»O doch, werde ich es thun! Ihr Vater hat heute Kette und Schuß bekommen. Bleiben Sie jetzt nicht hier bei mir, so lasse ich morgen früh Alles wieder holen.«
»Das wäre teuflisch!«
»Sie haben es gewollt! Wer meine Liebe von sich stößt, der lernt mich von der entgegengesetzten Seite kennen. Also, entscheiden Sie sich! Wir haben keine Zeit zu verschwenden!«
Da ballte sich ihr kleines Fäustchen. Sie trat furchtlos hart zu ihm heran und fragte:
»Also, Sie werden dem Vater wirklich keine Arbeit geben?«
»Nein.«
»Nun, so wird der liebe Gott für uns sorgen! Sie sind ein Bösewicht, und ich will lieber verhungern, verschmachten und erfrieren, ehe ich mich von Ihnen ernähren lasse!«
»Ah! Sie spielen die Heldin! Aber ich weiß, woher das kommt. Sie leugnen zwar, einen Geliebten zu haben, aber der Hauser, der Nichtsnutz, steckt Ihnen doch im Kopfe. Das giebt ein sauberes Paar!«
Diese Worte waren im Tone der tiefsten Verachtung gesprochen. Das empörte Engelchen und trieb sie zu dem tapferen Geständnisse: »Ich habe nicht nöthig, dem ersten Besten zu sagen, ob ich einen Geliebten habe oder nicht. Hauser’s Eduard ist ein ganzer Kerl; er ist tausendmal mehr werth als Sie. Ich habe ihn beleidigt und gekränkt, weil ich noch gar nicht wußte, wie lieb ich ihn habe. Jetzt aber, da ich Sie vor mir sehe, fühle ich erst, daß ich zu ihm gehöre wie der Tag zur Woche und wie die Erde zur Sonne. Ich werde nicht von ihm lassen. Gehen Sie! Lassen Sie mich vorüber! Und nehmen Sie meinem Vater die Arbeit, so ist das doch noch nicht so schlimm, als wenn ich mir Das von Ihnen nehmen lasse, was mir höher steht, als all Ihr Reichthum – meine Ehre!«
Sie streckte ihre Arme aus, um ihn bei Seite zu schieben. Da aber umfaßte er sie schnell und rief: »Unsinn! Hier bleibst Du! Mein mußt Du werden, und wenn Du wie eine Löwin nach Hilfe brüllen solltest!«
Sie brauchte gar nicht nach Hilfe zu rufen, denn diese stand bereits vor ihr: Eduard hatte sein Versteck verlassen, war rasch hinzugetreten, legte Seidelmann die Hand auf den Arm und befahl: »Weg von ihr!«
Seidelmann blickte ihn bestürzt an.
»Strauch! Alle Teufel! Was fällt Dir ein?«
»Weg von ihr!« gebot abermals der vermeintliche Kaufmann.
»Aber, Mensch, ich begreife Dich nicht!«
Er hielt Engelchen, welche über das Erscheinen eines Zweiten so bestürzt war, daß sie sich gar nicht rührte, noch immer in den Armen. Da aber faßte ihn Eduard bei der Brust, holte mit der anderen Hand aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
»Herr Jesus!« rief Engelchen erschrocken. Die Ohrfeige hatte ihr die Beweglichkeit wiedergegeben.
Seidelmann ließ die Arme von dem Mädchen, fuhr sich mit den Händen nach der getroffenen Wange und brüllte:
»Kreuzdonnerwetter! Das ist zu arg! Bist Du etwa verrückt geworden, Mensch?«
»Verrückt nicht, aber ein Anderer bin ich geworden! Sehen Sie her!«
Eduard nahm die Maske vom Gesichte.
»Eduard!« rief das glückliche Mädchen. »Du hier? O, Gott sei Dank! Jetzt bin ich sicher und gerettet!«
Seidelmann starrte den Weberssohn an, als ob er ein Gespenst vor sich stehen sehe. Dann stürzte er sich mit einem wahrhaft brüllenden Schrei auf ihn.
Eduard hatte das erwartet. Er hatte das Mädchen an seiner Brust, wendete sich deshalb mit ihr halb zur Seite, holte mit der rechten Faust aus und empfing Seidelmann mit einem solchen Faustschlage in’s Gesicht, daß dieser zurücktaumelte und zu Boden stürzte. Er war dem Kaufmanne an Körperkraft überlegen.
»Komm, Engelchen, laß uns gehen!«
Bei diesen Worten schritt er mit ihr nach der Thür. Da aber schnellte sich Seidelmann empor, faßte ihn am Arme und rief: »Halt, Bube! Nicht von der Stelle! Erst sollst Du gestehen, wie Du herein gekommen bist!«
Eduard bewahrte seine Kaltblütigkeit. Er antwortete:
»Frag’ nicht so albern, dummer Mensch! Du selbst hast mich ja hergeschickt und mir den Schlüssel gegeben!«
»Wie kommst Du nach dem Saale?«
»Durch die Thür.«
»Wie darfst Du es wagen, Dich für Strauch auszugeben?«
»Wer kann sagen, daß ich das gethan habe? Du hast mit mir gesprochen und mit mir gewettet. Ich habe die Wette gewonnen. Morgen Abend werde ich nach den fünfzig Gulden schicken. Nun aber die Hand von meinem Arme, sonst kommt noch etwas Gepfeffertes!«
Seidelmann vermochte den Hergang der Sache nicht zu begreifen; aber er sah, daß er der Betrogene, der Blamirte sei. Das verdoppelte seinen Grimm über den mißlungenen Anschlag. Er versuchte es, Eduard zu schütteln und rief dabei: »Du hast Dich ohne Erlaubniß in unsere Gesellschaft eingeschlichen! Vorwärts! Hinüber in den Saal! Wir werden Rechenschaft fordern!«
»Mach Dich nicht lächerlich, alter Fritze! Ihr habt mein Mädchen eingeladen, und zum Mädchen gehört auch stets der Bursche; das ist eine alte Sache! Gehe Du in den Saal, wir aber gehen nach Hause!«
»Das wird sich finden! Fort! Hinüber!«
»Laß los, sage ich!«
Und, als auch jetzt Seidelmann die Hände nicht von ihm nahm, ließ er Engelchen für einen Augenblick fahren, faßte den Wüthenden mit Gedankenschnelle und warf ihn zu Boden, daß Alles krachte.
»Komm, Engelchen! Jetzt hat er genug!«
Er nahm das Mädchen beim Arme, zog den Riegel zurück und trat hinaus.
Im Saale war eine Musikpause eingetreten, und so hatte man die lauten Stimmen gehört. Mehrere Masken traten heraus auf den Gang. Sie erblickten die Beiden; sie kannten Eduard nicht, und Einer fragte, ganz verblüfft: »Was ist denn los? Wer zankt sich da?«
»Der Teufel ist los! Da drinnen steckt er!« antwortete Eduard, nach der offenen Thür hinter sich deutend.
Und während die Neugierigen in das Zimmerchen traten, nahm er Engelchen’s Tuch vom Tische und sagte:
»Komm, hülle Dich ein! Wir wollen machen, daß wir fortkommen, sonst wird es noch schlimmer, als es gewesen ist.«
Sie folgte seiner Aufforderung. Als sie eben die Treppe hinabstiegen, ertönte hinter ihnen ein lautes Brüllen: »Haltet sie auf! Haltet sie auf! Der Kerl muß seine Keule kriegen, fürchterliche Keule!«
Seidelmann war es, welcher sich mittlerweile vom Boden aufgerafft hatte und ihnen nacheilte.
»Schnell, schnell!« bat Eduard. »Daß wir nur wenigstens in’s Freie kommen. Dann läufst Du voraus, und ich nehme ihn auf mich. Das soll ihm gut bekommen!«
Als sie durch den Hausflur eilten, befand Seidelmann sich nur noch einige Schritte hinter ihnen. Da öffnete sich die Thür des Gastzimmers, und ein Mann trat heraus, welcher die Situation im Momente überschaute.
»Halt!« sagte er. »Bleiben Sie!«
Dabei ergriff er Seidelmann am Arme und schleuderte ihn mit solcher Gewalt zurück, daß er wieder bis zur Treppe flog und dort niederstürzte. Er war ein Fremder. Selbst Eduard, welcher zurückgeblickt und den blitzesschnellen Vorgang beobachtet hatte, kannte ihn nicht. Der Bursche entfernte sich mit seinem Mädchen.
Seidelmann raffte sich auf und wollte sich auf den Fremden stürzen. Dieser aber hatte eine so kampfbereite, drohende Haltung angenommen, daß es keineswegs gerathen schien, mit ihm anzubinden. Ueberdies kam dem Kaufmann ein Gedanke, dessen Ausführung keine Versäumniß duldete. Er wendete sich also ab und eilte die Treppe empor.
Droben standen die Mitglieder der Gesellschaft.
»Was war es?« rief der Eine.
»Was hat’s denn gegeben?« fragte der Andere.
»Prügelei! Das ist stark! Weshalb aber?« rief der Dritte.
»Wartet bis nachher, bis ich wiederkomme!« antwortete er.
Dabei riß er seinen Ueberrock vom Tische, zog ihn ab und eilte wieder die Treppe hinab und auf die Gasse hinaus.
Der Fremde unten war verschwunden. Das Liebespaar aber war im Lichte des Schnees von Weitem noch zu erkennen.
»Er führt sie nach Hause!« knirschte Seidelmann für sich. »Wie ist das Alles gekommen? Er wird es ihr erzählen, und ich muß es hören! Auf der Straße bleiben sie nicht stehen; da ist es zu kalt. Sie werden in das Haus gehen. Springe ich hinter den Gärten hinab, so komme ich eher und kann mich verstecken. Ich kenne ja das Haus und seine Winkel!«
Er kehrte in den Hausflur der Schänke zurück, ging in den Hof und Garten derselben, sprang über den Zaun und rannte dann hinter den Gärten hinab, bis er die Stelle erreichte, wo Engelchen heute den Schnee fortgekehrt und dabei mit Eduard gesprochen hatte. Er stieg über den Zaun, durcheilte das kleine Gärtchen und trat in den Hof.
Hier lauschte er, ob etwa noch Leben in dem Hause sei. Es war Alles still, und als er dann am Laden horchte, bemerkte er, daß die Eltern des Mädchens schlafen gegangen seien. Einen Hund gab es nicht; er konnte also ohne besondere Besorgniß handeln.
Die Hinterthür hatte eine hölzerne Klinke, welche mittelst einer Schnur von Außen zu öffnen war. Er zog an der Schnur, trat in den Flur, machte die Thür wieder zu und kroch dann in den tiefen Winkel, welcher sich unter der Treppe befand. Hier konnte er Alles hören, was in dem Hausflur gesprochen oder auch nur geflüstert wurde.
Er hatte gar nicht lange gewartet, so hörte er Schritte.
Eduard war mit Engelchen nicht sehr rasch gegangen. Beiden war das Herz so voll, daß sie schweigend neben einander herschritten. Als sie das Haus erreichten, fragte der Bursche: »Hier sind wir angekommen. Nicht wahr, nun muß ich schleunigst gute Nacht sagen?«
Es folgte eine Pause, dann hörte er halblaut:
»Eduard!«
»Du willst mich strafen!«
»Nein. Aber es wird Dir lieb sein, wenn ich nun gehe.«
»Warum?«
»Du bist ja eine reiche, schöne Italienerin, und ich bin blos ein armer Webergeselle.«
»Eduard! Ich bin recht bös mit Dir gewesen! Du darfst nicht im Zorne von mir gehen! Willst Du mir einen Gefallen thun?«
»Welchen«
»Tritt eine Minute mit herein! Hier ist’s so kalt!«
»Wenn Du willst, ja. Aber, Dein Vater?«
»Wir gehen ja nicht in die Stube. Und er wird wohl auch längst schlafen gegangen sein. Komm!«
Sie zog ihn hinter das Haus und an die Thüre, durch welche vor zwei Minuten Seidelmann eingetreten war. Sie öffnete die Thür und flüsterte dabei: »Da neben der Treppe steht heute die Waschbank. Darauf können wir uns setzen. Willst Du, Eduard?«
»Wie Du denkst!«
Das klang immer noch zurückhaltend. Er konnte eben den Gram der letzten Tage nicht gar so schnell vergessen, wie sie es wollte.
Sie nahmen sich in Acht, Geräusch zu machen, und setzten sich auf die Bank, eng neben einander. Sie ahnten nicht, daß sich zwei Schritte von ihnen ein so gefährlicher Lauscher befinde.
»Und nun sage mir, lieber Eduard, wie Du zu der Maskerade gekommen bist!« bat sie leise.
»Davon nachher, Engelchen. Vorher giebt’s etwas Nothwendigeres!«
»Was?«
»Weißt Du, daß ich in den letzten Tagen recht unglücklich war?«
»Ich glaub’s! Ich war schuld! Kannst Du mir vergeben?«
»Gern, wenn Du einsiehst, daß ich Recht gehabt habe!«
»Du hattest Recht, wie immer. Ich kann mich jetzt gar nicht begreifen! Glaubst Du das?«
»Ich glaube es, denn ich begreife es. Dein Vater wollte es haben; das ist das Erste. Der schöne, flimmernde Anzug hatte es Dir angethan; das ist das Zweite. Nicht wahr?«
»Ja, Du hast’s errathen.«
»Aber das Dritte, Engelchen, das ist das Schlimmste!«
»Was ist’s?«
»Fast möchte ich es Dir nicht sagen!«
»Warum nicht?«
»Weil Du mir sonst wieder bös werden möchtest.«
»O nein! Habe keine Sorge! Was ich heute erlebt habe, das ist genug, um mir als gute Lehre zu dienen.«
»Gott segne Dich für dieses Wort, liebes Engelchen! Du machst mir dadurch das Herz sehr leicht. Weißt Du, Dein Vater ist ein guter, ordentlicher und frommer Mann, aber er hat Etwas von dem Pharisäer an sich, welcher Gott dankt, daß er besser ist, als andere Leute. Giebst Du mir da Recht?«
»Es mag sein! Und nun weiß ich auch, was das Dritte ist, von dem Du nicht gern sprechen wolltest.«
»Nun, was denn, mein Engelchen?«
»Ich habe auch gedacht, daß ich besser bin als Du.«
»Ist das denn wahr?«
Sie zögerte einige Augenblicke mit der Antwort, dann sagte sie:
»Wenn ich reden wollte, da müßte ich eine förmliche Beichte ablegen. Das wird Dich nicht interessiren.«
»O doch! Gar sehr!«
»Das kann ich doch nicht glauben.«
»Wieso?«
»Nun, den Seidelmann würde es wohl interessiren, denn er sagte, daß er mir gut sei und mich heirathen wolle.«
»Da meinst Du wohl, ich hasse Dich und mag Nichts von Dir wissen?«
»Ja.«
»Nun, so komm, mein Engelchen! Lege Dein Köpfchen einmal hierher an mein Herz! Darf ich meine Arme um Dich legen?«
»Ja, thue es, lieber Eduard!«
»So! Und nun will ich Dir sagen, daß Du mir lieb bist über Alles, Alles, was sich nur denken läßt! Erst kommt der liebe Gott, und dann kommt – mein Vater und meine Mutter etwa? Das kann ich doch nicht sagen. Ich glaube, wenn ich so recht in meine Seele blicke, da kommst Du gleich nach dem lieben Gott. Ich bin kein Dichter und kein erfahrener Mädchenjäger. Ich kann nicht schöne Worte machen; aber wenn ich einmal für Dich sterben soll, da sage es getrost; ich thue es auf der Stelle!«
Es war eine kleine Weile still; dann ließ sich Engelchens Stimme hören, vor Freude zitternd:
»Eduard, ist das denn auch wahr?«
»Ja, wahr ist’s; der Himmel weiß es!«
»Dann habe ich doppelt Unrecht an Dir gethan. Auch ich habe Dich recht, recht sehr lieb, wie sehr, das habe ich gar nicht gewußt. Aber, hörst Du, da habe ich gedacht, daß ich ein hübsches Mädchen bin und daß der Vater reicher ist, als Ihr. Das war Beides eine Sünde gegen Dich und Euch. Aber heute habe ich eingesehen, was für ein böses Ding ich da gewesen bin, so ganz voller Stolz, Hochmuth und Hoffärtigkeit.«
»Ja, so ähnlich ist’s gewesen. Der Mensch soll sich nicht besser und sicherer dünken, als er ist. Aber, Engelchen, hübsch bist Du, sehr hübsch, und Euer Häuschen ist allerdings mehr werth, als unsere Hütte. Was wahr ist, das darf man auch nicht leugnen.«
Wie thaten ihr diese einfachen Worte doch so sehr wohl. Sie schlang ihre Arme um ihn, schmiegte sich eng an ihn und fragte: »Ist das Dein Ernst? Bin ich wirklich nicht häßlich?«
»Nein. In dieser dummen Kleidung habe ich erst gesehen, daß Du sogar schön bist, Engelchen.«
»Das freut mich, Eduard; aber es freut mich nicht aus Hochmuth und Eitelkeit, sondern weil ich Dein sein werde.«
»So ist’s recht, mein liebes, liebes Mädchen! Schau, als ich Dich zum ersten Male in diesem Anzuge sah, da war ich ganz erstaunt über Dich; daß Du so schön sein könntest, hatte ich gar nicht gedacht. Und daher hat der Gedanke, daß Du nicht mir, sondern einem Anderen gehören solltest, mir schier das Herz zerrissen!«
»Nun aber ist’s wohl wieder heil?«
»Ja, wenn Du mir von Herzen gut sein willst.«
»Sehr gut, o, wie so gut, lieber Eduard!«
»Und dann später – willst Du da mein Weibchen sein?«
»Ich werde den lieben Gott täglich bitten, daß er mir dieses Glück nicht versagen möge!«
»Ist es wirklich ein Glück für Dich?«
»Ein großes, ein sehr großes!«
»Trotzdem Du so hübsch bist und auch reicher als ich?«
»Geh! Sei nicht hart! Bist Du etwa häßlich? Ich habe gar nicht gewußt, was für ein prächtiger Kerl Du bist. Aber als Du diesen Seidelmann mit einem Ruck zu Boden warfst, da stieg es in mir empor, so hell und so klar, daß nur Du es bist, dessen Frau ich werden mag!«
»Was aber wird Dein Vater sagen?«
»Habe keine Sorge! Seidelmann hat ihm den Kopf verdreht, aber er würde lieber sterben, als mich das Schicksal der Schreiberstochter erleiden lassen. Wenn ich ihm erzähle, was geschehen ist, so wird er Dir großen Dank wissen. Also, sind wir einig, Eduard?«
»Ja, liebes Engelchen!«
»Und wir werden uns niemals wieder betrüben?«
»Nein. Wir wollen Gott bitten, solche Trübsal fern von uns zu halten. Aber, Engelchen, was ist denn das? Du hast mich ja umarmt?«
»Darf ich das nicht?« fragte sie verschämt.
»O, gar gern! Und ich, ich halte Dich so fest und innig am Herzen! Und dieser Seidelmann durfte Dich nicht anrühren!«
»Aber bei mir stirbst Du nicht?«
»Nein, nein, Du Lieber, Du Guter!« flüsterte sie.
»So glaube ich am Ende gar, daß ich es wagen darf, Dir – hm, Dir einen Kuß zu geben! Wie?«
»Ist das denn nothwendig?«
»Ich halte es für sehr nothwendig. Darf ich?«
Sie antwortete nicht; aber als er seine Lippen auf ihren Mund legte, da fühlte er einen liebevollen, warmen Gegendruck. Wie glücklich war er, dieses schöne Mädchen, und noch dazu in diesem Maskenanzuge, in seinen Armen zu halten. Es war kalt, und Engelchen war sehr decolletirt, aber sie fühlte die Kälte nicht. Sie lag ja an seinem Herzen, und er hatte das große, dicke Tuch sehr eng um sie geschlungen.
Der Lauscher unter der Treppe hörte jedes Wort; er hörte jetzt auch das leise, galvanische Geknister der Küsse. Er hätte mit beiden Fäusten drein schlagen mögen, wenn es nur gegangen wäre! Da pflückte dieser arme Webersbursche die Rose, welche er für sich hatte reserviren wollen – zweihundert Gulden pro Jahr; das war doch sehr gut bezahlt!
Nach langem Schweigen ergriff das Mädchen wieder das Wort.
»Nun aber sage mir, wie Du zu der Maskerade gekommen bist.«
»Das ist eigentlich auch so eine Art von Beichte.«
»Eigentlich nicht, aber doch ein Teil Lug und Trug.«
»Ich werde es Dir vergeben.«
»O,« lachte er leise, »nicht Du bist es, der mir zu vergeben hat!«
»Wer sonst?«
»Der junge Kaufmann Strauch, den ich um sein Vergnügen gebracht habe. Ich hoffe, daß er es nicht erfahren wird.«
»Du machst mich sehr neugierig.«
»Nun, das war so: Als Du dabei beharrtest, zur Maskerade zu gehen, da wurde es mir angst um Dich. Ich wußte, daß man Dir eine Schlinge legen wolle.«
»Du hattest sehr Recht. Das habe ich heute gesehen.«
»Ich wollte Dich beschützen und über Dich wachen. Das ging aber nur dann, wenn ich mit dabei sein konnte.«
»Richtig! Wie aber hast Du es fertig gebracht?«
»Ich mußte es so weit bringen, daß Einer nicht mitmachte, ohne daß er es den Anderen sagte.«
»Das war schwer.«
»Aber ich habe es doch fertig gebracht. Ich schrieb nämlich an Strauch einen Brief, in welchem ich ihm verbot, an der Maskerade theilzunehmen. Ebenso verbot ich ihm, die anderen Mitglieder des Casinos Etwas davon wissen zu lassen.«
»Ja.«
»Das ist wunderbar!«
»Nicht so sehr, wie Du denkst! Mir hätte er nicht gehorcht. Er hätte mich nur ausgelacht, mich gar für verrückt gehalten. Aber ich hatte eine prächtige Idee. Weißt Du, wie ich mich in dem Briefe unterschrieben habe?«
»Nun, wie?«
»Ich habe als Waldkönig unterzeichnet.«
»Herrgott!«
»Du erschrickst?«
»Ja, freilich!«
»Es war ja doch nur Spaß. Der Strauch hat wirklich geglaubt, daß der Waldkönig diesen Brief geschrieben hat, und daher ist er gehorsam gewesen. Ich war dann beim Maskenverleiher. Dort lag der Anzug, den Strauch hatte nehmen wollen. Ich nahm ihn für mich. Darum haben mich Alle für Strauch gehalten, und darum konnte ich Dich heute beschützen.«
»Wie sonderbar! Weißt Du, lieber Eduard, daß ich ganz stolz bin auf den Streich, den Du Dir da ausgesonnen hast? Das bringt nur Einer zusammen, der nicht auf den Kopf gefallen ist. Den Anzug hast Du Dir nur geborgt?«
»Ja, freilich!«
»Wann giebst Du ihn wieder zurück?«
»Morgen.«
»Vielleicht könntest Du da – ich denke nämlich, daß mein Anzug auch geborgt ist, dann müßte ich ihn zurückgeben. Könntest Du den Verleiher nicht einmal fragen?«
»Ja.«
»Wann gehst Du?«
»Gleich nach dem Mittagessen. Aber Dein Anzug braucht uns gar keine Sorge zu machen. Der Seidelmann hat ihn geschickt, und so sendest Du ihm das Zeug wieder zurück. Das ist das Einfachste.«
»Das ist wahr. Aber was wird Vater sagen, wenn er hört, daß er keine Arbeit mehr bekommt!«
»Eigentlich meine ich, daß er an diesem Unglücke selbst die Schuld trägt. Er hat sich von Seidelmann blenden lassen und Dich gezwungen, zum Ball zu gehen. Ein guter Vater sollte – na, ich will Dir nicht wehe thun. Verliert er die Arbeit, so wird Gott ihm helfen.«
»Aber Gott kommt nicht persönlich auf die Erde herab. Er hilft nur durch andere Menschen.«
»Das ist freilich wahr. Aber mir hat Seidelmann nicht nur die Arbeit entzogen, sondern er hat mich sogar um meinen sauer verdienten Lohn betrogen. Erst heute habe ich eingesehen, weshalb er das gethan hat.«
»Ich ahne es. Wohl meinetwegen?«
»Ja, Engelchen. Er hat mich in Noth und Elend bringen und gar aus der Gegend jagen wollen, um Dich dann sicher zu erbeuten.«
»Das wäre ihm nicht gelungen.«
»O, Du kennst ihn nicht! Er hat kein Gewissen. Wie nun, wenn ich heute nicht gewesen wäre?«
»So hätte ich nach Hilfe gerufen.«
»Hätte ich nicht mit ihm gewettet, so wäre die Sache wohl anders gekommen. Uebrigens bist Du noch nicht sicher vor ihm. Er ist ein Wüstling; er hat seine Augen auf Dich geworfen, und er wird alle Hebel in Bewegung setzen, um seinen Willen doch noch zu haben.«
»Ich gehe nicht aus dem Hause. Und wenn ich dennoch einmal fortgehe, so mußt Du bei mir sein.«
»Ich habe mich selbst vor ihm in Acht zu nehmen. Er wird mir den heutigen Abend nie vergessen. Es ist nur gut, daß ich ihn ganz und gar nicht zu fürchten brauche.«
»Etwa, weil Du stärker bist als er?«
»Das nicht. Gegen Schlechtigkeit und List hilft keine Körperkraft. Aber ich stehe unter einem mächtigen Schutze.«
»Gottes?«
»Ja, aber auch unter einem anderen.«
»Welcher wäre das?«
»Das bringt mich auf das zurück, was ich vorhin sagen wollte, als ich meinte, daß Gott Euch helfen werde, wenn Ihr keine Arbeit bekommt. Seidelmann hat mir die Arbeit genommen und mich um den Lohn betrogen. Er dachte, ich sollte in Noth und Elend gerathen; aber gerade dieses Unglück ist mir zum Glück gewesen. Der Förster hat uns gespeist, und dann hat sich auch noch ein Anderer unser erbarmt.«
»Wer denn, lieber Eduard?«
»Denke an Beyer’s Kinder.«
»Wieso?«
»Wer hat für sie bezahlt?«
»Der Fürst des Elendes.«
»Wer hat dem Herrn Pfarrer befohlen, sie zu uns zu thun?«
»Auch der Fürst.«
»Nun, dieser ist mein Beschützer.«
»Gott! Kennst Du ihn etwa?«
»Nein. Ich sollte eigentlich kein Wort verrathen; aber Ihr kommt wohl sehr bald in die Lage, Hilfe zu suchen, und da will ich Dir gestehen, daß ich Einen kenne, welcher ein Diener des Fürsten des Elendes ist«
»Wirklich? Eduard, ich erstaune! Wer ist dieser Mann, dieser Diener des Fürsten?«
»Das ist auch mir unbekannt.«
»Wo hält er sich auf?«
»Das darf ich nicht verrathen.«
»Aber Du kommst mit ihm zurück; Du sprichst mit ihm?«
»Ja. Die Noth, in welche mich Seidelmann stürzen wollte, hat ein Ende genommen, ehe sie nur zum Anfang kam. Auch ich stehe im Dienste des Fürsten des Elendes und beziehe einen so schönen Gehalt, daß ich leben kann wie ein Graf.«
»Herrgott! Ist das wahr?«
»Gewiß! Siehst Du, liebes Engelchen, wir lieben uns, und Du willst mein Weibchen werden. Da kann ich es wohl wagen, Dir diese Mittheilung zu machen, damit Du keine Sorge um mich und auch um Euch zu haben brauchst.«
»Das ist recht von Dir. Nun sehe ich, daß Du mich wirklich lieb hast. Aber ich darf wohl nicht davon sprechen?«
»Zu keinem Menschen.«
»Auch nicht zu den Eltern?«
»Auch zu ihnen nicht. Willst Du es mir mit der Hand versprechen?«
»Ja; hier ist die Hand! So brauchst Du wohl für die Zukunft keine Sorge mehr zu tragen?«
»Nein. Wenn mir das gelingt, was wir jetzt vorhaben, so bin ich sicher, daß der Fürst des Elendes für mich sorgen wird.«
»Was wollt ihr thun?«
»Wen?«
»Hm! Darüber muß ich allerdings schweigen.«
»Ich errathe es aber. Herrgott, wenn es wahr wäre, was ich ahne! Ich hätte Tag und Nacht keine Ruhe mehr.«
»Warum?«
»Weil Derjenige, den ihr fangen wollt, so gar gefährlich ist.«
»Du wirst falsch rathen.«
»Nicht doch! Ist’s nicht der Waldkönig? Wen gäbe es sonst in dieser Gegend, der zu fangen wäre.«
Sie hatte das Richtige getroffen; er aber beschloß, um sie zu beruhigen, lieber eine Unwahrheit zu sagen:
»Du irrst. Wir wollen den Bormann fangen, der gestern entflohen ist.«
»Gott sei Dank! Da brauche ich keine Angst zu haben. Der Bormann wird längst über alle Berge sein.«
»Das befürchte ich auch. Hast Du heute gehört, daß auch der Schreiber Beyer gestorben ist?«
»Ja. Das ist ein großes, ein fürchterliches Elend! Und daran ist der Seidelmann schuld. Die beiden Todten werden mit einander begraben und neben einander in ein Doppelgrab gelegt.«
»Gehst Du mit zu Grabe?«
»Ja. Es wird ein großer Trauerzug werden, obgleich die Leute so arm gewesen sind. Und Du?«
»Ich gehe auch mit, wenn ich Zeit habe.«
»Du arbeitest ja nicht.«
»Aber ich muß meinem geheimen Herrn zu jeder Zeit zur Verfügung stehen. Also, Du denkst, daß Dein Vater mir nicht bös sein wird, daß ich Dir heute gegen Seidelmann beigestanden habe?«
»Er wird Dir sogar dankbar sein, wenn ich ihm erzähle, was geschehen ist. Vielleicht erlaubt er Dir dann, wieder zu uns in die Stube zu kommen.«
»Das wäre mir so sehr lieb! Aber merkst Du, daß Du frierst?«
»Nein, lieber Eduard.«
»Aber ich habe es jetzt bemerkt. Es wird besser sein, daß ich gehe.«
»Jetzt noch nicht. Erst mußt Du noch einmal mit in die Stube kommen.«
»Warum?«
»Das sage ich Dir, wenn wir drin sind.«
»Kannst Du hinein? Hast Du den Schlüssel?«
»Mutter wollte ihn legen. Ich finde ihn sogleich.«
Sie stand von der Bank auf, und dann hörte Eduard das leise Klirren des Schlüssels im Schlosse.
»Komm!« flüsterte dann das Mädchen.
Er folgte ihr in die Stube, in welcher es warm war. Sie brannte eine Lampe an und zeigte auf einen Stuhl, auf den er sich setzen sollte. Er that es. Sie legte das Tuch ab, welches sie bis jetzt getragen hatte, trat zu ihm, legte ihm den Arm um den Hals, blickte ihm liebevoll in die Augen und sagte: »Ich wollte Dein liebes, gutes Gesicht heute noch einmal beim Licht sehen, Eduard. Bist Du mir wirklich nicht mehr bös?«
»Nein! Kein Bischen mehr,« antwortete er, indem er den Arm um ihre Taille legte und sie an sich drückte.
»Und Du wirst mich ebenso lieb behalten, auch wenn ich keine Italienerin mehr bin?«
Da leuchtete sein Gesicht freudig und glücklich auf. Er errieth jetzt, weshalb er noch einmal mit in die Stube kommen sollte. Sie hatte sein Gesicht sehen wollen? Ja; aber das war wohl nicht die Hauptsache. Er hatte ihr gesagt, daß er erst erkannt habe, wie schön sie sei, als sie dieses Gewand getragen hatte. Sie wollte sich ihm in dieser Schönheit noch einmal zeigen; sie wollte ihm damit ihre Liebe beweisen und ihm ein Geschenk damit machen, welches für ihn von hohem Werthe war.
»Bleib so fromm und gut wie heut,« sagte er, »dann kannst Du meiner Liebe für das ganze Leben versichert sein.«
Sie schmiegte sich innig an ihn und antwortete:
»Eduard, nun Du von Deiner Liebe wirklich zu mir gesprochen hast, fühle ich erst, daß ich ohne Dich gar nicht leben möchte, daß ich von Dir nie und nimmer lassen kann.«
Das Herz wollte ihm springen vor Seligkeit.
»Engelchen,« sagte er, »heute Morgen, ja, heute Morgen noch solch’ ein Herzeleid, und nun heute Abend dieses Glück! Ich vermag es kaum zu fassen!«
»Ja, ich habe sehr Vieles gut zu machen! Eins aber kann ich Dir sagen: So, wie ich jetzt bei Dir stehe, soll mich kein Mensch mehr sehen, als nur Du allein!«
»Das gebe Gott! Und nun will ich gehen. Nicht?«
»Ja. Schlaf wohl, und gute Nacht!«
Sie umarmten sich und küßten sich innig; dann ging er. Er verließ das Haus durch die Hinterthür, an welcher es noch einen letzten Abschiedskuß gab, und stieg dann gleich über den Zaun hinüber in seinen Garten. Dort lößte sich zu seiner Verwunderung eine Gestalt von der Wand los und kam ihm einige Schritte entgegen. Er erkannte den fremden Mann, welcher in der Schänke Seidelmann zurückgeschleudert hatte, und ahnte nun, wen er vor sich habe.
»Der Fürst – –?« fragte er leise.
»Des Elendes,« fügte der Andere hinzu. »Sie kannten mich nicht?«
»In der Schänke nicht. Ich begreife nicht, woher Sie die vielen und so verschiedenen Gestalten nehmen!«
»Kenntniß, Uebung und Geschwindigkeit, das ist Alles! Sie waren wohl in eine Schlägerei gerathen?«
»Ja. Seidelmann wollte mir mein Mädchen verführen.«
»Darf ich die Erzählung hören?«
»Recht gern.«
Er berichtete ihm das Geschehene und fügte dann hinzu:
»Ich denke aber doch, daß es mir unter Umständen schaden kann, daß ich mich als den Pascherkönig unterschrieben habe.«
»Keine Sorge! Ja, es ist allerdings möglich, daß Ihnen einige kleine Unannehmlichkeiten bereitet werden, ernstlich aber wird es Ihnen nicht schaden können. Aber nehmen Sie sich nun doppelt und dreifach vor diesen Seidelmännern in Acht!«
»Ich werde vorsichtig sein!«
»Hoffentlich trägt Ihre Bekanntschaft mit mir auch etwas zu Ihrem Schutze bei. Ich bin nämlich heute auf eine Vermuthung gekommen, welche Seidelmanns die Köpfe kosten kann.«
»Wirklich? Das wäre!«
»Ja. Was ich Ihnen sage, bleibt natürlich unter uns!«
»Gewiß! Aber, Herr Arndt, vielleicht habe ich da bereits einen sehr großen, unverzeihlichen Fehler begangen.«
»Welchen? Ich will doch nicht befürchten, daß Sie geplaudert haben!«
»Nein; aber dem Engelchen habe ich einige Andeutungen gegeben.«
»Das hätten Sie unterlassen sollen! Was haben Sie gesagt?«
»O, ich war so glücklich, daß Alles so viel anders und besser gekommen war, als ich gedacht hatte, und Engelchen hatte solche Sorge um mich wegen der Rachsucht Seidelmanns, und da sagte ich, daß ich unter dem Schutze eines Mannes stehe, der ein Diener des Fürsten des Elendes sei.«
»Hat sie sich denn nach mir erkundigt?«
»Ja, aber ich habe ihr natürlich keine Auskunft gegeben.«
»Sagten Sie, daß wir uns treffen?«
»Ja.«
»Daß ich Sie besolde?«
»Ja. Es geschah nur, um sie über mich zu beruhigen. Sie hat mir mit der Hand versprochen, zu schweigen.«
»Sie hätten es dennoch unterlassen sollen! Sehen Sie darauf, daß sie ihr Versprechen hält, und thun Sie so Etwas nicht wieder, sonst müßte ich mich von Ihnen zurückziehen! Also ich sagte Ihnen, daß ich auf den Schacht zu Laube gehen wolle – –«
»Ja. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nur ein paar Worte. Er ging dann, um denjenigen zu holen, bei welchem ich mein Anliegen vorbringen konnte. Wissen Sie nun, wer kam?«
»Herr, ich bin begierig, es zu erfahren!«
»Der fromme Seidelmann.«
»Der from – – –«
Das Wort blieb Eduard im Munde stecken, so überrascht war er.
»Ja, der Vorsteher der Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit; dieser kam, mein Lieber.«
»Haben Sie sich nicht geirrt? Haben Sie ihn wirklich erkannt?«
»Ich habe ihn erkannt, obgleich er sich verkleidet hatte und eine Maske trug. Aber sein glattes Kinn und sein weißes Halstuch verriethen ihn.«
»Ja, sein Kinn ist gar nicht zu verkennen; es ist ein Judaskinn.«
»Sapperlot! Sie thun ja, als ob sie Psycho-und Phrenologe seien!«
»Es kam mir so auf die Zunge.«
»Ich machte ihm weiß, daß ich ein bedeutendes Geschäft in Vorschlag habe, und da bemerkte er mir, daß er nichts entscheiden könne, da er der eigentliche Anführer nicht sei?«
»Nicht? Das läßt sich allerdings denken, da er nicht beständig hier wohnt. Wer aber mag der Anführer sein?«
»Jedenfalls einer seiner Verwandten. Er sagte, der Anführer habe heute Abend keine Zeit.«
»Sapperlot! Sollte Fritz gemeint sein, Fritz Seidelmann?«
»Das ist möglich; er oder sein Vater. Haben Sie vielleicht Seidelmann senior bei der Maskerade bemerkt?«
»Nein. Der ist jedenfalls zu Hause gewesen.«
»Also wäre der Junior gemeint. Vielleicht auch lößen die Drei einander ab. Morgen werde ich mir möglichste Gewißheit verschaffen, da ich des Abends wieder nach dem Schachte gehe. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte. Apropos! Kennen Sie den Weg von hier nach Schloß Hirschenau?«
»Schloß Hirschenau bei Helfenstein?«
»Ja.«
»Sehr gut.«
»Sind Sie dort bekannt?«
»Nein.«
»Es ist möglich, daß Sie mich nächster Tage dorthin zu begleiten haben. Giebt es sonst noch etwas?«
»Nein, Herr Arndt.«
»Dann, gute Nacht!«
Er ging.
Als vorhin Eduard seine Geliebte verlassen hatte, war diese sogleich die Treppe empor nach ihrem Kämmerchen gegangen. Erst als ihre Schritte verklungen waren, hatte Seidelmann sein Versteck verlassen und dann auch das Haus durch dieselbe Hinterthür.
»Welch’ ein glücklicher Gedanke!« dachte er. »Wäre ich den Beiden nicht gefolgt, um sie zu belauschen, so hätte ich nichts erfahren. Ah! Köstlich! Aber nun sollt Ihr es mir büßen!«
Schon wollte er aus dem Schatten des Hauses hervortreten, als es ihm war, als habe er ein Stimmengeflüster gehört. Er duckte sich nieder, kroch mehr nach rechts und bemerkte Arndt und Eduard, welche im Gärtchen des Letzteren standen.
»Wer ist das?« fragte er sich. »Der Hauser und – – ah, wie gut, daß der Schnee leuchtet! Das ist der fremde Hallunke, der sich in der Schänke an mir vergriff. Sollte es vielleicht – hm, Donnerwetter! Sollte es der Diener des Fürsten des Elendes sein, von dem dieser Webergeselle erzählte? Ich werde ihn beobachten. Ich schleiche ihm nach. Ich muß wissen, wohin er geht!«
Er beharrte in seiner niedergedukten Stellung, bis er bemerkte, daß der Fremde sich entfernte. Eduard Hauser trat in seine kleine Wohnung, in deren Thür er verschwand.
Jetzt erhob sich Seidelmann wieder und schlich sich weiter. Er sah, daß der Fremde den Weg nach Osten einschlug, welcher sich dann theilte, geradeaus nach einem Nachbardorfe und rechts nach dem Forsthause. Er folgte ihm, bemerkte aber plötzlich, daß der Mann verschwunden war. Wohin? Seidelmann blieb stehen und lauschte.
Arndt war freilich ein Mann, dem sein Verfolger nicht gewachsen war. Er hatte ein außerordentlich scharfes Gehör. Kurz nachdem er Eduard verlassen hatte, war es ihm, als ob er leise Schritte in einiger Entfernung hinter sich vernehme. Er blieb nicht stehen; er schritt langsam weiter, blickte sich aber um.
Da erkannte er eine männliche Gestalt, welche ihm folgte. Er ging noch eine Strecke und drehte sich abermals um; die Gestalt war noch immer hinter ihm, jetzt aber ein Wenig näher.
»Das kann Zufall sein!« dachte er. »Ich werde es untersuchen!«
Er zog sein weißes Bettuch hervor, nahm es auseinander, warf es über und bückte sich nieder, so daß er von dem weißen Schnee nicht zu unterscheiden war. Er bemerkte, daß die Gestalt stehen blieb und in die Nacht hinein lauschte.
»Ah, es ist wirklich ein Verfolger, Jemand, der mir nachschleicht. Warte, Bursche, ich werde Dir einen Denkzettel geben und dabei zugleich sehen, wer Du bist!«
Er raffte mit den Händen einen möglichst großen Schneeballen zusammen und wartete dann.
Als Seidelmann keine Schritte mehr hörte, nahm er an, daß der Mann, dem er folgte, einen rascheren Lauf angenommen habe. Daher schritt auch er jetzt in verdoppelter Eile vorwärts. Dabei hielt er das Auge suchend in die Ferne, in das unbestimmte Schneeduster gerichtet, und so entging ihm der verhängnißvolle Punkt, dem er sich näherte.
Da plötzlich flatterte etwas Weißes hart vor ihm auf; er glaubte eine schwarze Gestalt, wie vom Himmel gefallen, vor sich zu sehen, und dann erhielt er einen Schlag in das Gesicht, daß ihm für einige Augenblicke Hören und Sehen verging.
Arndt hatte sich nämlich blitzschnell unter seinem Tuche vom Boden erhoben und ihn mit aller Gewalt den Schneeballen in das Gesicht geschlagen. Dann raffte er sein Tuch auf und sprang davon, dem Städtchen wieder zu.
Unweit der ersten Häuser hielt er an und blickte zurück.
»Der hat genug! Der geht heute nicht weiter!« lachte er vor sich hin »Der Seidelmann! Ah, ich will ihm lehren, mir nachzuschleichen, um zu sehen wo ich wohne! Dem brummen alle Sinne jetzt so sehr, daß er gar nicht gehört hat, wohin ich gelaufen bin. Sehen hat er nicht sogleich gekonnt. Jedenfalls kehrt er zurück. Ich werde nun den Spieß umdrehen und ihn beobachten.«
Er trat hinter die Ecke des ersten Hauses und wartete. Wirklich dauerte es nicht lange, so kam Seidelmann daher und ging vorüber. Arndt nahm das weiße Tuch über und folgte ihm. Es war gar keine Gefahr dabei, denn es war so spät, daß sich Niemand mehr auf der Straße zeigte.
Da bemerkte er, daß Seidelmann bei Hauser’s Häuschen stehen blieb und sich dann hinter dasselbe schlich.
»Was wird er da wollen?« fragte er sich. »Das muß ich wissen!«
Er folgte ihm vorsichtig und gewahrte dann, daß er vor einem Laden der Wohnstube stand und zu horchen schien. Er stand wohl eine Viertelstunde still und unbeweglich: dann entfernte er sich. Auch jetzt hielt sich Arndt in immer gleicher Entfernung hinter ihm, bis Beide die Wohnung des Kaufmannes erreichten. Seidelmann zog einen Schlüssel hervor, öffnete und trat ein. Arndt blieb überlegend stehen.
»Soll ich umkehren oder nicht?« fragte er sich. »Da oben ist noch Licht. Man wartet also. Der junge Seidelmann bringt Neues mit nach Hause, und der alte, fromme Schuster wird ihm von dem Fremden am Schachte zu erzählen haben. Wer da lauschen könnte? Ich werde doch noch ein Wenig warten.«
Nach einer Weile bemerkte er, daß die Lichter von der vorderen Fronte des Hauses verschwanden; dann erleuchtete sich ein Fenster an der Gartenseite.
»Sollte nun hier die Conferenz stattfinden? Man muß sehen!«
Er stieg über den Zaun. Es gab keine Möglichkeit, bis zur Höhe des Fensters zu gelangen. Erst als er nach einiger Zeit sich nach dem Seitengebäude hinüberschlich, gewahrte er eine Leiter, deren er sich bedienen konnte. Er trug sie nach der hinteren Seite des Hauses, und lehnte sie neben dem erleuchteten Fenster an. Dann stieg er auf die Gefahr hin, bemerkt oder überrascht zu werden, hinan. Er durfte natürlich nicht seinen Kopf am Fenster zeigen. Er schielte nur so hinein, und da erblickte er denn die drei Seidelmänner, Vater, Sohn und Oheim. Die beiden Ersteren saßen am Tische, und der Letztere war soeben auf einen Stuhl gestiegen und stand im Begriffe, ein Bild von der Wand abzunehmen.
Als dies geschehen war, zeigte sich ein großes und tiefes, viereckiges Loch in der Mauer. Seidelmann, der Vater griff hinein und brachte einen Carton zum Vorschein, welchen er öffnete und damit zum Tische trat. Er nahm etwas Schwarzes heraus. Es schienen breite, kostbare Spitzen zu sein, von denen ein ziemlich langes Stück abgemessen und dann abgeschnitten wurde.
»Schön!« flüsterte Arndt, indem er leise und langsam wieder von der Leiter stieg. »Belauschen kann ich sie nicht. Wenn Einer von ihnen an das Fenster tritt, muß er mich sofort erblicken. Es ist zu gefährlich! Aber etwas habe ich doch profitirt: Ich kenne den Ort, an welchem diese Schmuggler ihre Spitzen versteckt haben. Es kommt jedenfalls der Augenblick, an dem ich diese Entdeckung verwerthen kann!«
Er trug dann die Leiter an ihren Ort zurück und entfernte sich. Er hätte nur noch kurze Zeit verweilen sollen!
Als Fritz Seidelmann vorhin nach Hause kam, fand er Vater und Oheim seiner wartend.
»Donnerwetter, Junge, was hast Du denn heute abend für dummes Zeug gemacht?« empfing ihn der Vater.
Doch zeigte das Gelächter, mit welchem er diese Frage begleitete, daß er sich keineswegs in Zorn übe; den Sohn befinde.
»Was für dummes Zeug?« fragte dieser.
»Die Prügelei mit dem Hausers Jungen.«
»Pah! Das ist nicht der Rede werth!«
»Aber er ist Dir doch mit dem Täubchen davongeflogen! Er wird es wohl nun vor lauter Liebe fressen!«
»Woher wißt Ihr denn von dieser albernen Geschichte?«
»Das fragst Du noch? Mensch, das ganze Nest weiß es bereits, vom Pfarrer und Bürgermeister an bis zum Nachtwächter herab! Es sind ja gerade genug Leute dabei gewesen! Eine Dummheit von Dir, eine geradezu riesenhafte Dummheit!«
»Daß ich nicht wüßte!«
»Oho! Ich hätte Dich für gescheidter gehalten.«
»Hätte dieser Schuft, dieser Hauser, sich nicht unrechtmäßiger Weise eingeschlichen gehabt, so wäre es ganz anders gekommen!«
»Unsinn! Die Geschichte war dumm arrangirt. Ich weiß auch den Unterschied zwischen Henne und Henne; ich bin auch jung gewesen, und es fällt mir gar nicht ein, Dir die Flügel zu beschneiden, aber wenn ich ein Mädchen haben wollte, dessen ich nicht ganz sicher war, so habe ich es ganz anders angefangen. Ich gebe zu, daß das Engelchen ein feiner Bissen ist; aber sie in den Clubb einladen, das war Blödsinn. Es gab da hundert andere Gelegenheiten, im Stillen und mit größerer Sicherheit zum Ziele zu gelangen. Du bist famos blamirt! Mich geht es nichts an; aber ich ärgere mich, daß mein Sohn nicht gelernt hat, so etwas geschickter einzufädeln! Warum hast Du mich nicht um Rath gefragt? Warum hast Du mir nichts gesagt?«
»Der Onkel wußte davon. Uebrigens bringe ich aus dem verlorenen Scharmützel immerhin werthvolle Beute mit!«
»Die mag ich gar nicht sehen! Und was den Onkel betrifft, der kann mir auch gestohlen werden! Der hat heute auch einen Pudel geschossen, der gar nicht größer hätte sein können!«
»Wieso?«
»Ich ging zum Bürgermeister, wo dann, kurz bevor ich nach Hause ging, Dein Abenteuer erzählt wurde. Unterdessen hatte es unten im Comptoir geklingelt.«
»Das weiß ich. Ich schickte den Onkel.«
»Warum gingst Du nicht selbst?«
»Ich hatte keine Zeit; ich mußte ja in das Casino!«
»Casino hin, Casino her! Das Geschäft geht vor! Es ist einer der Anführer dagewesen, und zwar eines Geschäftes im Betrage von zwanzigtausend Gulden wegen. Der Onkel hat natürlich nicht disponiren können und dann den Fehler gemacht, mich nicht zu holen. Nun ist der Mann fort, und wir wissen nicht, ob er morgen wiederkommen wird!«
»Hat er es nicht versprochen?«
»Sicherheit hat er nicht gegeben.«
»Nun, so muß man es eben abwarten! Ueberdies müssen wir gerade jetzt höchst vorsichtig sein. Wißt Ihr, weshalb der Fürst des Elendes in dieser Gegend ist? Um den Pascherkönig zu fangen.«
»Donnerwetter! Woher weißt Du das?«
»Ich habe es erlauscht. Das ist eben ein Stück der Beute, von der ich vorhin gesprochen habe.«
»Es soll ihm schwer werden, uns zu fangen! Wenn man nur eine Ahnung hätte, wer dieser elende Fürst ist!«
»Hm! Ich bin auf der Fährte!«
Die beiden Anderen sprangen in die Höhe.
»Wie?« fragte der Fromme. »Auf der Fährte? Sprich’ deutlicher!«
»Er hat einen Diener hier, und Hauser’s Eduard steht auch in seinem Sold und Dienst.«
Diese Nachricht brachte allerdings eine ganz bedeutende Wirkung hervor. Fritz sollte erzählen. Er sagte:
»Hier nicht. Das Gesinde ist neugierig; wir sind vor Lauschern nicht sicher. Kommt in die hintere Stube, wo wir nichts zu befürchten brauchen!«
Sie folgten seinem Rathe und dann erzählte er, was er gehört hatte. Als er geendet hatte, machten die beiden Anderen sehr ernste Gesichter.
»Das klingt ja fast gefährlich für uns!« meinte der Vater. »Also Du denkst, daß der Mann, dem Du gefolgt bist und der Dir den Schnee in das Gesicht getrieben hat, jener Diener des Fürsten ist?«
»Ja.«
»Man muß zu erfahren suchen, wo er sich aufhält.«
»Hauser scheint mir gefährlicher!«
»Allerdings. Er kennt die hiesigen Verhältnisse besser als jener Diener und kann uns sehr viel schaden. Wenn man ihn unschädlich machen könnte!«
»Ich habe ein treffliches Mittel dazu.«
Er erzählte von dem Briefe, den Eduard an den Kaufmann Strauch geschrieben hatte. Das fiel den Beiden in die Ohren.
»Das wäre eine Handhabe!« meinte der Fromme. »Könnte man ihn noch in den Verdacht des Paschens bringen, so – – –«
»Verdacht?« fragte der Sohn. »Was nützt uns ein Verdacht! Paschen muß er, wirklich paschen!«
»Das thut er aber nicht!«
»Er muß es thun, wenn auch unbewußt. Ich habe auf dem Nachhauseweg darüber nachgedacht. Haben wir feine Spitzen da?«
»Ja.«
»Nun, so darf es uns in diesem Falle auf den Verlust einiger Ellen nicht ankommen. Ich sah vorhin durch seinen Stubenladen. Er ging zu Bette. Seinen Rock aber ließ er in der Stube.«
»Sprich deutlicher!«
»Ist das noch nicht deutlich genug? Man schleicht sich in seine Stube und steckt ihm eine Partie Spitzen zwischen das Futter seines Rockes; die sind fein; er bemerkt sie gar nicht. Dann schickt man ihn in irgend einer Weise über die Grenze und macht Anzeige. Er wird ergriffen; es kommt heraus, daß er sich als Waldkönig unterschrieben hat –«
Da fuhr der Fromme von seinem Stuhl auf.
»Bei Salomo und den Propheten, Du bist ein gescheidter Kopf!« rief er. »Ja, so muß es gemacht werden! Nicht, Bruder?«
»Hm! Ja,« antwortete der Gefragte. »Der Plan ist außerordentlich gut. Kann man denn in die Stube?«
»Sehr leicht,« antwortete Fritz. »Die Hinterthür macht keine Schwierigkeiten, und an der Stubenthür befindet sich ein Schraubendrücker, wie wir auch welche haben. Das nehme ich auf mich. Aber bald muß es geschehen, möglichst noch diese Nacht.«
»Wenn man es so einrichten könnte, daß er vor den Grenzern flieht, oder sich an ihnen vergreift!«
»Auch das ist nicht sehr schwierig. Die Hauptsache ist, daß wir die Spitzen in seinen Rock bringen. Ich schlage vor, daß wir es sofort versuchen. Was sagt Ihr dazu?«
»Dich treibt die Rache wegen dem Engelchen; aber Du hast Recht. Gilt er als der Pascherkönig, so läßt man uns in Ruhe. Ueberhaupt juckt es mir in allen Fingern, dieser frommen Sippe ein Tüchtiges auszuwischen. Nicht, Bruder?«
Der Vorsteher der Gesellschaft der Seligkeit nickte und antwortete:
»Du hast Recht. Das sind Leute, die in Schafskleidern gehen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. Sie sind räudig geworden und müssen ausgestoßen werden. Sie gehören zu dem Otterngezüchte, welches dem zukünftigen Zorne nicht entgehen wird. Ihr thut ein Gott wohlgefälliges Werk, wenn Ihr sie vernichtet!«
Der Plan wurde weiter und eingehender besprochen. Dann nahm der Kaufmann die Spitzen aus dem geheimen Behältnisse hinter dem Bilde. Es wurden einige Ellen abgeschnitten, und dann versah Fritz sich mit einer kleinen Laterne und Allem, was zu diesem Gange nöthig erschien. Auch eine Scheere, Nähnadel und Zwirn steckte er ein, um das losgetrennte Futter wieder annähen zu können. Nach diesen Vorbereitungen machte er sich auf den Weg, nur eine Viertelstunde später, nachdem Arndt die Leiter wieder weggestellt und den Garten verlassen hatte.
Er glaubte, die anderen Beiden, Vater und Oheim, würden sich unterdessen zur Ruhe begeben; aber die Angelegenheit war ihnen ebenso wichtig, wie interessant, und darum beschlossen sie, wach zu bleiben und seine Rückkehr zu erwarten.
Es verging wohl über eine Stunde, ehe er kam. Er bemerkte, daß sie noch Licht brennen hatten, und ging zu ihnen.
»Nun, ist’s gelungen?« fragte sein Vater erwartungsvoll.
»Ja,« antwortete er.
»Aber lange Zeit hat es gedauert. Konntest Du nicht hinein?«
»O, ganz gut. Aber der Rock machte mir zu schaffen. Ich habe keine Uebung im Nähen und mußte, nachdem ich die Naht aufgetrennt und die Spitzen in das Futter geschoben hatte, das Ding doch so zumachen, daß er nichts bemerken kann.«
»Die Hauptsache ist, daß er es nicht fühlen oder gar sehen kann, daß sich Etwas im Rocke befindet.«
»Habt keine Sorge! Ich habe meine Sache gut gemacht.«
»Das ist immer nur der Anfang. Wie aber wird es möglich sein, ihn über die Grenze zu bringen?«
»Hat er nicht Verwandte drüben?« fragte der Fromme.
»Ja,« antwortete Fritz. »Warum?«
»Man müßte einen Brief an ihn schreiben, in welchem er von diesen Verwandten zu einem Besuche eingeladen würde.«
»Das geht nicht; das ist zu umständlich, auch müßten wir da viel zu lange Zeit warten.«
»Wieso?«
»Der Brief käme doch mit der Post; wir müßten also vorher über die Grenze, um ihn drüben aufzugeben. Es könnten drei Tage vergehen, ehe die Sache zur Perfection kommt.«
»Das ist wahr,« sagte der Vater. »Und dazu kommt, daß das Briefschreiben immer gefährlich ist. Wer kann die Hand so verstellen, daß man ihm nichts anzuhaben vermag?«
»Ich!« meinte der Vorsteher.
»Das denkst Du wohl, aber jetzt giebt es vereidete Sachverständige, die sich kaum jemals irren.«
»Gut! So mache ich einen anderen Vorschlag: Man sendet einen Boten, welcher scheinbar von Hausers Verwandten kommt.«
»Auch das ist gefährlich. Haben wir da drüben einen Mann, auf den man sich auf alle Fälle verlassen kann? Ich kenne keinen.«
Da stieß der Fromme ein kurzes, überlegenes Lachen aus und sagte:
»O, sancta simplicitas, o heilige Dummheit! Ich habe Euch wirklich für viel klüger gehalten, als Ihr seid! Muß dieser Bote denn ein Mann sein, der da drüben wohnt? Hier habt Ihr doch genug Leute, die Ihr genau kennt und denen Ihr vertrauen könnt!«
»Das ist richtig. Aber der Bote muß die Verwandten Hausers kennen. Das ist ja der Uebelstand. Und selbst wenn wir so einen finden, weiß man nicht, ob er Fehler machen wird. Wir müssen eben außerordentlich vorsichtig sein. Uebrigens müßte der Mann den Hausers unbekannt sein; er müßte sich also verkleiden, eine falsche Haartour tragen, und so weiter. Da ist es auf alle Fälle besser, wenn wir das selbst übernehmen.«
»Du meinst, Einer von uns soll den Boten machen?«
»Ja.«
»Hm! Das ist auch ein Risiko! Uebrigens ist es jetzt spät. Wir haben morgen Vormittag Zeit genug, um die Angelegenheit zu überlegen. Jetzt wollen wir sie einmal beschlafen. Vielleicht kommt uns im Traume ein guter Gedanke.«
Aber zum Schlafengehen kam es doch noch nicht, denn gerade in diesem Augenblicke ließ sich unter dem Fenster ein kurzer, halblauter und eigenthümlicher Pfiff vernehmen.
»Was ist das?« fragte der Vorsteher. »Gilt es etwa uns?«
»Horch!« antwortete sein Bruder.
Der Pfiff wurde ein-und noch einmal wiederholt.
»Ja, es gilt uns,« antwortete Seidelmann. »Man will uns sprechen. Es ist jedenfalls wichtig.«
»Wohl ein Pascher?«
»Nein. Keiner unserer gewöhnlichen Pascher weiß, daß wir die Anführer sind. Wer sich in Schmuggelangelegenheiten direct an uns wendet, ist schon etwas Bedeutendes. Gehe hinunter, Fritz!«
»Soll ich ihn heraufbringen?«
»Wenn es nothwendig ist, ja.«
Der Sohn ging und kam nach kurzer Zeit mit einem Manne zurück, dem man es allerdings sofort anmerkte, daß er kein gewöhnlicher Pascher sei. Sein Oberkörper war ganz in einen dicken Pelz gewickelt; seine Beine steckten bis fast an den Leib in hohen Aufschlagestiefeln, welche ganz geeignet waren, die Kälte abzuhalten, und dazu hatte er eine gewaltige Bibermütze so tief in die Stirn gezogen, daß man nur wenig von dem behäbigen, bartlosen Gesicht zu sehen vermochte.
»Guten Abend, oder vielmehr guten Morgen!« grüßte er, die Mütze abnehmend, und nun trat Seidelmann rasch auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte: »Herr Winkler! Sie! Welch eine Ueberraschung! Natürlich sind Sie uns herzlichst willkommen!«
»Das hoffe ich, Herr Seidelmann. Pfui Teufel, welch eine Kälte und ein Schnee! Und dazu mußte ich des Nachts kommen! Ich bin von der Amtsstadt aus zu Fuß nach hier.«
»Da muß es sich allerdings um etwas sehr Wichtiges handeln!«
»Freilich, freilich! Wenn ich selbst komme, und noch dazu des Nachts, so ist das stets ein Beweis, daß die Goldstücke springen werden.«
»So bin ich sehr begierig. Lassen Sie uns hören!«
»Hm! Wer ist dieser Herr?«
Dabei deutete er auf den ihm noch unbekannten Vorsteher der Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit.
»Mein Bruder.«
»Eingeweiht?«
»Ja. Sie können offen sprechen.«
»Nun, ich erhielt einen Brief des Hauptmannes mit einem ganz bedeutenden Auftrage, den ich bereit bin, zu effectuiren.«
»Uebermorgen des Nachts.«
»Sapperment! So rasch? Ich weiß ja gar nichts davon! Der Hauptmann hat mir kein Wort geschrieben.«
»Mit Absicht. Ist es wahr, daß sich diesseits der Grenze ein Wesen breitmacht, welches man den Fürsten des Elendes nennt?«
»Allerdings.«
»Wohl nur ein Spuck in den Köpfen alberner Leute?«
»O nein! Ganz und gar nicht! Dieser Fürst des Elendes existirt in Wirklichkeit. Wir haben sehr mit ihm zu rechnen, denn er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns das Handwerk zu legen.«
»Donnerwetter! Sie müssen mich aufklären! Aber, haben Sie denn nicht einen Schluck Warmes oder wenigstens Erwärmendes da?«
»So Etwas ist stets vorhanden. Setzen Sie sich. Ich werde Ihnen von der Sorte geben, welche Ihnen die liebste ist.«
Er ging und brachte nach kurzer Zeit einige Flaschen nebst Gläsern mit. Es wurde eingeschenkt und getrunken, dann fragte Winkler: »Also Sie sind mit diesem Fürsten des Elendes auch bereits in Berührung gekommen?«
»Persönlich?«
»Das weiß man nicht genau.«
»Erzählen Sie! Ich muß in dieser Sache klar sehen!«
Die beiden Seidelmanns berichteten ihm Alles, was sie als wissenswerth für ihn hielten. Er schüttelte den Kopf und sagte nachdenklich: »Hm! Ich denke nicht, daß seine Angriffe direct gegen Sie gerichtet sind.«
»Gegen wen sonst?«
»Gegen den Hauptmann.«
»Aber er belauscht uns doch! Er will uns fassen!«
»Ganz richtig! Aber er will Sie nur fassen, weil er ahnt, daß Sie im Dienste des Hauptmannes stehen, auf den es in erster Linie abgesehen ist. Sagten Sie nicht, daß er in der Residenz sein Wesen trieb?«
»Allerdings. Dort ist er zuerst aufgetaucht.«
»Und hat sofort gegen den Hauptmann agitirt?«
»Sofort.«
»Nun, sehen Sie. Er ist ein persönlicher Feind des Hauptmannes, oder wohl gar ein gewiegter Polizist, der sich, um das Geheimniß des Hauptmannes zu durchdringen, ganz ebenso in das Geheimniß hüllt. Entweder hat er erfahren oder ahnt er es, daß der Hauptmann der oberste Leiter unsers Schmuggelhandels ist; er kann ihn in der Residenz nicht greifen und hofft, ihn hier an der Grenze mittelbar packen zu können. Leuchtet Ihnen das nicht ein?«
»Sogar sehr wahrscheinlich. Wir haben uns nicht allein vorzusehen; das wäre viel zuwenig; wir haben uns auf einen Kampf auf Leben und Tod gefaßt zu machen.«
»Das klingt ja ungeheuer gefährlich!« meinte der Fromme.
Winkler machte ein sehr ernstes Gesicht. Bei nur oberflächlicher Betrachtung machte er ganz den Eindruck eines fröhlichen, gutmüthigen Lebemannes; seine immer lächelnden Züge konnten sehr für ihn einnehmen. Jetzt aber hatten seine kleinen Augen sich zusammengezogen, und sein Blick war scharf, finster und drohend geworden.
»Gefährlich ist es auch,« sagte er. »Ich bin deshalb persönlich zu Ihnen gekommen. Wollen wir offen sein, so müssen wir gestehen, daß wir durch unsere Beziehungen zu dem Hauptmanne reiche Leute geworden sind; in einigen Jahren wird man, wenn es so fortgeht, uns zu den Millionärs zu zählen haben. Das steht nun auf dem Spiele und nicht das allein, sondern auch unser Ruf, unsere Freiheit. Sie sehen ein, daß wir die Hände nicht in den Schooß legen dürfen!«
»Das haben wir uns natürlich auch bereits gesagt.«
»Nun also! Wir müssen alles Mögliche thun, um diesen Fürsten des Elendes unschädlich zu machen. Wir müssen ihn in unsere Hände bekommen und dann – so oder so! Verstanden?«
Er machte erst die Bewegung des Erschießens und dann diejenige des Hängens.
»Das versteht sich ganz von selbst,« meinte der Fromme. »Aber wie fangen wir das an? Haben Sie einen bestimmten Gedanken?«
»Noch nicht. Dieser Feind von uns kann ohne Verbündete und Agenten nichts gegen uns machen –«
»Er hat allerdings welche.«
»Nun, so müssen wir uns zunächst an diese halten. Haben wir erst sie, so werden wir auch ihn bekommen. Sind Ihnen vielleicht solche Personen bekannt?«
»Bis jetzt nur dieser Weber Hauser.«
»Der muß beseitigt werden. Sie sind dem Fremden, mit welchem er heute gesprochen hat, nicht gefolgt!«
»Nein,« antwortete Fritz, an den diese Frage gerichtet war. »Er warf mir Schnee in’s Gesicht, so daß ich nicht zu sehen vermochte, und als ich dann die Augen aufmachen konnte, war er verschwunden.«
»Das ist fatal, sehr fatal! Aber den Hauser müssen wir fassen. Sie sind hier bekannter als ich. Kennen Sie nicht irgend eine Art und Weise, wie man ihn unschädlich machen könnte?«
Die Drei blickten sich einander an; dann antwortete der Fromme:
»Wir haben bereits denselben Gedanken gehabt wie Sie und sind auch schon thätig gewesen.«
»Ah! Wie?«
»Dieser Webergeselle ist nämlich so frech gewesen, in einer Angelegenheit einen Brief zu schreiben, welchen er mit dem Worte ›Pascherkönig‹ unterzeichnet hat.«
»Alle Teufel! Ist das wahr?«
»Ja. Wir wissen es genau.«
»So daß Sie ihn gerichtlich belangen können?«
»Er wird kaum vermögen, es zu leugnen!«
»Erzählen Sie!«
Fritz erzählte die Maskeradengeschichte. Als er geendet hatte, schüttelte Winkler den Kopf und sagte:
»Das Mädchen könnte allerdings gezwungen werden, einzugestehen, was er gesagt hat, und Kaufmann Strauch wird den Brief wohl auch noch besitzen. Aber was nützt es? Hauser wird es für einen Spaß ausgeben, den er gemacht hat, um Strauch zu bestimmen, nicht auf dem Maskenfeste zu erscheinen. Er wird dann nicht einmal eine Strafe erhalten. Das ist vorauszusehen.«
Da verzog der Fromme sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und sagte:
»Und wie nun, wenn er ein Pascher wäre?«
»Pascher? Ist er einer?«
»Ich frage nur, wenn er ein Pascher wäre? Würde man es ihm da auch glauben, daß er sich nur einen Spaß gemacht habe?«
»Auf keinen Fall. Aber wenn er wirklich schmuggelte, so stände er jedenfalls in Ihrem Dienste, und dann würden Sie sich ja wohl hüten, ihn zur Anzeige zu bringen!«
»Das ist richtig. Aber setzen wir den Fall, daß er auf seine eigene Rechnung schmuggelte, daß er der Pascherkönig selbst wäre?«
Winkler machte ein sehr verdutztes Gesicht und sagte:
»Meine Herren, ich verstehe Sie nicht, ganz und gar nicht!«
»Sie werden mich gleich verstehen. Er wird nämlich bei einem Spitzenschmuggel erwischt; sodann erfährt man, daß er sich als Pascherkönig unterschrieben hat. Was wird mit ihm geschehen?«
»Hm! Das läßt sich nicht sagen; jedenfalls aber wird er lange Zeit für uns unschädlich sein. Wie aber soll man ihn beim Paschen erwischen, wenn er überhaupt nicht schmuggelt?«
»Das haben wir bereits besorgt. Er hat mehrere Ellen kostbare Spitzen, ohne es zu wissen und zu ahnen, zwischen dem Futter seines Rockes. Ist das nicht genug?«
Winkler sprang vom Stuhle auf und rief:
»Spitzen im Rocke? Ohne es zu wissen? Donnerwetter, das ist ein Meisterstück von Ihnen! Wie haben Sie das fertig gebracht?«
Fritz antwortete im Tone stolzen Selbstbewußtseins:
»Ich habe vor kaum zwei Stunden erlauscht, daß er jenen Brief geschrieben hat und mit dem Fürsten des Elendes in Verbindung steht, und schon hat er die Spitzen im Rocke! Sie werden zugeben, daß wir ebenso schnell wie entschlossen handeln!«
»Gewiß, gewiß! Nur muß man ihn auch veranlassen, über die Grenze zu gehen!«
»Darüber haben wir vorhin bereits verhandelt.«
»Und was haben Sie beschlossen?«
»Wir konnten noch zu keinem Entschlusse kommen. Es fehlt uns ein verschwiegener Mann, auf den wir uns verlassen können.«
»Wieso?«
Sie theilten ihm mit, was sie vorhin von einem Briefe oder einem Boten von jenseits der Grenze gesprochen hatten. Er hörte ihnen aufmerksam zu und sagte dann: »Ihre Ansicht ist keine üble, nur fehlt meiner Meinung nach ein Punkt, der gerade sehr nothwendig ist.«
»Sie werden so freundlich sein, uns denselben mitzutheilen. Sie wissen ja, daß wir eine sehr gute Ueberzeugung hegen in Beziehung Ihres Scharfsinnes und Ihrer Umsicht.«
Der alte Seidelmann, welcher diese Worte sprach, machte dabei eine Handbewegung nach dem Walde hinaus. Winkler war der bedeutendste und verwegenste Schmuggeleiunternehmer jenseits der Grenze. Er lächelte geheimnißvoll, zwinkerte mit den Augen und fragte: »Sie denken jetzt wohl an den Grenzoffizier, welchen man kürzlich da draußen bei den Bäumen gefunden hat?«
»Hm! Sprechen wir nicht davon!«
»Es ist allerdings besser, solche Episoden unerwähnt zu lassen; aber ich muß doch constatiren, daß es von Ihnen sehr klug war, die Winke, welche ich Ihnen gab, so genau zu befolgen.«
»Gut! Bleiben wir nun bei der Sache! Also, welches ist der Punkt, von welchem Sie vorhin sprachen?«
»Was kann diesem Hauser geschehen, wenn man einige Ellen Spitzen bei ihm findet? Sie werden confiscirt, und er hat Strafe zu zahlen. In Beziehung des Briefes wird er sich heraus zu beißen wissen. Hält man ihn fest, so wird er sich aussuchen lassen. Findet man dann die Spitzen wirklich bei ihm, so bricht ihm das den Hals noch lange nicht. Ja, man kann solche Sachen nicht einmal genau berechnen. Es können immerhin Umstände eintreten, welche seine Unschuld wahrscheinlich machen oder sogar beweisen.«
»O, ich bin sehr vorsichtig gewesen,« meinte Fritz. »Kein Mensch könnte sagen, daß man ihm die Spitzen heimlich eingenäht habe oder gar, daß dies von mir geschehen sei.«
»Trau, schau, wem! Der Teufel hat oft gerade da sein Spiel, wo und wann man am Allerwenigsten an ihn denkt. Allzu große Sicherheit hat schon manchen gescheidten Kerl in’s Verderben gebracht. Wie nun, wenn man zufällig solche Spitzen bei Ihnen sieht oder findet?«
»Wer sollte sie gerade bei uns suchen? Ueberdies haben wir sie so außerordentlich gut versteckt, daß kein Mensch sie zu finden vermag. Und zur allergrößten Sicherheit werde ich sogar den Zwirn, mit dem ich Hausers Rock wieder zugenäht habe, an demselben Ort verstecken.«
»Das ist vorsichtig gehandelt. Ich kann es loben. Die Hauptsache aber wäre, daß Hauser sich nicht gutwillig untersuchen ließe, sondern sich widersetzte oder einen Fluchtversuch machte.«
»Daran haben auch wir gedacht. Er würde sich da bedeutend compromittiren. Aber, wie soll man das erreichen?«
»Hm! In der Welt ist Alles möglich. Ein gescheidter Kerl darf kein Dummhut sein! Lassen Sie mich nachdenken!«
Er schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb er plötzlich vor Fritz stehen und sagte:
»Könnte man vielleicht diesen Menschen treffen, so wie ganz und gar zufällig und möglichst nicht hier im Orte, sondern irgendwo anders? Aber dies müßte bald sein, vielleicht morgen?«
»Sehr leicht, sehr leicht,« antwortete Fritz rasch. »Er trägt morgen seinen Maskenanzug zurück.«
»Nach der Kreisstadt?«
»Ja.«
»Wann?«
»Er wird nach dem Mittagessen aufbrechen. Ich hörte das, als er es zu dem Mädchen sagte!«
»Hm! Wissen Sie, wo der Maskenverleiher wohnt?«
»Ganz genau!«
»Giebt es keine Restauration in der Nähe, von welcher aus man das Haus des Verleihers beobachten könnte?«
»Gerade gegenüber liegt der Gasthof zum grauen Wolf.«
»Das ist schön. Beschreiben Sie mir diesen Hauser genau.«
Fritz that dies, und dann sagte Winkler:
»Das genügt, ihn sofort zu erkennen. Haben Sie nicht eine Perrücke und einen Vollbart, welche Beide mir passen würden?«
»Gewiß! Es ist genug Vorrath vorhanden, und zwar für alle möglichen Arten von Köpfen und Physiognomien.«
»Schön! So werde ich diesen Hauser einmal auf mein Conto nehmen. Er soll an mich denken!«
»Ah, Sie selbst wollen sich dieser Sache annehmen?«
»Warum nicht? Ich werde ihn so dupiren, daß ihm die Augen übergehen. Ich bin ja ebenso betheiligt wie Sie. Sie werden das nachher erfahren, wenn ich Ihnen die weitere Veranlassung meiner Anwesenheit mittheile. Es ist mir ein vortrefflicher Gedanke gekommen. Sie wissen genau, daß Hauser im Solde des Fürsten des Elendes steht?«
»Ja. Er sagte es zu seinem Mädchen, und ich habe es gehört.«
»Und Sie meinen nicht, daß er da bloß aufgeschnitten hat?«
»Nein. Der Kerl hat nämlich jetzt Geld, und ich wüßte nicht, woher er es sonst haben sollte, als von diesem geheimnißvollen Fürsten.«
»Schön! So wird er mir sagen, wer der Fürst ist!«
»Donnerwetter! Alle Teufel! Sapperment!« erklang es aus dem Munde der drei Seidelmann’s.
»Ja. Auch soll er mir sagen, wer der Diener des Fürsten ist, der Ihnen heute den Schnee in das Gesicht geworfen hat.«
»Wie wollen Sie das anfangen?«
»Ich gebe mich selbst für einen Diener des Fürsten aus, nach Umständen sogar für den Fürsten selbst.«
Die Drei blickten ihn erstaunt an. Er lächelte überlegen und sagte:
»Sie staunen? Und doch ist dies das Leichteste und Einfachste, was sich nur denken läßt. Es führt am Schnellsten und Sichersten zum Ziele.«
»Allerdings, nämlich wenn er glaubt, was Sie sagen.«
»Er wird und muß es glauben!«
»Und wie wollen Sie ihn dazu bringen, nach der Grenze zu gehen und sich gegen die Beamten widerspänstig zu zeigen?«
»Ich vertraue ihm ein Paket an, welches die Grenzer nicht sehen dürfen, welches er also zu verheimlichen hat.«
»Ein Päckchen mit Contrebande? Da werden Sie sich verrathen. Der Fürst des Elendes verleitet die Seinen nicht zum Paschen.«
»Keine Contrebande!«
»Aber wenn die Grenzer es nicht sehen sollen, wird Hauser es gar nicht annehmen.«
»Unsinn! Das Paketchen wird wichtige Privatdocumente enthalten, deren Inhalt Niemand wissen darf, also auch die Grenzbeamten nicht. Hauser hat es nicht unter allen Umständen, sondern nur möglichst vor ihnen zu verbergen.«
»Das läßt sich eher hören. Aber sind Sie denn bereits im Besitze solcher Schriftstücke?«
»Unsinn! Sie haben doch Papier, Tinte und Feder?«
»Das versteht sich.«
»Nun, so werde ich nachher anfertigen, was ich brauche. Der Inhalt, den ich Hauser lesen lasse, um seine Bedenken zu zerstreuen, wird so eingerichtet sein, daß er sogar gern auf den Leim geht. Er wird ganz stolz darauf sein, daß er es ist, dem die Documente anvertraut werden. Das ist abgemacht. Nun aber zu dem Anderen. Der Hauptmann hat mich benachrichtigt, daß er übermorgen des Nachts einen Transport der hier angeführten Waaren, die ich besorgen soll, übernehmen wird.«
Er zog einige versiegelte Briefe und auch ein offenes Verzeichniß aus der Tasche. Das Letztere übergab er Seidelmann, dem Vater. Dieser las es durch, riß die Augen auf und sagte: »Donnerwetter! Das beträgt ja über fünfzigtausend Gulden!«
»Ueber sechzigtausend sogar.«
»Ist das nicht zu gewagt?«
»Nein. Ich übernehme die Garantie. Sie haben es erst diesseits der Grenze in Empfang zu nehmen.«
»Sind Sie so sicher, nicht erwischt zu werden, daß Sie die Garantie übernehmen wollen?«
»Ja. Erst fühlte ich mich nicht sicher, nun ich aber mit Ihnen gesprochen habe, bin ich überzeugt, daß der Coup gelingen wird.«
»Wieso!«
»Morgen oder spätestens übermorgen bis Mittag wird Hauser erwischt. Er ist der Pascherkönig. Das wird der Polizei und den Grenzbeamten so viel zu thun geben, daß sie ihre Augen und Ohren nur bei ihm haben werden. Verstanden?«
»Wie aber soll es herauskommen, daß Strauch den Brief erhalten hat?« fragte Fritz. »Wie ich ihn kenne, wird er es verschweigen.«
»So ist es Ihre Sache, ihn zur Anzeige zu bewegen.«
»Er wird das aus Angst vor dem Pascherkönig nicht thun.«
»Das geht mich nichts an. Sie haben hier mitzuwirken. Wir sind gleich beteiligt. Ich nehme den Hauser auf mich, und so ist es gar nicht viel verlangt von mir, wenn ich erwarte, daß Sie Strauch, der doch Ihr Freund ist, auf sich nehmen. Sie gehen morgen mit mir nach der Amtsstadt. Dieser Weg muß, wenn wir überhaupt siegen wollen, unbedingt von Erfolg sein.«
»Ich finde das ganz vernünftig,« meinte der ältere Seidelmann. »Aber ein Anderes ist mir unklar, mein bester Herr Winkler. Nämlich, wie kommt es, daß der Hauptmann in einer so wichtigen Angelegenheit Ihnen schreibt und nicht mir?«
»Das sehen Sie nicht von selbst ein?«
»Nein. Ich bin stets benachrichtigt worden, wenn ich handelnd eingreifen sollte. Warum nicht auch dieses Mal?«
»Das ist doch sehr leicht zu begreifen. Man forscht hier nach dem Pascherkönige, also nach Ihnen; die Polizei, die Gerichte, die Grenzer, Alles ist auf den Beinen, Sie zu fangen. Nun tritt sogar dieser Fürst des Elendes auf, und ihn scheint der Hauptmann am Meisten zu fürchten. Man wird alle möglichen Mittel anwenden, um hinter unsere Schliche zu kommen. Wer sagt Ihnen denn, daß man nicht auch auf den sehr naheliegenden Gedanken kommt, die nach hier adressirten Briefe zu überwachen und die verdächtigen zu öffnen?«
»Donnerwetter! Darf das die Polizei?«
»Sie wird da viel fragen, ob sie es darf! Ein einziger Brief aber kann Alles verrathen. Sehen Sie das nicht ein?«
»Ah, ich beginne, zu begreifen!«
»Endlich! Drüben bei mir ist man noch nicht so mißtrauisch. Das weiß der Hauptmann. Darum hat er nur an mich geschrieben, Ihnen aber doch einen Brief mit eingelegt. Hier ist er.«
Er reichte ihm eines der verschlossenen Schreiben hin. Seidelmann nahm es in Empfang, öffnete und las:
Sie empfangen ausnahmsweise Dieses nicht durch die Post, sondern durch Winkler. Die jetzt in Ihrer Gegend für uns so bedrohlichen Verhältnisse veranlassen mich, die Correspondenz mit Ihnen bis auf Weiteres einzustellen. Sie werden meine Weisungen von jetzt ab also nicht mehr schriftlich, sondern durch Eingeweihte mündlich erhalten. Sie haben also einem Jeden Folge zu leisten, welcher sich Ihnen vorstellt und im Besitze des geheimen Zeichens ist.
Der Hauptmann.«
Die Unterschrift war schief gehalten, so daß die Buchstaben nach links lagen, anstatt, wie bei der gewöhnlichen Currentschrift, nach rechts, und sodann mit einem sehr verwickelten, kunstreichen Zug versehen.
»Nun,« fragte Winkler lächelnd »bin ich jetzt genugsam legitimirt?«
»Ja. Es ist die Unterschrift mit dem Zuge, den wir Alle kennen. Hören Sie, was er schreibt.«
Er las den Brief vor. Als er fertig war, sagte der Fromme:
»Schau! So ist also der Fremde, welcher heute klingeln ließ, bereits ein solcher Bote des Hauptmannes gewesen.«
»War Einer hier?« fragte Winkler.
»Ja. Er sprach von einem Geschäft im Betrage von zwanzigtausend Gulden.«
»So ist ihm unbedingt Folge zu leisten. Haben Sie mit ihm abgeschlossen?«
»Nein. Er kommt wieder.«
»Vielleicht lassen sich die beiden Unternehmen vereinigen. Der Hauptmann wird bereits gehört haben, daß das letzte verunglückt ist. Nun giebt er schnell andere Karten aus, weil die Beamten nicht denken werden, daß wir uns so rasch wieder hervorwagen. Auf diese Weise wird die Schlappe ausgeglichen und der Verlust ersetzt.«
»Das ist jedenfalls das Richtige,« sagte Seidelmann, der Vater. »Wo haben wir die Waaren in Empfang zu nehmen?«
»Am diesseitigen Ausgange des Haingrundes.«
»Des Haingrundes? Wo wir erwischt wurden? Sapperment, das ist für uns ein überaus gefährlicher Ort!«
»Ein sehr sicherer Ort im Gegentheile! Kein Mensch wird ahnen, daß wir uns gerade dahin wagen, und noch dazu nach so kurzer Zeit.«
»Na, meinetwegen! Und wann?«
»Nachts zwei Uhr. Das ist die beste Zeit.«
»Mit wieviel Leuten schicken Sie die Waaren.«
»Ungefähr zwanzig.«
»So habe ich für ebenso viele zu sorgen.«
»Haben Sie so Viele?«
»Ah, vierzig und fünfzig, wenn es sein muß.«
»So ist dieses Geschäft abgemacht. Die Rechnung geht direct an den Hauptmann, der Ihnen die Löhne und Ihren Gewinn auszuzahlen hat. Hier nun das Letzte: Sind Sie Herr August Seidelmann?«
Der Fromme, an den diese Frage gerichtet war, bejahte dieselbe.
»Es lag auch an Sie ein Brief mit bei. Hier ist er!«
Der Vorsteher nahm und las dieses Schreiben. Es war ihm nicht anzusehen, ob es einen guten oder schlechten Eindruck auf ihn machte.
»So schnell habe ich es nicht erwartet,« sagte er.
»Was?«
»Ich muß mit dem frühen Morgen abreisen.«
»Schon? Wohin?«
»Das habe ich nicht zu verrathen. Es giebt allüberall verirrte Schäflein, welche auf die Hilfe ihres Heilandes warten. Die Diener Gottes gehen nach Nord und Süd, nach Ost und West. Sie haben allezeit dem Befehle ihres Herrn zu gehorchen.«
Winkler hob schnell den forschenden Blick zu ihm.
»Ah!« sagte er. »Sind Sie vielleicht der Seidelmann, welcher zum Vorsteher der Gesellschaft der Seligkeit ernannt worden ist?«
»Ja, der bin ich,« antwortete der Gefragte in salbungsvollem Tone. »Ich bin erkoren, die Seelen zurückzuführen, welche sich in die Wüste der Sünde und Gottlosigkeit verlaufen haben.«
Da machte Winkler ein völlig undefinirbares Gesicht und sagte:
»So bin ich überzeugt, mein verehrter, frommer Herr, daß man keinen Würdigeren erwählen konnte!«
»Ja, der Allwissende erforscht die Herzen und Nieren der Menschen. Er erwählt sich nur Diejenigen zu Werkzeugen seiner Gnade und Barmherzigkeit, welche fest und treu im Glauben wandeln. Aber jetzt will ich mich zurückziehen. Da ich mit dem Frühesten abzureisen habe, so will ich noch einige Stunden der Ruhe pflegen.«
Er ging. Winkler ließ sich die nöthigen Schreibrequisiten geben und nahm sie mit nach dem Schlafzimmer, welches ihm angewiesen wurde. Dort schrieb er einige Zeit und legte sich dann schlafen. Er kannte das Haus und seine Bewohner; er konnte hier so thun, als ob er kein Fremder wäre.
Früh, nachdem er das Frühstück eingenommen hatte, legte er falsches Haar und falschen Bart an. Er war dies nicht so gewöhnt wie die Seidelmann’s; darum brachte er damit bis nahe an die Mittagszeit zu. Dann brach er mit Fritz nach der Amtsstadt auf.
In der Nähe derselben angekommen, sagte er:
»Wir werden uns hier trennen müssen. Ich gehe nach dem grauen Wolf, den ich nach Ihrer Beschreibung leicht finden werde. Und Sie begeben sich zu Strauch. Werden Sie ihn sprechen können?«
»Sofort. Ich brauche nur in den Laden zu gehen.«
»Und wo treffen wir uns dann?«
»In irgend einer Restauration.«
»Nicht im grauen Wolf?«
»Nein. Man soll Sie dort nicht mit mir sehen. Oder, denken Sie, daß uns dies nicht schaden kann?«
»Was soll es schaden? Man kennt Sie nicht. Und überdies lassen wir ja keinem Menschen hören, was wir besprechen. Sie kehren ja wohl dann auch mit mir zurück!«
»Nein. Ich gehe von da direct heim.«
»Mit falschem Haar und Bart?«
»Beides werde ich unterwegs entfernen und Ihnen übermorgen – ah, morgen heißt es nun ja – durch die Pascher überbringen lassen.«
Sie gingen auseinander. Fritz begab sich zu seinem Freunde, der ihn mit einiger Verlegenheit empfing.
»Ah? Welches Gesicht machst Du mir?« fragte Seidelmann.
»Gesicht? Doch mein gewöhnliches!«
»O nein! Du bist verteufelt verlegen. Ich sehe es Dir an. Du hast wohl bereits gehört, was gestern geschehen ist?«
»Hm! Ja! Verteufelte Geschichte!«
»An welcher nur Du schuld bist.«
»Ich? Das begreife ich nicht! Warum ich?«
»Pah? Versuche nicht, Dich weiß zu waschen! Sind wir hier denn auch unbeobachtet?«
»Fürchtest Du die Beobachtung?«
»Ja. Ich habe mit Dir zu sprechen, und Niemand soll es hören.«
»So komm mit hinüber in meine Stube. Kommen Käufer, so sind ja der Diener und die Lehrlinge da.«
Fritz folgte ihm nach dem wohlbekannten Zimmer. Dort setzten sie sich einander gegenüber und brannten sich eine Cigarre an. Strauch konnte seine Verlegenheit noch immer nicht verbergen. Seidelmann beobachtete ihn forschend und sagte dann: »Ich wollte Dich gern unter vier Augen haben, weil ich heute als Dein Beichtvater komme.«
»Als mein Beichtvater? Du, der Ausgelassenste und Gottloseste von uns Allen? Das ist lustig!«
»O, die Angelegenheit, in welcher ich komme, ist im Gegentheile außerordentlich ernst!«
»Das klingt ja ganz bedrohlich! Und dazu macht der Mensch ein Gesicht, als ob er mich ganz criminaliter vornehmen wolle!«
»So ist es auch! Du hast da ganz das richtige Wort getroffen: criminaliter! Es kann sich nämlich aus der betreffenden Angelegenheit für Dich ein schlimmer Criminalfall entwickeln.«
»Was Teufel!« rief er. »Was meinst Du denn eigentlich?«
»Du wirst es sogleich hören. Ich hoffe auf alle Fälle, daß Du mich mit der reinen Wahrheit bedienen wirst.«
»Wetter noch einmal! Sei nur nicht so feierlich, und sage doch lieber frank und frei heraus, um was es sich handelt!«
»Um den gestrigen Abend.«
»Ah!«
»Warum kamst Du nicht?«
»Weil ich krank war.«
»Was fehlte Dir denn?«
»Es lag mir überall, im Leibe, im Kopfe, in – in –«
»Und in den Hosen,« fiel Fritz ein. »Das Herz war Dir in die Hosen gefallen; der Muth war Dir verloren gegangen. Gestehe es nur!«
Strauch gab sich Mühe, ein möglichst unbefangenes Gesicht zu machen und sagte:
»Der Muth? Ich verstehe Dich nicht!«
»Lüge nicht! Verstelle Dich nicht, alter Freund! Damit kommst Du bei mir nicht weit!«
»Der Teufel mag Dich begreifen! Ich war wirklich krank!«
»Wie kam es aber dann, daß Dein Anzug vorhanden war?«
»Ich habe davon gehört. Aber das ist auch Etwas, was ich nicht zu begreifen vermag.«
»Du hast wirklich nicht gewußt, daß jener Mensch ihn für sich gebrauchen würde?«
»Jener freche Webergeselle? Keine Ahnung davon!«
»Nun, das will ich Dir glauben. Aber, daß Du krank warst, das ist und bleibt eine Lüge! Ich kann es Dir beweisen!«
»So? Beweise es!«
Er war wirklich überzeugt, daß Seidelmann ihm Nichts beweisen könne. Wie hätte es dieser auch wohl anfangen wollen? Fritz aber blickte ihm scharf in das Gesicht und fragte: »Hast Du den Brief noch?«
»Welchen Brief?«
»Vom Pascherkönig.«
Da wurde Strauch bleich. Er war so erschrocken, daß er für einige Sekunden gar keine Worte fand, dann stammelte er: »Vom Pascherkönig? Bist Du toll?«
»O nein! Ich bin sehr bei Sinnen.«
»Du glaubst, daß ich mit dem Pascherkönig in Briefwechsel stehe?«
»Ja. Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin sogar sehr überzeugt davon, mein lieber Freund!«
»Das wäre ja Wahnsinn!«
»Allerdings. Ueberdies kommt es hier gar nicht darauf an, was ich glaube, sondern darauf, was die Polizei denkt.«
Da sprang Strauch von seinem Sitze empor und rief:
»Die Polizei? Herrgott! Was habe ich mit der zu schaffen?«
»Bis jetzt noch nichts, aber sie kann aller Augenblicke kommen, um bei Dir Aussuchung zu halten.«
»Da hört Alles auf! Die Polizei Aussuchung bei mir! Da wäre unser guter Ruf zum Teufel!«
»Ja, mein Bester, zum Teufel!« lächelte Fritz überlegen.
»Aber was will man denn bei mir suchen?«
»Den Brief natürlich.«
»Ich weiß doch von keinem Briefe Etwas?«
»So weiß es die Polizei desto besser!«
»Dann ist sie mehr als allwissend!«
»Geh! Leugne nicht, sondern sei verständig! Ich komme als Freund, um Dich zu retten, um Dir einen Wink zu geben, der den Zweck hat, Dich vor einer Anzeige, einer Anklage oder gar, schlimmern Fall gesetzt, vor einer peinlichen Untersuchung zu bewahren.«
Strauch starrte den Sprecher rathlos an. Er wußte nicht, was er machen solle. Fritz ahnte dies; darum sagte er.
»Ich sehe ein, daß Du Dich zwischen der Charybdis und der Scilla befindest, aber ich wüßte auch, was ich an Deiner Stelle thun würde.«
»Was denn?«
»Meine Pflicht.«
»Welche Pflicht meinst Du denn?«
»Die Pflicht, Anzeige zu erstatten.«
»Hole Dich der Teufel! Dann bin ich ein verlorener Mann!« platzte er heraus, ohne in seiner Verlegenheit einzusehen, daß er mit diesen Worten ein Geständniß ausgesprochen habe.
Da klopfte ihm Fritz auf die Achsel und erklärte:
»Schau, Alter, jetzt hast Du Dich vergaloppirt!«
»Wieso?«
»Du hast zugegeben, was ich erfahren wollte.«
»Unsinn!«
»Und doch! Du sagst, daß Du ein verlorener Mann seist, falls Du Anzeige erstattetest. Das heißt doch mit anderen Worten, daß es irgend Jemand giebt, den Du zu fürchten hast.«
»Dein Schluß ist sehr falsch. Wen sollte ich zu fürchten haben?«
»Ich weiß es ganz genau.«
»Nun, so sage es doch!«
»Den Pascherkönig.«
»Wieder der Pascherkönig! Was hast Du nur mit diesem? Ich sage Dir, daß ich mit ihm nichts zu thun habe, ja, daß ich von diesem Kerl nicht das Allermindeste weiß!«
»Lüge doch nicht so! Du weißt von ihm Zweierlei!«
»Ich wäre da sehr begierig, Beides zu erfahren.«
»Nun, erstens weißt Du, daß er Dir einen Brief geschrieben hat, und zweitens weißt Du, daß er Dir verboten hat, davon zu sprechen.«
»Das sind Vermuthungen, die des Beweises bedürfen.«
»Die Polizei wird Dir den Beweis liefern. Sie weiß Alles; sie kennt sogar den Inhalt des Briefes.«
»Und wie hast Du davon erfahren?«
»Ein Beamter gab mir einen Wink. Willst Du denselben befolgen, so ist es gut, wenn nicht, dann siehe zu, wie Du Dich aus dieser Schlappe nachher heraus zu arbeiten vermagst!«
Strauch schritt hin und her. Seine Verlegenheit hatte sich verdoppelt. Auf der einen Seite stand seine Pflicht und auf der anderen seine Angst vor dem Waldkönige. Seidelmann wartete eine Weile; dann sagte er: »Ich sehe, daß mein guter Wille keinen Nutzen bringt; ich gehe also. Es hätte mich aber gefreut, wenn ich Gelegenheit gefunden hätte, Dir einen guten Rath zu geben.«
Das zog. Strauch blieb stehen und fragte:
»Einen guten Rath? Heraus damit! Das ist es ja gerade, was ich brauche, und zwar außerordentlich nothwendig?«
»Nicht so eilig! So rasch geht das nicht! Wer einen guten Rath geben soll, der muß die Angelegenheit genau kennen.«
»Du scheinst doch ganz gut unterrichtet zu sein?«
»Abermals ein Geständniß, wenn auch ein indirectes! Also, sei doch aufrichtig! Du hast den Brief empfangen!«
»Nun, zum Teufel, ja!«
»Und bist in Folge desselben gestern zu Hause geblieben?«
»Ja.«
»Hast Du den Brief vernichtet?«
»Nein.«
»Ah, so hast Du ihn noch? Das ist sehr gut! Zeige ihn einmal her!«
»Werde mich hüten!«
»Warum?«
»Was ich Dir hier unter vier Augen sage, das kann mir wohl nicht viel schaden; auf alle Fälle kann ich es widerrufen. Aber zeigen, den Brief zeigen und lesen lassen, das ist etwas Anderes!«
»Du wirst ihn der Polizei ja auch zeigen müssen!«
»Das fällt mir gar nicht ein. Ich zerreiße und vernichte ihn!«
»Das wäre die allergrößte Dummheit, welche Du begehen könntest!«
»Wohl nicht. Ich will lieber einen kleinen Conflict mit der Polizei haben, als mich von dem Waldkönige abmurxen lassen.«
Da schlug Fritz eine helle Lache auf und erklärte:
»Der Waldkönig, der Dir geschrieben hat, wird Dich wohl nicht abmurxen; das fällt ihm gar nicht ein!«
»So hast Du noch nicht Alles gehört, was man sich von ihm erzählt!«
»Laß Dich doch nicht auslachen! Glaubst Du denn in Wirklichkeit, daß es der Waldkönig gewesen ist, der den Brief geschrieben hat?«
»Natürlich!«
»Kind, das Du bist! Ich hätte Dich niemals für einen so leichtgläubigen Kerl gehalten! Was sollte der Waldkönig denn eigentlich davon haben, daß Du nicht zur Maskerade gehst?«
»Das habe ich mich allerdings auch gefragt«
»Na, also! Bist Du denn nicht auf den Gedanken gekommen, daß es sich hier um eine Mystification handelt?«
»Ah! Du meinst, daß man mich zum Narren gemacht habe?«
»Ja, gerade zur Fastnacht.«
»Donnerwetter!«
»Wenn das wahr wäre!«
»Was würdest Du da thun?«
»Ich haute dem Kerl die Knochen entzwei, möchte es sein, wer da wolle!«
»Nun, so haue zu! Es ist ein Fastnachtsstreich gewesen.«
»Von wem?«
»Zeige erst den Brief.«
»Hm! Wozu?«
»Daß ich die Handschrift sehe.«
»Weißt Du denn, wer ihn geschrieben hat?«
»Ja. Nur will ich mich aus der Handschrift vollständig überzeugen, ehe ich den Namen nenne. Ich will keinen Unschuldigen verdächtigen.«
»Na, so will ich es wagen. Du sollst den Brief lesen.«
Er schloß einen Kasten seines Schreibtisches auf, nahm den Brief, den er da versteckt hatte, heraus und gab ihn Fritz hin. Dieser las und betrachtete ihn genau. Er kannte die Handschrift von Eduard Hauser nicht; er wollte aber den Brief haben, um genau zu wissen, daß er wirklich vorhanden sei. Dann sagte er: »Ja es stimmt; der Kerl ist’s und kein Anderer!«
»Wer?«
»Ahnst Du das denn nicht?«
»Nicht im Geringsten!«
»Nun, wer hatte denn Deinen Anzug?«
»Dieser Webergeselle.«
»Wer erschien an Deiner Stelle?«
»Ganz derselbe Kerl!«
»Hast Du auch gehört, zu welchem Zwecke er sich eingeschlichen hat?«
»Um Dich mit seinem Mädchen zu belauschen«
»Ja, nur deshalb. Ich hatte Dir von ihr erzählt, und ich wußte, in welchem Anzuge Du kommen würdest. Als ich nun die betreffende Maske sah, dachte ich natürlich nicht anders, als daß Du es seist.«
»Himmelsapperment!«
»Ich fing also mit dem Kerl von dem Mädchen an; ich machte eine Wette mit ihm, daß die Weberstochter mein sein werde –«
»Das ist stark!«
»Um ihm den Beweis zu liefern, gab ich ihm die Weisung, sich in dem Zimmer zu verstecken, in welchem ich den Sieg feiern wollte –«
»Da schlage doch der Teufel drein!«
»Das alles nur, weil ich dachte, Du seiest es. Im entscheidenden Augenblicke nun störte er mich und begann einen Heidenskandal –«
»Allerdings höchst fatal für Dich!«
»Natürlich! Er schaffte sein Mädchen fort. Ich war so klug, ihnen zu folgen und sie zu belauschen. Da hörte ich denn, daß er Dir einen Brief geschrieben habe, einen Brief im Namen des Pascherkönigs –«
»Hallunke! Also der, der ist’s gewesen?«
»Natürlich! Um mich zu belauschen, mußte er bei der Maskerade sein. Dies war aber nur dann möglich, wenn einer der Berechtigten verhindert wurde, zu kommen.«
»Und warum mußte gerade ich dieser Eine sein?«
»Das weiß ich nun freilich nicht.«
»Und wie kam er gerade zu meinem Anzuge?«
»Auch das weiß ich nicht.«
»Aber ich werde es erfahren, ich muß es erfahren. Mir einen solchen Streich zu spielen, einen solchen Gassenjungen-und Fastnachtsstreich!«
»Unangenehm ist es allerdings,« meinte Fritz achselzuckend.
»Unangenehm? Blos unangenehm?«
»Nun, sagen wir ärgerlich!«
»Ärgerlich! Blos ärgerlich? Nein, frech, über alle Maßen frech ist es, und nicht blos frech, sondern – man findet gar keine Worte, um so Etwas richtig zu bezeichnen. Und wie hatte ich mich auf diesen Abend gefreut. Ich wollte Marie überraschen, und – Höllenelement, ich könnte den Kerl zermalmen!«
Vorhin voller Angst und Furcht, fühlte er jetzt einen Grimm in sich, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er rannte wie ein gefangener Panther im Zimmer hin und her und blieb dann vor Fritz, dessen lächelnde Miene ihn ärgerte, halten: »Wie?« rief er. »Du lachst auch noch?«
»Soll ich etwa weinen? Der Streich ist, wenn ich aufrichtig sein soll, wirklich nicht schlecht ausgesonnen.«
»Soll ich dem Hallunken etwa eine Prämie zahlen?«
»Es liegt Chic und Schmiß darin. Das Arrangement ist allerliebst; das wirst auch Du zugeben müssen!«
»Ich finde ganz und gar nichts Allerliebstes darin! Ich habe den ganzen Abend dagesessen wie der Laubfrosch auf der Leiter. Ich habe mich nach Euch gesehnt; ich habe im Stillen geflucht und gebrummt nach Noten; ich habe Angst gehabt vor dem Waldkönig, und warum, wozu? Weil ein Weberjunge mir einen Wisch geschrieben hat, um an meine Stelle zu kommen! Ist das nicht rein zum Aus der Haut Fahren?«
»Fahre heraus!«
»Du hast gut lachen! Aber ich werde mich rächen! Ich werde dem Kerl einen Denkzettel – – ah, sprachst Du nicht von der Polizei?«
»Ja, freilich!«
»Daß die von dem Briefe weiß?«
»Ja.«
»Wie soll sie davon erfahren haben?«
»Hm! Vielleicht hat Hauser geplaudert oder auch sein Mädchen. Man weiß, daß Du vom Waldkönige einen Brief bekommen hast, ohne es anzuzeigen.«
»So kann ich dieses Kerls wegen gar noch in die Tinte gerathen?«
»Natürlich! Es ist Deine Pflicht, Anzeige zu machen.«
»Gewiß, gewiß! Das sehe ich ein! Das werde ich thun, und zwar jetzt, gleich jetzt. Ich gehe augenblicklich zur Polizei!«
»Natürlich nimmst Du den Brief mit!«
»Das versteht sich ganz von selbst! Man wird es ihm lehren, sich als Pascherkönig zu unterschreiben!«
Er griff zum Hute und steckte den Brief zu sich.
»Der Kerl wird den Spaß theuer bezahlen,« bemerkte Fritz, indem auch er sich zum Gehen anschickte.
»Das ist recht: das kann ihm ganz und gar nichts schaden!«
»Es ist um so schlimmer für ihn, zumal er als Pascher bekannt ist!«
Da drehte Strauch sich scharf zu ihm herum und fragte:
»Als Pascher?«
»Ja.«
»Er ist wirklich einer?«
»Alle Welt weiß es!«
Strauch legte den Hut langsam wieder von sich, hustete einige Male und blickte sehr nachdenklich vor sich hin. Es war ihm nicht die geringste Spur seines vorigen großen Grimmes mehr anzusehen.
»Was ist’s? Was hast Du?« fragte Fritz.
»Hm!« brummte der Gefragte.
»Nun? Was ist denn auf einmal über Dich gekommen?«
»Ein Bedenken.«
»Ein Bedenken? Was könnte es denn da für Bedenken geben? Du hast Anzeige zu machen, um den frechen Burschen bestrafen zu lassen!«
»Ja, ja! Eigentlich, ja, hm! Also er ist wirklich ein Pascher?«
»Ich sagte es bereits einige Male!«
»Du, meinst Du nicht, daß es da besser ist, ich sehe von der Anzeige ab?«
»Warum?«
»Er steht zum Pascherkönige in Beziehung!«
»Jedenfalls.«
»Alle Teufel! Am Ende ist er der Pascherkönig selbst!«
»Auch das ist möglich. Ein schlauer und verwegener Patron ist er; das hat er durch den Streich bewiesen, den er Dir spielte.«
»Hm, dann ist das Ding gefährlich! Ich zeige ihn nicht an.«
Jetzt erkannte Fritz, welchen Fehler er begangen hatte. Er hätte Hauser nicht als Pascher bezeichnen sollen. Das war aber nun nicht zu ändern oder zurück zu nehmen.
»Mensch, wo denkst Du hin!« sagte er. »Du hast Anzeige zu machen!«
»Ich habe auf mein Wohl zu sehen. Ich fühle keineswegs das Verlangen, mich heimlich abwürgen zu lassen!«
»Aber die Polizei!«
»Ich habe ihr zu gehorchen. Kommt sie, so werde ich ihr den Brief zeigen; ich bin dann gezwungen, weil dieser Hauser sich selbst verrathen hat. Anzeige mache ich aber auf keinen Fall!«
»Auch nicht, wenn Du mir einen großen Gefallen dadurch erwiesest?«
»Welcher Gefallen wäre das?«
»Du siehst doch ein, daß er mich beleidigt hat!«
»Natürlich!«
»Daß ich das nicht auf mir sitzen lassen will, sondern daß mir sehr daran liegen muß, den Kerl bestraft zu sehen!«
»Ja, ja! Aber wenn Du ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hast, so rupfe es selbst. Ich gebe meine Finger nicht dazu her. Ich habe alle Achtung vor dem Pascherkönige. Ich mache keine Anzeige. Dabei bleibt es!«
»Hasenfuß!«
»Besser man ist ein Hase und bleibt leben, als daß man ein Löwe ist und wird so über Nacht und aus dem Hinterhalte massacrirt!«
»Gut! Ich sehe, daß nichts mit Dir zu machen ist. Also Du versprichst mir aber, den Brief nicht zu zerreißen?«
»Ja. Ich hebe ihn auf.«
»Und zeigst ihn der Polizei, wenn sie kommt?«
»Ja. Ich zeige ihn und wasche dann meine Hände in Unschuld.«
»Aber es können Dir aus dem Umstande, daß Du die Anzeige unterlassen hast, üble Folgen erstehen!«
»Die fürchte ich weniger als den Pascherkönig! Wenn ich einfach erkläre, daß ich den Brief für einen Fastnachtsscherz gehalten habe, was kann man mir da thun? Mich bestrafen? Auf keinen Fall!«
»Das ist Deine Ansicht. Ich will nicht mit Dir streiten, ob sie die richtige ist. Aber, wie nun, wenn ich an Deiner Stelle handelte?«
»Was meinst Du?«
»Wenn ich den Brief auf die Polizei trüge?«
»Du? Hm! Warum?«
»Um die Gefahr von Dir zu nehmen, die doppelte Gefahr vor dem Pascherkönige und der Polizei.«
»Das – das, ja, das wäre ein Ausweg!«
»Gehst Du darauf ein?«
»Du willst Dir die Finger für mich verbrennen?«
»Ich werde sie nicht verbrennen. Giebst Du mir den Brief?«
»Ja. Aber ich stelle die Bedingung, daß kein Mensch davon erfährt, kein Mensch als nur die Polizei.«
»Einverstanden! Gieb her!«
»Hier!«
Fritz nahm den Brief. Es war ihm dabei zu Muthe, als habe er nun einen Revolver in der Hand, dessen sämmtliche Kugeln seinen Nebenbuhler zu Tode treffen müßten. Daß er als Angeber, als Ankläger auftreten müßte, das machte seinem Gewissen nicht die geringsten Scrupel. Er verabschiedete sich von dem Freunde und ging – aber nicht sogleich zur Polizei, sondern vorher nach dem Gasthofe zum grauen Wolf, wo er seinen Verbündeten wußte.
Dieser saß in der Nähe des Fensters, um die Straßenpassanten leicht beobachten zu können. Er setzte sich zu ihm und ließ sich von dem anwesenden Kellner ein Glas Bier geben.
»Noch nicht gesehen?« fragte er.
»Nein.«
»Vielleicht haben Sie ihn übersehen. Sie kennen ihn ja nicht persönlich.«
»Solange ich hier sitze, ist noch kein Mensch in das Haus getreten. Er ist mir also nicht entgangen. Was aber haben Sie erreicht?«
»Wieso halb?«
»Strauch weigert sich, Anzeige zu machen.«
»Das ist dumm von ihm. Ich dächte, daß der Streich, welcher ihm gespielt worden ist, kein solcher ist, den man sehr leicht vergiebt!«
»Er fürchtet sich vor der Rache des Pascherkönigs.«
»Dummheit! Aber, ist der Brief noch vorhanden?«
»Ja, glücklicher Weise.«
»Haben Sie ihn gesehen und gelesen?«
»Gewiß. Ich habe ihn sogar mit.«
»Das ist gut, sehr gut. Wie aber kommt es, daß er Ihnen von Strauch anvertraut worden ist?«
»Ich soll an seiner Stelle die Anzeige machen.«
»Ein Feigling! Darf ich den Brief lesen?«
»Gewiß. Hier ist er!«
Winkler nahm Einsicht in das Schreiben und meinte dann:
»Und Sie denken, daß dies nun für einen Scherz erklärt werden könne, mein bester Herr Seidelmann?«
»Unter Umständen, ja.«
»Nein, unter keinem Umstand. Kennen Sie vielleicht den Paragraphen des Strafgesetzes, welcher von der Bedrohung handelt?«
»Natürlich. Sie ist strafbar.«
»Nun, dieser Brief enthält ohne allen Zweifel eine Bedrohung. Es ist also ganz unmöglich, daß Hauser straflos bleiben kann. Wann werden Sie zur Polizei gehen?«
»Gleich jetzt. Ich kam nur vorher nach hier, um Ihnen den Brief lesen zu lassen. Oder sind Sie anderer Ansicht?«
»Ja. Vielleicht ist es besser, Sie warten ab, welche Resultate ich erziele. Was verstehen Sie aber unter Polizei? Das heißt, bei welcher Polizei wollen Sie Anzeige machen?«
»Bei der Gensdarmerie natürlich.«
»Ich würde sofort zum Staatsanwalte gehen.«
»Meinen Sie? Ja, es wird gerathener sein, sich gleich an den richtigen Ort zu – bst, sehen Sie da hinaus!«
Er deutete mit der Hand durch das Fenster.
»Sie meinen den jungen Mann, der dort näher kommt?«
»Ja.«
»Er hat ganz das Äußere, welches Sie mir als dasjenige Hauser’s beschrieben haben. Ist er es?«
»Er ist es. Sehen Sie, er hat ein Packet in der Hand. Es ist der Maskenanzug. Er geht da drüben hinein.«
»Wenn er wieder herauskommt, werde ich ihm folgen. Ich muß auf alle Fälle mit ihm sprechen.«
»Wie nun, wenn er hier einkehrt?«
»Das wäre mir das Allerliebste. Nur dürfte er Sie nicht sehen.«
»Er sähe das!«
»Nein. Ich würde mich durch das Nebenzimmer entfernen. Uebrigens mache ich Sie darauf aufmerksam, daß er den Rock an hat, in welchem sich die Spitzen befinden.«
»Er scheint sie also nicht entdeckt – ah, da kommt er heraus! Er blickt sich um! Er kommt gerade über die Gasse herüber. Gehen Sie! Es paßt sehr gut, daß der Kellner im Nebenzimmer ist. Bezahlen Sie ihn, und kommen Sie später wieder. Ich werde Sie hier erwarten.«
Fritz trat eilig in die Nebenstube, und nach kaum einer Minute kam Eduard Hauser herein. Er grüßte höflich und setzte sich an den Nebentisch. Als der Kellner zurückkehrte, bestellte er sich ein Glas Bier bei ihm. Die Gaststube war nicht groß, und die Tische standen so nahe bei einander, daß die beiden Gäste sich leicht die Hände reichen konnten, ohne sich von ihren Sitzen zu erheben.
Winkler that dennoch zunächst so, als ob er dem Andern keinerlei Beachtung schenke. Nach einer Weile aber drehte er sich halb herum und fragte, um ein Gespräch zu beginnen, den Kellner: »Ist dies der Gasthof, in welchem vorgestern Abend das Kind des Künstlers verunglückt ist?«
»Nein, mein Herr,« antwortete der Gefragte. »Sie meinen den ›Löwen‹, welcher in der nächsten Straße liegt.«
»Ich hörte, daß dieses Kind schrecklich maltraitirt worden sei?«
»Fürchterlich! Der kleine Körper ist ganz voller Striemen und Schwielen gewesen, und die Obduction hat ergeben, daß der Knabe auch entsetzlichen Hunger gelitten hat.«
»So muß man die Eltern bestrafen!«
»Der Vater ist leider entkommen, wird aber verfolgt. Die Mutter befindet sich im Gewahrsam.«
»Das ist ein Elend! Hoffentlich wird man den Vater ergreifen!«
»Das steht zu bezweifeln. Man hätte ihn bereits haben müssen. Hier in der Nähe der Grenze ist es für solche Leute nicht schwer, zu entkommen, besonders wenn sie sich mit den Paschern in’s Einvernehmen setzen.«
»Ist es mit der Schmuggelei denn gar so schlimm?«
»Hm! Der Herr sind wohl nicht von hier?«
»Nein. Ich bin hier fremd. Ich kam mit der Bahn. Ich will nach dem Nachbarstädtchen. Wie weit ist es bis dorthin?«
»Sie werden es in anderthalb Stunden gehen.«
»Der Weg ist leicht zu finden?«
»Ja, es ist offene Straße.«
Da meinte Eduard in höflichem Tone:
»Sie wollen nicht fahren, sondern gehen, mein Herr?«
»Gehen, ja,« nickte Winkler.
»Ich bin von dort. Wenn ich Ihnen als Begleiter recht sein sollte, stelle ich mich gern zur Verfügung.«
Winkler machte den Eindruck eines vornehmen Mannes. Er warf einen freundlich forschenden Blick auf Hauser, nickte ihm dankbar herablassend zu und antwortete: »Das ist mir lieb, mein junger Freund. Eigentlich wollte ich mich eines Schlittens bedienen; aber ich komme direct aus der Residenz, und wenn man so lange Zeit im Coupee gesessen hat, dann ist eine nicht zu lange Fußtour ganz angenehm. Wollen Sie sich nicht zu mir setzen, da wir nun Reisegefährten werden?«
Eduard hielt es für seine Schuldigkeit, der Aufforderung des vornehmen Herrn Folge zu leisten. Er nahm sein Glas und kam herbei. Winkler betrachtete ihn mit wohlwollendem Blicke und fuhr fort: »Sind Sie im Nachbarstädtchen gut bekannt?«
»Ja. Ich bin dort geboren.«
»Ah, da muß ich Sie um eine Auskunft bitten. Ist Ihnen eine Familie Hauser bekannt?«
»Ja,« antwortete der Gefragte, überrascht aufblickend.
»Giebt es mehrere Familien dieses Namens?«
»Nein, nur eine einzige.«
»Ich glaube, dies gehört zu haben. Es soll eine außerordentlich brave, wenn auch arme Familie sein. Nicht?«
Eduard erröthete. Dann antwortete er:
»Dieses Wort thut mir wohl, mein Herr. Ich bin nämlich der Sohn dieser Familie.«
Winkler that, als ob er eine sehr freudige Ueberraschung empfinde, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Das freut mich, das freut mich sehr! Sie heißen Eduard?«
»Ja.«
»Des Nachbars Engelchen ist Ihre Geliebte?«
»Ja,« antwortete der Gefragte zögernd und abermals erröthend.
»Sie haben jetzt die Kinder der unglücklichen Beyers bei sich?«
»Seit Sonntag. Aber, mein Herr, wie können Sie das wissen, da Sie sagen, daß Sie direct aus der Residenz kommen?«
»Man hat es mir geschrieben, oder vielmehr – hm, bitte, rücken Sie näher. Man braucht nicht zu hören, was wir sprechen.«
Der Kellner hatte die Stube bereits wieder verlassen; sie befanden sich also allein in derselben. Um so neugieriger fühlte sich Eduard. Es mußte sehr Heimliches sein, was dieser fremde Herr zu sagen hatte. Winkler neigte sich zu ihm herüber und sagte halblaut: »Es führt mich nämlich keine andere Absicht in Ihr Vaterstädtchen, als diejenige, Sie aufzusuchen.«
»Mich?« fragte Eduard verwundert.
»Ja, Sie. Man hat mir einen sehr günstigen Bericht über Sie geliefert. Dies ist der Grund, welcher mich veranlaßt, Ihnen mein Vertrauen zu schenken. Sie haben doch von dem Fürsten des Elendes gehört, nicht wahr?«
»Ja. Man spricht hier allgemein von ihm.«
»Und Sie stehen speziell in seinem Dienste?«
Eduard fuhr zurück. Er betrachtete sich den Fremden, als ob er ihn in diesem Augenblicke erst sehe. Er blickte in ein lächelndes, wohlwollendes Gesicht, und das beruhigte ihn.
»Sie sind erstaunt,« sagte Winkler. »Ich will Ihnen noch mehr sagen: Sie verkehren heimlich mit einem Manne, welcher auch in Beziehung zu dem Fürsten des Elendes steht?«
»Herr, ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll!«
»Dieser Mann,« fuhr Winkler fort, »hat für die unglückliche Familie Beyer gesorgt und auch Ihnen eine Summe ausbezahlt?«
Eduard blieb noch immer wortlos.
»Wollen Sie das in Abrede stellen?« fuhr Winkler fort.
»Ich verstehe Sie nicht,« antwortete Eduard endlich. »Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.«
Winkler nickte befriedigt vor sich hin und sagte dann:
»So ist’s recht! Ich sehe, daß Sie verschwiegen sind und daß man sich auf Sie verlassen kann. Es ist mir außerordentlich lieb, daß ich gerade Sie hier treffe. Es ist mir dadurch der Weg erspart, und ich kann gleich hier mit Ihnen sprechen. Aber Sie müssen Vertrauen zu mir haben. Darum lesen Sie vorerst Dieses hier!«
Er griff auf die Bank neben sich, auf welcher ein kleines Packet lag. Er öffnete dasselbe. Es enthielt eine ganze Anzahl sorgfältig zusammen gefalteter Schriftstücke. Winkler schlug eins derselben auseinander und reichte es ihm hin.
Eduard las. Er bekam dann das zweite, dritte, vierte zu lesen, bis er endlich auch den Inhalt des letzten kannte. Seine Verwunderung war von Sekunde zu Sekunde gestiegen.
»Nun?« fragte Winkler im Tone eines Mannes, welcher seiner Sache vollständig gewiß ist.
»Herr,« antwortete Eduard, indem seine Züge den Ausdruck tiefer Ehrerbietung bildeten. »Entweder sind Sie ein Beauftragter des Fürsten oder er selbst.«
»Errathen! Also, vertrauen Sie mir?«
»Gewiß! Sehr gern!«
»Können Sie sich denken, um was es sich handelt!«
»Diese Schriftstücke sollen nach Langenberg besorgt werden.«
»Allerdings! Und zwar durch einen ebenso sicheren wie auch verschwiegenen Mann. Wollen Sie das übernehmen?«
»Sehr gern.«
»Wann können Sie aufbrechen?«
»Sogleich.«
»So giebt es nichts, was Sie heute zu Hause festhält?«
»Nichts Nothwendiges. Ueberdies werde ich vorher anfragen, ob ich gebraucht werde.«
»Bei den Ihrigen?«
»Nein, sondern bei«
Er hielt vorsichtig inne.
»Nun, bei –?« fragte Winkler.
»Das wissen Sie!«
»Schön! Wie oft kommen Sie mit ihm zusammen?«
»Sooft er es für nothwendig hält.«
»Sie haben also keine festgesetzten Zeiten, in denen Sie mit einander verkehren?«
»Nein. Wir wissen uns nach Bedarf zu finden und zu treffen.«
Das Auge Eduard’s blitzte auf.
»Herr,« sagte er, »Sie wollen meine Verschwiegenheit erproben. Sie kennen seinen Wohnort ebenso genau, wie ich selbst. Ich will nicht fragen, ob Sie der Fürst selbst sind oder einer seiner Bevollmächtigten; aber ich werde auch Ihnen nicht mehr sagen, als was ich jedem Anderen mittheilen kann.«
Winkler fühlte sich außerordentlich enttäuscht. Dennoch aber zeigte er eine sehr befriedigte Miene und sagte: »Sie verdienen in Wirklichkeit das Vertrauen, welches man Ihnen schenkt. Ich werde Sie zu belohnen wissen. Sind Sie in Ihren Bemühungen gegen den Waldkönig vorgeschritten?«
»Sie werden den Bericht erhalten haben!«
»Allerdings. Aber was in letzter Zeit vorgekommen ist, darüber erfuhr ich noch nichts.«
»Der nächste Bericht wird es enthalten.«
Winkler hätte dem verschwiegenen Burschen die Faust an den Kopf schlagen können. Er sah ein, daß es unmöglich war, etwas von ihm zu erfahren. Er machte doch gute Miene zum bösen Spiele und erklärte, Eduard die Hand auf die Schulter legend: »Sie sind wirklich sehr, sehr brauchbar, junger Mann! Ich sage Ihnen vorher, daß Sie Carrière machen werden. Also Sie werden mir dieses Paket besorgen?«
»Gewiß!«
»Aber nur Sie kennen den Inhalt. Kein anderer Mensch darf Einsicht nehmen. Verstanden?«
»Es bekommt ihn Niemand zu sehen!«
»Aber ich setze den Fall, daß Sie mit Grenzern zusammentreffen. Diese werden nach dem Inhalte des Päckchens fragen.«
»Ich begegne keinem Grenzaufseher. Ich gehe über den Föhrensteig, wohin sicherlich Niemand kommt. Ueberdies richte ich es so ein, daß ich mit dem Dunkel dort ankomme. Sie können also sicher sein, daß kein Mensch das Päckchen sehen wird.«
»Und doch hat zuweilen der Zufall seinen eigenen Kopf!«
»O, ein Sprung zwischen die Bäume, und ich bin fort! Das kann ich mit gutem Gewissen thun, da ich ja weiß, daß es sich nicht um Contrebande handelt. Aber, Herr, eine Frage muß ich aussprechen!«
»Reden Sie getrost!«
»Darf er es wissen?«
»Wer?«
»Nun – Er!«
Winkler errieth, daß Der gemeint sei, dessen Wohnung er leider nicht hatte erfahren können, und antwortete:
»Vorher nicht, sondern erst nach Ihrer Rückkehr soll er es erfahren. Es ist das unbedingt nothwendig, wenn auch aus Gründen, die ich Ihnen jetzt nicht erzählen kann, die er Ihnen aber dann selbst sagen wird. Sie müssen sogar dann mit ihm darüber sprechen, da er es ist, der Ihnen den Weg zu bezahlen hat.«
»O, Herr, ich bin ja bereits bezahlt!«
»Ja. Sie haben Ihr Gehalt bekommen?«
Er schlug damit nur auf den Strauch, um zu erfahren, wie es sich mit dieser Angelegenheit verhalte. Da Eduard zustimmend nickte, fuhr Winkler in seiner Rede fort: »Das ändert in dieser Sache nichts. Was Sie heute thun, ist extra und muß also auch extra berechnet werden. Nun aber haben Sie erstens Ihren Auftrag noch nicht ausgeführt, der doch erst belohnt werden kann, wenn er zu Ende gebracht worden ist, und sodann hat zweitens Der, von welchem wir sprechen, den wir aber nicht nennen, die für die Ausgaben dieser Gegend bestimmte Separatkasse in den Händen. Er ist es also, der Ihnen Ihren Botenlohn zu entrichten hat. Ich werde Ihnen daher jetzt eine Anweisung schreiben, welche Sie ihm bei Ihrer Rückkehr übergeben werden. Wieviel werden Sie verlangen?«
Eduard wurde verlegen; er antwortete:
»Ich weiß wirklich nicht, welchen Preis ich nennen soll. Wollen Sie darauf bestehen, daß ich wirklich etwas erhalten soll, so bitte ich Sie, die Summe zu bestimmen!«
»Gut. Sind fünfzig Gulden genug?«
Eduard machte große Augen. Das war ja eine ungeheure Summe! Der zehnte Theil davon wäre seiner Ansicht nach bereits mehr als genug, ja, mehr als nobel gewesen.
»Fünfzig Gulden!« sagte er. »Herrgott, das ist ja ein Reichthum!«
»Für Sie vielleicht, aber für mich nicht. Der Fürst des Elendes ist ein reicher Mann und pflegt Diejenigen, welche ihm treu dienen, auch angemessen zu bezahlen. Nicht der Dienst an und für sich wird nach seinem Werthe abgewogen, sondern die Treue ist es, welche belohnt wird. Also, lassen wir es bei fünfzig Gulden?«
»Ich kann wirklich dazu gar nichts sagen.«
»Gut, so bleibt es dabei. Ich werde die Anweisung schreiben.«
Er riß ein Blatt aus seinem Notizbuche, schrieb Einiges darauf und reichte es Eduard hin. Dabei fragte er lächelnd: »Können Sie das lesen?«
Der Gefragte blickte auf die Zeilen. Er vermochte nur zwei Worte zu lesen, nämlich »fünfzig Gulden«. Das Andere war in einer fremden Sprache geschrieben, und zwar in lateinischen Buchstaben, so undeutlich, daß er es nicht zu enträtseln vermochte.
»Es ist die zwischen mir und den Eingeweihten verabredete Geheimschrift. Also nun sind wir einig?«
»Ja.«
»Schön. Wann brechen Sie auf?«
»Sogleich. Erst muß ich allerdings nach Hause; aber dann breche ich so auf, daß ich mit der Dunkelheit den Föhrensteig erreiche.«
»In welches Gebiet gehört er?«
»In’s jenseitige Territorium.«
»Ist ein Zollhaus in der Nähe?«
»Nein. Der Föhrensteig ist als Pascherpfad bekannt.«
»Desto mehr haben Sie sich in Acht zu nehmen, daß sie nicht als Schmuggler angehalten werden. Ich wiederhole, daß es mir außerordentlich lieb ist, Sie hier getroffen zu haben, da mir auf diese Weise der Weg nach Ihrer Heimath erspart geblieben ist. Ich habe noch anderweit zu thun. Nun aber wollen wir das Paket zusiegeln. Man muß stets Das, was man braucht, bei sich tragen.«
Er zog ein Stück Siegellack aus der Tasche und verschloß mit Hilfe eines brennenden Streichholzes und des Lackes das Paket. Dann sagte er: »Also übergeben Sie die Anweisung und sagen Sie dabei, daß ich Sonnabend gerade um Mitternacht eintreffen werde, um den ersten Schritt gegen die Pascher selbst zu leiten. Adieu!«
Er gab Eduard das Packet, reichte ihm freundlich die Hand und winkte ihm seine Entlassung zu. Der junge Mann machte Miene, sein Bier zu bezahlen; Winkler aber sagte: »Gehen Sie! Wer fünfzig Gulden Botenlohn giebt, kann auch noch ein Glas Bier entrichten.«
Eduard ging, innerlich glücklich, einen so lohnenden Auftrag empfangen zu haben. Der Andere aber blickte ihm nach und brummte dann leise in sich hinein: »Der ist in die Falle gegangen! Nun wollte ich, daß Seidelmann bald wieder käme, damit die nothwendigen Maßregeln schleunigst getroffen werden könnten.«
Er brauchte nicht lange zu warten. Die Thür wurde leise geöffnet. Fritz Seidelmann steckte den Kopf herein, und als er bemerkte, daß sein Verbündeter allein anwesend war, trat er rasch ein.
»Fertig?« fragte er.
»Ja.«
»Er ist fort?«
»Wie Sie sehen!«
»Und kommt auch nicht etwa wieder?«
»Ich glaube nicht. Setzen Sie sich für einen Augenblick!«
»Wo ist der Kellner?«