»So werden wir nachher drin in der Stube das Protocoll anfertigen. Vorher aber mag der Todtengräber das Grab wieder zuwerfen, doch auch den Deckel möglichst behutsam wieder auflegen.«
»Das kann er ganz allein thun,« meinte der Amtmann.
»Nein! Ich habe meine Gründe, Sie zu bitten, hier zu bleiben, bis er mit der Arbeit fertig ist.«
»Warum?«
»Weil ich überzeugt bin, daß man heute Nacht kommen wird, um uns einen Streich zu spielen, indem man eine Kindesleiche in das Grab escamotirt.«
Der Todtengräber hatte diese Worte auch gehört. Er riß den Mund auf, als hätte er den Kinnbackenkrampf. Auch die Anderen waren von demselben Erstaunen ergriffen.
»Herr, allen Respect vor Ihrem Scharfsinne,« sagte der Amtmann; »aber vor zwanzig Jahren eine Leiche hier fortgestohlen und heute eine wiederbringen – es scheint allerdings, daß Sie allwissend sind.«
»Das ist er, das ist er!« bestätigte der Förster. »Und wenn er jetzt sagt, daß wir da in dem nächsten Grabe einen Tragkorb voll Apfelsinen finden, so schwöre ich Stein und Bein, daß es so ist. Also zuschütten, mein Allerwerthester! Ich helfe mit.«
Bei der vereinigten Anstrengung der beiden Männer war die kleine Grube bald zugefüllt. Das Aufsetzen des Hügels wurde für später gelassen. Man begab sich in die warme Stube, wo das Protocoll aufgesetzt und unterschrieben wurde. Damit hielt der Amtmann die Angelegenheit für vorläufig beendet. Er wollte aufbrechen.
»Bitte, noch einen Augenblick!« sagte Arndt.
Und sich an den Todtengräber wendend, fragte er:
»Haben Sie bemerkt, daß ich an der Mauer gelauscht habe?«
»Ja,« lautete die Antwort des ahnungslosen Mannes.
»Und Sie wohl auch, obgleich Sie hier im Hause waren?«
Diese Frage war an die Frau gerichtet.
»Ja,« antwortete sie. »Ich stand da am Fenster und habe es deutlich gesehen.«
»Nun, Herr Amtsrichter, so bitte ich Sie, diese beiden Leute zu arretiren!«
»Arretiren?« fragte der Beamte.
»Arretiren!« jammerte das Ehepaar. »Wir haben doch nichts dafür gekonnt, daß wir es sahen!«
»Das ist sehr wahr,« antwortete Arndt in beruhigendem Tone; »aber Ihr seid selbst schuld daran; Ihr seid zu plauderhaft; das habe ich ja erfahren müssen!«
»Wir werden nichts erzählen!« gelobte der Mann, und seine Frau beeilte sich, diese Versicherung zu wiederholen.
Arndt schüttelte den Kopf und erklärte dem Amtmanne:
»Es ist von der allerhöchsten Wichtigkeit, daß bis morgen kein Mensch erfährt, daß ich an der Mauer gelauscht habe. Die Herren werden als Beamte schweigen; dieser beiden Leute jedoch bin ich nicht sicher. Sie werden die Güte haben, sie mit sich zu nehmen, aber ohne sie als wirkliche Gefangene zu behandeln. Morgen früh werden sie wieder entlassen, und als Entschädigung für diese kurze Freiheitsentziehung werde ich ihnen hier diese zwei Goldstücke geben, die zugleich als Lohn für das Oeffnen des Grabes angesehen werden mögen.«
Als die beiden Leute die Goldstücke erblickten, verwandelte ihr Schreck sich in Freude, und sie erklärten, gern mitgehen zu wollen. Sie wurden dem Schreiber anvertraut, der sich mit ihnen entfernte, um zu Fuße nach der Stadt zurückzukehren.
Als sich darauf der Amtmann mit Arndt und dem Förster allein sah, konnte er seine Wißbegierde nicht mehr beherrschen. Er sagte: »Aber jetzt sind wir unter uns. Wollen Sie mich noch länger auf die Folter spannen?«
»Nein,« antwortete Arndt lächelnd. »Was Sie in scherzhafter Weise für Allwissenheit erklärten, war nichts als eine sehr leichte Berechnung. Die kleine Leiche wurde einst von dem Schmiede und seinem Sohne entfernt, und da –«
»Alle Wetter!« rief der Förster.
Der Amtmann sagte nichts, und Arndt fuhr fort:
»Sie gingen zum Schmied, und der Todtengräber ging auch zu ihm. Er ist ein schlauer Patron; es stand zu erwarten, daß er die Gefahr wittern und den Todtengräber ausfragen werde. Im Falle dieser plaudern sollte, vermuthete ich, daß der Schmied kommen werde, um uns zu beobachten. Und das war nur an der einen Stelle der Mauer möglich.«
»Das ist keine gewöhnliche Combination und klingt doch so einfach!« meinte der Beamte. »Kam er denn?«
»Ja, und zwar nicht allein, sondern sogar mit seinem Sohne.«
»Ah! Diese Beiden sprachen mit einander?«
»Natürlich!«
»Und Sie haben Alles gehört?«
»Jedes Wort.«
»Mein Herr, ich gestehe ihnen gern und willig, daß ich noch nie einen Mann gefunden habe, der in so horrenter Weise für das Polizeifach prädestinirt ist wie Sie!«
»Ja, ein Saukerl ist er!« fiel der Förster ein.»Nehmen Sie es mir nicht übel, Vetter, daß ich Sie so nenne, aber es ist wirklich nicht anders, Sie sind ein verfluchter Saukerl! Wenn ich ein Spitzbube wäre, so kriegte ich, sobald ich Sie nur erblickte, die Cholerine vor Angst und Bangigkeit!«
Die beiden Andern lachten herzlich über diese drastische Weise, seine Bewunderung auszudrücken, und der Amtmann erkundigte sich weiter: »Bitte, was haben Sie von ihnen gehört? Ich bin auf das Außerordentlichste gespannt darauf.«
»Ich auch,« meinte Wunderlich. »Diese beiden Kerls kennen mich nämlich. Da sie gesehen haben, daß ich mit dabei bin, so werden sie mich mit den lieblichsten Zärtlichkeiten bedacht haben. Hole sie der Kukuk!«
»Das ist richtig! Sie meinten, daß sie Ihnen schon noch etwas auswischen würden.«
»Sapperment! Da hat man sich also vorzusehen!«
»Keine Sorge! Diese beiden Menschen werden sehr bald unschädlich gemacht sein. Sie haben den Entschluß gefaßt, heute bis Mitternacht eine Leiche in das Grab zu legen.«
»Das also war es! Verwegene Menschen! Aber woher wollen sie die Leiche nehmen?«
»Aus dem alten Gottesacker in der Nähe der Stadt.«
»Wie klug! Dort verkehrt Niemand mehr; das würde unentdeckt bleiben. Aber ich werde sie dabei fassen lassen.«
»Bitte, dabei nicht! Mein Plan ist vielmehr, daß wir ihnen auf dem alten Gottesacker gar nichts in den Weg legen und sie vielmehr erst hier ergreifen. Man muß ihnen Gelegenheit geben, die That vollständig zu vollbringen, dann hat man sie am Festesten.«
»Ich muß Ihnen da allerdings beistimmen und bitte Sie nur, Ihre Verfügungen zu treffen.«
»Nicht hier. Es bleibt uns noch genugsam Zeit dazu. Gehen wir jetzt nach der Schänke.«
»Sie auch mit?«
»Ja. Der Wirth hat jedenfalls erfahren, daß noch Einer hier ist. Komme ich nicht mit, so könnte er Verdacht schöpfen. Uebrigens war ich bereits vorhin bei ihm.«
»So kennt er Sie bereits?«
»Ja, doch in anderer Gestalt. Auch jetzt habe ich Ursache, mich ein klein Wenig zu verändern.«
An der Wand hing ein kleiner Spiegel. Arndt trat vor denselben hin und zog einen Bart und ein Fläschchen nebst Pinsel aus der Tasche. Als er sich wieder zu ihnen wendete, fuhr der Amtmann zurück.
»Mein Gott! Ist das möglich?« fragte er.
»Ja, dieser Vetter hat den wahren Teufel!« lachte der Förster. »Jetzt ist er ein alter Knabe von über sechszig Jahren. Den Bart hinan und die Augenbrauen gefärbt. Und dazu hat der Mensch seine Züge, daß heißt seine Gesichtshaut, sein Physiognomieleder so in der Gewalt, daß er zwischen den Falten, die er zieht, Fliegen und Hornissen todt quetschen kann wie ein alter Markedenterschimmel.«
Der Beamte betrachtete Arndt noch eine ganze Weile mit nicht enden wollendem Kopfschütteln. Endlich beruhigte er sich und fragte: »Und was wird mit diesem Hause?«
»Sie nehmen den Schlüssel zu sich und geben ihn dem Todtengräber bei seiner Entlassung wieder. In der Schänke trinken wir einen Grog und fahren dann ab.«
Das Haus wurde zugeschlossen. Als sie nach der Schänke kamen, saß der Schmied mit seinem Sohne und ihren beiden Frauen in einem ernsten Gespräche am Tische. Sie erhoben sich, um die Herren zu bedienen. Der Alte flüsterte seinem Sohne gelegentlich zu: »Sollte das der Fremde sein?«
»Jedenfalls.«
»Der sieht mir gar nicht so gefährlich aus, wie ihn der Todtengräber machte!«
»Nein. Und von den Polizei-und Gensd’armenaugen bemerkt man auch nichts. Er sieht ganz so aus wie ein alter Advokatenschreiber oder ein Schulmeister.«
»Na, vielleicht läuft Alles gut ab!«
Nach kurzer Zeit bezahlten die Gäste, und der Förster, welcher gethan hatte, als ob er den Schmied gar nicht kenne, fuhr vor. Sie stiegen ein, kutschirten zum Dorfe hinaus, gemeinschaftlich nach der Stadt, wie der Amtmann glaubte. Aber kaum hatten sie das Dorf im Rücken, so ließ Arndt halten. Er hob den Sitz in die Höhe, unter welchem sich ein hohler Raum befand, und zog einen anderen Bart nebst Rock, Shawl und Hut daraus hervor.
»Wie?« fragte der Amtmann. »Abermals eine Maskerade? Wozu denn?«
»Ich muß noch kurze Zeit hier bleiben, um meine Beobachtungen fortzusetzen. Fahren Sie weiter; ich werde Ihnen dann zu Fuße folgen.«
Er legte die Sachen an, nachdem er sich überzeugt hatte, daß kein Lauscher in der Nähe sei. Der Beamte begann sein Kopfschütteln von Neuem.
»Erstaunlich!« sagte er. »Sie sind ein vollständig Anderer! Sie sind außer allem Anderen auch ein Mimiker, der Vorstellungen geben könnte. Wenn es Ihre Absicht sein sollte, in die Schmiede zurückzukehren, so bin ich fest überzeugt, daß man Sie dort nicht erkennen wird.«
»Ja; es ist völlig gefährlich, einen solchen Verwandten zu haben,« lachte der Förster. »Es kann ja vorkommen, daß ich ihn für mich selbst halte. Und wer von Beiden soll dann meine alte Barbara beim Kopfe nehmen? Ich mag gar nichts mehr sehen!«
Er griff zur Peitsche und fuhr weiter. Arndt ging um das Dorf herum, so daß er von der anderen Seite die Schänke erreichte, vor deren Thür der Wirth stand. Dieser begrüßte den fremden Gast und fragte nach seinem Begehr, worauf dieser ein Glas Bier verlangte.
Der Schmied besorgte das Getränk und musterte den Neuangekommenen neugierig. Fremde waren in dem weit abgelegenen Dorfe selten. Er schien befriedigt zu sein, denn er setzte sich zu Arndt und fragte: »Ist’s recht, das Bier?«
»Nicht übel!« lautete die Antwort, indem der Trinker mit der Zunge schnalzte.
»Ja, wir schänken hier noch direct aus dem Fasse; da läßt es sich eher trinken, als aus den Röhren und Gummischläuchen, durch die es anderwärts zu laufen hat, ehe es in die Kehle kommt. Sie sind hier fremd, wie es scheint? Wenigstens habe ich Sie noch nicht gesehen.«
»Möglich, obgleich ich weit umherkomme.«
»Was für ein Landsmann sind sie denn?«
»Aus der Hauptstadt.«
»So? Aus der Residenz? Das hätte ich nicht errathen.«
»Warum nicht?«
»Sie sehen mehr nach dem Lande aus.«
»Das ist sehr leicht möglich, denn mit was man umgeht, das pflegt Einem anzuhängen.«
»Holzhändler.«
»So, so! Da kommen Sie wohl in Geschäften in diese Gegend?«
»Ja. Die Gebirgswaldungen sind holzreich; da giebt es eher einmal einen guten Kauf als bei uns in der Nähe der großen Städte, wo die Wälder selten sind.«
»Es ist auch nicht mehr wie früher. Der Staat kauft nach und nach alle Privatwaldungen an sich, und die Regierung forstet anders, viel sparsamer als der Private.«
»Das ist wahr. Aber grad mit der Regierung habe ich sehr gern zu thun. Kauft man von ihr, so weiß man genau, was man bekommt. Da giebt es keinen Schwindel.«
»Möglich, obgleich es Viele giebt, die nicht an diese Solidität glauben wollen, zum Beispiel die Demokraten.«
»Meinetwegen! Ich lasse Jedem seine Meinung.«
»Das ist das Richtige. Da kommt man niemals in Conflict. Aber da muß ich sie einmal Etwas fragen. Wir leben hier so abgeschieden. Fremde kommen selten, und in unsern kleinen Zeitungsblättern steht auch nicht viel. Da ist man froh, wenn man einmal Einen trifft, der auch andere Gegenden gesehen hat.«
»Fragen Sie nur! Ich stehe zu Diensten!«
Die beiden Frauen hatten sich in die Küche zurückgezogen, der Sohn aber war geblieben. Er merkte, daß der Vater das Gespräch auf ein für sie Beide wichtiges Thema bringen wollte, und trat daher näher herbei.
»Da war vor einiger Zeit,« sagte der Schmied, »ein Handelsmann bei uns, auch aus der Residenz, er erzählte von einem – einem – – na, wie nannte er ihn nur? Von einem Manne, der ein wahrer Schinderhans sein soll.«
»In der Hauptstadt?«
»Ja. Sie wollten ihn fangen, kriegten ihn aber nicht.«
»Also ein Spitzbube? Ein Räuber?«
»Ja.«
»Er wird den Riesen Bormann gemeint haben.«
»Nein. Der Name war anders.«
»So hat er am Ende gar von dem Hauptmanne gesprochen.«
»Hauptmann? Hauptmann? Ja, so hat er ihn genannt, wie ich glaube. Nicht? Du hast’s doch auch gehört.«
»Ja,« nickte der Sohn. »Hauptmann nannte er ihn.«
»Nun, was ist denn das eigentlich für ein Kerl?«
»Hm! Wer das wüßte!« antwortete Arndt. »Aber kein Mensch weiß es ja!«
»Ist er denn wirklich so ein verwegener Kerl?«
»Ja. Er scheint eine sehr zahlreiche Bande zu besitzen, denn es vergeht fast kein Tag, an welchem nicht irgendeine Schlechtigkeit von ihm begangen wird.«
»So mag man ihn doch fassen!«
»Wo denn? Die Polizei mag sich alle ihre vielen Beine weglaufen und alle ihre Augen und Ohren aussehen und aushorchen – er ist eben nicht zu kriegen.«
»Ich wollte es nicht glauben; ich hielt es für unmöglich, in so einer Stadt. Aber der Handelsmann erzählte doch, daß dieser Hauptmann jetzt einen Feind erhalten habe?«
»Einen? Unsinn! Der Hauptmann hat tausend Feinde. Jeder ehrliche Mann muß sein Feind sein.«
»So meinte ich es nicht. Es soll ein Mann aufgetaucht sein, der ebenso geheimnißvoll ist, wie der Hauptmann selbst. Er hatte einen so sonderbaren Namen.«
»Ach so! Sie meinen wohl den Fürsten des Elendes?«
»Ja, ja. Das wird der eigenthümliche Name gewesen sein. Ist es denn wahr, daß es einen solchen giebt?«
»Ja, gewiß!«
»Wer ist es denn?«
»Da fragen Sie mich zu viel,« antwortete Arndt lachend. »Kein Mensch weiß, wer der Fürst des Elendes ist.«
»Er soll gerade das Gegentheil von dem Hauptmanne sein?«
»Das ist wahr. Er thut nur Gutes.«
»Er soll Alles wissen und erfahren?«
»Das hört man so. Für Einen, der das nicht versteht, ist es fast unbegreiflich, daß dieser Fürst des Elendes gerade Alles erfährt, was er wissen will.«
»Für Einen, der es nicht versteht, sagen Sie? Das klingt ja gerade so, als ob Sie es verständen?«
Arndt machte eine geheimnißvolle Miene, nickte nachdenklich mit dem Kopfe und antwortete:
»Na, es giebt so Vieles unter der Sonne, was Tausende nicht begreifen, obgleich es sehr einfach ist. Wenn der Fürst des Elendes so ziemlich allwissend genannt werden kann, so klingt das wunderbar; für mich aber ist es kein Wunder.«
»Da machen Sie mich höchst neugierig.«
»Na, sehr einfach: Der Fürst des Elendes ist Spiritist.«
Bis jetzt hatte sich der Schmied verstellt; nun aber sagte er die Wahrheit, als er fragte:
»Spiritist? Was ist das? Das weiß ich gar nicht.«
»Sie haben noch nichts vom Spiritismus gehört?«
»Nein.«
»Von Leuten, welche Spiritisten genannt werden?«
»Nie.«
»Sie werden Spiritus trinken,« bemerkte da sein Sohn außerordentlich geistreich.
»Da irren Sie sich, mein Lieber!« lachte Arndt. »Spiritus ist ein fremdes Wort und bedeutet eigentlich Geist oder Seele. Spiritisten sind Leute, welche mit Geistern Umgang pflegen. Es giebt jetzt Solcher sehr Viele!«
»Sie wollen uns foppen!«
»Nein. Was hätte ich denn davon?«
»Es giebt keine Geister. Es kommt kein Verstorbener wieder. Noch Niemand hat einen gesehen.«
»Da irren Sie sich ganz bedeutend. Es ist freilich nicht ein jeder Mensch geeignet, mit Geistern zu verkehren. Wer aber diese Gabe hat, für den ist es sehr leicht. So Einen nennt man ein Medium. Das heißt nämlich Mittelsperson, weil durch ihn jeder Andere auch mit den Geistern verkehren kann. Ein jedes Medium hat einen bestimmten Geist; dieser Geist beantwortet ihm alle Fragen. Und weil der Geist Alles weiß, so ist es kein Wunder, wenn auch das Medium Alles erfährt, was es wissen will. Der Fürst des Elendes ist ein solches Medium.«
Die beiden Schmiede blickten einander mit großen Augen an. Sie wußten nicht, ob sie schimpfen oder lachen sollten.
»Das glauben Sie nicht?« fragte Arndt.
»Nicht eher, als bis ich ein solches Medium sehe!«
»Hm! Ah! Na, da könnte Rath geschaffen werden!«
Er blickte sich sehr vorsichtig um, ob er außer von den Zweien auch von Anderen noch gehört werde.
»Wollen Sie etwa sagen, daß auch Sie ein Medium sind?« fragte der Alte höchst gespannt.
»Ja, obgleich es noch nicht lange her ist, daß ich zu den Spiritisten gehörte. Ich glaubte erst auch nicht daran, bin aber sehr bald überzeugt worden, daß es kein Schwindel ist.«
»Und von einem solchen Medium kann man Alles erfahren?«
»Alles, geradezu alles, denn der Geist sagt es ihm.«
»Ist man dabei?«
»Natürlich, denn nur Anwesende können Fragen stellen.«
»Sieht man den Geist?«
»Nein, das ist ja unmöglich.«
»Aber man hört ihn?«
»Nur das Medium hört ihn, die Anderen hören ihn aber nicht, sondern nur die Antwort des Mediums. Man muß nämlich fragen; der Geist antwortet dem Medium und dieses giebt die Antworten laut wieder.«
»O, Sakkerlot, muß das schön sein! Ich möchte da doch einmal mitmachen! Ist das schwer?«
»Nein, sondern sogar sehr leicht. Es müssen nämlich drei Personen sein, drei, sechs, neun, zwölf. Die Zahl muß sich durch die Drei theilen lassen, weil diese die heilige Zahl ist.«
»Weiter ist nichts von Nöthen?«
»Nur noch Etwas, nämlich die Beschwörungsformel aus Faust’s dreifachem Höllenzwang.«
»Wer die doch wüßte.«
»Ich kenne sie.«
»Also wirklich, Sie sind ein Medium? Sie haben einen Geist, der Ihnen antwortet?«
»Ja. Der Geist muß verwandt mit Einem sein. Der meinige ist meinem Oheim seinem Vater und seiner Frau ihrem einzigen Enkelsohne sein Geist. Diese Verwandtschaft ist zwar etwas sehr weitläufig, doch das thut nichts.«
Der Schmied rechnete gar nicht nach, daß es da nur Arndt’s eigener Geist war. Er befand sich in einer Lage, welche ihm die Bekanntschaft eines Mediums sehr wünschenswerth machte, und darum fragte er: »Wie viel hat man für so Etwas zu bezahlen?«
»Gar nichts. Der Geist antwortet nur, wenn man keine Bezahlung nimmt. Schon hieraus müssen Sie erkennen, daß die Sache weder Betrug noch Schwindel ist.«
»Ah! Wenn Sie einmal so gut sein wollten –«
»Hm! Die Sache hat dennoch ihre Bedenken!«
»Welche?«
»Die Nerven, die Nerven! Ich weiß nicht, ob sie eine jede Antwort vertragen können.«
»O, was das anbelangt, so brauchen Sie gar nicht bange zu sein! Geht es am Tage oder nur des Nachts?«
»Auch am Tage, wenn man nämlich die Laden zumacht. Licht muß brennen, aber auch nur duster.«
Er sagte das, um den Beiden eine scharfe Beobachtung seines Gesichtes möglichst zu erschweren.
»Ah, wollen Sie uns den Gefallen thun? Haben Sie Zeit?«
»Zeit hätte ich; aber –«
»Was, aber?«
»Man muß allein und ungestört sein.«
»Wir haben oben ein Stübchen, wohin Niemand kommt.«
»Wird man nicht lauschen?«
»Nein.«
»Das ist gut, denn sonst würde der Geist nicht antworten. Aber es gehören Drei dazu. Sie und ich, wir sind nur Zwei.«
»Mein Sohn macht mit.«
»Ist der auch fest und muthig?«
»Gerade so wie ich.«
»Na, da könnten wir es ja versuchen. Ich thue es nicht mit einem Jeden; aber Sie sind brave und wißbegierige Leute; da will ich doch einmal eine Ausnahme machen. Es wäre da nur noch ein Bogen Papier nöthig.«
»Papier habe ich oben.«
»Schön! So ist Alles beisammen.«
»Wollen wir hinaufgehen?«
»Ja. Doch vorher will ich austrinken und bezahlen.«
»Lassen Sie doch diese Kleinigkeit!«
»Nein; ich darf nichts geschenkt nehmen, sonst würde ich doch keine Antwort erhalten.«
Die zwei Schmiede waren fast fieberhaft erregt. Wenn dieser Fremde die Wahrheit sagte, so waren sie jetzt im Stande, Dinge zu erfahren, die ihnen von der allergrößten Wichtigkeit sein mußten. Sie führten ihn in ein kleines Oberstübchen, welches nur ein Fenster hatte. Der Laden wurde verschlossen und die Lampe angebrannt, deren Docht Arndt so weit zurückschraubte, daß Alles nur im Duster lag.
»Kennen Sie das Tischrücken?« fragte er.
»Ja,« antworteten Beide.
»Haben Sie es selbst mitgemacht?«
Auch das wurde bejaht.
»Nun, so ganz ähnlich haben wir die Hände zu legen. Es muß eine Kette geschlossen werden, so daß unsere Finger rundum sich berühren. Jetzt das Papier!«
Es wurde gebracht. Er zog seinen Bleistift hervor und malte seltsame Charactere darauf, ganz ohne Bedeutung, so wie sie ihm gerade einfielen. Als er damit fertig war, legte er es auf die Mitte des Tisches und bemerkte: »Jetzt legen wir die Hände an einander! So! Wenn ich die Nähe des Geistes fühle, können Sie fragen, was Sie wollen; er wird mir leise antworten, und ich sage es Ihnen laut.«
»Wer soll fragen? Ich oder mein Sohn?«
»Das ist ganz gleichgiltig, Sie oder er.«
»Da werde doch lieber ich fragen.«
»Schön! Also jetzt still!«
Die nun eintretende Stille, das Düstere der Beleuchtung, die fremden Zeichen auf dem Papiere, das Abenteuerliche der ganzen Scene, wirkte so sehr auf die beiden Schmiede, daß es ihnen wirklich ganz geister-, ganz gespensterhaft zu Muthe wurde.
Erst nach längerer Zeit gab Arndt das Zeichen, und mit stockender Stimme gab der Alte eine Frage, welche sich auf seine Familienverhältnisse bezog. Arndt hatte seine Jugend hier verlebt; er kannte diese Verhältnisse ganz genau, und so fiel die Antwort zur größten Ueberraschung der Beiden vollständig treffend aus.
Arndt gebrauchte die Vorsicht, nach der Frage einige Augenblicke nach der Seite hinzulauschen, als ob da ein unsichtbares Wesen stehe, von welchem er die Auskunft zugeflüstert erhalte. Es folgten mehrere ähnliche Fragen, und jedes Mal fiel die Antwort streng nach der Wahrheit aus. Nach und nach entfernte sich der Fragende von den Familienverhältnissen, kam auf Weiteres und Verschiedenes und endlich auch – scheinbar unbemerkt – auf das Thema, welches für ihn die Hauptsache war. Er hatte keine Ahnung, daß er von dem fremden Holzhändler aus der fernen Residenz vollständig durchschaut werden könnte.
»Giebt es wirklich einen Hauptmann in der Hauptstadt?« fragte er.
»Ja, es giebt einen.«
»Wer ist es?«
»Ein großer Herr, ein Baron.«
Der Alte erschrak; er hütete sich, diese Erkundigung fortzusetzen. Er fragte lieber:
»Kennst Du den Waldkönig?«
»Ich kenne mehrere.«
»Wo wohnen sie?«
»Hier, in Obersberg, bei Schacht Gottes-Segen und an anderen Orten.«
Es fiel ihm gar nicht ein, nach den Namen zu fragen. Es wurde ihm angst und bange. Es war schwer, zu fragen, da ja der Fremde die Antworten auch bekam. Aber es mußte gewagt werden: »Wird hier an der Grenze geschmuggelt?«
»Ja.«
»Wann wieder?«
»Heute.«
»Zu welcher Zeit?«
Vater und Sohn blickten sich betroffen an. Eine solche Genauigkeit war großartig. Es gab keinen Zweifel: nur ein Geist konnte so antworten.
»Wird es gelingen?«
»Bei Verbrechen darf kein Geist so antworten; auch ist es ihm da verboten, einen Namen zu nennen.«
Das war dem Alten außerordentlich lieb. Wenn bei Verbrechen kein Name genannt wurde, so konnte er ja ohne alle Sorge seine Fragen aussprechen.
»Was ist heute auf dem Kirchhofe geschehen?«
»Es wurde ein Grab geöffnet.«
»Wer lag darin?«
»Niemand.«
»Wo ist die Leiche hin?«
»Gestohlen worden.«
»Von wem?«
»Von einem Vater und seinem Sohne.«
»Wohin wurde sie geschafft?«
»In ein brennendes Schloß.«
»Warum?«
»Um sie mit einem lebenden Kinde zu vertauschen.«
Der Sohn hustete, um seinen Vater zu warnen; ihm schienen diese Fragen gefährlich zu sein. Doch der Alte fuhr fort: »Lebt der Besitzer dieses Schlosses?«
»Ja, und auch der Eigenthümer.«
»Wer ist der Besitzer?«
»Ein Baron.«
»Und der Eigenthümer?«
»Jenes vertauschte Kind.«
Es läßt sich gar nicht beschreiben, welchen Eindruck diese Antworten machten. Es wurde zwar kein Name genannt, doch waren sie so exact, daß es dem Frager eigentlich hätte bange werden sollen. Dennoch fragte er jetzt weiter: »Lebt der Vater dieses Kindes noch?«
»Nein.«
»Woran ist er gestorben?«
»An einem Rasirmesser. Er wurde ermordet.«
»Wer war der Mörder?«
»Ein Baron.«
»Lebt dieser Baron noch?«
»Ja.«
»Wo?«
»Heute hier, sonst in der Hauptstadt.«
Es überlief den Frager und seinen Sohn eiseskalt. Das war wirkliche Allwissenheit! Aber da keine Namen genannt wurden, so konnte man es weiter wagen: »Wann geschah dieser Mord?«
»Vor zwanzig Jahren.«
»Wo?«
»Gab es Mitwisser?«
»Ja.«
»Wen?«
»Eine Zofe.«
Es dauerte doch jetzt eine gute Weile, ehe die nächste Frage ausgesprochen wurde.
»War das der einzige Mord an jenem Tage?«
»Nein.«
»Wer wurde noch ermordet?«
»Ein Offizier.«
»Von wem?«
»Von einem Baron.«
»Wo?«
»Im Walde.«
»Gab es auch hier Mitwisser?«
»Ja.«
»Wer sind sie?«
»Ein Vater und sein Sohn.«
»Giebt es Leute, die das wissen?«
»Einen.«
»Hm! Ah! Oh!« hustete der Alte. »Wer ist dieser?«
»Ein Försterssohn.«
»War er mit in den Mord verflochten?«
»Er wurde unschuldig verurtheilt.«
»Und er weiß von den beiden Mitwissern?«
»Ja.«
»Ja.«
»Wo lebt er?«
»Jetzt in einer Schänkwirthschaft.«
»In welchem Lande?«
»Namen dürfen nicht genannt werden.«
»Warum zeigt er den Schuldigen nicht an?«
»Er hat seine Gründe.«
»Warum nennt er diese beiden Zeugen seiner Unschuld nicht?«
»Sie haben ihm Gutes gethan.«
»Haben sie noch Böses von ihm zu erwarten?«
»Er will sie beschützen.«
»Werden sie ihn wiedersehen?«
»Sie sehen ihn.«
»Wo?«
»In dem Hause, in welchem er sich jetzt befindet.«
»Was haben diese Beiden heute vor?«
»Eine böse That.«
»Wird sie gelingen?«
Jetzt horchte Arndt etwas länger nach der Seite hin und antwortete dann:
»Die Auskunft wird verweigert, und der Geist hat sich entfernt!«
»O weh! Warum denn?«
»Weil Sie sich nur nach bösen Thaten erkundigen. Sie haben sogar zweimal nach dem Gelingen eines Verbrechens gefragt. Der Geist ist zornig; er wird mir nicht sobald wieder Auskunft ertheilen. Das hat man davon, wenn man unbekannten Leuten gefällig ist!«
»Aber, wir stehen ja zu diesen Thaten gar nicht in Beziehung!«
»Das glaube ich sehr gern. Ich habe sogar bemerkt, daß Sie die Schuldigen wissen wollen, um sie anzuzeigen; aber über Verbrechen muß man schweigen.«
»War Ihnen eine meiner Fragen verständlich?«
»Natürlich! Ich habe sie ja gehört!«
»Das wollte ich nicht sagen. Ich meine, ob Sie die Verhältnisse kennen, nach denen ich fragte?«
»Ich, als Fremder? Es war von einem Baron und von einem Schlosse die Rede. Wo soll man Beide suchen? Es giebt so viele Schlösser und so viele Barone! Eins habe ich freilich verstanden, und das betrifft Sie!«
Der Alte entfärbte sich.
»Was meinen Sie?« fragte er.
»Den Kindestausch.«
»Sapperment! Was wollen Sie sagen?«
»Daß Sie es sind, welche die Kindesleiche aus dem Grabe entfernt und nach dem Schlosse geschafft haben.«
»Wir? Oh, was fällt Ihnen ein!«
»Es ist die Wahrheit. Der Geist antwortet nicht mehr, er nennt überhaupt keine Namen. Wohin haben Sie damals das lebende Kind gebracht?«
Der Alte sprang, gerade wie sein Sohn, von seinem Stuhle auf und rief:
»Herr, Sie sind wohl des Teufels?«
»Pah! Ich bin keineswegs des Teufels, sondern ich weiß sehr wohl, was ich sage.«
»Aber ich verstehe Sie nicht!«
»Nun, so will ich denn verständlicher sprechen, und die Faxe mag zu Ende sein.«
»Faxe? Hätten Sie Faxen gemacht?«
»Ja. Der Spiritismus war Theater.«
»Es war nicht die Wahrheit?«
»Nein, und doch ja! Nein, weil ich Sie täuschte, und ja, weil meine Antworten stimmten, wie Sie ebenso gut wissen wie ich selbst. Ich bin kein Medium.«
»Nicht? Sapperment!«
»Auch kein Spiritist.«
»Aber Sie sagten doch –«
»Ich bin vielmehr der Fürst des Elendes.«
Bei diesen Worten stand auch er vom Stuhle auf. Er stand den beiden riesenstarken Männern bei verschlossener Thür allein gegenüber, aber in seiner Hand glänzte bereits jene goldene Kugel, mit deren Hilfe er den Bruder des Riesen Bormann und noch Andere niedergestreckt hatte.
»Der Fürst des Elendes?« rief der Alte. »Donnerwetter! Unser größter Feind!«
»Ja, Ihr Feind, da Sie einer der Waldkönige sind, aber doch auch Ihr Freund, der es gut mit Ihnen meint.«
»Gut!« lachte der Schmied. »Sie verfolgen die Pascher wohl aus lauter Güte? Uebrigens ersuche ich Sie, mich nicht unter die Waldkönige zu versetzen! Ich bin ein ehrlicher Mann und kein Schmuggler!«
»Wirklich? Warum schreiben Sie Dieses hier?«
Er drehte den Docht der Lampe empor, daß es heller wurde, und hielt ihm seine eigene Unterschrift vor:
»Gelesen. Wird geschehen. Wolf, Schmied in Helfenstein.«
»Alle Teufel, der Brief!«
Mit einer blitzschnellen Bewegung langte der Alte nach demselben, aber Arndt war doch noch schneller und zog die Hand zurück, indem er ruhig antwortete: »Dieser Brief ist mein.«
»Woher haben Sie ihn?«
»Das brauche nur ich zu wissen.«
Der Alte gab seinem Sohne einen Wink, in Folge dessen sich dieser an die Thür stellte, so daß Arndt nicht entkommen konnte; dann drohte er: »Herr, diese Quittung verlange ich zurück!«
Arndt steckt sie trotzdem ein und antwortete:
»Es ist allerdings möglich, daß ich sie Ihnen freiwillig gebe, mit Gewalt entreißen Sie mir dieselbe aber nicht.«
»Oho! Sehen Sie uns an! Wir sind Zwei. Kommen wir Ihnen wie Schwächlinge vor! Wenn Sie nicht gehorchen, ist Ihnen Ihr Brod gebacken!«
Arndt stieß ein kurzes, lustiges Lachen aus und sagte:
»Sie vergessen, daß ich der Fürst des Elendes bin. Glauben Sie nicht, daß Sie mir gewachsen sind!«
»Seien Sie, wer Sie wollen! Jetzt sind Sie in meiner Gewalt; Sie müssen gehorchen! Heraus mit dem Briefe!«
»Pah! Gewalt führt zu nichts. Ich bin erbötig, mit Ihnen zu unterhandeln.«
»Ich unterhandle nicht. Ich will den Brief. Geben Sie ihn nicht augenblicklich heraus, so schlage ich Sie nieder!«
»Oder ich Sie Zwei!«
»Das wollen wir sehen! Also jetzt –«
Er trat drohend auf Arndt zu.
»Gut! Jetzt! Hier!«
Ein goldener Blitz zuckte an dem Gesichte des jungen Schmiedes vorüber, und im nächsten Augenblicke lag dieser starr wie ein Todter am Boden. Der Alte sah es und hielt vor Schreck ein. Dann aber brüllt er los: »Himmeldonnerwetter! Er ist todt! Hallunke, ich erwürge Dich!«
Er drang auf Arndt ein. Dieser faßte seinen Arm, und – der Schmied stand still. Er fühlte einen eisernen Griff, dem er nicht widerstehen konnte.
»Sie sehen, daß Sie nicht allein der Starke sind!« lachte Arndt. »Ich habe Sie nicht zu fürchten!«
»Mensch! Sie sind ein Teufel!«
»Nein, ich bin nur der Fürst des Elendes; es ist meine Gewohnheit, die Leute ganz in ihrer eigenen Manier zu behandeln. Sie wollten von Güte nichts wissen, nun wohl, so habe ich mich wehren müssen!«
»Und meinen Sohn erschlagen!«
»Nein, er ist nur betäubt! Nach einiger Zeit wird er erwachen und keine Folgen spüren. Legen Sie ihn dort auf die Bank! Dann setzen Sie sich wieder zu mir. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
Diese Worte und das ganze Auftreten des Sprechers machten einen unwiderstehlichen Eindruck auf den Schmied. Er untersuchte seinen Sohn, fand, daß derselbe unverletzt sei und ruhig athmete und trug ihn nach der Bank. Dann nahm er an dem Tische Platz, vor sich hinknirschend: »Gut, ich werde es versuchen! Aber treiben Sie den Spaß um Gotteswillen nicht zu weit!«
»Keine Sorge! Ich bin jetzt in sehr ernster Stimmung.«
Er zog eine Zigarre hervor, steckte sie in Brand und sagte dann in freundlicherem Tone:
»Herr Wolf, ich habe gewisse Gründe, Ihnen freundlich gesinnt zu sein – –«
»Lassen Sie mich ausreden! Ich bin heute in der allerbesten Absicht zu Ihnen gekommen.«
»Das wollen Sie mir weiß machen? Und doch nennen sie sich den Fürsten des Elendes!«
»Ich bin er auch!«
»Meinetwegen! Mich bringt das nicht zum fürchten. Sie sind eben auch ein Mensch. Gut, daß ich Sie einmal sehe. Auf diese Weise werden wir uns klar.«
»Das ist eben mein Wunsch. Sie wandeln auf höchst gefährlichen Wegen, mein Lieber, und ich –«
»Was geht Sie das an?« brauste der Alte auf.
»Gut, es soll mich nichts angehen; aber ganz unberücksichtigt darf ich es doch nicht lassen, wenn Ihr Weg sich mit dem meinen kreuzt. Also, ich wiederhole, daß ich in bester Absicht zu Ihnen komme –«
»Beweisen Sie es!«
»Das will ich ja! Geben Sie mir nur Zeit dazu!«
»Na, meinetwegen; reden Sie!«
»Man steht im Begriffe, sie gerichtlich zur Rechenschaft zu ziehen, weil Sie –«
»Weshalb?«
»Sie unterbrechen mich abermals. Aber ich will Ihre Frage kurz beantworten: Weil Sie einst Brandt verurtheilen ließen, obgleich sie seine Unschuld beweisen konnten; weil Sie den kleinen Baron von Helfenstein stahlen, nachdem Sie an seiner Stelle eine Leiche verbrennen ließen, und weil sie drittens einer der Waldkönige sind.«
»Alles Unsinn, lauter Unsinn!«
»Pah! Sie waren im Walde und sahen, daß Franz von Helfenstein den Hauptmann erschoß; sie holten vor dem Brande des Schlosses die Leiche vom Gottesacker, und was den Waldkönig betrifft, so habe ich ja Ihre Unterschrift als Beweis in den Händen.«
»Sie reden wohl im Fieber? Wer kann mir beweisen, daß ich Zeuge des Mordes war? Wer war dabei, als die Leiche des Kindes gestohlen wurde? Und Ihre Unterschrift da, die ist gefälscht.«
»Mir können Sie das sagen, dem Untersuchungsrichter aber nicht.«
»Warum nicht? Gerade ihm erst recht würde ich es sagen!«
»Denken Sie, daß er es glaubt?«
»Ist das Ihre Sache?«
»Vielleicht doch? Aber ich bin nicht gekommen, um meine kostbare Zeit unnütz bei Ihnen zu verschwenden. Sie selbst wissen am Besten, in welcher Lage Sie sich befinden. Ich will Ihnen Ihre Unterschrift zurückgeben, so daß Sie wegen des Paschens nicht belangt werden. Und ich sichere Ihnen die denkbarst beste Beurtheilung des Anderen zu, wenn Sie mir dagegen Zweierlei versprechen.«
»Erstens sagen Sie mir, wo der kleine Robert von Helfenstein hingekommen ist.«
»Und was zweitens?« fragte der Schmied höhnisch.
»Sie bezeugen vor Gericht, daß der Baron Franz von Helfenstein damals den Hauptmann erschossen hat.«
»So! Weiter nichts?«
»Nein, weiter nichts.«
»Was? Damit wollen Sie sich wirklich zufrieden geben?«
»Mir genügt es vollständig.«
»Ei, ei! Was für ein genügsamer Mann sie sind!«
»Dieser Spott scheint Ihnen jetzt sehr billig, kann aber sehr leicht ganz ungeheuer im Preise steigen.«
»Meinetwegen, mag er theurer werden! Sie haben gesagt, was Sie wollen, und ich will Ihnen darauf meine Antwort geben.«
»Ich ersuche Sie sehr darum.«
»Schön! Zunächst habe ich mich wirklich vor dem sogenannten Fürsten des Elendes ein Wenig gefürchtet. Das ist nun vorbei. Heute sehe ich, daß er nicht nur ein ganz gewöhnliches Menschenkind, sondern sogar ein recht dummer Kerl ist. Wollen Sie sich das notiren?«
»Sehr gern, mein Bester!«
»Gut! Ihre Dummheit beweisen Sie dadurch, daß Sie mich für dumm halten. Sie wollen mich aus einer Gefahr retten, die es gar nicht für mich giebt, und dafür soll ich mich zu Missethaten bekennen, die ich gar nicht begangen habe und die mir auch kein Mensch nachzuweisen vermag. Das ist nicht nur dumm, sondern sogar hochdumm von Ihnen!«
»Schön, daß Sie es einsehen. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn Ihr Renommée darunter leidet. Haben Sie vielleicht noch etwas Albernes vorzubringen?«
»Nein.«
»So könnten Sie eigentlich gehen, aber ich lasse Sie natürlich nicht eher fort, als bis ich gesehen habe, daß mein Sohn wirklich erwacht.«
Da stand Arndt von seinem Stuhle auf und antwortete:
»Ich bin gewöhnt, zu gehen, wann und wohin es mir beliebt.«
»Aber jetzt nur nicht, mein Bester! Sie bleiben hier.«
Er stellte sich vor die Thür und streckte dem Gegner die beiden Fäuste entgegen, stürzte aber im nächsten Augenblicke nach einer blitzesschnellen Armbewegung Arndt’s wie sein Sohn auf die Diele nieder.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf der Bank, und sein Sohn stand vor ihm. Er mußte sich erst auf das, was geschehen war, besinnen.
»Ich hier?« fragte er. »Ah, da fällt mir ein – wo ist er hin, dieser Hallunke?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was? Du weißt es nicht?«
»Nein. Ich weiß gar nicht, was mit mir geschehen ist. Ich erwachte aus einer Ohnmacht und lag hier auf der Bank.«
»Und ich?«
»Du lagst ohne Besinnung dort auf der Diele.«
»Und die Thür?«
»Sie war nicht mehr zugeriegelt. Der Kerl war fort.«
»Hole ihn der Teufel! Jetzt besinne ich mich. Ich wollte ihn nicht fortlassen, und da muß er mir einen fürchterlichen Jagdhieb versetzt haben, denn gleich breche ich nicht zusammen. Aber, eigenthümlich, ich fühle nirgends Schmerzen.«
»Ich auch nicht. Was habt Ihr noch verhandelt?«
Der Vater erzählte es dem Sohne. Dieser zuckte mit den Achseln und sagte:
»Der Kerl ist ein Taschenspieler und wohl auch zugleich Polizist. Er hat geglaubt, uns verblüffen zu können.«
»Ich habe ihm gesagt, daß er uns zu dumm ist. Hahaha, wir und so gemüthlich ein Geständniß ablegen!«
»Wir haben es nicht nöthig. Erstens kann kein Mensch beweisen, daß wir damals den Mord mit angesehen haben; zweitens ist es mit dem Leichendiebstahle ganz dasselbe, und drittens, was den Waldkönig betrifft, das ist freilich eine verteufelte Geschichte!«
»Wegen meiner Unterschrift?«
»Natürlich!«
»Was beweist sie?«
»Daß Du der Waldkönig bist.«
»Steht das darin?«
»Deutlich allerdings wohl nicht.«
»Na, so mag man mir Beweise bringen! Und wenn es schlimm geht, so kann eine solche Unterschrift ja sehr leicht gefälscht sein. Ich fürchte mich nicht. Den ersten und den letzten der drei Punkte kann uns Keiner beweisen; anders steht es mit dem zweiten. Der ist schlimm: Leichenraub, Brandstiftung und Menschenraub. Das brächte uns allerdings für das ganze Leben auf das Zuchthaus.«
»Verdammt!«
»Na, ja, nur nicht verzweifeln! Wir schaffen nachher ein Kind in das Grab; dann wollen wir sehen, wer uns Etwas anhaben kann. Es ist draußen Abend geworden. Wir müssen lange hier gelegen haben, und es wird Zeit sein, aufzubrechen. Komm, wollen nach Werkzeugen suchen!«
Nur kurze Zeit später verließen sie das Haus auf der hinteren Seite. Sie wandten sich zum Dorfe hinaus und der Stadt entgegen. Beide hatten große Filzschuhe an und trugen Larven vor dem Gesicht.
Trotz der Höhe des hier liegenden Schnees blieben sie nicht auf der Straße, sondern sie schlugen einen Seitenweg ein, der sie in die unmittelbare Nähe des Gottesackers führte. Sie umgingen denselben und stiegen dann an einer Stelle, wo die Mauer etwas niedriger war, über dieselbe hinweg.
Kaum waren sie hinüber, so erhob sich in der Nähe etwas Weißes und gar nicht weit davon etwas ganz Ähnliches. Das waren zwei weiße Betttücher, unter denen zwei Männer steckten.
»Vetter!« flüsterte der Eine.
»Ja.«
»Haben Sie es gesehen?«
»Natürlich!« antwortete Arndt dem alten Förster. »Sie sind ja Beide beinahe über mich weggestolpert!«
»Aber, bei Gott, ein gescheidter Kerl sind Sie doch!«
»Hm!«
»Woher wußten Sie denn, daß sie den Fußweg einschlagen würden, he?«
»Weil ihnen auf der Straße leicht Jemand begegnen konnte.«
»Und daß sie gerade hier und nirgendwo anders übersteigen würden?«
»Weil die Mauer hier am Niedrigsten ist.«
»Das Thor vorn ist noch niedriger.«
»Aber es liegt eben vorn, der Beobachtung mehr ausgesetzt. Darum war es nicht sehr geistreich von dem Amtmann, daß er sich gerade dorthin postirte.«
»Dieser Herr giebt mir überhaupt Spaß. Er will die Beiden partout höchst eigenhändig fangen. Mit welcher rührenden Bereitwilligkeit er seine Betttücher hergeborgt hat. Wir wollen hin zu ihm.«
Sie schritten leise an der Mauer hin, bogen um die Ecke und näherten sich dem Thore. Da erhob sich eine dritte Gestalt unter einem Betttuche. Es war der Amtmann.
»O weh!« sagte er. »Sie verlassen Ihre Posten? Nun sollten sie gerade jetzt kommen und uns sehen. Sie werden mir den ganzen Spaß verderben!«
»Wohl nicht, denn sie sind bereits da.«
»Was? Wirklich? Wo?«
»Da hinten, wo ich vermuthete, sind sie übergestiegen.«
»Diese Hallunken! Hier hatten sie es bequemer!«
»Solche Leute pflegen mehr auf die Sicherheit, als auf die Bequemlichkeit zu sehen, Herr Amtmann.«
»So habe ich mich also doch verrechnet! Aber sie entgehen mir trotzdem nicht. Schleichen wir hin.«
»Warum denn?«
»Das wollen wir ja unterlassen!«
»Unterlassen? Das wäre ein großer Fehler. Wir müssen doch erfahren, welches Grab sie öffnen?«
»Sie finden es später ganz leicht. Sie brauchen nur den Fußtapfen nachzugehen. Ueberdies wird es ihnen nicht gelingen, das Grab geradeso wieder mit Schnee zu bedecken, wie es vorher gewesen ist. Wenn wir uns ihnen nähern, so können sie uns bemerken, und dann wäre Alles umsonst.«
»Hm, schade wäre es, jammerschade! Gehen wir also!«
Die drei Späher hatten sich blos überzeugen wollen, ob die Schmiede die Leiche wirklich hier holen würden. Sie kehrten nach Helfenstein zurück, ohne sich dort sehen zu lassen, und begaben sich sofort nach dem Gottesacker, dessen Schlüssel ja der Amtmann bei sich hatte.
Dort angekommen, fanden sei eine Polizeimacht ihrer wartend, welche zugelangt hätte, ein gutes Dutzend von Räubern und Mördern festzunehmen. Zum Glücke fügte sich der Amtmann in Arndt’s Anordnungen. In Folge dessen wurden die Leute so postirt, daß sie von den Schmieden nicht bemerkt werden konnten. Dann wartete man.
Es dauerte lange, sehr lange, ehe die Beiden kamen. Endlich hörte man drüben von der Stelle, an welcher Arndt heute gelegen hatte, ein Geräusch, und gleich darauf huschten zwei dunkle Gestalten über die schneeweiße Fläche. An dem Grabe angekommen, legte der Eine ein Paket nieder und sagte leise: »Du, hier wird es uns leicht gemacht. Die Erde ist ganz locker, und der Spaten nebst Hacke und Schaufel liegen dabei.«
»So laß uns rasch machen. Ich habe keine Ruhe, bis wir hier wieder fort sind. Mir ist fast angst geworden.«
»Warum denn? Es geht ja Alles gut?«
Sie begannen zu arbeiten, und zwar mit solchem Eifer, daß sie auf weiter nichts als auf das Loch achteten, welches schnell immer tiefer wurde. Das Geräusch, welches sie verursachten, war schuld, daß sie ein anderes, welches sich ihnen näherte, nicht hörten.
»Da, hier ist der Sarg!« sagte der Sohn. »Mir scheint, der Deckel ist morsch.«
»Geben wir uns keine unnöthige Mühe. Auf damit und das Kind hinein.«
»Du, ah, da kommt mir ein prachtvoller Gedanke!«
»Versäume nur keine Zeit dabei!«
»Ich glaube nämlich, die haben heute gar nicht den ganzen Sarg herausgenommen!«
»Warum sollten sie? Sie haben den Deckel geöffnet und constatirt, daß der Sarg leer war.«
»Schön! Wenn dann ein Gerippe im Sarge liegt, ist es erwiesen, daß es später hineingebracht wurde. Wie aber nun, wenn es unter dem Sarge sich befindet?«
»Verstehst Du? Dann kommt die Schuld auf den früheren Todtengräber, der mit der kleinen Leiche nicht gehörig umgegangen ist. Er hat sie verschüttet.«
»Gar nicht übel! Also heraus mit dem Sarge! Wir legen das Gerippchen darunter.«
Da erscholl es laut hinter ihnen:
»Jetzt aber noch nicht!«
Sie fuhren herum und standen, wie vom Schlage getroffen, ein Weilchen völlig bewegungslos da. Der Schreck hatte sie förmlich gelähmt. Vor und um sie standen Polizisten, und im Nu waren sie mit Stricken gebunden.
»Alle Teufel!« stieß endlich der Alte hervor.
»Verflucht!« fügte der Junge hinzu.
»Im Namen des Gesetzes, Ihr seid arretirt!« antwortete der Amtmann.
Der Alte zerrte an seinen Stricken und stöhnte ingrimmig vor sich hin:
»Verdammtes Pech! Wem hat man es zu danken?«
»Mir!«
Der Mann, der dieses Wort aussprach, stellte sich vor ihm hin, so daß er demselben in das Gesicht sehen konnte.
»Hölle und Teufel! Der Fürst des Elendes!«
»Ja, mein Lieber! Sie sehen nun ein, daß ich es gut mit Ihnen gemeint hatte. Ich habe Sie gewarnt; nun tragen Sie ganz allein die Schuld. Jetzt, Herr Amtmann, werde ich mich Ihnen empfehlen!«
»Schon?«
»Ja. Wir müssen fort. Den einen Waldkönig haben wir hier, und den anderen werden wir noch heute im Haingrunde fangen. Unser Schlitten wartet. Gute Nacht!«
Er reichte dem Beamten die Hand und suchte die Stelle der Straße auf, an welcher der Förster mit dem Schlitten hielt. Die beiden Gefangenen waren wie betäubt; sie konnten sich noch nicht in ihre Lage finden, so schnell und unerwartet war dieselbe über sie gekommen. Der Alte faßte sich zuerst und sagte: »Aber, was soll denn das sein. Warum nimmt man uns gefangen?«
»Leichenräuber!« antwortete der Amtmann kurz.
»Wir?«
»Wer sonst?«
»Herr Amtmann, das ist ein Irrthum, wie er größer gar nicht gedacht werden kann!«
»Wirklich? In wiefern denn?«
»Vorhin waren zwei Fremde bei mir in der Gaststube, die heimlich flüsterten und mir sehr verdächtig vorkamen. Als sie gingen, folgten wir ihnen heimlich. Dort an der Mauer verloren wir sie. Nach einiger Zeit aber stiegen wir über und wurden von Ihnen gerade in dem Augenblicke überrascht, als wir uns wunderten, hier ein offenes Grab und dieses Paket zu finden.«
»Ach, Sie wußten also gar nicht, daß das Grab geöffnet worden ist?«
»Nein, kein Wort davon!«
»Wer hat denn, während wir hier beschäftigt waren, da drüben hinter dem Hollunder gestanden?«
Der Schmied fand vor Schreck keine Antwort.
»Wer hat denn davon gesprochen, heute abend auf dem alten Gottesacker eine Leiche zu holen und hier einzugraben?«
Noch immer keine Antwort.
»Wer hat da gesprochen von der Ermordung des Hauptmannes von Hellenbach und von dem kleinen, verschwundenen Robert von Helfenstein?«
»Weiß ich das?« stieß der Schmied hervor.
»Wohl nicht? So gescheidt wie Ihr ist man auch. Der Herr, welcher vorhin Fürst des Elendes genannt wurde, ahnte, daß Ihr uns belauschen würdet und versteckte sich unter den Hollunder. Er hat jedes Wort gehört.«
»Verdammt!« knirschte der Alte.
Sein Sohn stand hinter ihm, ohne ein Wort zu sagen. Da plötzlich glänzte eine Messerklinge in seiner Hand, die frei geworden war.
»Mir nach, Vater!«
Mit einem raschen Schnitte fuhr er über den Strick, welcher um die Handgelenke des Alten geschlungen war, und bereits im nächsten Augenblicke schossen die Beiden über den Gottesacker hinüber.
Die Beamten fanden im ersten Augenblicke gar keine Bewegung, dann aber sprangen sie den Flüchtlingen unter lauten Zurufen nach, Einer immer den Anderen hindernd oder über die Gräber stolpernd.
Als sie die Mauer erreichten, waren die beiden Flüchtlinge bereits über dieselbe hinweg und schossen den Berg hinab, der Vater trotz seines Alters hart hinter dem Sohne. Dieser Letztere drehte sich um. Er bemerkte, daß sie einen Vorsprung hatten und sagte: »Ich nehme sie auf mich, Vater! Schlage Dich rechts in das Dickicht. An der Bachbrücke treffen wir uns.«
Der Alte folgte diesem Rathe sofort. Zwar hörte er eine Weile lang noch das Rauschen der Büsche hinter sich, doch hörte dieses sehr bald auf. Jetzt ging er, vorsichtig jedes Geräusch vermeidend, langsamer und erreichte, sich immer im Dickicht haltend, nach beinahe drei Viertelstunden den angegebenen Ort, wo sein Sohn bereits auf ihn wartete.
Sie sahen einander eine Weile stumm an, dann erhob der Alte die Hand und sagte:
»Ich schwöre hiermit bei allen Seligen und allen Teufeln, daß ich nicht ruhen werde, bis ich ihn umgebracht habe.«
»Den? Der ist ja ein Knabe! Nein; den Fürsten des Elendes. Er ist an Allem schuld!«
»Und wenn Du ihn nicht triffst, so bringe ich ihn um!«
»Wo sind die Verfolger?«
»Hinter mir, weit zurück und zerstreut. Wir müssen weiter. Aber wohin? Das ist die Frage.«
»Die Frage? Hier giebt es keine Frage. Wir müssen zu dem Baron. Er hat uns bestellt.«
»Er muß Geld schaffen, denn nach Hause können wir nicht. Ja, vorwärts zu ihm.«
Einige Zeit vorher war ein Schlitten von der Stadt her durch das Dorf und nach dem Schlosse gefahren. Der Insasse ließ sich bei dem Baron melden und wurde sofort vorgelassen. Es war Herr August Seidelmann, der Vorsteher der Brüder und Schwestern zur Seligkeit. Er mochte wichtige Nachrichten bringen, da der Baron ihn in sein innerstes Cabinet hatte kommen lassen.
Dennoch hörte man nach einiger Zeit die Stimmen der Beiden ungewöhnlich laut, und wer da hätte horchen können, dem wäre die eigenthümliche Weise aufgefallen, in welcher der Fromme heute mit dem Baron zu sprechen beliebte.
Der Letztere schien sich in ungewöhnlicher Aufregung zu befinden, denn er schritt hastig in dem Zimmer auf und ab und sagte: »Was geht Sie denn der Apotheker an?«
Der Fromme antwortete in salbungsvollem Tone:
»Er kennt alle Kräuter und Pflanzen der heiligen Schrift, von der Ceder an bis zum Isop herab, und ich wollte mich belehren lassen.«
»Lassen Sie diese Faseleien! Ich habe Ihnen in letzter Zeit verboten, mit ihm zu verkehren.«
»Ich traf ihn zufällig.«
»Wo?«
»In seiner Wohnung.«
»Sie gehen dorthin? Und das nennen Sie zufällig?«
»Ja. Der Grund, welcher mich hinführte, war ein ganz und gar zufälliger.«
»Ich darf ihn doch wohl erfahren, wie ich hoffe?«
»Warum nicht, gnädiger Herr!«
»Nun?«
»Ich brauchte ein kleines Tränkchen.«
»Wozu?«
Der Fromme zuckte die Achseln, blickte den Baron in sehr bezeichnender Weise von der Seite an und antwortete: »Es waren mir Zwei im Wege.«
»Ich wiederhole, Sie sollen nicht faseln!«
»Wer sagt, daß ich es thue?«
»Was sonst?«
»Es waren mir wirklich Zwei im Wege: Ein Riese und sodann eine Frau.«
Jetzt merkte der Baron, was der Mann wollte.
»Seidelmann!« fuhr er auf.
»Euer Gnaden!« antwortete dieser in demüthigem Tone.
»Sind Sie verrückt geworden?«
»Nein, denn ich habe mich gehütet, von den Tropfen selbst zu nehmen. Ich will bei Sinnen bleiben.«
»Aber, Mensch, ich begreife Sie nicht! Was haben Sie mit meinen Geheimnissen zu schaffen?«
»Sehr viel, denke ich.«
»Und was haben Sie für ein Recht, für eine Veranlassung dazu? Das muß ich Sie fragen!«
»Das Recht des Menschen und Christen.«
»Salbadern Sie nur nicht vor mir! Sie machen sich doch nur lächerlich; das können Sie glauben.«
»Ich will diese Lächerlichkeit tragen, wenn ich dabei nur meine und Ihre Seele rette. Der Christ entschuldigt Vieles, aber Mord, langsamer Mord durch geisttödtendes Gift, das ist schrecklich; das kann ich nicht zugeben!«
»Aber wer spricht denn von Mord?«
»Ich selbst.«
»Das ist ja Blödsinn!«
»Blödsinn? Ich war in Rollenburg.«
Der Baron fuhr zurück. Zwischen seinen halb geschlossenen Lippen kam es beinahe pfeifend hervor:
»In Rollenburg? Bei den Irren?«
»Ja.«
»Was haben Sie dort zu thun?«
»Ich kenne den Director.«
»Und dabei haben Sie – – nicht?«
»Die gnädige Frau Baronin gesehen? Ja. Ich bin überzeugt, daß sie baldigst soweit hergestellt sein wird, daß sie dieses Haus verlassen kann!«
»Sagte der Arzt dies?«
»Nein, nur ich sage es!«
Dies war in einem Tone gesprochen, dem man die Drohung deutlich anhören konnte. Der Baron hatte in diesem Augenblick den Anblick eines Raubthieres, welches in ohnmächtiger Wuth hinter dem Gitter die Zähne zeigt; aber es war eigenthümlich, wie nach und nach seine Züge einen ganz anderen Ausdruck annahmen. Endlich lachte er sogar herzlich auf und sagte: »Sie sind doch ein wirklicher Hans Dampf in allen Gassen! Sie tauchen überall auf: da wo Sie gebraucht werden und auch da, wohin Sie nicht gehören!«
Der Fromme zog ein süßsaures Gesicht und antwortete, indem er leicht mit der Achsel zuckte:
»Meine Pflicht, gnädiger Herr!«
»Hm! Ich will das einmal zugeben. Wir sind einander gegenseitig verbunden, doch muß dabei immer die gebotene und schuldige Rücksicht herrschen. Sie können doch unmöglich von mir verlangen, Sie in alle meine Angelegenheiten und Geheimnisse einzuweihen!«
»So Etwas habe ich noch nie gewagt! Aber meine innige Verehrung für die kranke, gnädige Frau – und der qualvolle Anblick, den sie mir in Rollenburg bot – das Achselzucken der Ärzte – während ich doch von dem Gifte gehört hatte –«
»Wer hat mit Ihnen davon gesprochen? Wirklich der Apotheker?«
»Ja.«
»Aus freien Stücken?«
»Nein. Ich kam durch Combination darauf.«
»Er theilte Ihnen das Nähere über die Wirkung dieses sogenannten Giftes, welches aber kein Gift ist, mit?«
»Ja. Er konnte meinen eindringlichen Reden ja auf die Dauer nicht widerstehen.«
»Nun gut, so will ich Ihnen im Vertrauen mittheilen, daß ich höchst wichtige Gründe hatte, meiner Frau für kurze Zeit ihr jetziges Domicil zu geben. Aber in zwei Wochen wird sie dasselbe verlassen.«
»Genesen?«
»Vollständig. Sie werden später meine Gründe noch zu würdigen wissen.«
Der Fromme schien beruhigt zu sein. Seine Miene glättete sich, und er antwortete:
»Ich hoffe zu Gott, daß er diese Verheißung zur Wahrheit mache!«
»Und ich bin gerührt über die fromme Theilnahme, welche Sie uns widmen. Ihr Bericht hat mir von Neuem bewiesen, in welch eifriger Weise Sie für mich thätig waren, und so will ich Ihnen gern die Versicherung geben, daß ich bereits über eine geeignete Weise, Ihnen dankbar zu sein, nachgedacht habe.«
Der Schuster fühlte sich tief gerührt. Er ergriff die Hand des Barons, küßte sie und sagte:
»Ich strebe nicht nach schnöder, irdischer Dankbarkeit, sondern einzig nur nach Schätzen, welche vom Roste und den Motten nicht gefressen und von den Dieben nicht gestohlen werden. Ihre Anerkennung ist mir mehr werth, als alle Gaben. Haben Sie sonst noch Etwas zu befehlen?«
»Nein. Sie können Ihr Zimmer aufsuchen und sich von der Reise ausruhen. Doch, halt! Heute ist der Abend des Unternehmens im Haingrunde. Sie befanden sich noch bei ihrem Bruder, als es besprochen wurde?«
»Ja.«
»Winkler war doch wohl selbst da?«
»Gewiß. Und der Andere auch.«
»Welcher Andere?«
»Ich kenne den Namen nicht. Er hatte auch ein sehr bedeutendes Unternehmen in petto.«
»Hm! Mir unbegreiflich, wer das sein könnte! Ich weiß es nicht, werde es aber wohl erfahren. Gute Nacht für heute!«
Der Fromme zog sich mit einem jetzt sehr ehrfurchtsvollen Abschiedsgruße zurück. Kaum war er hinaus, so veränderte sich das Gesicht des Barons in höchst auffallender Weise. Seine Augen sprühten Blitze; seine Brauen näherten sich drohend; seine Zähne knirschten, und seine Fäuste ballten sich.
»Sclave! Elender!« stieß er hervor. »Heimtücker und Heuchler! Schlange und Krododil! Du willst über mich hinauswachsen, weil Du denkst, mich in den Händen zu haben! Du sollst Dich irren! Ich habe es wohl bemerkt, daß dieser Mensch mich zu umschlingen strebt, wie eine Boa constrictor, um mir dann mit einem einzigen Drucke den Garaus zu machen. Jetzt ist er gar in meine Frau verliebt – in die Zofe, bis zum Rasendwerden! Er küßt und schmatzt ihre Photographie, die er sich aus dem Album gestohlen hat. Nun sie im Irrenhause ist, will er sie befreien! Gut, spiele Deine Trümpfe! Den letzten behalte ich doch, armseliger Schuster von der ›Seligkeit‹ Gnaden!«
Da wurde die Thür in nicht sehr zarter Weise aufgerissen und ein Diener trat mehr als schnell ein.
»Was soll’s?« fragte der bereits genugsam zornige Herr. »Wo brennt es denn?«
»Entschuldigung, gnädigster Herr! Aber dieses Ereigniß, diese Neuigkeit!«
»Sie sind arretirt!«
»Wer denn?«
»Die beiden Schmiede!«
Da fuhr der Graf erschrocken zurück.
»Weshalb?«
»Wegen Leichenraubes.«
»Donner und Doria! Das ist doch gar nicht möglich!«
»O gewiß! Der Fürst des Elendes hat sie gefangen.«
»Der Fü– Fü–«
Das Wort blieb ihm im Munde stecken.
»Heute ist das Grab geöffnet worden,« fuhr der erregte Diener fort.
»Welches denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber wo?«
»Droben auf dem Kirchhofe. Und vorhin haben die Schmiede eine Leiche hineinlegen wollen, sind aber vom Fürsten ertappt worden.«
»Wer das glauben soll!«
Und dabei zog er ganz unwillkürlich die Uhr hervor, um nach der Zeit zu sehen. Gerade für jetzt hatte er den Schmied zu einer Unterredung bestellt gehabt.
»Es ist die Wahrheit!« versicherte der Diener.
»Von wem hast Du die Nachricht?«
»Vom Stallmeister. Der ist im Dorfe gewesen und hat mit einem der Polizisten gesprochen, die den Gefangenen nachgesetzt sind.«
»Den Gefangenen nachgesetzt? Wie verstehe ich das?«
»Herrgott, die Hauptsache habe ich vergessen! Die Schmiede sind nämlich wieder entflohen.«
»Ah!«
Das war fast ein Seufzer der Erleichterung zu nennen, den der Baron ausstieß.
»Ja,« fügte der Diener hinzu, »sie sind kaum fünf Minuten lang gefangen gewesen. Der Sohn muß nicht fest genug gebunden gewesen sein. Er hatte ein Messer und bekam den Arm frei. Er hat auch die Fesseln seines Vaters zerschnitten, und dann sind sie fort – über alle Berge fort.«
»Man hat sie nicht wieder ergriffen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Was aber ist’s dann mit dem Grabe?«
»Das verstehe ich nicht recht. Heute ist ein Gericht hier gewesen, um das Grab öffnen zu lassen. Es ist leer gewesen. Und heute Abend haben die Schmiede eine Leiche von dem alten Stadtkirchhof geholt, um sie in dieses Grab auf unserem Dorfgottesacker zu legen.«
»Eine Leiche? Vielleicht handelt es sich nur um einen Pack Schmuggelwaaren!«
»Das ist möglich, denn der Schmied ist als ein heimlicher Schmuggler bekannt.«
»Also warten wir es ruhig ab! Du kannst gehen!«
Der Diener entfernte sich. Der Baron aber durchschritt mehrere unerleuchtete Zimmer, bis er eine Treppe erreichte, die in den Schloßgarten führte. Er suchte eine Ecke des Letzteren auf und schnalzte, dort angekommen, leise mit der Zunge. Es wurde keine Antwort gegeben, und so begann er, auf dem Rasen langsam auf und ab zu gehen.
Bald aber ertönte ein leises Knacken von der Gartenmauer herab – ein lauteres Rascheln, dann das Geräusch, als ob zwei Personen nach einander auf die Erde sprängen.
»Wolf!« flüsterte der Baron.
»Ja.«
»Hierher! Ah, alle Beide?«
»Freilich. Es ist besser zu Zweien als Einer allein.«
»Aber sagt mir vorerst, ob es wahr ist, daß man Euch arretirt hatte?«
»Leider!«
»Wann und wo?«
»Vor ungefähr einer Stunde auf dem Gottesacker.«
»Weshalb?«
»Das ist eine lange Geschichte, zu der ich jetzt keine Zeit habe; es giebt noch viel Nothwendigeres!«
»Aber ich muß es doch wissen!«
»Zuvor das Nothwendigere. Nämlich der Fürst des –«
»Also wirklich?« unterbrach ihn der Baron. »Der Fürst ist mit im Spiele?«
»Und wie! Er ist sogar bei uns in der Oberstube gewesen, wohl über eine ganze Stunde lang.«
»Was wollte er da?«
»Hm! Er wußte Alles.«
»Was denn?«
»Wer den Hellenbach damals erschossen hat, und daß wir Beide hier es gesehen haben, wer das Feuer damals an das Schloß gelegt hat, wer der hiesige Waldkönig ist, und so noch vieles Andere.«
»Ihr seid des Teufels!«
»Es ist wahr, gnädiger Herr. Er kam, um uns auszuhorchen und zum Geständnisse zu bringen.«
»Ihr habt doch nicht etwa geplaudert?«
»Das fällt uns gar nicht ein. Er hat ganz ohne Resultat sich entfernen müssen.«
»Wie war sein Äußeres?«
»Nicht sehr groß und nicht sehr klein. Aber Körperkraft hat der Mensch gerade wie ein Elephante. Aber, da vergesse ich gerade die Hauptsache: Nämlich er weiß auch, daß es heute im Haingrunde Etwas geben wird.«
»Alle tausend Teufel! Ich hoffe, daß Ihr Euch täuscht!«
»Leider nein! Als er uns nämlich fest hatte, sagte er, daß er hier den Helfensteiner Waldkönig gefangen habe, den anderen werde er noch heute Abend im Haingrunde erwischen. Dann nahm er Abschied.«
»So ist er wohl gar nach dem Haingrunde?«
»Jedenfalls.«
»Seit wie lange Zeit ist er fort?«
»Vielleicht drei Viertelstunden.«
»Welch ein Unglück! Wieder Alles verrathen, Alles! Wann ist es verabredet?«
»Zwei Uhr.«
»Ah! So ist noch Zeit, es abzuwenden! Ich muß fort, sogleich fort! Ich lasse anspannen!«
»Aber wir, Herr Baron?«
»Ihr fahret mit. Ich muß ganz ausführlich wissen, was geschen ist. Und da ich jetzt keine Zeit habe, Euch anzuhören, so müßt Ihr es mir unterwegs erzählen.«
»Wir können aber unmöglich mit!«
»Warum?«
»Wir waren gefangen und sind entsprungen. Man wird auf allen Wegen nach uns suchen.«
»Fatal, höchst fatal! Und doch muß ich fort und muß auch hören, was Euch geschehen ist. Wie fängt man das an?«
»Ich wüßte wohl!«
»Ich weiß, daß der gnädige Herr sich zuweilen den Spaß macht, eine Perücke oder einen falschen Bart anzulegen.«
»Ja, ja; das ist das Richtige! Daran dachte ich gar nicht. Kommt, ich führe Euch unbemerkt in mein Cabinet, und wenn Ihr es verlaßt, will ich den Menschen sehen, der Euch erkennt!«
Kaum eine halbe Stunde später verließ ein zweispänniger Schlitten das Schloß. Der Graf saß vorn und lenkte die Pferde selbst. Hinter ihm lehnten zwei Herren in den Kissen, von denen der Eine einen Pelz trug und der Andere sich in einen dicken Havelock gehüllt hatte. Wer suchte in ihnen wohl die beiden Schmiede?
Als sie erst das Schloß und sodann auch das Dorf hinter sich hatten, wollte der alte Wolf zu sprechen beginnen, aber der Baron machte ein »Pst!« und warnte ihn: »Still jetzt! Wir wissen nicht, ob uns hier Jemand hören könnte! Wir befinden uns noch zu nahe an Ihrer Heimath, wo man Sie leicht an Ihrer Stimme erkennen kann. Schweigen Sie noch.«
So schoß der Schlitten schnell auf der durch den Wald führenden Straße dahin. Da mit einem Male trat ein Mann vor ihnen mitten auf dieselbe und gebot mit lauter Stimme: »Halt!«
Und als der Baron nicht sofort die Zügel anzog, sprang der Mann, um von den Pferden nicht getreten zu werden, auf die Seite, legte das Gewehr an und fuhr drohend fort: »Halt! sage ich! Oder soll ich die Pferde niederschießen?«
Jetzt folgte der Baron dem Befehle, raunte aber dabei den beiden Schmieden leise zu:
»Ihr habt Euch doch die Worte gemerkt?«
Er hatte sie nämlich während des Umkleidens instruirt, wie sie sich zu verhalten hätten, falls sie angehalten würden.
»Ja,« antwortete Wolf leise.
Der Schlitten hielt an, und jetzt traten noch drei Bewaffnete unter den Bäumen hervor. Der Erstere schien der Anführer des kleinen Piquets zu sein, denn er erkundigte sich: »Wem gehört dieser Schlitten?«
»Mir.«
»So! Bitte, wer sind Sie?«
»Warum?«
»Das mag dahin gestellt sein. Sie sehen aus meiner Uniform, daß ich Gensd’arm bin. Ich habe also jedenfalls das Recht, eine solche Frage auszusprechen, ohne die Gründe einem Jeden mittheilen zu müssen. Also, mein Herr, wer sind Sie?«
»Ich bin der Baron Franz von Helfenstein.«
»Ah! Lassen Sie sehen!«
Er trat ganz nahe an den Schlitten heran und blickte dem Baron scharf in das Gesicht.
»Ja, Sie sind es. Glücklicher Weise sind Sie mir nicht ganz unbekannt. Das erspart Ihnen Unannehmlichkeiten. Wohin wollen Sie?«
»Haben Sie auch Veranlassung zu dieser Frage?«
»Ja, sonst würde ich sie einem solchen Herrn gegenüber wohl nicht auszusprechen wagen.«
»Nun, ich will nach Hellershausen.«
Das war nicht wahr. Er wollte ja nach einem ganz anderen Ziele, hütete sich aber, dies zu nennen. Hellershausen war zwar auf dieser Straße zu erreichen, lag aber so seitwärts, daß bereits nach einer halben Stunde links eingebogen werden mußte.
»Schön! Wer sind diese beiden Herren?«
»Freunde von mir.«
»Woher? Darf ich ihre Namen wissen? Sie verzeihen, daß ich mich infolge meiner Instruction auch zu dieser Frage gezwungen sehe.«
»Monsieur de Latour und Graf de la Messangerie, zwei Franzosen, wie Sie aus den Namen ersehen.«
»Bestätigen Sie das, meine Herren?«
Er trat dabei an Wolf heran und blickte ihm in das Gesicht. Der Alte trug, ebenso wie sein Sohn, einen falschen Vollbart und brummte verdrießlich vor sich hin: »Nous comprenons nix deutsch!«
Das waren die Worte, welche ihnen der Baron eingelernt hatte. Zum Glück war der Gensd’arm der französischen Sprache nicht im Mindesten mächtig. Er begnügte sich mit dieser Antwort.
»Schön, meine Herren! Fahren Sie weiter!«
Der Baron hob die Zügel, und die Pferde setzten sich schnell wieder in Trab. Als sie eine genügende Strecke zurückgelegt hatten, um nicht gehört zu werden, sagte er, aber doch noch leise: »Welch ein Glück, daß dieser Mensch nicht Französisch verstand! Hätte er Euch in dieser Sprache gefragt, so wären wir wohl nicht so ungerupft davongekommen. Wir scheinen Glück zu haben.«
Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald immer mehr, und dann führte die Straße durch offene Felder. Der Schnee lag wie ein weißes, endloses Tuch auf denselben, und man konnte einen jeden Gegenstand auf ziemliche Entfernung hin deutlich erkennen.
»Jetzt können wir nicht belauscht und überrascht werden,« meinte der Baron. »Wir wollen also endlich reden.«
Er gab die Zügel locker und setzte sich so, daß er den beiden hinter ihm Sitzenden nicht mehr den Rücken zukehrte.
»Vorhin hatten wir keine Zeit,« fuhr er fort. »Jetzt können wir das Versäumte nachholen. Also, wie ist das eigentlich gekommen, daß Ihr gefangen genommen wurdet?«
»Hm!« antwortete der Alte. »Das ist eine verdammte Geschichte! Wir haben heute die Heimath verloren; wir dürfen uns da niemals wieder erblicken lassen.«
»Was? Ist es wirklich so schlimm?«
»Ja. Erwischt man uns, so sind auch Sie verloren.«
»Wieso?«
»Weil man weiß, daß wir Zeugen sind, daß damals der Hauptmann nicht von dem Brandt erschossen wurde. Ergreift man uns, so sind wir gezwungen, Alles zu sagen.«
Der Baron schüttelte den Kopf. Es war ihm nicht ganz wohl zu Muthe, aber er ließ es sich nicht merken, sondern sagte: »Pah! Ihr habt Euch in’s Bockshorn jagen lassen!«
»Nein, nein! Wir sind unserer Sache gewiß!«
»Unsinn! Ihr Beide waret die einzigen Zeugen!«
»Das haben wir bisher auch geglaubt; aber der Fürst des Elendes weiß Alles.«
»Er schlägt nur auf den Strauch! Wenn Ihr nichts gesteht, so hat es keine Noth.«
»Oh, er weiß es dennoch, da er auch das Andere weiß!«
»Was?«
»Ich verstehe nicht. Von welchem Kinde?«
»Von dem Kinde der Botenfrau, welches gerade an jenem Tage begraben wurde, als Schloß Hirschenau wegbrannte.«
»Ich verstehe noch immer nicht. Was hat das Kind dieses alten Weibes mit dem Schloßbrand zu thun?«
Der Alte zögerte mit der Antwort und sagte dann stockend:
»Was es damit zu thun hat? Oh, viel, sehr viel!«
Er getraute sich natürlich sehr schwer mit der Wahrheit heraus.
»Na, was denn?«
»Hm! Wenn das Schloß nicht weggebrannt wäre, so läge das Kind noch im Grabe.«
»Unsinn! Sprecht doch deutlicher! Liegt das Kind denn nicht in dem Grabe, in welches es gelegt wurde?«
»Leider nein!«
»Warum denn nicht?«
»Das ist eben die Geschichte! Und gerade heute kommen sie und öffnen das Grab! Nun ist die ganze Geschichte verrathen. Der Fürst des Elendes wußte ganz genau, daß wir Beide das Schloß angezündet haben.«
»Ich sage Euch ja, daß er nur auf den Strauch schlägt.«
»Nein, sonst hätte man das Grab nicht geöffnet.«
»Aber, bei allen Teufeln, was ist es denn eigentlich mit diesem alten Loche? Ihr redet in lauter Räthseln!«
Da gab der Sohn dem Vater einen Rippenstoß und sagte:
»Hast Du denn wirklich gar so große Angst? Sage es doch gerade heraus! Fressen kann er uns nicht!«
Das war keine große Höflichkeit. Es lag vielmehr in diesen Worten eine Mißachtung, welche den Baron zu der raschen und scharfen Frage veranlaßte: »Wer kann Euch nicht fressen?«
»Sie!« antwortete Wolf Junior furchtlos.
»Ich? Ah! Das klingt ja ganz so, als ob es Etwas gebe, worüber ich ungehalten sein oder gar in Zorn gerathen könnte.«
»Das ist’s auch.«
»Nun, fressen werde ich Euch allerdings nicht; dazu seid Ihr alle Beide zu unappetitlich; aber ob ich es Euch hingehen lasse, wenn es sich um einen groben Fehler handelt, das ist denn doch die Frage. Also, heraus damit! Was ist’s mit dem Kinde?«
Der Alte schien sich vorgenommen zu haben, seinem Sohne die Schwierigkeit der Mittheilung überwinden zu lassen. Dieser antwortete: »Was soll es mit ihm sein? Es ist nicht begraben worden.«
»So? Warum nicht?«
»Weil wir es damals brauchten.«
»Wozu?«
»Es sollte verbrannt werden.«
Dieses Wort wirkte so auf den Baron, daß er mit einem starken Rucke die Pferde anhielt.
»Donnerwetter!« rief er. »Verstehe ich recht?«
»Jedenfalls.«
»Das Kind sollte verbrannt werden?«
»Ja.«
»Wohl gar an Stelle eines anderen?«
»Ja.«
Der Baron stieß zwischen den zusammengepreßten Lippen einen leisen, aber scharfen Pfiff hervor und sagte: »Kerls, nehmt Euch in Acht! Wenn meine Ahnung richtig sein sollte, so bekommt Ihr es mit mir zu thun!«
»Das wissen wir!« meinte der junge Schmied, der sich sagte, daß der Baron sich ja ebenso in ihren Händen befand, wie sie sich in den seinigen. Die Kräfte standen sich gleich.
»Wollt Ihr etwa sagen, daß das Kind der Botenfrau an Stelle des kleinen Robert verbrannt worden ist?«
»Ja, das wollte ich sagen.«
Da riß der Baron den Revolver hervor, hielt ihn auf den Alten und drohte im höchsten Zorn:
»Kerl, ich massacrire Dich!«
»Oho!« rief der Sohn. »Sehen Sie dieses Messer hier in meiner Hand? In demselben Augenblicke, an welchem Sie losdrücken, sitzt Ihnen die Klinge im Leibe! Wir sind bisher zwar Pascher, aber keine Mörder gewesen; zwingen Sie uns aber, so sind Sie der Erste, der uns zum Opfer fällt. Als Pascher haben wir Ihnen gehorcht; darüber hinaus liegt nur Unheil für Sie!«
Der Baron starrte ihn eine Weile an. Einen solchen Widerstand hatte er gar nicht für denkbar gehalten. Dann drehte er sich langsam um, steckte den Revolver ein und schlug mit der Peitsche so grimmig auf die Pferde los, daß sie erst kerzengerade in die Höhe stiegen und dann im vollen Carrière davonflogen.
Die beiden Schmiede stießen sich heimlich an. Sie merkten, daß es in ihm koche, und daß er jetzt mit sich zu Rathe gehe, wie er sich am Besten gegen sie zu verhalten habe.
Nach einer längeren Weile ließ er die Pferde wieder langsamer gehen und drehte sich zu Ihnen um. Beim Scheine des Schnees sahen sie, daß er leichenblaß war, und daß seine Augen tief in den Höhlen lagen. Er war von Dem, was er gehört hatte, bis in’s tiefste Leben getroffen worden. Seine Stimme zitterte und klang heiser, als er fragte: »Robert ist damals nicht verbrannt?«
»Nein,« antwortete der Sohn.
»Ja.«
»Wo?«
»Hm! Vielleicht kommt die Zeit, in der Sie das erfahren!«
»Oho! Ich muß es erfahren, und zwar sogleich!«
»Oho!« klang es als Echo zurück. »Soll das etwa gar eine Drohung sein?«
»Ja.«
»So sehen Sie her! Ich habe das Messer noch in der Hand!«
»Pah! Ich fürchte mich vor Euch nicht!«
»Wir vor Ihnen auch nicht!«
»Ihr seid Lügner und Verräther!«
»Sie wohl nicht?«
»Donnerwetter! Mir das?«
»Ja. Wir haben Ihren Mord verheimlicht. Sie versprachen uns eine Summe dafür. Sie haben uns nur die Hälfte gegeben. Dann, als wir uns mit Ihnen in Pascherei einließen, hatten Sie uns in der Hand; wenigstens glaubten Sie das, weil Sie dachten, uns zu Mordbrennern gemacht zu haben. Aber wir waren klug gewesen, wir hatten nicht gemordet!«
»Aber doch das Schloß weggebrannt.«
»Auf Ihren Befehl! Sie sind nicht nur unser Mitschuldiger, sondern sogar der Anstifter. Wir verschonten den Knaben. Wir waren Menschen und hatten Mitleid mit ihm. Wir verbrannten lieber eine Leiche. Das war zwar auch strafbar, aber doch kein Mord. Und noch aus einem anderen Grunde ließen wir den kleinen, unschuldigen Knaben leben.«
»Wir hatten Sie kennen gelernt, wir wußten, daß Ihnen nicht zu trauen sei. Wenn es sich um Ihren Vortheil handelt, gilt Ihnen ein Menschenleben nichts. Wenn Sie Einen nicht mehr brauchen, so ist es aus mit ihm, damit Sie keinen Verrath zu befürchten haben!«
»Ah! Das meint Ihr! Das wißt ihr?« stieß er hervor.
»Ja, wir haben es erlebt. Darum mußten wir ein Mittel haben, Sie in unserer Hand zu behalten. Und dieses Mittel ist – – nun, rathen Sie!«
»Der Knabe!« zischte er.
»Ja, der Knabe, der Baron Robert von Helfenstein.«
»Hallunken!«
»Schön! Hallunken mögen wir sein, doch Sie sind es, der uns dazu gemacht hat. Vorher waren wir ehrliche Schmuggler.«
Er kämpfte mit sich. Es verging wohl über eine Viertelstunde. Er sagte sich, daß es klug sei, sich scheinbar in das Unvermeidliche zu finden. Darum sagte er endlich: »Ihr habt schlecht und treulos gegen mich gehandelt, Ihr Kerls, ganz außerordentlich treulos!«
»O, nicht schlecht, sondern nur klug.«
»Also, ich soll nicht erfahren, wo dieser Robert sich befindet?«
»Nein.«
»Oho! Warum nicht?«
»Weil Sie ihn aus der Welt schaffen würden!«
»Das fällt mir gar nicht ein.«
»O, wir kennen Sie!«
»Nein. Es würde mir genügen, wenn Ihr mir versprecht, daß er nie erfahren soll, wer er ist.«
»Wir würden dabei unsern besten Trumpf aus der Hand geben.«
»Ich bezahle ihn Euch.«
»Womit?«
»Mit Geld.«
»Das werden Sie bleiben lassen. Eine Kugel bekämen wir, aber kein Geld!«
»Seid nicht so unsinnig! Sagtet Ihr nicht, daß Ihr nie wieder nach Helfenstein zurück dürftet?«
»Ja, das ist sicher.«
»Nun, so seid Ihr ja verloren, wenn ich mich Eurer nicht annehme. Ihr seid flüchtig, vogelfrei und mittellos!«
»Sie auch, sobald man uns erwischt.«
»Pah! Noch gebe ich nicht das Geringste auf. Ich werde Euch mit Geld versehen, um Euch fortzuhelfen. Ihr sollt Euch in der Fremde eine Existenz gründen.«
»Das klingt schön, doch müssen wir erst sehen, ob das wahr ist, ob Sie auch Wort halten!«
»Ich halte Wort!«
»Das würde für beide Theile gut sein!«
»Noch glaube ich nicht, daß Eure Lage so sehr bedrängt ist. Erzählt mir einmal, wie Alles gekommen ist. Ich werde dann klar sehen und wissen, was zu thun ist. Also, wie war es damals in jener Nacht, in welcher das Schloß wegbrannte?«
Der junge Schmied erzählte alles, nur nicht, was sie dann mit dem kleinen Robert angefangen hatten.
»Wie treulos und – wie dumm!« sagte der Baron, als der Erzähler geendet hatte. »Wohin habt Ihr den Knaben gethan?«
»Davon später!«
»Meinetwegen! Hat denn damals Jemand Etwas gemerkt?«
»Nein.«
»Auch der Todtengräber nicht?«
»Die alte, ehrliche Haut? Hätte der nur das Geringste gemerkt, so wäre der Leichendiebstahl sicherlich verhindert worden.«
»Ich glaube selbst auch, daß Alles unbemerkt abgegangen ist, denn sonst hätte man die Sache nicht erst heute untersucht. Es bleibt also nur Eins zu vermuthen. Hm!«
»Daß man erst kürzlich entdeckt hat, daß Robert noch lebt. Vielleicht eine Familienähnlichkeit oder etwas Derartiges! Aber, da kommt mir ein Gedanke! Wie war der Junge gekleidet?«
»In sein Nachthabitchen!«
»Hat er das behalten?«
»Nein.«
»Also doch nicht, was ich vermuthete. Ich hielt es nämlich für möglich, daß er vielleicht Etwas an sich getragen hätte, was als Kennzeichen dienen könnte.«
Da gab der Alte dem Jungen einen Stoß.
»Du!« sagte er.
»Was?«
»Sollte etwa die Kette –«
»Donnerwetter! Ja, die Kette!«
»Welche Kette?« fragte der Baron schnell.
»Er trug eine Kette am Halse; die wollten wir dem armen Kerl nicht nehmen. Wir hätten für das Ding doch nicht viel bekommen, sie hätte uns vielmehr verrathen können.«
»O, Ihr Thoren, Ihr Esels! Nun hat sie es doch verrathen! Ja, so ist es, anders nicht! Was war es denn für eine Kette?«
»Sie war dünn und von Gold.«
»Nichts daran? Kein Medaillon?«
»Es hing so etwas wie ein Herz daran.«
»Ich weiß es nicht.«
»Waren Buchstaben darauf?«
»Ja drei; nämlich R.v.H.«
»Da sollen tausend Teufel dreinschlagen! Und diese Kette habt Ihr ihm gelassen?«
»Ja. Wir haben uns nichts dabei gedacht.«
»Das war mehr als unvorsichtig; das war wahnsinnig oder gar verrückt. Nun ist freilich Alles verrathen. Man hat die Kette beobachtet; man hat geforscht – ah, wußte der Fürst des Elendes von ihr?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber jedenfalls hat er sie gesehen. Er ist es; er allein ist es, der daraus seine Schlüsse gezogen hat. Die Kette muß her; ich muß sie haben! Sie ist der einzige Beweis, den man gegen uns hat. Wo aber befindet sie sich?«
»Wie sollen wir das wissen?«
»Ihr müßt doch wissen, wo der Knabe steckt!«
»Hm! Wir haben ihn in das Findelhaus geschafft.«
»Da ist er noch?«
»Nein.«
»Wo denn? Habt Ihr ihn später im Auge behalten?«
»Ja. Ein Musikant hat ihn aus dem Findelhause geholt und als Kind angenommen, ein Musikant und Schneider.«
»Wo denn? Welches Findelhaus war es?«
»Es war in der – ah! Was denn?«
Sein Sohn hatte ihm einen so derben Rippenstoß gegeben, daß er mitten in seiner Antwort inne hielt.
»Ich glaube gar, Du willst es ausplaudern!« zürnte er. »Warte erst, ob wir bezahlt werden!«
Aber der Baron beachtete diese Worte gar nicht. Er klatschte einige Male mit der Peitsche, als wolle er einem freudigen Gedanken Luft machen; dann sagte er, indem er die abgebrochenen Worte des Alten wiederholte: »Es war in der – – nun, wo denn? Jedenfalls in der Residenz. Anders kann das Wort nicht sein, welches auf diese vier Worte folgen muß. Nicht?«
Die Beiden blieben stumm. Darum fuhr er fort:
»Ihr seid auch heute noch so dumm wie damals! Mir könnt Ihr nichts verschweigen. Also in das Findelhaus der Hauptstadt habt Ihr ihn gebracht? Ein Musikant, der ein Schneider war, hat ihn angenommen? Vor zwanzig Jahren? Ah, das stimmt doch zu prächtig! Ihr habt gar nicht geahnt, daß ich diesen Schneidermusikanten kannte. Er wohnte in einem mir gehörigen Hause in der Wasserstraße und hieß Bertram. Habt Ihr Euch vielleicht das geistreiche Vergnügen gemacht, im Findelhause wissen zu lassen, wie der Knabe heißt?«
»Wir haben auf einem Zettel angegeben, daß er getauft ist und Robert heißt,« sagte der Alte.
»Schön! Robert Bertram! Da haben wir ihn!«
»Verdammt!« stieß der junge Schmied hervor.
»Nicht wahr? Nun ärgert Ihr Euch, mir so wohlfeil auf die Sprünge geholfen zu haben? Ich weiß nun das, was ich Euch hätte theuer bezahlen müssen.«
Er sah aber sofort ein, daß es besser sei, sie nicht unwillig zu machen; darum fügte er begütigend hinzu: »Na, Euer Schaden soll es trotzdem nicht sein! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr mit mir zufrieden seid. Aber es ist sehr gut, daß ich nun klar sehe. Euer Fehler läßt sich wieder gut machen. Wißt Ihr vielleicht, was jüngst mit dem Jungen geschehen ist?«
»Nein.«
»Auch nicht, daß er eingesteckt worden ist?«
»Nein. Eingesteckt? Weshalb?«
»Weil er ein Einbrecher war. Er ist da mit der Polizei und den Gerichten in Berührung gekommen. Man hat nach seinem Herkommen geforscht, er hat die Kette vorgezeigt, und man hat weiter geforscht. Ah, darum also die Behandlung, die ihm geworden ist, und darum diese Protection und seine Freisprechung! Aber ich weiß nun, was zu thun ist. Lebt der alte Todtengräber noch?«
»Ja, bei seinem Sohne, der Gefängnißwachtmeister in der Residenz ist.«
»Wachtmeister Uhlig! Ah, auch das stimmt. Mir wird Alles klar. Man ist auf den Gedanken gekommen, daß Robert von Helfenstein gar nicht verbrannt ist. Und weil man damals doch verkohlte Kinderknochen gefunden hat, so müssen die von einer anderen Leiche gewesen sein. An demselben Tage wurde das Kind der Botenfrau begraben, und Ihr Beide habt dem alten Uhlig geholfen, das Grab zuzuschütten – – da habt Ihr die ganze Combination!«
»Alle Wetter!« sagte Wolf. »Also wirklich nur auf den Busch geschlagen!«
»Natürlich! Ihr habt doch nichts eingestanden?«
»Kein Wort.«
»Das ist gut, sehr gut!«
»Aber der Fürst des Elendes hat uns belauscht.«
»Wo denn?«
»An der Kirchhofsmauer. Er hat da ein jedes Wort gehört, welches wir gesprochen haben.«
»Ihr Esels! Wie kamt Ihr denn an die Mauer?«
Sie erzählten es. Als sie den Bericht beendet hatten, zankte er sie tüchtig aus und fügte hinzu:
»Ihr seht nun ein, wie dumm Ihr gehandelt habt! Jetzt tritt der Fürst als Zeuge gegen Euch auf. Aber ich werde ihm den Mund stopfen. Sagtet Ihr nicht, daß er dann bei Euch gewesen sei?«
»Ja. Er gab sich für einen Spiritisten aus.«
»Um Euch zu überrumpeln.«
»O, er hat nichts erfahren, gar nichts!«
»Schön! Ich werde Euch jetzt sagen, was Ihr zu thun habt. Ihr habt gar nichts zu befürchten.«
Der Alte holte tief Athem und meinte:
»Gott sei Dank! Wenn das wahr wäre!«
»Es ist wahr!«
»Bei meinem Alter flüchtig werden und von Haus und Hof fort müssen, das ist traurig!«
»Ihr werdet wieder zurückkehren können, ohne daß man Euch etwas thut. Die Kette werde ich bekommen und vernichten. Der Fürst des Elendes wird verschwinden. Was kann Euch dann geschehen, he?«
»Dann allerdings nichts, gar nichts! Mit der Kette werden Sie freilich fertig werden, ob aber auch mit dem Fürsten –?«
»Sicher! Ganz gewiß!«
»Schön! Aber bis dahin?«
»Bis dahin verbergt Ihr Euch.«
»Wo denn?«
»Drüben über der Grenze. Ich werde Winkler beauftragen, Euch ein Asyl zu geben. Das nöthige Geld sollt Ihr von mir bekommen!«
»Das läßt sich hören! Aber wann erhalten wir das Geld?«
»Noch heute, nachher. Ich habe zwar nicht soviel mitgenommen, aber ich werde es hier bekommen.«
»Aber wenn man uns dennoch ergreift?«
»So leugnet Ihr bis auf’s Blut. Ihr steht unter meinem Schutze und könnt versichert sein, daß ich Euch ganz gewiß bald die Freiheit wieder verschaffe.«
»Das ist wenigstens ein Trost. Aber, dort ist das Städtchen. Wohin fahren wir?«
Der Baron zog die Uhr.
»Alle Teufel!« sagte er. »Halb Zwei! Unser Gespräch hat meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen, daß ich viel zu langsam gefahren bin. Ich darf keinen Augenblick mehr verlieren. Es ist bereits die höchste Zeit.«
Er lenkte von der Straße ab und fuhr über die Felder um die Stadt herum. Er wollte vermeiden, gesehen zu werden. Unweit des Gartens, welcher Seidelmann gehörte, hielt er an.
»Hier steigt Ihr aus,« sagte er. »Ihr schleicht Euch nach dem Schachte und geht zum Wächter Laube. Ist er nicht da, so steckt Ihr Euch in den Schuppen. Er ist voller Stroh, so daß Ihr nicht frieren werdet. Dort wartet Ihr, bis ich komme. Ihr kennt den Schuppen?«
»Ja. Aber Sie werden gewiß kommen?«
»Ganz sicher! Laßt Euch nur nicht sehen oder vielleicht gar ergreifen. Heute gilt es, doppelt vorsichtig zu sein.«
Sie stiegen aus und entfernten sich. Auch er verließ den Schlitten. Er hatte bei einem kleinen Gehölze angehalten, zog einen Strang los und band die Zügel an einen jungen Baumstamm. Dabei brummte er vor sich hin: »Wie gut, daß ich verboten habe, das Schellengeläute anzulegen. Das würde mich verrathen.«
Und ein halblautes, höhnisches Lachen ausstoßend, setzte er hinzu:
»Diese dummen Kerls! Mich haben sie betrügen wollen und werden nun selbst die Betrogenen sein. Sie sind die einzigen directen Zeugen; das Andere ist Alles nur Vermuthung. Sie müssen also ebenso verschwinden, wie die Kette und der Fürst des Elendes verschwinden wird. Doch vorwärts jetzt!«
Er begab sich nach dem Gartenzaune und stieg darüber. Hinten war ein Fenster erleuchtet. Er klatschte leise in die Hände und wurde doch sofort gehört. Der Kopf eines Mannes erschien an der hellen Scheibe. Sofort griff er mit der rechten Hand nach dem rechten Auge. Das Fenster wurde geöffnet, und eine halblaute Stimme fragte: »Wer ist’s?«
»Der Hauptmann!«
»Sakkerment!«
Eine Minute später wurde die hintere Thür geöffnet, und Seidelmann trat heraus.
»Kommen Sie, gnädiger Herr!« sagte er.
»Sind Sie allein?«
»Nein.«
»Wer ist bei Ihnen?«
»Was will er?«
»Ich habe ihm für heute Nacht einige Weisungen zu ertheilen.«
»Er kann hören, was wir haben; aber erkennen darf er mich nicht. Kommen Sie herauf!«
Während er eintrat, zog er eine schwarze Maske hervor, welche er mitgebracht hatte, und band sie vor das Gesicht. Droben erhob, als sie eintraten, der Wächter sich von seinem Stuhle, auf welchem er gesessen hatte. Der Baron beachtete ihn zunächst gar nicht, sondern fragte Seidelmann: »Winkler war hier?«
»Ja.«
»Das Unternehmen ist heute?«
»Ja, das doppelte.«
»Doppelt? Wieso?«
»Der Andre war auch da.«
»Der Andre? Wer?«
»Ich kenne ihn nicht. Er war zweimal da, vorgestern und gestern. Es wird ein großes Geschäft.«
»Donnerwetter!« klang es unter der Maske des Barons hervor. »Ein Anderer? Haben Sie selbst mit ihm gesprochen?«
»Gestern ich und vorgestern mein Bruder.«
»Wie sah er aus?«
»Ich habe sein Gesicht gar nicht gesehen. Hier Laube aber muß es sich betrachtet haben. Durch ihn hat er sich anmelden lassen.«
»Natürlich!«
»Hatte er auch das Zeichen?«
»Ja.«
»Welches Aussehen hatte er?«
Diese letzten Worte waren an den Wächter gerichtet, welcher Arndt so beschrieb, wie er ihn gesehen hatte.
»Kenne ich nicht!« sagte der Baron. »Das ist Verrath!«
»Verrath?« fragte Seidelmann erschrocken.
»Ja. Ich komme nämlich, um Ihnen zu sagen, daß Sie abgefangen werden sollen. Die Polizei weiß, was wir vorhaben.«
»Herrgott!« stöhnte Seidelmann, indem er auf einen Stuhl sank.
»Ja. Dieser verdammte Fürst des Elendes hat seine Hand mit im Spiele. Aber hier hilft kein Erschrecken. Wir müssen so schleunig als möglich handeln. Vorher aber muß ich mich orientiren. Wann ist das Zusammentreffen?«
»Zwei Uhr.«
»Im Haingrunde?«
»Diesseits desselben.«
»Hm! Wer leitet es?«
»Mein Sohn. Ich wollte jetzt auch hinaus.«
»Ist Ihr Sohn bereits fort?«
»Seit einer Viertelstunde.«
»Vielleicht ist noch Zeit zur Warnung. Den Leuten können sie nichts anhaben, wenn diese keine Waaren haben. Wir müssen also sorgen, daß die Waaren gar nicht anlangen.«
Seidelmann war fieberhaft erregt. Er sagte:
»Wir müssen fort, fort, sogleich!«
»Halt! Dennoch keine Ueberstürzung! Giebt es einen Weg, auf welchem wir den jenseitigen Ausgang des Haingrundes unbemerkt erreichen können?«
»Nein. Der einzige Weg ist jedenfalls verlegt, wenn die Sache verrathen ist.«
»So müssen wir gerade durch den Wald?«
»Ja.«
»Gut! Sehen wir, daß wir die Packträger von drüben noch jenseits fassen können. Sie müssen umkehren; dann ist Alles gerettet.«
»Mein Sohn! Mein Sohn!«
»Pah! Sind keine Packete da, können sie ihm nichts anhaben. Haben Sie Waffen da?«
»Büchsen?«
»Unsinn! Messer und Revolver.«
»Genug!«
»So eilen Sie! Wir müssen uns bis an die Zähne bewaffnen. Auch zwei Betttücher. Schnell!«
Seidelmann eilte fort. Der Baron wendete sich nun an den Wächter und fragte:
»Kennst Du mich?«
»Nein.«
»Ich bin der Hauptmann selbst.«
»Ah!« antwortete der Mann, sich tief verneigend.
»Der Kerl, welcher gestern und vorgestern bei Dir gewesen ist, war jedenfalls der Fürst des Elendes. Er weiß also, daß Du im Bunde bist. Geht es uns heute fehl, so wird man Dich jedenfalls arretiren.«
»Mein Gott!«
»Nicht jammern! Ich werde sorgen, daß Dir nichts geschieht. Komm her an das Fenster. Siehst Du dort das kleine Gehölz?«
»Ja.«
»Da steht ein Schlitten mit zwei Pferden. Du gehst jetzt hin und bewachst das Geschirr, bis ich komme. Du sollst darauf sehen, daß die Pferde nicht laut werden oder gar ausbrechen. Jetzt fort! Das Weitere wird sich finden!«
Der Wächter war kaum hinaus, so kehrte Seidelmann zurück.
»Ist Ihr Sohn direct nach dem Haingrunde?« fragte der Baron.
»Ja. Seine Leute sind punkt zwei Uhr bestellt.«
»So scheint es, daß wir noch Zeit haben. Vorwärts!«
Sie stiegen über den Zaun und schlichen dem Walde zu, aber sorgfältig die Richtung vermeidend, in welcher Grenzer und Gensd’arme zu vermuthen waren. – –Arndt und der alte Förster hatten ihre beiden Pferde angestrengt. Sie erreichten das Städtchen punkt zwölf Uhr, gaben den Schlitten nebst den Pferden an den Besitzer zurück und gingen dann zu Fuße nach dem Forsthause.
Dort wurden sie bereits erwartet. Der Staatsanwalt befand sich da und hatte einen Grenzofficier und den Obergensd’arm mitgebracht. Diese beiden Letzteren betrachteten Arndt mit großer Aufmerksamkeit, weil sie erfahren hatten, daß er der Fürst des Elendes sei.
Mutter Barbara hatte geheizt, daß der Ofen glühte, und für den seltenen Besuch ein Mahl aufgetragen.
»Endlich!« sagte sie. »Wir dachten bereits, daß Ihr gar nicht kommen würdet.«
»Und da wurdest Du eifersüchtig?« scherzte der Förster.
»Auf wen denn?«
»Na, auf die Helfensteiner Mädels.«
»Pah! Dich alten Knaster guckt doch keine mehr an!«
»Oho! Denkst Du etwa, daß ich heute keine Rolle dort gespielt habe? Eine sehr große Rolle!«
»Du jedenfalls nicht, Alter!«
»Hopp, hopp! Wir hatten eine Exhumirung!«
Da war das Wort heraus. Der gute Alte hatte nicht gedacht, daß es dem Vetter Arndt wohl lieber sei, wenn von dieser Angelegenheit gar nicht gesprochen würde.
Der Staatsanwalt stutzte auch sofort und fragte:
»Eine Exhumirung? Höre ich recht? Eine Leiche ist ausgegraben worden, Herr Förster?«
»Jawohl!«
»Auf wessen Antrag?«
»Der da war es.«
Er deutete dabei auf Arndt. Dieser wehrte mit der Hand ab und sagte:
»Bitte, jetzt nicht hiervon. Später findet sich wohl auch Gelegenheit dazu. Ich habe Hunger. Lassen Sie uns zulangen und dabei das Naheliegende besprechen. Darf ich erfahren, welche Vorbereitungen Sie getroffen haben, Herr Staatsanwalt?«
»Gewiß. Ich habe sechszig Mann mit.«
»Wo?«
»Hier hinter dem Hause im Gebüsche.«
»Ah, Sie haben noch Keinen detachirt?«
»Nein. Ich erzählte dem Herrn Obergensd’arm von Ihnen, und er gab mir den guten Rath, nichts zu unternehmen, bevor ich nicht mit Ihnen gesprochen hätte.«
Arndt nickte dem Obergensd’arm dankbar zu und antwortete:
»Sehr verbunden. Es ist mir lieb, daß Sie diesem Rathe Folge geleistet haben. Es ist mir nämlich während unserer Heimfahrt ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung mir sehr vortheilhaft zu sein scheint. Ihre Mannschaften sind bewaffnet?«
»Ja, natürlich.«
»Die Pascher jedenfalls auch?«
»Es läßt sich das wenigstens erwarten.«
»Ich hoffe dennoch, daß wir alle ohne Blutvergießen in die Hände bekommen werden.«
»Oho! Das wäre ein Wunder!«
»Wie man es anfängt! Locken wir sie in eine Falle!«
»Das wird sehr schwer halten.«
»Vielleicht leichter, als Sie denken. Ist Ihnen hier die rothe Mühle bekannt?«
»Gewiß. Soll diese etwa die Falle sein?«
»Ja, allerdings.«
Da machte der alte Förster eine Bewegung des Schreckes und sagte:
»Was fällt Ihnen ein, Vetter! Wollen Sie den guten Wilhelmi in Verlegenheit bringen?«
»Nein, sondern zu einer Belohnung will ich ihm verhelfen.«
»Wieso?«
»Weil er mein Verbündeter ist.«
»Sapperment! Der? Davon habe ich ja gar nichts gewußt. Hast Du es gewußt, Bärbchen?«
»Man braucht nicht Alles mitzutheilen, selbst einem Vetter nicht,« lachte Arndt. »Ich habe dem Musterzeichner und seinem Bruder sehr viel zu verdanken. Sie haben mich auf die Spur gebracht.«
»Auch dem Musterzeichner?«
»Ja. Der Waldkönig ist bei Beiden gewesen.«
Das interessirte den Staatsanwalt natürlich am meisten. Er griff sogleich in das Gespräch ein, indem er fragte: »Was hat er bei diesen Beiden gewollt?«
»Den Musterzeichner hat er als Briefträger engagirt. Dieser hat so gethan, als ob er bereit sei, mir aber Mittheilung davon gemacht.«
»Warum dem Gerichte nicht?«
»Weil er glaubte, durch mich Dasselbe zu erreichen, und weil es erst in voriger Nacht geschehen ist. Ich bat ihn, zu schweigen.«
»Schön! Und sein Bruder, der Müller?«
»Sollte dem Waldkönig seinen Keller vermiethen.«
»Donnerwetter!« stieß der Förster hervor. »Der König war wohl gar selbst bei ihm?«
»Ja.«
»Warum hat er das nicht gemeldet?« fragte der Staatsanwalt.
»Er sagte es mir.«
»Hm! Man scheint, wie es mir vorkommt, hier zu denken, daß Sie die Direction führen!«
»In dieser Angelegenheit führe ich sie allerdings. Ich habe auch den Müller um Verschwiegenheit gebeten.«
»Aber wozu wollte der König den Keller?«
»Zum Zuschütten. Es liegt hier ein Räthsel vor, welches man noch zu ergründen hat. Vielleicht gelingt dies uns heute. Ich möchte vorschlagen, als Belohnung für den Müller die Pascher nebst ihren Anführern bei ihm zu fangen.«
»Glauben Sie, daß dies von Vortheil sein wird?«
»Ja. Es wird dadurch alles Blutvergießen verhütet.«
»Wie wollen Sie das anfangen?«
»Soviel ich weiß, kommen die fremden Pascher mit Ihren Packeten zuerst. Ich führe sie zur Mühle –«
»Sie denken, daß sie Ihnen folgen werden?«
»Ja. Sie werden mich für den Pascherkönig halten.«
»Unglaublich!«
»Ganz sicher.«
»Wie wollen Sie die Leute zu diesem Glauben bewegen?«
»Das lassen Sie meine Sorge sein! Ich begebe mich jetzt nach der Mühle, um mit dem Müller zu sprechen. Sie finden sich nach einiger Zeit mit Ihren Mannschaften ein. Diese Letzteren werden heimlich in die Mühle postirt, und nachher führe ich die Pascher hinein in die Wohnstube. Dann sind sie unser.«
»Aber, ich bitte Sie, glauben Sie wirklich, daß die Pascher in diese Falle gehen werden?«
»Gewiß.«
»Aber fein ist die Schlinge ganz und gar nicht!«
»Es wird sich zeigen, wer Recht hat.«
Der Gefragte zuckte die Achseln, der Grenzofficier ebenso; aber der alte Förster meinte:
»Hört, Ihr Leute, macht, was er will. Er hat ganz sicher wieder einmal einen Geniestreich ausgeheckt, der Haare auf den Zähnen hat. Ich gehe auch mit!«
»Alter! Was fällt Dir ein!« warnte Frau Barbara.
»Nichts fällt mir ein, als daß ich mir den Spaß auch mit ansehen will. Verstanden, meine Alte?«
»Aber die Gefahr!«
»Gefahr? Rede keinen Unverstand! Der Vetter saßt, daß kein Blutvergießen stattfinden werde, und er weiß zu halten, was er verspricht!«
»Recht so!« lobte Arndt. »Meine Herren, es ist jetzt nicht Zeit, lange Berathungen zu halten. Ich verspreche Ihnen, die Pascher in Ihre Hände zu liefern, wenn Sie binnen jetzt und einer Viertelstunde sich so nach der Mühle schleichen, daß Sie von keinem Schmuggler gesehen werden. Gehen Sie darauf ein, gut! Wo nicht, dann machen Sie, was Sie wollen. Ich werde in diesem Falle in der Mühle abwarten, ob Ihnen der Fang gelingt. Ich gehe!«
Er entfernte sich und hörte nur noch die Stimme des Försters:
»Wer klug ist, der folgt ihm. Er weiß, was er will; das habe ich heute ganz deutlich gesehen.«
Die Mühle klapperte laut, ein Zeichen, daß Wilhelmi auch heute in Arbeit sei. Er hörte klopfen und öffnete. Als er Arndt erblickte, war sein Erstaunen ebenso groß, wie seine Freude über diesen so unerwarteten Besuch.
»Sie sind es, Herr!« sagte er. »Willkommen! Bringen Sie Gutes oder Schlimmes?«
»Gutes. Ist Ihre Frau noch wach?«
»Ja; aber soeben wollte sie zur Ruhe gehen.«
»So lassen Sie uns zu ihr gehen. Ich glaube, daß sie heute nicht viel Ruhe finden wird!«
»Weshalb?«
»Kommen Sie nur erst herein!«
Auch die Müllerin freute sich über Arndt’s Kommen und war ebenso neugierig wie ihr Mann, den Grund desselben zu erfahren. Arndt platzte gleich heraus: »Wollen Sie mir helfen, den Waldkönig zu fangen?«
Da erschraken Beide. Wilhelmi sagte:
»Wir? Ihnen? In wiefern denn?«
»Indem ich ihn in Ihre Mühle locke!«
»Herrgott! Das ist zu gefährlich!« sagte die Frau.
»O nein. Wissen Sie, daß ein Preis auf ihn gesetzt ist?«
»Ja. Ich glaube, fünfhundert Gulden.«
»Nun, die sollen Sie sich verdienen.«
»Wir? Fünfhun – hundert Gulden? O, warum denn nicht, wenn keine Gefahr dabei wäre!«
»Nicht die mindeste! Und außerdem werden Sie eine ganz bedeutende Prämie erhalten, denn wir werden auch eine große Anzahl Pascher hier fangen und ihnen viele theure Waaren abnehmen.«
Prämie? Das klang der Frau wie Musik in den Ohren. Aber sie hatte doch ihre Bedenken:
»Es wird gewiß sehr schwer sein?«
»Nein.«
»Oder gefährlich?«
»Auch nicht.«
»Der Waldkönig wird sich an uns rächen!«
»Er wird unschädlich sein.«
Der Müller hatte sich von seiner ersten Ueberraschung erholt. In so kurzer Zeit so viel Geld zu verdienen, das deuchte ihm ganz angenehm. Darum sagte er: »Dürfen wir erfahren, welchen Plan Sie haben?«
»Gewiß! Es giebt heute, wie ja immer, zwei Truppen Pascher: eine von drüben und eine von hüben. Die erstere bringt die Packete. Ich gebe mich für den Waldkönig aus und führe sie hierher. Sie legen die Packete in Ihrem Keller ab, und dann führe ich sie in diese Stube, indem ich thue, als ob sie hier einen Kaffee oder dergleichen erhalten sollten.«
»Die Pascher? Herein zu uns?« fragte die Frau, indem sie die Hände zusammenschlug.
»Fürchten Sie sich?«
»Natürlich! Jedermann würde sich da fürchten!«
»Aber Sie stehen ja unter meinem Schutze!«
»Was können Sie gegen so viele Leute!«
»Ich bin nicht allein. Es kommen sechszig Grenzer und Gensd’armen, welche sich drüben in der Mühle verstecken werden. Haben Sie auch nun noch Angst?«
»Sechzig? So viele? O, da brauchte es Einem vielleicht doch nicht bange zu sein.«
»Also wollen Sie?«
»Aber die Andern?«
»Nun, erst nehmen wir die Einen fest, und erst dann hole ich die Anderen.«
»Auch in die Stube?«
»Nein. Die werden in den Keller gelockt.«
»Hm! Mann, was sagst Du dazu?«
»Ich habe Vertrauen zu diesem Herrn.«
»Nun, wenn Du willst, so habe ich es auch.«
»Gut!« sagte Arndt. »So merken Sie sich das: Sie stellen Kaffeetassen auf die beiden Tische, welche Sie zusammenschieben. Wenn ich Ihnen dann sage, daß Sie den Kaffee bringen sollen, gehen Sie zwar nach der Küche, aber von dort schnell in die Mühle, um den Grenzern zu sagen, daß sie kommen sollen. Das Uebrige findet sich dann von selbst.«
»Kaffee brauche ich also demnach nicht zu kochen?«
»Nein. Aber den Schlüssel zum Keller werde ich mir ausbitten, und eine Laterne. Der Waldkönig soll in demselben Keller gefangen werden, den er pachten wollte.«
»Hier ist der Schlüssel.«
»Gut. Ich gehe jetzt. Wenn die Grenzer kommen, so machen Sie sie mit dem bekannt, was ich Ihnen gesagt habe. Ihr Hof hat eine Pforte?«
»Ja, links hinaus.«
»Durch diese werden wir hereinkommen.«
Er nahm die Laterne, welche noch nicht brannte, und stellte sie draußen vor die Kellerthür. Eben als er durch die hintere Pforte trat, bemerkte er, daß die Grenzer vorn angekommen waren. Man hatte ihm also doch den Willen gethan. Er eilte vor, erblickte den Obergensd’arm und fragte: »Ist Ihnen Jemand begegnet?«
»Nein, auch glaube ich nicht, daß wir von irgend einer Person gesehen worden sind.«
»Das ist schön. Treten Sie ein! Die Müllersleute werden Ihnen meinen Plan mittheilen.«
Jetzt nun begab er sich nach dem Haingrunde. Es war noch kein Mensch zu sehen, und auch im Schnee zeigte sich keine Fußspur. Er wanderte fort, und eben als er den jenseitigen Ausgang des Grundes erreichte, sah er eine Reihe von Gestalten, welche, Einer hinter dem Anderen schreitend, mit Packeten auf dem Rücken auf ihn zukamen.
Er stellte sich hinter einen Baum und band die bereit gehaltene schwarze Maske vor. Als sie näher kamen, bemerkte er, daß Einige, aber bei Weitem nicht Alle, Gewehre in der Hand trugen. Der Erste wollte an dem Baume vorüber, da trat Arndt vor. Der Mann erhob die Flinte, ließ sie aber sofort wieder sinken, als Arndt mit der rechten Hand nach dem rechten Auge griff.
»Sind schon Alle da?« fragte der Mann.
»Nein. Die Luft ist nicht rein. Kommt nach der rothen Mühle. Dort ist es sicherer.«
Er drehte sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, um und schritt ihnen voran. Die Männer folgten hinter ihm her. Auch sie trugen Masken. Es war klar, daß sie ihn für den Waldkönig selbst oder dessen Abgesandten hielten.
Er ging nicht im Grunde zurück, sondern er führte sie in den Forst hinein, gerade die Richtung, in welcher die Mühle lag, deren hintere Seite sie nach kurzer Zeit erreichten.
»Weiß es der Müller?«
»Ist er einer der Unsrigen?«
»Ich habe seinen Keller gepachtet.«
»Gescheit! Das ist bequem!«
Er führte sie in den Hof, wo kein Mensch zu sehen war, brannte die Laterne an und öffnete mit dem Schlüssel die Kellerthür. »Hier hinein!«
Er selbst trat ihnen voran. Sie folgten ihm, und ein Jeder legte sein Paket lautlos ab. Fast Alle rieben sich dann die Hände, da heute die Kälte eine wahrhaft schneidende war. Der, welcher bisher der Sprecher gewesen war, meinte: »Ist der Müller sicher?«
»Vollständig.«
»Hm! Die Mühle geht, er ist also noch wach?«
»Ja.«
»Sapperment! Wenn man etwas Warmes bekommen könnte! Hier sind wir sicher. Drei Stunden laufen bei dieser grimmigen Kälte, das ist nichts Kleines! Würden Sie es erlauben, Herr?«
Nichts konnte Arndt erwünschter kommen, als diese Frage.
»Ich habe bereits auch daran gedacht,« sagte er, »und Euch einen Kaffee bestellt.«
Ein Murmeln der Zufriedenheit durchlief die Reihe der Männer. Der Eine sagte:
»Ja, hier ist es anders, als draußen im Freien: erstens gemüthlicher, und zweitens sicherer. Einmal zur Thür hinein, so ist man geborgen. Aber wo trinken wir?«
»Die Tassen stehen drin auf den Tischen. Wollt Ihr aber lieber gleich hier trinken, so ist mir’s recht.«
»O nein; drin ist es wärmer.«
»So kommt!«
»Ja. Drin können wir auch gleich die Factura in Ordnung bringen, Herr!«
Arndt führte sie in die Stube, wo auf den Tischen die einladenden Tassen zu sehen waren. Zu seiner Freude legten Diejenigen, welche Gewehre trugen, diese gleich in der Ecke ab; er blieb natürlich dabei stehen, während sie sich an die Tische setzten.
Jetzt trat die Müllerin herein. Ihr Gesicht war sichtlich verlegen, doch konnte das gar nicht befremden. Beim erstmaligen Besuche solcher Leute hätte auch eine jede andere Frau ein nicht ganz sicheres Benehmen gezeigt.
»Bringen Sie den Kaffee herein!«sagte Arndt zu ihr.
Sie ging in die Küche; aber bereits im nächsten Augenblicke hörte sein scharfes Ohr ihren leisen Schritt, und dann das Knarren der Mühlenthür. Andere Schritte huschten dann über den Flur herüber. Jedenfalls horchte man nun an der Thür auf das Commandowort zum Oeffnen. Er griff in die Taschen, zog zwei Revolver hervor, spannte sie, hielt sie den Leuten entgegen und sagte: »Jetzt kommt das Warme, welches ich Euch versprochen habe. Wer von Euch sich rührt, der erhält eine Kugel! Herein!«
Das letzte Wort war laut und gebieterisch gerufen. Die Thür öffnete sich, und im Moment füllte sich das Zimmer mit Bewaffneten.
Ein einziger, aber vielstimmiger Schrei des Schreckes erscholl aus dem Munde der betrogenen Pascher; aber sie sahen so viele Gewehrläufe auf sich gerichtet, daß sie erkannten, daß Widerstand der reine Wahnsinn sei.
»Verdammter Kerl dort, das büßest Du uns!«
Dieses Wort rief der, welcher bisher den Sprecher gemacht hatte. Es war das Einzige, welches gesprochen wurde.
»Haben Sie Fesseln mit, Herr Obergensd’arm?« fragte Arndt.
Der Genannte lachte froh über den gelungenen Streich und antwortete:
»Keine Sorge! Mit Stricken sind wir genugsam versehen. Bindet sie Alle. Wer sich wehrt, wird so fest geschlossen, daß ihm das Blut aus dem Fleische spritzt!«
Diese Drohung wirkte: Die Gefangenen ließen sich binden, ohne sich zu sträuben. Der Obergensd’arm wendete sich dann mit der leisen Frage an Arndt: »Was aber nun?«
»Wir schaffen sie hinüber in die Mühle. Man kann nicht wissen, wer hier noch Zutritt nimmt.«
»Denken Sie, daß wir sie drüben ebenso sicher haben wie hier?«
»Warum nicht? Sie sind gefesselt, und außerdem erhält ein Jeder einen Mann Wache. Wir können ja glücklicher Weise über genug Leute verfügen.«
»Diese Letzteren werden aber nothwendig gebraucht!«
»Wozu?«
»Dann, wenn Sie die Anderen bringen.«
»Da brauchen wir keinen einzigen Mann.«
»Wieso?«
»Ich schließe sie Alle ein.«
»In den Keller?«
»Ja.«
»Wollen wir nicht erst nach den Packeten sehen?«
»Nein. Ich habe keine Zeit dazu. Und wenn ich die Leute bringe, so müssen sie die Packete auch wirklich im Keller sehen, um nicht Verdacht zu schöpfen.«
»Schön! Ganz wie Sie wollen! Ich wünsche nur, daß der zweite Theil Ihres Streiches ebenso gelingt, wie der erste!«
»Hoffen wir es.«
»Nehmt ihnen die Masken ab!«
Dieser Befehl des Gensd’armes wurde ausgeführt, und nun war manches Gesicht zu sehen, welches den Beamten nur zu gut bekannt war, und dessen Besitzer öfters schon die Bekanntschaft des Strafrichters und auch des Gefängnisses gemacht hatte. Arndt bekümmerte sich nicht darum. Er ging wieder fort, dem Haingrunde zu.
Als er diesen erreichte und an seine Uhr sah, zeigte diese auf halb nach der ersten Stunde. Er lauschte, hinter einem Baume stehend. Niemand war zu sehen. Bald aber hörte er nahende Schritte. Es kam ein Mann, welcher eine Maske vor das Gesicht gebunden hatte. Als derselbe vorübergehen wollte, sagte Arndt mit gedämpfter Stimme: »Halt! Die Parole!«
»Gottfried von Bouillon!« lautete die Antwort.
»Gut!«
Er trat hinter dem Baume hervor und reichte dann dem Ankömmlinge die Hand.
»Kommen die Andern bald?«
»Ich habe sie für jetzt bestellt.«
Aus diesen Worten erkannte Arndt, daß er einen der beiden Seidelmanns vor sich habe.
»Schön!« sagte er. »Haben Sie auch die Parole ausgegeben, Herr Seidelmann?«
»Natürlich! Ah, Sie kennen mich! Vater sagte allerdings, daß er gestern bemerkt habe, Sie seien der Hauptmann selbst.«
Hätte Arndt geahnt, daß auch der Baron nahe sei, so hätte er seine Rolle jedenfalls mit etwas weniger Vertrauen gespielt. Er antwortete: »Wer ich bin, ist gleich; aber seien Sie froh, daß ich hier bin. Ohne mich wäre doch die Sache wieder ganz verteufelt in die Brüche gegangen.«
»Ist’s möglich?«
»Sogar wirklich!«
»Inwiefern?«
»Ich befinde mich bereits zwei Stunden hier in der Nähe und habe sehr aufmerksam recognoscirt. Es patrouilliren Grenzer durch die Schlucht.«
»Sapperment!« sagte Fritz Seidelmann erschrocken. »Was ist da zu thun? Wir müssen Denen da drüben entgegen, um sie zu warnen!«
»Ist bereits geschehen. Sie sind in Sicherheit.«
»Wo?«
»In der Mühle.«
»Was? In der rothen Mühle?«
»Natürlich! Es ist ja keine andere in der Nähe.«
»Alle Wetter! Wie kommen Sie auf die Mühle? Halten Sie dieselbe für sicher?«
»Ja. Sie nicht?«
»Man ist sich über Wilhelmi noch nicht klar geworden.«
»Und dennoch haben Sie seinen Keller gemiethet!«