Vierte Abtheilung

Die Sclaven des Goldes

Erstes Capitel

Am Spieltische

Es war am Vormittage desselben Tages, an welchem des Abends jene aufregende Theatervorstellung stattfand. Der aus der Residenz kommende Zug lief in den Perron ein, und ihm entstieg unter anderen Passagieren auch der bekannte Jude Salomon Levi.

Was mochte er hier in Rollenburg zu thun haben?

Er hatte heute ein förmlich festtägliches Aussehen. Sein sonst mit rauhen Bartstoppeln bedecktes Gesicht war glatt rasirt. Er schien sich heute überhaupt einmal sorgfältig gewaschen und gereinigt zu haben, und wenn auch sein Anzug nach einem jetzt längst veralteten Schnitte gefertigt war, so mußte man ihn doch wenigstens sauber und fleckenlos nennen.

Der alte Jude hielt sich gar nicht auf dem Bahnhofe auf, sondern er ging sogleich nach der Stadt und schlug, in derselben angekommen, die Richtung nach dem Schlosse ein.

Als Landesgefangenenanstalt war dasselbe nicht leicht zugänglich, sondern von einer hohen Mauer umgeben. Ein einziges Thor führte in das Innere. Dort angekommen, zog Levi an der Glocke.

Im Inneren der Mauer und des Thores stand der wachthabende Militärposten. Dieser öffnete einen kleinen Schieber und blickte durch die so entstehende Oeffnung hinaus. Er sah auf den ersten Blick, daß er es mit einem Israeliten zu thun habe und frug in barschem Tone: »Wer da draußen?«

»Wer da draußen, haben Sie gefragt? Ich bin es, der da draußen ist, gnädiger Herr von der Schildwache!«

»Das sehe ich, daß Sie es sind! Aber wer sind Sie denn?«

»Ich bin der Herr Salomon Levi aus der Wasserstraße in der Hauptstadt, ein Handelsmann von allerlei Gold und Geschmeide.«

»Was wollen Sie?«

»Ist nicht der Director des Zuchthauses mit seinem Namen ein Herr Hauptmann und Regierungsrath von Scharfenberg?«

»Ja.«

»Und ist nicht bei ihm zu Besuch der Herr Lieutenant, welcher sich nennt Bruno von Scharfenberg?«

»Ja.«

»Diesen Herrn Lieutenant suche ich.«

»Ist’s nothwendig«

»Ja. Es ist eine Sache vom Geschäfte, welche sich läßt nicht aufschieben einige Augenblicke.«

»So will ich Sie einlassen.«

Das Thor knarrte in seinen Angeln und der Jude durfte eintreten. Er sah einen weiten, gepflasterten Hof vor sich, welcher von hohen, mit kleinen Gitterfenstern versehenen Gebäuden eingefaßt war.

»Au wai, muß es schlimm sein, zu wohnen in diesen Logis da droben!« entfuhr es ihm.

»So nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht einmal in die Lage kommen, hier einquartirt zu werden!«

»Gott Abrahams, das werde ich lassen bleiben! Aber wie habe ich zu gehen, um zu kommen zum Herrn Lieutenant?«

»Sehen Sie dort an der Thür den zweiten Posten! Der wird Sie anmelden.«

Der Jude folgte dieser Weisung und wurde durch einige enge Gänge und über einige dunkle Treppen nach einem helleren Vorzimmer geführt, in welchem er zu warten hatte. Der Soldat meldete ihn an und wies ihn dann in ein anderes Zimmer, in welches erst nach längerer Zeit der Lieutenant Bruno von Scharfenberg eintrat.

Dieser musterte ihn mit wegwerfenden Blicken und fragte dann kurz und rauh:

»Sind Sie dieser Salomon Levi?«

»Ich habe die Ehre, es zu sein, gnädiger Herr Lieutenant.«

»Ich kenne Sie nicht. Was wollen Sie von mir?«

»Ich komme zu Ihnen nach Rollenburg, weil ich mich habe müssen erkundigen nach Ihrer Wohnung in der Residenz und Sie dort nicht fand zu Hause.«

»Was hatten Sie dort zu suchen?«

»Ich suchte dort heute früh den Herrn Lieutenant, weil ich ihm habe zu zeigen ein kleines Papierchen.«

»Ein Papier?« fragte der Lieutenant. »Meinen Sie etwa einen Brief?«

»Nein, sondern ich meine dieses Zettelchen, auf welches Sie haben geschrieben Ihren geehrten Namen.«

Er zog eine Brieftasche hervor und nahm aus derselben einen Wechsel und gab ihn dem Lieutenant hin. Dieser wechselte die Farbe und stieß die Worte hervor: »Donnerwetter! Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Schadet nichts, gnädiger Herr! Habe doch ich gedacht daran!«

»Ich hatte mir das Datum nicht notirt.«

»Das war nicht nöthig, da es doch ist notirt auf der ersten Zeile dieses Acceptchens.«

Der Lieutenant befand sich in sichtlicher Verlegenheit. Er überflog die auf der Rückseite stehenden Namen und sagte dann mit unsicherer Stimme: »Muß dies denn heute gleich sein?«

»Ja, heute, weil dieser Tag ist angegeben auf dem Papier.«

»Ich habe drei Tage Zeit!«

»Das sagen Schuldner, weiche sind faul in der Casse; der Herr Lieutenant aber ist ein reicher Cavalier; er wird bezahlen die kleine Summe sofort.«

»Kleine? Sind Sie des Teufels? Zweitausend Gulden!«

»O, was sind zweitausend Gulden für den Herrn Lieutenant Bruno von Scharfenberg!«

»Na, ja! Aber ich habe sie augenblicklich nicht in Händen!«

»Wie? Wird doch haben der Herr Lieutenant das Geld in Bereitschaft, da doch heute ist der Tag der Zahlung!«

»Ich habe doch bereits erwähnt, daß ich nicht daran gedacht habe.«

»Das ist mir nicht angenehm. Ich bin gelaufen umsonst nach Ihrer Wohnung und mußte dann fahren für mein Geld und mit großer Versäumniß meiner Zeit nach Rollenburg, um zu präsentiren das Wechselchen. Ich kann nicht zurückkehren ohne den Betrag.«

»Unsinn! Sie werden warten.«

Der Jude machte eine Bewegung des Schreckes und sagte.

»Warten? Warum nimmt man in Zahlung ein Accept? Weil man ist überzeugt, zu erhalten das Geld sofort und augenblicklich bei der Vorzeigung des Papieres.«

»Pah! Ihr Name ist ein israelitischer. Sie sind Jude?«

»Ja, ich bin ein Kind des Volkes Israel.«

»Machen Sie etwa in Wechseln?«

»Machen? In Wechseln? Ich verstehe nicht, was der Herr Lieutenant meinen. Ich bin ein armer Händler. Ich kaufe ein gebrauchte Sachen, um sie wieder zu verkaufen an arme Leute. Was kann ich von ihnen nehmen für Profit? Einen Kreuzer oder zwei, mehr nicht.«

»Der Profit scheint denn doch nicht so gering zu sein, da Sie Wechsel in solchen Beträgen giriren. Ich bin überzeugt, daß Sie warten können!«

»Ich kann nicht warten eine Stunde. Ich muß zurück mut dem nächsten Zuge, um zu bezahlen selbst einen Gläubiger, welcher hat weder Geduld noch Nachsicht mit meiner eigenen Armuth.«

»O, Euch Juden kennt man. Ihr hängt zusammen wie die Glieder einer Kette. Warten Sie nur ruhig. Ich werde übermorgen bezahlen. Da ist mein Urlaub um, und ich kehre nach der Residenz zurück.«

»Uebermorgen? Gott meiner Väter! Mein Gläubiger will haben heute das Geld; wie kann ich da warten bis übermorgen?«

»Flunkern Sie nicht!«

»Flunkern? Ich sage die Wahrheit, welche ist so rein wie Gold von vierundzwanzig Karat. Ich muß bitten, mir zu bezahlen diese zweitausend Gulden!«

»Ich kann nicht.«

»Dann muß ich gehen sofort zum Advocaten, um zu legen Protest auf das Papier.«

»Mensch! Das werden Sie doch nicht?«

»Was soll ich sonst thun? Wenn ich nicht protestire, so gilt das Papierchen nur als einfache Verschreibung von der Schuld.«

»Aber ich bezahle ja noch vor Ablauf der Frist!«

»Weiß ich’s!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort!«

»Was heißt dieses Wort? Was thue ich mit dem Worte? Wie viel ist es werth, Herr Lieutenant?«

»Zweitausend Gulden in diesem Falle!«

»Das ist Ihre Meinung aber nicht die meinige.«

»Jude! Ich soll doch nicht etwa annehmen, daß Sie an meinem Worte zweifeln! Ich bin Officier!«

»Und ich bin ein Mann des Geschäftes, welcher sein Geld sehr nothwendig braucht. Sie haben bereits gegeben Ihr Wort und wollen es doch nicht halten.«

»Wie? Was sagen Sie? Ich hätte es bereits gegeben?«

»Ja.«

»Wann denn und wem denn?«

»Hier steht es auf dem Papierchen. Sie haben gegeben Ihr Wort, heute zu bezahlen. Ein schriftliches Wort sollte sogar mehr gelten, als eins, was ist worden gegeben mündlich.«

»Sie haben eine verdammt eigenthümliche Logik. Wenn Sie bis übermorgen warten, werde ich mich sehr gern zu einer angemessenen Gratification verstehen!«

»Gratification? Was thue ich mit der Gratification! Ich muß haben jetzt gleich mein Geld, um bezahlen zu können meine eigene Schuld.«

»Aber, zum Donnerwetter, ich sage Ihnen ja, daß ich kein Geld habe! Verstanden?«

»Und ich habe gesagt, daß ich welches brauche. Der Herr Lieutenant ist auf Besuch bei seinem Herrn Onkel. Der Herr Regierungsrath ist ein Mann von Vermögen. Er wird geben dem Herrn Lieutenant gern die kleine Summe.«

»Den Teufel wird er!«

»Soll ich dem Herrn Lieutenant es beweisen?«

»Wie wollten Sie das anfangen?«

»Ich werde gehen zu dem Herrn Regierungsrath und ihm zeigen dieses Papierchen.«

»Hallunke! Wage das etwa!«

Salomon Levi trat einen Schritt zurück, kniff die Augen zusammen und fragte:

»Was haben Sie gesagt? Hallunke haben Sie gesagt? Bin ich ein Hallunke, weil ich gewagt habe mein sauer verdientes Geld an Ihren Wechsel? Wollen Sie bezahlen Ihre Schuld mit groben Worten anstatt mit giltiger Münze?«

»Halte das Maul! Ich weiß, daß Du warten kannst, wenn Du willst. Und weil Du nicht willst, so würde ich Dir das Geld nicht geben, selbst wenn ich es hätte. Ich machte dann es mir zum Spaße, Dich warten zu lassen!«

»O, glauben der Herr Lieutenant etwa, daß ich warten würde oder warten werde?«

»Du mußt, Mauschel!«

»Schon wieder ein solches Wort? Herr Lieutenant, Sie vergessen, daß ich bin der Gläubiger, und Sie sind mein Schuldner. Ich brauche das Geld. Ich wäre, da Sie nicht zahlen können, gegangen zum Advocaten, um Protest zu erheben. Dann hätten Sie bezahlt die Summe und nur darauf zu legen gehabt die Protestkosten. Weil Sie mich aber beschimpfen, so werde ich nicht gehen zum Advocaten, sondern zu einem ganz anderen Manne!«

»Ah! Zu wem denn?«

»Zu dem Herrn Regierungsrath und Anstaltsdirector.«

»Jude! Wage das!«

»Das werde ich ganz gewiß thun! Ich bin nicht gewöhnt, mich für mein Geld, für mein Recht und für meine Güte auch noch beschimpfen zu lassen.«

»Mein Onkel wird Sie nicht annehmen!«

»Er wird mich anhören!«

»Ich werde dafür sorgen, daß er Sie gar nicht vorläßt.«

»So werde ich schicken den Advocaten zu ihm!«

Der Lieutenant strich sich den Schnurrbart. Salomon Levi weidete sich an seiner Verlegenheit und fuhr fort: »Ich will machen einen Vorschlag, welcher wird sein der allerbeste in dieser Angelegenheit.«

»Welchen?«

»Der Herr Lieutenant mag selbst gehen zu seinem Onkel. Das ist klüger, als wenn ich zu ihm gehe.«

»Es wird nichts nützen!«

»O, der Herr Onkel wird sicher retten die Ehre seines Neffen.«

»Von einer Rettung meiner Ehre kann gar nicht die Rede sein, da sie sich ja nicht in Gefahr befindet!«

»Nicht?« fragte der Jude, indem er bezeichnend mit den Augen zwinkerte. »Darf es geben für einen Officier einen unbezahlten Wechsel?«

»Er wird ja noch vor Ablauf der Frist bezahlt!«

»Woher wollen Sie nehmen das Geld?«

»Mensch! Halten Sie etwa meine Verhältnisse für so derangirt, daß ich zahlungsunfähig bin?«

»O, man ist Geschäftsmann! Man erkundigt sich nach den Leuten, von denen man Zahlung zu erwarten hat!«

Das Gesicht des Lieutenants wurde um einen Schatten bleicher. Er fuhr zornig auf:

»Was soll das heißen? Sie haben sich nach mir erkundigt?«

»Mußte ich nicht?«

»Bei wem?«

»Das ist Geheimniß vom Geschäfte!«

»Ich hoffe, daß die Auskunft nicht negativ ausgefallen ist!«

»Was heißt negativ! Man hat mir gesagt, daß der Herr Lieutenant hält theure Pferde!«

»Das kann ich.«

»Daß der Herr Lieutenant trinkt theure Weine!«

»Auch das kann ich!«

»Und daß der Herr Lieutenant macht gern ein Spielchen!«

»Pah! Man will sich unterhalten. Aber das geht ja keinem Menschen etwas an!«

»Nein, wenn nämlich die Pferde sind bezahlt!«

»Alle Wetter! Hat man etwa gesagt, daß ich die Pferde noch schuldig sei?«

»Man hat mir gesagt, daß der Herr Lieutenant sei schuldig dem Pferdehändler eine bedeutende Summe.«

»Verdammt!«

»Daß der Weinlieferant schon seit langer Zeit warte auf sein Geld!«

»Verflucht!«

»Und daß der Herr Lieutenant beim Spiele schon seit langer Zeit gehabt habe sehr großes Pech!«

»Mensch, man hat Sie belogen!«

»Die Männer, welche das gesagt haben, sprechen stets nur die Wahrheit. Sie haben mir gesagt, daß ich mit dem Herrn Lieutenant ja nicht haben solle Nachsicht und Geduld.«

»Hölle und Teufel! Und das wagen Sie mir so in aller Gemüthlichkeit zu sagen!«

»Hat man es mir nicht auch gesagt in das Gesicht? Man hat sogar noch hinzugefügt, daß der Herr Lieutenant ausgiebt ein schweres Geld für junge Damen!«

»Das geht Euch nichts an.«

»Daß sein Herr Vater bezahlt keinen Pfennig für ihn!«

»Das ist stark, sehr stark!«

»Und auch der Herr Onkel nicht!«

»Ah, nun ist’s genug; nun hört es auf! Packe Dich fort!«

»Ich werde nicht gehen ohne mein Geld.«

»Kerl, ich werfe Dich hinaus!«

»So muß ich wirklich aufsuchen den Herrn Director!«

Dies brachte den Lieutenant noch mehr in Harnisch; aber Salomon kannte in Geldsachen keine Angst. Er ging dem Officier mit Drohungen zu Leibe, daß dieser sich gezwungen sah, einen Schritt zu thun, von dem er sich sagte, daß er kein leichter sei.

»Gut!« entschied er endlich. »Ich will Dir beweisen, Jude, daß man Dir die frechste Unwahrheit gesagt hat. Ich werde zu dem Onkel gehen und Geld holen. Warte hier.«

Er nahm den Wechsel und entfernte sich. Im Vorzimmer seines Oheims angekommen, fühlte er sein Herz so klopfen, daß er, tief Athem holend, stehen blieb.

»Eine verdammte Geschichte!« murmelte er. »Gestern hat er noch vierhundert Gulden geschafft, aber dabei versichert, daß es das letzte Mal sei. Ich stecke verteufelt in der Klemme. Dieser Jude ist ein Satan. Er geht nicht eher, als bis er bezahlt ist. Ob aber der Onkel nochmals in die Casse greift, das ist fraglich. Auf alle Fälle habe ich mich auf eine fürchterliche Strafrede gefaßt zu machen!«

Er klopfte zögernd und fast ganz leise an. Der Regierungsrath hatte es doch gehört.

»Herein!« rief er von innen.

»Sapperment!« dachte der Neffe. »Das klingt ja außerordentlich barsch. Sollte er sich bei schlechter Laune befinden? Das fehlte nun gerade noch!«

Er trat ein und bemerkte sofort, daß er das Richtige gedacht hatte. Der Director schien sich in einer gewissen Aufregung zu befinden. Er war im Zimmer auf und ab gegangen und hielt den Blick finster auf den Eingang gerichtet.

»Guten Morgen, lieber Onkel! Störe ich etwa?«

»Ah, Du? Das ist passend! Ich stand soeben im Begriffe, nach Dir zu schicken. Was bringst Du mir?«

Sein Gesicht war keineswegs freundlicher geworden, und sein Blick verhieß nichts Gutes. Hätte der Lieutenant sich nicht in gar so großer Verlegenheit befunden, so wäre er wohl auf den Gedanken gekommen, die leidige Angelegenheit gar nicht zur Sprache zu bringen.

»Ich komme mit einer Bitte,« antwortete er mit ziemlich unsicherer Stimme.

»Doch nicht etwa von der Art, wie die gestrige war?«

»Leider, ja.«

»So kommst Du vergebens.«

»Onkel!«

»Schon gut! Du weißt, was ich Dir gestern gesagt habe. Dreihundert Gulden warst Du schuldig, dazu hundert Gulden Taschengeld, macht vierhundert. Ich bin nicht Dein Vater, sondern nur der Bruder desselben!«

»Ich hatte gestern keine Ahnung, daß ich heute Morgen bereits in die Lage kommen könne, Dir wieder beschwerlich zu fallen. Es ist aber sicher nun das allerletzte Mal!«

Der Director lehnte sich an seinen Schreibtisch, blickte den Neffen scharf und finster an und antwortete:

»So hat es stets geheißen. Aber ich will mich wenigstens informiren. Um was handelt es sich denn?«

Der Lieutenant verzichtete ganz darauf, durch irgend eine Einleitung die Angelegenheit zu beschönigen. Er gab dem Onkel den Wechsel mit den Worten: »Um das hier!«

Der Regierungsrath betrachtete das Papier, richtete dann den Blick kalt nach dem Fenster, hustete nach einer Weile leise vor sich hin und sagte dann in einem Tone, als ob es sich um etwas ganz Gewöhnliches handle: »Zweitausend Gulden! Du scheinst Millionär zu sein!«

»Onkel!«

»Oder auf den Tod Deines Vaters und Deiner sämmtlichen Verwandten zu speculiren!«

»Daß dies nicht der Fall ist, weißt Du ganz genau!«

»Hm! Wie bist Du denn dazu gekommen, eine solche Summe schuldig zu werden?«

»Es ist noch vom letzten Rennen her.«

»Ah! Gewettet?«

»Leider!«

»Um eine solche Summe!«

»Nur um tausend Gulden.«

»Hier stehen zwei Tausend!«

»Es ist so hinangelaufen.«

»So, so! Du zahlst also das Doppelte?«

Der Lieutenant zuckte die Achsel.

»Ich mußte um Nachsicht bitten.«

»Wer ist denn dieser Ehrenmann?«

»Er hat ja als Aussteller unterzeichnet.«

»Schön! Aber mit der Post ist der Wechsel nicht gekommen?«

»Nein. Der letzte Inhaber hat ihn gebracht.«

»Persönlich?«

»Ja.«

Der Director warf einen Blick auf die Rückseite und las:

»Salomon Levi. – Also ein Jude?«

»Ja.«

»Hier hast Du den Wisch! Gieb ihn zurück!«

»Aber der Mann will ja Geld!«

»Das ist seine und Deine Sache, aber nicht die meinige!«

»Onkel, sei doch nur dieses Mal noch nachsichtig!«

»Ich habe Dir gestern mein Wort gegeben, daß ich nicht einen Kreuzer mehr bezahle, und Du weißt ganz genau, daß ich mein Wort zu halten pflege.«

»Aber die Blamage!«

»Ich habe sie nicht verschuldet, und Du hast sie verdient. Uebrigens wird der Jude warten können, bis Du mit Deinem Vater gesprochen hast.«

»Er wartet nicht.«

»Oho! Stehst Du schon so tief in Mißkredit?«

Der Lieutenant senkte, ohne zu antworten, den Kopf.

»Antworte!« befahl der Oheim. »Hast Du nicht mit ihm von Deinem Vater gesprochen?«

»Ja.«

»Und von mir?«

»Auch?«

»Und dennoch will er nicht warten?«

»Dennoch! Er ist ein Unverschämter!«

Ueber das Gesicht des Anstaltsdirectors ging eine leise Röthe. Er zog die Brauen zusammen und sagte barsch: »Schweig! Dieser Mann hat das Papier auf zweitausend Gulden angenommen und erwartet sein Geld. Er hat das Recht, es zu verlangen. Gewährt er keine Gestundung, so ist das ein Zeichen, daß er es entweder nothwendig braucht, oder daß er sich nach Deiner Zahlungsfähigkeit erkundigt und da eine für Dich schmachvolle Auskunft erhalten hat. Ich befehle Dir, mir die Wahrheit zu sagen! Hat er sich erkundigt?«

»Ja,« stieß der Lieutenant mühsam hervor.

»Ah! Also doch so, wie ich dachte!«

Der brave Mann trat langsam zum Fenster, blickte eine Weile starr hinaus und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Er kämpfte mit sich selbst. Dann trat er an den Secretair, öffnete denselben und entnahm ihm einige Banknoten. Diese reichte er dem Neffen hin.

»Es gilt unseren guten Namen zu retten!« sagte er.

»Onkel, lieber Onkel!« rief der Lieutenant freudig.

Er wollte die Hand des Directors ergreifen, dieser aber zog sie schnell zurück und sagte abwehrend:

»Schweig! Nicht Deinet-sondern meiner Ehre wegen thue ich es! Befriedige den Mann! Von jetzt an aber kannst Du in keiner Weise mehr auf mich rechnen. Ich habe Dich für leichtlebig, vielleicht auch für leichtsinnig gehalten, jetzt aber habe ich fast Veranlassung, Dich für schlecht zu halten!«

Das wollte der Neffe sich freilich nicht gefallen lassen.

»Onkel!« sagte er rasch. »Ein Darlehen oder Geschenk, welches Du mir machst, giebt Dir noch nicht das Recht, mich zu beleidigen!«

»Pah! Beleidigen! Spiele Dich nicht als Ehrenmann auf. Ich stand, wie ich bereits bemerkte, im Begriffe, Dich holen zu lassen. Ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Ich stehe zur Verfügung.«

»Ganz natürlich! Erinnerst Du Dich noch des Abends, an welchem ich Dir mittheilte, daß Petermann begnadigt worden sei?«

»Ja.«

»Weißt Du auch, was da gesprochen wurde?«

»So ziemlich.«

»Es kam die Rede auf die Vermuthung, daß Petermann doch unschuldig sein könne.«

»So wird es gewesen sein.«

»Dann hätte er sich für einen Anderen aufgeopfert!«

»Wahrscheinlich!«

»Ich aber fällte ein strenges Urtheil über einen Menschen, der die Feigheit besitzt, ein solches Opfer anzunehmen. Besinnst Du Dich vielleicht noch darauf?«

»Ganz leidlich!«

»Nun, so möchte ich Dich fragen, ob nicht Du vielleicht es bist, dem er dieses Opfer gebracht hat?«

Der Lieutenant war außerordentlich bleich geworden.

»Wie kommst Du zu dieser Frage?« fragte er.

»Nun, Deine ewigen Geldverlegenheiten –«

Sein Auge war jetzt scharf, fast durchbohrend auf den Neffen gerichtet. Dieser raffte sich in eine feste Haltung zusammen, machte eine möglichst finstere Miene und fragte: »Meinst Du etwa – ah, das wäre zu stark!«

»Was?«

»Daß er mir zu Liebe das Geld unterschlagen habe!«

»Nein, das meine ich nicht.«

»Es klang aber fast genauso!«

»O, ich bin überzeugt, daß ein Petermann einem Anderen zu Liebe nicht zum Spitzbuben wird, selbst wenn es sein Herr sein sollte. Eher nehme ich an, daß er sich diesem Herrn zu Liebe in die unglückselige Lücke schieben läßt.«

»Wie meinst Du das?«

»Nun, Du hast Geld gebraucht, und –«

»Und?«

»Und Petermann hat es nicht unterschlagen!«

»Nicht? Wer denn?«

»Du – selbst!«

Der Lieutenant richtete sich stolz auf und rief:

»Onkel, selbst Deine Verwandtschaft giebt Dir nicht das Recht, mich in dieser Weise zu beleidigen! Du bist stets gütig gegen mich gewesen; aber machst Du mich zum Spitzbuben, so sind wir eben von jetzt an und für alle Zeit geschiedene Leute!«

»Hm! Das klingt sehr ernsthaft!«

»Ist es auch!«

»Wirklich?«

»Ja. Ein Scharfenberg versteht da keinen Spaß.«

»Nun wohl! Aber in welcher Beziehung stehst Du aber zu jenen verschwundenen fünftausend Gulden?«

»Wie kommst Du denn auf den Gedanken, daß ich zu diesem Gelde in irgend welcher Beziehung stehen soll?«

»Auf eine sehr natürliche, wenn freilich auch ganz und gar unvorhergesehene Weise. Ist Dir der Name Leda bekannt?«

Dem Neffen war es, als ob er einen Schlag auf den Kopf erhalten habe. Er war ganz verwirrt.

»Leda?« stammelte er. »Ist das nicht eine Tänzerin?«

»Es scheint so. Kennst Du sie?«

»Ich habe von ihr gehört.«

»Sie wohl auch gesehen?«

»Möglich!«

»Möglich? Nur möglich?«

»Ja.«

»Und dennoch nennst Du Dich ›Du‹ mit ihr?«

»Wie? Was? Ich begreife Dich nicht!«

»Ich Dich ebensowenig! Eine so gute, intime Bekannte kann man doch nicht nur ›möglicherweise‹ gesehen haben!«

»Ich bitte Dich um bessere Erklärung!«

»Hm! Du scheinst doch noch so viel Ehrgefühl zu besitzen, daß es Dir widerstrebt, ganz und gar zum Lügner zu werden. Du hast hier bei mir noch keinen Brief empfangen. Weißt Du, welche postalische Einrichtung hier in der Anstalt besteht?«

»Nein.«

»Nun, der Thorposten nimmt sämmtliche einlaufende Briefschaften in Empfang und läßt sie, wer auch immer der Empfänger sei, an mich abliefern. Erst in meiner Expedition wird gesichtet. Die Beamten erhalten ihre Briefe natürlich uneröffnet; diejenigen der Gefangenen aber werden erbrochen und durchgelesen. Es ist dies eine nothwendige disciplinare Maßregel, welche streng eingehalten wird.«

»Was geht das mich an?«

»Sehr viel, wie Du sofort hören sollst. Mit der ersten Post ist heute ein Brief für Dich eingegangen –«

»Warum erhalte ich ihn nicht?« fragte der Lieutenant schnell.

»Natürlich kam er zunächst zu mir. Die Adresse lautete: Herrn Lieutenant Bruno von Scharfenberg, Landesstrafanstalt Rollenburg. Auf der Rückseite war der Absender oder vielmehr die Absenderin vermerkt: Mademoiselle Leda, Tänzerin, Hotel Kronprinz. – Daraus schließe ich, daß Du diese Dame kennst.«

Dem Neffen schien bei diesen letzten Worten das Herz leicht zu werden. Er holte tief Athem und sagte: »Das ist ja doch kein Grund. Sie kann Veranlassung haben, sich in irgend einer Angelegenheit an mich zu wenden.«

»Welch eine Veranlassung sollte das sein?«

»Nun, wenn zum Beispiel ein Verwandter von ihr ganz zufällig in meiner Compagnie stände.«

»Ach so! Hm! Dann würde sie sich viel besser an den Compagniechef, also an den Hauptmann wenden. Aber, es ist gar nicht nothwendig, uns in ungewissen Vermuthungen zu ergehen. Nämlich das Couvert war nicht mit Gummi versehen, sondern mit Siegellack verschlossen –«

»Und –?« fragte der Lieutenant erwartungsvoll.

»Das Siegel war brüchig geworden und der Brief in Folge dieses Umstandes aufgegangen.«

Der Neffe wechselte von Neuem die Farbe. Er sagte mit möglichst erhobener und nachdrücklicher Stimme: »Es hat doch Niemand gewagt, den Inhalt aus dem Couvert zu nehmen und den Brief zu lesen?«

»Leider doch!«

»Donnerwetter! Wer ist das gewesen?«

»Ich selbst.«

»Du, Du verletztest auf diese Weise das Briefgeheimniß.«

»Ich glaubte, zwei Gründe zu haben, es thun zu dürfen.«

»Es könnte nur einen einzigen Grund geben.«

»So? Welchen?«

»Daß ich Dich dazu beauftragt hätte!«

»Du sprichst sehr streng und stolz. Aber zunächst bin ich der Bruder Deines Vaters, und sodann hielt ich es infolge Deiner jetzt stets so precären Lage für meine Pflicht, einmal einen Blick in Deine Geheimnisse zu thun.«

»Das entschuldigt Dich nicht!«

»Pah! Wenn ich mein schönes Geld immer und immer wieder für Dich hinauszuwerfen habe, will ich auch endlich einmal wissen, in wessen Rachen es fliegt. Und das habe ich gesehen.«

»Du hast den Brief also wirklich gelesen?«

»Ja.«

»Schändlich!«

»Pah!« sagte der Director kalt. »Nenne es, wie Du willst; ich weiß doch nun, woran ich bin. Hier ist er.«

Er gab dem Neffen den Brief. Dieser steckte ihn ein.

»O nein! Lies ihn nur durch!«

»Später.«

»Nein, sondern jetzt. Ich habe mit Dir über den Inhalt zu sprechen. Er ist ja ungemein interessant.«

Der Lieutenant zog den Brief wieder hervor und las:

 

»Mein einzig geliebter Bruno.

 

Ich bin jetzt hier in der Residenz –«

 

»Alle Teufel! In der Residenz!« entfuhr es ihm.

»Du wußtest wirklich nichts davon?«

»Nein.«

»Hast auch nichts über sie gelesen?«

»Nein. Ich lese nur die politischen Berichte.«

»Aber man spricht doch allgemein von ihr!«

»Mit wem bin ich dieser Tage hier verkehrt? Ich lebe ja bei Dir so eingezogen, wie ein neutestamentlicher Eremit!«

»Ich wußte, daß diese Leda mit einer amerikanischen Künstlerin um die Wette tanzen werde. Lies weiter!«

Der Brief lautete also:

 

»Mein einzig geliebter Bruno.

 

Ich bin jetzt hier in der Residenz, ohne Dir von dieser Ortsveränderung Nachricht gegeben zu haben. Ich wollte Dich mit meinem Engagement freudig überraschen. Morgen werde ich die jedenfalls siegreiche Probe bestehen.

Heute nun begegnete mir unglücklicher Weise dieser Zuchthäusler Petermann. Er redete mich an; ich suchte ihn abzuschütteln; aber er war so frech, mich in meiner Wohnung zu überraschen. Er fragte nach meinen Verhältnissen, nach Dir, nach unserem Kinde. Er sprach von damals und spielte auf jene fünftausend Gulden an. Ich glaube, er sinnt auf Rache. Da ich nun soeben Deinen gegenwärtigen, vorübergehenden Aufenthalt erfahre, so gebe ich Dir die nothwendige Nachricht. Komm zu mir, damit wir besprechen können, wie wir uns gegen diesen Mann zu verhalten haben. Wir werden wieder herrliche und glückliche Tage verleben, denn ich war, bin und verbleibe bis an’s Ende Deine Editha.«

 

Der Lieutenant starrte lange, lange Zeit rathlos auf diesen unheilvollen Brief. Eine größere Dummheit hatte die Leda nicht machen können, als ihm zu schreiben und den Brief hierher zu senden. Es war ja nun, wenn auch nicht Alles, aber doch viel, sehr viel verrathen.

»Nun,« fragte der Oheim, »was sagst Du dazu?«

»Dieses Frauenzimmer ist Prügel werth!«

»Nicht wahr? Mir hat ihr Brief die Augen geöffnet. Du, ein Scharfenberg, heimlich mit einer Tänzerin verheirathet!«

»Verhei – – bist Du bei Sinnen!«

»Etwa nicht verheirathet?«

»Nein.«

»Aber sie spricht ja von einem Kinde?«

»Das ist – das ist –«

Er hielt stockend inne. Er wußte vor Verlegenheit gar nicht, was er jetzt sagen solle.

»Ein uneheliches Kind?« fragte der Director.

»Ja.«

»Was bist Du für ein Mensch! Wo hast Du sie denn eigentlich kennen gelernt?«

»In meiner Garnison.«

»Sie war bereits damals Tänzerin?«

»Ja.«

»Wo hat sie geboren?«

»In – in Paris,« log er.

»So ging sie von dort weg nach Frankreich?«

»Ja, um sich weiter auszubilden.«

»Was ist es für ein Kind?«

»Ein Mädchen.«

»Wie alt?«

»Etwas über vier Jahre.«

»Natürlich bezahlst Du die Erziehung?«

»Ja.«

»Was aber weiß denn Petermann über diese Verhältnisse?«

»Er war zufälliger Weise hinter unser Geheimniß gekommen.«

»Was meint sie denn mit seiner Rache?«

»Daß er unsere frühere Bekanntschaft verrathen werde.«

»Hm! Hierbei giebt es doch noch einen dunklen Punkt. Wofür soll er sich rächen?«

»Sie meint wohl dafür, daß der Vater damals so streng und ohne Nachsicht gegen ihn gehandelt hat.«

Der Director schüttelte leise und ungläubig den Kopf.

»Hm! Hm!« brummte er nachdenklich. »Sie spricht erst von den fünftausend Gulden und dann von der Rache. Sie ist jedenfalls mittellos gewesen, und Ihr habt, weil sie nach Paris mußte, Geld gebraucht –«

»Onkel!« rief der Lieutenant drohend.

»Oho! Willst Du mir gebieten, meine Gedanken zu unterdrücken, deren einziger Herr doch nur ich bin?«

»Denke, was Du willst! Aber solche Gedanken mir gegenüber auszusprechen, das muß ich mir verbitten!«

Der Neffe schien die Hoffnung zu haben, durch ein so sicheres Auftreten seinem Onkel zu imponiren. Dieser aber antwortete: »Verbitten? Dieses Wort sagst Du mir, mir, während Du doch mein Geld noch in den Händen hast?«

»Ich habe meine Ehre zu wahren, selbst auch gegen Verwandte, wenn sie von diesen angegriffen wird!«

Da nahmen die Züge des Regierungsrathes einen eisigen Ausdruck an. Er zuckte die Achseln und sagte:

»Ganz, wie Du willst! Du scheinst sehr genau zu wissen, was Deine Ehre von Dir fordert. Darum will ich ein für allemal davon absehen, mich wieder mit Deinen Angelegenheiten zu befassen. Ich werde Dich also auch mit allen weiteren Erkundigungen verschonen. Sei Dein eigner Herr; sei der Selbstschöpfer Deines Schicksales, versuche aber nie wieder, mich mit demselben zu beschäftigen. Ich hielt es für meine Pflicht, mit Dir über diese Leda zu sprechen. Du trittst mir abwehrend entgegen, und so mag es zwischen uns Beiden so gelten, daß in Zukunft Jeder seinen eigenen Weg gehe. Die Tänzerin wartet auf Dich. Befriedige also ihre Sehnsucht. Du thust am Besten, mit dem nächsten Zuge nach der Residenz zu fahren. Abschied brauchst Du nicht von mir zu nehmen, denn ich habe keine Zeit dazu. Natürlich wünsche ich Dir alles Glück. Lebe wohl!«

Nach diesen Worten ging der Director durch die gegenüberliegende Thür hinaus und verschloß sie hinter sich. Der Lieutenant hörte das.

»Ah,« sagte er zu sich. »Er schließt ab! Er mag nichts mehr von mir wissen! Meinetwegen! Bin ich doch jetzt diesen verteufelten Juden los! Das Weitere wird sich finden. Wenn nur die Leda – – hm, lassen wir das jetzt! Dazu wird später Zeit. Erst will ich den Salomon Levi fortjagen.«

Als er in das Vorzimmer zurückkehrte, nahm er eine triumphirende Miene an und sagte in stolzem Tone:

»Hier sehen Sie den Wechsel. Ich zerreiße ihn.«

»Herr Sebaoth! Nein, nein!« rief der Jude voller Entsetzen, als er sah, daß der Lieutenant das Accept wirklich zerriß. »Das dürfen Sie nicht; das dürfen Sie nicht!«

»Warum nicht?«

»Sie haben doch noch nicht bezahlt das Papierchen.«

»Ist es Ihnen wirklich so angst um Ihr Geld?«

»Soll man nicht haben Sorge, wenn man braucht ein solche Summe und kann sie nicht bekommen?«

»Da beruhigen Sie sich! Hier ist das Geld!«

Er gab dem Juden die Scheine. Dieser griff hastig zu, betrachtete, prüfte und zählte sie und sagte dann, indem ein breites, wohlgefälliges Lächeln über sein Gesicht ging: »Dem Gott meiner Väter sei Lob und Dank! Nun kann ich bezahlen den Gläubiger, der auf mich wartet! Aber der Herr Lieutenant hat noch nicht bezahlt Alles!«

»Nicht? Es sind ja volle zwei Tausend?«

»Aber ich bin gefahren für mein Geld nach Rollenburg und habe versäumt mein gutes Geschäft daheim.«

»Schurke! Wieviel willst Du haben?«

»Fünf Gulden ist eine Wenigkeit; aber ich will nicht mehr fordern, weil ich nicht habe müssen protestiren den Wechsel.«

»Hier hast Du auch noch dieses Sündengeld!«

Er zog die fünf Gulden aus der Tasche hervor und warf sie ihm zornig vor die Füße. Salomon Levi trat zurück.

»Der Herr Lieutenant meinen wohl, daß ich mich bücken soll, um aufzuheben dieses Geld?« fragte er.

»Ja, wenn Du es haben willst!«

»Oho! Der Jude ist kein Hund, daß man ihm vor die Füße wirft Das, was ihm gehört. Ich habe bezahlt die Fahrkarte, und ich habe versäumt mein Geschäft. Ich kann verlangen diese fünf Gulden, und ich will sie haben hergezählt in meine Hand.«

»Du schnappst über! Packe Dich fort!«

Er wollte fortgehen, aber Salomon Levi trat ihm in den Weg und fragte in energischer Weise:

»Wird der Herr Lieutenant aufheben dieses Geld?«

»Nein! Laß’ es liegen, wenn Du es nicht haben magst! Geh’ zur Seite! Ich habe weiter keine Zeit für Dich!«

Er griff bereits nach dem Thürdrücker; da aber faßte der Jude ihn am Arme und sagte in siegesgewissem Tone: »O, ich weiß genau, daß der Herr Lieutenant doch noch wird vom Boden aufheben die fünf Gulden, um sie zu legen in meine Hand. Ich weiß es genau!«

»Und ich sage, packe Dich fort, Dummkopf!«

»Wer ist der Dummkopf, Herr Lieutenant? Salomon Levi ist nicht der Dummkopf. Er hat noch Etwas mitgebracht für den Herrn Lieutenant, worüber dieser wird haben eine außerordentliche, eine grausam große Freude!«

»Was ist es?« fragte der Lieutenant, den die Neugierde doch bewog, stehen zu bleiben.

»Wenn Sie mir aufheben und geben das Geld, werde ich sagen, was ich habe mitgebracht für eine Ueberraschung!«

»Bilde Dir nichts ein!«

»O, ich bilde mir viel ein, sehr viel! Ich bilde mir ein, daß der Herr Lieutenant wird machen sehr große Augen, wenn er liest, was hier auf dem Papiere steht.«

Dabei öffnete er die Brieftasche, in welcher sich vorhin der Wechsel befunden hatte, und zog ein zweites Papier hervor.

»Zeig her!« gebot Scharfenberg.

»Nein, nein,« meinte der Jude. »Dieses schöne Papierchen darf nicht anfassen ein Anderer als nur ich.«

»Ich denke, ich soll es lesen?«

»Ich werde es doch lieber lesen vor.«

»Warum?«

»Weil es muß bleiben sicher in meiner Hand.«

»Du bist ein Taugenichts! Also, lies vor! Jedenfalls ist der Inhalt ein solcher, der mich nicht im Mindesten interessirt.«

»Mich interessirt er sehr, und so wird er auch den gnädigen Herrn Lieutenant interessiren.«

»Na, so mach schnell! Ich habe keine Zeit«

Salomon Levi trat noch um einen Schritt zurück, um möglichst aus Scharfenberg’s Nähe zu kommen, und las: »Hiermit gebe ich als Offizier und Edelmann mein Wort, daß ich morgen früh punct neun Uhr dem Vorzeiger Dieses die heute Abend an ihn verlorenen zwölfhundert Gulden voll und richtig in guter Münze auszahlen werde.«

Darunter stand ein bereits seit einer Woche verflossenes Datum und des Lieutenants Unterschrift.

»Himmeldonnerwetter!« rief dieser aus. »Mensch, wie kommst Du zu diesem Briefe?«

»Ich habe ihn gekauft.«

»Von wem?«

»Von dem Herrn, der das Geld gewonnen hatte.«

»Das ist gemein, hundsgemein!«

»Nicht bezahlen ist gemein; nur das ist hundsgemein! Der Herr hatte Ihr Ehrenwort. Als er kam, waren Sie verreist. Er wartete. Sie kamen nicht. Er brauchte Geld. Da kam er zu mir, um mir zu verkaufen diesen Zettel.«

»Wieviel hast Du ihm bezahlt?«

»Das ganze Geld.«

»Lügner! Du wirst ohne Profit handeln.«

»Ich habe gegeben soviel, als ich denke, das werth ist das Ehrenwort des Herrn Lieutenant von Scharfenberg. Der Tag ist vorüber, aber die Unterschrift gilt noch immer. Wollen der Herr Lieutenant bezahlen das Geld?«

»Kerl, ich habe ja soeben den Wechsel eingelöst!«

»Das ist Beweis, daß Sie Geld haben.«

»Aber doch nicht für Beides!«

»Der Herr Lieutenant hatte vorher kein Geld, weder für den Wechsel noch für das Ehrenwort. Er hat Geld erhalten für das Accept, nun wird er auch Geld bekommen, um einzulösen das verpfändete Ehrenwort.«

»Keinen Kreuzer erhalte ich.«

»So muß ich verkaufen das Ehrenwort an einen Anderen.«

»Spitzbube! Du willst mir doch nur Procente entlocken.«

»Was heißt Procente! Ich will haben die angegebene Summe; ich brauche keine Procente. Ich muß haben das Geld, da ich bin ein armer Mann, der auf sein bloßes Ehrenwort nicht bekommt einen Gulden oder einen Kreuzer.«

»Da magst Du sehr Recht haben, Bursche! Für heute aber mußt Du Dich mit den zwei Tausend begnügen, welche Du bereits von mir bekommen hast.«

»Au wai! Ich werde doch denken, daß Sie einlösen das Ehrenwort! Soll ich verlieren mein schönes Geld?«

»Du sollst es nicht verlieren, nur warten sollst Du!«

»Kann ich warten? Ich brauche Geld!«

»Donnerwetter! So höre doch endlich einmal, daß ich heute weiter nichts habe!«

»So muß ich thun, was ich bereits gesagt habe, ich muß verkaufen das Papier an einen Anderen.«

»So? An wen denn?«

»Ich werde fahren nach der Residenz und gehen zu Ihrem Herrn Obersten, um ihn zu fragen, was er bezahlt für den Ehrenschein des Herrn Lieutenants von Scharfenberg.«

»Mensch, das wirst Du bleiben lassen!«

»Nein, sondern ich werde es thun!«

»Ich bezahle Dich gut! Nimm doch Verstand an!«

»Warum hat denn der Herr Lieutenant keinen Verstand, wo nur ich welchen haben soll ganz allein!«

»Ich werde Dir zeigen, daß ich welchen habe.«

»Wird Einer, der Verstand hat, diese fünf Gulden werfen auf die Erde, um zu ärgern und zu kränken und zu beleidigen Einen, der da hat seinen Ehrenschein in der Hand?«

»Rede nicht darüber, sondern hebe das Geld auf!«

»Das werde ich nicht thun. Wenn der Herr Lieutenant es will aufheben, so werde ich bereit sein, mit mir sprechen zu lassen über den Schein in meiner Hand.«

»Jude, Du bist wirklich ein Satansmensch!«

»Ein Jude hat auch seine Ehre! Also, wird der Herr Lieutenant aufheben das Geld oder nicht?«

»Nein!«

»Gut! Adieu!«

Er drehte sich gegen die Thür, um sich zu entfernen. Das versetzte den Lieutenant in Angst.

»Halt!« sagte er. »Warte noch!«

»Ich habe keine Zeit mehr!«

»Hier, Mensch, hast Du das Geld!«

Er bückte sich wirklich, hob das Geld auf und gab es Salomon. Dieser steckte es ein und sagte schmunzelnd: »Habe ich nicht gehabt Recht, Herr Lieutenant?«

»Schweig! Also, zu welchen Concessionen bist Du bereit?«

»Zwölfhundert Gulden stehen hier. Wie lange Frist will haben der Herr Lieutenant?«

»Eine Woche.«

»Nein, das geht nicht an.«

»Warum nicht?«

»Ich brauche das Geld eher.«

»So bestimme Du die Frist.«

»In drei Tagen.«

»Bis dahin werde ich nicht Rath schaffen können.«

»Hat der Lieutenant nicht noch ein Ehrenwort?«

»Schlingel! Also in drei Tagen?«

»Ja, anders nicht.«

»Und wieviel forderst Du?«

»Hundert Gulden.«

»Hölle und Teufel! Bist Du verrückt?«

»Wie kann Salomon Levi sein verrückt?«

»Rechne Dir doch einmal aus, wieviel Procente das sein würden, auf das Jahr gerechnet.«

»Was geht mich an das Jahr? Ich erhalte das Geld in drei Tagen.«

»Ich kann Dich als Wucherer anzeigen.«

»Das werden Sie nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Weil es sonst öffentlich wird, daß der Herr Lieutenant von Scharfenberg nicht eingelöst hat sein Ehrenwort.«

»Ich wollte, Du ersticktest an Deinen schlauen Berechnungen und an Deinem Gelde. Fünfzig Gulden gebe ich.«

»Hundert, nicht weniger. Oder soll ich gehen?«

Er machte eine Bewegung nach der Thür.

»Halt,« sagte da rasch der Offizier. »Ich bin leider einmal in Deiner Hand und muß Dir den Willen thun. Zum zweiten Male geschieht dies aber nicht wieder. Ich gebe hundert!«

»Werden mir geben der Herr Lieutenant ein kleines Sicherheitchen oder Unterschriftchen?«

»Unsinn! Dazu habe ich jetzt nicht Zeit. Ich muß mit dem nächsten Zuge nach der Residenz. Ich gebe Dir mein Wort.«

»Topp?«

Er hielt dem Lieutenant die Hand zum Einschlagen hin.

»Oho! Denkst Du wirklich, daß ein Offizier Dir erst die Hand zu geben hat, ehe Du ihm glaubst?«

»Ist meine Hand voller Schmutz? Nun, so will ich den Herrn Lieutenant nicht zwingen. Aber ohne Handschlag ist auch ungiltig das Geschäft.«

»Du bist ein wirklich ganz und gar ruchloser Bösewicht. Hier ist die Hand. Schlag ein. Topp!«

»Topp! Und da der Herr Lieutenant will auch fahren nach der Hauptstadt, so können wir halten gute Kameradschaft und uns setzen mit einander in ein Coupee.«

»Das schlage Dir nur aus dem Sinn! Geschäfte können wir machen, aber ja keine Kameradschaft. Dazu stinkst Du mir viel zu sehr nach Knoblauch. Mache, daß Du fortkommst!«

Salomon Levi entfernte sich. Er lachte höchst zufrieden in sich hinein, denn er hatte einen mehrfachen Sieg errungen. Später, bevor er in den Waggon vierter Classe stieg, sah er den Lieutenant in ein Coupee erster Classe steigen. Dagegen hatte er gar nichts. Er befand sich an seinem Platze jedenfalls wohler als Scharfenberg auf seinem weichen Polstersitze.

Dieser nahm, auf dem Bahnhofe der Residenz angekommen, eine Droschke und fuhr direct nach Hotel Kronprinz. Er war in Civil und brauchte also keine übermäßige Rücksicht walten zu lassen. Beim Portier erfrug er die Wohnung der Leda, nach welcher er sich begab. Er klopfte, ohne sich anmelden zu lassen, an und trat sogleich ein.

Als die Tänzerin ihn erblickte, stieß sie einen Freudenschrei aus und eilte ihm entgegen.

»Bruno, mein Bruno!«

Sie schlang die Arme um ihn und wollte ihn küssen. Er aber löste ihre Hände von sich, schob sie von sich ab und sagte: »Bitte, keine Comödie! Es ist weder heute die Zeit noch hier der Ort dazu!«

»Comödie?« schmollte die Tänzerin. »Mein Herz treibt mich Dir entgegen, und Du sprichst von Comödie!«

»Sei still! Ich kenne Dich. Wohnst Du allein hier?«

»Mit der Mutter.«

»Wo ist sie?«

»Ausgegangen.«

»Und das Kind?«

»Befindet sich in Paris in Pflege. Oder hast Du vielleicht geglaubt, ich könne es mit auf Kunstreisen nehmen?«

»Nein. Wer wohnt nebenan?«

»Niemand.«

»Wir sind also unbelauscht.«

»Ja.«

»Nun gut, so wollen wir uns gleich ein-für allemal klar werden, damit wir wissen, woran wir mit einander sind.«

»Ich denke, das wissen wir bereits.«

»Ich, aber Du nicht.«

»Wieso?«

»Wüßtest Du es, so hättest Du mir nicht nach Rollenburg geschrieben. Das war eine Unvorsichtigkeit, welche man eigentlich nur einem Wahnsinnigen zutrauen kann.«

»Mein Gott, wie hart Du sprichst! Du weißt, wie innig ich Dich liebe. Ich sehnte mich nach Dir, und da Du nicht anwesend warst, so schrieb ich Dir, zumal mir der Besuch dieses Petermann solche Besorgniß erregte.«

»Aber mußtest Du Dich als Absenderin nennen?«

»Das war ja nothwendig.«

»Warum?«

»Damit der Brief, wenn er Dich ja nicht traf, richtig wieder an mich zurückgelangte.«

»Er ist dennoch an eine ganz falsche Adresse gekommen.«

»Unmöglich!« sagte sie erschrocken. »An wen?«

»An meinen Oheim.«

»Wie ist das geschehen?«

Er erzählte es ihr.

»Wer konnte das ahnen und denken!« sagte sie, als er mit seinem Berichte fertig war. »Glücklicher Weise ist der angerichtete Schaden nicht groß.«

»Groß genug. Ich habe den Onkel verloren.«

»Du hast ja mich!«

»Dich?« fragte er achselzuckend. »Was bringt mir das? Schaden, doch nichts als Schaden!«

»Bruno! Undankbarer!« schmollte sie.

»Schon gut. Wie konntest Du auf die Idee kommen, hier ein Engagement zu suchen?«

»Ich wollte ja doch in Deiner Nähe sein.«

»Unsinn. Wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen.«

»Was höre ich? Sprichst Du im Ernste?«

»Ja.«

»So bist Du der schlechteste Mensch, den es nur geben kann. Ich habe Dir meine Jugend, meine Ehre, Alles, Alles geopfert. Und nun sagst Du, daß wir gar nichts mehr mit einander zu schaffen haben. Ist das der Dank für meine Liebe?«

»Nein, sondern der Lohn für – – den Diebstahl.«

»Schweig doch. Das ist ja vorüber.«

»Kostet aber mir meine Ruhe und diesem armen Petermann noch mehr, viel mehr.«

»Ich brauchte Geld, und Du hattest keins.«

»Deine Liebe hat eben stets darin bestanden, daß Du Geld brauchtest. Auch heute empfingst Du mich mit Versicherung Deiner Liebe. Ich wette, Du bist nicht bei Casse.«

»Allerdings.«

»Und rechnest auf mich?«

»Natürlich.«

»Das ist umsonst. Ich habe mich vollständig ausgegeben.«

»Du hast Credit.«

»Du hast mich um ihn gebracht. Siehe zu, wie Du verkommst. Ich kann nicht das Allermindeste für Dich thun.«

»Was fange ich da an. Du hast bereits vergessen, mir das fällige Ziehgeld für unsere kleine Editha nach Paris zu schicken. Die Pfleger mahnen ohne Unterlaß.«

Er blickte sie von der Seite an.

»Unsere kleine Editha?« fragte er, das erste Wort besonders betonend.

»Ja.«

»Du meinst ›Deine‹ kleine Editha?«

»Welche Frage! Wie kommst Du mir vor?«

»Nun, aufrichtig gesagt, sind vier Jahre seit jener Zeit vergangen. Du warst schön, üppig, verführerisch, und ich war blind in Dich verliebt. Ich glaubte jedes Deiner Worte. Heute ist das anders. Ich bin abgekühlt.«

»Mein Gott! Was muß ich hören!«

»Daß ich während dieser Zeit gelernt habe, zu rechnen und nachzudenken. Weißt Du noch, wie lange wir bekannt waren, als Editha geboren wurde?«

»Ja.«

»Kann ich da der Vater sein?«

»Natürlich!«

»Mache Dich nicht lächerlich.«

»Aber Du mußt doch von Frühgeburten gehört haben. In unserem Falle war eine solche ebenfalls eine Ausnahme.«

»Nein, sondern ich war eine Ausnahme. Jeder andere hätte Dich ausgelacht; ich aber glaubte Dir. Ich zahlte jahrelang die Pflegegelder, ich – ah, Unsinn! Ich will mich nicht aufregen. Ich bin, mit einem Worte, gekommen, Dir zu sagen, daß wir uns von heute an nicht mehr zu kennen haben.«

Er stand bei diesen Worten von dem Stuhle auf, auf welchem er gesessen hatte. Auch sie erhob sich.

»Ist das Dein Ernst?« fragte sie.

»Mein vollständiger.«

»Du zahlst nichts mehr?«

»Keinen Heller. Ich verbiete Dir überhaupt, jemals davon zu sprechen, daß wir uns gekannt haben!«

»Und wenn ich dennoch spreche?«

»So werde ich veröffentlichen, wer damals aus Petermanns Casse die fünftausend Gulden genommen hat.«

»Du willst Dich also feindlich zu mir stellen?«

»Nein. Ich will nur haben, daß wir einander nicht mehr kennen. Ich bin Offizier, Du bist Tänzerin. Wir Beide haben unsere Pflichten, unsere Zukunft; aber Jedes die seinige für sich. Wir können uns nichts nützen; wir können uns nur schaden, wenn wir weiteren Umgang pflegen. Ich will avanciren, und Du kannst eine gute Parthie machen, wenn Du mich nicht mehr kennst. Ich hoffe, daß Du mit mir einverstanden bist.«

»Aber das Kind?«

»Es war, ist und bleibt das Deinige; mich aber laß von jetzt an damit in Ruhe!«

»Und Du meinst wirklich, daß ich darauf eingehe?«

»Ja, denn ich halte Dich für klug.«

»Nun gut, so will ich einmal nicht klug sein. Ich erkläre Dir hiermit, daß ich Dich nicht freigebe.«

»Ueber diese Erklärung kann ich nur lachen.«

»Lache jetzt. Später wirst Du einsehen, daß Du sehr unklug gehandelt hast. Ich habe Dich lieb. In Güte hättest Du mir irgendein Uebereinkommen ablocken können. Ich hätte Rücksicht auf Deine Zukunft genommen. Auf Deine kalte, rohe Weise aber wirst Du gar nichts erreichen!«

»Wollen das abwarten!«

»Du kannst das Kind nicht ableugnen!«

»Das Kind nicht, aber meine Vaterschaft.«

»Du hast Dich in hundert Briefen als Vater gefühlt!«

»Das beweist nicht, daß ich derselbe auch wirklich bin.«

»Wie nun, wenn ich mit diesem Kinde und mit diesen Briefen einst vor Deine Braut träte?«

»Ich würde Dich fortzubringen wissen.«

»Deine Braut würde auf mich hören. Du treibst mich mit Deiner Härte zum Widerspruch. Ich bin gegenwärtig mittellos. Selbst wenn ich engagirt werde, bedarf ich einer Summe für die erste Zeit. Ich bin bereit, Dir alle meine Ansprüche zu verkaufen.«

»Ich kaufe nichts, was ich auch ohne Geld haben kann!«

»Unmensch!«

»Gieb Dir keine Mühe! Du änderst die Ansicht doch nicht, welche ich jetzt von Dir habe. Du weißt also nun, was ich denke und was ich wünsche. Wir kennen einander nicht, und wir legen einander nichts in den Weg. Versuchst Du dennoch, das Letztere zu thun, so sorge ich dafür, daß man Dich einen Spaziergang nach dem Zuchthause unternehmen läßt. Lebewohl, und füge Dich darein.« –Mit dem Morgenzuge, welcher den Juden Salomon Levi nach Rollenburg gebracht hatte, war noch ein Anderer aus der Residenz gekommen, nämlich – der Baron Franz von Helfenstein.

Er war seit dem Verschwinden seiner Frau sehr oft nach Rollenburg gekommen, um anzufragen, welche Erfolge die polizeilichen Recherchen und Nachuntersuchungen gehabt hatten. Die Antwort war stets dieselbe gewesen. Man hatte nicht die geringste Spur gefunden. Es gab nicht den mindesten Anhalt, dieses räthselhafte Verschwinden zu erklären.

Er hatte seine Schritte natürlich nach der Anstalt des Directors Doctor Mars gelenkt, den er beim ersten Frühstück traf. Mars empfing ihn höflich und fragte: »Doch wieder in Sorge um die Verschwundene?«

»Natürlich, lieber Doctor!«

»Setzen Sie sich, Herr Baron!«

»Hat man keinen Erfolg gehabt?«

»Leider noch gar keinen.«

»Welch’ eine Polizei!«

»Sie ist nicht allwissend.«

»Das braucht sie nicht zu sein. Sie soll nur scharf beobachten und dann gut combiniren.«

»Wo und wie soll man beobachten, wenn man kein Object dazu findet?«

»Das Object ist eben meine Frau.«

»Sie ist ja nicht da. Nein, das Object der Beobachtung könnte eben nur meine Anstalt sein, und da hat sich eben nicht das kleinste Zeichen der Entführung finden lassen.«

»Hm,« machte der Baron, indem er einen eigenthümlich forschenden Blick auf den Irrenarzt warf.

»Was meinen Sie?« fragte dieser, als er diesen Blick, der ihm auffallen mußte, bemerkte.

»Ich habe einen Gedanken, der mich nicht wieder verlassen will, seit er mir gekommen ist.«

»Darf ich ihn erfahren?«

»Ich weiß doch nicht!«

»Ich meine, Herr Baron, daß wir nur dann Erfolg haben können, wenn wir Hand in Hand gehen. Und da ist vor allen Dingen die unumwundenste Aufrichtigkeit nöthig.«

»Eigentlich.«

»Also, bitte, aufrichtig zu sein!«

»Und Sie werden mir es nicht übel nehmen?«

»Ich bin mir keiner Schuld oder auch nur Nachlässigkeit bewußt; also kann von einem Uebelnehmen gar nicht die Rede sein.«

»Nun wohl! Erinnern Sie sich noch unseres Gespräches bei meiner letzten Anwesenheit, ehe meine Frau verschwand?«

»Ja.«

»Es war da von einer Gratification die Rede?«

»Glaube ich.«

»Auch davon, daß der Tod besser sei als ein unheilbarer Wahnsinn. Besinnen Sie sich?«

»Sehr gut.«

»Ich gab Ihnen den Auftrag, eine Anweisung auszufertigen und zur Unterschrift einzusenden?«

»Sie waren so gütig.«

»Warum haben Sie das nicht gethan.«

»Weil ich diese Gratification bis heute noch nicht verdient habe. Ihre Frau Gemahlin ist weder gestorben noch geheilt worden.«

»Aber sie ist – – fort?«

»Wollen Sie mich etwa dafür belohnen?«

»Wenn Sie es verdienen!«

»Ach, jetzt errathe ich! Herr Baron, ich glaube gar, Sie meinen, daß das Verschwinden Ihrer Frau mein Werk sei!«

»Ich gebe zu, daß ich diesen Gedanken habe.«

»Dann sind Sie freilich auf einem höchst bedeutenden Irrwege. Die Frau Baronin konnte entweder hergestellt werden oder sterben, Eins von Beiden.«

»Oder verschwinden.«

»Das lag außer aller Berechnung. Ein Abhandenkommen hat nicht die rechtlichen Folgen des Sterbens. Daran konnte Ihnen gar nichts liegen. Sie sehen, daß ich aufrichtig spreche.«

»Aber zum Donnerwetter, wer kann denn ein Interesse daran haben, daß sie verschwinde!«

»Das weiß der Teufel!«

»Und wie ist sie hinausgekommen? Sie haben mir diese Fragen bereits beantwortet; ich aber wiederhole sie dennoch. War ihre Zelle verschlossen?«

»Ja.«

»Hatte die Bedienung einen Schlüssel?«

»Nein. Zur Zelle Ihrer Frau Gemahlin gab es nur zwei Schlüssel. Weder ein Krankenwärter noch sonst Jemand konnte ohne besondere Erlaubniß zu ihr.«

»Wer hatte diese Schlüssel?«

»Ich hatte einen und Doctor Zander den andern.«

»Also hätte außer Ihnen nur Doctor Zander zu der Patientin gekonnt, nämlich an jenem Abende?«

»Ja.«

»Und das Schloß der Zellenthür war unbeschädigt?«

»Vollständig. Man hatte mit dem Schlüssel geöffnet.«

»Nun, zum Teufel, so weiß man ja, woran man ist!«

»Wirklich? Woran denn?«

»Wenn Sie die Patientin nicht selbst fortgeschafft haben, so hat es eben Doctor Zander gethan.«

Der Arzt zeigte sich nicht etwa frappirt von diesen Worten, sondern er nickte im Gegentheile leise vor sich hin und sagte dann in vorsichtig gedämpftem Tone: »Was Sie da sagen, ist einigermaßen plausibel.«

»Finden Sie das auch?«

»Ja!«

»Haben Sie diesen Gedanken noch nicht gehabt?«

»Er ist mir gleich ganz anfangs gekommen.«

»Nun, warum haben Sie die Idee nicht weiter verfolgt?«

»Ich habe sie verfolgt.«

»In welcher Weise?«

»Indem ich meinen Assistenzarzt einer unausgesetzten und scharfen Beobachtung unterworfen habe. Es hat sich aber nicht der leiseste Hauch an ihm entdecken lassen, daß er der Schuldige ist. Uebrigens müßte er ja ein Interesse an dem Verschwinden Ihrer Frau Gemahlin haben, und das ist sicher nicht der Fall.«

»Kann man das beschwören?«

»Er kannte sie nicht; er war erst seit Kurzem da. Wollte er sich eingehender als gewöhnlich mit ihr beschäftigen, so wäre dies jedenfalls nur in der Absicht, sie zu heilen geschehen.«

»Hat er nicht vielleicht Bekannte, für die er den Streich hätte unternehmen können?«

»Nein. Er verkehrt nur mit den beiden Lieutenants von Randau und von Hagenau.«

»Die haben mit der Sache sicher nichts zu thun!«

»Das denke ich auch. Uebrigens hat Niemand so wie er sich Mühe gegeben, eine Spur zu entdecken.«

»Das überzeugt nicht; das könnte auch Verstellung sein.«

»Auffällig war mir allerdings auch der Umstand, daß Niemand außer ihm und mir des Nachts im Stande war, das Hausthor und die Pforte zu öffnen. Die dazu vorhandenen Hauptschlüssel hat kein Anderer. Und sodann erfuhr ich, daß er an jenem Abende abwesend gewesen war.«

»Sapperment! Das ist von Bedeutung! Man sollte ihn ins Gebet nehmen, Herr Director.«

»Er würde, selbst für den Fall, daß er der Schuldige ist, nichts gestehen, wie sich ja voraussehen läßt.«

»Man müßte ihn überraschen.«

»Hm! Ja. Aber wie?«

»Indem man ihm mit einer Frage wie mit einer Pistole auf das Leder rückt.«

»Das ist zu gewagt.«

»Warum?«

»Weil er es sehr übel nehmen würde.«

»Was mache ich mir daraus, wenn mir dieser kleine Doctor Etwas übelnimmt!«

»Also, Sie selbst wollten die betreffende Frage stellen?«

»Wenn es nicht anders sein kann, ja. Besser freilich wäre es, Sie könnten es übernehmen.«

»Danke sehr! Ich thue es nicht.«

»Fürchten Sie sich vor ihm?«

»Fällt mir nicht ein. Aber er wäre im Stande, mir zu kündigen und ich sage Ihnen, daß ich ihn nicht einbüßen möchte.«

»O, haben Sie keine Sorge! Er wird sehr froh sein, bei Ihnen Anstellung zu haben. Diese jungen Ärzte dürfen noch keine gar so große Ansprüche machen.«

»Hm! Er ist ein höchst brauchbarer College!«

»Das mag sein.«

»Er würde wohl bald anderweit Beschäftigung erhalten.«

»Und Sie noch viel eher einen andern Assistenten! Also, wollen wir diese Ueberrumpelung versuchen?«

»Es ist eine heikle Angelegenheit!« meinte Mars zögernd.

»Aber vielleicht die einzige Art und Weise, zum Ziele zu gelangen. Entschließen Sie sich!«

»Na, meinetwegen! Ihnen zu Gefallen!«

»Aber Sie müssen dabei sein!«

»Natürlich!«

»Wo ist Zander?«

»Wir werden ihn, wenn er nicht in den Zellen ist, jedenfalls in seiner Wohnung finden. Aber ich bitte, ihn unter allen Umständen zu schonen!«

»Schonen? Unter allen Umständen? Auch in dem Falle, daß er uns meine Frau entführt hat?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ich – na, aufrichtig gestanden, weil ich es mit ihm doch nicht ganz verderben kann.«

»Welche Befürchtungen haben Sie denn?«

»Nun, es ist eine eigenthümliche Sache um so eine Privatirrenheilanstalt. Es kommen da so viele und so verschiedene – wie sage ich doch gleich – familiäre Rücksichtlichkeiten zur Geltung, daß Niemand so sehr verschwiegen sein muß wie ein Privatirrenarzt.«

»Ach so! Und Doctor Zander hat ihnen trotz der kurzen Zeit, welche er hier ist, bereits in die Karten geguckt?«

»Ja.«

»Und Sie haben das Ausplaudern zu befürchten?«

»Gewiß. Denken Sie an Ihren eigenen Fall. Wie nun, wenn Zander öffentlich behauptete, Sie hätten Ihre Frau absichtlich wahnsinnig gemacht?«

»Das wäre allerdings verteufelt fatal, besonders in dem Falle, daß er seine Behauptung beweisen könnte.«

»Hm! Was das betrifft, so ist er ein ausgezeichneter Chemiker, welcher gar nicht leicht zu täuschen sein würde.«

»Na so wollen wir also so vorsichtig sein, wie es die Umstände uns erlauben. Kommen Sie!«

Sie erfuhren von den Wärtern, daß Doctor Zander seinen gewöhnlichen Umgang beendet habe, und begaben sich also in seine Privatwohnung. Er empfing den Director mit achtungsvoller Freundlichkeit, den Baron aber mit einer höflich kalten Verbeugung.

»Bitte, wollen die Herren Platz nehmen!« sagte er.

»Das wird nicht nothwendig sein,« antwortete der Baron. »Wir gehen gleich wieder, nachdem wir eine ganz kurze Frage an Sie gerichtet haben, Herr Doctor.«

»Hoffentlich kann ich sie zur Genüge beantworten.«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Dann bitte!«

Da legte der Baron ihm in pfiffiger Vertraulichkeit die Hand auf die Achsel und sagte:

»Spaß beiseite, Herr Doctor, wo haben Sie meine Frau einstweilen hingebracht?«

Zander trat sofort einen Schritt zurück. Seine Miene drückte nicht den mindesten Schreck, sondern nur Erstaunen aus.

»Habe ich Sie recht verstanden?« fragte er.

»Jedenfalls.«

»Sie wollen wissen, wohin ich Ihre Frau geschafft habe?«

»Ja.«

»Herr Doctor Mars hat natürlich gewußt, daß Sie die Frage an mich richten wollen?«

»Gewiß.«

»Nun, dann haben Sie die Güte, hier in meinem Zimmer und unter meinen Effecten nachzusehen, wo ich die Vermißte versteckt habe. Ich will Ihnen dabei die nöthige Freiheit lassen, indem ich mich einstweilen entferne.«

Und ehe sie ihn aufhalten konnten, war er zur Thür hinaus. »Abgeblitzt!« meinte der Baron.

»Dachte es mir!«

»Nun wissen wir gerade soviel wie vorher!«

»Er ist unschuldig.«

»Vielleicht nur ein Schlaukopf, der auf eine so überraschende Frage seither gefaßt gewesen ist.«

»Ich werde von ihm um Genugthuung angegangen werden. Das ist das Einzige, was ich davon habe.«

»Pah! Sagen Sie ihm, daß es sich um ein Mißverständniß handle; so giebt er sich zufrieden.«

»Schwerlich. Er würde von mir verlangen, ihm dieses Mißverständniß des Näheren auseinander zu setzen.«

»Nun, so sagen Sie ihm meinetwegen ganz aufrichtig, daß ich ihn in Verdacht gehabt habe, und daß Sie nur in mein Verfahren gewilligt hätten, um ihm Gelegenheit zu geben, mich gehörig ablaufen zu lassen. Das ist das Beste.«

»Ja, das ist die einzige Art und Weise, meinen Kopf ohne Blamage aus der Schlinge zu ziehen.«

»Wohin wird er sein?«

»Jedenfalls hinab in den Garten, um seinen Ärger im Freien auszuathmen.«

»Warten wir, bis er zurückgekehrt ist.«

Sie begaben sich wieder nach der Wohnung des Directors, wo sie bei einer Flasche Wein den Gegenstand weiter besprachen. Da trat einer der Zellenwärter ein und überreichte dem Arzte ein Couvert.

»Von wem?«

»Von Herrn Doctor Zander.«

»Wo ist er?«

»Zum Thore hinaus.«

»Warten.«

Er öffnete das Couvert. Es enthielt eine Karte, auf welcher folgende Zeilen zu lesen waren:

 

»Geehrter Herr!

 

Nachdem Sie in eine Beleidigung willigten, die eben so unverzeihlich wie lächerlich ist, sehe ich ein, daß mir von Ihrer Seite keineswegs das Vertrauen entgegengebracht wird, ohne welches mein Wirken in Ihrer Anstalt nur schädlich anstatt heilsam sein muß. Ich halte es also für das Beste, Ihnen schnellstens Gelegenheit zu geben, sich einen anderen Assistenten zu engagiren, welcher würdiger ist, an Ihrer Seite zum Wohle der Ihnen anvertrauten Unglücklichen zu wirken. Da ich in dem vorliegenden Falle eine Kündigung nicht für nöthig halte, reise ich sofort ab und werde meine Effecten, welche schnell gepackt sind, abholen lassen Alfred Zander, Dr. med.«

 

Der Irrenarzt erschrak auf das Heftigste.

»Wie lange ist er fort?« fragte er den Wärter.

»Seit fünf Minuten.«

»Eile ihm nach, daß Du ihn noch erwischest! Ich lasse ihn ersuchen, doch freundlichst zu mir zu kommen.«

Der Mann entfernte sich schnell.

»Sie sehen ja ganz erschrocken aus!« meinte der Baron.

»Ich bin auch wirklich erschrocken!«

»Was schreibt er denn?«

»Er ist fort!«

»Nicht doch!«

»Ja. Da, lesen Sie!«

Der Baron überflog die Zeilen und sagte dann:

»Ein resoluter Kerl! Der hat Rasse!«

»Und ich habe das Nachsehen!«

»Es wird nicht so ernstlich gemeint sein. Er wird sich von Ihrem Boten finden lassen und gern bleiben, wenn Sie eine Kleinigkeit zu seinem Gehalte legen. Die Mehrausgabe will ich tragen, da ich einmal die Schuld auf mich nehme.«

»Täuschen Sie sich nicht! Dieser Zander hat Grundsätze. Zudem ist er so vermögend, daß er sogar sehr fein von seinen Zinsen leben kann. Er braucht also keine Anstellung.«

»Fatal! Doch warten wir es ab!«

Der Bote hatte aber Zander nicht getroffen, denn derselbe hatte, ahnend, daß man ihm Jemand nachsenden werde, seine Schritte so beschleunigt, daß er gar nicht einzuholen gewesen war, zumal der Zellenwärter gar nicht gewußt hatte, welche Richtung er einschlagen solle.

Zunächst begab Zander sich in ein Café, wo er gewohnt war, ungefähr um diese Tageszeit seine beiden Freunde, die Lieutenants von Hagenau und von Randau, zu treffen. Besonders hatte er sich dem Letzteren eng angeschlossen, und darum freute er sich, ihn bereits an seinem Tische vorzufinden.

Das Zimmer hatte eine sehr hervorspringende Ecke, an welcher der Ofen stand. An der anderen Ecke, also hinter dem Ofen, befand sich der Tisch, an welchem die drei Bekannten ihren Morgentrunk zu sich zu nehmen pflegten. Saßen sie einmal da, so waren sie von den anderen Tischen aus gar nicht zu sehen.

»So früh schon da?« fragte Randau, dem jungen Arzte die Hand entgegenstreckend.

»Und Sie noch früher!«

»Ich habe heute nicht Dienst; darum war ich ein Wenig überpünktlich, mein Lieber.«

Die Kellnerin kannte bereits den Geschmack des Doctors. Sie brachte ihm, nachdem er geklingelt hatte, die bereit gehaltene Portion und kehrte dann in die Küche zurück, wo sie beschäftigt war.

»Sie kommen mir heute ein Wenig verändert vor, mein bester Doctor,« bemerkte der Lieutenant.

»In wiefern?«

»So feierlich oder vielmehr so entschieden, als ob Sie irgend etwas Wohlüberlegtes im Schilde führten.«

»Das ist auch in Wirklichkeit der Fall.«

»Also errathen! Darf man neugierig sein? Oder ist es Berufsgeheimniß?«

»O, Sie können es immerhin wissen. Ich beabsichtige nämlich, mich in der Residenz zu etabliren.«

»Was Sie sagen! Sie sind ja hier kaum angetreten!«

»So fällt mir das Abtreten um so leichter.«

»Haben Sie sich mit Mars überworfen?«

»So ungefähr. Wir waren in einer wichtigen Angelegenheit so verschiedener Ansicht, daß ich es für das beste hielt, in Zukunft solche Gegensätze zu vermeiden.«

»Wann reisen Sie ab?«

»Noch heute.«

»Sapperlot! Das geht ja ungeheuer schnell!«

»Ich kündige gar nicht erst.«

»Nun, ich kann sehr zufrieden mit Ihrem Fortgehen sein. Ich werde Ihnen nachfolgen.«

»Das wäre mir außerordentlich lieb. Aber der Dienst hält Sie. Sie sind nicht in dem Besitze einer so glücklichen und freien Selbstbestimmung wie ich.«

»O, ich bin um meine Versetzung eingekommen und weiß aus bester Hand, daß man dies Gesuch gern berücksichtigen und meine Translocation möglichst beschleunigen wird.«

»Gratulire!«

»Danke!«

»Es gefiel Ihnen natürlich in dieser Provinzialstadt nicht.«

»Hm! Was das betrifft, so ließ es sich ja immerhin hier ziemlich leben; aber seit jener Affaire bei der Melitta, wissen Sie, ist mir Rollenburg verleidet. Ich mußte und muß auch noch als Zeuge dienen, leider gegen Kameraden. Das hat meiner hiesigen Stellung eine einigermaßen schiefe Richtung gegeben. Ich will fort.«

»Bin doch neugierig, welches Resultat die Untersuchung ergeben wird. Man scheint sich Zeit nehmen zu wollen.«

»Sehr leicht erklärlich, da ja Herren des Officiercorps verwickelt sind. Eine verteufelt fatale Angelegenheit!«

Der Doctor wollte eine Bemerkung machen, hielt dieselbe aber zurück, weil vorn die Thür geöfffnet wurde und dabei auch sogleich eine laute Stimme erklang: »Keine Seele anwesend. Das ist schön! Da können Sie mir die lustige Geschichte erzählen, Herr Director.«

Zander glaubte wirklich in diesem Augenblicke, daß sein Director, Doctor Mars, mit eingetreten sei; er winkte also dem Lieutenant Schweigen zu.

»Ja, lustig war’s,« antwortete eine zweite Stimme. »So eine richtige Mädchenentführung, zwar nicht mit Gewalt, sondern durch List, aber doch eine Entführung. Jetzt hängt das dumme Ding, das sich gewehrt hat wie ein Teufel, bereits in der Dressur. Ja wirklich, kein Mensch da. Klingle einmal, Dicker!«

Die Glocke erscholl, und die beiden Eingetretenen, welche vorn Platz genommen hatten, ließen sich Wein geben.

Doctor Zander hatte nun zwar an der Stimme gehört, daß es nicht Mars sei, der Director genannt worden war. Doch ließen die gehörten Worte so deutlich auf etwas Verdächtiges oder wohl gar Gesetzwidriges schließen, daß die beiden Freunde durch leises Zunicken sich verständigten, ihre Anwesenheit nicht merken zu lassen.

Das Mädchen kam und brachte den Wein. Als sie sich wieder entfernt hatte, sagte die zweite Stimme:

»Hat sie die Thür fest zugemacht, Dicker?«

»Ja, Herr Director.«

»Schön. Was ich erzähle, braucht Niemand zu hören. Man wäre im Stande, mich zur Verantwortung zu ziehen!«

»Also prosit, und dann los! Ich bin neugierig, auf welche Weise Sie zu diesem prachtvollen Mädchen gekommen sind.«

»Hat Sie Dir also gefallen?«

»Ausgezeichnet! Verdammt appetitlich! Wäre ich nicht so ein alter Kerl, so müßte dieser Bissen mein werden. Das Wasser ist mir im Munde zusammengelaufen.«

»Ja, das hat noch Kraft und Kern. Das greift sich noch gesund und fest an. So etwas findet man beim Comödiantenvolke nicht.«

»Also aus einer Privatfamilie?«

»Ja, ihr Vater war Theaterdiener in der Residenz.«

»Und sie ist nicht Schauspielerin?«

»Nein.«

»Aber wie haben Sie es angefangen, sie als Tau-ma zu engagiren? Oder hatte sie sofort eingewilligt?«

»Als Tau-ma? Närrischer Kerl! Da wäre ich wohl schlecht angekommen. Als Cassirerin habe ich sie engagirt.«

»Als Cassirerin? Sapperment! Und ich bin Cassirer!«

»Habe keine Sorge! Du bleibst im Amte.«

»Aber was wird sie dazu sagen?«

»Nichts. Es wird eben gar nicht gelitten, daß sie Etwas sagt. Höre, wie ich es angefangen habe!«

Er erzählte von seinem Besuche bei seinem Bruder, von seinem Gange mit diesem in das Theater, von der Weigerung Emiliens, sich in Tricots sehen zu lassen, von seiner Unterredung mit ihr und ihrem Vater im Büdchen und von dem endlichen Engagement. Als er erwähnt hatte, daß sich Beide, sowohl der Vater wie auch die Tochter, unterschrieben hätten, sagte der Cassirer: »Ah, da sitzt sie also fest!«

»Ganz und gar. Sie kann nicht wieder fort.«

»Die Quittung gilt ja als Wechsel, weil das Wort Wechsel darin vorkommt. So steht es im Gesetz.«

»Freilich. Fügt sie sich nicht, so ist das eine gute Waffe. Diese Weibsen haben vor dem Worte Wechsel eine heillose Angst, obgleich es gar nicht so gefährlich ist.«

»Wie ging es unterwegs?«

»Sehr gut. Der Himmel hing ihr voller Pauken, Trompeten und Geigen; das war ihr anzusehen. Als wir dann hier ankamen, hatte der Geschäftsführer bereits Logis und Stallungen besorgt und empfing mich am Bahnhofe.«

»Er sagte mir, daß er nicht kleine Augen gemacht habe, als er das Mädchen erblickte.«

»Ja, das ist wahr. So eine Acquisition hatte er freilich nicht erwartet. Nun gab es aber ein großes Bedenken. Nämlich es durfte Niemand das Mädchen sehen.«

»Natürlich! Wer sie dann als Tau-ma ohne Unterleib erblickte, der ahnt sofort den Schwindel.«

»Da war es vortrefflich, daß der Geschäftsführer das kleine, leere Haus draußen vor der Stadt gemiethet hatte. Es wohnt kein Mensch darin. Dahin haben wir sie gebracht. Und dort wird sie versteckt bleiben bis zu ihrem ersten Auftreten. Kein Mensch kennt sie dann.«

»Wieviel Zeit wird bis dahin vergehen?«

»Hm! Eine Woche wenigstens.«

»Warum so lange?«

»Mensch, das mußt Du doch einsehen! Sie schämt sich jetzt beinahe, wenn man nur ihre Hände ansieht, bloß weil diese nicht bedeckt sind. Wenn sie auftritt, muß sie aber oben ganz entblößt gehen. Man muß ihr Schamgefühl abstumpfen oder ganz todt machen.«

»Das geht am Schnellsten mit der Peitsche.«

»Allerdings. Aber Du darfst nicht vergessen, daß ich sie nicht eher produciren kann, als bis sie es gern thut. Sonst braucht sie ja nur das Publikum um Hilfe anzurufen, und ich kann dann nur gleich zusammenpacken.«

»Ja, eine verdammt kitzliche Sache.«

»Ich hoffe, es fertig zu bringen.«

»Wann fangen wir denn an?«

»Habe schon angefangen.«

»Sapperlot! In welcher Weise denn?«

»Gestern Abend, gleich nachdem ich sie in das Quartier gebracht hatte. Die Andern, welche auch dort wohnen, waren mit dabei und haben nach Kräften geholfen. Zuerst sagte ich ihr, daß sie sich den Cassirerposten aus dem Sinn schlagen müsse, weil ich schon einen Cassirer habe.«

»Was sagte sie dazu?«

»Sie war ganz starr vor Erstaunen. Dann sagte ich ihr, daß sie meine Tau-ma sein werde. Sie kannte das Wort nicht und fragte nach der Bedeutung desselben. Als ich es ihr erklärte, da ging es los.«

»Was?«

»Zunächst die Vorwürfe; dann das Jammern und Klagen. Sie wollte augenblicklich fort. Ich ließ sie natürlich festhalten. Sie schrie um Hilfe. Da pfiff ich ihr mit der Peitsche so ein paar scharfe Schnelzer über, daß sie vor Schmerz ordentlich in die Luft ging. Von da an weinte sie nur noch leise vor sich hin.«

»Ja, probates Mittel!«

»So eine Person verkennt ihr eigenes Glück. Sie drohte freilich selbst nachher noch mit dem Gesetz und der Polizei; aber ich machte sie auf die Bedeutung ihrer Unterschrift aufmerksam. Ich drohte, ihren Eltern Strumpf und Stiel abzupfänden, wenn sie nicht fügsam sei. Da endlich wurde sie still.«

»Da hat sie schnell Verstand angenommen!«

»Juble nicht zu früh! Ich holte die Tau-ma-Schaukel her und zeigte ihr, wie es gemacht wird. Aber da ging es von Neuem los. Sie erklärte, sie werde lieber sterben, als Arme, Hals und Brust nackt sehen zu lassen.«

»Wie dumm!«

»Na, ich habe es ihr sofort bewiesen, daß sie nicht daran stirbt, wenn sie nackend ist.«

»Wieso?«

»Ihre Kleider mußten herunter.«

»Hat sie es gelitten?«

»Pah! Ich half mit der Peitsche nach!«

»Hat sie nicht geschrieen?«

»Ja; aber dem machte ich schnell ein Ende. Ich ließ ihr einen Knebel in den Mund schieben. Dann haben wir sie an einen Balken gebunden und die ganze Nacht stehen lassen, hüben und drüben ein Laterne.«

»Ohne Kleider?«

»Das versteht sich. Man glaubt gar nicht, wie rasch sich diese dumme Schaam verliert, wenn die Kleider einmal weg sind. Sie wird es schon lernen.«

»Aber in dieser Kälte?«

»Desto besser. Das merkt sie sich und wird also gehorchen.«

»War denn Jemand bei ihr?«

»Das ganze Chor. Es war ja in der Bodenkammer, in welcher sie Alle schlafen.«

»Auch die Mannspersonen waren dabei?«

»Ja freilich.«

»Alle Teufel! Was wird das Mädel gedacht haben!«

»Sie stand an ihrem Balken wie todt. Sie hatte die Augen zu und sagte kein Wort, regte und rührte sich auch nicht. Erst heute Morgen zeigte sie Leben, als sie eine Tasse Kaffee angeboten bekam.«

»Den trank sie?«

»Ja.«

»Hat sie Etwas gesagt?«

»Bis jetzt kein einziges Wort.«

»Ist sie denn immer noch angebunden?«

»Ja. Ich lasse sie nicht eher los, als bis sie mir heilig und theuer verspricht, unbedingt zu gehorchen.«

»Und doch sind Sie keineswegs sicher!«

»Wieso?«

»Sie kann sich verstellen und dann beim öffentlichen Auftreten die Dummheit begehen, um Hilfe zu rufen.«

»Dagegen giebt es zwei Mittel.«

»Welche?«

»Ich stelle zwei Personen unsichtbar hinter die Coulissen, welche, sobald sie sich nur muxt, den Vorhang fallen lassen und ihr sofort die Gurgel zuschnüren müssen. Dem Publicum wird irgend Etwas weiß gemacht.«

»Und das andere Mittel?«

»Das erstere Mittel bestand aus Strenge, das zweite aber besteht in Liebe. Sie hat jetzt Zeit, sich unter unseren Leuten umzusehen. Es sind hübsche Kerls dabei. Der Geschäftsführer zum Beispiel ist ein Bild von einem Burschen. Geschick haben die Hallunken auch, und so dauert es sicher kaum drei oder vier Tage, so hat sie sich in den Einen oder den Anderen vergafft. Na, und wenn sie dann einmal weiß, wie angenehm die Liebe ist, und daß bei uns derselben nichts in den Weg gelegt wird, dann adieu Schamgefühl und Widerstand.«

»Das läßt sich hören. Und geben Sie ihr Gelegenheit, ihren Eltern zuweilen einige Gulden schicken zu können, so müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht von ganzem Herzen gern bei uns bliebe!«

»So ist es! Jetzt nun will ich hinaus, um die Dressur fortzusetzen. Gehst Du mit?«

»Hm! Warum nicht? Bekomme ich sie zu sehen?«

»Natürlich.«

»Im Evahabit?«

»Ja. Sie muß sich daran gewöhnen, sich ansehen zu lassen.«

»Da bin ich neugierig. Trinken wir also aus!«

Der Director klingelte, und die Kellnerin erschien. Er bezahlte und wendete sich mit dem Cassirer bereits dem Ausgange zu, als er eine Hand auf seiner Achsel fühlte.

»Bitte, auf ein Wort, meine Herren!«

Beide drehten sich schnell um. Vor ihnen stand Doctor Zander, welcher diese Worte gesagt hatte, und neben ihm der Lieutenant von Randau. Sie erschraken außerordentlich, denn nun erkannten sie, daß sie nicht allein gewesen seien, sondern belauscht worden waren.

»Darf ich fragen, wen ich die Ehre habe –?« meinte der junge Arzt, indem auf seinem Gesichte sich ein höchst unternehmendes Lächeln bemerken ließ.

Der Director faßte sich schnell und antwortete:

»Ich bin der Director Baumgarten vom Circus Réal.«

»Und dieser Herr?«

»Mein Cassirer.«

»Danke! Wollen Sie die Freundlichkeit haben, noch einige Augenblicke zu verweilen? Bitte nehmen Sie Platz!«

Er zeigte nach dem Tische, welcher hinter dem Ofen stand. Unterdessen raunte der Lieutenant, von den Beiden unbemerkt, der Kellnerin zu: »Schnell, Polizei holen!«

Im Nu war das Mädchen verschwunden.

»Wir standen im Begriff, aufzubrechen,« warf der Director jetzt abwehrend ein.

»O, vielleicht haben Sie doch einige Minuten für uns übrig. Ihr interessantes Gespräch –«

»Sie haben es gehört?« fragte der Director schnell.

»Ja. Wir saßen dort am Tische und wollten Sie nicht stören. Also, Ihr interessantes Gespräch läßt uns annehmen, daß Ihr Circus überhaupt viel Interessantes bietet, und da haben wir den Wunsch, uns ein Wenig zu orientiren.«

Dem Cassirer merkte man an, daß er noch gern geblieben wäre. Er mochte meinen, einen guten Gratistrunk thun zu können. Aber dem Director kam das Lächeln des Arztes nicht recht geheuer vor. Er antwortete: »Bitte, bitte, ein anderes Mal, meine Herren!«

»Ist uns leider unmöglich, da wir die Stadt verlassen. Also, nehmen Sie immerhin gefälligst Platz!«

Er nahm den Director am Arme, um ihn nach dem Tische zu führen, erhielt aber die Weigerung:

»Ich muß allen Ernstes bemerken, daß wir keine Zeit mehr haben, meine Herren.«

»Und ich muß bemerken, daß wir Sie nicht fortlassen werden. Wir sind nun einmal darauf versessen, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen.«

»Wollen Sie uns pressen wie englische Matrosen?«

»Nötigenfalls, ja!« lachte Zander gemüthlich.

»Da protestire ich denn doch allen Ernstes! Es ist doch wohl nicht gesellschaftliche Sitte, einen Menschen mit Gewalt zum Bleiben zu nöthigen.«

»O, in gewissen Kreisen der Gesellschaft wird dies sogar sehr oft und mit Erfolg angewendet. Besonders hier in Rollenburg, wo gar Mancher gegen seinen Willen zu einem ungewöhnlich langen und äußerst unangenehmen Verweilen gezwungen gewesen ist.«

»Mein Herr, Sie führen eine eigenthümliche Sprache!«

»Weil Sie eine so eigenthümliche Geschichte erzählten.«

»Was geht Sie meine Erzählung an! Lassen Sie uns fort!«

»Nein, Sie bleiben!« sagte Zander in seinem ernsthaftesten Tone.

»Oho! Wer sind Sie!«

»Mein Name ist Zander; ich bin Arzt. Die Uniform dieses anderen Herrn sagt Ihnen, was er ist.«

»Was Sie sind, das ist mir sehr gleichgiltig. Ich brauche weder einen Arzt noch einen Exerciermeister. Machen Sie Platz, sonst bin ich gezwungen, nachzuhelfen!«

»Nicht so hitzig, Herr Director! Sie befinden sich weder in der Manege noch bei der Dressur eines armen, schwachen und wehrlosen Frauenzimmers!«

»Donnerwetter! Was soll das heißen? Etwa gar eine Drohung? Was kümmern Sie sich um meine Angelegenheiten? Sehen Sie erst mich an und dann sich! Sie werden erkennen, daß ich keinen Grund habe, mich zu fürchten!«

Er fuchtelte mit seiner Reitpeitsche vor sich herum und wendete sich nach Thür. Dort aber hatte der Lieutenant nach ein paar schnellen Schritten Posto gefaßt.

»Sie werden bleiben, Herr Baumgarten!« befahl er in kurzem, gebieterischem Tone.

»Fällt mir nicht ein! Platz gemacht!«

»Nun, da Sie uns nicht zu verstehen scheinen, erkläre ich Ihnen, daß wir Sie mit Arretur belegen!«

»Arretiren! Uns arretiren?«

»Ja, wie Sie sehen!«

»O, ich sehe noch gar nichts! Ich sehe nur, daß da die Thüre ist, und daß Sie uns im Wege sind. Weg mit Ihnen!«

»Halt! Keinen Schritt weiter. Sie sind unser Gefangener! Etwaigem Widerstande werde ich mit blanker Waffe zu begegnen wissen. Ich spreche im Ernste!«

Er hatte dabei den Degen gezogen und hielt die Klinge wirklich zum Stoße bereit.

»Himmeldonnerwetter! Das ist mir noch nicht begegnet, in meinem ganzen Leben noch nicht!« rief der Director.

»Mir auch nicht!« stimmte der Cassirer bei.

»Nun, so machen Sie eben heute diese Erfahrung zum ersten Male,« bemerkte Zander. »Vielleicht lassen Sie es sich zur Warnung dienen und recognosciren die Orte, an welchen Sie von Ihren Geschäftsgeheimnissen sprechen, vorher genau.«

Noch war der kräftig, ja stämmig gebaute Director unentschlossen, ob er sich fügen oder Widerstand leisten solle. Er sah ein, wieviel von ihm davon abhänge, seine neue Tau-ma verbergen oder doch wenigstens ihre nackte Gestalt in die Kleidung bringen zu können; aber – da wurde es auch schon zum Handeln zu spät, denn es öffnete sich die Thür, um zwei Stadtgensd’armen einzulassen, welche, als sie den Offizier erblickten, ihr Honneur machten.

»Bringen Sie augenblicklich diese beiden Männer in Gewahrsam!« befahl der Lieutenant.

»Oho! So schnell geht das denn doch nicht!« rief der Director. »Hat man etwa gesehen, daß wir uns etwas Gesetzwidriges zu Schulden kommen ließen?«

»Haben Sie keine Sorge! Wir werden es bald sehen!«

»Ich lasse mich nicht eher arretiren, als bis man mir beweisen kann, daß es nothwendig ist!«

»Darf ich gehorsamst fragen, was diesen beiden Leuten vorgeworfen wird?« fragte der eine Gensd’arm.

»Wir haben keine Zeit zu langer Auseinandersetzung,« antwortete der Lieutenant. »Sie arretiren diese Männer auf meine Verantwortung, bringen sie auf die Polizeiwache und sorgen dafür, daß sie nicht entfliehen!«

»Das soll Ihnen denn doch schwer werden!« rief der Director.

Er trat blitzschnell auf den Lieutenant zu und faßte ihn bei der Brust, um sich den Weg zu bahnen. Aber er hatte sich in dem jungen Offizier getäuscht, denn dieser versetzte ihm ebenso schnell einen solchen Fausthieb unter das Kinn, daß er nach hinten und zur Erde flog.

»Widerstand, wie Sie sehen,« sagte er zu den Polizisten. »Jetzt verlange ich, daß beide gefesselt werden.«

Diesem Befehle wurde augenblicklich Gehorsam geleistet, wie sehr sich auch die Gefangenen sträubten. Noch ehe sie abgeführt wurden, verließen Randau und Zander mit einander das Café, um nach der Polizei vorauszueilen. Dort bedurfte es nur weniger Worte, um einen Polizeisergeanten mit der nöthigen Mannschaft zu erhalten. Dann wurde schnell aufgebrochen.

»Kennen Sie denn das betreffende Haus?« fragte der Arzt den Lieutenant.

»Ja. Es liegt am Ende der Stadt und war eine Garnbleiche. Es ist zu luftig, als daß es perennirend bewohnt werden könnte.«

»Kann man uns von Weitem bemerken?«

»Warum?«

»In diesem Falle steht ja zu befürchten, daß man, bevor wir wirklich ankommen, Vorsichtsmaßregeln treffen werde.«

»Das wird nicht geschehen. Wir müssen zwischen Gärten hindurch, und das Haus selbst liegt auch in einem Garten.«

Sie schlichen sich wie Plänkler während eines Gefechtes vorwärts, um ja nicht bemerkt zu werden. In der Nähe des betreffenden Gebäudes angekommen, scholl ihnen ein lautes Lachen und Schreien, ein wüster Lärm entgegen.

»Nicht zögern, sondern so schnell wie möglich eintreten!« meinte der Lieutenant, »damit Niemand vorzeitig gewarnt werde!«

Einige Augenblicke später standen sie im Innern des Parterres, welches einen einzigen großen Raum bildete.

Da sah es bunt genug aus. Altes Geröll von hunderterlei Namen und Bedeutung, wie es bei fahrenden Künstlern vorkommt, bedeckte den Boden oder war an den Mauern aufgestapelt. Dazwischen krochen schreiende, pfeifende und lachende Kinder, ungekämmt und ungewaschen und mit zerrissenen Flicken und Fetzen bedeckt. Männer und Frauen, Burschen und Mädchen waren da, in allerlei, oft räthselhafter Weise beschäftigt. Es war ein Chaos von Sachen und Personen.

Kaum wurden die Eingedrungenen erblickt, so rief ein geistesgegenwärtiger Bursche mit lauter Stimme:

»Die Polizei! Schnell losbinden, schnell!«

Und zu gleicher Zeit nahm er an der morschen Treppe Platz, welche nach oben führte. Zander sah ein, daß es sehr nothwendig sei, Zeugen zu haben, welche das arme Mädchen in gefesseltem Zustande gesehen hatten. Darum stieß er dem Menschen die Faust in die Magengrube, daß er ächzend zur Seite flog, und sprang rasch die Treppe empor. Der Lieutenant folgte auf dem Fuße, hinter ihm die Polizisten. Nur zwei der Letzteren blieben unten, um mit blankem Seitengewehr die überraschten Künstler am Entfliehen zu verhindern.

Oben angekommen, erblickte man einen weiten, öden Raum, dessen Wände nur aus dünnen Brettern bestanden, welche so schlecht zusammengefügt waren, daß der Wind und der Schnee den Durchgang fand.

Auch hier lag eine Menge Zeug umher, wie es von dieser Sorte Menschen gebraucht wird. Einige Weiber hockten auf altem Stroh, und zwei halb erwachsene Burschen waren damit beschäftigt, in aller Eile die Stricke zu lösen, mit denen die völlig unbekleidete Gestalt von Emilie Werner an einen der senkrechten Balken befestigt war.

Nur einen kurzen Blick warfen Beide, der Offizier und der Arzt, auf das unglückliche Mädchen; dann drehten sie sich um, und der Erstere sagte zu den Polizisten: »Hier, mein Mantel! Werfen Sie ihn ihr über! Was wir als Zeugen wissen müssen, das haben wir gesehen. Wenn sie angekleidet ist, so bringen Sie die junge Dame nach dem Hotel Schweizerhaus, wo wir unterdessen alles für sie Nöthige bestellen werde.«

Sie gingen.

»Gräßlich!« knirschte Randau vor sich hin. »Sind das Menschen, oder sind es Teufel!«

»Beides! Denken Sie an Das, was wir bei der Melitta erlebten. Wie viel Elend und Jammer mag sich doch hinter dem Flittertand verstecken, in welchen diese sogenannten Künstler der Wahrheit hohnlachen! Kommen Sie! Mir wird ganz unwohl, wenn ich daran denke!«

Sie begaben sich zunächst nach dem angegebenen Hotel, welches an ihrem Wege lag, und sodann nach der Polizei, um da Bericht zu erstatten und ihre Anzeige und Aussage zu Protocoll zu geben.

Dann kehrten sie wieder in das Hotel zurück, wo sie erfuhren, daß man die junge Dame in einer Droschke gebracht und in ein geheiztes Zimmer geführt habe.

»War ein Arzt da?«

»Nein. Wir wußten, daß Sie wiederkommen würden.«

Er ließ sich die Nummer des Zimmers nennen und ging, um nach der Geretteten zu sehen. Es dauerte eine ziemlich lange Zeit, ehe er zurückkehrte.

»Nun?« fragte der Lieutenant. »Ist Besorgniß nöthig?«

»Sie lieg im Weinkrampf und giebt keine Antworten. Das so schwer verletzte Schamgefühl tritt in Reaction. Ich habe Schlaf und Schwitzmittel verordnet. Man muß der Erkältung begegnen und dann abwarten, bis das empörte Gemüth sich beruhigt hat. Jedenfalls gehe ich nicht eher fort, als bis das arme Kind transportfähig ist, und dann bringe ich es selbst zu seinen Eltern zurück.«

Im Laufe des Nachmittags wurde seitens der Polizei angefragt, ob es möglich sei, Fräulein Werner zu vernehmen. Der Arzt verneinte diese Frage und konnte erst am anderen Morgen die Erlaubniß dazu ertheilen.

Die Vernehmung wurde aus Rücksicht auf Emilie im Hotel vorgenommen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, daß der Director mit allen Mitgliedern, deren Mitschuld sich herausgestellt hatte, sich in Untersuchungshaft befinde.

Sie gab ihre Aussage zu Protocoll und erhielt dann von Seiten des Einzelrichters die Versicherung, daß das an ihr begangene Verbrechen die allerstrengste Ahndung erfahren werde.

Als der Beamte sich entfernt hatte, bat Doctor Zander, sie nach der Residenz begleiten zu dürfen, ein Anerbieten, welches ihr natürlich in hohem Grade willkommen war.

Auf dem Bahnhof angekommen, fanden sie, daß sie noch genugsam Zeit hatten. Bevor der Zug abging, mußte erst der aus der Residenz kommende erwartet werden. Und als dieser dann eintraf, und die Passagiere den Wagen entstiegen, bemerkte der Arzt unter den Ausgestiegenen zu seiner Ueberraschung – den Fürsten von Befour und den Reporter Doctor Max Holm.

Er eilte sofort auf die Beiden zu, indem er seine Begleiterin einstweilen stehen ließ.

»Durchlaucht hier in Rollenburg?« fragte er. »Handelt es sich vielleicht abermals um die Rettung irgend eines armen, sich in schlimmer Lage befindenden Menschenkindes?«

Diese Frage war im Scherz ausgesprochen; aber der Fürst antwortete in einem sehr ernsten Tone:

»Sie haben es errathen, lieber Doctor.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja.«

»Nun, ich dachte an die arme Wally Petermann. Aber aus Ihrem Tone höre ich, daß es sich wirklich um etwas Ernstes handelt. Dieses Rollenburg scheint bestimmt zu sein, als Schauplatz von Rettungsepisoden zu dienen. Auch ich bin der Held einer solchen gewesen.«

»Eben bei jener Wally Petermann, ja.«

»O nein! Bei dieser Angelegenheit war meine Rolle eine sehr untergeordnete. Es handelt sich hier um einen ganz anderen Fall; aber, eigenthümlich, die betreffende Person ist abermals ein Mädchen aus der Residenz.«

»Die sich in ähnlicher Lage befand?«

»Ähnlich, wenn auch nicht ganz so. Sie war einem Circusdirector in die Hände gerathen und –«

»Meinen Sie etwa gar Emilie Werner?« wurde er schnell von Holm unterbrochen.

»Ja. Kennen Sie das Mädchen?«

»Ja. Was ist mit ihr? Sagen Sie schnell, schnell!«

»Nun, haben Sie keine Sorge! Sie ist gerettet. Dort neben der Thüre steht sie.«

Holm wendete sich nach der angegebenen Richtung und sagte:

»Wirklich, das ist sie. Aber was ist mit ihr geschehen?«

»Sie wurde scheinbar als Cassirerin engagirt –«

»Ich weiß das,« fiel Holm ein. »Ihr Vater erzählte es mir.«

»Sollte aber gezwungen werden, sich als Tau-ma vor dem Publikum zu produciren.«

»Herrgott! Weiter, weiter!«

Der Arzt erzählte in kurzen Worten, was geschehen war. Als er geendet hatte, sagte der Fürst:

»Das ist wirklich gräßlich! Welch ein Glück, daß Sie zufällig jene Unterredung belauschten. Das Interessanteste aber ist, daß wir Beide wegen einer Schwester von ihr nach Rollenburg kommen. Sie wollen mit dem nächsten Zuge mit ihr zurück?«

»Ja. Er geht in einer Viertelstunde ab.«

»Können Sie nicht noch um einen Zug länger warten?«

»Wenn Sie es wünschen, Durchlaucht, ja.«

»Ich will Ihnen den Grund jetzt noch nicht angeben, denn, wenn es sich um ein gutes Werk handelt, soll man keine Minute verlieren. Bitte, bleiben Sie hier im Wartezimmer. Wir fahren dann mit einander nach der Residenz.«

Er verließ mit Doctor Holm den Bahnhof und begab sich direct nach der Gefangenenanstalt, wo er sich zum Director melden ließ. Natürlich wurden Beide sofort von dem Beamten vorgelassen.

»Sie haben unter Ihren weiblichen Gefangenen eine gewisse Laura Werner?« fragte der Fürst.

»Allerdings, Durchlaucht!«

»Wie hat sie sich geführt?«

»Ausgezeichnet, so daß ich selbst ihr wiederholt gerathen habe, ein Gesuch um Begnadigung an Seine Majestät abgehen zu lassen. Eigenthümlicher Weise aber ist sie nicht darauf eingegangen. Und das ist das Einzige, was ich an ihr zu rügen habe.«

»Zu rügen?«

»Ja. Sie behauptet nämlich, daß sie nicht ihre Begnadigung, sondern ihr Recht zu verlangen habe.«

»Und das rügen Sie?«

»Natürlich. Sie ist nämlich bis heute ungeständig. Sie hält an der Fabel fest, welche sie bereits während ihrer Untersuchung vorgebracht hat. Ihr Vater, welcher sie besuchte, glaubte an das Märchen, ich aber ebenso wenig wie ihre einstigen Richter. Doch will ich zu ihrer Entschuldigung gelten lassen, daß sie nicht aus Verhärtung und Bosheit, sondern nur aus falscher Scham leugnet.«

»Und doch befinden Sie sich im Irrthume, Herr Regierungsrath. Sie leugnet weder aus Scham, noch aus Bosheit. Sie leugnet überhaupt gar nicht.«

»Ah! Wie soll ich das verstehen, Durchlaucht?«

»Nun, leugnen kann man doch nur das, was man wirklich gethan hat. Sie aber ist unschuldig.«

»Wie? Was?« fragte der Beamte erstaunt.

»Ja, vollständig unschuldig. Es ist ganz in aller Wahrheit und ganz wörtlich so, wie sie es beschrieben hat. Die Schuldigen sind entdeckt, und ich bin hier, Sie um die unschuldig Bestrafte zu bitten.«

»Sie soll entlassen werden?«

»Ja. Die Untersuchung wird wieder aufgenommen.«

»Dann hat sie aber in Gewahrsam zu bleiben, bis ihre Unschuld durch Richterspruch entschieden ist.«

»Eigentlich, ja. Aber einestheils liegen die Verhältnisse so, daß gar kein Zweifel mehr möglich ist, und anderntheils habe ich mich veranlaßt gesehen, für das arme Mädchen zu bürgen. Hier Herr Doctor Holm ist der Entdecker ihrer Unschuld; auch ich bin ein Wenig dabei thätig gewesen, und so ist uns von Seiten Seiner Excellenz des Ministers der Justiz die Genugthuung geworden, daß man von dem gewöhnlichen Wege gewichen ist und uns die Erlaubniß gegeben hat, der Gefangenen ihre Freiheit zu verkünden und sie ihrer Familie wiederzugeben.«

»Ah! Ah! Ah!« machte der Director, noch immer nicht ganz Herr seines Erstaunens. »Aber, Verzeihung, Durchlaucht, gewissen Formalitäten muß doch immer Genüge geschehen.«

»Natürlich! Ich war am frühen Morgen bei Excellenz und habe da den Befehl an Sie erhalten, Laura Werner sofort zu entlassen. Hier ist er.«

Er zog ein mit dem Ministerialsiegel versehenes Schreiben hervor und reichte es dem Director hin. Dieser las die wenigen Zeilen und sagte dann: »So, so kann man sich irren!«

»Sie haben die Gefangene also doch für schuldig gehalten?«

»Ja. Es kommt ja leider so häufig vor, daß der Detinirte bei der Behauptung seiner sogenannten Unschuld bleibt, obgleich seine Schuld klar am Tage liegt.«

»Nun, hier schien sie allerdings klar am Tage zu liegen; aber diese Klarheit war doch eine Täuschung. Bitte, wollen Sie die Unglückliche holen lassen?«

»Oder die Glückliche, Durchlaucht!«

»Bezweifle sehr!«

»O, es ist doch jedenfalls ein Glück, seine Unschuld erkannt und bestätigt zu wissen!«

»Nachdem man Jahre lang Zuchthäuslerin gewesen ist und die unglückseligen Folgen der Verurtheilung getragen hat? Wer zählt die Thränen, welche so ein armes Wesen im Stillen weinte? Wer vermag die Summe der Seufzer anzugeben? Wer kann die Verbitterung nachfühlen, welche sich in das Herz einer Unschuldigen einfrißt? Jeden, jeden Augenblick sagt sich so ein beklagenswerthes Geschöpf, daß es unschuldig sei und doch von seiner Unschuld nicht sprechen darf. Ich kann mir sehr leicht denken, daß der Geist eines unschuldig Verurtheilten mit dem fürchterlichen Gespenste des Wahnsinnes zu kämpfen habe.«

»Ja, schrecklich muß es sein, Durchlaucht. Aber Unsereiner ist erstens nicht allwissend und zweitens Beamter.«

»O, es kann Sie ja nicht der leiseste Vorwurf treffen, Herr Regierungsrath! Doch möchte ich Ihnen immerhin die Bemerkung machen, daß es keineswegs unmöglich ist, unschuldig verurtheilt zu werden. Es ist sogar ganz kürzlich der Fall gewesen, daß Einer unschuldig im Zuchthause saß, der sich zu der That bekannt hatte.«

»Kaum denkbar! Kam es hier zu Lande vor?«

»Ja.«

»Nun, dann müßte ich ihn ja kennen!«

»Gewiß. Er war jener Petermann, welcher gleich nach seiner Begnadigung das bekannte Rencontre im Hause der Melitta hatte.«

»Petermann! Ah! Sollte er wirklich nicht der Thäter sein?«

»Nein.«

»Ist der Schuldige bekannt?«

»Ja, aber noch nicht vom Gericht. Der Fall Petermann aber hängt innig mit dem Falle Laura Werner zusammen, wie sehr bald bewiesen sein wird.«

»Durchlaucht, darf ich um Näheres bitten?«

»Ich bedaure! Ich darf dem Richterspruche nicht vorgreifen.«

»Aber Sie kennen meinen Namen?«

»Gewiß.«

»So wissen Sie jedenfalls auch, daß Petermann der Beamte meines Bruders war?«

»Auch das weiß ich.«

»Nun, so bitte ich, mir wenigstens zu sagen, ob hier vielleicht mein Neffe mit zur Nennung kommt!«

»Das wird allerdings kaum zu vermeiden sein.«

»Der Unglückliche!«

Er blickte finster vor sich nieder. Der Fürst konnte die Gefühle des braven Mannes begreifen. Seine Theilnahme bewog ihn daher zu der Bemerkung: »Ich glaube, es verantworten zu können, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Neffe nicht etwa der Schuldige ist.«

»Nicht? Gott sei Dank!«

Er athmete tief und laut auf.

»Nein, nein; so etwas brauchen Sie allerdings nicht zu denken. Er war jung und ist mit einer Person bekannt geworden, welche dieser Bekanntschaft nicht würdig war. Das ist Alles, was er sich vorzuwerfen hat.«

»Also kein Makel an dem alten Namen Scharfenberg?«

»Nein, Herr Regierungsrath. Aber, bitte, die Gefangene! Sie soll keinen Augenblick zu lange in ihrer unverdienten Lage zu verharren haben.«

Der Director klingelte und befahl, nachdem er ein Verzeichniß nachgeschlagen hatte, dem eintretenden Aufseher, die Gefangene Nummer 160 vorzuführen.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Laura Werner erschien. Sie besaß eine große Ähnlichkeit mit ihrer Schwester Emilie; aber ihre Wangen waren eingefallen, und ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren. Ihr Kopf, dessen Haar verschnitten worden war, steckte in einer unförmlichen, verunstaltenden Tuchhaube, und die Sträflingskleidung, welche sie trug, ließ die Linien ihres Körpers nicht erkennen.

»Hundertsechszig,« sagte der Director zu ihr. »Dieser Herr will mit Dir sprechen.«

Sie erhob den müden, gleichgiltigen Blick zu dem Fürsten. Es war ihr anzusehen, daß sie der zu erwartenden Mittheilung alle Indifferenz entgegenbrachte.

»Es ist Seine Durchlaucht, der allergnädigste Fürst von Befour,« fügte der Director bei. »Du hast den Herrn also Durchlaucht zu tituliren.«

Diese Bemerkung brachte keine Veränderung ihres Gesichtsausdruckes hervor. Der Fürst sagte in mildem Tone: »Ich höre, daß Sie kein Gnadengesuch machen wollen?«

Sie schüttelte still mit dem Kopfe.

»Wollen Sie denn nicht frei sein?«

Sie faltete die Hände und senkte den Blick. Das war ihre ganze Antwort. Der Fürst fuhr fort:

»Ich verstehe Sie. Von Ihrer Unschuld wollen Sie nicht sprechen, weil man Ihnen nicht glaubt. Darum schweigen Sie lieber. Aber bitte, beantworten Sie mir wenigstens die eine Frage: Haben Sie sich das Gesicht jenes Frauenzimmers, von welchem Sie auf dem Kirchhofe überrascht wurden, angesehen?«

»Ja,« antwortete sie in gleichgiltigem Tone.

»Aber wohl nicht sehr genau?«

»Ich konnte mich während der Untersuchung nicht darauf besinnen. Ich war so erschrocken gewesen.«

»So würden Sie es wohl nicht wieder erkennen?«

»O, sofort! Später, als ich innerlich ruhiger wurde, kehrte auch die Erinnerung zurück. Und nun werde ich dieses Gesicht wohl nie wieder vergessen.«

»Und wie steht es mit der Stimme?«

»Ich würde sie an dieser erkennen.«

»Das ist sehr gut, denn Sie werden dieses Frauenzimmer zu sehen bekommen.«

Sie sah ihn starr und ausdruckslos an. Ihr Gesicht blieb bleich und ihr Blick leer; aber ihr Kopf neigte sich auf die Seite, als ob sie etwas gehört habe, worauf sie länger lauschen müsse, um es zu verstehen. Und jetzt, jetzt hob sie den Kopf mit einem raschen Rucke; ihr Blick flammte auf, und ihre Wangen rötheten sich.

»Ich soll sie sehen?« stieß sie hastig hervor.

»Ja.«

»So hat man sie? Sie ist aufgefunden worden?«

»Ja.«

Sie breitete die Hände aus, als ob sie nach einem festen Halt suchen wolle, drehte sich langsam um sich selbst, wie von einem plötzlichen Schwindel erfaßt, und – wäre zu Boden gesunken, wenn Holm sie nicht rechtzeitig ergriffen hätte.

Er ließ sie in einen Stuhl nieder. Aber kaum berührte sie den Sitz desselben, so schnellte sie wieder empor.

»Gott, mein Gott!« rief sie. »Ich darf nicht ohnmächtig werden; ich will nicht, ich will nicht! Also, sie ist entdeckt, entdeckt, entdeckt?«

»Ja, mein Kind.«

»So muß sie auch sagen, daß sie die Kinder verwechselt hat?«

»Man wird sie dazu zwingen.«

»Und daß ich unschuldig bin?«

»Das wird sie wohl nicht leugnen können, denn wir haben Ihren Knaben endlich gefunden, und die Mörderin befindet sich bereits hinter Schloß und Riegel!«

Da sank sie auf ihre Kniee nieder, faltete die Hände und rief unter einem gewaltsam hervorbrechenden Schluchzen: »O, Du lieber, lieber Gott, wie danke ich Dir! Wie oft habe ich an Deiner Gerechtigkeit gezweifelt, nun aber weiß ich, daß ich wieder an Dich glauben darf.«

Dann erhob sie sich und fragte den Director:

»Herr Regierungsrath, glauben Sie jetzt, daß ich keine Lügnerin bin?«

Er streckte ihr die Hand entgegen und antwortete:

»Ich habe mich geirrt und will darum thun, was ich für meine Schuldigkeit halte: Ich bitte Sie um Verzeihung!«

»Sie nennen Sie mich? Sie? O, wie unglücklich bin ich über dieses ›Du‹ und über diese ›Hundertsechzig‹ gewesen! Nun lassen Sie mich in meine Zelle zurückschaffen! Ich will gern warten, Monate lang warten, bis meine Unschuld an den Tag gebracht worden ist. Denn ich kann mir denken, daß die Untersuchung wieder aufgenommen wird.«

»Das ist allerdings der Fall,« bestätigte der Fürst. »Aber warum wollen Sie das Resultat derselben denn gerade in der Zelle erwarten?«

»Das muß ich ja!«

»Nein. Wenn Sie wollen, so können Sie zu den Ihrigen zurückkehren, Fräulein Werner.«

Da richtete sich ihre Gestalt empor, und jubelnd erklang es:

»Zu den Eltern, zu den Geschwistern dürfte ich?«

»Ja.«

»Wann?«

»Sogleich. Ich bin gekommen, Sie abzuholen.«

»O mein Gott und mein Heiland! Welche Freude, welches Glück und welche Seligkeit! Ist’s wahr, ist’s wahr?«

»Ja. Der Herr Regierungsrath wird es Ihnen bestätigen.«

Sie blickte den Genannten fragend an, und dieser sagte:

»Sie brauchen nur noch einmal in Ihre Zelle zurückgehen, um diese Sträflingssachen mit dem Anzuge zu vertauschen, in welchem Sie eingeliefert worden sind. Diese Herren werden so lange warten, um Sie sodann hinaus in die Freiheit zu begleiten.«

Da ergriff sie seine Hand, um sie zu küssen; sie that dasselbe auch beim Fürsten und wollte dann auch diejenige Holms ergreifen; dieser aber wehrte ihr lächelnd ab und sagte: »Nicht so, Fräulein Werner. Heben Sie die Liebkosungen für die Ihrigen auf, und beeilen Sie sich lieber, Toilette zu machen, damit Sie diese traurigen Mauern möglichst bald hinter sich bekommen.«

Sie wurde abgeführt und kam nach einiger Zeit in ihrem eigenen Anzuge zurück. Dieser hatte während ihrer langen Untersuchungshaft und der vierjährigen Strafgefangenschaft allerdings bedeutend gelitten, und doch ließ er erkennen, daß sie ein schönes Mädchen gewesen sei und jedenfalls auch wieder sein werde, wenn die Folgen der Gefangenschaft sich verwischt haben würden.

Sie nahm weinend von dem Director Abschied. Dieser war ebenso gerührt wie der Fürst und Holm, denen sie nun hinaus vor das Thor folgte. Dort blieb sie stehen, athmete tief, tief auf und sagte: »Frei, frei, frei! Wie schön ist Gottes Erde!«

Holm glaubte, daß man sich nun sogleich nach dem Bahnhofe wenden werde; aber der Fürst lenkte nach der Stadt ein und führte dann Laura Werner in einen Confectionsladen, wo er sagte, daß er diese Dame vollständig neu zu kleiden wünsche.

Sie erschrak beinahe, als sie diese Worte hörte; er aber machte dem Besitzer noch einige leise Bemerkungen und sagte ihr dann, daß er sie in der gegenüberliegenden Restauration erwarten werde.

Als sie später, von einer Verkäuferin, welche die Rechnung brachte und von dem Fürsten bezahlt wurde, begleitet, dort eintrat, machte sie freilich einen ganz anderen Eindruck, als vorher in ihrem ärmlichen Anzuge.

Nun erst begaben sie sich nach dem Bahnhofe, wo der Fürst sogleich den Inspector aufsuchte, um ihn zu fragen, ob er nicht ein Zimmerchen zur Verfügung habe, in welchem ein unerwartetes Wiedersehen stattfinden könne, ohne von zudringlichen Augen und Ohren beobachtet und belauscht zu werden.

Laura, welche diese Frage natürlich nicht zu hören bekommen hatte, wurde von dem freundlichen Inspector in eins seiner Privatzimmer geführt, ohne zu wissen, weshalb. Ihre beiden Beschützer aber begaben sich nach dem Wartesaale, in welchem Doctor Zander mit Emilie Werner saß. Holm reichte der Letzteren die Hand zum Gruße und sagte ihr: »Fräulein Werner, die Frau Inspector möchte Sie einmal bei sich sehen. Darf ich Sie zu ihr führen?«

»Mich sehen, warum?«

»Sie hat mir weiter keine Mittheilung gemacht; aber bitte, kommen Sie nur!«

Sie folgte ihm, einigermaßen verwundert, daß sie zu der Frau des Bahnbeamten, die sie jedenfalls doch gar nicht kenne, kommen solle. Dort an der Thür angelangt, klopfte Holm an.

»Herein,« sagte eine halblaute, zaghafte Stimme.

»So, gehen Sie hinein!« meinte Holm. »Wenn Sie fertig sind, kommen Sie Beide wieder zu uns hinüber.«

Er öffnete, schob sie hinein und drückte hinter ihr die Thüre wieder in das Schloß. Einen Augenblick lang war es still; dann aber ertönte ein doppelter Schrei: »Laura! Ist’s wahr?«

»Emilie! Du?«

Ein schluchzendes Jauchzen folgte, dann schlich Holm sich fort. Im Wartesaale fand er den Fürsten mit dem Arzte bereits im angeregten Gespräch. Ersterer fragte gerade: »Aber einen positiven Grund hat dieser Baron zu seiner impertinenten Frage wohl nicht gehabt?«

»Nein; davon bin ich überzeugt.«

»Er hat also nur auf den Strauch geschlagen?«

»Jedenfalls.«

»Und was gedenken Sie nun zu thun?«

»Ich komme natürlich nicht mehr zurück, werde vielmehr sehen, ob es mir möglich ist, in der Residenz mein Zelt aufzuschlagen.«

»Natürlich, natürlich! Sie können sich auf meine Beihilfe jedenfalls verlassen, und ich denke, daß Sie bald in Kundschaft kommen werden. Einen Patienten haben Sie ja bereits dort.«

Er deutete dabei lächelnd auf Holm, welcher ja seine linke Hand in der Binde trug.

»Wie geht es? Haben Sie Schmerzen?« fragte Zander.

»Nein, gar nicht.«

»Nun, so bin ich überzeugt, daß Sie den vollständigen Gebrauch der Hand wieder erhalten werden.«

Da kam Holm ein Gedanke. Er fragte:

»Sagen Sie, Herr Doctor, ist der Krebs heilbar?«

»Er wird für unheilbar ausgegeben; aber ich halte ihn im Gegentheile für heilbar. Es handelt sich freilich um seine Ursachen, ferner wie alt er ist und unter welchen Umständen er auftritt. Kennen Sie vielleicht einen Krebskranken?«

»Ja, die Mutter der beiden Schwestern, welche jetzt ihr Wiedersehen feiern!«

»Nun, da wir uns so angelegentlich mit den Töchtern beschäftigen, kann man sich auch für die Mutter interessiren. Ich werde diese also noch heute besuchen.«

»Danke! Aber bitte, erzählen Sie uns doch ausführlicher, was mit dieser armen Emilie hier geschehen ist.«

»Ja. Vorhin konnte ich nur kurze Andeutungen geben. Hören Sie!«

Er gab nun einen umständlichen Bericht. Den beiden Zuhörern graute es, als sie hörten, wie das arme Mädchen behandelt worden sei.

»Und ihr Vater freute sich so über dieses Engagement,« sagte Holm. »Wird er das Geld herausgeben müssen?«

»Man wird es so einzurichten wissen, daß er es behalten kann,« meinte der Fürst.

»Aber ich hörte von ihm, daß er sich ebenso wie seine Tochter habe unterschreiben müssen. Ich vermuthe da irgendeine Infamität.«

»Nun, dieser Director Baumgarten ist ein Schurke. Er hat Emilie Werner in sein Netz gelockt, und die Mittel, deren er sich hierzu bediente, haben keine rechtliche Geltung. Die Unterschrift des Vaters und der Tochter wird für diesen Menschen von keinem Vortheile sein. Er hat die beklagenswerthe Person angebunden, also ihrer Freiheit beraubt, und zwar zu unzüchtigen Zwecken. Darauf ist eine sehr hohe Zuchthausstrafe gesetzt, der er gar nicht entgehen kann.«

»Hm! Darüber wird sich sein Herr Bruder wohl nicht sehr freuen,« bemerkte Doctor Zander.

»Sein Bruder? Wer ist das?« fragte Holm.

»Der Intendant des Residenztheaters.«

»Donnerwetter! Entschuldigung, meine Herren, daß dieser Fluch mir entschlüpft. Aber das ist mir hoch, hoch interessant. Sie irren sich doch nicht etwa, Herr Doctor?«

»Nein. Emilie Werner selbst sagte es mir.«

»Sie selbst? Ah, dann ist es mir unbegreiflich, daß sie dieses Engagement eingegangen ist, nachdem sie den Intendanten auf eine ganz armselige Weise kennen gelernt hat.«

»Sie hat es ja gar nicht gewußt! Sie hat es erst erfahren, als die Mitglieder dieser Künstlerbande in ihrer Gegenwart davon gesprochen haben.«

»Ah! Jetzt geht mir ein Licht auf, und was für eins. Warten Sie, mein bester Herr Intendant, wie ich Sie fassen werde! Dieser Mensch hat das arme Mädchen seinem Bruder in die Krallen gespielt.«

»Wieso?« fragte der Arzt.

Holm erklärte seine Combinationen und war damit gerade zu Ende, als die beiden Schwestern eintraten. Ihre Gesichter glänzten vor Glück, obgleich man ihnen ansah, wie viele Thränen sie vergossen hatten. Es waren ja Thränen der Freude gewesen. Beide wußten nicht, wie sie den drei Beschützern ihre Dankbarkeit erweisen sollten, und ganz besonders wurde ihr Glück durch Zanders Zusicherung erhöht, daß er noch im Laufe des heutigen Tages ihre Mutter besuchen werde, um zu sehen, ob noch Hoffnung sei, sie zu retten und der schrecklichen Krankheit Einhalt zu thun.

Natürlich fuhren die fünf Personen in einem gemeinschaftlichen Coupé nach der Residenz. Dort angekommen, trennten sie sich. Der Arzt begab sich direct nach der Wohnung des Fürsten, um da auf ihn zu warten, welcher zunächst in’s Bezirksgericht ging, um dem Gerichtsrathe seinen Bericht zu erstatten. Holm hingegen begleitete die beiden Schwestern nach Hause.

»Bitte, machen Sie mir die Freude, vor der Thür zu warten,« bat er sie, und sie willigten gern ein.

Er klopfte an und trat ein. Der abgesetzte Theaterdiener war daheim und freute sich über Holms Besuch. Er gab ihm die Hand und schob ihm einen Stuhl zu.

»Nun, haben Sie geschwiegen?« fragte der Reporter.

»Wegen Laura meinen Sie doch?«

»Ja.«

»Kein Wort habe ich gesagt.«

»Das ist recht, sehr recht!«

»Aber – hm, lieber Herr Holm, darf ich Sie darauf aufmerksam machen?«

»Worauf?«

»Daß Sie mir sagten, ich brauche nur bis morgen oder übermorgen zu schweigen?«

»Ja, das habe ich freilich gesagt.«

»Wann kann ich davon reden?«

»Heute, jetzt.«

»Wirklich? Wirklich? So ist es also wahr, daß die Unschuld Laura’s nachgewiesen werden kann?«

»Sie wird gerichtlich nachgewiesen werden, denn die eigentliche Mörderin ist entdeckt!«

»Herrgott! Entdeckt?«

»Ja. Sie befindet sich in sicherem Gewahrsam.«

»Und Laura? Was wird unterdessen mit ihr? Muß sie bis zum Ende der Untersuchung in Haft bleiben?«

»Hm! Ich möchte daran zweifeln.«

»Wirklich? Sie meinen, daß man sie freilassen werde?«

»Ja, das ist freilich meine Meinung, Es ist sogar möglich, daß man bereits Schritte gethan hat, sie aus ihrer unverdienten Gefangenschaft zu entlassen.«

»Was Sie sagen! Hört, Kinder, hört! Unsere Laura ist unschuldig! Sie soll entlassen werden! Sie wird wieder kommen! Aber, mein liebster, mein bester Herr Holm, von wem sind diese Schritte gethan worden?«

»Von Emilien.«

»Von Em – – – welche Emilie meinen Sie denn?«

»Nun, die Ihrige natürlich!«

»Meine Tochter? Ich verstehe Sie nicht. Welche Schritte soll denn die gethan haben?«

»Das ist doch sehr einfach: Sie ist nach Rollenburg gemacht, um ihre Schwester nach Hause zu bringen.«

»Wie? Was? Wie kommen Sie mir vor? Sie hat sich ja vermiethet, und ist da ganz zufällig nach Rollenburg, weil die Truppe dort auftritt.«

»Und ich bin überzeugt, daß sie nach Rollenburg ist, um Laura zu holen. Ich habe es aus einem sehr sicheren Munde.«

»Sie werden immer räthselhafter. Sie wissen doch, daß sie als Kassirerin angestellt ist.«

»Nein, das ist sie nicht.«

»Was denn? Ich habe ja das vierteljährliche Gehalt pränumerando ausgezahlt erhalten.«

»Ja, geschenkt haben Sie es bekommen!«

»Herr Holm, ich kenne Sie als Ehrenmann, sonst würde ich behaupten, daß Sie sich einen dummen Spaß mit mir machen!«

»Ich spreche sehr im Ernste. Ich traf mit einem Herrn zusammen, der heute mit Ihrer Emilie gesprochen hat.«

»Wer ist es?«

»Ein sehr gescheidter Arzt, der auch heute noch zu Ihnen kommen wird, um zu untersuchen, ob Ihre Frau noch Heilung zu finden vermag.«

»Mein Gott! Bei diesen Reden werde ich nur wüster im Kopfe. Wie kommen Sie zu diesem Arzte? Wie kommt er auf meine Frau? Und wie kommt er mit Emilie zusammen?«

»Er hat sie in Rollenburg getroffen und da von ihr gehört, daß sie mit Laura nach Hause fahren werde.«

»Das begreife, wer da kann!«

Der verlorne Sohn
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