»Er muß im Nebenzimmer beschäftigt sein. Sie wollen sich noch etwas zu Trinken geben lassen?«
»Ja.«
»Lassen Sie das lieber sein. Sie werden sofort aufbrechen müssen.«
»Zum Staatsanwalt?«
»Ja.«
»Wenn Sie sagen sofort, so muß die Angelegenheit plötzlich ganz und gar eilig geworden sein.«
»Das ist allerdings der Fall.«
»So ist dieser Hauser uns wohl recht hübsch in’s Garn gelaufen?«
»Ja. Man wird ihn heute ergreifen und als Pascher arretiren.«
»Wie haben Sie das fertiggebracht?«
»Sie haben das Ihrige auch dazu beigetragen, indem Sie ihm die Spitzen unter das Rockfutter practizirten. Er hält mich für den Fürsten des Elendes oder wenigstens für einen Beauftragten desselben, und wird für mich ein Packet nach Langenberg schaffen. Mit Anbruch der Dunkelheit will er bei dem Föhrensteige sein. Sie haben nun dafür zu sorgen, daß man ihm dort auflauert.«
»Sakkerment! Das soll schleunigst besorgt werden!« sagte Fritz, während er sich zum Gehen anschickte.
»Halt!« rief Winkler. »Seien Sie nicht unüberlegt! Wissen Sie, was Sie sagen werden?«
»Natürlich! Ich bin doch kein Kind«
»Das weiß ich; aber die Sache ist ebenso gefährlich, wie sie für uns wichtig ist. Man muß da vorsichtig sein!«
»Haben Sie keine Sorge um mich! Werden Sie vielleicht hier warten, bis ich wiederkomme?«
»Nein. Meine Zeit ist zu bemessen. Wenn ich morgen Wort halten will, so habe ich heute jede Minute zu Rathe zu nehmen.«
»Das läßt sich denken. Sie kommen nicht selbst mit?«
»Nein. Sie wissen, daß Unsereiner sich nur ganz ausnahmsweise in persönliche Gefahr begeben darf.«
»Aber Punkt zwei Uhr werden Ihre Leute im Haingrunde sein?«
»Das versteht sich ganz von selbst. In solchen Angelegenheiten ist Pünktlichkeit noch viel mehr die Hauptsache als bei jedem anderen Geschäfte. Also, machen Sie Ihre Sache gut! Adieu!«
Sie reichten sich die Hände, und Fritz entfernte sich, um sich nach dem Gerichtsamte zu begeben. Er meldete sich zum Staatsanwalte, und da dieser ihn kannte und auch für den Augenblick nicht nothwendig beschäftigt war, so wurde er sogleich vorgelassen.
»Herr Seidelmann!« sagte der Beamte. »Willkommen! Wie kommt es, daß Sie sich einmal nach hier verirren?«
»Ich komme eines guten Rathes wegen, den ich mir von Ihnen erbitten möchte.«
»Hm! Ich bin Ihnen natürlich sehr gern gefällig; aber ich habe auch meine bestimmten Befugnisse. Vielleicht muß ich Sie an einen Advokaten verweisen.«
»Ich glaube, daß die Angelegenheit, welche mich hierher führt, mit Ihren Befugnissen harmonirt.«
»Wirklich? Dann nehmen Sie Platz und sprechen Sie!«
Seidelmann nahm auf dem Stuhle, welcher ihm hingeschoben wurde, Platz. Er räusperte sich; er wußte für den Augenblick nicht, wie er beginnen solle. Darum meinte der Staatsanwalt lächelnd: »Ist die Sache eine so schwierige?«
»Ich meine es!«
»Wen oder was betrifft sie?«
»Den – den Waldkönig.«
Seidelmann sprach das Wort nur zögernd aus. Kaum aber war es ausgesprochen, so sprang der Staatsanwalt von seinem Sitze empor und fragte: »Den Waldkönig? Höre ich recht?«
»Ja, den Waldkönig!«
»So sprechen Sie; sprechen Sie! Machen Sie schnell!«
Seidelmann griff in die Tasche, nahm den Brief heraus und überreichte ihn dem Beamten!
Der Staatsanwalt nahm das Papier in Empfang und las die wenigen Zeilen. Sein Gesicht nahm den Ausdruck der allergrößten Spannung an. Als er fertig war, warf er einen ernsten, forschenden Blick auf Fritz und sagte: »Kennen Sie die Wichtigkeit dieses Documentes, mein lieber Herr Seidelmann?«
»Da ich eine Ahnung von der Wichtigkeit hatte, so kam ich zu Ihnen, um Sie um Rath zu fragen.«
»Welchen Rath meinen Sie?«
»Was ich mit dem Briefe thun soll?«
»Sie haben das, was ich Ihnen rathen müßte, bereits gethan, nämlich ihn dem Staatsanwalt zu übergeben.«
»Das ist mir lieb. So habe ich also das Richtige getroffen?«
»Ja. Aber, wie kommen Sie zu diesen Zeilen?«
»Ich sah sie bei meinem Freunde Strauch.«
»Dem hiesigen Kaufmanne?«
»Ja.«
»So hat er den Brief erhalten, nicht Sie?«
»Ja. Er zeigte mir ihn vorhin. Ich rieth ihm, Ihnen das Schreiben zu übergeben; aber er fürchtete sich vor dem Waldkönige. Er meinte, daß er große Gefahr laufe, wenn der König erfahre, daß er Anzeige davon gemacht habe.«
»Hm! Ja! Das ist eben das, was uns so hindernd in den Weg tritt. Gerade Diejenigen, welche uns vortheilhafte Winke geben könnten, unterlassen dies aus Furcht vor der Rache des Pascherkönigs. Aber bitte, erklären Sie mir diesen Brief!«
»Strauch ist Mitglied des Casino –«
»Ah, ich entsinne mich! Sie hatten eine Maskerade im Gasthofe des Nachbarstädtchens.«
»So ist es. Strauch wollte natürlich auch mit theilnehmen, da er aber diesen Brief erhielt, blieb er daheim.«
»Natürlich aus Furcht?«
»Aus Furcht!« nickte Fritz.
»Was aber kann der Pascherkönig für ein Interesse an Strauchs Abwesenheit haben?«
»Hm! Vielleicht kann ich diese Frage beantworten. Zunächst fiel mir, als ich vorhin den Brief sah, die Handschrift desselben auf.«
»Was! Sie kennen vielleicht die Schrift?«
»Sehr gut.«
»Alle Wetter! Das ist prächtig! Schnell, heraus damit!«
»Es ist die Schrift eines meiner Arbeiter.«
»Wie?« fragte der Staatsanwalt, sichtlich enttäuscht. »Einer Ihrer Arbeiter sollte der Waldkönig sein?«
»Ich habe mir das, aufrichtig gestanden, anders gedacht.«
»O, der Kerl ist pfiffig genug dazu!«
»So? Wirklich?«
»Und unternehmend, verwegen und tollkühn.«
»Wie heißt er?«
»Hauser!«
»Kenne ich nicht. Er ist also Weber?«
»Ja. Er heißt Eduard Hauser und ist im Stillen als ein fleißiger Pascher bekannt, wenn er auch schlau genug ist, dafür zu sorgen, daß man ihm das nicht direct sagen kann.«
»Ist die Familie wohlhabend?«
»Die Leute thun arm. Aber das kennt man ja.«
»Gewiß! Sie thun arm, um den Verdacht von sich abzulenken; aber man lebt in dulci jubilo und zieht sich später, wenn man genug Ersparnisse gemacht hat, gemüthlich vom Geschäft zurück. Aber ist es auch gewiß, daß es die Handschrift dieses Hausers ist?«
»Ganz gewiß. Ich habe sogar noch andere Beweise.«
»Bitte, lassen Sie hören!«
»Nun, die Sache ist die, daß jedes Mitglied des Casino seine Dame mitbrachte. Da ich aber weder eine Verlobte noch sonst eine nähere Bekanntschaft habe, so schickte ich einem jungen Mädchen unseres Ortes eine Einladung.«
»Hat das etwas mit unserer Angelegenheit zu thun?«
»Sehr viel sogar!«
»Sie machen mich immer neugieriger. Wer war die junge Dame, von welcher sie sprachen?«
»Die Tochter eines gewissen Hofmann. Er ist mein bester Arbeiter, und ich dachte ihn auszuzeichnen, zu belohnen, indem ich seiner Tochter eine Einladung schickte. Sie kam auch. Da sie für den Abend meine Dame war, hielt ich es natürlich für meine Pflicht, möglichst aufmerksam gegen sie zu sein, wurde aber auf eine ganz und gar miserable Weise daran verhindert, und zwar durch eine Maske, unter der ich meinen Freund Strauch vermuthet hatte!«
Die Augen des Staatsanwaltes glänzten wie im Verständniß auf. Er nickte und sagte:
»Jetzt kommt die Verwickelung! Nicht?«
»Ja.«
»Der Maskenträger war gar nicht ihr Freund?«
»Nein.«
»Sondern dieser Hauser?«
»Ja. Er zwang das Mädchen auf die roheste Weise, mit ihm den Saal zu verlassen.«
»Er hat sich also demascirt?«
»Vor mir und dem Mädchen.«
»Dieses Letztere kann also auch beweisen, daß er es gewesen ist?«
»Ganz gewiß.«
»Aber wie kommt er dazu, bei der Maskerade zu erscheinen?«
»Das Mädchen ist, was ich gar nicht wußte, seine Geliebte.«
»Ah! So! Er hörte vielleicht, daß Sie die Tochter Ihres Hofmann eingeladen hatten?«
»So ist es.«
»Er wurde eifersüchtig; er wollte seine Geliebte beobachten.«
»Ja, aber er hatte keinen Zutritt, da er nicht Mitglied des Vereins Casino war.«
»Darum kam er auf den Gedanken, ein Mitglied am Erscheinen zu verhindern!«
»Und das betraf gerade Freund Strauch.«
»Den er aus diesem Grunde den Brief schrieb. Ah, das ist nun Alles klar. Er trug also auch Strauchs Maske?«
»Ja.«
»Wie kam er dazu?«
»Jedenfalls durch den Verleiher.«
»Die Untersuchung wird das ergeben. Aber, mein Lieber, wir dürfen keineswegs sehr sanguinisch sein. Es ist noch gar nicht bewiesen, daß dieser Hauser der Waldkönig ist.«
»Er hat sich doch so unterschrieben?«
»Aus Unvorsichtigkeit, natürlich um seinem Briefe einen größeren Nachdruck zu geben.«
»Hm! Ich wollte wetten, daß er der Waldkönig ist!«
»Haben Sie Gründe?«
»Vielleicht.«
»Nun, dann lassen Sie hören!«
»Ich muß Ihnen sagen, daß ich den Beiden nachgeschlichen bin, Herr Staatsanwalt.«
»Dem Hauser und dem Mädchen?«
»Ja, als sie gingen. Es ist das ganz natürlich, ich hatte gar keine tadelnswerthe Absicht dabei, und heute bin ich froh, daß ich es gethan habe.«
»Warum froh?«
»Weil ich dabei etwas Hochwichtiges erfahren habe.«
»So lassen Sie es hören.«
»Als Hauser das Mädchen verlassen hatte, ging er nicht nach Hause, sondern die Gasse hinab. Das fiel mir auf, und ich folgte ihm heimlich. Beim letzten Hause traf er mit einem Menschen zusammen, der ihn dort jedenfalls erwartet hatte. Ich schlich bis an die Ecke hin und hörte so ziemlich Alles, was gesprochen wurde.«
»Schön, schön! Sprachen Sie etwa über den Schmuggel?«
»Sapperment! Was denn?«
»Der Andere schien von jenseits der Grenze zu sein. Er machte eine Bestellung?«
»Auf was?«
»Auf Spitzen.«
»Das ist interessant, höchst interessant! Ging Hauser etwa darauf ein?«
»Sofort!«
»So wird er die Spitzen also besorgen?«
»Ja. Sie sollen so kostbar wie möglich sein.«
»Sapperlot! Könnte man den Kerl dabei erwischen!«
»O, Nichts ist leichter als Das, Herr Staatsanwalt!«
»Wieso?«
»Ich hörte ja die Zeit, welche genau bestimmt wurde!«
»Das ist gut!«
»Und sogar den Ort, an welchem der Hauser die Spitzen verstecken wird.«
»Noch besser, immer besser! Also?«
»Er will heute mit Einbruch der Dunkelheit am Föhrensteig sein.«
»Am Föhrensteig? Ist das nicht auf dem Wege, welcher von hier aus über die Berge nach Langenberg führt?«
»Ja.«
»Der Föhrensteig ist eine hölzerne Brücke?«
»Die man über den Waldbach gelegt hat.«
»Ich kenne sie. Wird man dort auf Hauser warten?«
»Nein. Er trägt die Spitzen bis nach Langenberg; die Dämmerung und den Föhrensteig erwähnte er nur, um einen Anhalt in Bezug auf die Zeit seines Eintreffens zu geben.«
»Hm! Er wird die Spitzen also wirklich bei sich haben?«
»Ja. Er hat sie zwischen das Futter seines Rockes eingenäht.«
»Sagte er das?«
»Ja. Er lachte, als der Andere zur Vorsicht mahnte. Er hatte die Ueberzeugung, daß es keinem Menschen einfallen werde, das Futter seines Rockes zu untersuchen.«
Der Staatsanwalt war ganz begeistert von Dem, was er gehört hatte. Er ging einige Male im Zimmer auf und ab, blieb dann vor Seidelmann stehen und sagte: »Sie glauben nicht, was für einen Gefallen Sie mir gethan haben. Endlich, endlich einmal etwas Positives! Ah, wir werden die Schlinge über diesem Wald-oder Pascherkönig zusammenziehen! Wie aber kam es, daß Sie zu Strauch gingen?«
»Da ein Anderer an seiner Stelle erschienen war, so wollte ich wissen, wie das zusammenhinge.«
»Nicht sogleich.«
»Ja, ja! So ist es! Die Bevölkerung dieser Gegend hat eine zu große Angst vor diesem Kerl. Aber wir werden ihm das Handwerk legen!«
»Das heißt, Sie werden Hauser ergreifen lassen?«
»Das versteht sich ganz von selbst!«
»Dann dürfte aber keine Zeit zu verlieren sein!«
»Haben Sie keine Sorge! Wir werden reiten!«
»Wir? Sie selbst werden sich also betheiligen?«
»Ja. Ich selbst werde es sein, der den berüchtigten Pascherkönig ergreift. Wollen Sie sich betheiligen?«
Diese Frage electrisirte Fritz. Welch eine Genugthuung, wenn er bei der Arretur seines Feindes zugegen sein konnte!
»Ist dies denn möglich?« fragte er.
»Warum nicht?«
»Ich bin nicht Beamter.«
»Aber Sie sind unser Berichterstatter.«
»Wird Hauser das erfahren?«
»Wünschen Sie, daß es verschwiegen bliebe?«
Fritz dachte einen Augenblick lang nach und antwortete dann:
»Er kann es immerhin erfahren.«
»Sie fürchten also seine Rache nicht?«
»Nein. Was kann er mir schaden, wenn er sich in Gefangenschaft befindet?«
»Sie haben Recht. Sie gehören zu den Wenigen, welche Muth besitzen. Können Sie reiten?«
»Leidlich.«
»Schön. Ich werde von Grenzern und Gensd’armen requiriren, was zu erlangen ist. Zu Pferde treffen wir noch vor der Dämmerung beim Föhrensteige ein.«
»Aber, Herr Staatsanwalt, wird er uns nicht entgehen?«
»Nein, wenn er nämlich den angegebenen Weg auch wirklich einschlägt.«
»Hm! Wir müssen durch seinen Wohnort reiten. Wenn er uns bemerkt, so wittert er vielleicht Gefahr.«
»Wir reiten um den Ort herum.«
»Er kann uns trotzdem bemerken. Eine solche Truppe fällt in die Augen.«
»Wir vertheilen uns und schlagen verschiedene Wege ein.«
»Das ist nothwendig. Und vielleicht wäre es am Besten, am Föhrensteige solche Maßregeln zu ergreifen, daß er auf keinen Fall zu entkommen vermag.«
»O, halten Sie mich nicht für einen Stümper. Ich bin Vertreter der Staatsgewalt und werde meine Arrangements schon zu treffen verstehen.«
»Wir müßten uns theilen.«
»Sie meinen, die eine Hälfte diesseits und die andere jenseits der Brücke?«
»Ja. So würde er gerade auf der Brücke ergriffen.«
»Ich dachte auch bereits daran. Aber, verlieren wir nun keine Zeit. Wo werden Sie zu treffen sein?«
»Im Gasthofe zum grauen Wolf.«
»Gut! Wir werden Sie dort abholen. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet und thue nur meine Schuldigkeit, wenn ich Ihnen die Genugthuung gewähre, beim Ergreifen des berüchtigten Pascherkönigs zugegen gewesen zu sein.«
–
Der, von dem die Rede war, nämlich Eduard Hauser, befand sich um diese Zeit bereits wieder auf dem Heimwege. Er ahnte von der Wolke, welche sich über ihm so gefahrdrohend zusammenzog, nicht das Geringste. Indem er so allein dahinschritt, dachte er an den gestrigen Abend, an sein Engelchen und an seine Versöhnung mit der Geliebten. Er fühlte sich so glücklich, daß er die Zeit gar nicht beachtete, und darum ganz verwundert stehen blieb, als er sein Heimathstädtchen vor sich sah.
»Schon!« sagte er zu sich. »Wie schnell die Zeit vergangen ist! Das geschieht nur dann, wenn man sich glücklich fühlt. Da eilen die Tage wie sonst die Stunden.«
Er blickte überlegend nach rechts und links und fragte sich:
»Gehe ich durch die Stadt oder um die Stadt? Hm! Das Letztere wird besser sein. Vielleicht sehe ich mein Engelchen. Gehe ich langsam am Zaune hin, so kann sie mich durch’s Fenster sehen und kommt vielleicht auf einen Augenblick heraus.«
Er hatte sich nicht verrechnet.
Er ging hinter den Gärten hin. Als er in die Nähe der Wohnung der Geliebten kam, hemmte er seine Schritte. Er schlenderte langsam am Zaune hin und blieb dann an der hinteren Pforte stehen.
Kaum eine Minute später wurde die Thür geöffnet, und Angelica kam heraus.
»Richtig!« lächelte er ihr zu. »Das habe ich gedacht! Du hast mich kommen sehen?«
»Ja.«
»Dein Vater auch?«
»Nein, sonst hätte ich nicht heraus gekonnt.«
»So ist er noch bös?«
»O, böser als vorher,« seufzte sie.
»Dann ist er kaum zu begreifen!«
»Der Seidelmann hat ihn ganz und gar eingenommen. Und als er heute hörte, was gestern geschehen ist, so war es fast gar nicht zum Aushalten.«
»Wie kurzsichtig! Wer hat es ihm erzählt?«
»Der Wirth selbst, den er getroffen hat.«
»Der wird die Sache freilich sehr entstellt haben, da er von meinem Einschreiten sicherlich keinen Nutzen gehabt hat.«
»Vater kam ganz erbost nach Hause. Er drohte mir sogar, was er noch niemals gethan hat, mit – mit –«
»Mit Prügel! Denke Dir nur!«
»Das soll er nur unterbleiben lassen!« braußte Eduard auf.
»Und fortjagen will er mich!«
»Ah! Wohin!«
»Zu Seidelmann’s.«
»Donner! Als Stütze der Hausfrau, nicht wahr?«
»Ja.«
»Daraus wird nichts!«
»Aber, wenn er nun darauf besteht?«
»Er kann Dich nicht zwingen.«
»Wie willst Du das erreichen?«
»Sehr leicht. Ich würde ein sehr ernstes Wort mit ihm sprechen.«
»Er läßt Dich ja gar nicht zu sich.«
»So schicke ich einen Anderen.«
»Wen?«
»O, Einen, dem er schon gehorchen würde! Ich werde Dir den Namen schon noch nennen. Jetzt aber habe ich nothwendig.«
»Nothwendig? Hast Du etwa Arbeit erhalten?«
»Nein. Ich habe einen Botenweg zu machen.«
»Wohin?«
»Nach Langenberg.«
»Nach Langenberg? Jetzt noch? In nicht ganz einer Stunde wird es ja dunkel sein.«
»Das schadet Nichts! Ich bekomme einen famosen Botenlohn! Rathe einmal, wieviel!«
»Wie soll ich das rathen? Für wen ist es?«
»Das will ich Dir sagen, wenn Du schweigen wirst.«
»Kein Mensch erfährt es!«
»Die Hand darauf.«
»Hier.«
Sie gab ihm die Hand. Er ergriff dieselbe, legte den Arm um das hübsche Mädchen, zog dasselbe näher an sich und flüsterte: »Ich bekomme fünfzig Gulden; denke Dir nur!«
»Fünfzig Gul–!« schrie sie beinahe laut auf, und doch blieb ihr die letzte Silbe vor Erstaunen auf der Lippe zurück.
»Ja,« antwortete er.
»Das ist unmöglich!«
»Nein, wirklich.«
»Für einen bloßen Botenweg?«
»Ja. Der, für den ich gehe, ist aber auch der Kerl danach!«
»Wer ist es?«
»Der – Fürst des Elendes! Aber schweige! Adieu, Engelchen!«
Er küßte sie und wollte fort; sie aber hielt ihn bei der Hand fest und sagte:
»Eduard, Du machst Spaß!«
»Nein, liebes Kind, es ist mein Ernst.«
»Aber so erkläre mir doch, wie –«
»Das geht jetzt nicht,« fiel er ein. »Ich habe jetzt keine Zeit. Du sagst ja selbst, daß es bald finster sein wird.«
»Du Böser! Aber ich muß es doch erfahren. Wann kommst Du aus Langenberg zurück?«
»Das kann ich nicht genau wissen.«
»Du kommst dann aber zu mir?«
»Ja. Aber, wenn es sehr spät sein sollte?«
»Ich warte!«
»Gut, Engelchen, so komme ich ganz sicher. Lebe wohl!«
Noch ein schneller Kuß, und dann trennten sie sich. Eduard ging zunächst nach Hause, um zu sagen, daß er noch nach Langenberg müsse. Er mußte dies thun, damit sich die Eltern nicht um ihn sorgen sollten. Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Mein Sohn, Du bist jetzt von Geheimnissen umgeben. Ich darf doch nicht befürchten, daß Du Wege wandelst, welche nicht gut genannt werden können?«
»Sorge Dich nicht, lieber Vater! Was ich thue, das ist recht und gut!«
»Auch vor den Gesetzen der Menschen?«
»Ja, auch vor ihnen.«
»Aber Du gehst bei Nacht durch den Wald und über die Grenze. Wie leicht ist da Etwas passirt! Und dann wissen wir uns wohl keinen Rath!«
»Mir wird Nichts geschehen! Und solltet Ihr dennoch eines Rathes bedürfen, wenn ich einmal nicht zu Hause bin, so geht hinaus zum Förster. Er hat einen Vetter zu Besuch bei sich, einen gewissen Arndt; der ist ein sehr gescheidter Mann und hält große Stücke auf mich. Der würde Euch den allerbesten Rath geben. Auf keinen Fall aber braucht Ihr Sorge um mich zu haben. Gute Nacht!«
Er ging, aber nicht direct in der Richtung nach dem Föhrensteige, sondern nach dem Forsthause. Er wollte Vetter Arndt benachrichtigen, daß er einen Weg zu gehen habe, wie er es ja bereits Winkler gegenüber erwähnt hatte.
Leider traf er Arndt nicht zu Hause an. Nur der alte Förster war da. Dieser meinte:
»Der Vetter ist ausgegangen. Du mußt also wiederkommen, mein Junge.«
»Hm! Lieber wäre es mir, wenn er da wäre.«
»Ist es denn wichtig?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Höre, der Vetter hat gesagt, wenn Du einmal während seiner Abwesenheit etwas sehr Nothwendiges hättest, solltest Du es mir sagen.«
»Nun, so sehr nothwendig wird es wohl nicht sein. Ich komme morgen früh wieder.«
»Schön. Du mußt am Besten wissen, was Du zu thun hast.«
Jetzt nun wandte Eduard sich dem Föhrensteige zu. Zunächst strich er mitten durch den Wald, um auf den Pfad zu treffen. Unterwegs blieb er einmal stehen und blickte zu Boden.
»Hm!« sagte er. »Pferdespuren! Hier ist man geritten. Im tiefen Walde, wo es weder Weg noch Steg giebt! Wunderbar!«
Der Reiter war einer von Denen gewesen, welche sich nach dem Föhrensteige begeben hatten, um ihn zu fangen. Der Staatsanwalt hatte kluger Weise den Befehl gegeben, den Weg zu vermeiden, damit keine Hufspuren im Schnee entstehen könnten, durch welche der Verfolgte aufmerksam werden dürfte.
Als er den Weg erreichte, brach die Dunkelheit herein. Er kannte den Weg und schritt rüstig weiter. Nach einiger Zeit vernahm er das Rauschen des Waldbaches, dessen Wasser unter der Eisdecke rasch dahinschoß.
Er ging jetzt langsamer, weil die Brücke sehr schmal, also gefährlich war. Sie bestand nur aus einem Baumstamme, den man roh behauen und dann von einem Ufer nach dem anderen gelegt hatte. Der Stamm war glatt vom Eis. Es war nicht ungefährlich, ihn jetzt während der Nacht zu passiren. Darum setzte er nur höchst langsam und vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Er hatte die Mitte erreicht. Da scholl es ihm mit lauter Stimme entgegen: »Halt! Wer da?«
Er erschrak. Darum vergingen einige Augenblicke, ehe er sich besann, um zu antworten:
»Gut Freund!«
»Was Gut Freund! Den Namen!«
Den Namen durfte er nicht sagen. Er durfte sich ja gar nicht ergreifen lassen. Kein Mensch durfte die Schriften sehen, die ihm der Fürst des Elendes anvertraut hatte.
»Warum?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
»Weil ich es befehle, Bursche! Na, wird’s bald?«
Er hörte das Klirren von Waffen. Das waren Grenzer. Die durften ihn nicht haben. Er schritt also so schnell wie möglich rückwärts.
»Halt!« tönte es ihm auch da entgegen. »Wer da?«
»Gut Freund!« antwortete er auch jetzt.
»So bleib stehen und rühre Dich nicht.«
Es traten Männer zwischen den Bäumen hervor. Vor sich Leute und hinter sich Leute – und er auf der Brücke. Sollte er sich ergreifen lassen? Nein und tausendmal nein! Er dachte an Arndt, seinen Wohlthäter, an den Fürsten des Elendes, für den er jetzt das Wagniß unternahm. Er holte aus, ein Anlauf vollends über die Brücke hinüber – ein gewaltiger Sprung mitten unter die Leute hinein – ein kräftiges Ausschlagen mit beiden Fäusten – er war hindurch.
»Feuer!« ertönte es hinter ihm.
Mehrere Schüsse krachten. Es war ihm, als würde er am Arme gepackt und zur Seite gerissen. Er raffte sich zusammen, um weiter zu stürmen und – rannte mit dem Kopfe an einen Baum, so daß er zurück und auf den Boden flog.
»Hier! Da ist er! Da liegt er!« rief es.
Er fühlte, daß sich Männer auf ihn warfen; dann vergingen ihm die Sinne. Die Carambolage mit dem Baume war eine zu kräftige gewesen.
Aber ebenso kräftig war auch seine Natur. Es dauerte kaum zwei Minuten, als er die Augen aufschlug und gegen zehn bis fünfzehn Männer erblickte. Einige derselben hielten brennende Laternen in der Hand. Er fühlte, daß er an den Händen gefesselt sei, an den Füßen aber nicht. Vor ihm stand ein Herr in Civil mit einer Brille auf der Nase. Diesen kannte er. Es war der Staatsanwalt der Amtsstadt.
Der Beamte bemerkte, daß der Gefangene die Augen aufschlug; darum befahl er:
»Richtet ihn auf und lehnt ihn da an den Baum; aber gebt wohl Acht auf ihn!«
Zwei faßten Eduard an und hoben ihn auf. Als er nun an dem Baume lehnte, fragte der Anwalt: »Wer sind Sie?«
Jetzt half kein Leugnen.
»Ich heiße Hauser,« antwortete er.
»Ah! Den suchen wir! Was thun Sie hier?«
»Ich will nach Langenberg.«
»Weshalb?«
»Ich habe eine Botschaft auszurichten.«
»Von wem?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»An wen?«
»Auch das muß ich verschweigen.«
»Das ist höchst verdächtig. Wissen Sie, daß wir die Macht besitzen, Sie zum Sprechen zu zwingen?«
»Trotzdem werden Sie von mir Nichts erfahren.«
»Aber das Paket, welches Ihnen hier entfallen ist, wird sprechen. Oeffnen wir es einmal.«
Er trat an eine der Laternen und machte das Päckchen auf.
»Hm!« sagte er. »Briefe oder Documente, wie es scheint. Das ist kein Schmuggelgut. Wegen dessen brauchte er nicht zu fliehen. Man wird sehen, was die Papiere enthalten.«
Und sich wieder zu Eduard wendend, fragte er:
»Sie werden also nicht sagen, wer Sie schickt?«
»Nein. Ich habe mein Wort gegeben, zu schweigen.«
»Sie werden doch noch sprechen. Haben Sie nur diese Schreibereien bei sich?«
»Weiter nichts.«
»Kein zollpflichtiges Gut?«
»Das ist nicht gefährlich. Warum haben Sie da die Flucht ergriffen, als wir Sie anriefen?«
»Darauf kann ich allerdings Antwort geben, Herr Staatsanwalt. Die Schriften, welche Sie in der Hand halten, sind privater Natur. Niemand sollte sie lesen, auch kein Beamter sollte sie kennen lernen. Darum mußte ich versprechen, falls ich Grenzbeamten begegnen sollte, lieber zu fliehen als das Päckchen öffnen zu lassen.«
»Das klingt zwar ungewöhnlich, aber doch immerhin plausibel. Wir werden Sie frei lassen müssen, wenn Sie die Wahrheit gesagt haben. Also, Sie haben wirklich nichts Versteuerbares bei sich?«
»Nein.«
»In keiner Tasche?«
»Nein. Bitte, suchen Sie mich aus!«
Der Beamte gab einen Wink, und zwei Grenzer traten herbei, um seine Taschen zu durchsuchen.
»Er hat wirklich nichts,« lautete der Bescheid.
Da ertönte es von seitwärts her:
»Oeffnen Sie ihm nur das Rockfutter! Da wird sich schon etwas finden. Ich habe es gestern deutlich genug gehört!«
Eduard kannte diese Stimme. Er wendete sich nach dieser Seite hin und sagte:
»Ah! Fritz Seidelmann!«
Der Genannte trat aus dem Dunkel hervor und sagte:
»Ja, ich bin es! Endlich haben wir Dich, Bursche!«
»Das konnte ich mir denken! So oft mir etwas Schlimmes widerfährt, haben die Seidelmanns ihre Hand im Spiele. Dieses Mal aber werden sie sich wohl verrechnet haben!«
»Werden sehen!« sagte der Staatsanwalt. »Halten Sie jetzt einmal still!«
Er trat nahe an Eduard heran und betastete seine Rockschöße.
»Hm!« meinte er dann. »Wollen doch einmal öffnen!«
Er zog ein Federmesser hervor und begann, eine Naht aufzutrennen. Dann langte er mit der Hand in die auf diese Weise entstandene Oeffnung.
»Sie behaupten noch immer, nichts Zollbares bei sich zu haben!« fragte er noch einmal.
»Ich beschwöre es sogar!«
»Und was ist das hier?«
Dabei zog er einen langen Gegenstand, wie ein breites Band aus dem Rocke, welches er aufwickelte.
Eduard war mehr als erstaunt – er erschrak.
»Was ist das?« fragte er. »Ich weiß es nicht!«
»Hm! Das ist doch Ihr Rock? Nicht?«
»Ja.«
»Wie lange Zeit tragen Sie ihn?«
»Sie selbst haben ihn sich anmessen und anfertigen lassen?«
»Ja.«
»Haben Sie sich ihn mit Spitzen füttern lassen?«
»Nein. Sind das denn Spitzen?«
»Und was für welche! Höchst kostbare. Sehen Sie her!«
Er hielt ihm die Spitzen und die Laterne entgegen.
»Herrgott. Davon weiß ich nichts!« betheuerte Eduard.
»Das ist eine sehr kindische Ausrede!«
»Herr Staatsanwalt, ich kann tausend Eide ablegen, daß ich von diesen Spitzen keine Ahnung habe!«
»So, so! Sie haben nicht paschen wollen?«
»Nein!«
»Sie sind überhaupt kein Pascher?«
»Nein!«
»So haben Sie auch mit dem Pascherkönige nichts zu thun?«
»Nicht das Geringste!«
»Hm! Sie sind doch auch nicht der Pascherkönig selbst?«
»Das fällt mir gar nicht ein!«
»Und doch haben Sie gesagt, daß Sie der Waldkönig sind!«
»Ich?« fragte Eduard, mehr erstaunt als erschrocken.
»Ja, Sie!«
»Das ist mir niemals eingefallen!«
»Ich kann es Ihnen beweisen!«
»Das ist unmöglich!«
»O, das ist im Gegentheile sehr leicht. Wollen Sie sich nicht einmal dieses Schreiben ansehen!«
Er erhob die Laterne und hielt dem Gefangenen den Brief, welchen Strauch erhalten hatte, vor das Gesicht. Trotz des unzureichenden Lichtes war zu sehen, daß Eduard erbleichte.
»Nun?« fragte der Anwalt. »Kennen Sie diesen Brief?«
»Ja,« stieß der Gefragte hervor.
»Wer hat ihn geschrieben?«
»Ich.«
»Und Sie haben sich als Waldkönig unterzeichnet!«
»Aber ich bin er nicht!«
»Das soll man Ihnen glauben? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Mit solchen Gefahren spielt man nicht!«
»Ich wollte Herrn Strauch erschrecken, daher wählte ich diese Unterschrift!«
»Ausrede! Man wird diese Sache genau untersuchen. Sie unterzeichnen sich als ›Waldkönig‹ sie fliehen vor den Grenzbeamten; man findet Spitzen bei Ihnen, welche zu verzollen sind – – Sie sind mein Gefangener!«
»Herr Staatsanwalt, ich muß mich fügen, aber Sie werden bald erkennen, daß ich unschuldig bin!«
»Die Wahrheit werde ich erkennen; darauf können Sie sich verlassen. Zunächst gehen Sie mit uns. Wir werden einmal so frei sein, Ihre Wohnung genau zu untersuchen.«
Das erschreckte Eduard.
»Ist das nothwendig, wirklich nothwendig, Herr Staatsanwalt?« fragte er.
»Ja. Erschrecken Sie etwa?«
»Gewiß. Ich erschrecke!«
»So fühlen Sie sich schuldig!«
»Nein; aber ich erschrecke um meiner Eltern willen. Sie sind alt und können den Tod davon tragen, wenn sie mich als Gefangenen sehen.«
»Haben Sie keine Sorge. Ich bin kein Unmensch. Ich werde Ihre Eltern vorbereiten, ehe Sie bei Ihnen eintreten.«
Der Zug setzte sich in Bewegung, Eduard in der Mitte.
Dieser schritt zwischen seinen Wächtern hin, ganz unbeschreibliche Gefühle im Herzen. Woher kamen die Spitzen? So fragte er sich. Er konnte sich keine Antwort geben. Er sann und sann, jedoch vergebens.
So gingen sie durch den Wald, erreichten das freie Feld und dann das Städtchen. Der Anwalt erkundigte sich nach Hausers Wohnung und ging voraus. Als er in den engen Flur trat, hatte man drinnen in der Stube das Abendessen beendet, und der Alte betete:
»An dem was wahrhaft glücklich macht,
Läßt Gott es Keinem fehlen.
Gesundheit, Ehre, Glück und Pracht
Sind nicht das Glück der Seelen.