»Auch ich stimme bei. Ist Bertram wirklich unschuldig, so kann es nur mein Wunsch sein, mich baldigst davon zu überzeugen.«

Er klingelte und ließ Frau Bormann vorführen.

»Diese Dame,« sagte er, auf Fanny deutend, »hat mich von Ihrem Wunsche, mit Ihrem Manne zu sprechen, unterrichtet. Ich habe Ihnen denselben wiederholt abgeschlagen, bin aber jetzt auf die Befürwortung hin bereit, ihn zu erfüllen. Aber Ihr Mann ist Untersuchungsgefangener. Eigentlich sollte ich bei der Unterredung gegenwärtig sein; da ich aber glaube, daß meine Gegenwart die Entwicklung besserer Gefühle verhindern würde, so sollen Sie allein mit ihm sein; doch stelle ich natürlich meine Bedingungen.«

»Sagen Sie mir, was ich zu thun habe, Herr Assessor!« bat die Frau.

»Sie gehen nicht auf einen Fluchtversuch ein?«

»Mein Gott, das kann mir gar nicht einfallen!«

»Sie nehmen auch keinen Auftrag von ihm an, welcher der Untersuchung schädlich sein würde!«

»Nein.«

»Sie suchen ihn nicht auszuforschen. Das würde sein Mißtrauen hervorrufen, wie ich ihn kenne.«

»Herr Assessor, ich kenne ihn noch genauer. Ich werde ihn nur nach häuslichen Angelegenheiten fragen. Erst dann, wenn ich sehe, daß er nicht bei ganz schlimmer Meinung ist, werde ich ihn bitten, sich seine Lage nicht durch Starrsinn zu verschlimmern.«

»So werden Sie richtig handeln. Ich wünsche besonders, daß er in betreff Bertram’s die Wahrheit sagen möge. Suchen Sie darauf hinzuwirken, wenn dies ohne Gefahr möglich ist!«

Jetzt führte er sie selbst nach derjenigen Abtheilung des Gerichtsgebäudes, in welcher die Gefangenen untergebracht waren, und gab dem Gefängnißmeister seine Instruction. Nachdem die Ausgänge besetzt worden waren, führte ein Schließer die Frau nach der betreffenden Zelle, schloß dieselbe auf und zog sich dann zurück.

Bormann lag lang ausgestreckt auf der bloßen Diele. Er athmete schwer und schien es gar nicht bemerkt zu haben, daß die Thür geöffnet worden war. Seiner Frau wurde es ganz unbeschreiblich wehe zu Muthe. Durch das Fenster fiel nicht übermäßig Licht herein, aber es reichte doch zu, sie Alles erkennen zu lassen. Sie kämpfte die Thränen, welche aus ihren Augen brechen wollten, muthig nieder.

»Wilhelm!« sagte sie.

Er regte sich nicht.

»Wilhelm!«

Er öffnete die Augen, regte sich aber nicht.

»Wilhelm! Ich bin es! Ich bin da!«

Sie trat ein. Da endlich richtete er sich auf, aber langsam und zögernd, als ob er sich im Traume befinde.

»Wer kommt? Wer?« fragte er in rauhem Tone und indem seine Augen sich gläsern auf sie richteten.

»Ich! Kennst Du mich nicht?«

Ihr wurde es bei diesem Benehmen ganz angst und bange. Sie trat vorsichtig wieder bis an die Thür zurück.

»Dich kennen?« fragte er. »Dich – Dich – – Dich? Ah, ich sehe Dich von Weitem! Ich höre Deine Stimme aus der Ferne, aber ich denke doch, daß Du es bist, mein Weib, meine Frau!«

Er starrte ihr mit weit offenen Augen entgegen. Das Gift, welches er von seinem Bruder erhalten hatte, war bereits in Wirkung getreten. Er sah und hörte Alles nur wie aus der Ferne und wie durch einen Nebel.

Jetzt erst, als er hoch erhoben dastand, erkannte der Knabe seinen Vater. Er streckte ihm die Ärmchen entgegen und rief: »Papa! Papa!«

Da war es, als ob der Gefangene electrisirt worden sei. Er that einen Satz in die Luft und schrie:

»Der Junge! Donnerwetter! Ist der Junge da?«

»Papa! Papa!«

Noch einmal lauschte er wie ein wildes Thier, welches sein Junges schreien hört, dann sprang er nach der Ecke, in welcher der gefüllte Wasserkrug stand, und goß sich den ganzen Inhalt desselben über den Kopf.

»Ach, endlich! Endlich kann ich sehen!« sagte er dann. »Weib, Du hier! Und der Junge mit! Das vergelte Euch Gott!«

Er schlang beide Arme um Weib und Kind und drückte sie an sich. Die Frau weinte laut vor Freude und Jammer.

»Wilhelm,« sagte sie, »bist Du krank?«

»Krank? Ja, ja! Hölle und Teufel, mit mir wird es wohl nun aus sein!«

»Warum? Warum? Was fehlt Dir denn?«

»Mein Bruder war da, in der Nacht, draußen auf der Leiter, mit dem Hauptmanne. Er gab mir Schnaps zu trinken. Seit diesem Augenblicke habe ich ein Feuer in mir. Die Augen vergehen mir, und das Gehör wird schwach. Hat man mir Gift gegeben?«

Sie erschrak.

»Das wird doch Dein Bruder nicht thun,« sagte sie.

»Ich denke auch nicht.«

»Oder der Hauptmann?«

»Auch nicht. Er hat mich ja retten wollen. Er braucht mich. Aber woher dieses Feuer in mir, welches mir den Verstand nehmen will?«

»Nur von dem Branntwein vielleicht.«

»Möglich! Bei dieser Gefängnißkost wird man so kraftlos, daß man keinen Tropfen Spiritus mehr vertragen kann. Aber, warum bist Du nicht eher einmal gekommen?«

»Ich durfte nicht. Untersuchungsgefangene dürfen mit ihren Angehörigen nicht sprechen.«

»Aber warum darfst Du heute?«

»Das habe ich dem gütigen Fräulein von Hellenbach zu danken.«

»Von Hel – Hel – – wie war der Name?« fragte er.

»Hellenbach.«

»Meinst Du die Tochter des Obersten?«

»Ja.«

»Bei der ich eingebrochen bin?«

»Ja.«

»Bist Du verrückt! Diese soll Dir die Erlaubniß ausgewirkt haben?«

»Ja, diese und keine Andere.«

Er griff sich an den Kopf, als ob er den Gedanken nicht zu fassen vermöge.

»Was hat sie für einen Zweck dabei?« fragte er.

»Keinen. Sie that es aus Mitleid.«

»Aus Mitleid? O, das glaube ich nicht! Traue diesem reichen, vornehmen Volke nicht! Du bist dumm! Sie wollen Dich fangen oder vielmehr mich durch Dich!«

»Nein, nein! Sie hat es ehrlich gemeint!«

»Das zu glauben, wäre Wahnsinn! Paß’ auf! Da hinter der Thüre steht man, um zu hören, was wir sprechen.«

»Nein. Kein Mensch ist da.«

»Keiner! Das wäre ein Wunder!«

Er trat hinaus, um sich zu überzeugen. Er kannte die Hausordnung und die Gebräuche der Untersuchung. Er war ganz erstaunt, als er bemerkte, daß sie die Wahrheit gesagt habe.

»Daraus werde ich nicht klug,« meinte er. »Oder sollte es eine Falle sein? Die Hellenbach! Weib, solltest Du Dich hergegeben haben, mich zu betrügen?«

Er trat zurück und ballte drohend die Fäuste.

»Was denkst Du von mir? Ich habe mein Wort geben müssen, nichts Verbotenes mit Dir zu besprechen. Dieses Wort werde ich halten, und so hat man mich zu Dir gelassen.«

»Das ist Dein Glück! Ich hätte Dich mit dieser meiner Faust niedergeschlagen, wenn ich bemerkt hätte, daß Du an mir zur Verrätherin werden wolltest!«

»Was könnte ich den verrathen? Ich weiß ja nichts!«

»Das ist wahr. Also, setze Dich zu mir her auf die Pritsche und gieb mir den Jungen. Unterdessen kannst Du mir sagen, was Du mir mitzutheilen hast.«

Er nahm den Knaben aus ihren Armen, und sie setzten sich neben einander. Sie wußte, daß er Thränen nicht leiden könne, darum beherrschte sie sich, obgleich ihre Lage eine wirklich traurige war. So besprachen sie Alles, was in Beziehung auf Familie und Wirthschaft zu besprechen war. Sie bemerkte dabei, daß er sich Mühe geben mußte, ihr mit seinen Gedanken zu folgen.

»Welche Strafe denkst Du wohl, daß ich bekommen werde?« fragte er später.

»Mein Gott! Es ist schrecklich! Man spricht von über zwanzig Jahren Zuchthaus. Wie oft habe ich Dich –«

»Still! Ruhig!« unterbrach er sie. »Kein Jammern! Es ist so, und es kann durch Wehklagen nicht anders werden! Was wirst Du während dieser langen Zeit thun?«

»Was soll ich thun? Arbeiten!«

»Arbeiten? Pah! Heirathen wirst Du! Einen Anderen nehmen!«

»Das kommt mir nicht in den Sinn!«

»O, Euch Weiber kennt man nur zu gut! Oder weißt Du etwa nicht, daß eine solche Zuchthausstrafe Scheidegrund ist?«

»Ich weiß das allerdings.«

»Nun also! Du wirst Dich scheiden lassen. Und mein Junge da, mein Herzensjunge, der –«

Er hielt inne. Seine Augen funkelten wie diejenigen einer Tigerin, der man ihr Junges nehmen will. Seine Frau reichte ihm die Hand entgegen und sagte: »Wilhelm, Du hast großes Herzeleid über mich gebracht; aber ich bin Deine Frau und die Mutter Deines Kindes; ich habe Dich trotz alledem noch lieb, und ich werde auf Dich warten.«

Er sah sie ungläubig an.

»Warten willst Du?« fragte er. »Eine so lange, lange Zeit?«

»Gott wird mich stärken! Hier meine Hand! Ich schwöre Dir, daß ich Dir treu bleiben werde! Dein Kind soll keinen anderen Vater haben. Darauf kannst Du Dich verlassen!«

Es war, als ob man ihm etwas ganz Unglaubliches und Wunderbares gesagt habe. Aber er kannte sie; er hörte den Ton ihrer Stimme, und es war ihm unmöglich, zu zweifeln.

»Weib! Auguste! Gustel!« rief er, indem er den Arm um sie schlang und sie an sich zog. »Ist das wahr? Ist das wirklich wahr?«

»Ja, ich schwöre es Dir!«

»Das bin ich nicht werth! Weiß Gott, das bin ich nicht werth! Gustel, so eine Frau habe ich nicht verdient! Aber um des Jungen willen, laß Dich nicht von mir scheiden! Nicht?«

»Nein!«

Sie hielten sich umschlungen.

»Papa! Papa!« jauchzte der Kleine, der seinen Hunger ganz und gar vergessen hatte.

In den Augen des Riesen standen Thränen. Es war eine Stimmung über ihn gekommen, wie er sie kaum in seinen Kinderjahren an sich bemerkt hatte.

»Und dann, Gustel, noch Eins!« sagte er. »Wenn der Junge heranwächst und verständiger wird, dann wird er nach seinem Vater fragen. Was wirst Du ihm antworten?«

»Daß Du in Amerika bist.«

»Nicht im Zuchthause?«

»Nein. Er soll seinen Vater lieben und achten können.«

»Herrgott, was habe ich für eine gute, gute Frau! Und was für ein schlechter Kerl bin ich gewesen! Aber das soll nun anders sein! Ich werde in dem Zucht – na, in dem Hause arbeiten, daß mir das Bast von den Fingern fällt. Ich werde mir Geld verdienen und eine gute Censur. Und wenn dann die Jahre, die langen, die ewig langen Jahre vorüber sind, und ich komme nach Hause, dann, dann – Donnerwetter, dieses Glück könnte ich schon längst gehabt haben, wenn ich klüger gewesen, klüger und besser und nicht in die Hände dieses Hauptmannes gefallen wäre! Verdammt sei er in alle Ewigkeit!«

Sie legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.

»Sei ruhig, Wilhelm!« sagte sie. »Du wirst nicht so lange gefangen sein!«

»Ah, denkst Du, daß ich weniger bekomme?«

»Das weiß ich nicht; aber Du wirst ein Gnadengesuch machen.«

»Das wird mir verdammt wenig helfen!«

»O doch! Und vielleicht, wenn Du jetzt bereits ein Wenig einsichtsvoll sein wolltest, würde man Dir die Strafe nicht gar so hoch zumessen!«

»Einsichtsvoll? Inwiefern denn?«

»Man hält Dich für einen ganz und gar gottlosen Menschen, weil Du Unschuldige mit in’s Elend bringst. Gerade deshalb wird man zur schärfsten Strafe greifen.«

»Unschuldige? Wen meinst Du denn?«

»Nun, diesen Bertram.«

»Hält man ihn denn für unschuldig?«

»Alle Welt sagt, daß er unschuldig sei?«

»Aber wie kommt er denn in meiner Gesellschaft in das Zimmer der Baronesse?«

»Er hat Dich bemerkt und ist Dir nachgestiegen, um das gnädige Fräulein zu retten!«

»Hm! Das hat man sich gut ausgesonnen! Gar nicht so übel!«

Das sollte Ironie oder gar Hohn sein; aber es wollte ihm doch nicht gelingen, den richtigen Ton zu treffen.

»Willst Du spotten?« fragte sie. »Man sagt, daß Du nur aus Rache angegeben hast, daß er Dein Mitschuldiger sei! Du willst ihn mit in das Verderben ziehen. Das zeichnet Dich als ganz und gar schlechten und gottlosen Menschen. Darum wird man Dir die höchste Strafe geben, und dort in – na, in jenem Hause wirst Du dann wohl recht sehr schlimm behandelt werden.«

»Hm!«meinte er nachdenklich. »Mein Kopf wird mir ganz schwach; aber es ist mir so, als ob Du Recht haben könntest. Hält der Assessor den Bertram auch für unschuldig?«

»Ja.«

»Und die Baronesse?«

»Auch.«

»Was kann denn Die wissen! Ueberhaupt darfst Du ihr nicht trauen!«

»Nicht trauen? Wilhelm, ich habe gehungert, und auch das Kind hat kaum genug zu essen gehabt –«

»Was? Wie?« brauste er auf. »Das Kind nicht genug zu essen? Hast Du denn nicht gearbeitet?«

»Ich hatte keine Arbeit. Wo ich früher plättete, lohnte man mich ab, und wo ich sonst hinkam, wollte man von der Frau des Riesen nichts wissen. Stehlen wollte ich nicht. Ich gab dem Kinde gerade die letzte Rinde, als die Baronesse kam. Weißt Du, was sie that?«

»Nein.«

»Sie schenkte mir zehn Gulden.«

»Donnerwetter! Für die schlage ich zehn Kerle todt!«

»Sie versprach mir Arbeit, und dann nahm sie mich mit in ihre Equipage – denke Dir nur, sie schämte sich nicht! – und kaufte dem Kleinen den Anzug hier, damit er nicht frieren sollte.«

Erst jetzt bemerkte der Riese den Anzug. Er betrachtete sich denselben und sagte dann:

»Das hat sie gethan? Aus freien Stücken?«

»Ja. Sie will auch weiter für das Kind sorgen.«

Da nahm er seine Frau bei der Hand und sagte:

»Gustel, es ist wahr, es giebt noch gute Menschen, und darum ist es auch möglich, daß es einen Gott im Himmel giebt. Mein Junge soll nicht hören müssen, daß sein Vater ein gottloser, unverbesserlicher Bösewicht ist. Ich werde den Leuten beweisen, daß es nicht so schlimm mit mir steht, wie sie denken.«

»Wolltest Du das? Wirklich, lieber Wilhelm?«

»Ja, das will ich. Aber schnell muß es geschehen. Der Schnaps greift mir schon wieder nach dem Kopfe. Ich muß meine Gedanken zusammennehmen. Es geht Etwas mit mir vor. Vielleicht ist’s dann zu spät. Gehe also jetzt, und sage dem Assessor, er soll kommen; ich hätte ihm ein Geständniß zu machen!«

»Er wird Dich ins Verhörzimmer rufen!«

»Nein. Ich kann nicht; ich bin krank. Er soll den Protokollanten mitbringen. Aber, hörst Du, während ich rede, will ich den Jungen bei mir haben, hier auf meinen Armen. Dann bleibe ich stark. Gehe, eile!«

Sie verließ die Zelle und fand den Assessor bereits am Eingange des Corridors ihrer wartend. Sie sagte ihm, was ihr aufgetragen worden war.

»Um Gotteswillen!« meinte er. »Er ist mit dem Kinde allein! Er wird doch nicht –«

»O nein!« antwortete sie. »Er würde sich eher tödten als dem Jungen das geringste Leid anthun.«

»So kehren Sie zu ihm zurück. Ich werde in ganz kurzer Zeit nachfolgen.«

Als er nach einigen Minuten mit dem Protokollanten in die Zelle trat, saß das Ehepaar verschlungen auf der harten Pritsche. Der Gefangene hatte den Knaben auf seinem Schooße sitzen. Er erhob sich.

»Bleiben Sie sitzen, Herr Bormann! Sie sind ja krank!« sagte der Assessor in freundlichem Tone.

Das war dem Einbrecher noch nicht passirt. Es ging wie ein Glanz innerer Freude über sein Gesicht.

»Meinen Sie, daß Ihre Frau bei dem, was Sie mir zu sagen haben, zugegen sein kann?« fragte Schubert.

»Darf sie denn?«

»Eigentlich ist es gegen die Regel, aber ich denke es verantworten zu können, wenn ich hier einmal eine Ausnahme mache.«

Es war aber ein psychologischer Coup von ihm, die Gegenwart der Frau zu gestatten. Er dachte, daß der Gefangene dadurch in der rechten Stimmung erhalten bleiben werde.

»Sie darf alles hören,« sagte Bormann.

Es wurde ein Tisch mit zwei Stühlen herbei gebracht, und die beiden Beamten nahmen Platz. Der Schließer zog sich zurück.

»Mein Kopf schmerzt mich, und ich habe Fieber,« meinte Bormann. »Es wird mir schwer, nachzudenken. Darum bitte ich, es möglichst kurz zu machen, meine Herren.«

»Ich werde Ihnen diesen Wunsch gern erfüllen,« antwortete der Assessor. »Also, was haben Sie mir mitzutheilen?«

»Ich will Ihnen gestehen, daß der Bertram unschuldig ist.«

»Er ist also Ihr Complice nicht?«

»Nein.«

»Aber Sie kennen ihn?«

»Ich hatte ihn vorher nie gesehen.«

»Wie aber kam er an jenem Abende mit Ihnen in das betreffende Zimmer?«

»Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist er mir nachgestiegen. Ich stand da und hatte die Kette in der Hand; da hörte ich hinter mir den Ruf: ›Zurück, Elender!‹ Als ich mich umdrehte, erblickte ich Bertram, welcher mir die Kette entriß. Zu gleicher Zeit traten die Polizisten ein. Das ist Alles, was ich darüber weiß.«

»Warum gaben Sie ihn als Ihren Mitschuldigen an?«

»Um mich zu rächen. Ich dachte, der Streich würde mir ohne seine Dazwischenkunft gelungen sein.«

»Können Sie das beschwören?«

»Ja.«

Diese Aussage wurde zu Protokoll genommen. Dann fragte Schubert:

»Haben Sie uns in Betreff des Schließers nichts zu sagen?«

Bormann blickte schweigend vor sich nieder. Dann zuckte es wie ein Entschluß über sein Gesicht.

»Ja,« sagte er. »Auch er ist unschuldig.«

»Ah, wirklich? Sprechen Sie da die volle Wahrheit?«

»Die volle.«

»Wie aber kamen Sie aus dem Gefängnisse?«

»Durch den Hauptmann.«

»Auf welche Weise?«

»Ich habe schwören müssen, es nicht zu verrathen.«

»Sie werden es also auch nicht mittheilen?«

»Nein. Ich muß meinen Schwur halten.«

»Sie geben also zu, ein Untergebener des Hauptmannes zu sein?«

»Ja, ich bin es gewesen, mag aber nichts mehr von ihm wissen. Ich will ein ehrlicher Mensch werden.«

»Kennen Sie ihn?«

»Nein«

»Sie wissen nicht, wer er ist?«

»Nein.«

»Sie kamen aber oft mit ihm zusammen?«

»Ja.«

»Wo und in welcher Weise?«

»Darüber muß ich schweigen. Mein Schwur bindet mich.«

»Sie denken, daß man selbst einen solchen Schwur halten muß?«

»Ich halte ihn!«

»Nun, so können Sie mir wenigstens sagen, warum gerade Sie den Einbruch beim Obersten von Hellenbach ausführen sollten?«

»Zu meiner Rettung. Ich sollte, wenn es gelungen war, wieder in das Gefängniß zurück. Dann war bewiesen, daß es einen Menschen gab, der mir ganz ähnlich war.«

»Und wir sollten zu der Ansicht bewogen werden, daß Sie auch den vorherigen Raub nicht verübt hätten?«

»So ist es.«

»Also der gefangene Schließer hat wirklich seine Hand zu Ihrer momentanen Befreiung nicht geboten?«

»Nein.«

Er wollte heute Geständnisse ablegen, und so dachte er, daß es keine Sünde sei, auch den Schließer mit zu befreien. Daß er dabei gegen die Wahrheit fehlte, verursachte ihm keine Gewissensscrupel.

Es wurden noch einige Fragen ausgesprochen. Man nahm seine Antworten zu Protokoll, und dann war das Verhör beendet. Natürlich mußte er sich unterschreiben.

»Herr Bormann,« sagte der Assessor. »Sie haben durch Ihr Geständniß sich selbst den größten Dienst erwiesen. Man wird jetzt wohl geneigt sein, über Ihren Character und Ihr Thun ein milderes Urtheil zu fällen. Halten Sie diese Gesinnung fest. Reue und ein offenes Geständniß versöhnen selbst den schwersten Verbrecher mit der Gesellschaft, gegen deren Gesetze er sündigte. Bei einem Menschen, welcher seine Fehler eingesteht, ist noch auf Besserung zu rechnen. Nehmen Sie jetzt Abschied von Ihrer Frau und von dem Kinde. Sie werden Beide wiedersehen, wenn es auf meine Erlaubniß ankommt.«

»Ja, nehmen wir Abschied!« sagte Bormann. »Ich bin müde, und der Kopf schmerzt mich. Lebe wohl, Gustel! Sage, ob Du mir noch vergeben kannst!«

Sie schluchzte laut auf und legte die Arme um ihn. Diese Antwort war ebenso deutlich als Worte. Er herzte den Knaben, gab ihn in die Arme der Mutter und wendete sich dann ab.

»Lebt wohl!« sagte er. »Ich glaube jetzt selbst, daß ich einst ein besserer Mensch sein werde – wenn ich nämlich das Ende meiner Strafzeit erlebe!«

Die Thür schloß sich hinter ihm.

Als die Anderen im Wartezimmer anlangten, befanden sich der Fürst mit Fanny von Hellenbach noch da. Beide waren begierig, das Resultat zu hören.

»Meine Herrschaften,« sagte der Assessor, »es freut mich, Ihnen mittheilen zu können, daß ich Robert Bertram entlassen kann. Freilich muß ich erst mit dem Herrn Gerichtsdirector sprechen.«

»Der Gefangene hat also eingestanden, daß Bertram unschuldig ist?« fragte Fanny höchst erfreut.

»Ja. Unsere Vermuthung hat sich also bestätigt. Ich habe kein Recht, den jungen Mann zurückzuhalten.«

»Aber wohin soll er denn gehen? Er ist ja jetzt ohne Heimath und Wohnung?«

»Zunächst wird er wohl noch unter den Händen der Ärzte zu verbleiben haben.«

»Dann bedarf er der Pflege. Meinetwegen wurde er verwundet; meinetwegen gerieth er in Verdacht und Gefangenschaft; es ist meine Pflicht, das Alles gut zu machen. Ich werde den Vater bitten, ihn zu uns zu nehmen, damit es ihm nicht an Pflege fehle.«

»Gnädiges Fräulein, ich darf Ihnen weder ab-noch zurathen; aber ich muß Ihnen sagen, daß der Gerichtsarzt meint, es werde vielleicht eine Trepanation nötig sein!«

»So hat er erst recht Anspruch auf unsere Theilnahme!«

Da nahm der Fürst das Wort:

»Ich möchte ganz entschieden abrathen, ihm bei Ihnen ein Asyl zu errichten, liebe, gute Freundin. Ist seine Verwundung eine so gefährliche, daß man zur Trepanation schreiten muß, dann ist eine fachmännische Behandlung und Pflege nothwendig, und die findet er am Besten im Krankenhause.«

»Krankenhaus!« sagte sie, sich leise schüttelnd.

»O, bitte, kein Vorurtheil! Auch ich interessire mich lebhaft für ihn. Ich würde nicht dulden, ihn an der unrechten Stelle zu sehen. Theilen wir uns in die Theilnahme für ihn; aber verursachen wir Ihren werthen Eltern nicht Opfer und Beschwerden, welche nicht unumgänglich nötig sind! Gestatten Sie mir, Ihnen meinen Wagen zur Verfügung zu stellen!«

»Und diese Frau?«

Damit zeigte sie auf Frau Bormann.

»Sie wird mit uns fahren, ganz wie vorher.«

So wurde es. Er stieg mit Fanny ein, und die Frau mußte mit dem Knaben bei ihnen Platz nehmen. Zunächst brachte er die Baronesse nach Hause. Sie trennten sich als Personen, welche sich in so kurzer Zeit sehr nahe gerückt waren. Dann fuhr er die Frau nach der Ufergasse.

Unterwegs unterhielt er sich mit ihr. Es waren ihm einige Gedanken gekommen, welche ihm Veranlassung zu Erkundigungen gaben, die er jetzt bei ihr einzog.

»Hat Ihr Mann gestanden, ein Unterthan des geheimen Hauptmannes zu sein?« fragte er.

»Ja.«

»Sie wußten, daß er das war?«

»Ich vermuthete es, konnte aber nichts dagegen thun.«

»Es fällt mir auch gar nicht ein, ein Wort des Vorwurfs oder der Anklage gegen Sie auszusprechen. Aber ich vermuthe, daß diesem Hauptmanne Ihre Sympathie nicht gehören wird?«

»Ich hasse ihn, und o, wie sehr!«

»Sie würden sich freuen, wenn er entdeckt würde?«

»Entdeckt, ergriffen und bestraft! Es würde mir das die allergrößte Genugthuung gewähren.«

»Vielleicht ist es möglich, daß Sie zur Entdeckung dieses Mannes Etwas beitragen können.«

»Ich würde das sehr gern thun.«

»Ist Ihnen nichts über seinen Umgang mit Ihrem Manne bekannt?«

»Gar nichts. Mein Mann war stets verschwiegen.«

»Sind nicht Personen bei Ihnen verkehrt, unter denen Sie den Hauptmann vermuthen konnten?«

»Ich vermuthe, daß er oft bei uns gewesen ist, und zwar unter verschiedener Gestalt. Erst gestern – aber ich weiß nicht, ob ich das ohne Erlaubniß meines Mannes erzählen darf!«

»Sprechen Sie getrost! Ich bin weder Polizist noch Untersuchungsrichter. Was Sie mir sagen, wird verschwiegen bleiben.«

»So will ich Ihnen mittheilen, daß der Hauptmann gestern bei meinem Manne gewesen ist.«

»Ah! Fast unmöglich!«

»O doch. Nämlich des Nachts, und zwar mit dem Bruder meines Mannes.«

»Ihr Mann hat einen Bruder?«

»Ja; er ist ebenso lang und stark wie er, Kunstreiter und Seiltänzer, ein sehr schlechter Mensch.«

»Und dieser ist mit dem Hauptmanne während der verflossenen Nacht im Gefängnisse gewesen?«

»Nicht im, sondern am Gefängnisse. Sie haben sich einer Leiter bedient und meinem Manne Schnaps gegeben. Darauf ist er heute so krank geworden. Als ich zu ihm kam, wollte er mich nicht erkennen. Er klagte über den Kopf.«

Dem Fürsten fiel ein, daß der vermeintliche Architect Jacob bereits gestern ein Gift bei dem alten Apotheker geholt hatte, ein Gift, nach welchem Derjenige, dem es beigebracht wurde, auf einige Zeit in Wahnsinn verfallen mußte.

»Hat Ihr Mann das dem Assessor gestanden?«

»Nein. Er hat es mir unter vier Augen erzählt. Niemand weiter hat es gehört.«

»Hm! Thun Sie nichts Unrechtes! Ich werde zuweilen zu Ihnen kommen, um mit Ihnen über diesen Gegenstand zu sprechen. Sollten sich verdächtige Personen bei Ihnen einstellen, so sagen Sie es mir. Hier sind wir bei Ihrer Wohnung. Bitte, nehmen Sie dieses kleine Geschenk an! Sie sind eine brave Frau. Ich werde Sie nicht vergessen!«

Sie bedankte sich und stieg aus. Als sie beim Lichte der Treppenflamme nachsah, was sie erhalten hatte, erblickte sie drei funkelnde Goldstücke. Wie glücklich war sie!

Am andern Vormittage hielt die Equipage des Fürsten vor dem Palais des Barons von Helfenstein. Der Fürst stieg aus und ließ sich bei der Baronin melden.

»Verzeihung, Durchlaucht!« sagte der Diener. »Die gnädige Frau ist nicht zu sprechen.«

»Warum nicht? Ist die Dame ausgefahren?«

»Nein, sondern sie ist krank.«

»Ah! Ist es bedeutend?«

»Sie liegt seit gestern Abend bewegungslos auf einer Stelle.«

»Sie schläft?«

»Nein. Sie hat die Augen offen.«

»Melden Sie mich dem Herrn Baron!«

Es konnte dem Baron nicht einfallen, den Fürsten abzuweisen. Er nahm die Beileidsbezeugungen desselben entgegen und erzählte, daß er gestern Abend vom Casino zurückkehrend, seine Frau in einem ganz eigenthümlichen Zustande gefunden habe.

»Es war eine Apathie oder vielmehr Lethargie,« fuhr er fort, »welche auch jetzt nicht weichen will, obgleich ich die besten unserer Ärzte zu Rathe gezogen habe.«

»Hat man die Ursache dieses eigenthümlichen Krankheitszustandes zu erkennen vermocht?« fragte der Fürst.

»Leider nicht. Die Ärzte gehen in ihren Meinungen so sehr auseinander, daß es unmöglich ist, zu einem wirklichen, festen Urtheile zu gelangen!«

Der Fürst entfernte sich. Er hatte genug erfahren. Er fuhr nach dem Gerichtsgebäude, um beim Assessor vorzusprechen. Dieser theilte ihm mit, daß Robert Bertram bereits gestern noch im Krankenhause untergebracht worden sei.

»Uebrigens,« fuhr er fort, »muß ich Ihnen sagen, daß ich gestern auch diese Jüdin noch im Verhöre gehabt habe.«

»Judith Levi? Dieses Mädchen scheint in einem eigenthümlichen Verhältnisse zu dem Kranken zu stehen. Darf ich vielleicht ein Wenig wißbegierig sein?«

»Gewiß. Ich habe erfahren, daß der Vater dieses Mädchens Bertram eine Summe Geldes geborgt hat, weil dieser Letztere ein großer Dichter ist. Judith scheint in ihn verliebt zu sein.«

»Das ist interessant!«

»Wenigstens wissen wir nun auch, woher Bertram das Geld hatte, von welchem der fromme Herr Seidelmann mir sagte, daß es jedenfalls aus einer unlauteren Quelle fließe.«

Von hier aus begab sich der Fürst nach dem Krankenhause, um nach Bertram zu sehen.

Am Morgen dieses Tages hatte Judith ganz betrübt in ihrem Zimmer gesessen. Es war ihr während der Nacht kein Schlaf in das Auge gekommen, und daran war das gestrige Verhör schuld. Wer nie mit dem Gerichte Etwas zu thun gehabt hat, auf den macht eine Vorladung einen ganz eigenen Eindruck. Zudem hatte ihr Vater ganz er schrecklich raisonnirt, daß sie so unbesonnen gewesen war, nach dem Kirchhofe zu gehen.

Auch heute Morgen waren die Eltern noch nicht beruhigt gewesen. So saß sie da bei ihrem Kaffee, ohne die Tasse anzurühren. Da plötzlich hörte sie ihren Vater die Treppe heraufgepoltert kommen. Er trat ein, das Morgenblatt in der Hand, hinter ihm die alte Rebecca.

»Wirst Du errathen, weshalb ich komme, Judith, meine Tochter?« fragte er.

Sie blickte erfreut auf. Die Gesichter der Beiden waren genugsam Beweis, daß es sich um keine schlimme Nachricht handle.

»Wegen der Zeitung,« antwortete sie.

»Ja. Aber was steht darin geschrieben zu lesen gedruckt?«

»Weiß ich es? Lies es vor!«

»Es ist von dem Dichter?«

»Gott! Von Bertram?«

»Ja, von Bertram, wegen dem Du mußtest gestern erscheinen vor dem Amte des Gerichtes, wo sie sitzen zu sprechen dem Einen, daß er hat Recht, dem Anderen, daß er hat Unrecht.«

»Lies, lies! Was steht da gedruckt?«

»Es steht da gedruckt eine sehr frohe Botschaft. Höre zu Deinem Vater!«

Er las Folgendes vor:

 

»Was man weder vermuthete noch glaubte, es hat sich ereignet: Der Riese Bormann hat ein Geständniß abgelegt. Robert Bertram ist unschuldig. Als wir von der Missethat berichteten, ließen wir hindurchblicken, daß wir nicht an die Schuld dieses jungen, braven Mannes glaubten; diese Vermuthung hat sich nun glänzend bewahrheitet.

Uebrigens soll Bertram sich der Protection hervorragender Persönlichkeiten erfreuen, so daß zu erwarten steht, daß die letzten Ereignisse zu seinem Glücke sein werden. Er ist natürlich sofort aus der Haft entlassen worden. Leider aber ist sein Körperzustand ein so leidender, daß man sich gezwungen gesehen hat, ihn in das Krankenhaus zu überführen.

Auch der Schließer, welcher im Verdachte stand, dem Riesen Bormann das Gefängniß geöffnet zu haben, ist, wie verlautet, unschuldig. Es stehen nun noch ganz interessante Mittheilungen über den ›Hauptmann‹ zu erwarten, welche wir unseren Lesern natürlich nicht vorenthalten werden!«

 

Judith hatte mit leuchtenden Augen zugehört. Jetzt rief sie:

»Frei ist er also, frei! Habe ich nicht sofort gesagt, daß er unschuldig ist?«

»Ja, mein Tochterleben, das hast Du gesagt. Wie kann ein Dichter sein ein Einbrecher! Aber, weißt Du, wem er zu verdanken hat diese plötzliche freie Entlassung?«

»Nun, wem?«

»Dir! Du hast gestern gesprochen vor Gericht, um zu bezeugen seine Unschuld; darum ist er geworden frei. Er ist Dir verpflichtet zu Dank sein ganzes Leben. Er wird abstatten diesen Dank, indem er wird der Eidam von Salomon Levi und seinem Weibe Rebecca.«

»Aber wo ist er? Im Krankenhause?«

»Ja, weil er ist noch nicht geworden so schnell gesund.«

»So muß ich hin, ihn zu pflegen.«

Sie machte eine Bewegung, aber ihr Vater trat ihr in den Weg.

»Gott der Gerechte!« rief er. »Wo willst Du hin, meine Tochter? In das Krankenhaus?«

»Natürlich!«

»Wo es giebt Blattern und Epidemie!«

»Danach frage ich nicht!«

»Typhus, Seuchen und Scharlachfieber! Willst Du holen die Ansteckung für mich und Deine Mutter, daß wir plötzlich sterben mit einander am epidemischen Wadenkrampf? Du bleibst hier! Warum willst Du sein eine barmherzige Schwester?«

»Es ist meine Pflicht!«

»Wai geschrieen? Was ist Pflicht? Was hast Du für Gewinn als barmherzige Schwester? Warte noch ein Weilchen, so wirst Du sein seine barmherzige Frau! Das ist besser als Schwester! Auch hast Du uns noch gar nicht gesagt, ob der Herr Assessor hat gefragt, warum wir haben geborgt an Bertram unser Geld.«

»Weil er sich in Noth befand.«

»Hast Du gesprochen von Prozentchen?«

»Nein.«

»Das ist klug und schön von Dir! Das bringt in noblen Ruf mein ganzes Geschäft. Einem Dichter borgt man nicht gegen Zinsen. Aber, Judithleben, hast Du vielleicht gesprochen von dem Pfande, welches er hat gelassen in unseren Händen?«

»Kein Wort.«

»Das ist weise gehandelt. So weiß also der Herr Assessor gar nichts von der Kette mit dem Wappen?«

»Ich werde mich hüten, davon zu sprechen.«

»So bist Du die Nachkommin von Salomon Levi, welche hat geerbt von ihm seine ganze Klugheit. Von dieser Kette darf kein Mensch erfahren. Man darf nicht ahnen, daß ich habe einen Schwiegersohn, welcher macht so berühmte Gedichte, weil er ist ein heimlicher Herr von Adel. Also sei still und gehe nicht nach dem Krankenhause!«

Und sie ging doch, natürlich ohne Wissen ihrer Eltern, wurde aber nicht vorgelassen.

Kurz nachdem der Fürst bei dem Assessor gewesen war, ließ sich Herr August Seidelmann bei demselben melden. Als er vorgelassen wurde, empfing ihn der Beamte mit der Frage: »Sie haben jedenfalls die heutige Publication in Betreff unseres Robert Bertram gelesen?«

»Allerdings! Er ist frei?«

»Ja. Seine Unschuld ist bewiesen.«

»So ist natürlich auch seine Schwester unschuldig?«

»Ja. Sie wurde gestern nicht sofort entlassen, da ich erst zu Ihnen senden wollte. Sie haben mir das Mädchen gebracht; Sie sind der Vormund desselben, und so möchte ich die unschuldig Eingekerkerte auch wieder Ihnen übergeben.«

»Ich komme aus diesem Grunde, Herr Assessor!«

»Hier liegt bereits der Entlassungsbefehl für den Wachtmeister. Gegen Uebergabe desselben erhalten Sie das Mädchen. Wollen Sie aber nicht einsehen, wie man sich irren kann? Ihre Aussage trägt einen großen Theil der Schuld, daß die beiden Geschwister für wirklich schuldig gehalten wurden.«

»Um so inbrünstiger danke ich Gott, daß sie es nicht sind. Meine Mündel wird geläutert aus dieser Trübsal hervorgehen, und die kurze Zeit dieser Prüfung wird ihr Gnade bringen für ihr ganzes Leben!«

Er ging und bekam Marie Bertram ausgehändigt.

Sie war noch ganz dieselbe, gab monotone Antworten auf seine Fragen und folgte ihm willig, wohin er sie führte. Und wohin war das? Natürlich wieder nach der Ufergasse zu der Rentiere Madame Adelheid Groh, welche das Mädchen sofort in ihre liebevolle Pflege nahm.

Von dem Krankenhause weg fuhr der Fürst nach Hause. Dort kleidete er sich um und begab sich an das Wasser zu dem alten Apotheker.

Er hatte sich so verkleidet, daß er unmöglich zu erkennen war. Obgleich er noch nie hier gewesen war, sah er sich doch durch den Diener Adolf über Alles unterrichtet. Er fand die Hausthüre verschlossen und klopfte. Ein Kopf erschien am Fenster, und dann wurde die Thür geöffnet. Der Apotheker stand selbst hinter derselben.

»Wohnt hier Herr Apotheker Horn?« fragte der Fürst.

»Sehr wohl, mein Herr!«

»Kann man mit ihm sprechen?«

»Ja. Ich bin es selbst. Wo wollen wir miteinander reden?«

»Unten.«

»Vorn oder hinten?«

»Hinten.«

»Ah, ich sehe, Sie wissen Bescheid!«

»Vielleicht besser, als Sie denken! Verschließen Sie die Thür. Ich will nicht haben, daß wir unterbrochen werden.«

»Wollen Sie nicht vorher bei meinen Töchtern eintreten?«

»Danke! Ich rauche nicht neubackene Cigarren und habe auch nicht die Absicht, zu heirathen!«

Das wollte den Alten denn doch verdrießen.

»Wer hat Ihnen das zugemuthet?« fragte er kurz und scharf.

»Das ist die Frage gar nicht. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich unten und hinten im Keller mit Ihnen zu reden habe. Also allons!«

So war dem Alten noch Niemand gekommen. Sollte er sich fügen oder auch grob werden? Er entschloß sich für das Letztere.

»Allons, sagen sie? Gut, allons wieder fort! Hier hinaus!«

Er öffnete die Thür von Neuem und deutete nach der Straße. Der Fürst aber antwortete lachend:

»Meinen Sie wirklich, daß Sie der Mann sind, von welchem man sich fortjagen läßt? Ich habe mit Ihnen zu sprechen. Hier, sehen Sie sich diesen Gegenstand an!«

Er zeigte ihm die Polizeimarke. Der Alte erbleichte.

»Ein geheimer Polizist! Ja, das habe ich nicht gewußt! Sie sind mir sehr willkommen! Erlauben Sie, daß ich Sie führe!«

Er öffnete die Kellerthür, brannte die auf der oberen Stufe stehende Laterne an und stieg voran. Der Fürst folgte ihm bis in die hintere Abtheilung des Kellers. Dort setzten sie sich nieder, der Apotheker natürlich in einer sehr bangen Stimmung.

»Herr Horn,« fragte der Fürst, »haben Sie jemals Etwas von dem sogenannten Hauptmanne gehört?«

»Ich hörte allerdings von ihm sprechen.«

»Gesehen haben Sie ihn aber nicht?«

»Nein.«

»Sie wissen auch nicht, wer er ist?«

»Nein.«

»Und dennoch sind Sie sein Leibapotheker!«

Der Alte fuhr vom Sitze empor.

»Herr,« rief er aus, »wie meinen Sie das?«

»Sehr ernst! Haben Sie jemals auch von dem sogenannten Fürsten des Elendes gehört?«

»Ja.«

»Glauben Sie, daß dieser ein Freund des Hauptmannes ist?«

»Nein, obgleich ich Beide nicht kenne.«

»Nun, dem kann abgeholfen werden: Sie sollen den Fürsten des Elendes kennen lernen. Ich selbst bin er!«

»Sie scherzen!« meinte der Alte erschrocken.

»Ich spreche vielmehr sehr im Ernste. Vielleicht haben Sie auch gehört, daß der Fürst die Eigenthümlichkeit hat, Vieles, sehr Vieles zu wissen, was Anderen ein Geheimniß ist?«

»Man spricht allerdings davon.«

»Nun, so will ich Ihnen beweisen, daß ich der Fürst bin: Ich werde Ihnen einige Ihrer Geheimnisse mittheilen.«

»Herr, welche Geheimnisse sollte ich haben?«

»Ihr erstes Geheimniß ist zunächst dieser Keller; ich will aber nicht in dasselbe eindringen. Schon ein Wenig interessanter ist es, daß Sie Ihre Schwiegersöhne an den Hauptmann verkaufen.«

»Aber, lieber Herr, ich verstehe Sie keineswegs«

»Denken Sie an einen gewissen Adolf, der Ihre Jette heirathen soll. Den haben Sie mit dem Hauptmanne zusammengeführt.«

»Kein Wort weiß ich davon, kein einziges.«

»So? Da wissen Sie wohl auch nichts davon, daß Sie dem Hauptmanne Gift verkauft haben?«

»Gift? Herr Gott! Mir geht der Atem aus!«

»Ja, Gift! Zweimal haben Sie ihm Gift gegeben, beide Male, um Menschen wahnsinnig zu machen. Vorgestern handelte es sich um einen zeitweiligen Wahnsinn, gestern aber um eine ausgesprochene Lethargie, welche in den Tod übergeht.«

Dem Apotheker schlotterten die Kniee.

»Herr, ich begreife von Dem, was Sie hier sagen, kein Wort, kein einziges!« betheuerte er.

»Wirklich nicht? Kein einziges Wort? Glauben Sie, daß Sie mit einfachem Leugnen beim Fürsten des Elendes durchkommen? Ich kenne Sie; ich kenne Ihre Geschäftsführung, Giftmischer!«

Da brach der Apotheker auf dem primitiven Sitz zusammen.

»Himmel!« stöhnte er. »Was soll ich thun? Ich bin ja so unschuldig wie ein neugeborenes Kind!«

»Schweigen Sie! Hören Sie lieber, was ich Ihnen sagen werde! Es genügt ein Wort von mir, Sie lebenslänglich in das Zuchthaus zu bringen: ich habe die Beweise in der Hand –«

»Gnade, Gnade!«

»Gut, Sie sollen Gnade finden; aber nur unter einer einzigen Bedingung. Hören Sie wohl?«

»Ja, ich höre. Welche Bedingung stellen Sie?«

»Daß Sie von jetzt an mir gerade so gehorchen, wie Sie bisher dem Hauptmanne gedient haben.«

Der Alte erhob sich. Er machte eine Bewegung, als ob er sich von einer schweren Last befreit fühle, und zog sich einige Schritte weit nach der Mauer zurück. Dabei zeigte sein Auge einen eigenthümlichen Glanz.

»Ja,« sagte er, »diese Bedingung gehe ich ein, augenblicklich, denn –«

Er hielt inne. Er hatte mit der Hand eine Schnure ergreifen wollen, welche da, bis wohin er sich zurückgezogen hatte, von der niedrigen Deckwölbung des Kellers herniederhing; aber der Fürst, aufmerksam gemacht, durch den eigenthümlichen Blick und das verrätherische Zurückweichen des Alten, stand mit einem blitzschnellen Sprunge bei ihm und faßte ihn beim Arme.

»Halt, Bursche!« sagte er. »So kommst Du mir nicht! Was hast Du da vorgehabt? Nieder auf Deinen Sitz!«

Er zog einen Revolver hervor, dessen Lauf er dem Apotheker vor das Gesicht hielt. Sofort setzte dieser sich nieder.

»Was ich vorgehabt haben soll?« fragte er. »Nichts, gar nichts!«

»Wollen sehen!«

Indem er dem Alten die Waffe entgegenhielt, nahm er die Laterne und untersuchte die Schnur. Sie führte an der Decke hin, bis gerade über die Stelle, an welcher er gesessen hatte. Dort befand sich ein blechernes Kästchen, an dessen Deckel die Schnur befestigt war.

»Was ist in dem Kästchen?« fragte der Fürst.

»Nichts, gar nichts!«

»Schön! Werden es untersuchen! Setze Dich einmal auf meinen vorigen Platz, Bursche, also gerade unter das Kästchen!«

»Warum, Herr?«

»Ich werde dann an dieser Schnur ziehen, und dann wird es sich jedenfalls zeigen, was es mit dem Kästchen für eine Bewandtniß hat. Also, vorwärts!«

Der Alte befand sich sichtlich in einer schauderhaften Verlegenheit. Er zauderte, dem Befehle Gehorsam zu leisten. Er hätte es sicherlich auf einen Kampf ankommen lassen, mußte sich aber sagen, daß sein Gegner bewaffnet und außerdem an Körperkraft ihm mehrfach überlegen sei.

»Nun?« fragte der Fürst. »Du hast die Wahl: Entweder unter das Kästchen, oder den Revolver, oder ein offenes Geständniß!«

Er sah sich in die Enge getrieben und mußte sich sagen, daß er nicht entrinnen könne.

»Gut, ich will es gestehen!« sagte er.

»Aber keine Lüge! Also?«

In der Rechten die Pistole und in der Linken die Laterne, stand er drohend vor dem Apotheker. Dieser sagte zögernd: »Das Kästchen enthält eine Mischung zum – zum – zum Riechen.«

»Ach so! Zieht man an der Schnur, so wird das Kästchen geöffnet, und die Mischung fällt auf den Daruntersitzenden?«

»Ja.«

»Was geschieht dann?«

»Das Mittel riecht sehr stark.«

»Das heißt, der Betreffende wird betäubt?«

»Ja.«

»Gut, ich bin zufriedengestellt. Sie sehen aber, daß Sie es mit keinem Schulknaben zu thun haben. Darum sage ich: Noch so eine Heimtücke, und eine Kugel fährt Ihnen in den Kopf! Setzen Sie sich!«

Der Alte kam, da der Lauf des Revolvers noch immer auf ihn gerichtet war, diesem Befehle sogleich nach.

»Und nun stehen Sie mir Rede und Antwort! Also, ich sagte Ihnen, daß Sie mir, um sich zu retten, ebenso dienen müßten, wie bisher dem Hauptmanne. Sind Sie bereit?«

»Ja.«

»Der Hauptmann darf nicht das Mindeste ahnen.«

»Ich werde zu schweigen wissen.«

»Sie stehen unter stetiger Aufsicht. Man weiß auch jetzt, daß ich bei Ihnen bin. Wäre mir Etwas geschehen, so hätten Sie den Schaden gehabt. Haben Sie noch von dem letzten Gifte, welches Sie dem Hauptmann gegeben haben?«

»Ein Wenig.«

»Wo?«

»Draußen im Vorderkeller.«

»Kann ich es bekommen?«

»Was zahlen Sie?«

»Ich bezahle sehr gut. Aber wie wirkt das Gift?«

»Es versetzt in die tiefste Lethargie.«

»Das weiß ich; ich will Anderes wissen. Auf den Geist kann dieses Mittel unmöglich so schnell wirken.«

»Nein; es wirkt allerdings nur auf den Körper; es sind gewisse Nerven, welche es lähmt.«

»Die Sprach-und Bewegungsnerven?«

»Die Ersteren ganz, die Letzteren nur theilweise.«

»Der Kranke liegt also nur scheinbar in Lethargie?«

»Ja.«

»Er sieht und hört aber Alles, was um ihn geschieht?«

»Ja.«

»Und muß sterben?«

»Ganz sicher!«

»Welch ein schrecklicher, entsetzlicher Tod! Viel, viel schlimmer noch als Starrkrampf, bei welchem es wenigstens schneller aus wird! Aber, giebt es ein Gegenmittel?«

»Ja.«

»Haben Sie das auch?«

»Gewiß!«

»Wieviel braucht man von Beiden?«

»Je nach den Monaten. Ein Tropfen des Giftes tödtet in sechs Monaten, zwei tödten in fünf, drei in vier, vier in drei, fünf in zwei, und sechs in einem Monate. Das Gegengift wird umgedreht angewandt, und zwar in geradem Verhältnisse: So viele Monate die Lethargie bereits gedauert hat, so viele Tropfen giebt man.«

»Wie schnell wirkt das Gift?«

»Binnen einer halben Stunde.«

»Und das Gegengift?«

»Binnen ganz derselben Zeit.«

»Und ich kann sie also Beide haben?«

»Wenn es gut bezahlt wird.«

»Wer aber giebt mir Bürgschaft, daß ich nicht betrogen werde?«

»Ich selbst!«

Es war ein eigenthümlich energisches Lächeln, welches um die Lippen des Fürsten spielte.

»Gut!« sagte er. »Ich nehme Ihre Bürgschaft an. Der Hauptmann kennt also das Gift, ob aber auch das Gegengift?«

»Das Letztere nicht. Wir haben gar nicht davon gesprochen.«

»Das ist mir desto lieber. Sind Sie zufrieden, wenn ich Ihnen für beide Mittel hundert Gulden bezahle?«

Die Augen des Apothekers leuchteten gierig auf.

»Hundert Gulden? Ist das Ihr Ernst?« fragte er.

»Ja.«

»Ich bin zufrieden!«

»Hier, nehmen Sie! Aber nun auch her mit dem Zeuge!«

Er zog aus der Brieftasche einen Hundertguldenschein hervor und gab ihn dem Alten. Dieser steckte ihn in die Tasche und sagte dann: »Kommen Sie nach vorn. Sie sollen die Medizinen haben. Ich habe glücklicherweise mehr angefertigt, als ich brauchte.«

Sie traten in den vorderen Raum. Dort zog der Apotheker einen Stein aus der Mauer. Es entstand eine Oeffnung, aus welcher er ein Kästchen nahm, welches mit kleinen Phiolen gefüllt war. Von den Letzteren las er zwei aus und sagte: »Hier das weiße Fläschchen enthält das Gift und das grüne das Gegengift. Es ist genug in Beiden, um das Experiment zwanzigmal vorzunehmen.«

Der Fürst steckte die beiden Phiolen ein und wendete sich zum Gehen.

»So wären wir also fertig,« sagte er. »Wenn Sie mir treu dienen, werden Sie mit mir zufrieden sein. Ertappe ich Sie aber bei einer Untreue, so ist es aus mit Ihnen. Ah, was ist in diesen großen Fässern? Wein vielleicht?«

»Nein, aber etwas ebenso Probates, nämlich alter, guter, ächter Franzbranntwein.«

»Hm! Nicht übel, wenn er wirklich ächt ist. Haben Sie Gläser?«

»Hier stehen zwei. Wollen Sie einen Schluck?«

»Dazu gehört eigentlich eine Cigarre.«

Der Alte lachte selbstbewußt auf.

»Ich denke, Sie rauchen nicht!« sagte er.

»Äußerst selten; aber zum Branntwein muß ich Tabak riechen.«

»Soll ich eine Cigarre holen?«

»Meinetwegen!«

»Ich komme gleich zurück!«

Er stieg die Treppe empor. Schnell zog der Fürst die weiße Phiole hervor und ließ aus derselben einen Tropfen in das eine Branntweinglas fallen. Er hatte die Phiole kaum wieder eingesteckt, so kehrte der Alte bereits zurück. Er brachte auch für sich eine Cigarre mit.

Die beiden Männer brannten an, und dann griff der Fürst nach dem zweiten Glase.

»Hier, schenken Sie ein!« sagte er.

Die Gläser waren nicht groß. Der Alte füllte beide. Der Fürst nippte nur, der Alte aber trank sein Glas, in welchem sich der Tropfen befunden hatte, aus.

»Ah, da fällt mir noch ein!« sagte der Fürst. »In was muß das Gift eingenommen werden? In Wasser?«

»Es ist jedes Mittel recht: Wasser, Thee, Chocolade, Wein, sogar auch Branntwein.«

»Haben Sie noch mehr von dem Gegengifte?«

»Keinen Tropfen.«

»Und es ist wahr, was Sie sagten: Der Kranke sieht und hört Alles, was mit und um ihn vorgeht?«

»Alles. Er hört, sieht und fühlt Alles. Es scheint nur so, als ob er sich in Lethargie befinde.«

»Dann ist das Mittel Goldes werth! Geben Sie noch ein Gläschen!«

Er trank aus, trotzdem ihm vor dem Zeuge ekelte, und ließ wieder füllen. Sie saßen bei einander und unterhielten sich. Die Antworten des Alten wurden immer einsylbiger; seine Augen schienen sich zu vergrößern. Plötzlich sprach sich in seinen Zügen eine ganz entsetzliche Angst aus.

»Herr,« stammelte er. »Sie haben – haben – –«

»Was?« lachte der Fürst.

»Sie haben – mir mein – mein eigenes Gift gegeben!«

»Allerdings! Sagten Sie nicht, daß Sie selbst die Garantie der Ächtheit übernehmen wollten?«

»Das ist – ist – ist – –!«

Das Uebrige ging in ein unverständiges Gurgeln über; dann sank er von seinem Sitze und lag lang ausgestreckt auf der Erde. Der Fürst bückte sich zu ihm nieder, leuchtete ihm mit der Laterne in das Gesicht und sagte: »So, Bursche, prüfe ich meine Leute! Du siehst mich, und Du hörst auch, was ich sage. Ich habe Dir einen Tropfen gegeben. Die Wirkung ist exact; ich bin befriedigt. Aber das Gegengift! Ob es auch so unfehlbar wirkt? Ich werde morgen wiederkommen und Dir einen Tropfen geben. Wirkt es nicht, so hast Du mich getäuscht, natürlich zu Deinem eigenen Schaden. Das Geld nehme ich einstweilen wieder zu mir. Ist das Gegengift gut, so bekommst Du es zurück.«

Er zog ihm den Hundertguldenschein wieder aus der Tasche und verließ dann den Keller. Die von innen verriegelte Hausthür war leicht zu öffnen. Er entfernte sich, ohne von den Töchtern des Alten angehalten zu werden.

Diese wurden neugierig, als ihr Vater nach längerer Zeit sich nicht sehen ließ. Eine von ihnen begab sich in den Keller und rief durch ihr Klagegeschrei die Anderen herbei. Alle glaubten, daß der Schlag ihren Vater getroffen habe. Sie brachten ihn aus dem Keller fort und in das Bett. Dann schickten sie nach einem Arzte, welcher aber, als er den Apotheker untersuchte, aus der Krankheit nicht klug werden konnte.

So verging der Tag und die Nacht. Am frühen Morgen des nächsten Tages kam ein alter Mann, welcher sich einige Cigarren kaufte. Er hörte, daß der Apotheker erkrankt sei, und bat, ihn sehen zu dürfen. Als er vor dem Bette stand, zog er eine kleine, grüne Phiole aus der Tasche, öffnete dem Kranken den Mund und ließ ihm einen Tropfen des Inhaltes hineinfallen. Bereits nach einer Viertelstunde begann der Kranke, sich leise zu bewegen. Noch waren nicht zwanzig Minuten vergangen, so öffnete er den Mund, um zu sprechen. Es gelang ihm nicht; er brachte es nur zu einem halb verständlichen Lallen; aber der Fremde schien dennoch befriedigt zu sein, denn zur großen Verwunderung der Mädchen griff er in die Tasche und legte eine Hundertguldennote hin. Dann sagte er: »Sagen Sie Ihrem Vater, daß diese Arznei probat ist. Er wird mich wiedersehen. Adieu!«

Robert Bertram lag im Krankenhause, behandelt von den besten Ärzten der Residenz. Täglich kam der Fürst von Befour, um nach ihm zu sehen. Und zuweilen, wenn der müde Patient die Augen für einen Moment aufschlug, sah er ein wunderschönes Mädchengesicht über sich gebeugt.

»Nacht! O Nacht! Meine Nacht!« flüsterte er dann.

So vergingen einige Wochen, und das Weihnachtsfest war nahe herangekommen. Robert befand sich längst auf dem Wege der Besserung. Er fühlte sich sogar stark genug, das Krankenhaus zu verlassen, aber die Ärzte versagten ihm die Erlaubniß dazu.

Er hatte seine volle Geistesfrische zurück erhalten, und auch der Körper war stark, stärker noch als früher. Zuweilen fragte er die Wärterin nach den Geschwistern; er wurde mit der Auskunft, daß er sich ja nicht sorgen solle, beruhigt.

So war endlich der Weihnachtsheiligeabend da. Am Vormittage desselben kam der Fürst zu Robert und fragte, wie gewöhnlich, nach seinen Wünschen.

»Fort von hier! Weiter nichts!« lächelte Robert.

»Wissen Sie denn bereits, wohin?«

»Gott wird mir schon meinen Weg zeigen!«

»Und Sie fühlen sich wirklich kräftig genug, es wieder mit dem Leben aufzunehmen?«

»Vollständig! Sehen Sie hier diese Papiere, Durchlaucht! Seit einer Woche arbeite ich wieder. Es sind Gedichte.«

»Unsers Hadschi Omanah!«

»Ja, der zweite Band.«

»Honorar zwanzig Gulden!«

»O, für den zweiten Band hat er mir wohl fünfundzwanzig versprochen. Ich denke, daß er Wort halten wird!«

»Ich sehe allerdings, daß Sie sich wieder im Vollbesitze Ihrer Kräfte befinden. Halten Sie noch bis zum Abend aus; dann wird die Stunde der Erlösung geschlagen haben.«

Er ging, und Robert wartete. Der Tag wollte ihm zur Ewigkeit werden. Endlich wurde es dunkel, und da kam die Krankenpflegerin, um ihm einige Packete hinzulegen.

»Hier Ihre Kleider, welche Sie nun anlegen sollen, Herr Bertram!«

Als sie sich entfernt hatte, stieg er aus dem Bette, um sich anzukleiden. Die Packete enthielten Alles zu einer feinen Gesellschaftstoilette Erforderliche. Wer war der Geber dieses theuren Anzuges? Jedenfalls der Fürst!

Als Robert sich im Spiegel besah, erkannte er sich kaum selbst, so zu seinen Gunsten war er verändert. Und da wurde auch bereits die Thür geöffnet, und der Fürst trat ein.

»Nun, mein junger Freund,« sagte er. »Ich komme, um Wort zu halten. Sie sollen endlich frei sein.«

Robert war voll Dank gegen seinen Wohlthäter; aber dieser wies alle Danksagungen von sich.

»Lassen wir das, mein Lieber,« sagte er. »Sind Sie bereit?«

Draußen stand die Equipage. Sie stiegen ein. Als sie dann wieder ausstiegen, war es vor dem Hause des Obersten von Hellenbach, welches Robert ja kannte.

»Hier?« fragte er. »Durchlaucht, was soll ich hier?«

»Man hat einige Gäste eingeladen, und Sie sind dabei. Kommen Sie, Herr Bertram!«

Er führte ihn die Treppe empor. Diener verbeugten sich respectsvoll. Robert befand sich wie im Traume. Der Fürst blieb vor einer Thür stehen und klopfte.

»Hier herein,« sagte er. »Wir sehen uns nachher wieder.«

Ehe Robert es sich versah, war er zur Thüre hinein geschoben worden, die sich hinter ihm verschloß. Er befand sich in einem reizend ausgestatteten Zimmerchen, welches ein lieblicher, feiner Duft durchwehte. Eine rosa Ampel erleuchtete den Raum auf magische Weise. Aus einem Fauteuil erhob sich eine wunderschöne Mädchengestalt. Er erkannte Fanny von Hellenbach.

Von glühender Röthe übergossen, stand er da, ohne zu wissen, was er sagen sollte. Sie aber kam ihm freundlich entgegen und reichte ihm die Hand, die er nicht zu küssen, kaum zu berühren wagte.

»Endlich!« sagte sie. »Willkommen nach so schweren Zeiten, Herr Bertram! Nehmen Sie auf einen Augenblick bei mir Platz. Die Eltern sind noch nicht disponibel.«

Er trat zum Stuhle. Sollte er sich setzen? War es nicht besser, schnell fortzugehen, zu fliehen, weit, weit hinweg? Was sollte er hier? Er konnte die Gegenwart nicht fassen; er griff sich an den Kopf und blickte wie nach Hilfe suchend, umher.

Sie verstand und begriff ihn. In unbeschreiblich mildem Tone, welcher ganz geeignet war, ihn zu beruhigen, sagte sie: »Ich habe heute eine Pflicht erfüllen wollen, Herr Bertram, eine Pflicht, welche ich nicht von mir weisen darf. Sie haben für mich gelitten; in diesen Räumen wurde Ihnen die Freiheit geraubt; hier soll und muß es auch sein, wo Sie sich derselben zuerst wieder erfreuen. Wir haben Sie verkannt; wir haben ein großes, ein schweres Unrecht an Ihnen verschuldet. Ich will die Erste sein, welche Sie um Verzeihung bittet. Können Sie mir vergeben?«

Sie war zu ihm getreten und streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff dieselbe nicht. Er schüttelte mit dem Kopfe; er wollte sprechen, aber es ging nicht; er brachte kein Wort hervor; aber eine ganze Flut von Thränen brach aus seinen Augen hervor.

Er stand auf und trat an das Fenster. Er mußte alle seine Kraft aufbieten, um nicht laut aufzuschluchzen.

Was erblickte er? Da drüben stand das Haus, in welchem er gewohnt hatte. Da oben war das Fenster, an welchem er gestanden hatte, oft, wie so oft, um herüber zu blicken nach diesem Hause. Und jetzt?

Da legte sich ein kleines, weiches Händchen auf seinen Arm.

»Ja, weinen Sie, weinen Sie sich aus!« sagte Fanny. »Das Herz hat seine Rechte. Und dann kommen Sie durch diese Thür!«

Sie öffnete eine Seitenthür. Ja, das war das Schlafzimmer, in welches er damals gestiegen war, um ihr zu Hilfe zu kommen. Da stand das jungfräuliche, blüthenweiße Bette, und hier der Pfeilertisch, an welchem er den Riesen überrascht hatte.

Aber was sollte das? Sie, die Tochter des Freiherrn, lud ihn, den Sohn des Schneiders, in ihr Schlafzimmer! Einem Ebenbürtigen wäre dies nie widerfahren. Dies gab ihm sein Gleichgewicht zurück.

»Erinnern Sie sich jenes unglücklichen Abends?« fragte sie.

»Jeder Kleinigkeit, gnädiges Fräulein.«

»Nun, so werden Sie mir nun auch sagen wollen, ob Sie mir verzeihen können.«

»Was hätte Robert Bertram der Baronesse von Hellenbach zu verzeihen? Eine unglückliche Verkettung der Umstände ließ mich als Mitschuldigen erscheinen; jetzt ist der Irrthum aufgeklärt. Sie erdrücken mich mit Ihrer Güte!«

Sie blickte ihm voll in das Angesicht.

»Sie haben Recht,« sagte sie dann. »Ich denke, die Eltern werden bereit sein. Lassen Sie uns gehen.«

Sie begaben sich miteinander nach dem Familienzimmer, wo sich der Baron und die Baronin befanden. Der Fürst war bei ihnen. Sie empfingen Robert mit großer Freundlichkeit. Er fühlte, daß es nicht leere Redensarten seien, die er in seiner einfachen, bescheidenen aber freien Weise beantwortete.

Nach und nach stellten sich mehrere Gäste ein, welche sich erfreut zeigten, ihn zu sehen. Unter ihnen befand sich eine wunderbar schöne, nicht mehr sehr junge Dame. Sie ging ganz in Schwarz, und doch war es, als ob ein Licht von ihr ausgehe. Er konnte das Auge nicht von ihr wenden. Es war ihm, als ob er diesem Gesichte mit den weichen Zügen, diesen blauen, tiefen Augen und diesem reichen, goldblonden Haare bereits einmal begegnet sei. Er sann und sann, konnte aber zu keiner Antwort kommen.

Es war die Baronesse Alma von Helfenstein.

Später wurde die Thür zum Salon geöffnet. Da brannte ein reich ausgestatteter Christbaum, unter welchem Geschenke ausgebreitet lagen. Diese Letzteren waren für die Familienmitglieder bestimmt; aber doch lag auch für jede der anderen anwesenden Personen eine Gabe bereit.

Da trat Fanny zu Robert.

»Kommen Sie, Herr Bertram!« sagte sie. »Sollte das Christkind nicht auch an Sie gedacht haben? Darf ich Sie führen?«

Sie nahm ihn bei der Hand und geleitete ihn dahin, wo ein in blauen Sammet gebundener Band lag. Auf der Außenseite war in Goldschrift zu lesen: »Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder von Hadschi Omanah, siebente Auflage.«

Er war doch überrascht.

»Bereits die siebente?« fragte er. »Diese Freude haben Sie mir gegönnt. Ich danke Ihnen!«

Er reichte ihr die Hand; sie aber fragte:

»Haben Sie diese Auflage bereits gelesen?«

»Das war mir allerdings noch nicht möglich.«

»So schlagen Sie schleunigst auf!«

Er folgte dieser Aufforderung. Was war das! Auf dem Tittelblatte eine zusammengelegte Hundertguldennote, und zwischen den anderen Blättern je ein Zehnguldenschein. Er erbleichte. Sie Alle sahen es.

»Was ist das?« fragte er.

Sein Auge suchte mit einem beinahe vorwurfsvollen Blicke im Kreise umher. Da antwortete Fanny:

»Sie dürfen es nehmen. Es ist Ihr wohlverdientes Honorar, um welches Sie beinahe betrogen worden wären. Da steht er, dem Sie diese Freude zu verdanken haben.«

Sie deutete auf den Fürsten. Dieser trat herbei und zog ein Document hervor.

»Hier der revidirte Verlagscontract zwischen Hadschi Omanah und der Firma Zimmermann! Sie waren krank, und so habe ich mich dieser Angelegenheit ein Wenig angenommen.«

Jetzt gab es eine Erklärung nach der anderen, bis Robert endlich einsah, daß es sich wirklich nicht um ein Geschenk, sondern um ein wohlverdientes Honorar handle.

Mit welcher Genugthuung ihn das erfüllte. Er fühlte plötzlich, daß er auch eine Bedeutung habe; es überkam ihn eine Sicherheit, welche er vorher an sich gar nicht gekannt hatte. Er galt Etwas in der großen Zahl jener Wesen, welche man mit dem Sammelworte Menschheit bezeichnet. Und das, was er galt, war ihm in Guldenscheinen zugemessen worden! Ah, was würde Marie dazu sagen, Marie, seine Schwester?

Aber er kam nicht dazu, diese letzte Frage auszudenken, denn da ganz in seiner Nähe gab es ein anderes Wesen, dessen Meinung ihm noch viel wichtiger zu sein dünkte als diejenige der Schwester. Er sagte sich dies nicht deutlich und ausdrücklich, aber er fühlte und er ahnte es.

Später kam noch ein anderer Gast dazu, dessen Erscheinen Keinem sympathisch zu sein schien – der Baron Franz von Helfenstein. Er war nicht geladen, sondern aus eigener Initiative gekommen.

Man ging zur Tafel. Robert kam neben die Baronesse Alma von Helfenstein zu sitzen. Sie unterhielt sich mit ihm so freundlich, als ob sie sich ganz ebenbürtig seien und sich bereits sehr viele Male gesehen hätten. Das Auge des Barons Franz hing an ihnen. Was dachte er. Es war klar, daß irgend ein eigenthümlicher Gedanke ihn beschäftigte. Auch der Oberst hatte mit seiner Frau eine halblaute Bemerkung ausgetauscht. Jetzt sagte er über die Tafel herüber zu Baron Franz: »Herr Baron, Sie sitzen gerade am richtigen Orte, um es beurtheilen zu können. Finden Sie nicht auch diese ganz ungemeine Ähnlichkeit?«

»Welche?«

»Zwischen Ihrer Cousine und unserem Herrn Bertram?«

Es war dem Baron, als habe ihm Jemand einen Stich versetzt. Er antwortete im Tone komischer Entrüstung:

»Da finden Sie wirklich eine Ähnlichkeit?«

»Allerdings.«

»Nun, Herr Bertram wird nichts dagegen haben. Wenn auch meine Cousine sich über diese Entdeckung geschmeichelt fühlt, so habe ich natürlich nichts dagegen.«

Das war eine Beleidigung für Bertram. Dieser fühlte es gar wohl, darum antwortete er:

»Vielleicht habe ich doch etwas dagegen. Ich gestehe aufrichtig, daß es mir nicht ganz gleichgiltig ist, mit wessen Cousine man mich vergleicht!«

Es entstand eine sekundenlange Pause. Der Baron entfärbte sich. Jedermann fühlte den Hieb, den er erhalten hatte. Daß dieser Hieb saß, das sah man Demjenigen an, der getroffen worden war.

»Ah, wohnten Sie nicht in meinem Hause?« fragte er.

»Ja.«

»Ihr Vater war der Schneider Bertram?«

»Allerdings, jener arme, aber brave Schneider Bertram, der sich über nichts so sehr gewundert hat als darüber, daß ein Baron auf das Unglück seiner Abmiether zu speculiren vermag.«

Dieser Hieb traf noch viel besser als der erste. Der Baron biß die Zähne zusammen. Die Wirthin, welche einen ernstlichen Zwist befürchtete, brachte schnell das Gespräch auf ein anderes Thema; aber die Spannung war vorhanden, und sie blieb bestehen.

Nach und nach äußerte der Wein seine anregende Wirkung. Man sprach von Kunst und Wissenschaft, von Musik und Theater und blieb längere Zeit bei der Dichtkunst stehen. Der Oberst behauptete, daß der Reim das Schwerste des Dichtens sei; seine Tochter bestritt das. Sie behauptete, daß ein von Gott begnadeter Dichter den Reim spielend überwinde.

»Nun,« sagte der Fürst; »es ist ja ein Dichter unter uns. Bitten wir ihn den Kampf zu entscheiden!«

»Ja, Herr Bertram,« sagte Fanny, »wem geben Sie recht?«

»Beiden,« antwortete er. »Es giebt Dichter, welche schwer mit dem Reime kämpfen mußten, und deren Namen wir trotzdem in erster Reihe nennen, während manchem Dichterlinge die Reime wie Schneeflocken zufallen.«

»Wie ist es da bei Ihnen?« fragte Alma von Helfenstein.

»Ich würde zu diesen Dichterlingen gehören.«

»So reimen Sie leicht?«

»Sehr leicht. Ich mache mich anheischig, so lange im Reime zu sprechen, wie es gewünscht wird.«

»Und die Qualität dieser Reime?« bemerkte Baron Franz in spottendem Tone.

»Würde wohl zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen, wie ich den Dichter der Wüstenbilder kenne,« antwortete Fanny.

»Fast möchte man es einmal erproben!«

Fanny ließ sich durch den Baron hinreißen.

»Gut!« sagte sie. »Geben wir Herrn Bertram ein Thema!«

Dieser Gedanke fand sofort allgemeinen Beifall.

»Ein Thema! Welches? Welches?« wurde gefragt.

»Ein Weihnachtsthema,« meinte Alma von Helfenstein.

»Ja, ja,« wurde rundum beigestimmt.

Und Fanny fügte hinzu:

»Das Gedicht muß mit dem Worte des Engels beginnen: Ich verkündige Euch große Freude, und soll sowohl die Weihnachtsfreude als auch das Weihnachtsleid beschreiben.«

»Was das Weihnachtsleid betrifft,« warf Baron Franz ein, »so möchte ich einen Vorschlag machen.«

Und als man schwieg und die Blicke Aller sich fragend auf ihn richteten, fuhr er fort:

»Denken wir uns also Weihnachtsabend. Ueberall herrscht Lust und Freude. Aber da oben in der Zelle sitzt Einer, eines schweren, entehrenden Verbrechens angeklagt. Das böse Gewissen zehrt an ihm, Körper und Geist leiden; er ist krank und stirbt, stirbt grad am Abende des Christfestes. Ist dieses Thema nicht ein außerordentlich interessantes?«

Es war klar, daß es in seiner Absicht lag, Robert Bertram zu beleidigen. Der Oberst, welcher als Wirth die Verpflichtung fühlte, sich seines jungen Gastes anzunehmen, fuhr auf: »Herr Baron, ich denke, daß –«

»Bitte, bitte!« erklang es da von der anderen Seite her. »Ich bin ganz gern bereit, auf dieses Thema einzugehen.«

Robert selbst hatte diese Worte gesprochen. Das, was beleidigend gemeint war, hatte ihn sofort mit Begeisterung erfüllt. Der Fürst sah ihm dies an.

»Ja,« sagte er, »wir Alle sind gern einverstanden und bitten Sie, zu beginnen!«

Robert trat vom Tische weg zur Seite, so daß Aller Blicke ihn zu erreichen vermochten. Einige Momente lang hing sein Auge wie nach dem Anfange suchend am Boden, dann aber begann er in der Weise der italienischen Improvisatoren:

»Ich verkünde große Freude,

Die Euch widerfahren ist,

Der verlorne Sohn
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