»Dafür wird gesorgt. Daß wir dem Staudigel einen Streich spielen wollen, und zwar während dieses Abendessens, das weiß der Fürst; von meinem gegenwärtigen Plane aber hat er keine Ahnung. Ich werde morgen früh mit ihm darüber sprechen. Bis dahin haben auch Sie Zeit, sich zu überlegen, ob Sie wollen oder nicht.«

»Schön! Aber ich denke mir, daß ich wollen werde. Wer weiß, ob ich in meinem ganzen Leben wieder einmal Gelegenheit zu solch’ einem Schwank und zu einem so hochfeinen Abendbrote bekomme. So etwas darf man nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Ich kam eigentlich hierher, um etwas zu essen, nun aber werde ich das nicht thun. Ich habe zu Mittag wenig gegessen und werde nun direct bis morgen Abend hungern. Wenn es mir einfällt, trinke ich sogar einen Topf voll Aloë mit Sennesblättern aus, um mir den Speisekanal ja ganz leer zu machen. Dann soll dieser Herr Baron von Staudigel einmal sehen, wie Mademoiselle Leda einhauen kann. Er soll denken, er habe eine ganze Companie Gardekürassiere zum Essen geladen.«

Es wurde noch Manches hin und her besprochen, dann machte zuerst Vater Werner Miene aufzubrechen. Holm erklärte, daß er ihn eine Strecke begleiten werde. –Als sie dann miteinander langsam die Straße entlang schritten, sagte Holm zu dem Alten:

»Sie glauben heute in dem Engagement ihrer Tochter ein Glück gefunden zu haben; ich will das keineswegs bestreiten; aber vielleicht habe ich eine Mittheilung für Sie, welche ein viel größeres und zweifelloseres Glück für Sie und Ihre ganze Familie enthält.«

»Was wäre das? Sprechen Sie, mein lieber Herr Holm!«

»Ich bin ganz im Stillen für Ihre Laura thätig gewesen.«

»Oh, ist das wahr?«

»Ja. Ich habe einige Erfolge gehabt.«

»Herrgott! Das wäre allerdings ein großes, großes Glück!«

»Ich habe seit heute sogar Hoffnung, daß Ihnen Ihre Tochter recht bald wiedergegeben wird!«

»Das wohl schwerlich!«

»Warum?«

»Sie hält nicht um Gnade an.«

»Das ist ganz recht; sie braucht keine Gnade.«

»Und doch sagen Sie, daß es möglich sei, sie bald in Freiheit zu sehen?«

»Ja, das sage ich.«

»So müßte Ihre Unschuld erwiesen sein!«

»Ich denke, daß es uns gelingen wird, diesen Beweis zu führen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen etwas Bestimmtes anvertrauen darf, mein lieber Papa Werner?«

»Thun Sie es, o thun Sie es!«

»Sie müßten aber schweigen, unverbrüchlich schweigen, wenigstens bis übermorgen.«

»Gern, o gern! Ich schwöre Ihnen alle Eide, daß kein Mensch von mir ein Wort erfahren soll!«

»Gut! So wissen Sie denn, daß wir vorhin das Kind Laura’s gefunden haben!«

»Herr, mein Heiland! Wo war es denn?«

»Das ist Nebensache. Sodann haben wir auch entdeckt, wer die Mutter des ermordeten Mädchens ist, dessen Tod Ihre Tochter auf das Zuchthaus gebracht hat.«

»Wer ist sie?«

»Auch davon später. Ich will Ihnen nur im Vertrauen noch mittheilen, daß vorhin bereits zwei sehr gefährliche Personen in dieser Angelegenheit verhaftet sind. Weiter dürfen meine Mittheilungen nicht gehen.«

Der Alte ergriff Holms beide Hände und fragte:

»Sie geben mir also wirklich die Hoffnung, meine Tochter baldigst frei und ihre Ehre hergestellt zu sehen?«

»Ich gebe Ihnen nicht nur die Hoffnung, sondern sogar die Gewißheit. Und was ich sage, hat seinen guten Grund.«

Da brachen Werners Thränen gewaltsam hervor. Ehe Holm es zu hindern vermochte, hatte der Alte dessen Hände geküßt und stammelte schluchzend: »Gott segne Sie viele tausend, tausend Male, Herr Holm, für die Freude, welche Sie mir durch diese Worte machen. Ich kann es Ihnen nicht vergelten!« –Als der Fürst von Befour nach Hause kam, ließ er Petermann sogleich zu sich kommen. Dessen Äußeres hatte in der kurzen Zeit eine außerordentliche Änderung erlitten. Der Zug des Leidens, des Entsagens war verschwunden; das Auge hatte seinen Glanz zurück erhalten; die Haltung war eine stramme und der Gang ein elastischer geworden. Auf seinem jetzt lebhaften Gesichte war, als er jetzt vor dem Fürsten stand, die größte Ehrfurcht, Liebe und Hingebung für seinen neuen Herrn geschrieben. Dieser sagte: »Ich habe es bisher sorgfältig vermieden, an Ihrer Vergangenheit und den Geheimnissen zu rütteln, welche in Ihrer Brust verborgen liegen. Heute nun aber bietet sich mir eine sehr ernste Veranlassung, dieses mein Schweigen einmal zu brechen. Daß Sie unschuldig verurtheilt wurden, daß Sie sich aufgeopfert haben, davon bin ich überzeugt. Sind Sie gewillt, die Unehre auf sich ruhen zu lassen?«

»Ich werde nicht das Geringste thun, mich zu rechtfertigen, wenn auch der Eine, dessen Pflicht es ist, mir meine Ehre zurückzugeben, sich dieser Pflicht nicht mehr erinnert.«

»Ich kann Ihren Entschluß weder loben noch tadeln; aber ich muß Sie fragen, ob Sie Denen, die Ihnen und Ihrem Kinde wohlwollen, dasselbe Schweigen und dieselbe Unthätigkeit auferlegen wollen.«

»Nur meine Hände sind gebunden. Das Wohlwollen Anderer aber kann, darf und will ich nicht von mir weisen.«

»Das genügt, mein lieber Petermann. Haben Sie eine gewisse Wartensleben wiedergesehen?«

»Ja.«

»Ah, also doch! Werden Sie morgen das Ballet besuchen?«

»Auf keinen Fall!«

»Das war es, was ich von Ihnen wissen wollte. Ich danke!«

Am anderen Morgen, noch ehe der Fürst sein Palais verlassen hatte, wurde ihm Max Holm gemeldet. Dieser kam, um die für diesen Tag so nöthigen Instructionen zu holen und erwähnte bei dieser Gelegenheit seines gestrigen Gespräches mit dem lustigen Paukenschläger.

Während dieser Erzählung ging ein feines, leises, satyrisches Lächeln über das schöne Gesicht des Fürsten, welcher dann näher auf das Thema einging. Und als nachher Holm das Palais verließ, pfiff er während des Gehens leise und scharf vor sich hin, ganz in der Weise eines Menschen, der eine fröhliche, verheißungsvolle Erwartung in sich trägt.

Er lenkte seine Schritte nach der ihm bekannten Wohnung des Paukenschlägers. Dieser war eigentlich ein Privatschreiber, da aber seine Feder sich als nicht fruchtbar genug erwies, hatte er sich entschlossen, nebenbei die Pauken zu maltraitiren. Er hatte keine Anverwandten und war bei einer alten Wittfrau eingemiethet.

Er saß, als Holm eintrat, am Tische, hatte in der einen Hand eine Düte und rührte mit der anderen mittelst eines Löffels in einer mit Mehl gefüllten Schüssel.

»Guten Morgen, lieber Hauck!« grüßte Holm.

»Servus, Herr Holm! Recht, daß Sie kommen!«

»Ausgeschlafen?«

»Nicht gut.«

»Warum nicht? Leiden Sie am bösen Gewissen?«

»Ja und nein. Ich habe nämlich nicht schlafen können, weil ich immer an das heutige Abendessen denken mußte. Ich überlegte hin und her, ob es recht sei oder nicht, diesem Staudigel den Streich zu spielen.«

»Und das Resultat?«

»Bald pfiff es mir verlockend zu, wie eine Piccoloflöte, und bald brummte das Gewissen wie eine große Trommel, aber ich habe den Brummer zurechtgewiesen und mich entschlossen, auf Ihren Vorschlag einzugehen. Das müssen Sie ja deutlich sehen, ohne daß ich es Ihnen sage.«

»Woher denn?«

»Hier auf dem Tische.«

»Wieso?«

»Nun, da steht die Schüssel voll Wickelklöße, die mir meine Wirthin gestern Abend aufgehoben hatte, und hier liegen die Dreierbrodchen von heut Morgen. Ich habe nicht gegessen, um heut Abend richtig einhauen zu können.«

»Und was rühren Sie denn da?«

»Waizenmehl, Kaiserauszug Nummer Eins.«

»Und was ist in der Düte?«

»Zinnoberroth, vielleicht ist’s auch nur Boluserde, denn es kostet nur zwei Kreuzer.«

»Wozu das?«

»Donnerwetter! Das fragen Sie? Nun, da brate mir Einer einen Storch, aber besonders die Beine recht knusperig! Soll ich heut Abend mich als Mädchen verkleiden, sogar als Tänzerin, und fragt mich dieser Mensch, wozu ich das Mehl und die Farbe brauche! Sehen Sie sich doch einmal da dieses Handtuch an!«

Das Handtuch hatte ein unbeschreiblich mehliges und rothes Aussehen.

»Was haben Sie denn da gemacht?« fragte Holm.

»Probe.«

»Doch nicht etwa Schminkprobe?«

»Natürlich! Was denn sonst? Ich muß ja so schön wie möglich sein! Der Puder ist mir zu theuer, da nehme ich Waizenmehl, und das Roth, nun, für zwei Kreuzer, wird wohl reichen.«

»Unsinn! Für das Alles wird anderweit gesorgt. Ich führe Sie zu Bekannten, wo Sie Alles, was Sie brauchen, finden werden und hole Sie punkt sechs Uhr ab.«

»Sapperment! Da bin ich selbst neugierig! Wer sind denn die Leute, zu denen Sie mich bringen?«

»Alte, ehrwürdige Leute. Sie heißen Brandt und wohnen auf der Siegesstraße. Es soll aber später nicht von ihnen in Verbindung mit diesem Scherz gesprochen werden.«

»Aber von mir?«

»Wieso?«

»Ich soll unter Umständen meine Haut allein zu Markte tragen; das heißt, wenn es schlimm abläuft?«

»Nein. Ich garantire für Alles.«

»Sie? Hm! Allen Respect vor Herrn Holm, aber Sie sind auch nicht allmächtig. Wenn dieser gute Herr Léon Staudigel mich bei der Parabel nimmt – –«

»Fürchten Sie sich etwa vor ihm?«

»Fürchten? Fällt mir gar nicht ein. Er würde sehr übel wegkommen, wenn er sich an mir vergreifen wollte. Aber wie nun, wenn er mich anzeigt?«

»Das thut er nicht.«

»Wer ist da sicher! So ein Mensch ist zu Allem fähig. Können Sie mir dann auch garantiren?«

»Ich nicht, aber der Fürst.«

»Ah, haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Sie waren schon bei ihm?«

»Ja. Er schickt Ihnen hier diese zehn Gulden und läßt Ihnen sagen, daß Sie heut Abend nach vollendeter Sache abermals so viel erhalten sollen?«

»Kommt er etwa mit?«

»Ich glaube nicht. Aber jedenfalls bin ich da.«

»Das genügt. Wie aber komme ich dann auf’s Bellevue?«

»Der Claqueur holt Sie ab.«

»Wo denn?«

»Am Theater.«

»Sapperment! Dort kenne ich mich doch nicht aus!«

»Haben Sie keine Sorge! Mein alter Freund Werner wird Sie von Brandts abholen und an Ort und Stelle bringen. Haben Sie sonst eine Frage?«

»Nein, danke für jetzt.«

»So leben Sie einstweilen wohl! Ich habe nothwendig.«

Er ging und begab sich nach der Wohnung des Balletmeisters.

Als er dort klingelte, öffnete die Frau des Genannten.

»Was wünschen Sie?« erkundigte sie sich.

»Ist der Herr Balletmeister zu sprechen?«

»Sie meinen den Herrn Kunstmaler und Balletmeister, meinen Mann?«

»Ja.«

»Ich werde nachsehen.«

Sie schloß ihm die Thür vor der Nase zu. Als sie zurückkehrte, öffnete sie nur eine Lücke und meldete: »Er ist nicht zu sprechen.«

Im nächsten Augenblicke war die Thür wieder verschlossen. »Couragirtes Weib!« brummte Holm vor sich hin. »Aber, lassen wir uns nicht fortjagen!«

Er wartete eine Weile und klingelte dann wieder. Die Thür öffnete sich, und nun war er so vorsichtig, das eine Bein zwischen sie und die Pfoste zu stellen.

»Was wollen Sie?« fragte die Frau.

»Zum Herrn Balletmeister.«

»Sie meinen, zum Herrn Kunstmaler und Balletmeister, meinen Mann?«

»Ja, freilich.«

»Waren Sie nicht soeben erst hier?«

»Vor zwei Minuten.«

»Und ich habe Sie abgewiesen.«

»Ja.«

»Und Sie kommen dennoch wieder?«

»Nein.«

»Nicht? Sie stehen ja hier!«

»Ich bin noch gar nicht fortgegangen.«

»So gehen Sie nun. Ich habe nicht Zeit, mich aller zwei Minuten herausklingeln zu lassen, und mein Mann ist so sehr beschäftigt, daß er keinen einzigen Augenblick abkommen kann.«

»Das soll er ja gar nicht.«

»Was denn?«

»Ich will ja zu ihm gehen, er soll nicht zu mir kommen!«

»Das bleibt sich gleich, und ich sage Ihnen zum allerletzten Male, daß er keine Zeit hat.«

»So muß ich gehen, aber Sie werden es bereuen!«

Das frappirte Sie doch.

»Bereuen? Wieso?« fragte sie.

»Er malt doch Portraits?«

»Zum Sprechen ähnlich!«

»Ich habe allerdings gehört, daß er ein großer, ein sehr großer Künstler ist. Es soll ein Portrait bei ihm bestellt werden.«

»Von wem?«

»Das ist eigentlich ein Geheimniß, wird ihm aber viel, sehr viel Geld einbringen.«

Das wirkte. Sie machte eine tiefe Verbeugung und sagte:

»Bitte, wollen Sie nicht eintreten?«

»Ich denke, ich darf nicht?«

»Verzeihung! Ich habe mich geirrt. Ich bin etwas kurzsichtig und dachte – dachte – dachte, Ihr Rock sei zerrissen. Nun aber sehe ich ja, daß Sie ein höchst anständig gekleideter Herr sind. Kommen Sie!«

Jetzt folgte er der Aufforderung. Drinnen aber ging sie ihm weiter an’s Kamisol.

»Dürfen Sie das Geheimniß denn nicht verrathen?«

»Nein.«

»Aber meinem Manne müssen Sie es doch sagen?«

»Allerdings.«

»Nun, ich bin ja seine Frau. Mann und Weib sind ein Leib. Und wir Beide, ich und, er, sind nun gar ein Herz und eine Seele. Da meine ich, daß ich das, was er weiß, doch auch erfahren kann.«

»Hm! Wenn ich nur wüßte, ob Sie verschwiegen sein können.«

»Wie das Grab! Sogar noch über das Grab hinaus!«

»Das glaube ich, besonders das Letztere.«

»Nun also, bitte, bitte!«

»Na, ich will es wagen! Namen zu nennen, ist mir allerdings streng verboten; aber so viel getraue ich mir doch, Ihnen mitzutheilen, daß es eine sehr hohe, fürstliche Person ist, deren Portrait Ihr Gemahl anfertigen soll.«

»Herr Jesses! Eine hohe –«

»Ja.«

»Fürstliche –«

»Ja.«

»Von Adel also?«

»Versteht sich!«

»Eine Dame?«

»Ja.«

»Bitte kommen Sie! Schnell, schnell!«

Sie eilte nach der Thüre hin, welche nach den inneren Zimmern führte. Er wehrte ab und sagte:

»Bitte, stören wir ihn nicht! Er hat keine Zeit.«

»O, er hat Zeit, sehr viel Zeit! Kommen Sie nur!«

Sie faßte ihn beim Arme und zog ihn fort. An der Thür seines Ateliers angekommen, horchte sie erst eine Weile; dann öffnete sie leise und sagte in bittendem Tone: »Lieber Mann!«

Er antwortete nicht.

»Lieber Arthur!«

Er schwieg jetzt; aber er hustete doch.

»Geliebtester!«

Jetzt endlich ließ er sich in warnendem Tone vernehmen.

»Aber, mein Liebling!«

»Was machst Du?«

»Ich male.«

»Immer noch die Proserpina?«

»Ja, meine liebe Aurora.«

»Darf ich Dich stören?«

»Nein, mein Liebling. Ich entwerfe soeben den Höllenhund, genannt Cerberus. Da bringt mir auch die kleinste Störung großen Schaden.«

»Und doch muß ich Dich stören, bester Arthur!«

»Thue es nicht! Setze lieber den Leimtopf an’s Feuer. Ich habe mir einen Schlitz in die Hosen gerissen und will ihn zuleimen; das hält besser als Zwirn.«

»Aber, Geliebtester! Ich bin ja nicht allein!«

»Nicht? Wer ist denn noch da?«

»Ein sehr feiner Herr!«

Holm konnte den Maler nicht sehen, weil dessen Frau die Thüröffnung ausfüllte. Aber desto deutlicher hörte er ihn jetzt in zornigem Tone sagen: »Ist er ein Modell?«

»Ich glaube nicht.«

»Donnerwetter! So mag er sich zum Teufel scheren, meine liebe Aurora!«

»Aber ich versichere Dir, er ist sehr fein!«

»Fein oder nicht, mein Liebling! Ich habe keine Zeit. Der Höllenhund muß unbedingt fertig werden!«

»Es handelt sich um ein Portrait!«

»Er mag sich selbst abmalen, Aurorchen!«

»Er? Er kommt ja im Auftrage einer allerhöchsten fürstlichen Persönlichkeit!«

»Fürstlich? Sapperlot! Laß den Herrn herein, Aurora!«

Jetzt kam er hinter seiner Staffelei hervor und eilte nach der Thür, um den Herrn zu empfangen.

»Treten Sie ein!«

Bei diesen Worten schob die Frau Holm in das Zimmer und machte die Thür hinter ihm zu.

Der Balletmeister machte eine seiner tiefsten, glanzvollsten Verbeugungen und sagte im höflichsten Tone: »Verzeihung, mein Herr! Künstler lassen sich nicht gern stören.«

»Ich weiß das recht wohl zu würdigen!«

»Mein Höllenhund – –! Sie verstehen mich!«

»Sehr wohl! Bei einer so schwierigen Arbeit darf man eigentlich nicht unterbrochen werden.«

»Ausnahmen gestattet man nur unter Umständen, wie zum Beispiel gegenwärtig. Bitte, bitte treten Sie näher! Wollen Sie den Cerberus betrachten?«

Er führte ihn zur Staffelei. Proserpina war so ziemlich entworfen. Vor ihr saß ein Köder, ein Drittel Spitz, ein Drittel Bär und ein Drittel Krokodil.

»Was sagen Sie dazu?« fragte der Künstler.

»Ausgezeichnet!«

»Nicht wahr?«

»Genial gedacht!«

»Bitte, bitte!«

»Und ebenso genial entworfen!«

»Sehr freundlich!«

»Dieser Hund macht mich neugierig, die Proserpina zu sehen. Es muß ein Kunstwerk werden!«

»Gewiß, gewiß! Leider aber noch nicht fertig. Bitte, mein Verehrtester – wer giebt mir die Ehre?«

Holm steckte den Zwicker auf die Nase, nahm in der Stellung eines Protegirenden auf einem Stuhle Platz und sagte: »Hm! Sie kennen mich nicht?«

»Nein.«

»Wunderbar! Wirklich nicht?«

»Nein, mein Herr. Zwar muß ich Sie bereits gesehen haben, denn ein Portraiteur merkt sich so characteristische, classische Züge, wie Sie besitzen; aber im Augenblicke weiß ich wirklich nicht, wo und wann dies geschehen ist.«

»Schadet nichts! Wissen Sie – hm, ahnen! Eigentlich bin ich nicht Derjenige, der ich jetzt bin. Verstehen Sie?«

»Sehr wohl!«

»Sie wissen, wie man das nennt?«

»Gewiß, gewiß! Man sagt, incognito.«

»Schön! Es handelt sich nämlich um ein Geheimniß!«

»Geheimniß,« wiederholte der Balletmeister und Kunstmaler, indem er sich tief verbeugte.

»Man hat zu Ihnen das Vertrauen, daß Sie ein Geheimniß zu wahren wissen.«

»O, ich bin stumm!«

»Auch taub? Das wird verlangt!«

»Schön! Also taubstumm!«

»Auch blind! Unbedingt nöthig!«

»Ganz nach Befehl! Also blindtaubstumm!«

»Das genügt einstweilen!«

»Und was weiter, wenn ich fragen darf?«

»Nun, es handelt sich um eine sehr hohe Person –«

»Person –?«

»Von fürstlichem Geblüt.«

»Geblüt! Alle Teufel!«

Der Maler machte nach einem jeden Worte, welches er aus Holm’s Munde wiederholte, eine tiefe Verbeugung.

»Diese Dame will sich malen lassen.«

»Von mir?«

»Ja, wenn Sie discret sein können.«

»Mit Leib und Seele!«

»Auch mit Haut und Haar! Wird verlangt!«

»Gut! Auch mit Haut und Haar.«

»Dieses Portrait soll Geschenk werden, Ueberraschung für den allerhöchsten Gemahl dieser höchsten Dame.«

»Ich verstehe, verstehe!«

»Darum darf der Gemahl nichts ahnen.«

»Sehr gut!«

»Die Sitzung muß an einem verborgenen Orte geschehen.«

»Ganz nach hoher und allerhöchster Bestimmung. Darf ich vielleicht mein Atelier anbieten?«

»Wo denken Sie hin! Eine allerhöchste Herrschaft, und hier Ihr Atelier? Das geht auf keinen Fall. Auch kann die Sitzung nicht am Tage stattfinden.«

»Also des Abends?«

»Ja. Uebrigens will die hohe Dame sich als Proserpina malen lassen –«

»Ah! Proserpina mit Höllenhund?«

»Ja. Das Modell zum Höllenhund wird Ihnen geliefert werden. Proserpina, die Göttin der Unterwelt bedarf nächtlicher Beleuchtung. Es ist also höchst vortheilhaft, daß Sie nur Abends malen. Ort und Zeit aber muß Geheimniß bleiben.«

»Kein Mensch soll es erfahren!«

»Schwören Sie!«

»Ich schwöre!«

»Nicht so! Halten Sie die drei Finger empor!«

Der Maler that dies und gelobte:

»Ich schwöre das tiefste Stillschweigen!«

»Natürlich auch gegen Ihre Frau!«

»Hm! Darf diese nicht wenigstens wissen, um was es sich handelt, mein sehr Verehrtester?«

»Stehen Sie unter dem Pantoffel?«

»Nein; aber Aurorchen möchte doch erfahren, warum ich abwesend bin.«

»Gut! Aber Ort und Zeit darf auch sie nicht wissen!«

»Ich gehorche!«

»Gut. So sind Sie also bereit, das Portrait zu übernehmen?«

»Ja.«

»Dann will ich Ihnen das Nähere mittheilen. Die erste Sitzung wird heute Abend sein.«

»O weh!«

»Was?«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich bin amtlich beschäftigt. Wir geben zwei Ballets.«

»Das weiß ich. Die betreffende Dame ist entschlossen, allerhöchste Rücksicht darauf zu nehmen. Die Sitzung soll in Folge dessen erst Punkt zwölf Uhr beginnen.«

»Gott sei Dank! Aber wo?«

»Man wird Sie per Equipage abholen.«

»Hier?«

»Ja. Elf Uhr fünfundvierzig Minuten werden Sie fertig sein. Sobald der Kutscher unten das Zeichen mit der Peitsche giebt, haben Sie einzusteigen.«

»Ganz nach höchster Intention!«

»Aber noch eins. Es versteht sich ganz von selbst, daß eine so hochgestellte Dame des Mitternachts nicht mit einem Manne allein sein kann!«

»Gewiß, gewiß.«

»Wie denken Sie sich da die Abhilfe möglich?«

»Die Dame wird wohl huldvollst bestimmen, daß sie sich in Gesellschaft befindet.«

»Pah! Wo bleibt da das Geheimniß?«

»Hm! Ja!«

»Mit einer männlichen Person darf sie nicht allein sein; das sehen Sie doch ein?«

»Gewiß, sehr gewiß!«

»Mit einer Dame aber darf sie sich unter vier Augen befinden.«

»Unbedingt!«

»Was wird die Folge sein, Herr Balletmeister?«

»Die Folge? Hm! O, ah, hm!«

»Nun, sprechen Sie doch!«

»Ich weiß nicht, ob ich Dero geehrte Absichten mit meinen unmaßgeblichen Gedanken zu errathen vermag.«

»Nun, so sagen Sie diese Gedanken!«

»Ich möchte gehorsamst bitten, Ihre Meinungen doch lieber hören und erfahren zu dürfen!«

»Nun, meinetwegen! Sie verkleiden sich als Dame!«

»Alle guten Geister!« fuhr der Balletmeister auf.

»Erschrecken Sie etwa?«

»Nein, nein!«

»Das Zartgefühl einer allerhöchsten Dame ist auf jeden Fall zu schonen. Wenn Sie sich nicht dazu verstehen, so finde ich zehn und zwanzig andere Künstler, welche sofort bereit sind, auf diese Intentionen einzugehen!«

»Ich bin bereit! Ich will ja!«

»Damenkleider anlegen?«

»Ja. Nur bitte ich ergebenst, daß mein Aurorchen erfahren darf, wozu dies geschieht.«

»Gut. Sagen Sie es ihr. Es ist besser so. Sie können sich dabei von Ihrer Frau helfen lassen. Aber da Sie doch möglicher Weise gesehen und erkannt werden könnten, so ist am höchsten Orte die Bestimmung getroffen worden, daß Sie Halbmaske anzulegen haben.«

»Da kommt man am allerhöchsten Orte meinem Wunsche entgegen.«

»Schön! Und nun die Hauptfrage: Ihr Honorar.«

»O bitte, bitte!«

»O nein! Erwähnt muß das natürlich werden. Wie hoch pflegen Sie Ihre Preise zu stellen?«

»Hm! Ich weiß wirklich nicht, ob ich –«

»Gut! Sie besitzen Zartgefühl und das wird man am allerhöchsten Orte anzuerkennen wissen. Sie gefallen mir, und so will ich Ihnen einen guten Rath geben.«

»Ich sehe demselben dankbarlichst entgegen.«

»Man ist am angegebenen Orte natürlich nicht gewohnt, zu feilschen und zu rechnen –«

»O, gewiß, gewiß!«

»Man würde sich sogar durch die Angabe einer bestimmten Summe vielleicht beleidigt fühlen.«

»Ich nenne keine, gewiß keine!«

»Dagegen weiß man das Talent, das Genie zu belohnen. Ueberlassen Sie es also lieber den allerhöchsten Herrschaften selbst, den Werth Ihrer Leistung zu taxiren.«

»Dieser Rath ist mir wie der strengste Befehl.«

»Ich bin überzeugt, daß man nicht knausern, sondern Ihnen vielmehr einen hohen Betrag anweisen wird.«

»Danke, danke«

Der Balletmeister machte einen tiefen Bückling, als ob er bereits fünfzigtausend Gulden in den Händen halte.

»Und, im Vertrauen, mein bester Herr Balletmeister und Kunstmaler – vielleicht fällt noch etwas Anderes ab!«

»Wie? Was?«

»Pst! Nicht fragen.«

»Nicht? Ah! Warum nicht?«

»Still! Man ist schon längst auf Ihre Leistungen aufmerksam geworden; ich meine Ihre Leistungen auf der Bühne und im Atelier. Sie sind ja doppelter Künstler.«

»Doppelter! O, ja, ja!«

»Man hat bereits im Geheimen an Ihr Knopfloch gedacht.«

»Knopfloch gedacht! Herr mein Heiland!«

»Ja, ja! Aber, pst, still! Gelingt das Portrait, so ist die Sache gemacht! Also, geben Sie sich mit der Proserpina alle mögliche Mühe, mein lieber Freund!«

»O, alle, alle Mühe! Welch eine Schickung, daß ich bereits hier eine Proserpina male! Auf diese Weise ist mir das Sujet vertraut. Ich habe mich bereits in die Tiefen desselben versenkt. Ich bin vollständig au fait. Und wenn mir dann sogar das Modell des Höllenhundes allergütigst geliefert wird –«

»Gewiß, gewiß! Man wird Sie sogar ganz besonders auf dieses Modell aufmerksam machen.«

»So bin ich überzeugt, ein Kunstwerk ersten Ranges zu liefern. Ich gebe mein Wort als Mann und Künstler!«

»Schön! Bin vollständig überzeugt! Aber noch Eins: Es ist möglich, daß es der betreffenden Dame schwer oder gar unmöglich wird, in Damenkleidern unbemerkt aus ihren Gemächern zu entkommen. In diesem Falle –«

»Werde ich freilich vergeblich warten!«

»O nein. In diesem Falle, wollte ich sagen, wird sie jedenfalls Herrenkleider anlegen. Die Sitzung findet auf alle Fälle statt. Haben Sie noch Etwas zu bemerken?«

»Nichts, gar nichts, als mein allerunterthänigstes Glück, den mir ertheilten Befehlen gehorchen zu dürfen.«

»Dann adieu, mein Lieber! Also heute Abend punkt dreiviertel zwölf Uhr. Lassen Sie nicht warten!«

»O, nein, keine Secunde, keinen Augenblick.«

Er begleitete Holm unter unzähligen tiefen Verbeugungen bis hinaus und dann sogar bis hinunter vor die Hausthür, wo er sich noch einige Male hinter ihm verneigte. Und als er dann in die Stube zurückkehrte und seine Frau höchst erwartungsvoll anblickte, nickte er ihr in stolzer Weise, doch ohne ein Wort zu sagen, zu.

»Nun?« fragte sie.

»Stumm muß ich sein!«

»Stumm? Du mußt doch reden!«

»Und taub!«

»Unsinn, lieber Arthur!«

»Und blind!«

»Bist Du übergeschnappt?«

»Nein, mein Liebling. Aber zum Ueberschnappen ist es!«

»Du machst mir Angst!«

»Nein, nein! Angst brauchst Du nicht zu haben, mein Liebling. Dieses Taubstummblind ist ja nur bildlich gemeint. Es erwartet mich ein großes, großes Glück.«

Er setzte den rechten Fuß gravitätisch vor und steckte den Finger bezeichnend in das Knopfloch.

»Was? Ein Band? Einen Orden?« fragte sie.

»Ja. Ein Kreuz, einen Adler oder gar einen Löwen! Weißt Du, wie er mich genannt hat?«

»Nun, wie denn?«

»Mein bester Balletmeister und Kunstmaler; sodann sagte er lieber Freund zu mir und endlich nannte er mich gar einen doppelten Künstler.«

»Mariajosepp! Das war ein feiner Mann! Und ich habe ihn erst so streng abgewiesen!«

»Welch ein Fehler! Weißt Du, was er war?«

»Nein.«

»Ein Incognito!«

»Du bist des Teufels, liebster Arthur!«

»Oho! Eine Proserpina soll ich malen!«

»Das thust Du ja bereits!«

»Ich meine eine Andere. Ich soll eine höchste, eine allerhöchste Dame als Proserpina malen. Das Portrait soll ihr hoher Gemahl zum Geburtstag erhalten und darum, da es eine Ueberraschung sein soll, darf kein Mensch vorher ein Sterbenswörtchen wissen.«

»Was Du sagst!«

»Aus diesem Grunde sind mir Bedingungen gestellt worden, die eben nur von allerhöchsten Orten ausgehen können.«

»Welche Bedingungen?«

Er sagte ihr Alles. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief voller Entzücken:

»Arthur, lieber, heißgeliebter Arthur, ahnst Du denn auch, wer diese Dame ist?«

»Ja.«

»Allerhöchst, das ist königlich!«

»Natürlich ist’s die Königin! Komm, mein Liebling, bei so einem Glück brauche ich mir die Hosen nicht zusammenzuleimen. Ich ziehe die neuen an!«

Er nahm den Leimtopf vom Heerde und warf ihn in den Kohlenkasten. Er hätte vor Freude alle seine Stuben zum Fenster hinauswerfen können.

Und wohin war Holm unterdessen gegangen? Nach der Wohnung des Chefs der Claqueurs. Er hatte gewußt, daß der Balletmeister ihn nicht kannte, und ebenso war er überzeugt, daß Frau Staudigel, deren Mann sich so gern Baron nennen ließ, keine Ahnung habe, wer er eigentlich sei.

Er fand ein Stubenmädchen vor und fragte, ob die gnädige Frau zu sprechen sei.

»Was wünschen Sie von ihr?« fragte das schnippische Ding.

»Daß sie Ihnen sofort kündigen soll, wenn Sie ihr nicht augenblicklich sagen, daß ich sie zu sprechen wünsche.«

Das wirkte auf der Stelle.

»Bitte, Ihren Namen!« sagte sie.

»Den werde ich der Dame selbst nennen.«

»Aber Madame ist nicht gewöhnt, ungenannte Personen bei sich zu empfangen, mein Herr?«

»Ich bin es nicht gewöhnt, Jedermann zu sagen, wie ich heiße.«

Er wußte, daß dies grad die richtige Art und Weise sei, hier aufzutreten. Sie entfernte sich wirklich und kehrte bald zurück, um ihn zu ihrer Herrin zu führen.

Die Frau ›Baronin‹ Staudigel saß in ihrer sammetenen Causeuse und betrachtete sich den Eingetretenen durch das Lorgnon. Er grüßte wortlos, nur durch eine vornehme, elegante Verbeugung. Sie antwortete durch ein kurzes, stolzes Nicken und sagte in strengem Tone: »Mein Herr, Sie haben sich geweigert, mir wissen zu lassen, wer bei mir Zutritt erwünscht!«

»Verzeihung, gnädige Frau! Nicht ich trage die Schuld. Es geschieht vielmehr auf hohen Befehl.«

Als sie das hörte, fuhr ihr Kopf um einige Zoll empor.

»Auf Befehl?« fragte sie.

»Wie ich sagte.«

»Sagten Sie nicht sogar, hohen Befehl?«

»Allerdings.«

»Dann bin ich gespannt, den Grund Ihres Besuches kennen zu lernen, mein Herr.«

»Ich werde Sie sofort über die Ursache meiner Anwesenheit unterrichten, nachdem Sie mir gestattet haben, in Ihrer Nähe Platz zu nehmen, gnädige Frau.«

Er hatte ein wirklich vornehmes Aussehen und nannte sie gnädige Frau. Ihr Gesicht heiterte sich auf, und ihr Ton klang höflicher als bisher, als sie sagte: »Bitte, setzen Sie sich.«

Er nahm ganz in ihrer Nähe auf einem Fauteuil Platz, warf einen leichten Blick durch das Zimmer und begann.

»Zunächst möchte ich fragen, ob unsere Unterredung eine ungestörte sein kann.«

»Wünschen Sie das?«

»Sehr.«

»Auch auf hohen Befehl?«

»Sogar auf sehr hohen!«

»Ah! Dann werde ich allerdings Sorge tragen, daß Niemand Zutritt bekommt«

Sie klingelte und als das Mädchen eintrat, befahl sie:

»Anna, ich bin für Niemand zu Hause.«

»Auch für den gnädigen Herrn nicht?«

»Ich bin für Jedermann ausgegangen.«

Jetzt warf die dienstbare Seele, bevor sie sich entfernte, einen sehr respectvollen Blick auf Holm.

»So, mein Herr, jetzt sind wir allein und hoffentlich auch ungestört,« bemerkte dann die Dame.

»Danke. Ich mußte diese Bitte aussprechen, weil mein Besuch bei Ihnen eigentlich ein geheimer sein soll. Ich habe mich in sehr vertraulichen, fast möchte ich sagen, diplomatischen Äußerungen zu bewegen, und das läßt mich erwarten, daß Sie mir diese oder jene unerwartete Wendung nicht in persönliche Anrechnung bringen. Darf ich fragen, ob ich die Ehre habe, von der gnädigen Frau gekannt zu sein?«

»Näher leider nicht.«

»Von fern also doch?«

»Nun, ich erinnere mich, Sie gesehen zu haben.«

»Wo? Vielleicht in der prinzlichen – oh, ah, vielleicht in einer Theaterloge?«

»Wahrscheinlich.«

Man sah es ihrem Gesichte an, daß sie sich freute, daß er sich versprochen hatte. Sie nahm nun an, daß sie es mit einem Herrn von feinster Distinction zu thun habe.

»Zunächst eine Frage,« fuhr er in leicht fließendem Conversationstone fort, »welche Ihnen vielleicht höchst indiscret erscheinen mag, aber doch sehr gut gemeint ist. Man sprach gestern von Ihnen – wo, das ist für jetzt Nebensache. Sie sind eine Erscheinung, welche nicht gut übersehen werden kann. Man erwähnte Ihre gesellschaftlichen Dienste, Ihr geistiges Können, Ihren Einfluß auf gewisse Kreise, und dabei wurden Sie von einer der hohen Damen ›Baronin‹ genannt. Dieser Titel wurde angezweifelt. Darf ich fragen, ob mit Recht oder nicht?«

Sie war hochroth geworden. Erst nach einer längeren Pause antwortete sie.

»Wissen Sie, daß Ihre Frage eine Beleidigung enthält?«

»Eine scheinbare nur, gnädige Frau. Nicht jedes Verdienst findet seine Belohnung, und es ist ja Pflicht gewisser Kreise, unbelohnte Verdienste aufzusuchen.«

Das war Balsam auf die soeben geschlagene Wunde. Sie antwortete jetzt in versöhntem Tone:

»Man nennt meinen Mann Baron, weshalb, ist mir unbegreiflich, da er nicht von Adel ist.«

»Aber Sie sind die Tochter einer hervorragenden Familie?«

»Auch mein Vater war nicht eigentlich adelig; er gehörte einem alten Patrizierstamme an.«

Das war eine Unwahrheit; aber Holm nickte verständnißinnig und sagte:

»Nun, das ist so gut wie Adel. Man wird das in Berücksichtigung nehmen, gnädige Frau. Diese Frage mußte ich als Einleitung vorausschicken. Der Tochter eines alten, guten Patrizierhauses darf ich nun auch das Weitere anvertrauen.«

»Bitte, bitte!« sagte sie, höchst geschmeichelt.

»Es wird Ihnen bekannt sein, daß in unseren hohen und höchsten Kreisen die Kunst ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Man dichtet, man modellirt, man malt, man musicirt, und der Künstler ist bekanntlich weniger starr, wenn es sich um Standesvorurtheile handelt. Die Rücksicht für die Kunst geht ihm über Alles. Nun handelt es sich hier um eine Dame, welche mit Leidenschaft malt und dieser Leidenschaft –«

»Sie meinen Prinzeß Verona?« fiel sie schnell ein.

»Bitte! Ich darf keinen Namen nennen. Die betreffende Dame nun hat sich vorgenommen, das Bild der Kleopatra zu schaffen. Gnädige Frau haben doch wohl den Namen Kleopatra bereits gehört?«

»Gewiß! Kleopatra war Königin von Ostindien und besiegte den Kaiser Herodes und auch den Kalifen.«

Holm mußte sich Mühe geben, ein Lachen zu unterdrücken. Er nickte also sehr ernsthaft und fuhr fort: »Sie war eine der größten Schönheiten, welche es gegeben hat, eine jener characteristischen Schönheiten, deren Reiz, deren Macht nicht eigentlich in der Harmonie der Gesichtszüge liegt, sondern in dem Geist, der diese Züge bewegt und belebt und aus allen Blicken spricht. Kleopatra ist ein großes, ein gewaltiges Sujet für eine Künstlerin; aber ebenso schwierig und fast unausführbar, weil unsere Gegenden und unsere Zeiten kein ähnliches Gesicht erzeugen wollen.«

Er hielt einige Augenblicke inne, um durch die Spannung, in welche er seine Zuhörerin versetzte, seinen Erfolg dann zu verdoppeln.

»Zu ihrer allerhöchsten Verwunderung,« fuhr er fort, »hat aber die betreffende Dame vor Kurzem ein Gesicht entdeckt, welches ganz demjenigen der Kleopatra gleicht: streng, ernst, dennoch mild und lieblich, von dem Widerscheine eines tiefen Gemüthes durchgeistigt und so doch von einer Hoheit, welche eine geradezu königliche genannt werden muß.«

Wieder hielt er inne, um eine sehr bemerkbare Pause zu machen. Da konnte sie doch nicht schweigen. Sie fragte: »Aber, mein Herr, warum erzählen Sie das grad mir?«

»Ihnen? Sie errathen das nicht?«

»Nein.«

»Wunderbar! Sie eben sind ja die betreffende Dame.«

»Ich?« fragte sie im Tone des höchsten Erstaunens.

»Ja, freilich.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Mein Mann spricht mir –«

Sie hielt inne. Ihr Gesicht war wie mit Blut übergossen.

»Nun, was spricht Ihr Mann zu Ihnen?«

»Ich wollte sagen, er spricht mir jede Schönheit ab.«

»Dieser Thor! Ah, Verzeihung, daß ich mir diesen harten unvorsichtigen Ausdruck gestattete! Aber es ist wirklich thöricht und blind, ein solches Urtheil zu fällen!«

Man sage der häßlichsten Frau, daß sie hübsch sei, und sie wird es glauben; so war es auch hier mit der Frau des einstigen Schneiders. Der weibliche Dünkel berührte sich mit der gesellschaftlichen Einbildung, und so hatte Holm, der kluge Menschenkenner, leichtes Spiel.

»Sie schmeicheln, mein Herr!« sagte sie.

»O nein! Ich habe nur die Befehle auszurichten, welche mir ertheilt worden sind. Weiter thue ich nichts. Ich beklage aber den irre gegangenen Geschmack, welcher sich durch ein glattes Gesichtchen verführen läßt, einer wirklich charakteristischen Formvollendung die gebührende Anerkennung zu versagen! Prinzeß – – ah, wollte sagen, die betreffende Dame war von Ihrer Physiognomie vollständig enthusiasmirt. Sie sah sich auf einmal am Ziele ihrer heißesten Wünsche. Sie sah ihre Kleopatra, wie sie sich dieselbe geträumt und gedacht hatte, nun plötzlich vor Augen, lebend, wirklich als Weib, als seiendes, athmendes Wesen, und ebenso tiefer beklagte sie die Schranke, die sie doch noch von ihrem Ziele trennte.«

»Welche Schranke?«

»Nennen Sie es die gesellschaftliche Schranke; nennen sie es auch anders! Es ist der betreffenden Dame leider nicht erlaubt, sich Ihnen in der Weise zu nähern, wie sie es wünscht. Darum bin ich beauftragt worden, einmal vorsichtig zu sondiren. Ich thue das mit wenig Vorsicht aber mit sehr viel Offenheit, wie Sie mir wohl zugeben werden, gnädige Frau.«

»Aufrichtig sind Sie allerdings, mein Herr. Aber bitte, mir doch zu sagen, was Sie zu sondiren beabsichtigen!«

»Ihre Bereitwilligkeit.«

»Bereitwilligkeit? Wozu?«

»Sich malen zu lassen.«

»Ah! Ueberraschend! Mich malen zu lassen?«

»Ja.«

»Von Prinzeß – –«

»Pst, keinen Namen!« fiel Holm schnell ein.

»Gut, ich schweige! Aber Sie scherzen wohl?«

»Wie könnte ich das wagen?«

»Sie sprechen da Etwas aus, was ich für unglaublich halte.«

»So sehe ich leider meine Mission gescheitert.«

Er erhob sich von seinem Fauteuil; aber sie sprang ebenso rasch empor, drückte ihn wieder nieder und fragte: »Halt, keine Uebereilung! Hat man wirklich gefunden, daß ich eine Kleopatra bin?«

»Wäre ich sonst zu Ihnen gekommen?«

»Und man will mich malen, so wie ich bin? Dieses Gesicht? Ganz ähnlich?«

»Portraitähnlich!«

»Und was wird mit dem Gemälde?«

»Es kommt zunächst in die Ausstellung und dann voraussichtlich in die königliche Gemäldegalerie.«

»Wird bei der Ausstellung die Künstlerin genannt, die Malerin?«

»Das versteht sich!«

»Und auch das Original des Bildes?«

»Auf jeden Fall.«

»Mein Gott! So wird es ja bekannt, daß ich es bin!«

»Jawohl.«

»Und daß ich von der Prin – – von einer so hohen, so allerhöchsten Dame gemalt wurde.«

»Ich hoffe, daß Ihnen dies nicht hinderlich sein wird, sich mit meiner Mission zu befreunden!«

»Ganz und gar nicht!«

Sie war in eine unbeschreibliche Aufregung gerathen. Sie schritt im Zimmer auf und ab. In ihren scharfen, eckigen Bewegungen glich sie einer wüthenden Harpye, und doch wollte sie für eine – Kleopatra gelten.

Holm ließ ihr Zeit, sich in die Sache hineinzudenken. Dann fragte er in seiner höflichsten Weise:

»Erlauben gnädige Frau, daß ich weiter spreche? Oder soll ich dieses Thema lieber fallen lassen?«

»Sprechen Sie, sprechen Sie!«

»So darf ich annehmen, daß diese Angelegenheit Ihnen nicht ganz unsympathisch ist?«

»Sympathisch, sogar höchst sympathisch.«

»Ich danke! Auch halte ich es für meine Pflicht, Sie auf die Vortheile aufmerksam zu machen, welche Ihnen aus dieser Angelegenheit ganz sicher erwachsen werden.«

»Welche Vortheile?«

»Sie verkehren mit der betreffenden Dame, oft in ungewöhnlich näher, ich möchte sagen, inniger Weise. Man wird gar nicht anders können: man wird Sie emporziehen müssen. Der Zufall oder vielmehr Ihre ungemeine Ähnlichkeit mit Kleopatra eröffnet Ihnen eine Zukunft, deren Perspective sich in diesem Augenblicke gar nicht messen und absehen läßt.«

»Sie haben recht, ich sehe das ein. Ich wäre eine große Thörin, wenn ich die Hand, welche Sie mir bieten, von mir stoßen wollte.«

»Sie willigen also ein?«

»Ja, gewiß!«

»Das freut mich, obgleich ich Ihnen bemerken muß, daß man keine Früchte ohne Mühe pflückt. Dieses Sprüchwort bewahrheitet sich auch in dem gegenwärtigen Falle.«

»Sie sprechen von Mühe, von Anstrengung? Ich unterziehe mich jeder derselben.«

»Machen Sie sich auf besondere Anstrengungen gefaßt.«

»Welche sind es?«

»Zuvörderst strengste Verschwiegenheit.«

»Was sonst noch? Ich bin zu Allem bereit.«

»Ich hoffe das und will Ihnen die weiteren Schwierigkeiten, welche ich meine, bezeichnen. Zunächst werden Sie einsehen, daß Ihr Umgang mit meiner Bevollmächtigerin wenigstens in der ersten Zeit kein öffentlicher sein kann.«

»Das gebe ich unumwunden zu.«

»Die Zusammenkünfte müssen also heimlich geschehen.«

»Ich stimme bei.«

»Sodann hat eine Dame von so außerordentlicher Distinction viel andere Anschauungen als ein gewöhnlicheres Wesen.«

»Davon bin ich vollständig überzeugt.«

»Es wird unbedingte Hingabe in ihre Wünsche verlangt.«

»Versteht sich ganz von selbst.«

»Auch wenn diese Wünsche zuweilen besser Launen genannt werden sollten?«

»Ja. Eine solche Dame, zumal sie Künstlerin ist, ist ja innerlich ganz anders als andere Sterbliche.«

»Dieses Wort enthält eine Wahrheit, deren Befolgung Ihnen großen Segen bringen kann. Also, im Großen und Allgemeinen sind wir wohl einig, und dürfen wir den besten Erfolg erwarten.«

Er reichte ihr die Hand. Sie schlug ein, als ob sie eine Obsthändlerin sei, die einen Äpfelhandel abzuschließen hat. Er nickte ihr befriedigt zu und meinte dann: »Wann dürften da wohl die Sitzungen beginnen?«

»Sobald es gewünscht wird.«

»Wenn ich nun sagte, heute Abend?«

»Ich bin bereit.«

»Schön! Doch eine sehr nothwendige Bemerkung: Wenn die betreffende Dame äußerst verschwiegen sein muß, so versteht es sich von selbst, daß auch Sie in demselben Grade Discretion üben.«

»Natürlich.«

»Auch Ihrem Herrn Gemahl gegenüber!«

»Auch er soll nichts wissen?«

»Er gar nichts! Er ist Chef der Claque! Verstehen Sie mich vollkommen, gnädige Frau!«

»Wohl! Auch er soll nichts erfahren.«

»Wird das möglich sein?«

»Gewiß! Unser Familienleben ist kein so inniges, daß er Alles wissen muß.«

»Aber wenn er Ihre Abwesenheit bemerkt?«

»So werde ich eine genügende Erklärung finden.«

»Auch für heute?«

»Ja. Grad heute ist er sehr beschäftigt und hat mir bereits gestern mitgetheilt, daß er selbst nach der Vorstellung noch nicht im Besitze seiner Zeit sei. Ich stehe also zur Verfügung, und bitte, die Zeit zu bestimmen, wie es Ihnen, oder vielmehr der Dame beliebt.«

»Die Prinz – – die betreffende Dame kann Sie natürlich nicht in ihren Gemächern empfangen.«

»Ich sehe das ein.«

»Sie muß vielmehr, um Sie treffen zu können, ihre Wohnung verlassen.«

»Ist bereits ein Ort bestimmt?«

»Ja. Man hat im Bellevue ein Zimmer belegt.«

»Ah! In einem öffentlichen Hause!«

»Grad da ist man am Sichersten.«

»Mag sein. Ich verstehe das nicht und verlasse mich auf Sie.«

»Das können Sie getrost, da man mir auch von der anderen Seite her das beste Vertrauen schenkt.«

»Aber man wird uns dort erkennen.«

»Nein. Sie werden Halbmaske tragen.«

»Hm! Ist das nicht erst recht auffällig?«

»Nein. Der Wirth ist in’s Vertrauen gezogen und von der Minute Ihrer Ankunft unterrichtet. Er sorgt dafür, daß Ihnen beim Eintritte kein Mensch begegnet.«

»Gut! Also bitte, die Zeit!«

»Sie sehen ein, daß die Dame sich zu früher Stunde nicht entfernen kann?«

»Gewiß.«

»Sie muß warten, bis die Corridore und Treppen passirbar sind, und das ist erst gegen zwölf Uhr der Fall.«

»Allerdings sehr spät!«

»Es geht nicht anders. Ueberdies handelt es sich ja nur um die ersten Male; später wird sich ein bequemeres Arrangement treffen lassen. Vielleicht läßt meine hohe Auftraggeberin sich bereit finden, Sie hier in Ihrer Wohnung aufzusuchen.«

»Das wäre allerdings das Beste; das würde herrlich sein.«

»Und bequemer auch für mich. Für heute habe ich Auftrag, Sie halb zwölf Uhr abzuholen. Halten Sie sich bereit Ich werde im Vorüberfahren mit der Peitsche klatschen. An der Straßenecke steigen Sie dann ein.«

»Sie selbst fahren?«

»Ja. Man will keinen Kutscher in’s Vertrauen ziehen; darum wird man sich auch eines Privatfuhrwerks bedienen.«

»Das ist ja ein förmlicher Roman, ein schönes Märchen, in welchem Cavaliere und Prinzessinnen vorkommen!«

»Und eine ostindische Königin, gnädige Frau!«

»Freilich!« lachte sie. »Aber bitte, würden Sie mir nicht vielleicht einen Fingerzeig in Beziehung auf meine Toilette angeben?«

»Natürlich! Das ist ja die Hauptsache.«

»Muß ich in Seide gehen?«

»O nein! Das ist nun eben das Interessanteste, das Romantischeste. Sie werden nicht als Dame gehen.«

»Nicht? Wie denn?«

»Als Herr.«

»Aber aus welchem Grunde?«

»Es giebt zwei Gründe. Erstens muß die Dame darauf sehen, daß Sie auf keinen Fall erkannt werden, und da ist Herrengarderobe am Besten geeignet. Und zweitens – ah, kennen Sie Kleopatra’s Leben genauer?«

»Bis in alle Einzelnheiten nicht.«

Holm war überzeugt, daß sie gar nichts wußte. Er sagte:

»Das projectirte Bild soll nämlich diese Königin darstellen, als sie, als Sultan verkleidet, dem Großvezier den Kopf abschlug.«

»Wie Judith! Ein prächtiger Gedanke.«

»Sie müssen sich als Sultan prächtig ausnehmen. Messer und Pistolen im Gürtel und den krummen Säbel in der Faust.«

»Meinen Sie?«

»Ja. Willigen Sie ein?«

»Gewiß.«

»Nun handelt es sich nur um den Anzug.«

»Erlauben Sie, daß ich ihn mir selbst besorge?«

»Wird Ihnen das nicht zu schwierig werden?«

»O nein. Ich gehe selbst zum Maskenverleiher.«

»Aber er darf nicht wissen, daß das Kostüm für Sie ist.«

»Nein. Und wie wünscht die betreffende Dame meine Anrede?«

»Ganz nach Belieben. Sie werden ja unter vier Augen sein, und wenn Sie sich demaskirt haben, so findet sich Alles ganz von selbst. Sind Sie nun gehörig informirt?«

»Vollständig.«

»Dann erlauben Sie, daß ich mich verabschiede.«

»Wir sehen uns am Abend wieder. Vielleicht ist es mir später möglich, Ihnen die Ehre zu erweisen, auf welche Sie gerechten Anspruch haben.«

»Ja, mein Name wird Ihnen allerdings nicht lange unbekannt bleiben, gnädige Frau. Also bitte, pünktlich zu sein, damit ich nicht zu warten brauche.«

»So leben Sie wohl!«

Er küßte ihr höflich die Hand und entfernte sich.

Kaum waren seine Schritte verklungen, so klingelte sie dem Mädchen. Als dieses eintrat, ging ihre Gebieterin im Sturmschritte im Zimmer umher.

»Anna,« sagte sie, »hast Du diesen Herrn schon bereits einmal gesehen?«

»Er kommt mir bekannt vor.«

»Dummkopf! Bekannt! Er ist ein Graf.«

»Herr Jesus! Und ich habe ihn so angeschnauzt!«

»Das wirst Du in Zukunft unterlassen, dummes Ding. Es ist überhaupt ein Geheimniß, daß er bei mir gewesen ist.«

»Auch für den gnädigen Herrn?«

»Kein Wort darf er erfahren! Ist er noch zu Hause?«

»Ich denke, ja.«

»Melde mich an!«

Sie folgte dem Mädchen in Kurzem nach. Ihr Mann stand am Fenster und beobachtete die Passanten.

»Léon!« sagte sie.

Er drehte sich langsam und verdrießlich um.

»Was?« fragte er.

»Kennst Du die Kleopatra?«

»Nein.«

»Mein Gott! Die Kleopatra nicht zu kennen!«

»Kennst Du sie denn?«

»Natürlich!«

»Hast Du sie gesehen?«

»Nein.«

»Mit ihr gesprochen?«

»Nein.«

»Also kennst Du sie nicht. Sie ist ja längst todt!«

»Wie dumm! Ich kenne sie trotzdem.«

»Hm! Wirklich? Wie kommst Du auf die Kleopatra?«

Sie überhörte absichtlich diese letztere Frage und sagte:

»Sie war Königin von Ostindien.«

»Unsinn!«

»Was denn?«

»Königin von Ägypten.«

»Unsinn! Sie besiegte den Kalifen!«

»Nein. Sie besiegte mit ihrer Schönheit erst Cäsar und dann auch den Antonius.«

»Ah! Was Du nicht Alles weißt! Ich aber habe die Beweise in den Händen. Hast Du einmal ihr Bild gesehen?«

»Einige Male.«

»So sieh mich einmal an!«

Er fixirte sie mit erstaunten Blicken.

»Warum?«

»Findest Du nichts?«

»Was soll ich denn finden?«

»Eine ungemeine Ähnlichkeit zwischen mir und Kleopatra.«

Da fiel er in ein lautes Lachen und rief aus:

»Bist Du etwa toll geworden! Du und Kleopatra!«

»Nicht?«

»Wie Tag und Nacht!«

»Welch ein Geschmack! Ich weiß, daß Du meine Vorzüge niemals anerkennst. Aber ich bin dieser Königin von Ostindien ähnlich. Ich habe den Beweis in den Händen!«

»Weib, Du bist ja ganz und gar umgewechselt!«

»Das wird noch ganz anders werden!«

»Alle Teufel! Sie ist verrückt, wirklich verrückt!«

»Schweig! Beleidige mich nicht! Denke an die Kleopatra, wie sie, mit Messer und Pistolen im Gürtel und das krumme Schwert in der Faust, dem Großvezier den Kopf abschlug!«

Sie strich mit der Faust durch die Luft, als hätte sie einen Kopf vor sich, den sie absäbeln müsse. Herr Léon Staudigel trat auf sie zu und fragte sie: »Frau, bist Du etwa – betrunken?«

Da richtete sie sich hoheitsvoll empor, warf ihm einen vernichtenden Blick zu und antwortete.

»Du, Du wirst betrunken sein, vor Freude betrunken darüber, daß Du so eine Frau hast!«

»Welche Reden! Sie hat den Sonnenstich im Winter. Sie bekommt den Hirnschlag.«

»Schwachkopf!«

Dieses Wort donnerte sie ihm noch entgegen, dann verließ sie das Zimmer. Er aber blickte noch lange Zeit kopfschüttelnd nach der Thür, hinter welcher sie verschwunden war, und konnte sich das Räthsel nicht erklären. –Max Holm war nachdem zu dem Theaterdiener Werner gegangen, um ihn für heut Abend zu instruiren. Dann begab er sich nach Hause. Der Vater saß, wie gewöhnlich, schlafend in seinem Stuhle; aber die Schlafstubenthür stand offen, jedenfalls damit aus der geheizten Wohnstube ein wenig Wärme hinausdringen möge. Und als Max, seine Schwester da draußen vermuthend, hinaustrat, fand er zwar diese Letztere, aber zu gleicher Zeit auch – die Amerikanerin. Sie hatten eine Menge Stoff und Zeug vor sich liegen und schienen sich dabei in sehr angeregter Unterhaltung zu befinden.

»Entschuldigung!« bat er, indem er zurücktreten wollte.

Ellen Starton aber nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Warum fliehen Sie uns? Papa schläft. Man darf ihn nicht wecken. Bitte, treten Sie doch näher!«

Jetzt konnte er nicht anders. Er mußte gehorchen. Sie gab ihm das schöne Händchen und fragte:

»Nicht wahr, so muß man sich in Deutschland begrüßen?«

»Nur unter Bekannten!« stotterte er.

»Ach? Und wir kennen uns nicht?«

Was sollte er sagen? Einer gewöhnlichen, nichtssagenden Antwort schämte er sich, und vielsagend zu sein, das erlaubte er sich nicht. Er schwieg. Die Amerikanerin drohte ihm mit dem Finger und wendete sich wieder der Schwester zu. Er trat an die Kommode und blätterte, um doch Etwas zu thun, in den dort liegenden Noten herum. Vielleicht wäre eine peinliche Pause entstanden, wenn Ellen nicht gar so viel über die Arbeit zu fragen und zu sagen gehabt hätte. Aber Hilda war zartfühlend genug, nach einem Vorwande, sich zu entfernen, zu suchen. Und sucht ein weibliches Wesen nach einem Vorwande, so läßt er sich sicher finden.

Als die Beiden sich allein befanden, stützte Ellen die beiden Hände auf den Tisch und richtete sich in eine entschlossene Haltung empor.

»Herr Holmers!« bat sie.

Er wendete sich mit fragendem Blicke ihr zu.

»Ich möchte meine vorige Frage wiederholen,« fuhr sie fort. »Kennen wir uns, oder nicht?«

Sie hielt den Blick ihres wunderschönen Auges fest, aber warm auf ihn gerichtet. Sie stand da vor ihm in all ihrer jugendlichen Pracht und Herrlichkeit. Es umstrahlte sie der Glanz einer engelhaften Reinheit. Er hätte vor ihr niederfallen mögen, um sie anzubeten, er, der arme Musikus, sie die Millionärin! Nein! Sie durfte nicht merken, daß er sie mit tausend Herzen und abertausend Leben liebte.

»Ja, wir haben uns gesehen,« antwortete er höflich, aber doch mit fühlbarer Kälte.

»Gesehen haben wir uns,« nickte sie in düsterem Ernste. »Weiter nichts, Herr Holmers?«

»Was sonst?«

»Ich habe Sie nicht nur gesehen, sondern ich habe Sie auch gehört. Kennen Sie den Klang Ihrer Violine? Kennen Sie die Macht Ihrer brillanten Phantasieen? Pah, Sie mögen recht haben, wir haben uns gesehen.«

Ihre Worte schnitten ihm tief in die Seele ein. Aber er suchte nach einem Grunde, stark zu bleiben, und er fand ihn. Er sagte: »Ich habe Sie gesehen, nur gesehen, nie aber gehört.«

Sie war ihm ja so unnahbar gewesen. Er hatte nie ein Wort mit ihr sprechen können.

Ihre Brauen zogen sich ein wenig empor. Sie schüttelte den Kopf, als ob sie ihn nicht verstehe.

»Nur gesehen haben Sie mich?« fragte sie.

»Leider!«

»Nun wohl! Tausende haben mir gesagt, daß sie mich nicht blos gesehen haben. Ist meine Kunst nur eine Kunst für das Auge? Kann die Kunst überhaupt nur für einen besonderen Sinn vorhanden sein? Hat sie nicht ihre tiefsten Wurzeln in der Seele, im Gemüthe, und reift sie nicht ihre besten Früchte eben auch wieder für das Herz, für das Gemüth? Sie haben mich nur gesehen. Sie haben mich nicht verstanden. Sie waren mir der von Gott begnadete Künstler, und ich war für Sie die – Ballettänzerin.«

»Miß Ellen!«

»O bitte!«

»Nein, lassen Sie mich sprechen! Ich hörte, daß Sie nicht tanzen um des schnöden Gewinnes willen. Man sagte mir, Sie tanzten, getrieben von der Götterkraft des Genies. Und nun –«

»Was?«

»Nun treten Sie doch für Geld auf!«

»Wer sagt Ihnen das?«

»Würden Sie sonst hier auf dem Continente erscheinen?«

Sie senkte die Wimper. Ihre Wangen waren bleich geworden. Und als sie das Auge wieder erhob, glänzte es in feuchtem Schimmer.

»Wollen Sie mich deshalb verurtheilen?« fragte sie. »Weshalb geigten Sie? Weshalb kamen Sie nach den Vereinigten Staaten? Nicht um Geld zu verdienen, viel Geld? Warum üben Sie auch jetzt wieder Tag und Nacht? Etwa nicht um des Mammons willen?«

»Ich bin arm, bitter arm; das sehen Sie!«

Er deutete dabei auf die ärmliche Ausstattung des kleinen Kämmerchens.

»Und mich halten Sie für reich?«

»Man sagte mir so. Hatte man vielleicht nicht recht?«

»Man hatte recht. Ich besaß Millionen. Aber was ist dieser Besitz werth? Macht er das Herz glücklich?«

Sie schwieg eine kleine Weile-, dann fuhr sie fort:

»Ich habe da drüben jenseits des Oceans viel, viel besessen. Es ging mir Alles verloren, Alles. Nun bin ich arm, ärmer als Sie, das können Sie mir glauben.«

»Und dennoch tragen Sie Brillanten!«

Er deutete dabei nach ihren Ringen und Armbändern, an denen kostbare Diamanten funkelten. Sie zuckte die Achsel und schwieg.

»Warum treten Sie mit dieser Leda in die Schranken, Miß Ellen?« fragte er.

»Thue ich das?« warf sie ein.

»Dieses Weib ist nicht werth, Sie auch nur anzublicken, und doch ringen Sie mit ihr um die Anstellung an dem zweiten Theater dieser deutschen Stadt!«

Ein abermaliges Achselzucken war ihre einzige Antwort.

»Ich möchte diese Concurrenz zur Hölle wünschen,« knirschte er. »Man weiß ja im Voraus, daß Sie besiegt werden.«

»Wirklich?« fragte sie lächelnd. Und sich hoch und stolz emporrichtend, fügte sie hinzu: »Mich besiegt man nicht!«

»Die Leda hat das Anstellungsdecret so gut wie in der Hand. Ich weiß es.«

»Und das nennen Sie eine Niederlage für mich?«

»Doch jedenfalls.«

»Das ist wieder ein Beweis, daß Sie mich nicht verstehen. Ah, da kommt Ihre Schwester.«

Hilda’s Eintreten machte dem unerquicklichen Gespräche ein Ende. Die Amerikanerin gab sich keine Mühe, ihre Anwesenheit besonders zu verlängern. Als sie sich dann verabschiedete, reichte sie ihm die Hand mit den Worten: »Vergessen Sie nie, was ich Ihnen sagte: Ich bin arm, sehr arm, viel, viel ärmer als Sie!«

Als sie die dunkle Treppe hinabstieg, kam ihr der Hausverwalter entgegen. Sie passirten an einander vorüber. Dann blieb er murmelnd stehen: »Wer war das? Eine vornehme Dame. Aber es klang ja ganz so, als ob sie weine, als ob sie ein Schluchzen unterdrücke! Ich muß mich verhört haben!«

Unten zog sie den dichten Schleier vor das Gesicht. So konnte man das letztere nicht deutlich erkennen.

Später trat sie in den Laden des bekanntesten und reichsten Juweliers. Sie trug selbst auf der Bühne stets nur echten Schmuck und hatte ihm einiges Geschmeide anvertraut, um eine oder mehrere kleine Änderungen daran vornehmen zu lassen.

Er befand sich mit einem ältlichen Herrn im Gespräch, bei welchem er sich durch eine tiefe Verbeugung entschuldigte, um sie bedienen zu dürfen. Dieser Herr betrachtete die Kostbarkeiten des Ladens, hörte aber dabei aufmerksam dem Gespräche zu, welches sie mit dem Juwelier führte.

Dieser glaubte, seine Kenntnisse zeigen zu müssen, indem er den Werth ihres Schmuckes taxirte. Der ältliche Herr trat hinzu und fragte: »Wie sagen Sie? Ein Bracelet im Werthe von über sechzigtausend Gulden? Bitte, darf ich es mir anschauen, Fräulein?«

Ellen streifte das Armband ab und gab es ihm in die Hand. Der Juwelier öffnete bereits den Mund zu einer Bemerkung, welche er für nothwendig hielt, aber der Herr gab ihm einen von Ellen unbemerkten Wink.

»Herrlich!« sagte er. »Wirklich entzückend! Wo ist dieser Schmuck gefertigt worden?«

»In St. Louis.« Jetzt blickte er sie forschend an, dann fragte er: »Sie sind Amerikanerin?«

»Ja.«

»Erst seit kurzem hier?«

»Seit sehr kurzem.«

»So irre ich mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Ihr Name Ellen Starton ist?«

»Ich heiße so.«

»Ich habe von Ihnen gehört. Sie werden heut Abend hier auftreten. Ich möchte Sie gern sehen, bin aber leider nie in der Lage, das zweite Theater zu besuchen.«

Sie kamen in ein recht animirtes Gespräch mit einander. Natürlich war die Kunst der Gegenstand. Er hörte ihre Urtheile, und es war ihm anzusehen, daß er von Secunde zu Secunde mehr Sympathie für sie gewann. Das zeigte sich, als sie ging. Er nahm Gelegenheit, zugleich mit ihr den Laden zu verlassen und wies den demüthigen Gruß des Juweliers mit einem scharfen Wink zurück. Draußen vor der Thür fragte er.

»Wo logiren Sie, Fräulein?«

»Im Hotel Union.«

»Werden Sie dieses Haus zu Fuß erreichen?«

»Ich beabsichtige es.«

»So bitte ich um die Erlaubniß, Sie begleiten zu dürfen. Mein Weg führt mich da vorüber.«

Sie gingen neben einander her, er zur Linken und sie zur Rechten. Sie setzten das begonnene Gespräch fort. Ellen bemerkte, daß man allüberall die Köpfe entblößte und daß ihr Begleiter dankend nickte, aber sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken, so fesselte er sie durch seine tiefen, geistreichen Bemerkungen.

Am Thor des Hotels blieben sie stehen. Der Portier präsentirte seinen goldbeknauften Stock und zog sich dann in ehrerbietige Entfernung zurück. Im Hintergrunde des tiefen Flures sammelte sich die Bedienung, um mit verwunderten Blicken die Beiden zu beobachten.

»Da sind wir viel zu schnell am Ziele angekommen,« sagte er. »Der Weg hätte doch noch länger sein können. Wissen Sie, daß man während des Gespräches genau hört, wie Sie tanzen?«

Sie erröthete.

»Bitte, keine Verlegenheit, mein Fräulein! Ich habe vor einer halben Stunde von Ihnen gehört. Ich traf ganz zufälliger Weise den Fürsten von Befour, der Sie jenseits des Oceans gesehen hat. Wollen Sie sich hier im Residenztheater engagiren lassen?«

»Nein.«

»Warum treten Sie dann auf?«

Sein Blick war so voll und gut auf sie gerichtet, daß sie nach keiner Ausrede suchte. Sie gestand offen: »Ich wollte hier auftreten, nur um mich sehen zu lassen. Ich suche eine mir theure Person, welche mir verlorenging.«

»Haben Sie sie gefunden?«

»Ja.«

»Also bereits vor dem Auftreten. Das freut mich. Wie ich höre, legt man Ihnen Hindernisse. Man ist Ihrer nicht werth. Könnten Sie sich nicht entschließen, sich einmal auf der Hofbühne sehen zu lassen?«

Sie zuckte leicht die Achsel.

»Ah, Sie wollen sich nicht anbieten! Recht so! Dann aber wäre es wenigstens dankenswerth von Ihnen, einmal am Hofe zu beweisen, daß Ihr Ruf die Wahrheit spricht.«

»O,« lächelte sie. »Ich bin unbekannt, ohne Protection und – Republikanerin.«

»Doch nicht etwa gar zu roth und radical?«

»O nein. Wir Frauen sind im Grunde genommen doch alle gut monarchisch gesinnt.«

»Schön, schön! Für Protection wollen wir schon sorgen. Ich gestehe Ihnen nämlich endlich, daß ich der – König bin.«

Sie erschrak keineswegs. Sie richtete ihr Auge voll und warm auf ihn und antwortete:

»Majestät, glücklich das Land, welches einen so herzensguten Vater hat!«

»Danke! Leider haben wir Väter nicht immer von großem Glück zu sagen. Ihr Künstler versteht es, die Töne, Farben, Formen und Bewegungen in glückliche Harmonie zu bringen, während wir vergeblich mit den Disharmonieen kämpfen. Kennen Sie ein Mittel dagegen?«

Es war ein wirklich seelensgutes Lächeln, mit welchem er sie bei dieser Frage anblickte.

»Ja, Majestät,« antwortete sie, zugleich erhoben und gerührt. »Ich werde für Sie beten, und ich wünsche, daß alle Ihre vielen Kinder dasselbe thun möchten. Dann wird Eintracht im Hause sein!«

»Amen!« sagte er. »Miß Ellen, Sie sind ein braves Herz; Sie sind ein Diamant. Wer mag der Meister sein, dem das große Glück beschieden sein wird, Sie in goldene Façon zu nehmen? Gott segne Sie!«

Er gab ihr die Hand und entzog sie ihr sofort wieder, als sie dieselbe küssen wollte.

»Ein edler, edler Monarch!« flüsterte sie, als sie in ihrem Zimmer den Pelz ablegte. Und auf den anderen Gedanken eingebend, fuhr sie fort: »Wer wird der Meister sein? O, ich weiß, wer es sein sollte und sein könnte! Aber er spart die kostbare Façon, weil er den Diamanten für unecht hält.«

Und in einem Hintergebäude des Altmarktes, drei Treppen hoch, saß Max Holm, den Kopf in die Hand gestützt, in trübes Sinnen versunken. Er dachte an die letzten Worte, welche sie ihm gesagt hatte.

»Vergessen Sie nie, was ich Ihnen sagte: Ich bin arm, sehr arm, viel ärmer als Sie!« –

Der König war noch nicht weit vom Hotel Union fortgekommen, so begegnete ihm eine jugendliche Reiterin. Sie senkte Kopf und Reitgerte respectvoll, und er zog grüßend den Hut. Er kannte das schöne Mädchen. Es war Fanny, die Tochter des Obersten von Hellenbach.

Sie war jetzt immer recht sehr beschäftigt. Robert Bertram war ein-für allemal zu ihren Eltern geladen und machte von dieser Erlaubniß den ausgiebigsten Gebrauch. Er las mit ihr, musicirte mir ihr, spielte Schach und Dame mit ihr und durfte sie auf ihren Ausflügen begleiten. Jetzt wollte sie ihn zu einem Spazierritte abholen. Der Fürst hatte ihm ein Pferd zur Verfügung gestellt, und er war in sehr kurzer Zeit ein sehr guter Reiter geworden.

Freilich holte sie ihn nicht in der Palaststraße ab, sondern sie ritt nach der Siegesstraße, wo sie vor dem Häuschen Papa Brandts abstieg. Einen Diener hatte sie nicht mit. Sie band also das Pferd an die Ladenangel und trat ein.

Mutter Brandt kam ihr mit glänzendem Gesicht entgegen. Es war allemal wie Sonnenschein, wenn Fanny sich hier sehen ließ. Nur hütete sie sich, es dem Fürsten allzusehr merken zu lassen, daß sie gern hier in dem Häuschen sei. Warum, das wußte sie selbst nicht recht.

»Guten Morgen, Mama Brandt,« grüßte die schöne Oberstentochter. »Ist er da?«

»Ja,« lächelte die Alte schlau.

»Wo befindet er sich?«

»Drinn im Stübchen. Er sitzt im Großvaterstuhle und raucht seine Pfeife Rolltabak mit Portorico.«

»Wer? Der wird doch nicht Pfeife rauchen und im Großvaterstuhle sitzen!«

»Warum denn nicht? Er hat sonst ja nicht viel zu thun.«

»Ach, Sie meinen Ihren Papa Brandt?«

»Ja. Wen soll denn ich sonst wohl meinen?«

Doch dabei sah man es ihr deutlich an, daß sie ganz wohl wußte, auf wen sich Fanny’s Frage bezogen hatte.

Diese gab ihr einen liebevollen Klapps und sagte:

»Garstigkeit und Schabernack! Nun gehe ich aber doch grad hinein zu Ihrem Brummbär, und sollten Sie auch vor Eifersucht schier platzen!«

Sie blieb aber doch nicht lang drinnen; denn schon nach einer Minute kam sie wieder und meinte hustend: »Puh! Dieser Portorico! Oder ist’s der Rollentabak?«

»Beides, beides, liebes Kind!«

»Desto schlimmer! Schütten Sie ihm doch Pfeffermünzöl hinein. Dann riecht der Tabak besser. Ist Herr Bertram oben in seinem Zimmer?«

»Ja, gnädiges Fräulein.«

»Nun, so wollen wir ihn schleunigst einmal überfallen!«

Sie stieg die Treppe empor, klopfte an und fand Robert mit einer schriftlichen Arbeit beschäftigt. Die Röthe der Freude stieg in seine schönen, geistvollen Züge, als er die Freundin, die heimlich Geliebte, erblickte. Sie reichte ihm zum Gruße die Hand entgegen, und er drückte dieselbe leicht in ehrerbietiger Weise.

»Nicht so!« sagte sie. »Wissen Sie, lieber Herr Bertram, daß ich fast verzweifle, meine Erziehung von Erfolg gekrönt zu sehen.«

»Das haben Sie wohl nicht dem Mangel an gutem Willen meinerseits zuzuschreiben, gnädiges Fräulein,« antwortete er.

»O doch! Was sollte denn sonst die Ursache sein?«

»Vielleicht besitze ich nicht das richtige und ausreichende Verständniß für Ihre lobenswerthen Bemühungen. Habe ich vielleicht jetzt wieder einen Fehler begangen?«

»Natürlich, und zwar einen ganz bedeutenden.«

»Dann bitte ich um Erklärung.«

»In dem Sie das thun, machen Sie sich bereits wieder einer Unterlassungssünde schuldig!«

»Sie sehen mich in größter Verzweiflung.«

»Gewiß, weil Sie nicht einsehen, welche Sünde das ist.«

»Ja, so ist es freilich.«

»Nun, Sie fordern eine Erklärung und lassen mich dabei stehen. Wollen Sie mir denn nicht einen Sitz anbieten? Oder wünschen Sie etwa, daß ich mich schleunigst entferne?«

»Nein, o nein! Hier, bitte, nehmen Sie Platz!«

Er schob ihr einen Sessel hin, und während sie sich in graziöser Weise darauf niederließ, fuhr er fort: »So, der zweite Fehler ist gut gemacht. Nun aber darf ich wohl auch den ersten erfahren.«

»Gewiß. Wissen Sie, wem man beim Empfange die Hand in der Weise drückt, wie Sie es bei mir gethan haben?«

»Nun, wem?«

»Irgend einer Person, welche man nur oberflächlich kennt, die Einem aber sehr gleichgiltig ist. Man sollte doch denken, daß es einem Dichter nicht so schwer fallen kann, ein Damenherr zu werden!«

»O bitte, diese Bezeichnung ist mir nicht geläufig,« meinte er lächelnd. »Was habe ich unter einem Damenherrn zu verstehen?«

Sie schlug im komischen Erstaunen die Hände zusammen und antwortete:

»Mein Gott, auch das wissen Sie nicht?«

»Leider, nein! Sie sehen, wie wenig ich gelernt habe!«

»Und wie weit ich Ihnen an Kenntnissen überlegen bin. Nun, ich will Sie gern belehren. Ein Damenherr ist ein Cavalier, welcher es versteht, sich bei Damen beliebt zu machen.«

»Bei allen?«

»Ja, natürlich.«

»O weh! Das werde ich niemals lernen!«

»Warum nicht? Ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich Sie für ganz gelehrig gehalten habe.«

»Hm! Hier fehlt es wohl weniger an dem intellectuellen Können als vielmehr am guten Willen.«

»Und das gestehen Sie so aufrichtig und unbefangen ein!«

»Ich mag es nicht leugnen.«

»Nun, warum fehlt es denn am guten Willen?«

»Ich mag nicht allen Damen gefallen.«

»Haben Sie denn einen gar so triftigen Grund dazu?«

»Ja, einen sehr triftigen.«

»Darf man ihn erfahren?«

»Ja. Ich wünsche nämlich, nur einer Einzigen zu gefallen.«

»Was haben Ihnen denn die Anderen gethan?«

»Nichts, gar nichts.«

»Warum bevorzugen Sie da diese Eine nur?«

»Sie ist es werth. Sie ist die Schönste, Reinste, Beste und Anbetungswürdigste von Allen.«

»Was Sie sagen! So ein anbetungswürdiges Wesen möchte ich kennen lernen, Herr Bertram.«

»Sie kennen sie.«

»So wohnt sie hier in der Residenz?«

»Ja.«

»Wohl gar in meiner Nähe.«

»Sehr.«

»Bitte, bitte, sagen Sie mir den Namen.«

»Gnädiges Fräulein, das wäre eine Indiscretion, zu welcher ich mich nicht berufen fühle.«

»Sie Garstiger! Geben Sie mir doch wenigstens die Hoffnung, daß ich noch erfahren werde, wer sie ist.«

»Ja, das will ich Ihnen gern versprechen.«

»Schön! Und da sagen Sie mir doch einmal aufrichtig, ob Sie diese bevorzugte Dame auch so begrüßen wie mich.«

»Ganz genauso.«

»Mit einem bloßen Händedruck.«

»Ja.«

»Aber da sind Sie ihr gegenüber doch auch nicht Damenherr!«

»Ein solcher würde sie wohl anders begrüßen?«

»Natürlich!«

»In welcher Weise wohl?«

»Nun, nehmen wir an, sie giebt Ihnen die Hand –«

»Schön, schön!«

»Oder das Händchen, denn eine Angebetete hat niemals eine Hand, sondern ein Händchen, ein süßes, kleines, liebes, warmes, weiches und weißes Händchen. Nicht wahr?«

»Gewiß, gewiß! Sie haben sehr, sehr recht!«

»Also sie giebt Ihnen das Händchen, grad so, wie ich es so eben that. Das dürfen Sie doch nicht drücken!«

»Was denn?«

»Hm! Nun ja, drücken dürfen Sie es allerdings, aber nur an Ihre Lippen oder an Ihr Herz!«

»Also küssen?«

»Ja, das meine ich.«

»Aber ich weiß ja gar nicht, ob sie dies erlaubt!«

»Haben Sie sie denn noch nicht gefragt?«

»Nein.«

»Nun, so thun Sie es doch einmal ohne vorherige Bitte um Erlaubniß! Ein Herr darf Etwas wagen.«

Sie blickte ihm so gut und so treuherzig in das Gesicht. Er fühlte fast sein Herz klopfen. Er antwortete: »Das möchte ich wohl, denn muthlos bin ich eben nicht; aber es geht leider nicht, es geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich möchte wohl das kleine, süße Händchen küssen, aber –«

»Was, aber?«

»Aber sie hat fast immer Handschuhe an.«

Sie stieß ein helles, silbernes Lachen aus und meinte:

»So küssen Sie ein wenig oberhalb des Handschuhes!«

»Da ist die Manschette, und dann folgt der Spitzenbesatz. Ich bin wirklich recht übel daran.«

»Nun, so müssen Sie schlau sein und den Augenblick abwarten, an welchem sie einmal den Handschuh entfernt hat. Das wird doch einmal der Fall sein!«

»Ja, gewiß. Aber dann bin ich vielleicht grad abwesend.«

»Dann würde ich es ihr doch einmal recht deutlich zu verstehen geben, daß der Handschuh so störend wirkt!«

»Wird das helfen?«

»Ich bin überzeugt. Sie ist ja die Angebetete!«

»Aber sie betet mich jedenfalls nicht wieder an.«

»Hm! Ich sehe ein, daß Sie sich in einer nicht sehr angenehmen Lage befinden.«

»O, sogar in einer sehr unglücklichen!« lächelte er.

»Dann ist es meine Pflicht, Ihnen Ihr Unglück wenigstens für kurze Zeit vergessen zu machen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie sich ein wenig zerstreuen. Bemerken Sie vielleicht, daß ich im Reitkleide bin?«

»Gewiß, gnädiges Fräulein.«

»Nun, mein Pferd steht unten. Wollen Sie mit?«

»Wohin?«

»Ein wenig vor die Stadt.«

»Wenn Sie befehlen, ja.«

»Nun, ich befehle es allerdings auf das Allerstrengste.«

»So werde ich gleich satteln lassen.«

Er entfernte sich für einige Augenblicke. Sie nahm auf seinem Schreibsessel Platz, zog einen der beiden Reithandschuhe aus und griff nach einem Buche.

»Sie sehen, daß ich mich bei Ihnen daheim befinde,« sagte sie, als er zurückkehrte. »Ich bemächtige mich Ihrer Lectüre, ohne Sie vorher um Erlaubniß gefragt zu haben.«

»Ich wünsche, daß Sie etwas Interessantes getroffen haben mögen.«

»Gewiß, sehr interessant, besonders für eine junge Dame!«

Sie schlug den Titel auf und las:

»Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – und – Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen. Vom Immanuel Kant.«

»O weh!« lachte Bertram.

»Diese Sachen lesen Sie?«

»Ich studire sie sogar.«

»Und ich hielt Sie vorhin für ungelehrig! Was mich betrifft, so weiß ich ganz und gar nicht, was ich unter diesen vier syllogistischen Figuren zu verstehen habe; auch weiß ich nicht, was eine negative Größe ist, mag es auch gar nicht erfahren. Ich interessire mich mehr für – ah, wie steht es mit dem zweiten Bandes Ihrer ›Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder‹? Ist er begonnen?«

»Beinahe fertig.«

»Schön. Diese Bilder sind mir weit sympathischer als die syllogistischen Figuren. Und, da fällt mir ein: ich habe Ihnen doch vorgestern ein Thema gegeben. Haben Sie daran gedacht?«

»Hm! Ich habe es wieder vergessen.«

Sie machte ein erstauntes Gesichtchen und sagte in einem sehr ernsten, verweisenden Tone:

»Das hätte ich allerdings nicht gedacht. Ich werde nachdenken, wie ich Sie zu bestrafen habe. Also, das ganze Sujet haben Sie vergessen?«

»Das ganze! Leider!«

»Nun, ich wollte ein Lied zum Componiren.«

»Darauf besinne ich mich.«

»Nur drei Strophen sollte es haben.«

»Auch das weiß ich.«

»Alle drei sollten ähnlich anfangen und auch einen gleichen Refrain haben. Wissen Sie, das macht sich besser.«

»Gewiß. Es ist symmetrischer.«

»Ich sagte Ihnen auch, welchen Refrain ich wünschte.«

»Und grad das ist mir entfallen!«

»Die Hauptsache, grad die Hauptsache.«

»Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich zu erinnern.«

»Und wirklich vergebens?«

»Hm! Es hat in meinem Gedächtniß ein wenig getagt; aber ich kann nicht behaupten, ob ich mich irre oder nicht. Vielleicht ist mir etwas Falsches eingefallen.«

»Nun, wie war der Refrain der drei Strophen?«

»Ich glaube, es war so: Spielst Du vielleicht, schielst Du vielleicht und stiehlst Du vielleicht?«

Da schlug sie die Hände zusammen und sagte im Tone gut gespielter Entrüstung:

»Welch ein Mensch! Einen Refrain auf spielst, schielst und stiehlst. Und das soll ich componiren?«

»Ich glaubte wirklich, es sei so gewesen.«

»Was denken Sie! Ich muß Ihrem Gedächtnisse wirklich zu Hilfe kommen. Der Refrain sollte bei allen drei Strophen lauten: Liebst Du vielleicht.«

»Richtig, richtig! Ah, und darauf konnte ich mich beim allerbesten Willen nicht wieder besinnen!«

»Unbegreiflich! Auch erbat ich mir das Gedicht so bald wie möglich, mein Herr Hadschi Omanah!«

»Ich sagte zu, in sechs Wochen fertig zu sein.«

»Sechs Wochen? Heut, heut wollten Sie mir es geben. Ich komme ja grad deshalb zu Ihnen.«

»Das Gedicht wollen Sie?«

»Jawohl.«

»Ich denke, Sie kommen, um mich zu einem Spazierritte abzuholen! So kann man sich täuschen!«

»Der Spazierritt sollte die Belohnung für das Gedicht sein. Nun es nicht fertig ist, werden Sie daheim bleiben müssen!«

»O bitte, nicht gar zu streng!«

»Wie denn sonst? Euch Dichter darf man nicht verziehen.«

»Nun, so will ich es lieber wagen – – –«

»Was?«

»Ich habe mit ihrem Refrain allerdings einen Versuch gemacht. Ich glaube aber leider, daß er mißlungen ist.«

»Sie haben das Gedicht fertig?«

»Ja.«

»Wo ist es! Schnell, schnell!«

»Bitte, lassen Sie mich lesen!«

Er zog unter seinen Schreibereien einen Zettel hervor und las:

 

»Hast Du geseh’n auf grüner Au

Sich öffnen leis der Knospe Pracht,

Wenn schimmernd im brillant’nen Thau,

Im Osten Strahl um Strahl erwacht.

 

Was mag das für ein Falter sein,

Der fächelnd um die Haide streicht?

Lieb Röselein, lieb Röselein,

O sag, o sag, liebst Du vielleicht?«

 

»Sehr schön, sehr schön!« sagte Fanny. »Das ist es ja, was ich mir gewünscht habe. Bitte, weiter!«

Sie nickte ihm aufmunternd zu, und er fuhr fort:

 

»Hast Du gehört im grünen Haag

Der Nachtigall bezaubernd Lied,

Wenn sich zur Rüste neigt der Tag

Und Licht um Licht im West verglüht?

 

Was mag das für ein Nestchen sein,

Um das der kleine Sänger streift?

Lieb Vögelein, lieb Vögelein,

O sag, o sag, liebst Du vielleicht?«

 

»Prächtig!« rief sie, in die Hände klatschend. »Das war erst die Rose und dann die Nachtigall. Das sind natürlich nur die Analogieen. Nun aber kommt das Richtige.«

»Was?«

»Hm! Man kennt Euch Dichter nur zu gut. Erst die letzte Strophe bringt Das, was Ihr eigentlich sagen wollt.«

»Nun, was will ich hier sagen?«

»Sagen nicht, sondern fragen.«

»Aber was?«

»Liebst Du vielleicht! Was denn anderes! Bitte, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Das Gedicht ist sehr gut entworfen, und ich bin sicher, daß die letzte Strophe ebenso meinen Beifall finden wird, wie das Vorhergehende. Also lesen Sie nur immer weiter, Herr Bertram.«

Er recitirte, ihrer Aufforderung gemäß, noch die Strophe:

 

»Hast Du gefühlt in tiefer Brust

Des Herzens Klopfen, wenn ein Arm

Sich halb bewußt, halb unbewußt

Um Dich gelegt so treu, so warm?

 

Was mag das für ein Auge sein,

Deß’ Blick zu Dir herniedersteigt.

Lieb Herzelein, lieb Herzelein,

O sag, o sag, liebst Du vielleicht?«

 

»Ich dachte es mir,« bestätigte sie. »Erst die Rose, dann die Nachtigall, und nun das Herz. So mußte es kommen.«

»Also sind Sie zufrieden?«

»Hm. Eigentlich nicht.«

»Was haben Sie zu tadeln, gnädiges Fräulein?«

»Sie fragen immer: Liebst Du vielleicht?«

»Aber das ist ja die Aufgabe, welche Sie mir ertheilten!«

»Gewiß; aber so streng dürfen Sie sich doch nicht an sie halten: Sie dürfen doch nicht blos fragen, sondern Sie müssen ja auch antworten.«

»Ich wußte wirklich nicht, welche Antwort ich in aller Geschwindigkeit geben solle.«

»Was das betrifft, so muß ein Dichter allwissend sein. Das Genie darf eben nie in Verlegenheit kommen.«

»Ganz richtig, das Genie! Aber – – – ich!«

»Hm. Sie halten sich also für –«

»Für ein Genie – nicht.«

»Das freut mich.«

»Daß ich kein Genie bin? Wirklich?«

»Nein. Es freut mich, daß Sie sich für kein Genie halten. Sie sind bescheiden und das liebe ich. Uebrigens will ich Ihnen sagen, daß ich mit Ihrem Gedicht sehr zufrieden bin. Ich bin sehr geneigt, Ihnen eine kleine Anerkennung dafür zu widmen. Nur fällt mir leider nicht einmal in der Geschwindigkeit ein, wie ich das anfangen soll.«

»O, ich wüßte Rath, gnädiges Fräulein.«

»Was?«

»Er ist endlich herunter.«

»Wer?«

»Der da.«

Er deutete auf den Handschuh, den sie ausgezogen hatte. Sie schlug ein wohltönendes Lachen auf und sagte: »Ich brauche ihn ja noch?«

»O, ich mag ihn ja gar nicht!«

»Nicht? Ich denke doch!«

»Nein, ich mag ihn wirklich nicht; ich will überhaupt nichts haben, gar nichts, sondern ich will lieber geben.«

»Was denn?«

»Das.«

Er zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie mehrere Male. Sie erröthete ein Wenig, sagte aber doch scherzend: »Ich glaube, Sie fangen an, gelehrig zu werden.«

»Ich habe mir gelobt, mir Mühe zu geben.«

»Aber doch nicht mit mir!«

»Ist das verboten?«

»Gewiß! Was würde Ihre ›Angebetete‹ dazu sagen!«

»O, die ist auf alle Fälle mit Ihnen einverstanden.«

»Das will ich doch noch dahingestellt sein lassen. Aber, bleiben wir ernsthaft! Wollen Sie mir das Gedicht lassen?«

»Gern.«

»Ich darf es in Musik setzen?«

»Thun Sie damit, was Ihnen beliebt. Sie können es meinetwegen in’s Feuer werfen und verbrennen.«

»Nein, das thue ich nun freilich nicht. Ich finde, daß es melodiös ist und sich leicht componiren lassen wird.«

»Dann singen Sie es mir vor.«

»Gewiß. Ich muß doch Ihr Urtheil hören!«

»Wann ungefähr wird das sein?«

»Ich fange noch heute an.«

»Und werden auch heute noch fertig?«

»Vielleicht.«

»Nein, sondern gewiß. Ich weiß, wie schnell Sie arbeiten.«

»Nun, es ist möglich, daß ich noch fertig werde. Also, wollen Sie es dann gleich hören?«

»Wenn möglich heute noch.«

»So kommen Sie heute Abend.«

»Ich danke.«

»O nein, ich habe zu danken. Sie sollen mein Beschützer sein.«

»Wieso?«

»Weil ich ohne Sie ganz allein sein würde. Papa und Mama gehen in das Theater. Gehen Sie auch? Dann dispensire ich Sie allerdings.«

»Nein. Ich habe den Freischütz bereits im vorigen Monate gesehen, gnädiges Fräulein.«

»Ich meine nicht das Hof-, sondern das Residenztheater. Die Eltern wollen sehen, welche von den beiden Tänzerinnen die Andere besiegen wird.«

»Ich mag kein Ballet sehen.«

»Ich auch nicht. Darum bat ich, zu Hause bleiben zu dürfen. Nun kommen Sie zu mir. Das ist viel besser als diese Königin der Nacht. Nicht?«

»O gewiß! Ich bin doch so gern, so gern bei Ihnen.«

»Noch lieber aber bei der – – Angebeteten!«

»Lieber nicht, sondern gerade und genau so lieb. Doch, man ruft unten. Das Pferd ist gesattelt.«

»Schön. Also das Gedicht nehme ich mit?«

»Ja.«

Sie faltete das Blatt zusammen und schob es in den Brustaufschlag ihres Reitkleides. Er war entzückt, daß seinem Gedichte ein so reizender Ort angewiesen wurde und zog ihr Händchen abermals an seine Lippen. Sie drohte ihm lächelnd mit der anderen Hand und sagte: »Gelehrig soll man sein, aber nicht zu sehr!«

»O, man muß sich doch üben!«

»Ueben Sie sich doch bei Mama Brandt.«

»Schön. Aber darf ich Ihnen zuweilen zeigen, daß ich Das, was ich einmal gelernt habe, nicht wieder vergesse?«

»Ich will es mir überlegen. Kommen Sie!«

Sein Pferd stand neben dem ihrigen. Er half ihr in den Sattel, und dann trabten sie wohlgemuth in den heiteren Wintermorgen hinein.

Die Stadt lag bald hinter ihnen. Sie fühlten sich unbeobachtet und ungestört und plauderten so lebhaft und laut mit einander, als ob sie sich ganz allein in der schönen Gotteswelt befänden. Sie fühlten sich glücklich, und sie verdienten das.

Vor ihrem Wege, mitten in der Chaussee hielt ein Schlitten, welcher nur mit einem Pferde bespannt war. Darin saß ein Frauenzimmer. Ein Mann war ausgestiegen, um sich beim Pferde zu schaffen zu machen. Es war irgend Etwas am Geschirr in Unordnung gerathen.

Dieser Mann war der Jude Salomon Levi. Die im Schlitten saß, war Judith, seine Tochter.

Er hatte auf einem Nachbardorfe zu thun gehabt, und Judith war sogleich bereit gewesen, von der Parthie zu sein, zu welcher er sich das Geschirr von einem Bekannten geborgt hatte. Er war kein berühmter Rosselenker; aber der Gaul war alt und abgetrieben, und so durfte keine Gefahr befürchtet werden.

Aber auf dem Rückwege begann das Pferd doch allerlei ungewöhnliche Bewegungen zu machen, und da er sich dieselben nicht zu erklären vermochte, so wendete er sich an Judith: »Siehst, wie da wackelt der Gaul mit dem Kopfe?«

»Ja.«

»Und wie er wirft auf die Seite das Bein?«

»Ja, Vater.«

»Wie er schnauft mit die Nüstern und legt hinten hinüber alle seine beiden Ohren?«

»Er hat Etwas.«

»Oder hat er Etwas nicht. Was will er haben? Er hat den Schlitten und er hat uns Beide. Wenn er will haben noch Etwas, so kann er bekommen die Peitsche.«

»Um Gotteswillen, Vaterleben, schlage ihn nicht.«

»Warum soll ich ihn nicht schlagen? Habe ich ihn doch geborgt für drei Gulden fünfzig Kreuzer.«

»Aber er wird Dich schlagen mit dem Hufeisen.«

»Das ist allerdings gefährlich! Aber warum läuft er denn nicht, wie er hat zu laufen, wenn er ist gehängt an den Schlitten?«

»Vielleicht ist ein Riemen entzwei?«

»Möglich.«

»Sieh einmal nach!«

»Schön. Werde ich aussteigen, um zu bringen die Sache in Ordnung.«

Er stieg aus dem Schlitten und wollte sich dem Pferde nähern; da aber warnte ihn Judith in ängstlichem Tone.

»Vaterleben, was willst Du thun! Willst Du Dich begeben in die Gefahr Deines eigenen Lebens!«

»Wo denn?«

»Hast Du doch die Peitsche in der Hand!«

»Natürlich. Soll ich etwa haben die Peitsche in der Westentasche?«

»Aber Du sollst nicht mit ihr so nahe an das Pferd gehen. Wenn es sieht die Peitsche, wird es denken, daß es erhalten soll Prügel, und dann wird es anrichten ein Unglück.«

»Gut, so werde ich sie weglegen.«

»Gieb sie mir! Ich werde sie halten.«

»Ja, mein Tochterleben. Hier hast Du sie. Aber schlage nicht mit ihr nach dem Gaule, sonst läuft er davon mit dem Schlitten und mit Dir, und ich muß laufen nach Hause in meinen Stiefeln, welche ich habe gekauft in voriger Woche für einen Gulden achtzig Kreuzer.«

Er gab ihr die Peitsche und näherte sich dann vorsichtig dem Pferde, um zu sehen, welcher Fehler zu verbessern sei.

»Siehst Du, welche Augen mir macht der Rappe?« fragte er.

»Nein.«

»Er dreht die Augen heraus wie ein Leviathan. Er dreht sie nach vorn und nach hinten. Jetzt weiß ich nun nicht, mit welchen Beinen er wird schlagen nach mir, ob mit den vorderen oder mit den hinteren.«

»Streichle ihn, Vaterleben! Schnalze mit der Zunge und rede mit ihm mit lieblicher Stimme!«

»Denkst Du, daß er dann bekommen werde auch liebliche Gedanken?«

»Ja, er wird sie bekommen.«

Er befolgte ihren Rath und fand endlich, was ein jeder Andere sofort gesehen haben würde, nämlich, daß einer der beiden Stränge ausgekettelt war. Er besserte den Schaden aus und wollte eben wieder in den Schlitten steigen, da deutete Judith nach vorn und sagte: »Vaterleben, siehst Du die beiden Reiter?«

»Ja. Gott Abrahams! Warum kommen die denn geritten gerade auf dieser Straße.«

»Du glaubst, daß wir Angst haben müssen?«

»Natürlich. Wenn nun unser Gaul nicht leiden kann das Reiten, so wird er werden scheu und mit uns davonrennen in alle Lüfte.«

»So halte fest die Zügel. Ah, es ist eine Dame dabei!«

Salomon Levi hatte sein Pferd wieder in Bewegung gesetzt. Er betrachtete sich die beiden Entgegenkommenden und antwortete: »Ja, es ist dabei ein Frauenzimmer. Wie kann reiten ein Frauenzimmer, da sie doch muß halten beide Beine zugleich nach nur einer Seite. Wenn ihr abrutschen die Beine, so läuft der Gaul fort ohne sie, und sie sitzt unten im Schnee ohne Sattel. Mögen die Frauenzimmer doch lieber spinnen oder stricken oder kochen für ihre Männer, wobei niemals abrutschen beide Beine!«

Da, jetzt gab Judith dem Alten einen plötzlichen Stoß und sagte:

»Kennst Du sie? He, kennst Du sie?«

»Nein. Hat sie doch vor dem Gesicht einen Schleier.«

»Aber ihn kennst Du?«

»O Abraham, Isaak und Jakob! Ist es wahr, daß es ist dieser Dichter, dessen Namen wir suchen vergebens?«

»Ja, er ist es.«

»Und wer ist sie?«

»Es ist die Hellenbach. Sie will ihn haben; sie will ihn heirathen; sie will mich bringen um den Jüngling meiner Liebe.«

»Soll ich ihr vielleicht schneiden ein Gesicht, daß sie bekommt Leibschneiden und Bauchgrimmen auf drei Wochen?«

»Nein. Ziehe Deine Mütze tief herein. Sie brauchen uns nicht zu erkennen.«

Er folgte ihr; und auch sie zog ihre Caputze so weit in die Stirn, daß eben nur noch die Augen zu sehen waren.

Sie hatte immer noch die Peitsche in der Hand. Sie schwirrte dieselbe hin und her und fragte:

»Soll ich geben dieser Hellenbach einen Hieb über die Nase?«

»Gott der Gerechte! Was fällt Dir ein! Wenn sie nun steigt ab und prügelt Dich mit der Reitpeitsche!«

»Meine Peitsche ist länger.«

»Aber dieser Bertram hat auch eine und wird ihr helfen.«

»So nimmst Du ihn auf Dich und hältst fest seine Hände.«

»Dann aber werden sie gehen auf das Gericht und uns anzeigen wegen Mordversuch und Verletzung mit Instrumenten, welche sind gefährlich für das Leben des Menschen. Nein, Judithleben! Lassen wir ruhig dahintrollen unsern Gaul, und thun wir gar nicht, als ob wir kennen diese Leute.«

Jetzt kamen sie aneinander vorüber. Da zuckte es doch in Judiths Hand. Sie hatte zuviel vom Orient in sich; sie war feurig, jähzornig und rachsüchtig. Noch waren die beiden Reiter nicht ganz am Schlitten vorbei, da holte sie aus. Sie schlug nicht nach der Reiterin, sondern nach dem Thiere derselben. Die scharfe Schmitze ihrer Peitsche traf unglücklicher Weise die Weiche des Pferdes, die empfindlichste Stelle desselben. Es schlug vor Schmerz hinten aus, stieg vorn empor und schoß dann mit der Reiterin, welcher, da sie auf so etwas nicht gefaßt gewesen war, die Zügel entfallen waren, in rasendem Galopp davon.

»Au waih, au waih!« rief der Jude. »Was hast Du gethan?«

»Was ich hab’ gethan?« antwortete sie. »Geschickt habe ich sie zum Teufel. Sie wird stürzen vom Pferde und brechen den Hals und sämmtliche Beine.«

Aus ihren Augen blitzte die Freude über Das, was sie gethan hatte. Während der Schlitten seinen Weg verfolgte, blickte sie rückwärts und referirte: »Siehst Du, wie sie sich Mühe giebt, sitzen zu bleiben.«

»Aber sie wird fallen.«

»Sie soll fallen; sie muß fallen. Er reitet hinter ihr her, so schnell er kann!«

»Ah! Gott der Gerechte! Jetzt stürzt sie.«

»Ja, sie ist gestürzt; sie liegt auf der Straße.«

»Sie bewegt sich nicht. Sie ist todt; aber ihr Pferd rennt weiter und immer weiter.«

»Und Bertram kommt bei ihr an. Er hält an und steigt ab. Er kniet zu ihr hin. Jetzt wird er sie nehmen in seine Arme und sie vielleicht gar küssen auf den Mund.«

Sie knirschte vor Wuth mit den Zähnen; er aber nahm ihr die Peitsche aus der Hand und sagte in warnendem Tone: »Du hast gehandelt wie eine Heldin. Du hast sie gebracht zum Falle von ihrem Pferde. Nun aber laß uns auch sein vorsichtig wie die Feldherren, welche sich nicht fangen lassen vom Feinde. Wir wollen geben dem Gaule einen Klapps mit der Peitsche, daß er schleunigst rennt nach Hause, damit uns nicht nachkommt Robert Bertram, wenn er uns stellen will zur Rede.«

Er gab dem Pferd einen kleinen Hieb, so daß es ausgriff und den Schlitten so schnell davonzog, wie es seinen spärlichen Kräften möglich war.

Robert Bertram war fürchterlich erschrocken, als er das Pferd Fanny’s mit der Reiterin so ventre-à-terre davon rennen sah. Er konnte natürlich nichts Anderes thun, als im schnellsten Galopp nachfolgen. Er sah, daß sie die Zügel verloren hatte und sich vergebens an der Mähne zu halten suchte. Als sie vom Pferde stürzte, stieß er einen Schrei des Entsetzens aus und grub seinem Pferde die Sporen in die Seiten. Es flog windschnell dahin. Im nächsten Augenblicke war er dort, hielt an, sprang ab und kniete bei ihr nieder.

»Fräulein! Gnädiges Fräulein! Fanny, Fanny!« rief er voller Angst.

Sie hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht.

»Fanny! Fanny! Meine Seele, mein Leben!«

Vergeblich! Sie regte sich nicht, sie blieb stumm!

»Herrgott, sie ist todt!«

In seiner Angst nahm er sie fest und fester in die Arme; er drückte sie an sich; er küßte sie auf Stirn, Mund und Wangen, wieder und immer wieder. Er gab ihr die süßesten, die zärtlichsten Namen und schrie dann wieder vor Entzücken laut auf, als er einen Athemzug bemerkt zu haben glaubte.

»Fanny, Fanny!« wiederholte er. »Um Gotteswillen, stirb nicht! Wache auf! Ich kann ja ohne Dich nicht leben!«

Da öffnete sie langsam ihre Wimpern, und es traf ihn ein Blick, erst seelenlos, dann aber bewußter und immer bewußter. Er bog sich wieder zu ihren Lippen nieder, um sie zu küssen.

»Lebst Du, meine Fanny, lebst Du?« fragte er. »Siehst Du mich? Hörst Du mich?«

»Robert!« hauchte sie.

»Herrgott!« jauchzte er auf. »Sie lebt! Sie spricht!«

Er zog sie in seinem Entzücken so fest an sich, als ob er sie erdrücken wolle. Dabei hörte er die leise Frage: »Was war’s! Was ist’s mit mir?«

»Gestürzt bist Du, vom Pferde gestürzt! Ob, welch’ eine Angst habe ich ausgestanden, welch’ eine Angst!«

Er holte tief, tief Athem.

»Um mich?« flüsterte sie ihm zu.

»Ja, Du bist ja mein Alles, mein Leben, meine Seligkeit!«

Da ging es weich und warm über ihr vorher so bleiches, erstarrtes Angesicht.

»Sein Leben, seine Seligkeit!« flüsterte sie. »Ist’s wahr?«

»Ja, ja, und tausendmal ja, millionenmal ja!«

Das schöne Mädchen legte in süßer Vergessenheit des Ortes, an welchem sie sich befanden, die Arme um ihn und sagte: »Ist das wahr?«

»Ja, meine Fanny! Aber sag, bist Du verletzt?«

Diese Worte brachten sie zur Gegenwart zurück. Sie erröthete in tiefer Gluth und nahm die Arme von ihm.

»Wir wollen sehen,« meinte sie.

Er unterstützte sie und sie erhob sich.

»Geht es? Geht es?« fragte er in größter Besorgniß.

»Ja, es geht, ich kann stehen.«

»Aber nicht gehen?«

Sie raffte die Schleppe des Kleides auf und versuchte, einige Schritte zu thun.

»Gott sei Dank, es ist nicht schlimm!« sagte sie. »Es geht!«

»Und hast – hast –«

Er stockte. Die Aufregung war fast vorüber und das klare Denken kam wieder über ihn. Sie war die Tochter eines altadeligen Geschlechtes, und er –»Und haben Sie Schmerzen?« verbesserte er sich.

»Nein.«

»Welch ein Glück! Ich hielt Sie für todt. Es war ein gefährlicher Sturz.«

»Wie kam es nur? Das Pferd ist ja sonst so fromm.«

»Das Frauenzimmer, welches dort im Schlitten saß, schlug mit der Peitsche nach ihm.«

»Ah, dieses Frauenzimmer?«

»Ja. Ich bemerkte es noch von der Seite, mit einem halben Blicke. Ganz da hinten fahren sie noch. Ich werde ihnen sofort nachreiten und –«

Sie ergriff ihn beim Arme und sagte:

»Halt! Wollen Sie mich hier zurücklassen?«

»Ah! Verzeihung! Ich dachte nur daran, diese Beiden zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Haben Sie sie vielleicht gekannt?«

»Nein. Ich habe sie fast gar nicht angesehen.«

Das war allerdings in der Wahrheit so. Sein Auge hatte nur an seiner schönen Begleiterin gehangen. Diese aber meinte: »Ich glaubte, diese beiden Personen seien Ihnen bekannt!«

»Wer war es?«

»Der Jude Salomon Levi aus der Wasserstraße.«

»Wie? Was? Und vielleicht seine Tochter?«

»Ja.«

»Kennen Sie diese Beiden, gnädiges Fräulein?«

»Ja. Ich bin diesem Mädchen einmal unter Umständen begegnet, welche ein Vergessen zur Unmöglichkeit machen.«

Das war damals gewesen, als Robert Bertram als Gefangener nach dem Kirchhofe geführt worden war. Das wollte sie ihm natürlich nicht sagen.

»Und Sie sind überzeugt, daß sie es wirklich gewesen sind?« erkundigte er sich.

»Vollständig überzeugt«

»Gut, so werden wir sie zur Rechenschaft ziehen!«

»Nein, das thun wir nicht!«

»Nicht?« fragte er erstaunt. »Warum nicht?«

Sie erinnerte sich an das eigenthümliche, feindselige Verhalten des Judenmädchens und antwortete:

»Man darf lieber mit solchen Menschen gar nicht in Berührung kommen. Bitte, holen Sie mir lieber mein Pferd herbei!«

Das Thier war eine Strecke weit fortgaloppirt und dann ruhig stehengeblieben.

»Werden Sie reiten können?« fragte er besorgt.

»Gewiß. Ich fühle, daß ich unverletzt bin. Bitte, erzählen wir daheim nichts davon. Es ist besser, daß gar nicht davon gesprochen wird. Wollen Sie, Herr Bertram?«

»Wenn Sie es wünschen, muß ich ja. Bitte, stützen Sie sich einstweilen hier an diesen Baum!«

Während er das Pferd holte, versuchte sie, die kleinen Spuren des Unfalles zu vernichten, welche derselbe an ihrem Anzuge zurückgelassen hatte. Dann stieg sie wieder auf.

»Doch nicht weiter, sondern nach Hause?«

»Ja.«

Hatten sie vorhin eine so lebhafte, animirte Unterhaltung geführt, so ritten sie jetzt in tiefem Schweigen zurück. Fanny gedachte des Augenblickes, an welchem sie in seinen Armen erwacht war. Es war da wie mit Allgewalt über sie gekommen; sie hatte ihn umarmen müssen. Aber nun?

So oft sein Blick zu ihr herüberstreifte, senkte sie den ihrigen und ihre Wangen rötheten sich. Es war zwischen Beide Etwas getreten, was sie nicht zu definiren versuchten, obgleich sie es deutlich fühlten.

Er begleitete sie bis nach ihrer Wohnung. Als er ihr dort vom Pferde geholfen und dasselbe dem herbeieilenden Diener übergeben hatte, fragte er in beinahe verlegenem Tone: »Und heut Abend, gnädiges Fräulein?«

Da blitzte es munter über ihr Gesicht, und in ebenso munterer Weise antwortete sie:

»Wollen Sie etwa nun doch nach dem Residenztheater?«

»O nein.«

»Also darf ich Sie erwarten?«

»Ja, gewiß, ich komme.«

»Dann also auf Wiedersehen.« – – –

Bevor Max Holm am heutigen Morgen zu dem Fürsten gekommen war, hatte dieser bereits eine kleine Unterredung mit seinem Diener Adolf gehabt, welcher bekanntlich eigentlich ein Polizist war und in der Mauerstraße ein Stübchen genommen hatte, um jenes geheimnißvolle Gartenhaus zu beobachten, in welchem die Bande des »Hauptmannes« ihr Wesen getrieben hatte.

Er war seit längerer Zeit nicht beim Fürsten gewesen und auch von diesem nicht aufgesucht worden und so war derselbe einigermaßen gespannt auf das, was er erfahren werde.

»Giebt es vielleicht etwas Wichtiges, Adolf?« fragte er.

»Ich weiß nicht, ob es wichtig genug sein wird,« antwortete der Gefragte unter einem schlauen Lächeln.

»Nun, es ist Dir anzusehen, daß es doch wohl etwas nicht ganz Gleichgiltiges sein wird.«

»Hm! Möglich!«

»Also heraus damit!«

»Ich kenne den Lieutenant des Hauptmannes.«

»Das heißt, seinen Hauptgehilfen?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Ein gewisser Bauer, welcher bei der Polizei als Agent angemeldet ist und dem Hauptmanne Signale ertheilt, sobald irgend Etwas im Rohre liegt.«

»Kommt dabei das Gartenhaus in Betracht?«

»O nein. Dort in der Mauerstraße ist jetzt Alles still. Man hat Respect bekommen. Dieser Agent wohnt nämlich in einem Mansardenzimmer, welches der Baron von Helfenstein von seiner Wohnung aus sehen kann. Giebt es nun etwas Wichtiges, so stellt der Agent am Tage einen Spiegel, am Abende aber ein Licht an das Fenster.«

»Ah! Welch eine Unvorsichtigkeit vom Baron!«

»Unvorsichtigkeit?«

»Ja. Er hat sich also doch dem Agenten entdeckt!«

»Das glaube ich nicht. Der Agent giebt sein Zeichen; er weiß zwar, daß es vom Hauptmanne gesehen wird, braucht aber trotzdem nicht zu wissen, wo derselbe wohnt.«

»Möglich. Aber sie müssen sich doch irgendwo sehen und sprechen, wenn das Zeichen gegeben ist.«

»Allerdings.«

»Bist Du dahinter gekommen?«

»Sehr leicht. Als in der Mauerstraße nichts mehr zu bemerken war, beobachtete ich natürlich das Palais Helfenstein unausgesetzt und von allen Seiten. Da bemerkte ich das auffällige Zeichengeben. Ebenso bemerkte ich, daß der Agent dann seine Wohnung verließ, um sich in einen nahegelegenen Weinkeller zu begeben, in welchem er Stammgast ist. Gleich darauf verläßt auch der Baron sein Palais durch die bekannte Hinterthür und begiebt sich ebenso nach dem Keller.«

»Hast Du sie dort beobachtet?«

»Ja. Sie sitzen stets allein an einem Tische und spielen Sechsundsechzig, wobei sie sich ihre Neuigkeiten mittheilen können, ohne die Aufmerksamkeit Anderer zu erregen.«

»In welcher Gestalt erscheint der Baron?«

»Als ehrwürdiger Alter. Der Wirth kennt ihn als einen emeritirten Cantor und Organisten. Bis jetzt habe ich mich ihnen aber nicht nähern können. Um mich an sie zu machen, bedarf ich einer besonderen Legitimation.«

»Die ich Dir besorgen soll?«

»Ja. Um das Vertrauen von Spitzbuben zu erlangen, muß man selbst Spitzbube sein, und als ein solcher möchte ich mich gern ausweisen können.«

Der Fürst nickte zustimmend vor sich hin; dann ließ er ein leises, befriedigendes Pfeifen hören und sagte: »Da kommt mir ein Gedanke. Ich habe Dir von den beiden Schmieden aus Tannenstein erzählt, Wolf, Vater und Sohn?«

»Die jetzt in der Kreisstadt Brückenau in Untersuchung sitzen. Sie wurden damals nach der Explosion in dem Strohschuppen des Kohlenwerkes gefangen genommen.«

»Kennst Du ihre Verhältnisse?«

»Zur Genüge.«

»Schön. Du bist auch in Brückenau gefangen gewesen und da mit ihnen in Berührung gekommen.«

»Guter Gedanke!«

»Sie haben Dir einen Auftrag nach der Residenz gegeben.«

»An den Hauptmann?«

»Ja. Er soll die Beiden befreien.«

»Das dürfte klappen. Wenn ich einen hiesigen Meldeschein habe, auf welchem etwa erwähnt ist, daß ich dort gefangen gewesen bin, so hoffe ich den Hauptmann zu fassen.«

»Auf dem Meldeschein darf es nicht stehen. Ich werde Dir aber ein offenes Schreiben an den Vorstand des Vereines zur Unterstützung entlassener Gefangener besorgen.«

»Wann?«

»Innerhalb zweier Stunden sollst Du ihn haben.«

»Das ist mir lieb. Werden Sie mir nähere Instructionen ertheilen, Durchlaucht?«

»Nein. Ich weiß es gar nicht, bei welcher Gelegenheit Du an den Hauptmann kommst, und muß mich also auf Deinen Scharfsinn verlassen. Ich weiß, wer er eigentlich ist. Ich habe ihn aus gewissen Gründen bisher noch geschont; nun aber möchte ich ihn fassen, und die erste Gelegenheit ist mir die liebste.«

»Das werden wir auf das Beste besorgen. Also ich darf in zwei Stunden wiederkommen?«

»Ja. Dann erhältst Du, was Du brauchst.« – –

Als Adolf sich entfernt hatte, kam Max Holm, und dann begab sich der Fürst nach dem städtischen Polizeiamte. Auf dem Rückwege von da traf er auf den König, welcher es liebte, zuweilen zu Fuße durch die Stadt zu gehen. Es wurden einige Worte über die Tagesneuigkeiten gewechselt, wobei die Rede auf Miß Ellen Starton kam, welcher nachher der König selbst davon erzählte. Als dann der Fürst nach Hause kam, war Adolf bereits wieder da und nahm die Papiere und einen Brief des Fürsten an Miß Ellen in Empfang. –Einige Zeit später trat er in den erwähnten Weinkeller und freute sich nicht wenig, den Agenten da vorzufinden. Er ließ sich ein Glas Wein von der billigsten Sorte geben und bat dann nach einiger Zeit um das Adreßbuch. Er schlug die Rubrik »Agenten« auf und erkundigte sich dann bei dem Wirthe sehr angelegentlich nach einigen derselben. Der Gefragte konnte ihm keine Auskunft ertheilen, aber der kluge Polizist hatte doch seinen Zweck erreicht, da die Aufmerksamkeit des Agenten erregt worden war. Dies zeigte sich sehr bald, denn Bauer fragte: »Entschuldigen Sie! Wie ich höre, bedürfen Sie eines Agenten?«

»Ja, mein Herr.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Hm! Privatsache.«

»Discrete Angelegenheit, wie es scheint?«

»Ja.«

»Und ist Ihnen keiner der Herren persönlich bekannt?«

»Keiner.«

»So, so! Ich bin nämlich Agent.«

»Ah! Ist mir lieb. Aber in welchem Fache sind Sie thätig?«

»In allen Fächern.«

»Vielleicht auch in Dienstvermittlung?«

»Da erst recht. Suchen Sie eine Stelle?«

»Ja.«

»Warum sehen Sie da nicht in die Zeitung?«

»Das ist nichts für mich. Stellen, welche da ausgeboten werden, sind für mich leider nicht vorhanden.«

»Warum nicht?«

Adolf blickte sich im Zimmer um und zuckte die Achsel.

»Ja, ja,« meinte der Agent, indem er ihm verständnißvoll zunickte, »man giebt gewisse Sachen nicht gern öffentlich zu hören. Kommen Sie doch her zu mir. Da können wir ungenirt sprechen.«

»Wenn Sie erlauben, gern.«

Er setzte sich neben ihn und sagte dann:

»Es versteht sich wohl ganz von selbst, daß ein Agent verschwiegen sein muß und nicht plaudern darf!«

»Natürlich! Sie sind ganz sicher.«

»Nun, so will ich Ihnen mittheilen: Ich bin in sehr guten Häusern Diener gewesen und habe stets die besten Zeugnisse erhalten; einmal aber habe ich doch einen Fehler gemacht; er ist zwar nun abgebüßt, aber wenn ich jetzt zu Einem komme, so fragt er mich nach dem Zeugnisse. Da muß ich hier dieses vorlegen. Es lautet zwar gut, daß ich mich während meiner Gefangenschaft gut geführt habe und deshalb dem Unterstützungsvereine empfohlen werde, aber das Vorurtheil gegen Unsereinen ist nun einmal vorhanden. Da ist es besser, man wendet sich an einen Agenten; der kennt die Herrschaften und weiß doch vielleicht einen Herrn, der es mit Einem versuchen würde.«

Der Agent las den Meldeschein und das Zeugniß durch. Es zuckte dabei Etwas über sein Gesicht, dann sagte er.

»Ah! Also in Brückenau waren Sie gefangen?«

»Ja.«

»Und erst vorgestern wurden Sie entlassen?«

»Ja.«

»Warum sind Sie denn nach der Residenz gekommen?«

»Eigentlich sollte ich das nicht sagen, aber Sie sind ja verschwiegen. Es hat mir einer der dortigen Gefangenen einen Auftrag für die Residenz anvertraut.«

»Ach so. Wer ist der Mann?«

»Hm. Das darf ich nun freilich nicht sagen.«

»Schön! Geht mich ja auch nichts an. Aber wie haben Sie denn diesen Auftrag erhalten können? Ich denke, die Gefangenen dürfen gar nicht mit einander sprechen?«

»Eigentlich nicht, aber weil ich mich gut geführt hatte und weil einer der Zellenwärter krank geworden war, durfte ich beim Reinigen der Zellen und beim Ausspeisen mit helfen. Da ist es leicht, einige vertrauliche Worte zu wechseln.«

»Letzthin las ich von einem Schmiede, der dort gefangen ist.«

»Wohl Wolf aus Tannenstein?«

»Ja.«

»Der ist dort und sein Sohn auch.«

»Haben Sie vielleicht mit ihm gesprochen?«

»Mit allen Beiden.«

»Sind sie geständig?«

»Nein, sie leugnen. Und – im Vertrauen gesagt – sie sind es, welche mir den erwähnten Auftrag gegeben haben.«

»Wirklich? Da möchte ich doch wissen, an wen. Dürfen Sie denn nicht davon sprechen?«

»Nein.«

»Aber Sie kennen die Person, an welche Sie gewiesen sind.«

»Eben nicht. Es scheint eine sehr geheimnißvolle Person zu sein, und ich weiß wirklich nicht, wie ich sie auffinden soll. Es ist mir ein Ort angegeben worden; aber dort wohnt ja gar kein Mensch.«

Da beugte sich der Agent zu ihm nieder und flüsterte ihm zu:

»Etwa Ecke der Mauerstraße in dem Gartenhause?«

Der Polizist fuhr in scheinbarer Ueberraschung zurück und sagte:

»Kennen Sie dieses Haus?«

»Ja. Nicht wahr, es wurde Ihnen genannt?«

»Ja. Ich bin wiederholt dort gewesen; aber es ist verschlossen.«

»Dann ist es sehr gut, daß Sie mich gefunden haben. Ich will Ihnen nun auch sagen, an wen Sie gewiesen sind.«

»O, das können Sie nicht!«

»Und doch! Nicht wahr, Sie sollen den – Hauptmann aufsuchen?«

»Sapperment! Sie wissen es wirklich!«

»Sehen Sie!«

»Aber Sie kennen den Hauptmann nicht?«

»Das ist eine Sache, welche die größte Vorsicht erfordert! Nun, ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich kein Verräther bin. Die beiden Schmiede haben mir sehr gute Worte gegeben; sie haben mir gesagt, daß ich vom Hauptmann eine sehr anständige Belohnung erhalten werde, und da ich arm bin, so habe ich den Auftrag übernommen.«

»Wie lautet denn dieser Auftrag?«

»Das darf ich eben nur dem Hauptmanne sagen.«

»Schön! Sie sind verschwiegen; das freut mich. Wissen Sie, ich will – ah, da kommt ein Bekannter von mir.«

Es war nämlich soeben ein junger Mensch eingetreten, welcher sich erst umblickte und dann sich ihrem Tische näherte. Als der Agent ihm zunickte, setzte er sich zu ihnen und ließ sich auch ein Glas Wein geben.

»Dieser Herr ist nämlich Austräger bei einem hiesigen Juwelier,« erklärte der Agent. »Er pflegt seinen Frühschoppen hier zu trinken, wobei wir uns zuweilen treffen.«

Jetzt setzte er das Glas an den Mund und blinzelte dabei dem Austräger zu, daß er vorsichtig sein solle. Adolf that, als ob er nichts bemerkt habe, war aber überzeugt, daß dieser junge Mensch auch ein Untergebener des Hauptmannes sei.

»Wie geht denn Euer Geschäft?« fragte der Agent.

»Sehr gut!« lautete die Antwort. »Wir hatten eben jetzt eine Arbeit wie noch selten. Die Starton ließ Einiges ändern.«

»Die amerikanische Tänzerin?«

»Ja. Sie ließ den Prinzipal zu sich in das Hotel kommen. Als er zurückkam, sprach er mit dem ersten Gehilfen, und ich hörte da, daß er ganz außer sich war über die Reichthümer, welche die Amerikanerin in Pretiosen angelegt habe. Der Werth soll Millionen betragen.«

»Aufschneiderei!«

»O nein! Wahrheit! Prosit! Ich habe keine Zeit. Wollte nur im Vorübergehen vorsprechen. Jedenfalls komme ich am Nachmittag einmal wieder.«

Er gab dem Agenten die Hand und ging. Sie hatten sich leise zugenickt, scheinbar unbemerkt von dem Polizisten; dieser hatte es aber sehr wohl gesehen und war augenblicklich fest überzeugt, daß dieser sogenannte Austräger nur deshalb bei dem Juwelier eine Anstellung gesucht habe, um seine Verbündeten zu benachrichtigen, wenn einmal ein Fang zu machen sei. Jetzt nun war die Amerikanerin gekommen; sie besaß solchen Reichthum an Kleinodien, und so war er sogleich zu dem Agenten gegangen, um es ihm mitzutheilen. Es entstand sogleich in Adolfs Gedanken die Ueberzeugung, daß man gegen die Tänzerin irgend einen Plan schmieden werde, und er nahm sich vor, denselben auf alle Fälle auszukundschaften.

»So, da ist er wieder fort,« sagte der Agent zu ihm. »Wir können also weiter sprechen. Es ist also wirklich Ihre Absicht, hier in Dienst zu treten?«

»Wenn ich Stellung finde, sehr gern.«

»Und ebenso wollen Sie den Hauptmann aufsuchen?«

»Ja.«

»Wird sich das vereinigen lassen?«

»Warum nicht?«

»Nun, wer mit dem Hauptmann verkehrt, der – hm, Sie können sich denken, was ich sagen will.«

»Ja, ich verstehe Sie. Aber, ich kann meinen Auftrag ausrichten und trotzdem ein ehrlicher Kerl bleiben. Allerdings hätte ich – Donnerwetter! Es ist doch eine dumme Sache!«

»Inwiefern?«

»Das darf ich auch nicht sagen. Aber ich muß wirklich gewärtig sein, daß der Hauptmann meine Hilfe braucht.«

»Wegen der beiden Schmiede?«

»Ja.«

»Und die wollen Sie ihm versagen?«

»Darüber kann ich mich nicht erklären. Ich kenne Sie nicht und muß mich sehr in Acht nehmen.«

»Nun gut, Sie sollen mich kennen lernen. Erstens werde ich Ihnen ganz unentgeltlich eine Stelle verschaffen, und zweitens – na, Sie haben wohl Zeit?«

»Ja, zu thun habe ich nichts.«

»Ich habe jetzt Etwas zu besorgen, komme aber wieder. Können wir uns vielleicht hier wieder treffen?«

»Ja, gern. Aber wann?«

»Eine Stunde nach Mittag. Da ist es wieder ruhig hier.«

»Gut, ich werde mich einstellen.«

Der Agent bezahlte und ging. Adolf folgte ihm heimlich nach und sah, daß er nach Hause ging. Nach einiger Zeit war der Spiegel oben am Mansardenfenster zu bemerken, zum Zeichen für den Hauptmann, daß er sich in der Weinstube einfinden solle, um etwas Wichtiges zu erfahren.

Jetzt war Adolf seiner Sache sicher und begab sich direct nach dem Hotel Union, wo er bat, zu Miß Ellen Starton vorgelassen zu werden. Seine Bitte wurde erfüllt. Sie empfing ihn und fragte nach seinem Begehr. Er zog ein Schreiben aus der Tasche und überreichte es ihr. Sie las es und fragte dann unter allen Zeichen der Befremdung: »Wer hat Sie an mich gewiesen?«

»Der Fürst, mein Fräulein. Ich komme in seinem Auftrage.«

Sie betrachtete ihn aufmerksam und sagte dann:

»Ich verstehe. Sie kommen, um mir zu dienen und mich zu warnen.«

Adolf setzte Miß Ellen den gefaßten Plan auseinander, und erklärte ihr, daß es nöthig sei, sich von ihr scheinbar als ihren Diener engagiren zu lassen und auch den Wirth zu instruiren. Beide gingen auf seine Intentionen ein, und er erhielt als der Lakai Leonhardt ein Zimmerchen angewiesen; dann entfernte er sich. – –Der Herr Agent Bauer kehrte sehr bald wieder nach dem Weinkeller zurück; aber sein Zeichen schien heute sehr spät bemerkt worden zu sein, da er außerordentlich lange zu warten hatte. Endlich trat der ehrwürdige und emeritirte Kantor und Organist ein.

Der verlorne Sohn
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