsten des Elendes gefahren, und nun glaubte ich Alles, was er behauptet hatte.«
»Wie sah er aus? Wie trug er sich?« fragte Fanny.
Der Fürst gab eine beliebige Beschreibung und wendete sich dann an den Assessor:
»Ich konnte ihm natürlich nicht folgen, auch verzichtete ich darauf, ihn zurück zu rufen, da dies jedenfalls vergeblich gewesen wäre; aber ich glaube annehmen zu dürfen, daß Sie meinem Berichte einen kleinen Fingerzeig entnehmen können.«
»Gewiß! Ueberhaupt bin ich ebenso erstaunt wie erfreut darüber, daß ich hier Aufklärungen finde, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Der Gang der Untersuchung wird von jetzt an ein ganz anderer werden, wenn auch der Grund bestehen bleibt, welcher mich zu Ihnen geführt hat. Da nämlich der Angeklagte nicht bei sich ist, so hat der Gerichtsrath beschlossen, ihn morgen mit zum Begräbnisse seines Vaters zu ziehen. Er hofft, daß die Feier einen wohlthätigen Eindruck auf den gestörten Geist Bertram’s äußern werde.«
»Hm!« meinte der Fürst. »Bertram soll wieder zu sich kommen? Erwartet man das?«
»Ja.«
»Die Möglichkeit ist allerdings vorhanden; aber bedenklich ist es doch, einen geistig gestörten Untersuchungsgefangenen bei einer solchen Gelegenheit zu zeigen.«
»Es wird ein außerordentliches Publikum vorhanden sein!«
»Das steht freilich zu erwarten; doch sieht der Herr Gerichtsrath darin keinen Grund, seinen Entschluß zu ändern.«
Der Fürst nickte leise vor sich hin. Er warf einen verstohlen prüfenden Blick auf Fanny und sagte dann:
»Hm! Vielleicht gäbe es ein einfacheres und untrüglicheres Mittel, den irren Geist wieder recht zu leiten!«
»Welches?«
»Sprechen wir auch darüber morgen, Herr Assessor! Ich bin für diesen Fall ganz außerordentlich interessirt und werde Sie, falls Sie es mir gestatten, am Nachmittage zu sprechen suchen.«
Der Assessor verbeugte sich höflichst und antwortete:
»Ich stehe natürlich zu Diensten, Durchlaucht. Wenn ich annehmen dürfte, daß der gnädige Herr Oberst sich in eben derselben Weise für Bertram interessirten, so –«
»Natürlich, natürlich!« fiel der Oberst ein. »In ganz genau derselben Weise! In hohem Grade! Seit Durchlauchts Vertheidigungsrede glaube ich, daß Bertram unschuldig ist!«
»Das giebt mir Muth, mich meines Auftrages zu entledigen. Es wird sich, wie bereits bemerkt, ein außerordentlich zahlreiches Publikum einfinden. Nicht nur die untern Stände werden vertreten sein, sondern ich bin überzeugt, daß auch höhere Herrschaften aus Theilnahme sich herbeigezogen fühlen werden.«
»Das läßt sich denken.«
»Werden der Herr Oberst vielleicht auch –«
Hellenbach machte ein so erstauntes Gesicht, daß der Assessor unwillkürlich inne hielt.
»Ich auch?« fragte er. »Wieso ich auch?«
»Aus Interesse.«
»Ach so! Hm!«
»Nebst Frau Gemahlin vielleicht?«
»Meine Frau auch? Wohl nicht!«
»Oder gnädiges Fräulein Tochter?«
»Meine Tochter? Fanny? Mit auf den Gottesacker?«
»Ich habe allerdings gewagt, mir dies als möglich zu denken!«
»Dann bedaure ich sehr! Man geht ungern auf Gottesäcker; bei solchen Veranlassungen nun ganz und gar nicht!«
»Ich hatte das Gegentheil gehofft.«
»Gehofft? Haben Sie einen Grund dazu?«
»Ja. Es wurde erwartet, daß, wenn nichts auf den Gefangenen einwirken werde, doch der plötzliche und unerwartete Anblick Fräulein von Hellenbach’s –«
»Unsinn!« fiel der Oberst ein.
Er stand im Begriff, eine kleine Strafpredigt zu beginnen; aber der Fürst legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sagte: »Bitte, bitte, Oberst! Seien wir mehr objectiv als subjectiv! Ich habe alle Veranlassung, dem Herrn Assessor beizustimmen!«
»Wie? Was? Ich soll nach dem Kirchhofe?«
»Ja.«
»Mit meiner Frau?«
»Vielleicht.«
»Und mit meiner Tochter?«
»Die Anwesenheit von Fräulein Fanny ist die Hauptsache.«
»Durchlaucht, ich gehe nicht!«
»Das ist zu bedauern!«
»Meine Frau auch nicht.«
Der Fürst zuckte die Achseln.
»Und Fanny am Allerwenigsten! Man gehört nicht zu den Leuten, welche einer jeden Leiche nachlaufen!«
Der Oberst war ärgerlicher, als er sich merken ließ. Er hatte allerdings sehr Recht; dennoch aber sagte der Fürst: »Ich möchte fast behaupten, daß Fräulein Fanny die Bitte des Herrn Assessors erfüllen wird.«
»Ich würde es ihr verbieten. Ich halte es unter meiner Würde –«
Der Fürst machte eine beschwichtigende Handbewegung und fragte:
»Würden Sie Ihr Verbot aufrecht erhalten, Herr von Hellenbach, selbst wenn ich sage, daß ich kommen werde, um das gnädige Fräulein abzuholen?«
»Sie? Sie wollen auch mit?«
»Ja.«
»Durchlaucht!«
»Ganz gewiß!«
»Sie erlauben, daß ich das nicht begreife.«
»Nun, so sehe ich mich gezwungen, von Dem zu sprechen, was ich erst morgen dem Herrn Assessor mittheilen wollte. Gnädiges Fräulein, können Sie sich der Worte entsinnen, welche ich aussprach, nachdem Sie mir die ›Nacht des Südens‹ vorgelesen hatten?«
»Ja, Durchlaucht,« antwortete Fanny, leise erröthend.
»Ich sagte, daß es ganz so sei, als ob Sie dem Dichter zu diesem Bilde gesessen hätten. Und jetzt habe ich erkannt, daß es wirklich so ist. Diese Nacht des Südens sind Sie!«
Sie blickte ihn befremdet an. Er lächelte und fuhr fort:
»Ich fand im Buchladen bei Zimmermann einen jungen Menschen, welcher vor Hunger kaum stehen konnte, und öffnete ihm meine Börse. Ich hörte, daß er für Zimmermann einen Band Gedichte geschrieben habe, und daß er Robert Bertram heiße und Wasserstraße Nummer Elf wohne. Das Letztere war mir entfallen, kehrte aber vorhin in mein Gedächtniß zurück. Da drüben an dem Fenster der ärmlichen Wohnung hat ein junger Mensch Abend für Abend gestanden, das Auge herüber auf dieses Haus gerichtet. Da hat es ein erleuchtetes Fenster gegeben, in dessen Rahmen zuweilen ein Frauenbild erschienen ist, so schön, so wunderbar, so entzückend! Es ist ihm gewesen, als sei eine Fee aus dem Märchenreiche erschienen oder ein Engel vom Himmel gestiegen. Er, drüben in der Mansarde, so arm, so elend, wie er ja singt in dem Liede, welches Sie selbst componirten:
›Es rauscht der Bach am Felsenspalt
Sein melancholisch Lied.
Hier ist’s so eng; hier ist’s so kalt,
Wo nie der Nebel flieht!‹
Und sie, da drüben, von Glanz und Reichthum umgeben. Er hat gewußt, wie hoch sie über ihm steht; aber die Sonne leuchtet auch dem Wurme, und er hat sie angebetet, wie der Parse die herrliche Königin des Tages anbetet. Die Erde hat ihn vernachlässigt; die Menschen haben ihn nicht bemerkt und beobachtet; das Leben ist hart und grausam gegen ihn gewesen; aber Gott hat ihm den Gesang verliehen, und als ihm das Herz zerspringen wollte vor Bewunderung und Verehrung des schier übernatürlichen Wesens, dessen Gestalt er täglich im Rahmen des Fensters erblickte, da hat er seinen letzten Pfennig für Papier ausgegeben und jenes unvergleichliche, hinreißende Gemälde gezeichnet:
›In ihren dunklen Locken blühn
Der Erde düftereiche Lieder;
Aus ungemess’nen Fernen glühn
Des Kreuzes Funken auf sie nieder,
Und traumbewegte Wogen sprühn
Der Sterne goldne Opfer wieder.
Und bricht der junge Tag heran,
Die Tausendäugige zu finden,
Läßt sie das leuchtende Gespann
Sich durch purpurne Thore winden,
Sein Angesicht zu schau’n und dann
Im fernen Westen zu verschwinden.‹
So hat er auch drüben gestanden und nach diesem Fenster herüber geblickt am Abende des Einbruches. Er hat den Verbrecher bemerkt und ist herüber gestürzt, die Herrliche zu retten. Der Lohn ist ihm dafür geworden: Er liegt im Kerker, gefangen, gefesselt, mit irrem Geiste. Er hat die ›Nacht des Südens‹, die unvergleichliche, gedichtet und ist in die gräßliche Nacht des Wahnsinns gefallen!«
Er hatte still, fast leise gesprochen; aber sein Auge leuchtete und seine Lippen bebten dabei. Fanny hatte ihm wortlos zugehört; sie war bleicher und bleicher geworden. Zuletzt hatte sie die Hand auf die Lehne des Stuhles gelegt, und jetzt sank sie auf den Sitz nieder, still, wortlos. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und bewegte sich nicht.
»Fanny, Fanny! Mein Kind!« rief ihre Mutter, indem sie herbeieilte und den Arm um sie schlang.
»Fanny, Mädchen! Was hast Du?« fragte der besorgte Vater.
Sie antwortete nicht; aber bald nahm sie die Hände weg; ihr Gesicht war blutleer; ihre dunklen Augen starrten unter dem Eindruck ihrer tief inneren Bewegung zu dem Fürsten empor, und fast tonlos fragte sie: »Durchlaucht, ist es wahr?«
»Ich vermuthe es.«
»Er ist Hadschi Omanah?«
»Ja.«
»Gott, mein Gott!«
Jetzt löste sich der Druck von ihrer Brust; sie fiel in ein bitteres, herzbrechendes Schluchzen. Niemand störte sie; man ließ sie gewähren. Endlich bat sie mit zitternder Stimme: »Sprechen Sie weiter!«
Der Assessor war den Worten des Fürsten mit vollster Aufmerksamkeit gefolgt. Es wurde ihm klar, was dieser meinte; er war voller Bewunderung über den Scharfsinn dieses seltsamen Mannes; er wendete sich zu ihm und bemerkte: »Eigenthümlich! Es hat sich als einziges Eigenthum des Gefangenen der Band von Hadschi Omanah vorgefunden, und zwar mit Randbemerkungen, deren Geistesreichthum mich erstaunen ließ.«
»Ein neuer Beweis, daß ich Recht habe.«
»Aber, Durchlaucht, wie kommen Sie zu dieser Sicherheit der Ueberzeugung, daß Bertram der Dichter jener Lieder ist?«
»Aus drei Gründen. Erstens, weil er mir sagte, daß er für Zimmermann einen Band Gedichte geschrieben habe.«
»Zweitens?«
»Die Persönlichkeit Fräulein Fanny’s, auf welche allein sich das Nachtgedicht beziehen kann.«
»Und drittens?«
»Der Umstand, daß er selbst im geistesirren Zustande dieses Gedicht recitirt. Herr Assessor, Sie haben Hadschi Omanah im Gefängnisse. Sein Verleger ließ ihn verhungern, und für Die, welche er zu retten suchte, ward er in Ketten gelegt!«
»Er muß frei sein: er soll frei sein! Herr Assessor, ich bitte Sie, geben Sie ihn heraus!«
»Kind, Kind, sei nicht so aufgeregt!« bat ihr Vater. »Was Du da verlangst, ist unmöglich!«
»Unmöglich zwar für heute,« fügte der Assessor bei; »aber ich werde dafür sorgen, daß die Stunde der Erlösung baldigst schlägt. Zunächst ist das Resultat des Begräbnisses abzuwarten.«
»Ich gehe mit!« rief Fanny.
»Kind! Tochter!« warnte der Vater.
»Durchlaucht,« wendete sie sich energisch an den Fürsten, »ich halte Sie beim Worte! Sie werden mich abholen!«
»Gewiß! Ich hoffe, Ihre Eltern werden es gestatten!«
»Ich werde meine Erlaubniß nun allerdings nicht länger verweigern,« antwortete der Oberst; »aber wissen müßte ich gewiß, daß Bertram wirklich Hadschi Omanah ist.«
»Und wenn er es nicht ist, soll er da nicht gerettet werden dürfen?« fragte der Fürst. »Der Anblick von Fräulein Fanny, die er in seinem letzten lichten Augenblicke gesehen hat, muß nothwendiger Weise von Einfluß auf ihn sein.«
»Man bringe ihn her!«
»Herr Oberst!« bat der Assessor.
»Gut, ja gut! Ich habe nichts dagegen!«
»Man sollte morgen früh den Buchhändler Zimmermann in die Zelle führen,« bemerkte der Fürst. »Er müßte ihn recognosciren.«
»Ich würde das veranlassen,« antwortete der Assessor. »Leider aber weiß ich, daß er verreist ist. Man muß also warten. Doch hoffe ich, daß ihm morgen die Ueberraschung sein Bewußtsein zurückbringt!«
Er hatte seine Sendung erledigt und verabschiedete sich. Auch der Fürst ging nach einiger Zeit. Er sah, in welcher inneren Aufregung sich Fanny befand; er sah dann die Gesichter ihres Vaters und ihrer Mutter umdüstert und winkte den Beiden Milde und Schonung zu.
Als Fanny dann sich in ihrem Zimmer befand, trat sie an das Fenster und blickte nach dem düsteren Hinterhause hinüber. War es in Wirklichkeit, daß da drüben die funkensprühenden Gedichte entstanden waren, welche alle Welt begeisterten? Sie fühlte ein tiefes, unbeschreibliches Wehe in ihrem Herzen. Sie weinte und weinte ohne Unterlaß. Es war, als ob ihr ganzes Wesen sich in Thränen auflösen wolle; dann klang es lind und leise, wie aus weiter Ferne zu ihr herüber, was sie selbst componirt hatte:
»Du meine süße Himmelslust,
O traure nicht und laß das Weinen;
Dir soll ja stets an treuer Brust
Die Sonne meiner Liebe scheinen!«
Ihre Thränen flossen langsamer; sie versiechten endlich; aber noch lange, lange Zeit saß das schöne Mädchen angekleidet auf dem Rande ihres Bettes, den traurigen Blick durch das Fenster gerichtet. In ihrem Herzen war es jetzt still geworden, obgleich ein zwar leises aber tiefes Weh sich um dasselbe legte. Doch neben diesem Weh wurde, ihr fast unbemerkt, ein Gefühl des Stolzes wach. Sie war die Nacht, die herrliche, lichtfunkelnde südliche Nacht; sie war es, die den Dichter zu dieser unvergleichlichen Schilderung begeistert hatte; sie war es, von welcher er geschrieben hatte:
»Und ihres Diadems Azur
Erglänzt von funkelnden Krystallen.«
War sie wirklich so schön? Hatte sie diese Begeisterung eines gottbegnadeten Dichters verdient? Sie fragte es sich nicht, und sie sagte es sich nicht; aber sie senkte in Demuth das schöne Haupt und faltete die Hände.
Durfte man das, was sie bei’m Gedanken an Bertram fühlte, Liebe nennen? Nein und abermals nein. Sie war die hochgeborne Tochter der Aristokratie, und er war der Sohn des armen, vor Schreck gestorbenen Schneiders. Die Kluft, welche zwischen Beiden lag, ließ gar keinen Gedanken an irgend welche tiefere Sympathie aufkommen. Aber doch, doch und doch war er nicht nur der Schneiderssohn, nicht nur das arme Kind des Proletariats, sondern er war auch Hadschi Omanah, der Dichter der »Heimat-, Tropen-und Wüstenbilder.« –Kurz nachdem der Fürst sich von Baronin Ella verabschiedet hatte, war der Baron, ihr Mann, bei ihr eingetreten. Ein eigenthümliches Lächeln spielte um seine Lippen, als er sagte: »Du hattest Besuch?«
»Ah, Du hast spionirt!« antwortete sie.
»Du bedienst Dich da eines höchst unpassenden Ausdruckes. Man braucht nur ganz zufällig am Fenster zu stehen, um die Equipage Deines Anbeters zu bemerken!«
»Vielleicht bete ich ihn mehr an, als er mich!« bemerkte sie piquirt.
»Nun, so betet einander nach Kräften an. Ein Bischen mehr oder weniger wird keinen allzu großen Unterschied machen. Nur stelle ich die Bedingung, daß es nicht bei der bloßen Anbetung bleibe!«
»Es fragt sich, ob ich mir die Bedingungen gefallen lasse; der Fürst nun wohl ganz und gar nicht.«
Er ließ sich bequem in einen Sessel nieder, richtete das Lorgnon auf sie, betrachtete sie unablässig aufmerksam und sagte: »War er nicht liebevoll genug?«
»Pah! Du erwartest doch wohl nicht eine Antwort?«
»Nein, denn ich kenne Dich. Aber Du bist so schlecht bei Laune, daß ich wirklich annehmen muß, daß der Unartige wohl gar den Abschiedskuß vergessen hat.«
»Wenn Du nur kommst, um mich Deine Ironieen kosten zu lassen, so kannst Du wieder gehen!«
»Ich werde bleiben, weil mich noch ein anderer Grund zu Dir führt. Als ich seine Equipage erblickte, dachte ich an das Versprechen, welches Du mir gegeben hast.«
Er blickte sie erwartungsvoll an; da jedoch keine Antwort erfolgte, fuhr er mit Betonung fort:
»Darf ich um eine Erklärung bitten?«
»Darf ich um den Wagen bitten?«
»Wozu?«
»Ich fahre aus.«
»Wohin?«
»Zum Fürsten.«
Sein Gesicht erheiterte sich. Er betrachtete sie mit einem wohlgefälligen Lächeln, ließ das Augenglas fallen und sagte: »Ah! So rasch gesiegt?«
»Ich bin es gewöhnt,« antwortete sie schnippisch.
»Hm!« hustete er.
»Wie? Moquirst Du Dich etwa? Habe ich nicht ebenso schnell auch über Dich gesiegt?«
»Pah! Wozu diese Erinnerungen!«
»Weil ich, wie Du ja selbst sagst, bei schlechter Laune bin. Die habe ich aber nur in Deiner Gegenwart!«
»Schön! Ich verstehe diese Andeutung und werde mich zurückziehen, da mir sonst auch meine gute Laune schwinden würde. Vorher aber muß ich doch fragen, was Du beim Fürsten zu thun gedenkst!«
»Was Anderes, als mir von ihm huldigen zu lassen!«
»Dieses Vergnügen gönne ich Dir, doch hoffe ich, daß Du dabei auch an mein Vergnügen denken wirst.«
»Ich werde möglichst Umschau halten.«
»Das ist sehr nothwendig, da ich mich veranlaßt sehe, dem Fürsten während der heutigen Nacht einen Besuch zu machen.«
»Ah!« rief sie überrascht. »Warum so bald?«
»Einer seiner Diener ist zu uns getreten. Da dieser Mann seine Stellung in Kurzem quittirt, bin ich gezwungen, mich so zu beeilen. Es würde mir äußerst angenehm sein, von Dir einen genügenden Fingerzeig zu erhalten.«
»Ich werde natürlich mein Möglichstes thun. Aber bist Du dieses Mannes auch sicher? Der Fürst ist nicht der Character, einem seiner Diener Veranlassung zu einem solchen Verrathe zu geben.«
»Pah! Er ist bis zum Exceß geizig!«
»Wirklich?«
»Gewiß. Ich habe mir haarsträubende Dinge über seine Sparsamkeit erzählen lassen.«
»Hm! Möglich! Vielleicht liegt in diesem Geize die Veranlassung zu der Zurückgezogenheit, in welcher er sich gefällt.«
»Ohne allen Zweifel! Wann fährst Du?«
»Wenn ich Toilette gemacht habe.«
»Natürlich bringt er Dich zurück?«
»Wenigstens hat er mir seinen Wagen versprochen.«
»Ich möchte Dich bis zehn Uhr zurück erwarten. Wird Dir das möglich sein?«
»Warum so früh?«
»Aus zwei triftigen Gründen. Erstens muß ich doch meine Vorbereitungen zu dem erwähnten Besuche treffen, und zweitens habe ich mit dem berühmten Künstler Bormann um Mitternacht einen kleinen Spaziergang vor.«
»Doch nicht nach der Frohnveste zu seinem Bruder?«
»Grad dieses!«
»Höre, sei nicht zu wagehalsig! Nimm Dich in Acht!«
»Pah! Woher kommt Dir diese plötzliche Sorge um mich? Oder betest Du auch mich noch an? Im Stillen natürlich nur, so pseudonym ungefähr!«
»Pah! Brich meinetwegen den Hals!«
»Meinst Du, der Witwenschleier werde Dich gut kleiden? Ich gebe Dir zu bedenken, daß Du mit mir zu Grunde gehen würdest. Ueber Deine Zärtlichkeiten magst Du nach Belieben verfügen; auf Deine anderweite Beihilfe aber kann ich nicht verzichten. Wir bleiben Compagnons, so lange wir leben. Apropos! Weißt Du Neues von diesem Bertram?«
»Nein.«
»Er ist verrückt geworden.«
»Er kann mich eigentlich dauern!«
»Pah! Er erhält seinen verdienten Lohn. Was hat er sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Dieser Knabe oder vielmehr Bube ist schuld, daß der Riese ergriffen wurde.«
»Ich denke der Fürst des Elendes hat Anzeige erstattet?«
»Das mag sein; aber nach Dem, was ich gehört habe, hätte der Riese durch das Fenster entkommen können, wenn nicht Bertram die Aufmerksamkeit auf dasselbe gezogen hätte. Morgen wird man den Letzteren nach dem Friedhofe bringen, wo er bei der Beerdigung seines Vaters zugegen sein soll.«
»Meiner Ansicht nach ein ganz unnützer Bühnencoup! Man denkt, ihn durch den Eindruck der Trauerfeierlichkeit wieder zum Bewußtsein zu bringen.«
»Hm! Müssen die anderen Geschwister auch mit?«
»Jedenfalls.«
»Auch die reizende Marie Bertram?«
Sie blickte ihn dabei, um ihn zu ärgern, höhnisch von der Seite an. Er bemerkte das, antwortete aber in ruhigem Tone: »Auch sie!«
»So wirst Du ihr Urlaub geben?«
»Urlaub? Wieso?«
»Nun, darf sie ohne Deine Genehmigung ausgehen?«
»Ich weiß wirklich nicht, was Du sprichst. Du redest manchmal so dummes Zeug, daß ich recht drastisch daran erinnert werde, daß die jetzige Baronin von Helfenstein einst die Kammerzofe einer echten Helfenstein gewesen ist.«
»Franz!«
Sie hatte sich erhoben und das Wort in drohendem Tone ausgesprochen. Beim Vornamen pflegte sie ihn nur dann zu nennen, wenn sie die Absicht hatte, ihm ihre Uebermacht fühlen zu lassen. Jetzt aber nahm er gar keine Notiz davon. Er strich sich die Spitzen seines Bartes aus und sagte: »Ich muß wirklich gestehen, daß Du keine sehr gute und aufmerksame Hausfrau bist. Wärst Du eine solche, so würdest Du vor allen Dingen die Zu-und Abgehenden unserer Bedienung kennen. Wie es scheint, ist es Dir bereits entfallen, daß Du diese Marie Bertram, weil sie Dir nicht genügte, sofort wieder aus dem Dienste entlassen hast!«
»Ich?« fragte sie erstaunt.
»Ja, Du! Ebenso werde ich, nicht Du, den Fürsten fortgejagt haben, wenn Du einst mit ihm unzufrieden bist.«
»Ich verstehe! Aber das, was Du da andeutest, steht hier niemals zu befürchten!«
»Warten wir es ab! Also bis zehn Uhr wirst Du zurück sein. Gelingt der Coup, wie ich erwarte, so weißt Du, daß ich nicht so geizig bin wie ein anbetender Fürst. Seine Wohnungen sollen von Kostbarkeiten strotzen. Was aber kann mir an Uhren und dergleichen liegen, mögen sie auch noch so werthvoll sein! Die Hauptsache ist, daß Du erfährst, wo sich seine Juwelen befinden. Haben wir die, so werden wir sogar seine Baarschaften liegen lassen. Der eiserne Geldschrank würde uns doch nur schlimme Arbeit machen. Von dem Hofjuwelier aber weiß ich, daß der Fürst bei ihm einen ungeschliffenen Diamanten im Werthe von einer halben Million taxiren ließ. Und solcher Steine soll er viele haben. Je liebenswürdiger Du mit ihm bist, desto offenherziger wird er gegen Dich sein und desto leichtere Arbeit werden wir dann haben.«
Sie zuckte verächtlich die Achsel.
»Man sieht abermals, wie nothwendig ich Dir bin,« sagte sie. »Aber – arbeitest Du selbst mit?«
Sie betonte das »arbeiten« stark. Natürlich hatte sie die Absicht, ihn mit diesem Terminus technicus zu beleidigen; er aber fragte im gleichmüthigsten Tone: »Warum erkundigst Du Dich?«
»Ich halte das Unternehmen nicht für ungefährlich. Der Fürst ist ein ungewöhnlicher Mann!«
»Ah, Du liebst mich dennoch! Ich danke Dir! Du bist außerordentlich besorgt um mich! Ich bin glücklicher Weise in der Lage, Dein banges Herz zu beruhigen. Ich werde zwar das Unternehmen leiten, das Palais aber nicht selbst betreten. Du kannst also ohne Sorge auf meine Rückkehr warten!«
»Spotte immerhin! Seit dem Auftauchen dieses sogenannten Fürsten des Elendes sind Euch alle Eure bedeutenderen Unternehmen mißglückt. Nehmt Euch wenigstens heute in Acht!«
Sie ließ ihn stehen und begab sich in das Nebenzimmer. Dort lauschte sie, bis sie hörte, daß er sich entfernte. Dann verließ sie ihre bisherige Kaltblütigkeit. Sie schlug die Hände zusammen und sagte in einem fast rauh von ihren Lippen kommenden Tone: »Ein wahrer Diamant im Werthe von einer halben Million! Und er hat noch viele solche Steine! Herrgott, wären sie mein! Ich würde frei und unabhängig sein. Ich könnte mich von diesem Baron von Helfenstein trennen, wenn auch nicht durch die Scheidung so doch factisch. Es nimmt mit ihm auf alle Fälle einmal ein schlimmes Ende! Zwar kann ich jetzt auf den Fürsten rechnen; aber auf wie lange? Seine Frau werden? Niemals! Das ist eine Unmöglichkeit, obgleich ich ihn unendlich liebe. Ich könnte die geringste seiner Dienerinnen sein und mich doch unsagbar glücklich fühlen! Liebt er mich wirklich wieder, so hat eine solche Liebe doch nicht ewig Bestand. Zwar bin ich noch immer schön, doch wird auch das nur kurze Jahre oder gar bloße Monate währen; dann ist’s vorüber, und er verläßt mich. Diese Steine würden mich für immer sicher stellen. Entdecke ich sie, so werden sie geraubt und ich – ich habe nichts davon. Ist es da nicht besser, ich versuche, sie in meinen Besitz zu bringen, ohne daß der Baron etwas davon ahnt? Es wird dann heißen, sie seien von dem ›Hauptmanne‹ geraubt worden, und kein Mensch sucht sie bei mir. Einen davon müßte ich sofort verwerthen, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Der Jude Salomon Levi ist der geeignete Mann dazu. Heute habe ich meine ganze Zukunft in den Händen. Ich werde so handeln, daß ich mich nicht später selbst auszulachen brauche!«
Sie klingelte ihrer Zofe, um Toilette zu machen. Als dann später ihr Wagen vor dem Palais des Fürsten hielt, war dieser erst vor Kurzem zurückgekehrt. Doch waren bereits alle Vorkehrungen zu ihrem Empfange getroffen.
Anton, der Diener und eigentliche Geheimpolizist, stand vor ihm, um seine Andeutungen zu verdeutlichen.
»Wie kommt es, daß ihr auf den Ball verzichtet?« fragte der Fürst.
»Das Zöfchen hat sich mit einer Freundin, die mit geladen ist, gezankt. Darum geht sie nicht.«
»Aber sie hat Dich zu sich bestellt?«
»Ja. Darf ich um Erlaubniß bitten?«
»Gewiß! Mir ist es außerordentlich lieb, daß Du heute bei Helfensteins bist. Wird Dich die andere Dienerschaft sehen?«
»Nein. Ich leide an stiller Liebe.«
»Schön. Die Baronin kommt zu mir. Ich weiß nicht, wie lange sie sich verweilen wird, aber es wäre mir von größter Wichtigkeit, wenn Du sie nach ihrer Heimkehr beobachten könntest.«
Anton zog ein sehr pfiffiges Gesicht und antwortete:
»Man müßte das ganz außerordentlich dumm anfangen.«
»Wieso?«
»Sich von der Baronin überraschen lassen.«
»Wärst Du es nicht, der das sagt, so würde ich Dich für einen großen Dummkopf halten. Bei Dir aber hat sich hinter diese Dummheit sicher ein guter Gedanke versteckt.«
»Ich denke es!«
»Du meinst doch nicht etwa, erwischen lassen?«
»Fällt mir nicht ein! Ueberraschen lassen und erwischen lassen, das ist jedenfalls ganz Zweierlei.«
»Ich errathe! Du beabsichtigst, Dich im Zimmer der Baronin überraschen zu lassen?«
»Ja. Ich werde das Zöfchen zu überreden wissen, daß wir dort am Allersichersten sind.«
»Dann kommt plötzlich die Baronin. Du hast keine Zeit, Dich zu entfernen und versteckst Dich bei ihr, um sie zu beobachten?«
»So ist es. Das Zöfchen wird vor Angst vergehen, ich aber werde in aller Ruhe meine Beobachtungen anstellen.«
»Du magst der Zofe sagen, daß die Baronin erst um Mitternacht heimkehren werde, und ich sorge dafür, daß sie eher kommt. Aber das, was ich beobachtet wünsche, wird im Schlafzimmer geschehen, wenn mich meine Vermuthung nicht täuscht.«
»So verstecke ich mich dort. Mir ganz gleich. Vielleicht unter das Bett. Da bin ich am sichersten.«
»Wie Du dann heraus kommst, das ist natürlich Deine Sache!«
»Nichts leichter als das! Ich warte, bis die gnädige Frau eingeschlafen ist, und schleiche mich dann hinaus, wo die Zofe mich jedenfalls erwarten wird.«
»Ich vertraue Deiner Gewandtheit. Es ist möglich, daß sich meine Vermuthungen als trügerisch erweisen, aber ich muß auf den betreffenden Fall vorbereitet sein. Habe ich mit meiner Ahnung das Richtige getroffen, so halte ich von der Heimkehr der Baronin an in der Nähe ihrer Wohnung Wacht. Du findest mich am großen Brunnen lehnend. Ah, es klingelt! Sie kommt! Du kannst gehen!«
Anton entfernte sich, und der Fürst ging der Baronin entgegen. Nachdem sie abgelegt hatte, führte er sie direct in sein Arbeitszimmer. Er wollte sie mit Absicht in die unmittelbare Nähe seines Toilettenzimmers, in welchem sich seine Werthsachen befanden, placiren.
Sie war nur eilig durch einige Gemächer geschritten, dennoch war sie geblendet von dem Reichthume, der ihr da entgegen strahlte. Sie kam sich wie ein armes Weib gegen diesen Krösus vor, dem doch dieser Glanz sehr gleichgiltig zu sein schien.
»Verzeihung, daß ich Sie nicht zum Salon nöthige!« sagte er. »Liebe Personen pflegt man im trauteren Raume zu empfangen.«
»Ich habe nicht zu verzeihen, sondern zu danken,« antwortete sie geschmeichelt. »Der Salon würde erkältend wirken, während ich mich hier in dem Raume, der Ihr engeres Wirken sieht, als zu Ihnen gehörig fühlen darf.«
Das Gespräch bewegte sich in rein freundlicher Weise, obgleich sie sich alle Mühe gab, es auf das Gebiet der Liebe hinüber zu spielen. Aber stets, wenn sie zärtlich zu werden drohte, warf er ihr ein Wort entgegen, vor dem sich ihre allzu große Wärme flüchten mußte. Dann kam Adolf, um zu serviren.
»Ein kleines Souper unter Zweien, meine Verehrteste,« sagte der Fürst. »Leider mangelt meinem Heim das weibliche Princip. Ich werde um Nachsicht zu bitten haben!«
»Das weibliche Princip ist heute zugegen,« antwortete sie. »Erlauben Sie mir, Ihnen zu zeigen, wie angenehm es sein würde, wenn eine Fürstin von Befour hier die Honneurs machte!«
Sie legte ihm vor. Dabei war sie bemüht, bald mit der Hand, bald irgend wie mit ihm in Berührung zu kommen. Er suchte dies möglichst zu vermeiden. Er blieb freundlich und zuvorkommend, hütete sich aber, zärtlich zu werden.
Sie trug ein dünnes, sehr eng anliegendes Kleid mit einer weiteren, leichten Uebertaille. Als zu erwarten stand, daß der Diener nun nicht mehr kommen werde, heuchelte sie eine kleine Ungeschicklichkeit und ließ einige Tropfen des Fruchtmêlé auf sich fallen. Sie that, als ob sie erschrecke und sagte: »O weh! Daheim braucht man nicht so vorsichtig zu sein!«
Sie erwartete, daß er sie auffordern werde, sich ganz als daheim zu denken; da dies aber nicht geschah, fügte sie hinzu: »Oder bin ich wirklich bei Ihnen fremd?«
»Liebe Baronin!« war er jetzt gezwungen zu antworten. »Ich hoffe doch nicht, daß wir uns so fern stehen!«
»Nun, dann will ich speisen wie bei mir!«
Sie legte die Uebertaille ab, und nun zeigte es sich, daß das Kleid ganz à la Rafflesia ausgeschnitten war. Jetzt meinte sie, dem Siege entgegen zu gehen; aber ihre Hoffnung erwies sich als trügerisch. Der Fürst blieb sich gleich.
Sie war darüber voll innerlichem Ärger; äußerlich aber meinte sie, sich nicht das Mindeste merken zu lassen. Einen solchen Menschenkenner aber, wie der Fürst war, konnte sie nicht täuschen. Er sah, als der Champagner kommen sollte, sich gezwungen, das Zimmer zu verlassen und ihn selbst zu holen, um dem Diener nicht den Anblick dieser decolletirten Frau preiszugeben. Jetzt sah sie sich für einige Augenblicke allein. Sie stampfte mit dem silbernen Griffe des Messers auf und knirrschte: »Vergebens! Seine Liebe ist eine Lüge, oder er besitzt das kalte Blut eines Fisches. Kein Anderer könnte widerstehen! Mein Vorsatz ist gefaßt: Ich erwarte nichts von der Liebe, sondern Alles nur von meiner Geschicklichkeit. Die Diamanten! Die Diamanten! Wo mögen sie sein? Wo mag er sie haben?«
Er kehrte zurück. Der Champagner perlte in die Gläser; eine, zwei, drei Flaschen wurden geleert – der Fürst blieb, wie er war. Da machte sie ihm endlich direkte Vorwürfe über seine zurückweisende Kälte.
»Bedürfen Sie denn keines Unterrichts mehr?« fragte sie, indem sie ihren Stuhl dem seinen näher rückte.
Er lächelte ihr freundlich entgegen; aber seine Stimme klang gleichgiltig, beinahe kalt, als er antwortete:
»Liebe Ella, Sie dürfen mich nicht veranlassen, ein unhöflicher Wirth zu sein. Einem so lieben Gast darf ich doch unmöglich die Arbeiten, Sorgen und Anstrengungen eines Lehramtes auferlegen. Sie sind jetzt Fürstin von Befour; ich darf Sie in Ihren wirthschaftlichen Thätigkeiten nicht beeinträchtigen!«
Diese Worte gaben ihr den längst gesuchten Punkt, an welchem es möglich war, anzufassen. Sie antwortete:
»Fürstin von Befour? Und doch kenne ich mein Reich noch nicht.«
»Es ist auf diesem Continente nicht sehr groß. Es erstreckt sich nur auf dieses Haus und den Garten.«
»Desto mehr muß ich besorgt sein, es kennen zu lernen!«
Sie ahnte nicht, daß sie dem ihr weit überlegenen, fein berechnenden Manne mit ihrem Wunsche in die Hände arbeitete. Scheinbar zögernd, gab er ihr nach einer kurzen Pause zur Antwort: »Ich habe allerdings versprochen, Ihnen meine kleinen Herrlichkeiten zu zeigen; aber wir sind noch beim Nachtische!«
»Ich bin zu Ende, und auch von Ihnen bemerke ich, daß Sie sich nicht mehr mit dem Tische beschäftigen.«
»So darf ich Sie zu einem Rundgange einladen?«
»Ich wünsche mir keinen anderen Cicerone, als nur Sie allein!«
Das war eine sehr verständliche Andeutung, daß er auf die Begleitung eines Dieners verzichten solle; aber der Fürst sah ein, daß sich dann während eines Rundganges durch den Palast für sie hundertfach Gelegenheit bieten werde, inniger zu werden, als er es beabsichtigte. Darum antwortete er leichthin: »Leider wird Adolf gezwungen sein, uns die unerleuchteten Zimmer zu erhellen!«
Er erhob sich, und sie folgte seinem Beispiele. Sie nahm seine Bemerkung als einen Wink, die Uebertaille wieder anzulegen. Sie mußte einsehen, daß die Schlacht verloren sei. Während ihr Gesicht vor Freundlichkeit glänzte, klopfte ihr Herz fast laut vor innerem Zorn. Sie wollte sich rächen, rächen, rächen! Und doch, wenn ihr Auge auf den neben ihr durch die Räume Schreitenden fiel, wallte es in ihr auf vor Liebe, vor übermäßiger, leidenschaftlicher, thörichter Liebe und Zärtlichkeit. Es war so, wie er zu sich gesagt hatte: Sie war seine Sclavin geworden; sie konnte nicht mehr von ihm lassen. Je kälter er sich zeigte, desto tiefer grub sich die Liebe in ihre Seele; ihr Zorn, ihr momentanes Verlangen nach Rache waren ja nur eine ganz natürliche Folge ihrer Leidenschaft.
So durchschritten sie, von Adolf geführt, welcher einen goldenen, sechsarmigen Leuchter trug, alle disponiblen Räume des Palastes. Hatte sie sich bereits vorher geblendet gefühlt, so war sie jetzt fast erdrückt unter der Last des Reichthums, der ihr von überall entgegenblickte. Sie sah Hunderte von Gegenständen, deren Namen sie nicht einmal kannte. Was waren die Häupter der hiesigen Haute-volé, was war auch der Baron, ihr Mann, gegen diesen indischen Nabob!
Und dabei erzählte er ihr mit einigen kurzen, ganz gleichgiltig hingeworfenen Worten, daß sein Vermögen sich in Indien befinde, diese Besitzung hier aber nur eine Art augenblicklicher Unterschlupf sei.
Endlich kehrte sie in das Arbeitscabinet zurück. Sie warf sich fast ermüdet, sicher aber enttäuscht, auf einen Sessel nieder.
»Durchlaucht,« sagte sie, »man ist mit Gewalt, mit wahrer Gewalt gezwungen, Sie zu beneiden! Es fehlt Ihnen allein nur ein Wesen, welches diese Reichthümer mit Ihnen theilt, wodurch Sie sich erst in den wirklichen Genuß derselben setzen würden. Es fehlt Ihnen das liebende und geliebte Weib, welches, mit Ihren Brillanten geschmückt, Sie und Ihr Leben mit Rosen bekränzen würde.«
Er verstand die Erwähnung der Brillanten sofort. Ein kurzes, überlegenes Lächeln zuckte um seinen Mund, dann machte er eine halb elegische, halb wegwerfende Handbewegung und sagte: »Pah! Nicht Schätze machen glücklich! Ich war nicht immer so reich, und bevor ich es war, fühlte ich mich glücklicher. Ein einziger warmer Sonnenstrahl ist dem Erdenleben mehr werth, als aller Goldesglanz, ein Blick des Himmelsblau durch Wolkengrau ist köstlicher, als die Saphire aller Diademe und Kronen, und ein frischer, grüner Grashalm hat für die lebende Natur mehr zu bedeuten, als ganze Hände voll glänzender Smaragde. Was haben Sie gesehen? Die häusliche Einrichtung eines einsamen Mannes. Ein einziger meiner Steine und Brillanten wiegt alles Dieses auf; aber reicht ihr ganzer Werth hin, mein Leben um eine einzige Secunde, um den millionsten Theil eines Augenblickes zu verlängern?«
Sie hob den so geschickt hingeworfenen Köder sofort auf.
»Steine, Brillanten besitzen Sie?«
»Einige,« antwortete er gleichmüthig.
»Aber ich sah sie ja noch nicht!«
»Ich wußte nicht, daß Sie sich für diese todte Welt interessiren.«
»Todte Welt!« rief sie aus. »Ist der Glanz kein Leben? Ist er nicht ebenso ein Leben, wie der Duft Leben ist? Giebt es ein weibliches Wesen, welches sich nicht für Schmuck und Kleinod interessirt, ja begeistern kann?«
»Sie haben Recht. Ich sehe ja, daß Sie bereits förmlich begeistert sind. Aber, Sie müßten mir in meine Toilette folgen.«
»O, wenn es gilt, Brillanten zu betrachten, da ist man nicht prüde, da folgt man selbst dem fremdesten Herrn noch weiter, als bis in die Toilette!«
»So bitte, kommen Sie!«
Er trat in das Nebengemach. Es war dies ein mit dem äußersten Luxus ausgestattetes Ankleidegemach. In die Augen fielen besonders zwei Möbel, nämlich ein großer, feuerfester Geldschrank, und sodann ein zweiter Schrank, hoch, breit und mit den feinsten Hölzern nach chinesischer Manier ausgelegt. Der Fürst deutete auf den Ersteren.
»Das ist meine Casse,« sagte er. »Erschrecken Sie leicht?«
»So bitte, betrachten Sie sich zuerst diesen Schild aus Stahlketten. Er ist von bester luzonischer Arbeit und von dem berühmtesten igorotischen Waffenschmied angefertigt. Ich gebrauche ihn als Kugelfang.«
Er deutete auf einen dem Geldschranke grad gegenüber an der Wand befestigten Schild, der aus lauter kleinen und größeren zu conzentrischen Rosetten vereinigten und in einander laufenden Stahlringen, welche aber wie reines Silber glänzten, gefertigt war. Diese Arbeit war wirklich künstlerisch; er mußte sie theuer bezahlt haben.
»Als Kugelfang?« fragte sie. »Wieso?«
»Passen Sie auf!«
Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche und warf ihn, seitwärts stehend, auf den Fußboden vor den Schrank. Augenblicklich ertönte ein fürchterliches Krachen, Blitze zuckten; eine ganze Reihenfolge von Schüssen hatte sich entladen, und das Zimmer war von dichtem Pulverdampfe erfüllt.
»Herr, mein Gott!« rief sie im höchsten Grade erschrocken.
Sie wollte nach der Thür eilen. Er aber sagte in beruhigendem Tone:
»Bleiben Sie! Sie standen und stehen ja nicht in Schußlinie!«
Er trat zum Fenster und öffnete es, damit der Rauch abziehen könne; dann wendete er sich wieder zu ihr: »Bereits der kleine Druck, den das Gewicht eines Schlüssels hier auf den Fußboden ausübt, reicht hin, die Batterie zu entladen; wieviel sicherer wird dies geschehen, wenn ein Mensch, ein Dieb hinzuträte, um ohne mein Wissen und ohne meine Erlaubniß die Casse zu öffnen!«
Der Rauch verzog sich. Man konnte den Geldschrank wieder deutlich sehen, aber es war nicht zu bemerken, von woher die Schüsse gekommen waren. Der Fürst öffnete mit Hilfe eines Schlüssels und indem er an einem Buchstabenzirkel drehte.
»Sehen Sie jetzt, meine Gnädigste!« sagte er. »Das Schloß ist nur von Einem zu öffnen, der das Geheimniß kennt. Sollte es dennoch einem Unberufenen gelingen, der auch von den vorigen Schüssen nicht getroffen worden wäre, so würde er sicherlich nun von einer tödlichen Salve empfangen. Hier sehen Sie die Läufe! Die Schüsse gehen nur aus dem Grunde nicht los, weil mir der Griff bekannt ist, mittelst dessen man die Hähne in Ruhe versetzt.«
Hinter den beiden geöffneten Thüren starrten eine ganze Anzahl drohender Läufe entgegen.
»Glauben Sie, daß ein Dieb mich bestehlen kann?« fragte er.
Sie sagte das aus vollster Ueberzeugung. Sie war jetzt sicher, daß der heutige Einbruch nicht viel ergeben werde. Die Juwelen befanden sich ja ganz sicher in diesem Verwahrungsorte. Um sich aber doch zu überzeugen, fragte sie: »Natürlich befinden sich Ihre Steine und Brillanten auch in diesem Schranke?«
Er verschloß den Schrank wieder und antwortete unter einem feinen Lächeln, dessen Bedeutung sie allerdings nicht verstand: »Nein. Sie sind an einem viel sichereren Orte aufbewahrt. Hier befinden sich nur meine Gelder und Papiere. Sehen Sie hier!«
Er hob den Schlüssel auf, welchen er vorhin zu Boden geworfen hatte und öffnete mit demselben die breiten Doppelthüren des zweiten Schrankes. Er war von unten bis oben hinauf mit Büchern gefüllt, deren mit Goldschrift versehene Rücken ihnen entgegenglänzten.
»Ah, Ihre Bibliothek!« sagte sie enttäuscht.
»Das scheint nur so!« antwortete er. »Nehmen Sie zum Beispiel einmal diesen Band, und prüfen Sie seine Schwere!«
Er nahm eines der Bücher heraus und gab es ihr in die Hand. Es wog sehr schwer, und als sie den Band genauer betrachtete, bemerkte sie, daß es kein Buch sondern ein Holzkästchen war.
»Da, wo man ein Buch öffnet, macht man auch hier auf,« sagte der Fürst. »Probiren Sie es einmal, Baronin!«
Sie öffnete und stieß einen Ruf des Erstaunens aus. Sechs kostbare Bracelets glänzten ihr entgegen, mit Perlen, Rubinen und Smaragden ausgelegt. Sie verschlang den Schmuck förmlich mit den Augen. So kostbare, fremdartige Arbeit hatte sie noch nicht gesehen.
»Mein Gott, welchen Werth müssen sie haben!« sagte sie.
»Nur sechzigtausend Gulden,« antwortete er einfach. »Weiter!«
Er öffnete nun Buch um Buch, das heißt, Kasten um Kasten. Aus jedem funkelte, flimmerte und brillirte es ihr entgegen, daß ihr die Augen zu schmerzen schienen. Berloques, Ringe, Ketten, Arm-und Halsbänder, Broschen, Boutons, Arm-und Fußspangen, alle, alle Arten von bekannten und fremdartigen Schmuckgegenständen waren da zu sehen, theils einfach massiv in Gold oder Silber oder, was meist der Fall war, mit den werthvollsten Steinen und Perlen ausgelegt. In riesigen Folianten befanden sich massiv goldene Gefäße oder Theile von Gegenständen, welche nur zusammengesetzt zu werden brauchen, um Leuchter und dergleichen zu bilden.
Ella kam aus einer Art von Entzückung gar nicht heraus.
»Das ist allerdings wahr,« sagte sie. »Diese Bibliothek ist tausendmal mehr werth als Ihr Palais mit all’ seiner Einrichtung!«
»O, dieses kleine Bändchen ist mehr werth, als die ganze Bibliothek,« sagte er, indem er ein Kästchen hervornahm, welches sie noch nicht in der Hand gehabt hatte. »Lesen Sie!«
Er hielt ihr den Rücken des scheinbaren Buches entgegen. Auf demselben war in französischen Worten zu lesen: ›Les rois des pierres,‹ zu deutsch: ›Die Könige der Steine‹. Er öffnete. In dem Kästchen befanden sich zwei unscheinbare, breitgedrückte Lederbeutel, so daß sie die Form des Buches angenommen hatten. Sie enthielten Steine von der Größe einer Erbse bis zu derjenigen einer großen Hasel-oder Lampertnuß, welche ganz und gar nicht das Aussehen hatten, als ob sie von irgend welchem Werthe seien.
»Was ist das?« fragte sie.
»Diamanten meist, auch Rubine, Saphire und Smaragde,« antwortete er in einem Tone, als ob es sich nur um Kieselstücke handle.
Sie fühlte etwas wie Fieber durch ihre Adern und Nerven gehen. Also, das waren die Schätze, nach denen sie trachtete! Sie machte den Deckel zu und gab ihm das Kästchen mit den ›Königen der Steine‹ zurück, sonst hätte sie sich verrathen; er hätte ihre Aufregung bemerken müssen. Aber ohne daß sie es ahnte, beobachtete er sie scharf. Er sah das Zittern ihrer Hände; er sah, daß ihre Lippen zuckten, obgleich sie die Zähne zusammenpreßte; er sah auch den gierigen Glanz ihrer Augen, und nun wußte er gewiß, daß er recht vermuthet habe und daß er siegen werde.
»Was nun habe ich von diesen Schätzen?« fragte er. »Da stecken sie! Was für Nutzen bringen sie mir?«
Sie vermochte nicht zu antworten; sie kehrten in das Cabinet zurück, wo Adolf bald den Thee servirte. Während sie diesen Letzteren einnahmen, war die Unterhaltung eine sehr wortkarge. Da drückte der Fürst auf die Glocke. Der Diener erschien.
»Ein Glas frisches Wasser!« befahl der Fürst.
Das war das verabredete Zeichen. Nach kurzer Zeit kehrte Adolf mit dem Wasser zurück und meldete:
»Verzeihung, gnädiger Herr! Der Hausmeister – –«
»Was ist?« fuhr der Fürst auf, als ob er über diese Meldung, die ihm eine Störung in Aussicht stellte, ungehalten sei.
»Der Hausmeister wünscht Durchlaucht zu sprechen.«
»Morgen! Ihr wißt ja, daß ich jetzt nicht zu sprechen bin!«
»Er sagt, es sei sehr dringend, es handle sich um die Rechnungsvorlage, welche morgen mit dem Frühesten –«
»Ah, so! Unangenehm, höchst unangenehm! Aber es ist wirklich dringend.«
Nichts konnte der Baronin erwünschter kommen, als diese Unterbrechung. Sie hatte zu ihrer großen Freude bemerkt, daß der Fürst den Schlüssel des Juwelenschrankes nicht abgezogen hatte, sie sagte: »Bitte, Durchlaucht, lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht bestimmen, etwas Nothwendiges und Dringendes zu vernachlässigen!«
»Auch wenn ich mich für zehn Minuten oder gar noch länger von Ihnen beurlauben müßte?«
Er wollte ihr hinreichend Zeit geben, ihr Vorhaben auszuführen.
»Auch dann!« antwortete sie.
»Zehn Minuten wenigstens wird es währen. Sie sind zu gütig, meine Gnädige; aber da liegen Zeitungen und Illustrationen, mit denen Sie die kurze Einsamkeit auszufüllen vermögen. Adolf, sage dem Hausmeister, daß ich sofort komme. Er mag mich unten in seinem Zimmer erwarten, wo er ja die Bücher hat. Du aber gehst hinter in den Stall, um zu sehen, ob der Kutscher die Pferde für später bereit hält.«
Um die Baronin ganz sicher zu machen, gab er dem Diener einen scheinbaren Auftrag, der ihn eigentlich für einige Zeit entfernt hätte. Sie sollte überzeugt sein, daß sie allein und unbeobachtet sei.
»Zu Befehl, Durchlaucht!« sagte Adolf und entfernte sich.
Er wußte natürlich, daß der Auftrag, den er erhalten hatte, nur eine Finte sei. Draußen zog er die Stiefel aus, versteckte sie und begab sich nach dem Toilettenzimmer. Dieses hatte zwei Thüren; die eine führte in das Cabinet, in welchem sich der Fürst mit seinem Besuche befand; durch diese Thür waren ja die Beiden in die Toilette getreten; die andere ging nach dem Corridore. Durch diese Letztere trat der Diener leise und unhörbar auf den Strümpfen ein, kroch unter den Tisch und ordnete die bis auf den Boden herabreichende Decke desselben so, daß er den Schrank und Alles, was bei demselben vorgenommen wurde, genau beobachten konnte.
Der Fürst trank sein Glas langsam aus, um dem Diener Zeit zu geben, seinen Lauscherposten einzunehmen, und entfernte sich dann. Die Baronin war allein.
Sie erhob sich von ihrem Sessel und lauschte. Sie war allein. Sie legte die Hand auf ihre stürmisch klopfende Brust und fragte sich: »Soll ich, oder soll ich nicht? Hier die Angst um das Gelingen, die Furcht vor dem Ertapptwerden, und dort Schätze, die mir niemals wieder geboten werden! Ah! Er war kalt und zurückhaltend; er hat kein Herz! Die Steine müssen mir gehören!«
Sie öffnete die Thür des Vorzimmers und blickte hinaus. Es befand sich kein Mensch dort. Ueberall die tiefste Stille.
»Pah! Es ist nicht gefährlich! Es muß gelingen! Der Schlüssel steckt; ich habe mir die Stelle gemerkt, an welcher sich das Buch befindet; der Fürst ist fort und der Diener nach dem Stalle. Ehe dieser zurückkommt, muß es geschehen sein! Bis zur Nacht wird Niemand auf den Gedanken kommen, nach den Steinen zu sehen. Und dann werden ja die Einbrecher den Schrank ausleeren. Sie haben auch die Steine! Kein Mensch wird die Baronin von Helfenstein in Verdacht haben können! Vorwärts also!«
Sie warf noch einen zweiten Blick in das Vorzimmer und huschte dann hinaus in den Toilettenraum. Sie schloß den Schrank auf und ergriff das Buch. Die »Könige der Steine,« die in den Beuteln waren, verschwanden im Nu in ihrer Tasche. Sie stellte den scheinbaren Einband wieder an seinen Platz zurück, verschloß den Schrank und saß einige Augenblicke später in ruhiger Haltung wieder auf ihrem Sessel, eine Zeitung in der Hand.
Aber sie war nicht so ruhig, wie es den äußeren Anschein hatte. Ihre Pulse flogen; es flimmerte ihr vor den Augen, so daß die Buchstaben verschwammen, und die Taille wollte ihr zu eng werden.
»Fort! Nur fort!« hauchte sie.
Und doch bekam sofort die Ueberlegung die Oberhand.
»Nein,« dachte sie, »ich muß bleiben! Ein zu schnelles Aufbrechen würde sicherlich Verdacht erregen. Wenn ich dafür sorge, daß der Fürst nicht Zeit erhält, in den Schrank zu blicken, bin ich geborgen. Später mag es werden, wie es will!«
Nach einiger Zeit kehrte Befour zurück; er fand sie, scheinbar in die Zeitung vertieft.
»Welch Langeweile werden Sie gehabt haben, gnädige Frau!« sagte er im Tone des Bedauerns und der Entschuldigung.
»O bitte, ich fand hier einen Modeartikel, dessen Inhalt mich lebhaft interessirte,« antwortete sie.
»So darf ich also auf Ihre Verzeihung rechnen?«
»Von einer Verzeihung kann keine Rede sein. Sie haben ja gethan, was Sie thun mußten!«
Es entspann sich nun eine Unterhaltung, welche mit fieberhafter Lebhaftigkeit von Seiten der Baronin geführt wurde. Der Fürst war vom Diener noch nicht benachrichtigt worden; aber er beobachtete die schöne Frau und sagte sich: »Sie ist erregt; sie giebt sich auffällige Mühe, mich zu fesseln, damit ich ja nicht auf den Gedanken komme, abermals in den Schrank zu gehen. Sie hat es gethan und ich habe gewonnen!«
Da trat Adolf ein und präsentirte auf einem silbernen Teller einen Brief.
»Von wem?« fragte der Fürst. »So spät am Tage correspondirt man doch nicht mehr.«
»Der Kutscher übergab mir das Schreiben. Ein Livréediener, den er nicht kannte, bittet um Antwort.«
Der Fürst öffnete das Couvert. Das inliegende Blatt enthielt die von Adolf geschriebenen Zeilen:
»Sie hat die zwei Beutel mit den Steinen genommen, sie stecken in ihrer Tasche.«
»Die Nachricht ist erfreulich,« nickte der Fürst. »Da muß ich mich allerdings zu einer Antwort bequemen.«
Er nahm eine Karte und schrieb darauf:
»Nimm dann, wenn die Baronin heimkehrt, heimlich die Maske Nummer Zwei mit auf Deinen Tritt.«
Er steckte die Karte in ein Couvert, adressirte scheinbar, gab das Couvert an den Diener und sagte:
»Laß dem Ueberbringer ein Glas Wein geben! Und meine Empfehlung an seine Excellenz!«
Damit war die Sache abgemacht. Der Diener entfernte sich, und die Unterhaltung zwischen den Beiden begann von Neuem, wurde aber von Seiten des Fürsten mit Absicht so flau geführt, daß die Baronin die Gelegenheit ergriff, zu sagen: »Ich finde, daß Sie heut ein wenig angegriffen sind.«
»Ich hatte während der ganzen Nacht zu schreiben,« antwortete er rücksichtslos.
»So bedürfen Sie der Ruhe.«
Sie erhob sich bei diesen Worten.
»O bitte, meine Gnädige. Ich fühle nicht das mindeste Bedürfniß darnach. Ihre Gegenwart ist das Einzige, was ich mir wünsche.«
Sie schlug ihn scherzhaft mit der Hand auf den Mund und antwortete:
»Schmeichler! Ich werde Sie nun grad damit bestrafen, daß ich mich verabschiede. Wann werde ich Sie bei mir sehen?«
»Morgen gewiß!«
»Schön! Ich werde Sie mit Sehnsucht erwarten.«
Sie reichte ihm die Hand. Er ergriff dieselbe, sagte aber:
»Schon jetzt uns verabschieden? Wollen Sie grausam sein?«
»Grausam? Wieso?«
»Ich hatte geglaubt, Sie begleiten zu dürfen.«
»Ah, das ist mir angenehm! Also kommen Sie!«
Er selbst legte ihr im Vorzimmer den Pelz um die schönen, vollen Schultern. Auch der seinige hing da. Er zog ihn an und begleitete sie vor das Thor, wo die Equipage ihrer wartete. Adolf stand dabei. Er öffnete und schloß den Schlag und sprang dann hinten auf. Erst nun, da die Equipage sich in Bewegung setzte, fühlte sich die Baronin sicher. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und legte sich dann behaglich in die Kissen zurück.
An ihrem Palais angekommen, half ihr der Fürst in eigner Person beim Aussteigen und verabschiedete sich dann mit größter Höflichkeit von ihr.
»Die Maske da?« fragte er den Diener, als die Baronin verschwunden war.
»Ja.«
»Her damit. Ganz langsam zurückfahren!«
Die Equipage hatte kaum die Ecke der nächsten Straße erreicht, so ertönte aus ihr ein lautes Halt. Es stieg ein alter, grauköpfiger und graubärtiger Herr aus, den gewiß niemand für den Fürsten gehalten hätte.
»Adolf, räume sofort den Juwelenschrank aus,« gebot er, »und stelle die neue Bibliothek hinein. Bis Ihr mich braucht, werde ich zurückgekehrt sein.«
Der Pelz und Hut blieb im Wagen zurück, der sich nun in Bewegung setzte. Der Fürst hatte jetzt eine Mütze auf.
Er ging nach dem Palais des Barons zurück. In der Nähe desselben gab es einen großen, monumentalen Brunnen mit einer riesigen Neptunsfigur. An der Umfassungsmauer dieses Bauwerkes nahm der Fürst Posto. Er stand im Schatten, so daß er nicht leicht bemerkt zu werden vermochte, und konnte die ganze Front des Palais’ überblicken.
Als die Baronin ihre Gemächer erreichte, war sie so mit sich beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, daß ihr die Zofe mit einer gewissen verlegenen Eile entgegentrat.
»Der Baron anwesend?« fragte sie.
»Ja, gnädige Frau. Er hat bereits einige Male nach Ihnen gefragt.«
»Rufe ihn!«
Sie war so mit den Reichthümern, welche sie gesehen hatte, beschäftigt, daß sie es vorzog, sofort mit ihrem Manne zu sprechen. Sie begab sich gar nicht in ihre inneren Räume, sondern erwartete ihn in ihrem kleinen Salon. Er trat nach kaum einer Minute bei ihr ein.
»Hier?« fragte er. »Warum nicht im Boudoir?«
»Ah! Ich kann nicht warten. Was ich gesehen habe, hat mich um alle meine Ruhe und Fassung, fast möchte ich sagen, um den Verstand gebracht.«
»Hm! Etwas irr bist Du ja stets gewesen!«
»Spotte nicht! Was ich Dir zu sagen habe, ist ganz außerordentlich. Du wirst morgen viele Millionen besitzen.«
»Donnerwetter!«
»Gewiß!«
»Ist’s gar so schlimm?«
»Ich habe diesen Fürsten für einen sehr, sehr reichen Mann gehalten, aber daß man ihn mit dem Großmogul vergleichen kann, das habe ich doch nicht geglaubt!«
»Du machst mich wirklich außerordentlich wißbegierig. Erzähle!«
»Komm her!«
Sie zog ihn zum Kamin, wo sie sich neben einander niederließen. Sie erstattete ihm mit beinahe flüsternder Stimme Rapport über Alles, was sie gesehen und erlebt hatte. Er hörte mit größter Aufmerksamkeit zu, und die Spannung, welche sich in seinen Zügen ausdrückte, wuchs von Secunde zu Secunde. Natürlich verschwieg sie ihm aber, daß sie sich der Steine bemächtigt hatte.
»Donnerwetter!« fluchte er vor Freude, als sie geendet hatte. »Das wird ein Fang, wie er noch nicht dagewesen ist. Ich kann dann das Geschäft niederlegen.«
»Das ist’s allerdings, was ich Dir rathen will!«
»Also der Schlüssel steckt?«
»Bis jetzt, ja. Möglich aber ist, daß er abgezogen wird, wenn der Fürst nach Hause zurückkehrt.«
»Was für ein Schloß ist es?«
»Ein gewöhnliches.«
»Was für ein Schlüssel?«
»Ein Hohlschlüssel von mittlerer Größe.«
»Kreischen die Thüren?«
»Und die Zimmerthüren?«
»Auch nicht. Uebrigens sind sämmtliche Fußböden mit dicken Teppichen belegt, durch welche die Schritte gedämpft werden.«
»Steht das Bett des Fürsten in dem Toilettenraume?«
»Nein. Es muß in einem Nebencabinette stehen, in welchem ich aber nicht gewesen bin.«
»Giebt es dort Portieren oder Thüren?«
»Beides.«
»Hm! Das ist sehr vortheilhaft!«
»Aber der Geldschrank! Um Gotteswillen!«
»Pah! Wir werden ihm nicht zu nahe kommen. Wozu brauchen wir übrigens das Gold, wenn wir die Steine bekommen.«
»Du wirst doch Alles selbst in Empfang nehmen?«
»Natürlich!«
»Da werde ich nicht schlafen gehen können, bis ich es sehe.«
Er schüttelte lachend den Kopf und sagte:
»Was denkst Du da eigentlich. Du meinst, daß ich die Kostbarkeiten hierherbringen lasse?«
»Natürlich!«
»Bist Du verrückt?«
»Herr Baron!«
»Pah! Ich dachte, wir Beide brauchten uns nicht mit unnützen Höflichkeiten zu überschütten. Deine Ansicht ist eine vollständig verrückte und wahnsinnige.«
»Das siehst Du nicht ein? Heute Abend hat der Fürst Dir seine Schätze gezeigt, und einige Stunden später werden sie geraubt. Wie nun, wenn man sie bei uns sucht?«
»Jetzt bist Du verrückt!«
»Denkst Du etwa, man wird uns aus Angst und Hochachtung fernbleiben? Bei einem solchen Raube macht die Polizei andere Augen und andere Anstrengungen als bei einem Kartoffeldiebstahle. Das kannst Du Dir denken.«
»Hm! Der Fürst wird allerdings rasend vor Wuth sein!«
»Das läßt sich denken. Ich wollte, ich stände bei ihm, wenn er den leeren Schrank erblickt! Gesegnete Mahlzeit!«
»Wohin aber lässest Du denn die Sache schaffen?«
»Ins geheime Depot natürlich.«
»Sind sie dort auch wirklich sicher?«
»Wie in Abrahams Schoß!«
»Aber leider werden wir auf den größten Theil dieser Schätze verzichten müssen. Das ist ärgerlich!«
»Wieso verzichten?«
»Nun, Deine Leute wollen doch ihren Antheil haben!«
»Den Teufel sollen sie erhalten, aber weiter nichts. Sie bekommen ihren Lohn, nach Umständen ihre Gratification; aber was sie heut vom Fürsten holen, das gehört mir!«
»Wenn sie einverstanden sind!«
»Das wird sich finden. Uebrigens müßten sie unter allen Umständen sehr lange warten. Solche Gegenstände lassen sich nur schwer zu Geld machen. Und wenn sie ja die Köpfe schütteln sollten, nun, so verschwinde ich mit dem Schatze.«
»Wohin?«
»Wohin? Höre, Du bist heute wirklich von einer ganz unvergleichlichen Naivität! Wohin? Hier bleibe ich natürlich!«
»Da haben sie Dich ja fest!«
»Unsinn! Keiner von ihnen weiß, daß der Baron von Helfenstein ihr Anführer ist. Der geheimnißvolle Hauptmann wird aufgehört haben, zu existiren. Ich habe dann, was ich brauche, und werde mein Leben genießen. Hast Du sonst noch Etwas zu bemerken, vielleicht Etwas vergessen?«
»Nein. Doch ersuche ich Dich nochmals dringend, bei diesem so außerordentlichen Streiche ja alle Vorsicht anzuwenden!«
»Natürlich! Ich werde sogar vorsichtiger sein, als Du denkst. Ich werde, während man bei dem Fürsten von Befour ausräumt, in feiner Gesellschaft sein.«
»Ah! Ich denke, Du bist bei Deinen Leuten?«
»Nur bis zu dem Augenblicke, an dem ich sicher bin, daß Alles klappt. Um Mitternacht gehe ich in’s Casino und bleibe dort bis zwei Minuten vor drei Uhr. Dann bin ich im Garten des Fürsten und einige Minuten später sitze ich wieder im Casino. Es handelt sich um das Alibi, welches ich beweisen will, wenn der Fürst ja auf den höchst dummen Gedanken kommen sollte, daß Dein heutiger Besuch mit dem Verschwinden seines Eigenthums im Zusammenhang stehe.«
»Das ist alles ganz gut, aber –«
Sie schüttelte bedenklich den Kopf.
»Was, aber –«
»Wie nun, wenn Deine Leute Dir mit den Sachen durchbrennen?«
»Das ist gar keine Möglichkeit! Meine Disciplin und meine eiserne Strenge – und durchbrennen? Es weiß ein Jeder, daß ich so Etwas unnachsichtlich mit dem Tode bestrafe. Meine Leute werden mir die Millionen bringen, ohne einen Heller davon anzurühren. Und – sagtest Du nicht, daß in jedem Kästchen ein Verzeichniß des Inhaltes liege?«
»Ja.«
»Nun so vergleiche ich diese Verzeichnisse mit dem Inhalte, und dann werde ich wissen, ob Etwas veruntreut worden ist. Wir stehen vor einem großen, entscheidenden Wendepunkte. Ich gehe jetzt. Wenn ich zurückkehre, bin ich ein Krösus. Gute Nacht!«
Der Gedanke an die Reichthümer, welche sein Eigenthum werden sollten, hatte ihn in eine so gute Laune versetzt, daß er ihr die Hand zum Abschiede reichte, was seit langer, langer Zeit nicht mehr vorgekommen war. Er drehte sich sogar, bereits an der Thür angekommen, noch einmal zu ihr um und sagte: »Du wirst Dich natürlich in fieberhafter Aufregung befinden?«
»Das kannst Du Dir denken!«
»Und nicht schlafen können? Ich begreife das. Aber ich warne Dich, dem Personale Etwas davon merken zu lassen. Die That wird eine furchtbare Revolution hervorbringen, und da kann man nicht vorsichtig genug sein. Lege Dich zur gewöhnlichen Zeit zur Ruhe, auch wenn Du nicht zu schlafen vermagst!«
Er ging, und nun erst begab sie sich durch das Boudoir in das Schlafgemach, wo die Zofe ihrer harrte, um ihr beim Entkleiden behilflich zu sein.
Dabei irrten die Blicke des Mädchens viel und mit besorgtem Ausdrucke zu dem Bette hin. Die Herrin bemerkte es nicht.
Unterdessen wartete der Fürst am Brunnen. Er war begierig, zu erfahren, ob es Anton gelungen sei, sein Vorhaben auszuführen. Er sah, daß der Baron seine Wohnung verließ. Wie gern wäre er ihm gefolgt, aber er mußte auf seinem Posten ausharren.
Endlich, endlich zeigten sich unter dem Thore im Scheine des Gases zwei Gestalten, welche sich zu küssen schienen. Die eine, weibliche, trat in den Flur des Palastes zurück, die männliche aber entfernte sich, doch nur eine Strecke, dann kehrte sie auf der anderen Seite zurück und kam nach dem Brunnen geschlichen.
»Anton?« flüsterte es.
»Ja.«
»Komm hierher!«
Der Diener war eingeweiht in viele Geheimnisse seines Herrn, er wußte auch, daß sich derselbe der mannigfaltigsten Verkleidungen bediente, aber als er jetzt den alten, ehrwürdigen Herrn erblickte, der ihm einen Schritt entgegentrat, so daß der Schein des Lichtes auf ihn fiel, trat er einen Schritt zurück und sagte: »Ah, Verzeihung! Wer sind Sie?«
»Anton!« lachte der Fürst.
»Ah! Gnädiger Herr! Die Maske ist wirklich famos!«
»Freut mich! Wie steht es oben?«
»Eigenthümlich! Es geht da Etwas vor, was ich nicht begreife.«
»Vielleicht begreife ich es. Hat man Dich gesehen?«
»Aber Du bist – überrascht worden?«
»Ich war so glücklich.«
»Prächtig! Du warst also im Zimmer der Baronin?«
»Unter ihrem Bette.«
»Sehr gut, sehr gut!«
»Es hat mich allerdings einen bedeutenden Aufwand von Ueberredung gekostet, ehe das Zöfchen einsah, daß wir im Schlafzimmer ihrer Herrin am Sichersten sein würden.«
»Nun, wie war es da?«
»Wie soll es da gewesen sein! Zunächst hatte ich da eine Menge Küsse zu geben und Umarmungen zu erdulden, was gar nicht recht nach meinem individuellen Geschmacke war. Dann aber fuhr ein Wagen vor. Die Zofe trat an das Fenster und sagte erschrocken, daß ihre Herrin komme. Als sie sich vom Fenster zurück wendete, erblickte sie mich bereits nicht mehr.«
»Du stecktest schon unter dem Bette?«
»Natürlich! Sie wollte mich heraus haben, aber ich gehorchte nicht. Zu guten Worten oder gar zur Strenge gab es keine Zeit, denn nach einigen Augenblicken befand sich die Baronin mit ihrem Gemahle bereits im Salon. Ich blieb also stecken.«
»Ah! Die Baronin hatte eine Unterredung mit ihm?«
»Ziemlich lange.«
»Kein Wort! Das Boudoir liegt zwischen Salon und Schlafzimmer. Endlich kam sie, und die Zofe mußte ihr beim Auskleiden helfen, wurde aber sehr bald mit dem Auftrage entlassen, daß sie schlafen gehen könne.«
»Auf welche Toilettenstücke erstreckte sich die Hilfe der Zofe?«
»Nur auf die Ober-und Untertaille. Den Pelz hatte die Gnädige bereits abgelegt.«
»Den Rock des Kleides, in welchem sich die Tasche befindet, durfte die Zofe nicht berühren?«
»Nein. Ah, Durchlaucht meinen die zwei Beutel?«
»Hast Du sie gesehen?« fragte der Fürst rasch.
»Sehr deutlich! Es waren die Diamantenbeutel aus dem Brillantenschranke des gnädigen Herrn.«
»Gut, gut! Das ist prächtig. Was hat sie mit ihnen gemacht?«
»Sie nahm einen der Steine heraus und legte ihn auf den Tisch. Dann – der gnädige Herr sind bei der Baronin gewesen?«
»Ja.«
»Nur im Boudoir?«
»Auch im Schlafzimmer.«
»So kennen Durchlaucht wohl die kleine Uhr, welche gegenüber dem Lavoir auf der Wandconsole steht?«
»Nun, die Baronin nahm die Uhr herab und dann auch die Console. Die Letztere ist inwendig hohl. Die Gnädige steckte die Beutel da hinein und brachte dann Console und Uhr wieder an Ort und Stelle.«
»Wie schlau! In der Console sucht kein Mensch Diamanten!«
»Eine echte Spitzbübin.«
»Aber der Diamant auf dem Tische?«
»Darüber bin ich mir im Unklaren. Neben dem Bette geht eine Thür in den Gang, der zu den Gemächern des Barons führt; durch diese Thür entfernte sie sich auf kurze Zeit. Meine Lage war nichts weniger als sicher. Ich hatte nun erfahren, wo die Steine verborgen sind, und konnte mich entfernen, ohne mich der Nachlässigkeit zeihen zu müssen. Jetzt war die Entfernung leicht zu bewerkstelligen, später wurde sie vielleicht schwerer. Ich war bereits mit dem halben Leibe unter dem Bette hervor, da mußte ich schnell zurück – die Baronin kam wieder. Sie brachte zu meinem Erstaunen Rock, Hose, Weste und Hut –«
»Einen Männeranzug?«
»Ja, auch einen Bart und allerlei Krimskrams, was ich nicht gut erkennen konnte.«
»Legte sie den Anzug an?«
»Ja. Bis sie Hose und Weste anhatte, war ich zugegen. Da aber entfernte sie sich abermals durch dieselbe Thür, und da ergriff ich schnell das Hasenpanier. Mein süses Zöfchen hatte fürchterliche Angst ausgestanden und nahm daher einen sehr ergreifenden Abschied von mir.«
»Ahnt sie, was Du bei der Baronin gesehen hast?«
»Kein Wort! Ich habe ihr gesagt, daß die Baronin schlafe.«
»Recht so! Die Baronin will heimlich ausgehen.«
»Als Mann verkleidet!«
»Sicher. Wenn ich richtig vermuthe, so beabsichtigt sie, den Stein in Geld umzuwandeln.«
»Ah! Das ist allerdings sehr wahrscheinlich! Aber zu wem wird sie gehen?«
»Das eben will ich beobachten. Dabei aber giebt es noch zu überlegen. Durch die erleuchteten Corridore kann sie nicht gehen, da sie sich nicht sehen lassen darf.«
»Allerdings. Ich vermuthe, daß sie das Gebäude durch das hintere Pförtchen verlassen wird.«
»Kennst Du dasselbe?«
»Die Zofe sprach davon. Sie sagte, daß man durch das Pförtchen in die Gemächer des Barons gelangen könne.«
»Gut, gut! Ich werde also an dieser Pforte Posto fassen. Du bleibst hier. Kommt die Baronin ja hier heraus, so holst Du mich sofort, aber ohne Dich von ihr sehen zu lassen. Ich stehe an dem Thore, dem Pförtchen gegenüber.«
»Und wenn die Gnädige durch die Pforte kommt, so werden Sie ihr folgen, Durchlaucht?«
»Ja.«
»Und ich? Was thue ich?«
»Du bleibst hier, bis ich zurückkehre. Es liegt mir daran, den Eingang hier nicht aus den Augen zu lassen.«
Er entfernte sich, trat um die Ecke des Palastes und begab sich nach der dem Pförtchen gegenüberliegenden Straßenseite. Dort gab es ein tiefes, dunkles Hausthor, unter welchem der Fürst Posto faßte, um die Pforte zu beobachten.
Er hatte noch nicht lange dagestanden, als er drüben ein leises Geräusch vernahm. Die Pforte öffnete sich und wurde wieder zugemacht. Die Gestalt eines Mannes war zu sehen, der erst zu lauschen schien, dann aber sich rasch entfernte.
Auch der Fürst setzte sich sofort in Bewegung. Er folgte der Gestalt, sich stets im Schatten haltend, so daß er nicht bemerkt werden konnte. Er nahm sich sehr in Acht, sie nicht aus den Augen zu verlieren, und er war auch wirklich so glücklich, die Thür zu erspähen, hinter welcher sie verschwand.
Das war in der Wasserstraße bei dem Juden Salomon Levi.
Die Thür war verschlossen, wie immer. Die Baronin hatte also klopfen müssen, bis die Nase der alten Rebecca sich sehen ließ.
»Wer ist da?« fragte sie durch die Thürspalte.
»Ein Käufer,« antwortete Ella, indem sie sich bestrebte, ihrer Stimme einen männlichen Klang zu geben.
»So spät wird nichts verkauft!«
»Still, Rebecca! Ihr werdet doch ein Geschäft mit mir machen, und zwar ein sehr gutes!«
»Wie?« fragte die Alte. »Der Herr kennt mich? Er nennt mich bei meinem Namen Rebecca? Er spricht von einem Geschäfte, welches werden wird sehr gut?«
»Ja. Ist Salomon Levi zu Hause?«
»Er ist daheim, um zu flicken alte Gewänder, welche er hat gekauft mit Löchern und aufgegangenen Nähten.«
»So mache auf. Ich muß zu ihm!«
»Haben Sie die Gewogenheit, zu treten herein! Ich werde Sie bringen zu meinem Manne in sein Comptoir.«
Die Alte führte den scheinbar jungen Herrn zu dem Juden, welcher sich in dem zweiten Raume befand, demselben, in welchem Judith in Robert Bertram den Dichter erkannt hatte.
Salomon Levi war verwundert, zu so später Stunde noch Jemand bei sich zu sehen.
»Was verschafft mir die Ehre?« fragte er neugierig.
»Ich will allein mit Ihnen sein,« antwortete die Baronin, indem sie sich möglichst im Schatten hielt.
»Rebeccchen, gehe, Dich zu entfernen, bis ich rufe, damit Du wiederkommst, um zurückzukehren!«
Die Alte ging. Da langte die Baronin in die Tasche, zog den Stein hervor, reichte ihn dem Juden hin und fragte: »Was ist das?«
Er nahm den Stein in die Hand und hielt ihn an das Licht, um ihn zu betrachten. Erst schüttelte er den Kopfe; dann setzte er eine schärfere Brille auf und trat mit dem Lichte in eine Ecke, wo er, der Baronin den Rücken zukehrend, irgendwelche Manipulation vornahm, von der sie aber nichts sehen konnte. Als er dann wieder herbeitrat, hatte sein Gesicht einen ganz anderen Ausdruck bekommen. Er hustete einige Male und sagte dann: »Was wird es sein? Ein Stein, welchen man nennt Jaspis oder Achat, werth in höchsten Fällen zehn bis fünfzehn Kreuzer.«
»So gieb wieder her, Alter! Es giebt Leute, welche viel bessere Kenner sind als Du!«
Er fuhr zurück und sagte:
»Soll es etwa sein kein Jaspis oder Achat? Wird es sein etwa Karneolenstein oder Bergkrystall?«
»Mache Dich nicht lächerlich! Ich will wissen, welchen Werth der Stein hat. Ich habe keine Zeit, mich von Dir foppen zu lassen!«
»Gott Abrahams, ist der Herr rasch und von großer Hitze! Wissen Sie denn, was es ist für ein Steinchen?«
»Ein Diamant!«
Da streckte der Jude beide Hände in die Luft und rief:
»Soll mich leben lassen Jehova, bis ich sterbe! Demant soll es sein? Ein Demantstein? Wie ist das möglich? Will der Herr aus mir machen einen Narren für sein Vergnügen?«
»Unsinn! Willst Du ehrlich sein oder nicht? Du denkst, ich kenne Dich nicht! Hier, lies!«
Sie zog ein Papier aus der Tasche und reichte es ihm hin. Er warf einen Blick darauf, und dieser einzige genügte.
»Die geheime Schrift! Gott Jakob’s! So ist der Herr am Ende gar ein – ein – ein –«
»Nun, wer?«
»Ein Bekannter des Hauptmannes?«
»Ja, das bin ich! Also, nun weißt Du, mit wem Du es zu thun hast, und sei jetzt ehrlich! Was für ein Stein ist es?«
»Ein Demant, ja ein Demantstein!«
»Wie viel werth?«
»Dieser Stein wird kosten zu schleifen ein großes Geld!«
»Sapperment! Ich habe Dich nicht gefragt, was er zu schleifen kostet, sondern welchen Werth er jetzt hat!«
»So will ich sagen, daß der Stein ist werth für den Kenner die Summe von sechstausend Gulden.«
»Zeige einmal!«
Sie that, als ob sie den Stein nur betrachten wolle. Er gab ihn ihr zurück, während seine matten Augen vor Habgier leuchteten. Sie aber steckte den Diamant ein und sagte: »Du bist nicht werth, daß man Dir den geringsten Vortheil zuwendet, alter Schacherer! Gute Nacht!«
Sie drehte sich um, sich zu entfernen; aber da hatte er auch bereits ihren Arm erfaßt und rief:
»Halt! Warum wollen Sie fort? Warum wollen Sie sagen gute Nacht, da doch ein gutes Geschäft viel besser ist, als eine gute Nacht! Bleiben Sie bei mir noch eine kleine Weile!«
»Wozu? Du bist unverschämt!«
»Ich werde sagen ganz aufrichtig den Werth des Steines. Zeigen Sie ihn mir her noch einmal!«
»Nein. Er bleibt in meiner Tasche. Du hast ihn gesehen und auch geprüft. Willst Du ihn kaufen?«
»Wenn der Herr will annehmen Verstand, so werde ich vielleicht kaufen den Demantstein.«
»Gut! Wieviel bietest Du?«
»Von wem ist er?«
»Mensch, was fällt Dir ein? Sage, was Du bietest. Ich gebe Dir fünf Minuten Zeit. Sind wir bis dahin nicht einig, so wird überhaupt nichts aus dem Handel!«
»Fünf Minuten! Wie können fünf Minuten ausreichen, um zu kaufen einen Demantstein! Dazu muß man doch haben Tage, Wochen und Jahre!«
»Gute Nacht!«
Sie wendete sich wieder nach der Thür; er aber ergriff sie abermals beim Arme.
»Halt!« rief er. »Sprechen Sie zu mir ein Wörtchen im Vertrauen. Wieviel wollen Sie haben für den Stein?«
»Hundertfünfzigtausend Gulden.«
Der Jude that einen Sprung in die Luft, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie, als wenn er am Spieße stäke: »Hundert –«
»Fünfzig –« nickte sie.
»Tausend –«
»Gulden! Ja, nicht anders!«
»Gott Israels, ich sterbe vor Schreck!«
»Es ist nicht schade um Dich!«
»Ich bebe und zittere am ganzen Leib!«
»Wegen Deines bösen Gewissens!«
»Mich wird treffen der Schlag!«
»Ich wollte, es träfe Dich ein Schlag um den anderen!«
»Ich will mich beruhigen und besänftigen. Sie haben gemacht einen Scherz! Sie werden streichen ein Nüllchen von dieser großartig unendlichen Ziffer!«
»Wenn Du Dich nicht bald erklärst, hänge ich noch eine Null hinan, anstatt daß ich eine streiche!«
»Das ist zu viel, das ist viel zu viel! Das kann ich nicht geben! Das kann kein Mensch bezahlen!«
»Nun, ist er etwa nicht so viel werth?«
»Er ist werth noch ein klein Wenig mehr. Ich sage das, weil ich will sein aufrichtig. Der Schliff aber wird kosten viel Geld. Ein Juwelier wird bieten hunderttausend Gulden.«
»Blos?«
»Das wird er bieten!«
»Und geben?«
»Geben wird er zwanzigtausend mehr.«
»Gut! Also hundertzwanzigtausend Gulden. Du zahlst mir jetzt die Hälfte und in einer Woche die zweite Hälfte.«
Der Jude machte ein Gesicht, als ob er vor einem Abgrunde zurückschaudere, der sich plötzlich vor ihm geöffnet habe.
»Zahlen? Ich?« fragte er.
»Ja! Natürlich!«
»Für den Stein?«
»Wofür sonst?«
»Und hundertzwanzigtausend Gulden?«
»Gewiß!«
»Habe ich denn geboten dieses Geld, he?«
»Du hast doch gesagt, daß ich so viel erhalten würde!«
»Ja, aber vom Juwelier!«
»Von Dir nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil der Juwelier kauft am Tage und nur von Leuten, die er kennt; ich aber muß kaufen des Abends und des Nachts, und weiß nicht, wer es ist, der mir bringt Diamanten und alte Handschuhe.«
»Nun, der Unterschied ist nicht bedeutend.«
»Aber wenn nun kommt die Polizei und nimmt mir den Stein, weil sie sagt, er sei gestohlen?«
»Lege ihn nicht her.«
»Was soll ich sonst machen damit?«
»Ihn schleifen lassen. Dann kannst Du ihn offen verkaufen.«
»Muß ich nicht haben beim Schleifer eine Legitimation, um nachweisen zu können, von wem ich habe den Diamant?«
»Das geht mich nichts an!«
»Aber mich geht es an, wenn man sagt, daß Salomon Levi habe gekauft gestohlene Sachen.«
»Jude, werde nicht anzüglich! Mach es kurz und nenne mir das höchste Geld, welches Du thun kannst!«
»So werde ich geben heute dreißigtausend Gulden, aber mehr keinen Kreuzer und keinen Pfennig!«
»Nicht mehr?«
»Nein.«
»Ist das Dein Ernst?«
»Ich gebe darauf einen Schwur, daß –«
»Gute Nacht, dummer Mensch!«
Jetzt machte sie Ernst. Sie war schnell wie der Wind zur Thür hinaus. Zwar sprang ihr der Handelsmann nach, um sein Gebot zu erhöhen, aber als er den Hausflur erreichte, stand Rebecca allein da.
»Wo ist der Mann?« fragte er ganz athemlos.
»Fort!«
»Und Du hast ihn gelassen fort?«
»Was soll ich machen? Er kam heraus und riß zurück den Riegel und machte auf die Thür, ohne daß ich sagen konnte ein Wort, oder ihn fassen bei der Hand.«
»Nun ist auch fort der Stein!« wehklagte Salomon.
»Was für ein Stein?«
»Ein Demantstein.«
»Gott Jakob’s! Ein Demantstein! War er groß und schön?«
»Er war werth eine halbe Million, und ich habe geboten dreißigtausend. Ich hätte ihn bekommen für sechzig-oder achtzigtausend! Rebeccchen, warum hast Du lassen fortgehen den Mann?«
Während diese Beiden nun jammerten und klagten, kehrte die Baronin nach ihrer Wohnung zurück. Sie brauchte das Geld nicht zur Noth und sah sich also nicht gezwungen, den Stein zu verschleudern. Sie konnte warten bis später.
Der Fürst hatte auf der anderen Straßenseite an einer dunklen Thür gestanden. Er begriff die Baronin vollständig. Sie wußte, daß er heute bestohlen werden solle, und hatte die Steine für sich genommen, um hinter dem Rücken ihres Mannes auch Besitz zu haben. Der Diamantendiebstahl mußte natürlich den Einbrechern zugeschoben werden.
Da sah er, daß die Baronin wieder aus dem Hause trat und sich eilig entfernte. Er mußte wissen, wo der Stein blieb, ob sie nach Hause ging oder einen anderen Hehler aufsuchte. Er folgte ihr also bis zum Pförtchen, hinter dem sie verschwand. Dann suchte er Anton auf, der noch immer auf seinem Posten stand.
»Ist Jemand passirt?« fragte er.
»Niemand.«
»Der Baron also noch nicht zurückgekehrt?«
»Nein.«
»Man sollte wissen, wo er sich befindet!«
»O, das weiß ich genau, Durchlaucht!«
»Wirklich?«
»Ja, ich weiß es von der Zofe, die es vom Kammerdiener erfahren hat. Er ist in sein Casino und hat zurückgelassen, daß er wohl sehr spät wiederkommen werde.«
Dies hatte der Baron, der sonst nie sagte, wohin er gehe, mit Absicht gethan. Er setzte sich den Fall, daß er ein Alibi zu beweisen haben werde. Dann war es gut, wenn seine Leute als Zeugen zu seinem Gunsten auszusagen vermochten.
»Kennst Du das casino?« fragte der Fürst.
»Sehr gut.«
»Ich würde hingehen, aber ich bin zu Hause unentbehrlich. Hier ist nichts zu erreichen. Begieb Dich also nach dem Casino. Du gehst in das allgemeine Gastzimmer und wirst wohl scharfsinnig genug sein, zu erfahren, wann der Baron fortgeht.«
»Soll ich ihm folgen?«
»Nein. Er könnte das bemerken. Ich hätte nur Schaden davon. Auf alle Fälle aber mußt Du halb drei Uhr daheim sein. Man weiß nicht, wie Du mir nothwendig werden kannst.«
Anton ging, und der Fürst kehrte nun in die Wasserstraße zurück, um zu erfahren, ob der Diamant dort verkauft worden sei. Er klopfte an die Thür, und Rebecca öffnete halb.
»Wer ist da?« fragte sie.
Er hatte keine Lust, hier auf der Straße eine lange Vorverhandlung anzuknüpfen; darum stieß er die Thür auf, so daß die Alte zurück und gegen die Mauer flog.
»Herr Sabaot!« schrie sie auf. »Salomonleben, komm heraus, zu retten Dein Weib Rebecca aus den Händen dieses Sohnes der Hethiter und Jebusiter.«
»Schweig, dummes Weib!« herrschte sie der Fürst an. »Ich thue Dir nichts; aber es kann mir gar nicht einfallen, mich da draußen von Dir verhören zu lassen!«
Da wurde die Thür zur Stube geöffnet; Salomon streckte die Nase vor und fragte:
»Was ist’s, Rebeccchen? Warum hast Du geschrien?«
»Dieser Mann ist hereingekommen, ohne zu warten, bis ich es ihm erlaube, und hat mich geworfen gegen die Mauer, daß mir gesprungen ist das Feuer aus den Augen, gerade als ob ich wäre der Zunder und die Mauer der Feuerstein!«
Der Jude hatte den Fürsten noch gar nicht bemerkt. Jetzt trat er weiter heraus, betrachtete ihn und fragte dann: »Herr, warum werfen Sie mein Weib an die Wand?«
»Nur nicht grob, Jude, sonst fliegst Du auch daran! Kommt einmal herein mit einander!«
Er schob die Beiden in die Stube. Sie blickten ihn ganz erschrocken an. Er aber betrachtete sie sich lächelnd und sagte dann: »Ich komme, um mich nach Etwas zu erkundigen, und ich hoffe, daß Ihr mir die Wahrheit sagt.«
»Salomon Levi sagt niemals eine Lüge, Herr! Und Rebecca, sein Weib, ist die Wahrheit selbst, die Wahrheit personificirt, so daß sie könnt werden gemalt auf die Leinwand als junge Göttin der Wahrheit und gehängt an die Wände, eingerahmt in Gold und mit einer Glastafel für einen Gulden.«
»Werden sehen, ob es stimmt! Habt Ihr vor Kurzem Besuch gehabt, Salomon Levi?«
»Besuch? Ja, den haben wir vor Kurzem gehabt.«
»Wer war es?«
»Der Herr Rabbiner Ben Johaba, welcher ist bei uns geblieben fast eine ganze Woche lang.«
»So meint ich es nicht. Ich spreche von heute Abend. Wer war die letzte Person, welche bei Euch war?«
»Das war Fräulein Sarah Rubinenstein, welche ist die letzte und einzige Freundin meiner Tochter Judithleben.«
»Wann ging sie fort?«
»Sie ist gegangen, als die Glocke schlug die zehnte Stunde.«
»Später war Niemand da?«
»Kein Mensch.«
»Rebecca, Weib, sage, ob ich lüge!«
»Herr, er hat die reine Wahrheit gesprochen!« betheuerte sie.
»Du lügst ebenso, Alte! Du kannst allerdings an die Wand gehängt werden, aber ohne Glas und Rahmen, einfach mit einem Strick an den Nagel und zwar als Göttin der Lüge!«
Das war dem alten Salomon denn doch zuviel. Er stellte sich in Positur, stemmte die Hände in die Seiten und rief: »Herr! Wissen Sie, daß ich habe das Recht meines Hauses!«
»Ihr Hausrecht meinen Sie, Verehrtester? Ja!«
»Und daß ich kann Sie werfen hinaus?«
»Ja, bitte, versuchen wir es!«
»Nein, ich werde nicht eher legen meine Hand an Sie, als bis ich Sie habe aufgefordert drei Mal, sofort zu verlassen, meine Wohnung. Gehen Sie dann noch nicht, so werde ich nicht nur legen eine Hand an Sie, sondern alle beide Hände!«
»Schön! Also beginnen wir!«
»Verlassen Sie mein Haus!«
»Das ist einmal!«
»Verlassen Sie mein Haus augenblicklich!«
»Zweimal!«
»Verlassen Sie sofort mein Haus!«
»Sie gehen nicht?«
»Nein.«
»So werde ich legen meine Hand an Sie und Sie werfen hinaus auf die Straße, wo da ist der Schnee am Tiefsten und das Eis am Kältesten!«
»Thun Sie es! Ich warte darauf, Werthester!«
Salomon blickte seine Frau an und sie ihn; beide waren wortlos. Der gute Hehler und Handelsmann war niemals ein Held gewesen. Jetzt fühlte er sogar Furcht.
»Ich werde Sie verklagen wegen Friedensbruch des Hauses!« drohte er, indem er sich ein fürchterliches Aussehen zu geben versuchte.
»Und ich werde sagen, daß Sie ein alter Fuchs sind, ein Lügner, wie er im Buche steht! War wirklich nach Fräulein Sarah Rubinenthal Niemand hier bei Euch?«
»Kein Mensch, sage ich!«
»Und doch wurde Euch ein Diamant zum Kaufe angeboten!«
Die Beiden erschraken.
»Ein Diamant?« fragte der Alte.
»Ja.«
»Was weiß ich davon? Weißt Du es, Rebeccaleben?«
»Kein Wort weiß ich!«
»Nun gut! Seht einmal her! Da! Und wenn Ihr noch jetzt die Wahrheit verleugnet, arretire ich Euch Beide.«
Er zeigte ihnen die Polizeimedaille hin.
»Gott der Gerechte!« rief der Jude. »Ein Polizist! Einer von dem berühmten Corps, welches man nennt die Herren Detectives von der Geheimpolizei!«
»So ist es! Also heraus mit der Wahrheit! Oder wollt Ihr vielleicht auch jetzt noch leugnen?«
»Nein, mein hochgeehrter Herr Polizist! Ein Mann des Geschäftes sagt nicht Jedermann, was er weiß; aber die Polizei ist mein Freund; ich liebe sie; ich werde ihr Alles sagen.«
»Gut! Also es war ein Mann hier mit einem Diamanten?«
»Ja.«
»Er bot ihn zum Kaufe an?«
»Ja.«
»Hast Du ihn gekauft, Alter?«
»Wie habe ich können kaufen den Stein? Bin ich doch ein armer Mann, welcher nicht hat hundert Gulden in seinem Hause, um viel weniger so viel, wie wurde verlangt.«
»Du lügst auch jetzt noch! Du bist wohlhabend und hast Geld genug. Mir aber genügt, daß Du den Stein nicht gekauft hast. Wie viel wurde verlangt?«
»Hundertzwanzigtausend Gulden.«
»Und wie viel war er werth?«
»Weiß ich es? Habe ich jemals gekauft einen Diamanten? Kann ich überhaupt kaufen Edelsteine? Ich weiß, was werth sind ein Paar Schuhe oder Stiefel, welche sind ohne Sohlen und Absätze, aber ich weiß nicht, was werth ist ein Diamant!«
»Kanntet Ihr den Menschen?«
»Nein.«
»Er war noch nicht bei Euch?«
»Noch nicht in seinem ganzen Leben.«
»Wohl, so will ich mich mit dieser Antwort begnügen. Wie aber steht es nun mit dem Hinauswerfen?«
»Herr, das war ein Spaß! Man ist oft aufgelegt, zu machen eine kleine Art Jux von Scherz.«
»So will ich es also betrachten. Gute Nacht!«
»Gute Nacht! Schlafen der Herr Geheimpolizist wohl! Rebeccaleben, lasse ihn hinaus und verschließe die Thür, daß nicht etwa noch Einer kommt, Dich zu werfen an die Wand!«
Jetzt hatte der Fürst in dieser Stadtgegend nichts mehr zu thun. Er kehrte nach Hause zurück. Dort fand er, daß Adolf fleißig gewesen war. Der Inhalt des Juwelenschrankes war umgetauscht worden. Die Dienerschaft erhielt ihre Befehle. Sämmtliche Leute sollten sich in einem nahen Zimmer einschließen. Sie waren bewaffnet, erhielten aber die Weisung, sich gänzlich ruhig zu verhalten und nur dann anzugreifen, wenn der Fürst selbst es befehlen würde. Um zwei Uhr sollten alle Lichter verlöscht sein.
Halb drei Uhr, als bereits Alles finster war, kehrte Anton zurück. Er meldete, daß der Baron sich noch immer im Casino befinde, und begab sich dann in das betreffende Zimmer zu den anderen Leuten.
Nun legte sich der Fürst zu Bette, aber angekleidet und mit zwei Revolvern bewaffnet. Adolf begab sich hinab in den Garten, an dessen Thor er Posto faßte.
Die Zeit verging, und es schlug drei Uhr. Da löste sich, nicht weit von dem Gitterthore, eine Gestalt aus dem Schatten eines Baumes los und kam langsam näher. Der Mann that ganz so, als ob er in tiefe Gedanken versunken sei und die Absicht habe, vorüber zu gehen. Als er eben am Thore anlangte, entfiel seinen Händen ein weißes Taschentuch.
»Pst!« flüsterte Adolf. »Kommen Sie vom Hauptmanne?«
Der Mann hatte sich ruhig niedergebückt, um das Tuch aufzuheben. Jetzt machte er eine gut gespielte Bewegung der Ueberraschung und fragte, auch in gedämpftem Tone: »Sprach hier Jemand?«
»Ja.«
»Was sagten Sie?«
»Ob Sie vom Hauptmann kommen?«
»Ich weiß gar nicht, was Sie meinen!«
Da aber knirschte es leise hinter Adolf im Sande, und in demselben Augenblicke stand ein zweiter Mann neben ihm.
»Brauchst nicht so sehr vorsichtig zu sein!« sagte dieser zu dem draußen Stehenden. »Wir haben uns überzeugt, daß wir sicher sind. Steig leise über!«
Der Aufgeforderte war so leicht und schnell über den Zaun herüber, daß er darin eine sehr gute Uebung haben mußte.
»Ist der Hauptmann da?« fragte er.
»Ja. Ich werde ihm das Zeichen geben.«
Er schnippste mit dem Finger. Dies gab keinen sehr lauten Ton, doch war derselbe auf eine ziemliche Entfernung hin zu vernehmen. Einige Augenblicke später kam eine dritte Gestalt herbei gehuscht, welche bei Adolf stehen blieb, während sich die beiden Anderen in respectable Entfernung zurückzogen.
»Sie sind der Diener Adolf?« fragte der Mann.
»Ja.«
»Ich bin der Hauptmann. Sie legen heute Ihre Probe ab. Bestehen Sie dieselbe, werden Sie eine Restauration erhalten; bestehen Sie dieselbe aber nicht, oder treiben Sie gar Verrath gegen uns, so sind Sie bereits jetzt ein todter Mann!«
»Ich habe versprochen, Sie einzulassen, und ich pflege mein Wort zu halten, Herr Hauptmann.«
»Einlassen, ja! Aber hat man uns keinen Hinterhalt gelegt?«