»Dann sind die beiden Schwestern mit ihm eingestiegen.«
»Eingestiegen? Wo?«
»In den Zug natürlich!«
»Beide Schwestern, sagen Sie?«
»Ja.«
»Da wäre ja auch Laura dabei!«
»Freilich, ja!«
»Und Sie haben hier mit ihnen gesprochen? Sie sind also hier?«
»Natürlich sind sie mit da!«
Der Theaterdiener war ganz perplex. Er bat:
»Herr Holm, legen Sie mich doch nicht auf das glühende Rost! Was Sie da sagen, ist ja vollständig unmöglich!«
»Unmöglich? Ueberzeugen Sie sich doch selbst!«
Er öffnete die Thür, trat hinaus, schob die beiden Mädchen herein und machte die Thür hinter ihnen zu.
»Laura!« schrie drinnen Werner laut auf.
»Laura, Laura!« erscholl es von allen ihren Verwandten.
»Jetzt ist Freude und Seligkeit!« flüsterte Holm für sich hin. »Nun kann Unsereiner gehen.«
Er stieg die vier Treppen hinab. Unten stand der Hausverwalter Solbrig. Er stellte sich dem jungen Manne in den Weg und fragte ihn: »He, sagen Sie einmal, kamen Sie nicht eben mit zwei Frauenzimmern über den Hof?«
»Wer waren die Beiden?«
»Warum fragen Sie?«
»Ich bin der Stellvertreter des Wirthes. War nicht die Emilie Werner dabei?«
»Ja.«
»Ich denke, die hat sich vermiethet! Und wer war die Andere?«
»Ihre Schwester.«
»Die Zuchthäuslerin?«
»Ja.«
»Ist die begnadigt?«
»Nein, sie ist unschuldig und also entlassen worden. Und nun geben Sie den Weg frei. Wenn Sie noch Weiteres wissen wollen, so gehen Sie hinauf zu Werners.«
Er ging. Draußen auf der Straße blieb er einen Augenblick lang überlegend stehen.
»Dieser Circusdirector ist der Bruder des Intendanten. Ich muß unbedingt wissen, ob er bei ihm gewesen ist,« sagte er sich. »Aber wie dies erfahren? Am Besten ist es, ich wende mich an diesen liebenswürdigen Jean.«
Er wendete sich nach der Wohnung des Intendanten und fand den Diener im Vorzimmer. Jean begrüßte ihn in vertraulich vornehmer Weise und sagte, stolz lächelnd: »Ich weiß, weshalb Sie kommen, Herr Holm!«
»Da müßten Sie allwissend sein!«
»Gegenwärtig bin ich es!«
»Nun also, weshalb komme ich?«
»Sie sind Reporter. Sie wollen mich interviwen!«
»Dieser Gedanke ist sehr wohlfeil.«
»Aber jedenfalls richtig.«
»Worüber meinen Sie denn, daß ich Sie ausfragen werde?«
»Ueber die Leda.«
»Hm! Möglich.«
»Aber ich kann Ihnen keine Auskunft geben.«
»Warum nicht?«
»Niemand weiß, wo sie ist. Dieses Frauenzimmer hat den Teufel im Leibe. Sie macht sich den romantischen Scherz, zu verschwinden, um sich suchen zu lassen. Der Herr Intendant schickte mich bereits zweimal nach dem Hotel Kronprinz, aber vergebens.«
»Gab man denn keine Auskunft?«
»Man sagte, Mademoiselle Leda sei auf sehr kurze Zeit verreist. So ein Gedanke von ihr!«
»Ja, ja, es ist sehr abenteuerlich von ihr. Ist der Herr Intendant zu Hause?«
»Nein. Er ist zum Musikdirector, um sich mit diesem über das Verschwinden der Tänzerin zu besprechen.«
»Aber sein Bruder ist doch anwesend?«
»Welcher Bruder?«
»Der Herr Circusdirector Baumgarten.«
»Kennen Sie ihn denn?«
»Sehr gut. Ich habe mit ihm zu sprechen.«
»O, den finden Sie nicht mehr. Er ist bereits vorgestern fort. Er war gar nicht lange Zeit hier.«
»Sapperment! Wie dumm von ihm!«
»Dumm? Wieso denn?«
»Er sagte mir, daß ich ihn wegen der Emilie Werner aufsuchen solle. Er wollte sie engagiren, und ich sollte ihm dabei behilflich sein, weil ihr Vater auf mein Wort viel giebt.«
»Da kommen Sie zu spät, bester Herr.«
»Wieso?«
»Er hat sie.«
»Wirklich? Wissen Sie das genau?«
»Ja. Die Sache war überhaupt spaßhaft. Er hat sie sich nämlich vorher auf der Bühne genau angesehen.«
»Hm! War sie denn auf der Bühne?«
»Ja, zur Probe. Da haben die beiden Brüder hinter dem Vorhange gesteckt. Höchst interessant, denn sie hat gar nichts als nur Tricots getragen.«
»Waren denn Sie dabei?«
»Nein.«
»Wie können Sie da die Angelegenheit so genau wissen?«
Da steckte Jean die Hand in die Weste, richtete sich stolz auf und antwortete in gemessenem Tone: »Herr Holm, Sie beleidigen mich!«
»Wieso?«
»Sie halten mich für einen Dummkopf.«
»Das bestreite ich sehr. Ich halte Sie vielmehr für einen sehr erfahrenen und umsichtigen Herrn.«
»Und doch wissen Sie sich meine Allwissenheit nicht zu erklären? Ich habe mit dem Regisseur gesprochen.«
»Ach so, da ist allerdings Alles leicht zu erklären.«
»Na, also! Ich muß Ihnen leider sagen, daß der Herr Director Baumgarten sich nicht mehr hier befindet. Ich bin sehr beschäftigt. Haben Sie noch Etwas?«
Er sagte dies in der Art einer Audienz ertheilenden fürstlichen Persönlichkeit. Holm hätte ihm am Liebsten laut in das Gesicht gelacht. Doch blieb er ernst und sagte: »So verzeihen Sie gütigst die Störung, Monsieur Jean. Ich empfehle mich!«
»Adieu, Herr Holm! Ein anderes Mal länger! Adieu!«
Holm lachte in sich hinein. Er hatte seinen Zweck erreicht und begab sich nun in die Expedition des Commissionsrathes, von dem er einen ungewöhnlichen Empfang zu erwarten hatte.
Er bemerkte bei seinem Eintritte sofort, daß er sich allerdings mit dieser Vermuthung nicht geirrt habe, denn als der Rath ihn erblickte, fuhr er von seinem Stuhle empor und fragte unter Stirnrunzeln: »Endlich, endlich! Warum lassen Sie sich nicht früher sehen?«
»Ich war zu beschäftigt.«
»Zu beschäftigt? Ihre Beschäftigung hätte Sie doch gerade zu mir führen müssen. Sie haben jedenfalls die heutige Nummer des Residenzblattes gelesen.«
»Nein.«
»Was! Noch nicht?«
Der Rath zog in zorniger Verwunderung die Brauen hoch empor. Holm zuckte die Achsel und meinte:
»Es war mir nicht möglich, weil ich keine Zeit hatte.«
»Keine Zeit! Aber, Herr Doctor, gerade darauf sollen Sie Ihre Zeit doch am Ersten verwenden!«
»Entschuldigung! Es gab heute früh viel Nöthigeres.«
»So begreife ich Sie nicht. Für mich giebt es nichts Eiligeres, als zu erfahren, in welcher Weise Sie diese Sippe vom Residenztheater ad coram nehmen werden.«
»Gerade deshalb war ich von hier abgehalten.«
»So! Wirklich? Na, dann könnte es allerdings als Entschuldigung gelten.«
Holm ließ ein leises Lächeln hören und bemerkte:
»Zudem ich mir wohl sagen darf, daß es mir erlaubt sein wird, über meine Zeit zu verfügen!«
»Natürlich! Sie sind Mitarbeiter und nicht Bureaudiener. Aber Sie wissen ja, daß ich mich für diese Angelegenheit fast fieberhaft interessire, und so dachte ich, daß Sie Rücksicht nehmen und mich nicht warten lassen würden. Hier ist die heutige Nummer des Residenzblattes. Da!«
Er deutete mit dem Finger auf die betreffende Stelle. Holm nahm das Blatt und las:
»Der gestrige Abend brachte auf unserer Bühne eine Vorstellung, wie Sie interessanter wohl niemals gegeben worden ist. Es schien in unserer Stadt sich im Stillen eine Spaltung vollzogen zu haben. Man hatte sich in zwei Lager getheilt. In dem einen schwor man zur Leda und im anderen zur Amerikanerin.
Die Ersteren waren es, welche es mit der Kunst ernst nehmen, und zu diesen haben wir zu aller Zeit gehört. Was wir erwartet und vorausgesehen hatten, geschah. Mademoiselle Leda glänzte in einer Leistung, welche Alles in’s höchste Entzücken versetzte. Sie ist eine Künstlerin von Gottes Gnaden und wird wohl nie ihres Gleichen finden.
Im anderen Lager hatten sich die Stillen im Lande, die Schleicher gesammelt. Unter diesen bemerkten wir natürlich auch die Vertreter desjenigen hiesigen Blattes, welches von Hochmuth strotzt, weil es meint, von Seiten der Aristokratie, der Regierung inspirirt zu sein. Auch sie waren auf den Bänken erschienen, aber nur, um zu sehen, welch’ einen jämmerlichen Fall die Amerikanerin that. Wir hatten dieser Miß Starton bereits den Platz in der Kunst angewiesen, welcher ihr gehört, nämlich gar keinen. Und ganz so, wie wir es vorausgesetzt hatten, zeigte es sich, daß sie nicht werth sei, die Schuhriemen der Leda auch nur zu berühren.
Diese Letztere erreichte einen so ausgesprochenen Triumpf, daß an betreffender Stelle sofort beschlossen wurde, ihr noch an demselben Abende ihr Engagement zu erklären. Es begab sich zu diesem Zwecke eine Deputation nach ihrer Wohnung, welche aber leider die gefeierte Künstlerin nicht anwesend fand. Wenn unsere freundlichen Abonnenten diese Zeilen lesen, wird aber Mademoiselle Leda bereits wissen, daß wir glücklich sind, sie als ersten Stern an unserem Theaterhimmel festhalten zu dürfen.
Wir sind überzeugt, daß unsere Gegner hiermit eine Lehre erhalten haben, welche ihnen ebenso nöthig wie unvergeßlich sein wird. Man kann leicht Rath sein, ohne Rath zu wissen, und nicht jeder sogenannte Leiter eines sogenannten Regierungsblattes hat das Zeug, seine Commissionen richtig auszuführen.«
Holm legte die Zeitung von sich und schüttelte den Kopf.
»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Commissionsrath.
»Daß ich diese Leute für frivol, für gewissenlos, nie aber für so dumm gehalten habe.«
»Dumm? Können Sie ihnen nachweisen, daß sie dies sind?«
»Ja.«
»Oeffentlich?«
»Gewiß.«
»Das ist höchst wünschenswerth. Wer ist der Verfasser?«
»Der Chefredacteur. Ich kenne seinen Styl.«
»Was sagen Sie besonders zu dem letzten Passus?«
»Daß er ebenso unverschämt wie deutlich ist.«
»Natürlich bin ich gemeint.«
»Diese Ueberzeugung liegt nahe.«
»Donnerwetter! Ein Rath, der keinen Rath weiß!«
»Wollen Sie sich ärgern?«
»Fast möchte ich! Gerade in diesem Augenblicke kommt es mir vor, als ob dieser Mensch recht habe. Ich weiß nämlich im Moment wirklich nicht, wie ich ihn am Allerbesten fassen, greifen und züchtigen soll.«
»Ich bitte, das mir zu überlassen.«
»Haben Sie denn einen Gedanken?«
»Eine ganze Reihe von Gedanken!«
»Herrlich! Lassen Sie hören!«
»Ich bitte um Geduld!«
»Geduld? Morgen muß aber in unserer Nummer dieser pöbelhafte Angriff auf das Energischeste zurückgewiesen werden. Und jetzt sprechen Sie noch von Geduld!«
»O, ich werde ihn nicht nur zurückweisen, sondern ich werde diese Jungens züchtigen, wie man eben nur Jungens züchtigt.«
»Sie schaffen also einen Aufsatz herbei?«
»Ja.«
»Ist er bereits stylisirt?«
»Nein.«
»Sapperlot, so beeilen Sie sich.«
»Am Liebsten würde ich die Zeilen gleich jetzt und hier bei Ihnen schreiben.«
»Das ist das mir Allerangenehmste. Dort ist der Schreibtisch. Setzen Sie sich.«
»Schön! Vorher aber erst eine nothwendige Frage! Ich will ehrlich und offen sein. Man greift uns aus dem Verstecke an; ich aber öffne mein Visier. Darf ich?«
»Ja. Thun Sie das.«
Er nahm an dem Tische Platz, legte sich einen Bogen Papier zurecht, und dann glitt seine Feder mit leisem, raschem Knistern über das weiße Blatt.
Der Commissionsrath befand sich in einer leicht erklärlichen Aufregung.
Er war noch nie auf eine so infame Weise angegriffen worden und brannte nun von Begierde, Holm’s Eingabe zu lesen. Darum ging er unruhig im Zimmer auf und ab und verfolgte dabei mit seinen Blicken die gewandte Hand des früheren Reporters.
Da endlich legte dieser die Feder weg, stand auf und hielt dem Rathe den Bogen entgegen.
»Fertig!« sagte er. »Es sollte mich freuen, wenn diese Zeilen Ihre Zustimmung fänden, da sie ja die ersten sind, welche ich für Sie verfasse.«
»Wollen sehen.«
Der Rath machte ein höchst erwartungsvolles Gesicht, trat an das Fenster und begann zu lesen. Bereits nach den ersten Zeilen unterbrach er die Lectüre, wendete den Kopf zurück und sagte: »Brav so! Sie sagen gleich, wo Sie sind und was Sie wollen. Das ist ehrlich und mannhaft.«
Er las weiter. Seine Brauen stiegen höher und höher; sein Gesicht zeigte eine von Secunde zu Secunde wachsende Spannung; er stellte sich von einem Beine auf das andere; er begann, unruhig und immer unruhiger zu werden, stieß die seltsamsten Ausrufe aus und drehte sich endlich, als er zu Ende war, mit einem raschen, energischen Rucke wieder zu Holm herum.
»Mensch! Mann! Holm! Doctor! Sind Sie verrückt?«
Der Gefragte stieß ein kurzes aber herzlich klingendes Lachen aus und antwortete:
»Diese Frage läßt mich vermuthen, daß mein Aufsatz Ihren Beifall leider nicht findet.«
»Beifall? Wie kann ich solchen Phantasieen meinen Beifall geben?«
»Phantasieen? Es sind Wirklichkeiten!«
»Unmöglich!«
»Ich kann Wort für Wort beweisen!«
»Das wäre! Es ist ja gar nicht menschenmöglich, daß die Punkte, welche Sie hier aufzählen, auf Wahrheit beruhen können! So Etwas kommt ja gar nicht vor!«
»Ich wiederhole, daß ich bereit bin, Ihnen die untrüglichsten Beweise zu bringen.«
»Wenn es Ihnen ja gelingen sollte, mich an die Wahrheit dieser Behauptung glauben zu lassen, so enthielte allerdings ein jedes Ihrer Worte einen Keulenschlag für unsere Gegner. Ihre Erstlingsarbeit wäre ein Meisterstück; trotz der kurzen Zeit, die Sie darauf verwendet haben, würde ich es doch mit hundert Gulden honoriren, die ich Ihnen auszahlen ließ!«
»Danke! Ich quittire ergebenst. Bei so anständigem Honorar bleibe ich treuer Mitarbeiter.«
»Also Sie bleiben wirklich bei der Behauptung, daß Sie das volle Recht besitzen, zu sagen, was Sie hier geschrieben haben?«
»Ja.«
»Na, ich will bei ruhigem Blute bleiben! Prüfen wir also vorsichtig Alles, was Sie bringen!«
Er las:
»Ein so hämisches Machwerk wie der gestrige Bericht des Residenzblattes über die Vorstellung der ›Königin der Nacht‹ ist wohl kaum jemals gelesen worden. Ich glaube, behaupten zu können, daß kein Anderer als der Chefredacteur des genannten Blattes der Verfasser ist. Ebenso klar ist es wohl jedem Leser, wer unter jenem ›Rathe, der keinen Rath weiß‹ gemeint ist. Der betreffende, hochachtbare Herr hält es natürlich unter seiner Würde, auf eine so bubenhafte, schriftliche Anrempelung eine Antwort zu geben. Da aber eine solche Gemeinheit unbedingt an den Pranger zu stellen ist, so übernehme ich es, die geehrten Leser unseres Journales über die Art und Weise, in welcher man bei uns ›Sterne‹ engagirt, aufzuklären. Ich fühle mich dazu berufen, weil ich in meiner früheren Stellung zum Residenzblatte am besten Gelegenheit hatte, Erfahrungen zu sammeln. Und entgegen dem verdeckten, hinterlistigen Angriffe, werde ich Namen nennen und auch so ehrlich sein, den meinigen unter diese Zeile zu setzen.«
»Bis hierher ist es gut. Da hat ein jedes Wort meinen Beifall,« sagte er. »Aber weiter!«
Er fuhr fort:
»Bemerken muß ich vorher, daß ich, als das Residenzblatt den ersten Vergleich zwischen Mademoiselle Leda und Miß Ellen Starton anstellte, den Chefredacteur dieses Blattes aufsuchte, um ihm in untrüglichen Unterlagen den Beweis zu liefern, daß er über die letztgenannte Dame nichts weiter als einfach frech gelogen habe. Ich wurde abgewiesen und brach mein Verhältniß zu ihm ebenso ab.«
»So, auch das ist gut! Aber weiter! Jetzt kommt es nun so unglaublich, daß Einem die Haare zu Berge steigen möchten.«
Er warf einen forschen Blick auf Holm, ob dieser doch wie ein zurechnungsfähiger Mensch aussehe. Dann fuhr er fort:
»Ich stelle folgende Behauptungen auf und bin bereit, den Beweis hier und an jeder Stelle zu liefern. Der Herr Intendant der Residenzbühne und der Chefredacteur des Residenzblattes haben sich in Küssen u.s.w. das Engagement der Leda vorher bezahlen lassen. Dem Herrn Balletmeister, welcher sich zugleich Kunstmaler nennt, hat sie als Medea-Modell gesessen und dabei zugleich die Gelegenheit wahrgenommen, ein armes, unbescholtenes Mädchen durch körperliche Mißhandlungen zu zwingen, als Psyche-Modell zu stehen. Es hat dabei eine Katzbalgerei gegeben, wobei dem Herrn Kunstmaler sämmtliche Farben verlorengingen, weil er sich mit seiner Frau und der Leda in ihnen herumwälzte. Der verehrte Chef der Claqueurs, Herr Léon Staudigel, kann die Umarmung der Leda nicht genug rühmen und hatte sie, um sich für die Anstrengungen seiner Untergebenen bezahlt zu machen, zu einem Souper nach der Vorstellung auf das Bellevue bestellt. Man wollte mascirt speisen. Als man sich nach dem Souper demaskirte, zeigte es sich, daß der sogenannte Herr ›Baron‹ einen im Tivoli wegen seiner lustigen Streiche sehr wohl bekannten Paukenschläger umarmt hatte.«
Jetzt hielt der Leser inne.
»Wie wollen Sie das Alles beweisen?« fragte er.
»Wer sind sie?«
»Bei dem Chefredacteur hat der Redactionsdiener gelauscht, bei dem Intendanten dessen Jean.«
»Die Scene beim Balletmeister?«
»Meine Schwester.«
»Ah! War sie das Mädchen, welches man zwingen wollte?«
»Ja. Uebrigens ist die Amerikanerin dazu gekommen.«
»Aber im Bellevue?«
»War ich zugegen. Der Paukenschläger hatte sich als Dame verkleidet. Das Arrangement stammte von mir.«
»Tausendsassa! Na, ich will es glauben! Also weiter!«
Er las weiter:
»Nachdem die Leda Herrn Staudigel für seine Protection eine gewisse Summe versprechen mußte, begab sie sich zum Musikdirector. Dieser fragte nicht nach Liebenswürdigkeiten, wurde also durch das Versprechen einer Orchestertantiéme kirre gemacht.«
»Können Sie das beweisen?«
»Ja.«
»Der geehrte Herr Capellmeister hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als eine Veränderung der Partitur vorzunehmen, um es Miß Ellen Starton unmöglich zu machen, im Tacte zu bleiben. Ich fordere ihn also wegen einer Fälschung der Partitur vor das Forum der Oeffentlichkeit?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich hörte es während der Vorstellung. Ich bin Musiker. Heute früh begab ich mich zu einem mir bekannten Mitgliede der Capelle, dessen gefälschte Violinstimme zu erlangen ich so glücklich war.«
»Das ist recht! Bisher erfolgte Schlag auf Schlag! Was aber nun kommt, das ist nicht glaubhaft.«
»Ich beweise es.«
»Daß die Leda gefangen ist?«
»Ja.«
»Als Kindesmörderin?«
»Ja.«
»Und als Diebin?«
»Sie hat fünftausend Gulden gestohlen, welche vor einigen Jahren Herrn Baron von Scharfenberg abhanden kamen.«
»Wie wollen Sie das beweisen?«
»Sie sitzt mit ihrer Mutter im Bezirksgericht.«
»Aber dann soll der Intendant ein braves Mädchen seinem Bruder, dem Circusdirector, zu unzüchtigen Zwecken in die Hände gespielt haben?«
»Es ist die Tochter des Theaterdieners Werner, welche gezwungen werden sollte, als Tau-ma aufzutreten.«
»Und dabei ist man in genau so schamloser Weise verfahren, wie Sie es andeuten?«
»Ja. Der Circusdirector ist mit sämmtlichem Personal arretirt worden. Ich war in Rollenburg und habe das arme Mädchen hierher begleitet. Ihre Schwester hat volle vier Jahre lang unschuldig im Zuchthause gesessen, weil die Leda den Kindesmord auf sie geschoben hat.«
»Und das können Sie beweisen, wirklich beweisen?«
»Ja.«
»Beleidige ich Sie, wenn ich bemerke, daß ich mich denn doch erkundigen möchte, bevor ich diesen Aufsatz in unseren Spalten erscheinen lasse?«
»Ich spreche Ihnen gerne das Recht zu, vorsichtig zu sein.«
»Schön! Aber bei wem soll ich mich erkundigen?«
»Bei einem Herrn, dessen Versicherung Sie sofort festen Glauben schenken werden.«
»Wer ist das?«
»Sapperment! Weiß der von diesen Angelegenheiten?«
»Wenigstens ebenso viel wie ich. Er war ja mit in Rollenburg, um die unschuldig Gefangene zu befreien.«
»Aber, wird er mich empfangen?«
»Gern. Ich begleite Sie. Er wird Ihnen auch bestätigen, was ich weiter schreibe, nämlich, daß Miß Ellen Starton von Seiten der Majestäten aufgefordert wird, die ›Königin der Nacht‹ auf der Hofbühne zu geben. Das ist eine Satisfaction, wie sie gar nicht besser gewünscht werden kann.«
»Ist das eigene Initiative der höchsten Herrschaften?«
»Der Fürst von Befour hat die Veranlassung gegeben.«
»Ah, da muß ich wirklich zu ihm. Wann ist er zu sprechen?«
»Ich vermuthe, daß er jetzt daheim sein wird.«
»Wollen wir gehen?«
»Ja.«
»Dann gut! Ich sage noch einmal, daß Sie mir diese Vorsicht nicht übel nehmen dürfen. Es handelt sich hierbei ja um so viel, daß jede kleinste Nachlässigkeit gar nicht verantwortet werden könnte.« – –Um dieselbe Zeit saß der Lieutenant Bruno von Scharfenberg, finster vor sich hinbrütend, am Fenster und warf häufige, forschende Blicke auf die Straße hinab. Er schien mit großer Ungeduld irgend Etwas oder irgend Wen zu erwarten. Da endlich heiterte sich sein Blick momentan ein Wenig auf. Er begann, in der Richtung nach der Thüre zu lauschen. Schritte ließen sich vernehmen, und es trat ein junger, sehr elegant gekleideter, aber trotz seiner Jugend doch schon ziemlich abgelebt aussehender Herr ein.
»Nun?« fragte Scharfenberg erwartungsvoll.
»Nichts!«
»Alle Teufel!«
»Nichts und wieder nichts!«
»Selbst bei fünfzehn Procent nicht?«
»Nein. Man scheint eben Deine Verhältnisse für außerordentlich derangirt zu halten.«
»Unsinn! Wer kennt meine Verhältnisse?«
»Jedermann, wenigstens jeder Geldmann!«
»Ich habe bisher nur bei zwei oder drei Juden geborgt.«
»Aber diese Wucherer stehen in enger Verbindung unter einander und gewähren einander Einsicht in ihre Bücher.«
»Verdammt! Wenn ich nur so viel hätte, um heute Abend eine Bank legen zu können!«
»Und ich so viel, um pointiren zu können. Ich war so froh, als Du mir hundert Gulden für das Auffinden eines bereitwilligen Darleihers botest, finde aber leider keinen Menschen, der es thun will.«
»Der Teufel hole alle diese Mammonsdiener! Früher riskirten sie Etwas; jetzt aber wenden sie sogar den einzelnen Kreuzer zehnmal um, ehe sie ihn ausgeben!«
»Hm! Ein Mittel wüßte ich noch.«
»Wirklich? Welches denn?«
»Siehe in die Blätter! Wie oft wird Geld ausgeboten!«
»Das nennst Du noch ein Mittel?«
»Man könnte es wenigstens versuchen.«
Der Lieutenant griff nach der neben ihm auf dem Tische liegenden Zeitung, schob sie dem Anderen zu, deutete auf eine Stelle und sagte: »Da, lies!«
Der Aufgeforderte las:
»Ein Cavalier, Sohn eines reichen Hauses sucht für augenblicklich zu hohen Zinsen ein Darlehen im Betrage von einigen tausend Gulden. Offerten unter F.P. in die Expedition dieses Blattes erbeten.«
»Sapperment! Das bist Du wohl?«
»Ja. Ich habe also inserirt, wie Du siehst,« antwortete der Lieutenant.
»Dieser hier!«
Er streckte die Hand aus und blies darüber hin.
»Also nichts?«
»Kein einziger Halunke hat sich gemeldet. Lies nun, was gerade darunter steht!«
Die angedeutete Stelle lautete:
»Offizieren, höheren Beamten und Standespersonen werden augenblicklich und zu billigen Bedingungen Darlehne zu jeder gerechtfertigten Höhe gewährt.«
Dabei war die Adresse angegeben, an welche man sich zu wenden hatte.
»Auf diese Annonce bist Du wohl geritten?« fragte der Freund. »Auch das habe ich versucht.«
»Antwort bekommen?«
»Nein.«
»So hast Du wohl Deine Adresse gar nicht angegeben?«
»Pah! Mit der Pseudonymität hätte ich doch nur meine Zeit verschwendet. Ich habe also meinen Namen gesagt.«
»So ist keine Antwort erfolgt, weil der Betreffende sich erst erkundigt.«
Und als ob die Bestätigung dieser Ansicht nur auf diese Worte gewartet habe, trat der Diener Heinrich Kreller, Sohn des Hausmannes ein, um einen Brief zu überreichen.
»Von wem?« fragte der Lieutenant.
»Von einem fremden Menschen.«
»Wie sah er aus?«
»Wie ein Lohndiener.«
»Ist gut!«
Der Diener entfernte sich wieder. Scharfenberg öffnete und las den Brief und gab ihn dann dem Freunde hin. Die Zeilen lauteten: »Bitte, sich in der betreffenden Geldangelegenheit gütigst zu mir zu bemühen. Willibald Schönlein.«
Dabei war die Straße und eine Hausnummer genannt.
»Endlich!« seufzte der Lieutenant, indem er sich von seinem Sitze erhob.
»Ja, endlich! Jetzt ist der Knoten gerissen, und die Hoffnung lächelt wieder! Du gehst doch sofort?«
»Das versteht sich!«
»Soll ich unterdessen warten?«
»Du würdest Dich langweilen. So gar schnell wird man mir das Geld nicht vor die Füße werfen!«
»Gut, ich gehe. Wann soll ich wieder nachfragen?«
»In der Dämmerung. Deine hundert Gulden sollst Du auf alle Fälle haben. Eine Hand wäscht die andere.«
»Danke, danke, lieber Bruno! So edle Grundsätze lasse ich natürlich gern gelten.«
Er ging. Der Lieutenant aber brummte hinter ihm her:
»Blutegel! Diese Sorte beißt sich so sehr fest bei Einem ein, daß man sie nie wieder los werden kann. Aber ich habe ihm zu viel Vertrauen geschenkt und muß also immer freundlich zu ihm sein. Sonst plaudert er aus!«
Er kleidete sich zum Ausgehen an. Gerade als er das Zimmer verlassen wollte, öffnete sich die Thür des Vorzimmers. Ein schwarz gekleideter Herr trat ein. Der Lieutenant kannte ihn per Distance; er hatte ihn hier und da gesehen und ›Herr Assessor‹ nennen hören.
»Entschuldigung!« sagte der Besuch. »Ich sehe, daß Sie zum Ausgehen bereit sind?«
»Allerdings! Zu wem wünschen Sie?«
»Zu Herrn Lieutenant von Scharfenberg.«
»Dauert es lange?«
»Ich denke, nicht.«
»Ich bin der Gesuchte. Treten Sie ein!«
Er trat in sein Zimmer zurück. Der Assessor folgte ihm, zog die Thür hinter sich zu und reichte ihm seine Karte.
»Bitte, meine Karte, da ich durch Ihr Erscheinen verhindert wurde, mich anmelden zu lassen.«
Scharfenberg warf einen oberflächlichen, fast geringschätzenden Blick auf den Namen, welchen das kleine Kärtchen zeigte, machte eine leichte, frostige Verbeugung und sagte im Tone eines Mannes, der sich behindert fühlt: »Habe die Ehre! Was wünschen Sie?«
»Eine Unterredung unter vier Augen.«
»Wir befinden uns unter vier Augen. Hoffentlich eine Angelegenheit, welche mich nicht bedauern läßt, meinen sehr nothwendigen Ausgang aufgeschoben zu haben!«
»Ich pflege Niemand ohne Grund zu belästigen.«
»Also! Privatangelegenheit?«
Der Assessor ließ einen kalten, forschenden Blick über den Offizier gleiten und antwortete:
»Sind Sie vielleicht im Besitze eines Stuhles, Herr von Scharfenberg?«
Der Gefragte erröthete ein Wenig und meinte:
»Sie sehen deren sechs hier stehen.«
»Und uns dabei!« erklang es scharf.
»Hm! Ich glaubte, wir würden schnell fertig sein! Also, nehmen wir Platz, Herr Assessor!«
Er setzte sich, und der Jurist folgte seinem Beispiel. Als er dabei seinen forschenden Blick durch das Zimmer gleiten ließ, ohne sofort zu sprechen, stieß der Lieutenant ungeduldig hervor: »Ich glaube, bereits gefragt zu haben, ob Sie in einer privaten Angelegenheit kommen.«
»Ein wenig privat, mehr noch aber amtlich.«
»Ah! Was hätte ich mit der Civilbehörde zu thun?«
»Ich möchte Sie gern ersuchen, mir einige Fragen zu beantworten, Herr Lieutenant.«
»Die hoffentlich keine müßigen sein werden!«
»O, man ist gewöhnt, den Fragen diejenige Form zu geben, welche ihrem Zwecke entspricht. Waren Sie vielleicht gestern in der Vorstellung des Residenztheaters?«
Der Lieutenant biß sich in den Bart. Der junge Assessor zeigte ein so kaltes, sicheres, überlegenes Wesen, daß der Offizier sich höchst unangenehm berührt fühlte. Er antwortete daher in scharfem Tone: »Sind Sie gekommen, um mich zu fragen, ob ich das Theater besuche, Herr Assessor?«
»Ja. Daher erlaube ich mir diese Erkundigung.«
»Nun, dann hätten Sie nicht nöthig gehabt, mich zu incommodiren. Ich bin nicht gewöhnt, fremden Leuten Rechenschaft über die Art und Weise, in welcher ich meine freie Zeit verwende, abzulegen. Ich spreche niemals solche müßige Fragen aus und werde sie ebenso wenig beantworten, wenn sie an mich gerichtet werden.«
»Ich denke, daß Sie mir dennoch Antwort geben werden!«
»Auf solche Fragen nicht.«
»Ich bemerkte bereits, daß ich in amtlicher Angelegenheit komme. Meine Frage wurde also keineswegs aus dem Grunde privater Neugierde ausgesprochen.«
»Dann ersuche ich Sie, mir den amtlichen Grund zu nennen, bevor ich sie beantworte.«
»Ich komme, um amtlich zu erfahren, ob Sie im Residenztheater waren, also fragte ich. Sind Sie befriedigt?«
»Und warum wollen Sie das wissen?«
»Bitte, bitte! Ich komme, um Fragen auszusprechen, nicht aber solche an mich richten zu lassen!«
»Nun, so sind wir mit einander fertig! Ich werde eben nicht antworten, Herr Assessor!«
Er erhob sich von seinem Stuhle. Der Assessor that dasselbe, warf einen halb verächtlichen, halb mitleidigen Blick auf den Lieutenant und meinte in ruhigem Tone: »Ganz so, wie Sie es wünschen, Herr von Scharfenberg! Da ich aber meine Fragen dennoch beantwortet haben muß und zwar zu der Zeit, die mir gefällig ist, so bitte ich um die Erlaubniß, mich für einen Augenblick hier Ihres Schreibzeuges bedienen zu können.«
Er zog einen Zettel, der sichtlich ein gedrucktes Formular enthielt, aus der Tasche, nahm die Feder, tauchte ein, füllte die Lücken des Zettels aus und gab den Letzteren dem Lieutenant.
»Hier, bitte, Notiz davon zu nehmen!«
Scharfenberg las, trat einen Schritt zurück und sagte:
»Wie? Ein Bestellzettel in’s Bezirksgericht?«
»Wie sie sehen!«
»Und zwar bestellen Sie mich zu sich selbst?«
»Weil ich mit dieser Angelegenheit betraut wurde.«
»Und zwar augenblicklich, ohne Verzug?«
»So ist es.«
»Bei Vermeidung der Arretur?«
»Ich glaube, zu dieser verschärften Form berechtigt zu sein.«
»Herr! Sie vergessen, daß ich Offizier bin!«
»Eben, weil ich Ihren Stand berücksichtigte, bemühte ich mich zu Ihnen. Da Sie aber den meinigen vernachlässigen, so bemühe ich nun Sie zu mir.«
»So aber behandelt man nur Verbrecher!«
Der Assessor zuckte mit der Achsel und fügte hinzu:
»Verbrecher und Individuen, welche sich weigern, dem Gesetz die schuldige Achtung zu zollen.«
»Ah! Sie nennen mich Individuum!«
»Ich sprach im Allgemeinen. Uebrigens enthält dieses Wort keineswegs eine Beleidigung. Es bedeutet Einzelnwesen, und das sind Sie ebenso, wie ich es bin. Ich hoffe, Sie in spätestens zehn Minuten bei mir zu sehen. Adieu!«
Er schritt nach der Thür. Jetzt begann der Lieutenant doch, den Ernst der Situation zu begreifen. Er sagte: »Aber, zum Kukuk, ist diese Angelegenheit denn eine gar so wichtige?«
»Das werden Sie erfahren!«
»Bitte, bleiben Sie! Ich halte es allerdings für besser, die Unterhaltung hier zu beenden.«
»Daran thun Sie wohl!«
Er nahm ebenso ruhig wieder auf seinem Stuhle Platz, wie er von demselben aufgestanden war und fuhr fort: »Also, bitte, waren Sie im Theater?«
»Müssen Sie denn dies gerade so absolut wissen?«
»Ja.«
»Nun gut, ich war da.«
»Wie hat Ihnen die Leda gefallen?«
»Hm! Nicht zum Besten! Abgestandene Waare!«
Der Assessor zuckte bei dieser frivolen Antwort die Achsel und fuhr in ruhigem Tone fort:
»Hatten Sie sie schon einmal gesehen?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Nein. Sie trat ja zum ersten Male hier auf. Oder sollte Dies Ihnen vielleicht unbekannt sein?«
»Wenn Sie behaupten, sie vorher nicht gesehen zu haben, so meinen Sie doch wohl: Nicht als Tänzerin?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß Sie sie als Privatperson gesehen haben.«
»Niemals.«
»Herr Lieutenant, Sie verheimlichen die Wahrheit!«
»Donnerwetter! Wollen Sie mich zum Lügner machen?«
»Es thut mir um Ihretwillen leid, daß Sie selbst jetzt noch den Ernst der Situation nicht begreifen. Ich komme wirklich nur, um Ihrem Stande und Ihrer Familie eine ganz ungewohnte Rücksicht zu erweisen. Eigentlich aber müßte ich Sie sistiren lassen.«
Scharfenberg fuhr zornig auf.
»Arretiren meinen Sie?«
»Ja,« antwortete der Beamte kalt.
»Donnerwetter! Das muß ich mir verbitten!«
»Nun, ich will Ihnen einfach sagen, daß Sie zweier mit einander concurrirender Verbrechen verdächtig sind.«
»Verbrechen? Himmelbataillon!«
»Ja, es ist so!«
»Welches sind denn diese Verbrechen, wenn ich ergebenst fragen darf, mein Herr Assessor!«
»Kindesmord und –«
»Kindesmord? Alle Teufel! Ich soll ein Kind ermordet haben? Ich? Das ist wahnsinnig!«
»Kindesmord und Unterschlagung.«
Bei dem letzten Worte erbleichte der Lieutenant.
»Herr, Sie glauben doch nicht etwa,« sagte er, »daß ich ein Spitzbube bin!«
»Ich glaube und behaupte nichts, sondern ich untersuche. Daß Sie Ihre Bekanntschaft mit der Leda leugnen, ist kein Grund für mich, Sie für unschuldig zu halten.«
»Immer ärger! Wer in aller Welt vermag denn, mir diese Bekanntschaft nachzuweisen?«
»Ich.«
»Ah, da bin ich denn doch neugierig!«
»Diese Neugierde kann befriedigt werden.«
Er zog ein Portefeuille aus der Tasche, entnahm demselben eine Anzahl Briefe und sagte:
»In diesen Briefen zeigt ein gewisser Lieutenant Bruno von Scharfenberg einer gewissen Editha von Wartensleben an, daß er ein gewisses Ziehgeld eingezahlt habe. Kennen Sie diese Briefe?«
Der Offizier war so betroffen, daß er zunächst gar nichts zu sagen vermochte. Dann stieß er hervor: »Aber was haben Sie denn mit diesen Briefen zu schaffen?«
»Weil ich mit der Empfängerin zu schaffen habe.«
»Sie selbst hat Ihnen dieselben gegeben?«
»Nein. Wir haben sie in ihrer Wohnung gefunden.«
»Gefunden? Das klingt ja so, als ob Sie dort gesucht hätten?«
»Das haben wir allerdings. Die Leda ist eingezogen worden. Sie befindet sich in Untersuchung.«
»Eben wegen Kindesmordes und Unterschlagung.«
»Alle tausend Teufel!«
»Sie sehen also wohl ein, daß ich in sehr ernster Angelegenheit bei Ihnen bin. Ich kann Ihnen nur die Mahnung ertheilen, mir unumwunden die Wahrheit zu sagen.«
Scharfenberg wischte sich über die Stirn. Er fühlte, daß diese naß zu werden begann. Er wollte aufbrausen, aber die Verlegenheit, welche sich seiner bemächtigte, verhinderte ihn daran.
»Wegen Kindesmord?« fragte er. »Wann soll sie denn ein Kind getödtet haben?«
»Vor etwa über vier Jahren; Ihr Kind, Herr Lieutenant.«
»Das lebt ja noch!«
»O nein!«
»Ich bezahle ja noch heute dieses Ziehgeld!«
»Hm! Das ist ein Umstand, der zu Ihren Gunsten spricht. Sie wissen also von dem Tode des Kindes nichts?«
»Kein Wort!«
»Wo lernten Sie die Leda kennen?«
»Im Bade.«
»Wie nannte sie sich?«
»Editha von Wartensleben.«
»Ich kenne keinen anderen. Ich weiß nur, daß sie sich später den Künstlernamen Leda beilegte.«
»Also bitte, aufrichtig! Sie sind der Vater jenes Mädchens, welches sie vor circa vier Jahren gebar?«
Der Assessor – natürlich der bekannte Assessor von Schubert – unterdrückte ein leises Lächeln und fragte weiter: »Sie waren also der einzige intime Bekannte von ihr?«
»Ja.«
»Sie pflegte weiter keinen vertraulichen Umgang?«
»Nein.«
»Ich glaube aber, gehört zu haben, daß sie auch zu den Freundinnen des Barons von Helfenstein gehört hat.«
»Vor mir. Sie brach mir zu Liebe den Verkehr ab. Aber, Ihre Fragen sind nicht ohne Grund. Sollte –«
Der Beamte nickte ihm zu und sagte:
»Ein Kind pflegt erst nach neun Monaten geboren zu werden!«
»Daran dachte ich später oft.«
»Man hat Briefe des Barons bei ihr gefunden, welche beweisen, daß auch er Ziehgeld zahlt.«
»Verdammt!« entfuhr es dem Offizier.
»Ich bin sehr geneigt, anzunehmen, daß Sie der Dupirte sind. Sie haben nicht die mindeste Veranlassung, dieses Frauenzimmer zu schonen. Mit dem Eingeständnisse der Wahrheit sind Sie nur sich selbst zum Nutzen. Kannte Ihr Vater Ihr Verhältniß zu der Leda?«
»Was that er?«
»Er verbot mir jeden Umgang.«
»Sie gehorchten?«
»Pah! Pflegt ein Verliebter zu gehorchen? Ich ließ, um unbeobachtet zu bleiben, sie einfach verschwinden.«
»Wohin?«
»Nach – nach – – nach einem kleinen Dörfchen,« antwortete er stockend.
»Wirklich?«
»Ja.«
»Hm! Sie scheinen hier eine kleine Abweichung zu machen. Doch, wir treffen am richtigen Orte wieder zusammen. Auf jenem Dorfe hat sie geboren?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Dann ging sie mit dem Kinde nach Paris.«
»Nicht sogleich. Sie tödtete das Kind vorher.«
»Teufel! Davon habe ich keine Ahnung.«
»Sie schob den Verdacht auf eine Andere, welche bis heute unschuldig im Zuchthause gesessen hat.«
»Wirklich?«
»Ein verfluchtes Frauenzimmer!«
»Eine Teufelin! Aber bitte, nahmen Sie vielleicht vor ihrer Uebersiedelung nach Paris Abschied von ihr?«
»Nein.«
»Besaß sie die Mittel, um eine solche Reise unternehmen und dann auf einige Zeit leben zu können?«
»Sie mochte sich von meinen Geschenken so viel gespart haben.«
»Hm! Wollen Sie mir das Dorf nennen, wo sie wohnte?«
»Der Name ist mir entfallen.«
»Das kommt vor, schadet aber nichts, da es uns gelungen ist, dieses Dörfchen ausfindig zu machen. Es ist allerdings ein kleines, sehr kleines Dörfchen. Wollen Sie vielleicht die Güte haben, es sich von mir zeigen zu lassen?«
Er stand auf und schritt nach der Thür.
»Wohin?« fragte der Lieutenant bestürzt.
»Bitte, folgen Sie mir!«
Scharfenberg konnte sich selbst jetzt noch dieses Verhalten nicht erklären; er schritt hinter dem Assessor her, welcher dem Corridore nach der andern Seite des Hauses folgte, dort vor einer Thür stehenblieb, zwei Schlüssel aus der Tasche zog und dann öffnete.
»Wetter noch einmal! Wie kommen Sie zu diesen Schlüsseln?«
»Ich habe sie vom Herrn Gerichtsrath erhalten. Man muß ja immer vorbereitet sein. Bitte, treten Sie ein!«
Der Lieutenant folgte dem Juristen, welcher auch die zweite, nach dem Schlafzimmer führende Thür öffnete und dann sagte: »So! Hier ist das kleine, winzige Dörfchen, wo sich Fräulein Editha von Wartensleben aufhielt. Nicht?«
Der Lieutenant schluckte und schluckte, als habe er Etwas in der Kehle, was ihm sehr zu schaffen machte. Dann fragte er: »Wer hat Ihnen dies verrathen?«
»Wir wissen es; das ist genug. Ebenso sind wir auch über die Ersparnisse aufgeklärt, welche die Mittel zur Reise bildeten. Das waren nämlich die fünftausend Gulden, welche in Petermanns Casse fehlten.«
Jetzt war es mit der Fassung des Lieutenants zu Ende. Er sank auf das Sopha nieder und sagte kein Wort. Diesen Eindruck mußte nun der Assessor erfassen. Er trat an das Fenster, ergriff die Rouleauxschnur und bemerkte: »Von dieser Schnur hat sie ein Stück abgerissen und damit das Kind erdrosselt, Herr von Scharfenberg!«
»Das – das ist – ich bin unschuldig daran. Ich weiß von diesem Morde nicht das Geringste!«
»Wenn ich auch annehmen will, daß Sie Recht haben, warum zwingen Sie mich da, Ihnen nicht zu glauben?«
»Zwingen?«
»Ja. Sie sprechen von einem Dorfe, welches aber gar nicht existirt, und Sie reden von Ersparnissen, die gar nicht vorhanden waren. Wie soll ich da das Andere glauben?«
Er stand in aufrechter Haltung vor dem auf seinem Sitze zusammengesunkenen Lieutenant, welcher nichts zu sagen wußte, und fuhr nach einer Weile fort: »Ich bin Criminalist und als solcher auch Psycholog. Ich gewöhne mich, in das Innere derjenigen Menschen gewaltsam einzudringen, welche mir dieses Eindringen nicht freiwillig gestatten. So liegt nun auch Ihre Seele offen vor mir. Ich weiß, daß Sie an dem Morde unschuldig sind, und daß Sie nur in Beziehung des Geldes nichts sagen, weil Sie dann eine recht, recht schwere Unterlassungssünde einzugestehen hätten. Aber dieses Geständniß bleibt Ihnen nicht erspart. Sie müssen es machen, heute oder morgen, freiwillig oder gezwungener Weise. Und so sage ich Ihnen, daß es besser ist, Sie offenbaren sich jetzt mir, als daß Sie an Gerichtsstelle und öffentlich davon sprechen müssen. Wollen Sie?«
»Fragen Sie!« seufzte der Lieutenant.
»Waren Sie, als die Leda von hier verschwand, hier anwesend?«
»Warum entfloh sie?«
»Mein Vater hatte geschrieben, daß er kommen werde.«
»Dem wollte und mußte sie natürlich aus dem Wege gehen. Gab es kein anderes Mittel, als diese Flucht?«
»Ich wollte sie einstweilen ausquartieren und suchte nach einer passenden Wohnung. Am Abend war sie verschwunden. Wohin, das erfuhr ich erst durch den ersten Brief, den Sie mir aus Paris sandte.«
»Und mit ihr waren die fünftausend Gulden verschwunden?«
»Ja.«
»Hat sie diesen Diebstahl irgend einmal erwähnt?«
»Sie schrieb mir, ich solle mich nicht wundern, daß sie sich aus der Casse des Inspectors versorgt habe.«
»Besitzen Sie diesen Brief noch?«
»Ja.«
»Sie werden mir ihn geben.«
»Muß das sein?«
»Ich muß ihn unbedingt fordern! Petermann wollte von der Leda nichts verrathen; Sie waren zu schwach, Ihrem Vater ein offenes Geständniß abzulegen, und so fiel er als Opfer.«
»Ich glaubte, Vater werde Nachsicht walten lassen. Ich wollte von Tag zu Tag gestehen, kam aber nie dazu.«
»Ich bin in dieser Angelegenheit nicht Ihr Richter. Wo haben Sie den erwähnten Brief?«
»Drüben bei mir.«
»Gehen wir also hinüber. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß diese beiden Zimmer nicht betreten werden dürfen. Die Schlüssel nehme ich mit.«
Als er drüben den alten und doch so wichtigen Brief erhalten hatte, schickte er sich zum Gehen an. Der Lieutenant hatte seinen ganzen Stolz verloren. Ihm war nur angst vor seinem Vater. Darum fragte er endlich kleinlaut: »Wird die Leda wegen dieses Diebstahles ebenso wie wegen des Mordes in Anklage gesetzt?«
»Ja.«
»Und bestraft?«
»Das versteht sich.«
»Dann wird aber auch offenbar, daß Petermann unschuldig ist.«
»Gewiß! Ich selbst werde dafür sorgen, daß dies durch die Presse soweit wie möglich veröffentlicht wird.«
»Um Gotteswillen! Denken Sie dabei an meinen Vater!«
»Der Alles, Alles erfahren wird.«
»Ja, Alles! Es wird eine fürchterliche Scene geben!«
»Entsetzlich! Ich möchte mich erschießen!«
»Herr Lieutenant, ich darf hierbei nur an den unschuldigen Petermann denken!«
»Warum dürfen Sie nicht auch mich berücksichtigen? Petermann ist frei. Er hat es ja nun hinter sich!«
»Und seine Ehre? Nein, er muß vollständig rehabilitirt werden. Sie sind Offizier; aber Sie sind Egoist und – – – ein ganz gehöriger Feigling!«
»Herr Assessor!«
»Pah! Ich werde Ihnen und Jedem die Wahrheit sagen. Sie fürchten sich vielleicht nicht, eine Schanze zu stürmen, denn dabei sind hundert Möglichkeiten vorhanden, daß Sie unversehrt bleiben. Handelt es sich aber um ein Uebel, welches unvermeidlich ist, dem Sie nicht entgehen können, so fehlt Ihnen der Muth. Sie hätten das fürchterliche Opfer, welches Petermann brachte, niemals annehmen dürfen. Er hat wohl von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute gehofft, daß Sie den bitteren Kelch von ihm nehmen würden; er hat noch bei der Verhandlung ›Ja‹ gesagt, wohl in der festen Ueberzeugung, daß Sie aus dem Kreise der Zuhörer hervorspringen würden, um ein lautes ›Nein‹ zu rufen – vergeblich! Er wurde abgeführt und trug die unverdiente Schande. Er hat einen riesenhaften Heldenmuth bewiesen, Sie aber eine ebenso große Feigheit. Ich sage Ihnen das unter vier Augen. Wollten Sie mich fordern, so würde ich mich mit Ihnen nicht schlagen. Der Grund liegt auf der Hand. Ich gebe Ihnen den einzigen guten Rath: Gestehen Sie Ihrem Vater Alles, noch ehe wir die Verpflichtung haben, ihm die betreffende Mittheilung zu machen. Adieu!«
Der Offizier blieb wortlos. Er wagte nicht zu antworten. Der Assessor ging. Er hatte hier nichts mehr zu thun. Freilich war seiner Pflicht noch nicht Genüge geschehen. Er hatte noch eine zweite Unterredung zu suchen und begab sich nach dem Palais des – Barons Franz von Helfenstein.
Dieser war anwesend und konnte sich nicht denken, was ein Assessor von Schubert bei ihm wolle. Er sprach ihn so zu sagen nur von oben herab an und bedeutete ihm, seine Angelegenheit in möglichster Kürze vorzubringen.
»Verzeihung, Herr Baron,« antwortete der Assessor; »ich muß dieser Angelegenheit gerade so viele Zeit widmen, wie sie verdient. Es handelt sich um eine Erkundigung nach einer Person, welche in Ihren Diensten gestanden hat.«
»Wer ist das?«
»Eine gewisse Laura Werner.«
»Kenne sie nicht.«
»Wollen der Herr Baron vielleicht versuchen, sich zu erinnern? Es würde mir lieb sein.«
»Ich merke mir dergleichen nicht. Gehen Sie zum Hausmeister; der wird Ihnen Auskunft ertheilen. Wer behält die Namen der Dienstboten im Gedächtnisse!«
»Ich gebe das zu. Darum bin ich überzeugt, daß Sie sich desto besser einer anderen Person erinnern werden, welche nicht in Ihren Diensten gestanden hat.«
»Wer soll das sein?«
»Eine gewisse Aurora Bormann.«
»Kenne sie nicht.«
»Auch nicht ein Fräulein Editha von Wartensleben?«
Der Baron hatte sich so in der Gewalt, daß er nicht mit der Wimper zuckte, obgleich er sofort wußte, daß sich hier ein Gewitter zusammengebraut habe. Er antwortete scheinbar ganz unbefangen: »Habe auch diesen Namen nie gehört.«
»Hm! Wollen Sie die Güte haben, sich einmal diese Couverts zu betrachten!«
Er zog mehrere Briefe aus dem Portefeuille. Der Baron warf einen Blick auf sie und meinte:
»An eine Editha von Wartensleben adressirt? Geht mich ganz und gar nichts an.«
»Leider aber sind die darin enthaltenen Briefe mit Ihrem Namen unterzeichnet!«
»So giebt es einen Zweiten meines Namens, oder es hat sich Jemand einen dummen Scherz gemacht. Von wem haben Sie diese Briefe?«
»Sie sind Eigenthum einer Untersuchungsgefangenen.«
»Wer ist das?«
»Die Tänzerin Leda.«
Jetzt zuckte er doch zusammen, faßte sich aber schnell wieder und fragte im Tone des Erstaunens:
»Die Leda gefangen? Nach ihren gestrigen Triumphen? Erstaunlich! Da behält der alte Rabbi Ben Akiba doch einmal Unrecht: Es giebt wirklich Dinge, welche noch nicht dagewesen sind!«
»Ich bestätige das. Unangenehm aber ist es für Unsereinen, wenn man so etwas nie Dagewesenes in’s Dasein rufen soll, ohne es zu vermögen. So soll ich zum Beispiel jetzt beweisen, daß ein gewisser Baron zu gleicher Zeit von zwei Mädchen zwei außereheliche Kinder erhalten hat, nämlich von einer späteren Tänzerin und von der Tochter eines armen Theaterdieners.«
»Nun, so versuchen Sie es wenigstens!«
»Ich muß ja. Ferner soll ich nachweisen, daß diese beiden Kinder umgetauscht worden sind, und zwar nach der Ermordung des einen und dem Tode des anderen.«
»Grausig!« höhnte der Baron.
»Und sodann soll ich eine Scheune suchen, unter welcher eins dieser Kinder von der Tänzerin und einer Riesendame vergraben worden ist.«
»Die werden Sie schwerlich finden!«
»Habe sie schon!«
»Wirklich?« fragte er, halb höhnisch, halb besorgt.
»Ja. Und ich habe nicht nur die Scheune, sondern auch das Kind, die Riesendame, die Tänzerin und die beiden Mütter derselben.«
»Pest! Sind Sie glücklich!« zischte er. Er war doch bleich geworden, fügte aber in befremdetem Tone hinzu: »Aber was hat dies Alles mit Ihrem gegenwärtigen Besuche zu thun?«
»Ich wollte Sie ersuchen, diese Personen zu recognosciren.«
»Wie kommen Sie auf diesen abenteuerlichen Gedanken?«
»Weil sie behaupten, von Ihnen gekannt zu sein.«
»Lassen Sie mich in Ruhe; ich habe nicht einen Augenblick Zeit für Tänzerinnen und Riesendamen!«
»Sie wissen auch nicht, was die Riesin eines Tages bei einer gewissen Scheune zu thun hatte?«
»Herr, ich bin kein Hexenmeister und sehe nicht ein, weshalb gerade ich es sein soll, der belästigt wird!«
»Nun, vielleicht gelingt es, diese unangenehme Belästigung nun von Ihnen fernzuhalten.«
Er machte eine Verbeugung und entfernte sich.
»Verflucht!« murmelte der Baron, als er sich allein befand. »Die Leda und die Riesin gefangen, und ihre Mütter dazu! Was hat das zu bedeuten? Ist das Zufall, oder geschieht es in Folge eines zielbewußten Planes? Darüber muß ich mir klar werden. Ich werde sofort recognosciren gehen!«
Der Lieutenant von Scharfenberg war völlig eingeschüchtert zurückgeblieben. Er stierte gedankenlos vor sich hin, bis er durch irgendein Geräusch der Außenwelt aus seinem Hinbrüten gerissen wurde. Da kam ihm in’s Gedächtniß, was er zuletzt hatte anhören müssen.
»Feigling!« sagte er zu sich. »Feigling bin ich genannt worden, ohne daß ich den Menschen sogleich niedergeschlagen habe. Ich werde – ja, was werde ich denn? Ah, pah! Die Sache ist nicht so sehr ängstlich; sie eilt nicht. Die Hauptsache ist vielmehr, Geld zu bekommen. Habe ich das, so kommt alles Andere dann ganz von selbst. Suchen wir also schleunigst diesen guten Willibald Schönlein auf!«
Er trat nun den Gang an, den er vorhin nicht hatte ausführen können. Die angegebene Adresse wies ihn in eine der anständigsten Straßen. Das Logis lag nur eine Treppe hoch, wo er den Namen an einer Messingplatte las.
Er klingelte und wurde eingelassen. Man führte ihn durch einige prachtvoll ausgestattete Zimmer und bat ihn dann, einen Augenblick Platz zu nehmen.
Im Nebenzimmer befanden sich zwei Personen, welche mit einander flüsterten – Mann und Frau.
»Laß ihn nur noch warten,« meinte die letztere. »Desto nachgiebiger wird er. Und die Möbel müssen erst ihren Eindruck machen.«
»Haha! Er wird uns für sehr reich halten.«
»Und ist doch Alles erst geliehen, eben dieses Eindruckes wegen. Wenn er nur mitmacht!«
»Ich denke, daß er auf die Bedingungen eingeht.«
»Er wäre dumm, wenn er nicht Ja sagte. Wir haben wirklich keinen rothen Heller mehr. Was sagte denn dieser alte Salomon Levi?«
»Er hat bereits ein Papier von ihm, will aber das Geld geben. Der Vater des Lieutenants ist sehr reich.«
»So wird der Sohn das Geld klar machen. Na, jetzt kannst Du gehen, denke ich.«
Der Mann betrachtete sich im Spiegel, zog die Cravatte zurecht, schob die Papiermanchetten aus den Rockärmeln hervor, nahm eine möglichst imposante Haltung an und trat dann bei dem Lieutenant ein.
Dieser hatte sich niedergelassen. Er erhob sich, machte ein militärisches Honneur und fragte:
»Gewiß, Herr Schönlein?«
»Habe die Ehre!« antwortete der Gefragte in herablassender Weise. »Herr Lieutenant von Scharfenberg?«
»Bitte, nehmen Sie wieder Platz!«
Sie setzten sich einander gegenüber, und der Lieutenant fragte, als der Andere zu beginnen zögerte: »Die Ursache meiner Anwesenheit ist Ihnen bekannt?«
»Ja. Sie theilten Sie mir ja mit.«
»Und Sie sind bereit – hm! Ja?«
Herr Schönlein räusperte sich und meinte dann in einem sehr selbstgefälligen Tone:
»Vielleicht. Man kann ja darüber sprechen. Eigentlich habe ich es nicht nöthig. Ich lebe von meinen Ersparnissen und brauche doch nicht Zins auf Zins zu häufen. Nun wurde mir vor Kurzem ein Capitälchen flüssig, welches ich erst in einiger Zeit wieder fest anlegen kann. Bis dahin läge es im Schranke, ohne irgend einen Nutzen zu bringen. Da dachte ich, daß vielleicht Jemandem damit gedient sein könne, und so ließ ich die Annonce einrücken.«
»Haben sich Reflektanten gemeldet?«
»O, eine Unsumme! Aber ich habe doch gezögert und gezögert. Es vermochte Keiner, mir Vertrauen einzuflößen. Man bot mir hohe, sehr hohe Zinsen und außerdem ansehnliche Vergütungen. Aber ich brauche das nicht. Was helfen mir gute Bedingungen, wenn ich mein Geld nicht wieder bekomme!«
»Da haben Sie sehr Recht!«
»Lieber suche ich mir einen sicheren Mann heraus, der mir das Geld pünktlich zurückgiebt, und lasse es ihm zu dem Bankiersatze.«
»Wie ist dieser?«
»Drei Procent.«
»Wie? Mehr verlangten Sie nicht?«
»Nein. Warum mehr? Ich habe bereits gesagt, daß ich es nicht brauche.«
»Nun, dann wünsche ich nur, daß ich nicht auch zu Denjenigen gehöre, denen Sie kein Vertrauen schenken können!«
»Na, um aufrichtig zu sein, Sie gefallen mir. Doch, ich kenne Ihre Verhältnisse nicht.«
»Sie haben noch nicht von der Familie Scharfenberg gehört«
»Nein.«
»Der Oheim ist Regierungsrath und Director der Landesanstalt zu Rollenburg –«
»Hm! Das klingt empfehlend!«
»Mein Vater ist Officier, lebt aber jetzt verabschiedet und zurückgezogen auf seinen Gütern. Er ist höchst sparsam und glaubt, man könne noch so auskommen, wie zu seiner Zeit. Da halte ich es nun für besser, für jetzt so wenig wie möglich an seine Casse anzuklopfen. Sie verstehen –!«
»Sehr gut, sehr gut! Junges Blut will ausbrausen. Die Alten haben vergessen, daß sie selbst so gewesen sind. Man soll die Jugend genießen, zumal wenn es die Verhältnisse erlauben, gewisse unvermeidliche Verbindlichkeiten später abzutragen.«
»Das ist bei mir der Fall. Ich bin der einzige Erbe.«
»Sehr gut! Es ist mir, als ob ich mich für Sie entschließen könnte. Wieviel brauchen Sie?«
»Hm! Ich möchte gern eine Summe haben, welche mich nicht für nur ganz kurze Zeit selbstständig macht.«
»Ganz recht! Also bitte, wieviel?«
»Hm, sechs-, acht-oder zehntausend Gulden?«
»Das ist so nahekommend an das, was ich liegen habe. Sie brauchen es sofort?«
»Sogleich.«
»Welche Sicherheit bieten Sie?«
»Wechsel und Ehrenschein.«
»Das würde genügen. Also, sind Ihnen drei Procent recht, Herr Lieutenant?«
»Ja gewiß, mehr als recht. Ich finde, Herr Schönlein, daß Sie ein nobler, ehrenwerther Mann sind!«
Er war förmlich electrisirt von dem Gedanken, jetzt, sofort zehntausend Gulden zu erhalten.
»O bitte,« lautete die Antwort. »Es ist mir ein Vergnügen, einem Cavalier beispringen zu können. Also wollen wir?«
»Wenn es Ihnen recht ist?«
»Gewiß! Darf ich Ihnen das Wechselformular zur Ausfüllung vorlegen?«
»Bitte! Wie lange wollen Sie mir die Summe lassen?«
»Nun, wie lange wünschen Sie?«
»Hm, möglichst weit hinaus. Ein halbes Jahr?«
»Na, meinetwegen! Hier ist der Wechsel. Bitte!«
Das ging so exact und jovial wie am Schnürchen. Der Lieutenant griff zur Feder und begann, das Formular auszufüllen. Da wurde am Vorsaale geklingelt, und einige Augenblicke später hörte man die Frage: »Grüß Gott, liebes Kind! Ist Willibald da?«
»Ja.«
»Wo?«
»Im Theezimmer. Aber es ist ein –«
»Schon gut, schon gut! Finde ihn schon!«
»Aber, lieber Vater, es ist –«
»Gut, gut. Bin schon da!«
Die Thür wurde aufgerissen, und ein älterer Herr, dem man den Lebemann sofort ansah, trat ein.
»Guten Tag, mein Söhnchen! Wie geht’s? Wie – ah, Du bist nicht allein! Ich störe? Entschuldigung!«
Er verbeugte sich vor dem Lieutenant, drückte dem Hausherrn die Hand und bemerkte:
»Werde nicht lange belästigen. Bin gleich fertig.«
»Willst Du nicht einstweilen da eintreten?«
Er deutete nach der Thür.
»Danke, danke sehr! Habe keine Zeit, zu warten, gar keine! Bin außerordentlich pressirt. Werde gleich wieder gehen!«
»Na, da mag es erlaubt sein – mein Schwiegervater – Herr Lieutenant von Scharfenberg!«
Die beiden Genannten verbeugten sich vor einander, und dann wendete sich der Schwiegervater an den Schwiegersohn: »Höre, Willibald, eine Nachricht, eine famose Nachricht!«
»So? Geschäftlich?«
»Ja, natürlich! Die Peruaner fallen fürchterlich –«
»Das nennst Du famos?«
»Ja, denn dafür steigen die Chilenen riesig. Sie steigen von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute, von Augenblick zu Augenblick. Die Chilenen haben drei Schlachten gewonnen. Erhielt heute bereits die zweite Depesche, Chilenen anzukaufen, so viel nur immer möglich. Bin bis jetzt im alleinigen Besitze des Geheimnisses. Kann sie ganz billig bekommen und hoch, sehr hoch losschlagen. Ausgezeichnetes Geschäft!«
»Gratulire!«
»Danke, mein Junge!« Dabei schlug er ihn gutmüthig auf die Achsel und fuhr heiter fort: »Ist aber ein verteufeltes Pech dabei. Hast Du Baargeld liegen?«
»Hm! Warum?«
»Habe bereits für vierzigtausend Gulden gekauft und mich ganz ausgegeben. Kann noch eine Partie bekommen, leider aber, wie natürlich, nur gegen Baar. Hast Du Geld?«
»Ich habe allerdings fünfzehntausend Gulden daliegen, aber über diese Summe ist bereits –«
»Daliegen?« unterbrach ihn der Schwiegervater »Fünfzehntausend? Bravo! Hurra! Da komme ich zur guten Stunde! Uebermorgen zahle ich sie zurück. Schaff her!«
»Das wird wohl kaum gehen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe bereits anderweit darüber verfügt.«
»Anderweit? Unsinn! Wie denn?«
Schönlein that einigermaßen verlegen; er konnte ja auch anständiger Weise nicht den Officier verrathen. Darum machte er die Ausrede: »Ich habe es auf Hypothek versprochen.«
»Auf Hypothek? Was? Dein Schwiegervater muß Dir näher stehen, als die beste Hypothek. Ueberhaupt kann der Mann noch bis übermorgen warten.«
»Er braucht es heute.«
»Papperlapapp! Mit diesen fünfzehntausend kann ich gegen fünftausend gewinnen, gerade den dritten Theil. Und Du giebst das Geld einem Anderen? Schäme Dich, Willibald! Das hätte ich von Dir nicht gedacht! Aber warte!«
Er stieß ein lustiges Lachen aus und eilte durch die andere Thür davon.
Der Lieutenant hatte wie auf Kohlen gestanden. Erst die Freude, so viel Geld zu bekommen, und nun plötzlich dieser verteufelte Schwiegervater! Der Wechsel war schon ausgefüllt, und der Ehrenschein auch bereits angefangen.
»Herr Schönlein, wäre es nicht am Besten,« stotterte er.
»Was, Herr Lieutenant?«
»Sie theilten dem Herrn Schwiegerpapa aufrichtig mit, daß ich es bin, der das Geld empfangen soll.«
»So, so! Ich dachte, daß Sie Discretion wünschen!«
»Unter diesen Verhältnissen halte ich die Mittheilung für angezeigt. Im Uebrigen darf ich dem Herrn Schwiegervater doch wohl Verschwiegenheit zutrauen.«
»Gewiß, gewiß! Ich werde also – mein Himmel, er lachte, als er hier hinausging. Ich ahne etwas!«
»Doch nichts Unangenehmes?« fragte der Officier besorgt.
»O nein. Aber, wissen Sie, wir nehmen einander nichts; die Cassen stehen uns gegenseitig zur Verfügung, und der Papa ist ein Wenig gewaltthätig, obgleich man ihm Nichts übel nehmen kann. Es fällt mir ein, daß ich den Feuerfesten offen gelassen habe. Darin liegt die Summe. Er wird doch nicht auf den Gedanken gekommen sein, sich selbst zu nehmen, was er – ah, da ist er!«
Der Schwiegervater kehrte zurück. Er lachte am ganzen Leibe, schlug sich an die Brusttasche und jubelte: »Victoria, gewonnen, gewonnen! Ich habe sie!«
»Was dem?«
»Die Fünfzehntausend. Laß Deinen Schrank ein anderes Mal nicht offen. Ich habe auf meine Karte quittirt und sie dafür hineingelegt. Nun aber schnell fort. Ich muß kaufen, kaufen, kaufen! Adieu, mein Junge! Empfehle mich, Herr Lieutenant!«
Er wollte zur Thür hinaus. Scharfenberg hatte ihn am Liebsten an den Rockschößen festgehalten; doch war dies glücklicherweise nicht nothwendig, denn Schönlein trat schnell hinzu und nahm den Alten beim Arme.
»Halt!« sagte er. »So schnell geht das nicht!«
»Was denn noch?«
»Ich kann wirklich nicht mehr über das Geld verfügen. Ich habe es hier dem Herrn Lieutenant versprochen.«
»Hier, dem Herrn Lieutenant?« klang es verwundert.
»Ja.«
»Nimmst Du von ihm die Hypothek? Ah, nein! Da sehe ich ja einen Wechsel! Hm, hm! Schwiegersöhnchen, Schwiegersöhnchen, ich glaube gar, Du fängst an, den Wucherern und Halsabschneidern in das Handwerk zu pfuschen!«
»Fällt mir nicht ein! Da kennst Du mich! Nur drei Procent.«
»Drei Procent? Mensch, bist Du toll? Ich kann mir über dreißig damit verdienen! Oho, wie gewöhnlich: Dein gutes Herz! Das gebe ich nicht zu.«
»Ich will ja gern mehr Zinsen zahlen,« meinte der Lieutenant, der sich in einem Fegefeuer befand.
»Wird nichts, wird nichts! Was ich einmal habe, das gebe ich nicht wieder heraus. Erlauben Sie einmal!«
Er betrachtete den Wechsel und auch den angefangenen Ehrenschein; dann sagte er:
»Auf diese Weise! Ah, so! Nun, die Scharfenbergs sind Ehrenleute; da kann man es riskiren. Aber warum denn gerade lauter Baargeld, wo gerade ich einen Fang damit machen kann?«
Der Lieutenant begann, wieder Athem zu schöpfen.
»Haben Sie vielleicht einen Vorschlag für ein anderes, acceptables Arrangement?« fragte er.
»Vielleicht! Willibald, läßt Du mich machen?«
»Na, heraus giebst Du das Baargeld doch nicht wieder; das weiß ich; aber zufriedenstellen wirst Du den Herrn Lieutenant dennoch, das ist ebenso sicher. Also mach, was Du denkst!«
»Gut! Schön! Aber besser, als Du denkst, bin ich doch. Aus Rücksicht für den Herrn Lieutenant werde ich doch etwas Baares herausgeben. Ich mache einen Vorschlag. Wird er angenommen – dann gut; wird er abgewiesen – dann verschwinde ich. Also soll ich?«
»Bitte, sprechen Sie!« bat Scharfenberg.
»Also, ich gebe dreitausend Gulden baar heraus, sodann einen Wechsel auf Freimann und Co., lautend auf zweitausend Gulden, und endlich die übrigen fünftausend Gulden in Papieren auf Chile, zu dem Preise, den ich selbst gegeben habe.«
»Hm, das ist anständig!« bemerkte Schönlein.
»Ist Freimann und Co. sicher?« fragte der Lieutenant, welcher diesen Namen noch nie gehört hatte.
»O, glanzvoll!«
»Und die Chilenen sind zu verwerthen?«
»Welche Frage! Ich sage Ihnen ja, daß sie in die Höhe gehen wie Papierdrachen! Ihre Fünftausend können sich, wenn Sie sie behalten verdoppeln. Schlagen Sie ein!«
Er streckte ihm die Hand entgegen, und der leichtsinnige, junge Mann gab seine Zustimmung. Der Ehrenschein wurde vollends angefertigt und unterschrieben, und sodann erhielt er die Werthvolumina: Dreitausend Gulden in Cassenscheinen, abzüglich der Zinsen, den angegebenen Wechsel und die südamerikanischen Staatspapiere.
Froh, das Geschäft doch noch zu Stande gebracht zu haben, steckte er Alles ein und erhielt dabei die Versicherung des heiteren, jovialen Schwiegervaters: »Sie werden sich jedenfalls meiner Coulanz erinnern, mein werther Herr von Scharfenberg. Ich habe Ihnen den reinen Gewinn geradezu aus meiner Tasche geschenkt. Sie haben ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht, freilich auch nur, weil ich den Ruf Ihrer geehrten Familie kenne. Wollen Sie sich überzeugen?«
Der Lieutenant war nichts weniger als ein Geschäftsmann. Er hatte sich noch nie um die Curse der sogenannten ›Papiere‹ bekümmert. Er war froh, das Darlehn auf eine so leichte Art und Weise erhalten zu haben, und hatte keine Lust, sich in magere Berechnungen zu versenken. Da ihm aber der Beweis gar so leicht und entgegenkommend angeboten wurde, so antwortete er: »Es würde mir sehr lieb sein, mich überzeugen zu können.«
»Schön! Bitte, sehen Sie her, Herr Lieutenant!«
Er zog einen Kurszettel aus der Tasche, deutete auf die betreffende Stelle und sagte:
»Hier haben Sie es Schwarz auf Weiß. Lesen Sie einmal!«
»Neueste Emission von Chile: 110,« las der Officier.
»Nun verstehen Sie das?« fragte der Schwiegervater.
»Ich gestehe, auf diesem Gebiete nicht sehr bewandert zu sein, aber ich denke, daß der Emissionswerth 100 ist?«
»Gewiß; 110 aber stehen sie. Wieviel also beträgt heute der Gewinn pro Papier zu hundert Gulden?«
»Zehn Gulden.«
»Ja. Sie haben aber für fünftausend Gulden Papiere; wie hoch beläuft sich also Ihr gegenwärtiger Gewinn?«
»Zehn Procent, also fünfhundert Gulden.«
»Richtig; so ist es. Diese Summe fließt aus meiner Tasche geradezu in die Ihrige, denn ich habe sie Ihnen zu hundert gelassen, obgleich ich sie eigentlich zum Tageskurs berechnen wollte. Aber ich will anständig sein, weil ich der Schwiegervater bin und weil ich denke, daß Sie sich wohl wieder an Herrn Schönlein wenden werden. Noblesse oblige – anständige Behandlung ist die allerbeste Empfehlung eines Geschäftsmannes.«
»Ich danke Ihnen und versichere gern, daß ich Ihre Freundlichkeit nicht vergessen werde.«
Er verabschiedete sich auf die höflichste Weise und ging. Als er fort war, stieß der Schwiegervater ein lautes, triumphirendes Lachen aus und sagte: »Prächtig, prächtig! Er ist auf den Leim gegangen!«
»Und wie leicht,« stimmte sein sogenannter Schwiegersohn ein.
»Noch viel, viel dümmer!«
»Zu glauben, daß wir ihm fünfhundert Gulden schenken!«
»Und daß Du wirklich mein Schwiegervater bist!«
»Und Du so ein Geldmann! Dieser Jude Salomon Levi ist wirklich ein genialer Kopf. Für die dreitausend Gulden und seine schlechten Papiere erhält er einen Wechsel über zehntausend Gulden samt dem Ehrenschein. Er verdient fast fünftausend Gulden bei dem Geschäfte.«
»Und uns? Was giebt er uns?«
»Dir hundert, mir hundert und diesem famosen Freimann und Compagnie hundert.«
»O, Freimann wird mehr verdienen.«
»Wieso?«
»Er wird ihm eben auch chilenische Papiere geben, sie aber zu hundertzehn berechnen. Zweitausend hat er zu zahlen, macht also für ihn noch einen Profit von zweihundert Gulden, Summa Summarum also dreihundert. Wir haben zu wenig!«
»Das scheint mir allerdings auch so.«
»Und das Risico dazu!«
»Risico? Pah! Ich verkaufe meine Papiere natürlich so hoch, als ich will und kann. Kein Mensch hat mir da Vorschriften zu machen.«
»Nein.«
»Aber Du hast den Lieutenant getäuscht, indem Du sagtest, daß der Curs hundertzehn sei.«
»Habe ich das wirklich gesagt?«
»Ganz gewiß. Ich habe es doch selbst gehört!«
»Unsinn! Er selbst hat es gelesen. Warum sieht er auf die falsche Zeile und nicht auf die richtige, auf welcher deutlich steht: Vorjährige Emission von Chile: 30. In Chile hat man den Präsidenten abgesetzt, und die vorjährigen Schlachten gegen Peru wurden verloren. Der neue Präsident wird sich hüten, die Schulden seines Vorgängers zu bezahlen! Er hat Glück gehabt, er hat die Peruaner geschlagen, darum stehen seine Papiere so hoch. Siegt er öfters, so steigen sie noch höher. Das versteht sich ganz von selbst. Dieser Herr Lieutenant von Scharfenberg kann doch mich eines Irrthums, den er selbst begangen hat, nicht verantwortlich machen. Uebrigens ist er Officier und muß sich hüten, sich merken zu lassen, wie es um seine Finanzen steht. Er geht jedenfalls jetzt zu Freimann. Ich möchte dieser Verhandlung beiwohnen. Freimann ist ein Schlaukopf, hat ein großes Comptoir, aber einen einzigen Schreiber. Beide aber sind froh, wenn sie täglich nur ein einziges Mal die Feder in die Tinte tauchen dürfen.« –Damit hatte er vollständig Recht. Dieser Freimann wohnte in einer belebten Straße; die Thür seines Comptoirs war stark mit Eisen beschlagen. Man gelangte durch einen länglichen Burausaal in das Zimmer des Chefs. Der Erstere enthielt wohl ein Dutzend Schreibtische, welche voller Geschäftsbücher lagen. Das machte den Eindruck, als ob hier bedeutende Geschäfte abgewickelt würden; aber diese Tische standen stets leer. Nur an einem derselben stand ein altes, trockenes Männchen und kaute an dem trockenen Gänsekiel – es gab keine Arbeit für ihn.
Da klingelte es im Zimmer des Herrn. Der Schreiber brummte leise vor sich hin und trat ein.
Herr Freimann war, das sah man auf den ersten Blick, ein Jude; er hatte ein ausgesprochen israelitisches Gesicht, und der Ton seiner Stimme klang eigenthümlich salbungsvoll und näselnd, als er fragte: »Es dauert so lange. Hast Du Dich nicht getäuscht?«
»Nein.«
»Es ist wirklich Scharfenberg gewesen?«
»Ja. Ich habe, nachdem er den Brief erhielt, in seiner Straße gewartet und bin ihm dann nachgegangen.«
»Und er ging wirklich zu Schönlein?«
»Ja.«
»Dann begreife ich die Langsamkeit nicht, welcher diese Menschen sich befleißigen.«
»Vielleicht hegt er Bedenken!«
»Ja, unsere Casse –«
»Schweig!«
»O bitte, Herr Freimann! Ich darf vielleicht doch an unsere Casse denken!«
Der Chef warf ihm einen zornigen Blick zu und sagte:
»Willst Du mir wohl Deine Gründe sagen?«
»Ich habe bereits einen Monat lang kein Salär erhalten.«
»Und ich habe bereits über einen Monat lang keinen Kreuzer eingenommen. Du hast es nicht schlechter als ich.«
»Aber ich bin Compagnon!«
»Desto weniger hast Du Ursache, zu klagen!«
»Desto größer aber ist mein Risico!«
»Ah! Wieso?«
»Wen wird man fassen, wenn man endlich hinter das Geschäft kommt? Sie oder mich?«
»Mich, denn ich bin der Chef!«
»Und ich muß Alles unterschreiben.«
»Als Compagnon hast Du das Recht und die Pflicht dazu!«
»Dann möchte ich aber auch den Gewinn theilen!«
»Unsinn! Ah, da klingelt es!«
»Er wird es sein.«
»Mach Deine Sache gut!«
Der Schreiber entfernte sich. Die vordere, eiserne Thür war verschlossen. Er mußte sie öffnen. Bruno von Scharfenberg trat ein. Er grüßte kurz und stolz, warf einen erstaunten Blick auf die leeren Plätze und fragte: »Hier ist Freimann und Compagnie?«
»Ja.«
»Ist der Herr zu Hause?«
»Hm! Vielleicht.«
»Wie kommt es, daß Sie es hier so leer haben?«
»Es ist heute der Geburtstag des Chefs, da hat das Personal den Nachmittag frei bekommen. Nur ich bin mit Herrn Freimann anwesend, um das Nothwendigste zu erledigen.«
Das war die gewöhnliche Erklärung der leeren Plätze.
»Warum sagten Sie ›Vielleicht‹, als ich fragte, ob der Chef zu sprechen sei?«
»Ich weiß nicht, ob die Angelegenheit, in welcher Sie kommen, zu denjenigen gehört, welche wir nothwendig nennen.«
»Ich will einen Wechsel präsentiren.«
»Ach so! Das ist allerdings nicht aufzuschieben. Gestatten Sie mir wohl, Sie zu melden?«
»Hier ist meine Karte.«
Der Comptoirist nahm die Karte unter einer Verbeugung in Empfang, ging in das Cabinet des Chefs, kehrte sogleich wieder zurück und sagte: »Herr Freimann läßt bitten!«
Er ließ den Lieutenant eintreten und that so, als ob er sich zurückziehen wolle, blieb aber auf einen Wink Freimanns an der Thür stehen.
Die beiden Herren verbeugten sich. Freimann bot dem Officier einen Stuhl an und sagte dann:
»Nehmen Sie Platz, Herr Lieutenant, und haben sie die Güte, mir vorher noch einen Augenblick Zeit zu geben. Es handelt sich um einige wichtige Entschließungen, welche ich augenblicklich zu treffen habe, um sie dem Telegraphen zu übermitteln.«
Der Angeredete verneigte sich zustimmend und nahm dann Platz.
»Kommen Sie her!« gebot Freimann dem Schreiber.
Dieser nahm einige Briefe vom Nebentische, trat hinzu, öffnete den ersten und sagte:
»Anfrage von Burton in New-Orleans wegen Tabak.«
»Wie hoch?«
»Hundervierzigtausend Gulden.«
»Hm! Das ist sehr viel. Aber –«
»Meine bescheidene Meinung geht dahin, ihn fest zu machen.«
»Denken Sie?«
»Ja. Die nächste Ernte kann unmöglich wieder so gut ausfallen, wie die letzte. Der Preis muß steigen.«
»Gut! Telegraphiren Sie also, daß ich behalte. Weiter!«
Der Schreiber öffnete einen Brief nach dem anderen.
»Miloro in Bahia, Kaffee,« sagte er.
»Wie viel?«
»Sechzigtausend Centner.«
»Auf Speicherpack nehme ich ihn.«
»Soll ich notiren?«
»Ja. Weiter!«
»Westindien: Zucker und Rum.«
»Wird behalten.«
»Wisby, wegen Thran.«
»Kaufe ich.«
»Alexandria, Reis und Weizen.«
»Den darf ich nicht weglassen.«
So ging es eine ganze Weile fort. Dem Officier begann es fast ängstlich zu werden. Dieser Freimann machte Bestellungen für viele Millionen, und er that dies in einer Weise, als ob es sich nur um Kreuzer handele. Endlich war der letzte Brief erledigt, und der Schreiber entfernte sich. Der Chef wendete sich nun zu Scharfenberg.
»Entschuldigung, daß ich Sie warten ließ! Aber Sie werden bemerkt haben, daß es sich wirklich nur um sehr Wichtiges handelte. Womit kann ich dienen?«
»Ich ließ Ihnen bereits sagen, daß –«
»Ach ja – ein Wechsel! Wie hoch?«
»Zweitausend Gulden.«
Er sagte dies nur halblaut. Fast schämte er sich, ein so unbedeutendes Sümmchen von einem Manne zu verlangen, welcher in dieser Weise mit Millionen um sich warf. Freimann nickte leichthin, griff nach einem Verzeichnisse, warf einen raschen Blick darauf und sagte: »Wirklich einen Wechsel?«
»Ja.«
»Ich habe heute bereits vier eingelößt, und fünf sind nicht verzeichnet. Da muß ein Irrthum stattfinden.«
»Verzeihung! Es ist ein Papier auf Sicht.«
»Ach so! Bitte, zeigen Sie!«
Er nahm das Accept in Empfang, betrachtete es, schüttelte den Kopf und fragte:
»Dieses Geld wollen Sie haben?«
»Ja.«
»Mit welchem Rechte?«
»Ich habe es in Zahlung empfangen.«
»Hm! Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Lieutenant, aber Sie sind wohl kein Freund von geschäftlichen Manipulationen?«
»Ich gestehe allerdings aufrichtig, daß –«
Er stockte. Er begann, Besorgniß zu hegen, daß Freimann das Papier aus irgend einem Grunde nicht honoriren werde. Dieser nickte lächelnd und meinte: »Das dachte ich mir. Der Wechsel ist zwar ganz richtig an Sie übertragen, denn hier steht ›Für mich an die Ordre des Herrn Lieutenant von Scharfenberg‹; aber Ihren Namen haben Sie noch nicht eingetragen.«
»Ah so!« sagte Scharfenberg im Tone der Erleichterung. »Das werde ich sofort nachholen! Erlauben Sie mir die Feder!«
Er setzte seinen Namen hin und sagte dann:
»So, nun ist das Hinderniß beseitigt!«
»Dieses, ja!«
»Wie? Sollte es ein zweites geben?«
»Allerdings,« meinte Freimann unter einem überlegenen Lächeln.
»Welches?«
»Aber, bitte, Herr Lieutenant, haben Sie denn das Papier nicht gelesen, bevor Sie es in Zahlung nahmen?«
»Oberflächlich, ja.«
»Oberflächlich? Nehmen Sie mir es nicht übel; aber wenn es sich um zweitausend Gulden handelt, so sieht man doch ein Wenig genauer hin! Selbst ich, der ich über bedeutende Mittel verfüge, wie Sie wohl bemerkt haben, pflege in dieser Beziehung höchst sorgsam zu sein.«
Jetzt wurde es dem Lieutenant abermals angst.
»Sollte der Wechsel vielleicht einen Fehler haben?« fragte er.
»Nein. Darüber kann ich Sie beruhigen; aber – hm! Vielleicht habe ich Sie um Verzeihung zu bitten, weil ich kein Recht hatte, das Wort Sorgsamkeit zu erwähnen. Vielleicht habe ich Sie nur falsch verstanden. Sie wissen natürlich, daß ich der Acceptant dieses Papieres bin?«
»Ja, natürlich!«
»Und Sie wünschen, daß ich es einlöse?«
»Ja.«
»Also wirklich, ich habe Sie nicht falsch verstanden? Ich soll den Wechsel einlösen, nicht aber discontiren?«
»So meine ich es.«
»Aber, mein bester Herr Lieutenant, das habe ich ja ganz und gar nicht nöthig!«
»Nicht? Donnerwetter! Wieso? Er ist ja auf Sicht gestellt, Herr Freimann?«
»Ja, auf Sicht gestellt, aber nicht nach Sicht zu zahlen. Jetzt sehe ich allerdings, daß Sie die Worte nur oberflächlich betrachtet haben. Bitte, sehen Sie her!«
Der Lieutenant las zu seinem Erstaunen:
»Drei Monate nach Sicht zahlen Sie an die Ordre – –«
»Himmeldonnerwetter!« fluchte er.
»Hm! Ja!« meinte Freimann. »Unangenehm allerdings, aber doch kaum abzuändern. Sie können mir den Zinsenverlust nicht zumuthen. Bitte, kommen Sie in einem Vierteljahre wieder, Herr Lieutenant.«
Er gab den Wechsel zurück. Scharfenberg drehte denselben sehr verlegen in den Händen herum. Erstens war er blamirt, und zweitens hätte er doch gar zu gern das Geld gehabt. Lieber wollte er seinerseits auf die Zinsen verzichten.
»Ich sehe ein,« sagte er, »daß Sie allerdings nicht verpflichtet sind, Ihr Accept einzulösen; aber, bitte, würden Sie es vielleicht discontiren?«
»Hm! Sie haben gehört, welche Bestellungen ich mache. Ich brauche mein Geld selbst nothwendig. Baargeld zieht man nicht ohne Noth aus dem Geschäfte, selbst wenn es sich nur um zweitausend Gulden handelt. So klein dieser Betrag ist, ich kann mir mit ihm in drei Monaten Vortheile verschaffen, welche jedenfalls nicht unansehnlich sind.«
»Ich will Sie ja gern entschädigen.«
»So! Hm! Brauchen Sie das Geld so nothwendig?«
»Zur Noth allerdings nicht; aber lieb wäre es mir doch, wenn ich es haben könnte.«
»Nun, wie viele Procente denken Sie sich denn?«
»Vielleicht die landesläufigen sechs?«
»Ist Sechs wirklich landläufig?«
Er sah ihn dabei mit blinzelndem Auge von der Seite an, als ob er zu ihm sagen wolle:
»Ihr Herren Offiziere pflegt ja viel, viel mehr zu geben, Hundert und auch da noch mehr.«
»Wird acht Procent genügen?« fragte der Lieutenant.
»Hm, ich will nicht wucherisch sein. Sechs ist genug. Aber wenn Sie klingende Münze haben wollen, so kann ich nicht dienen.«
»Ich würde mich auch mit anderen Objecten begnügen, wenn sie sich nur leicht verwerthen lassen.«
»Leicht, sehr leicht – zum Tagescurse. Ich habe mir nämlich eine Anzahl Chilenen zugelegt, weil ich weiß, daß sie emporgehen werden. Ich gebe sie natürlich nicht gern aus, denn es ist Etwas daran zu verdienen; aber ich möchte Ihnen nicht gern als ungefällig erscheinen.«
»O bitte!«
»Nehmen Sie überhaupt Chilenen?«
»Ja, sehr gern!«
»Gut! Ich werde nachschlagen, wie sie heute notirt worden sind.«
»Hundertzehn!«
»Wissen Sie das genau?«
»Ich habe bereits welche in Zahlung genommen.«
»So! Dann müssen Sie es allerdings wissen, weil Sie sich da überzeugt haben werden. Also machen wir das kleine Geschäft ab. Sechs Procent –«
»Macht dreißig Gulden pro drei Monate.«
»Schön! Die gehen von den zweitausend ab. Gebe ich ihnen nur achtzehn Chilenen, nach dem Curse zu hundertzehn, so erhalte ich von ihnen zehn Gulden zurück.«
»Es stimmt.«
»Haben Sie nachgerechnet?«
»Ja. Hier ist der Wechsel. Danke!«
»Bitte! Sie werden natürlich die Chilenen sofort verkaufen wollen?«
»Ja. Ich ziehe denn doch das Baargeld vor.«
»Warten Sie lieber noch einige Tage. Sie werden ganz außerordentlich in die Höhe gehen.«
»Will es mir überlegen! Adieu, Herr Freimann!«
»Adieu!«
Kaum hatte der Schreiber hinter dem Lieutenant wieder zugeschlossen, so eilte er zu seinem Chef.
»Ist er draufgesprungen?« fragte er erwartungsvoll.
»Ja.«
»Gott sei Dank!«
»Hm! Dankt man Gott für das Gelingen eines solchen Streiches?«
»So sei meinetwegen dem Teufel Dank! Ich habe nun doch wenigstens Aussicht, mich wieder einmal satt essen zu können! Wieviel beträgt es?«
»Ich will ehrlich sein. Er hat mir für achtzehn Chilenen zweitausendundzehn Gulden gegeben, macht also für diesen Salomon Levi eigentlich einen Gewinn von vierzehnhundertsiebzig Gulden. Aber er bekommt sie nicht ganz. Wir verdienen dreihundert. Davon gebe ich Dir hundert. Bist Du damit zufrieden?«
»Ja, vorausgesetzt, daß ich sie gleich erhalte.«
»Unsinn! Ich habe ja selbst kein Geld als nur die zehn Gulden, welche er mir herausgegeben hat. Aber ich werde sofort zu dem Juden gehen und mir meinen Lohn holen!« – –Scharfenberg war fest überzeugt, ein sehr gutes Geschäft gemacht zu haben. Daß er von Freimann auch nur südamerikanische Papiere erhalten hatte, fiel ihm gar nicht auf; es war ihm gar nicht unlieb, denn er wußte, daß er sie zu jeder Stunde für hundertzehn losschlagen könne.
So kam er in sehr guter Laune nach Hause. Er fand den Freund vor, welcher sich bereits eingestellt hatte, da mittlerweile die Dämmerung hereingebrochen war.
»Schon wieder nach Hause oder erst wieder?« fragte dieser.
»Erst.«
»Dann warest Du sehr lange.«
»Solche Geschäfte brauchen Zeit.«
»Wenn sie nur gelingen.«
»Es ist gelungen.«
»Sage es deutlich und aufrichtig, Alter! Du hast Geld erhalten, wirklich Geld?«
»Ja.«
»Es reicht zu.«
»Na, ich will nicht in diese zarten Geheimnisse dringen, aber – kannst Du mir für heute aushelfen?«
»Mit wieviel?«
»Dreihundert Gulden.«
»Sapperment! Der Mensch wächst mit seinen Bedürfnissen!«
»Wieso?«
»Sprachst Du nicht vorher von nur hundert Gulden?«
»Ja, mein Lieber! Es hat sich aber unterdessen herausgestellt, daß ich mit Hundert nicht ausreiche.«
»Na, da wollen wir Zweihundert sagen?«
»Bitte, bitte! Dreihundert! Du wirst doch Deinen besten Freund nicht im Stiche lassen!«
»Wenn Du denkst! Hier hast Du sie!«
Er zählte ihm die Summe ab und legte sie auf den Tisch. Der Andere betrachtete das Geld mit leuchtenden Augen, faßte den Lieutenant an beiden Armen und rief: »Weiß Gott, er giebt mir dreihundert Gulden! Mensch, Scharfenberg, Du mußt reichlich eingeerntet haben!«
Das schmeichelte dem leichtsinnigen Lieutenant.
»Ja,« sagte er, »ich kann zufrieden sein.«
»So ist heute der Stern des Glückes an Deinem Himmel aufgegangen! Bruno, heute mußt Du spielen!«
»Aber wie! Nicht aus der Westentasche! Sei aufrichtig! Wieviel hast Du?«
»Na, Du sollst es wissen. Zehntausend Gulden.«
»Zehn – zehn – heiliger Sebastian! Natürlich willst Du mich nur foppen!«
»Fällt mir nicht ein!«
»Also wirklich die Wahrheit? Auf Ehre?«
»Ja. Auf Ehre!«
»Es ist unglaublich; es ist wunderbar; es ist grandios!«
»Na, wenn es Dir gar so miraculös vorkommt, da sieh doch einmal her! Hier, fast drei Tausend in Cassenscheinen, und hier das Andere in famosen Papieren.«
»Was für Papiere?«
»Südamerika, Chile!«
»Verteufelt! Die sollen ja sehr hoch stehen!«
»Hundertzehn!«
»Glückspilz! Heute ist Dein Tag! Heute sucht Dich Fortuna mit tausend Augen. Heute mußt Du spielen! Heute mußt Du die Bank legen, Bruno!«
»Meinst Du wirklich?«
»Ja. Mit dem Glücke ist es gerade wie mit dem Teufel! Wenn es einmal leise lächelt, so beginnt es bald laut zu lachen.«
»Angelacht hat es mich; das ist wahr. Warte, ich werde mir den Spaß machen, diese Chilenen einzupacken und mit ihnen im Couvert zu bezahlen. Willst Du helfen?«
»Mache es selbst, lieber Bruno! Das Einpacken ist eine Arbeit, zu welcher ich nicht die mindeste Befähigung habe. Also man darf Dich heute im Casino erwarten?«
»Ja.«
»Gut! Ich weiß, daß ich bei Deinem heutigen Glück die dreihundert Gulden wieder an Dich verlieren werde; aber ich gönne sie Dir gern. Du bist ja eine alte, gute Seele!«
Draußen aber, als er das Haus verlassen hatte, brummte er vergnügt vor sich hin:
»Zehntausend Gulden! Dieser Schönlein, von dem er sie hat, muß geradezu übergeschnappt sein! Aber mir ist es lieb. Wir werden ihn an-und auszapfen! Er soll heute ohne Geld nach Hause gehen müssen, dafür stehe ich!« – –Der Fürst von Befour hatte sich nach dem Bezirksgericht begeben, um dem Gerichtsrath mitzutheilen, daß Laura Werner sich nun in Freiheit befinde. Diese Angelegenheit war sehr bald erledigt, und der Fürst erhob sich, als ob er Abschied nehmen wolle; aber sein Gesicht hatte einen so pfiffig vielsagenden Ausdruck, daß der Beamte fragte: »Durchlaucht haben noch Etwas auf dem Herzen?«
»Ja, allerdings.«
»Darf ich erfahren, was es ist?«
»Ich glaube, Sie bereits zu lange belästigt zu haben.«
»Für Sie habe ich stets Zeit.«
»Schön! Es handelt sich abermals um die Entdeckung eines Verbrechens, Herr Gerichtsdirector.«
»Und Sie wollen es entdecken?«
»Habe schon!«
»Sapristi! Sie scheinen auf irgend eine bisher noch unaufgeklärte Weise allwissend geworden zu sein!«
»Ich wollte, es wäre so!«
»Nun, darf ich erfahren, welches Verbrechen Sie meinen?«
»Gewiß! Sie kennen wohl den Baron von Helfenstein?«
»Ja.«
»Vielleicht auch seine Frau?«
»Ja; eine ebenso schöne, wie kokette Dame. Sie soll übrigens früher Kammerzofe gewesen sein!«
»Das ist die Wahrheit. Sie wurde geisteskrank, wie man erfuhr.«
»Ja. Der Baron internirte sie in das Privatirreninstitut des bekannten Doctor Mars in Rollenburg, wo sie aber plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden sein soll.«
»Glauben Sie an dieses Verschwinden, Herr Gerichtsrath?«
»Hm! Man weiß da wirklich nicht, wie man zu denken hat.«
»Es könnte ja doch wahr sein!«
»Möglich! Aber eine in vollständige Lähmung verfallene Patientin entflieht nicht!«
»Also gelähmt war sie nur?« fragte der Fürst. »Ich hörte, sie sei wahnsinnig geworden.«
»Es war Geisteskrankheit. Infolge ihres Verschwindens war die Polizei natürlich gezwungen, sich mit diesem Falle zu beschäftigen. So hat man erfahren, daß sie sich nicht bewegen konnte. Es scheint also hier nicht eine freiwillige Flucht, sondern vielmehr ein Raub vorzuliegen.«
»Hat man keine Spur gefunden?«
»Nein, nicht die geringste.«
»Nun, ich will Ihnen im Vertrauen sagen, daß ich eine sehr deutliche Spur entdeckt habe.«
»Was Sie da sagen!«
»Die Wahrheit.«
»Und wohin führt die Spur?«
»Nach der Residenz.«
»Sie meinen, daß sie wirklich geraubt wurde?«
»Ja, ganz gewiß.«
Der Gerichtsrath stand von seinem Sitze auf, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sagte:
»Das ist ein großartiger Fall, ebenso eclatant, ja, noch viel eclatanter, als der Rechtsfall ›Leda‹. Sie scheinen die Absicht zu haben, eine polizeiliche Eruption, ein strafrechtliches Erdbeben hervorzurufen!«
»Sie sagen das scherzend; ich aber bemerke sehr im Ernste, daß dies allerdings meine Absicht ist.«
»Dann bitte, theilen Sie mir schnell Etwas über die Spur mit, welche gefunden worden ist! Wer hat sie entdeckt?«
»Ich selbst.«
»Ah! Wo?«
»In Rollenburg.«
»Wer soll der Schuldige sein?«
»Der Assistenzarzt.«
»Dieser Doctor Zander etwa?«
»Ja, derselbe.«
»Aber dieser junge Mann macht wirklich einen ganz entgegengesetzten Eindruck. Er hat sich bereits einen Namen erworben. Er wird sich doch nicht durch eine solche That unglücklich machen wollen!«
»Im Gegentheile, glücklich!«
»Wie? Was?«
»Glücklich, sage ich. Er hat es mit der Frau Baronin von Helfenstein nicht etwa bös, sondern vielmehr sehr gut gemeint«
»Sie befand sich in großer Gefahr. Sie war nicht krank.«
»Nicht? Was denn?«
»Nur betäubt. Es gab Leute, welche ihren Tod wünschten. Sie sollte entweder geistig oder wirklich sterben. Der junge Arzt errieth dies; er machte kurzen Prozeß; er entführte die Kranke und brachte sie in Sicherheit.«
»Sie sehen mich starr und steif!«
»Soll ich nach diesem Arzt senden?«
»Etwa, daß er mich auch entführe. Aber, wer hat denn ihren Tod gewünscht? Wer hat sie betäubt?«
»Davon später. Jetzt kann ich solche Nebenfragen nicht beantworten. Ich habe keine Zeit dazu.«
»Nebenfragen! Erlauben Sie, Durchlaucht! Wer der Schuldige ist, das ist doch jedenfalls die Hauptfrage.«
»Möglich! Ich aber denke jetzt an noch ganz andere Verbrecher und Verbrechen. Haben Sie vielleicht einmal von dem Waldkönig gehört, Herr Gerichtsrath?«
»Von dem Wald-oder Pascherkönig? Wer hätte denn von dem nicht gehört, Durchlaucht?«
»Haben Sie sich von diesem Menschen vielleicht irgendeine Ansicht gebildet?«
»Aufrichtig gestanden, nein.«
»Ich dächte, dieser Mann wäre bedeutend genug, daß man Veranlassung hätte, über ihn nachzudenken.«
»Ich erinnere, daß ich Vollzugsbeamter bin. Ich habe den Verbrecher zu verurtheilen, nicht aber zu fangen.«
»Das ist richtig! Aber ich meine doch, daß Sie sehr schnell zugreifen würden, wenn Sie Gelegenheit hätten, ihn zu fangen.«
»Natürlich! Habe ich doch die Leda und die Riesin auch mit ergriffen, aber diese Gelegenheit wird mir doch wohl nicht zu Theil werden. Ich komme nicht hinauf in das Gebirge und an die Grenze, wo der Pascherkönig sein Wesen treibt.«
»Pah! Er ist nicht da oben!«
»Nicht? Wo denn?«
»Hier in der Residenz.«
»Durchlaucht, Sie sind wahrhaftig allwissend!«
»O nein, ich habe nur offene Augen!«
»Kennen Sie ihn?«
»Ja.«
»Aber warum läuft er da noch frei herum?«
»Weil ich noch Beweise zu sammeln hatte. Ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich wünsche, Sie mit in diese Angelegenheit zu verflechten, Herr Gerichtsrath.«
»Warum?«
»Darf ich aufrichtig sein?«
»Ich möchte Ihnen die Gelegenheit geben, sich zu rehabilitiren.«
Der Beamte nickte leise vor sich hin.
»Ich verstehe Sie,« sagte er »Jene Laura Werner ist unter meinem Präsidium unschuldig verurtheilt worden. Ich muß mir Mühe geben, diese Scharte auszuwetzen. Ich habe bereits gesonnen und gesonnen, um eine Gelegenheit zu entdecken, leider aber vergebens.«
»Nun, die Gelegenheit ist da’«
»Meinen Sie etwa in Beziehung des Waldkönigs?«
»Ja.«
»Daß ich ihn aufspüren soll?«
»Ja.«
»Mein Gott, das wäre allerdings ein Glück, ein sehr großes Glück für mich, Durchlaucht!«
»Hm! Ich werde dieses Glück sogar noch vergrößern.«
»Wieso?«
»Indem ich Ihnen Gelegenheit gebe, einen noch viel, viel größeren Verbrecher zu entdecken und zu ergreifen.«
»Sie bringen mich in das größte Erstaunen! Wen meinen Sie?«
»Nun, wer ist ein noch größerer Verbrecher als der Waldkönig?«
»So kann nur der ›Hauptmann‹ gemeint sein!«
»Den meine ich allerdings.«
Da faßte der Gerichtsrath den Fürsten beim Arme und sagte:
»Dann müßte ich ja erfahren, wo er sich befindet!«
»Natürlich!«
»Aber von wem denn?«
»Von mir.«
»Bei allen Göttern, Sie sind allwissend!«
Er schlug die Hände zusammen und maß den Fürsten mit dem Blicke des allergrößten Erstaunens.
»Nicht allwissend bin ich,« sagte der Fürst lächelnd. »Ich habe aber eine gute Divinationsgabe und die Gewohnheit, die Augen offenzuhalten.«
»Schön! Gut! Und das Ergebniß Ihrer Beobachtungen und Ihres Scharfsinnes wollen Sie mir preisgeben?«
»Warum nicht? Was nützt mir der Ruhm, einen Verbrecher dingfest gemacht zu haben? Ich bin nicht Beamter.«
»So soll ich die Früchte einheimsen?«
»Ja. Ich biete Ihnen sogar noch mehr.«
»Wirklich? Was noch?«
»Sie sollen Den entdecken, den hier noch Niemand kennt, obgleich er ebenso berühmt, wie der Hauptmann berüchtigt ist.«
»Meinen Sie etwa den Fürsten des Elendes?«
Da klopfte der Gerichtsrath ihm auf die Schulter und sagte:
»Der ist bereits entdeckt, Durchlaucht!«
»Von wem?«
»Von mir.«
»Sie machen mich gespannt! Wer ist es?«
»Na, der Fürst des Elendes ist vor einiger Zeit droben an der Grenze gewesen. Haben Sie vielleicht davon gehört?«
»Ja.«
»Er hat sehr viel Gutes gethan und unter Anderem auch den Pascherkönig fangen wollen. Einen Fehler aber hat er doch begangen, und zwar einen sehr großen.«
»Welchen? Daß er den Waldkönig nicht gefangen hat?«
»Nein, sondern daß er sich legitimirt hat.«
»Ach so! Mit einer Polizeimedaille?«
»Das ginge noch. Aber er hat auch einige Male eine Karte vorgezeigt, welche die Unterschrift des Ministers trug.«
»Gerade so wie die meinige?«
»Gerade so.«
»Sapperlot! So kann ich in den Verdacht kommen, der Fürst des Elendes zu sein!«
»O, Sie kommen nicht in diesen Verdacht, sondern Sie stecken bereits bis über die Ohren d’rin!«
»Bitte, ziehen Sie mich heraus!«
»Fällt mir gar nicht ein. Uebrigens können Sie ja versichert sein, daß alle Diejenigen, welche von der Karte wissen, das tiefste Stillschweigen bewahren werden. Man ist wirklich im hohen Grade über Ihren polizeilichen Scharfsinn erstaunt gewesen. In Folge Ihrer Erlebnisse da droben im Gebirge wurden Sie von dem Landesobergensd’arm gelegentlich einmal der zweite Brandt genannt.«
»Brandt? Wer ist das?«
»Er war ein junger, außerordentlich hoffnungsvoller Polizeibeamter, der leider das Unglück hatte, selbst Verbrecher zu werden.«
»O weh! Und mit diesem Menschen vergleicht man mich!«
»Bitte! Brandt war trotz seiner Jugend ein höchst tüchtiger Polizist. Er hat während der kurzen Zeit seiner Amtsdauer sehr viel geleistet, so daß er bald in Aller Munde war. Und was sein Verbrechen betrifft, so – – –«
Er unterbrach sich und wurde ein Wenig verlegen.
»Bitte, weiter!« sagte der Fürst.
»Nun, es gab damals Leute, welche ihn für unschuldig hielten.«
»Wessen sollte er schuldig sein?«
»Des Mordes, sogar des zweifachen Mordes.«
»Vielleicht. Er wurde zum Tode verurtheilt und verzichtete auf den Anruf der königlichen Gnade.«
»Das ist doch wohl ein Zeichen, daß er unschuldig war.«
»Hm! Warum entfloh er dann?«
»O weh! Er ist entflohen?«
»Ja.«
»Wohin?«
»Wer weiß es? Wenn man es wußte, würde man ihn ja sehr bald zurückgebracht haben. Ich interessire mich für diesen Fall noch heute im höchsten Grade.«
»Das läßt sich denken!«
Der Gerichtsrath warf schnell den Kopf empor und fragte:
»Wie? Das läßt sich denken und warum?«
»Sie waren damals noch jung im Amte und – –«
»Es ist aber zwanzig Jahre her!« fiel der Rath ein.
»Und hatten bei der Verhandlung, in welcher jener Brandt verurtheilt wurde, das Protokoll zu führen.«
»Wie! Das wissen Sie?«
»Ja.«
»Auch das! Durchlaucht, ich wiederhole nun zum zehnten Male, daß Sie wirklich, wirklich allwissend sind!«
»O, das ist ja nur Zufall.«
»Daran, nämlich an Zufall, möchte man bei Ihnen fast nicht glauben.«
»Glauben Sie es immerhin. Ich traf nämlich ganz zufällig kürzlich mit Brandt’s Vater zusammen und – – –«
»Lebt denn der noch?« unterbrach ihn der Beamte.
»Sein Vater und seine Mutter, Beide leben noch. Der alte Mann erzählte mir von jener Geschichte. Dabei wurde Ihr Name als der des Protokollanten genannt; ich erkundigte mich weiter, und so erfuhr ich, daß der Protokollführer inzwischen Gerichtsrath und Director des Bezirksgerichts geworden sei.«
»Das ist allerdings Zufall.«
»Da ich mich nun für den Fall ›Brandt‹, wie der Polizist und Jurist sich auszudrücken pflegt, zu interessiren begann, so war es natürlich, daß ich auch an Sie dachte. Und so war es mir recht lieb, daß der Fall ›Leda‹ mich mit Ihnen zusammenführte.«
»Sehr verbunden,« sagte der Gerichtsrath, indem er sich verneigte. »Aber bitte, wo trafen Sie den alten Brandt?«
»Hier in der Residenz.«
»Lebt er vielleicht hier?«
»Ja, er ist pensionirt worden.«
»Können Sie mir seine Wohnung angeben?«
»Sehr genau: Siegesstraße Nummer Zehn. Wollen Sie vielleicht mit dem alten Manne sprechen?«
»Ja. Ich will Ihnen sehr aufrichtig gestehen, daß ich nie so recht an die Schuld seines Sohnes geglaubt habe.«
»Directe nicht. Aber ein Polizist, wie er, mordet nicht. Er trat auch nicht auf wie Einer, der sich einer so fürchterlichen Schuld bewußt ist, und gerade die Zeugen, deren Aussagen für ihn verderblich wurden, machten auf mich einen Eindruck, den ich keinen guten nennen kann.«
»Wer waren die Zeugen?«
»Die Hauptzeugen waren der Baron Franz von Helfenstein und eben jene Zofe Ella, welche später die Frau des Ersteren wurde. Dieser Umstand hat mir immer viel zu denken gegeben.«
»Wieso?«
»Es hatte fast den Anschein, als habe er sie nur aus erzwungener Dankbarkeit geheirathet. Uebrigens stand die Sache so, daß – – na, das würde denn doch vielleicht zu kühn gesagt sein.«
»O bitte, sprechen Sie weiter! Wir sind ja allein.«
»Gut! Brandt klagte nämlich den Baron des Mordes an, dessen er überführt wurde. Beide waren gegeneinander, und später wurde es mir völlig klar, daß Derjenige von ihnen, auf den die Anklage zuerst fiel, auch schuldig sein mußte. Uebrigens schienen gegen Brandt die Umstände sich geradezu verschworen zu haben. Ich muß wirklich seinen Vater einmal aufsuchen, um einen jetzt unbeeinflußten Blick in die Vergangenheit zu thun.«
»Hm! Es müßte Ihnen unlieb sein, zu erfahren, daß Brandt unschuldig gewesen ist!«
»Warum das?«
»Weil Sie auch zu seinen Richtern gehörten.«
»Ja, Sie haben Recht. Doch kann ich mich beruhigen. Wir haben die Schuldfrage gestellt und sie wurde mit Ja beantwortet. Ich hatte nur das Protokoll zu führen, bin also eigentlich am Richteramte selbst nicht betheiligt gewesen. Ich möchte wissen, ob er noch lebt.«
»Vielleicht.«
»Ah! Haben Sie ein begründete Vermuthung?«
»Vermuthung? Nein. Er war nicht alt; zwanzig Jahre sind unterdessen vergangen; da kann er noch recht gut leben. Erinnern Sie sich nicht einer anderen Zeugin, deren Aussage eigentlich für ihn am Verderblichsten wurde?«
»Sie meinen die Baronesse Alma von Helfenstein?«
»Ja.«
»Sehr gut erinnere ich mich ihrer. Sie zeugte gegen ihn, obgleich ihr darob das Herz brechen wollte. Sie bringen mich da auf einen Gedanken. Könnte ich mit ihr sprechen, so wäre es vielleicht möglich, einen Punkt zu finden, auf welchem Fuß zu fassen ist.«
»Warum sollen Sie nicht mit ihr sprechen können?«
»Ich habe mir sagen lassen, daß sie sehr eingezogen lebt und fast unnahbar ist. Sie tragt noch heute das Trauerkleid, welches sie damals angelegt hat.«
»Soll ich vielleicht Ihre Bekanntschaft vermitteln?«
»Durchlaucht kennen die Baronesse?«
»Ja.«
»Dann gestehe ich, daß es mir außerordentlich lieb sein würde, ihr vorgestellt zu werden.«
»Wann, Herr Gerichtsrath?«
»Nun, baldigst.«
»Vielleicht heute schon?«
»Das würde sich doch wohl nicht leicht machen lassen.«
»Sehr leicht sogar. Wollen Sie die Güte haben, mich am Abende, vielleicht acht Uhr, zu besuchen?«
»Sie haben die Absicht, mich zur Baronesse zu führen?«
»Nein. Diese Dame wird bei mir speisen.«
»Schön, sehr schön. Ich nehme Ihre Einladung mit herzlicher Dankbarkeit an. Darf ich mich vielleicht erkundigen, ob noch andere Herrschaften anwesend sein werden?«
»Ja. Nämlich erstens der Arzt, von dem wir vorhin sprachen.«
»Von dem Sie sagen, daß er die Baronin von Helfenstein geraubt habe?«
»Wollen Sie mich, den Gerichtsrath, mit einem Manne zusammenbringen, welcher in dieser Weise gegen einen hervorragenden Paragraphen des Strafgesetzes gesündigt hat!«
»Keine Sorge! Ich weiß, was ich thue. Ich will Ihnen zu Ihrer Beruhigung gestehen, daß er nur mitschuldig ist. Der eigentliche Thäter aber bin – – ich.«
Der Gerichtsrath fuhr, fast erschrocken, zurück.
»Sie? Sie?« fragte er.
»Ja. Meine Gründe werden Sie heute Abend erfahren. Also weiter. Sie werden ferner außer der Baronesse bei mir finden die Eltern Brandt’s und den Herrn Assessor von Schubert.«
»Auch der ist geladen!«
»Noch nicht. Aber ich bitte, ihn zu benachrichtigen, daß ich mich freuen würde, ihn mit Ihnen kommen zu sehen. Er soll nämlich mit Ihnen einen großen Verbrecher entdecken.«
»Welchen Verbrecher?«
»Den Mörder des Barons Otto von Helfenstein und des Hauptmanns von Hellenbach.«
Der Gerichtsrath fuhr abermals vor Ueberraschung zurück, so daß er jetzt an die Wand stieß.
»Sie sagen ja Unglaubliches!« stieß er hervor.
»Ich rede nur die Wahrheit.«
»Aber diese Wahrheit grenzt an das Wunderbare!«
»Bleibt aber trotzdem Wirklichkeit!«
»Wen soll ich denn da Alles entdecken!«
»Alle, die ich genannt habe.«
»Also den Pascherkönig, den Hauptmann, den Thäter eines Mordes, welcher vor einundzwanzig Jahren begangen wurde – – unglaublich, unglaublich!«
»Bitte, behalten wir unsere Fassung! Sie wollten wissen, wen Sie heute bei mir sehen werden. Sie werden endlich noch Alle sehen, welche damals bei Brandt’s Verurtheilung in irgendeiner amtlichen Weise thätig waren.«
Jetzt öffnete der Gerichtsrath wirklich den Mund, so erstaunt, ja fast bestürzt war er.
»In Wirklichkeit?« fragte er.
»Ja, natürlich.«
»Aber, Durchlaucht, ich darf doch sagen, daß eine solche Zusammenkunft, eine so ungewöhnliche, außerordentliche Veranstaltung auf ganz eigenthümliche und ebenso gewisse Gründe und Absichten schließen läßt.«
»Allerdings, Herr Gerichtsrath.«
»Bitte, bitte, nennen Sie mir diese Absichten!«
»Ich habe Ihnen bereits eine, die einzige genannt: Wir wollen uns ein wenig über jene früheren Zeiten unterhalten.«
»Nein, das ist es nicht. Unterhalten? Das ist zu allgemein. Sie haben etwas Besonderes, Bestimmteres vor.«
»Ich will Ihnen den Gefallen thun, dies einzugestehen. Uebrigens aber ersuche ich Sie, Geduld zu haben.«
»Noch eins: Wissen die erwähnten Herren, daß sie wegen Brandt zu Ihnen kommen sollen?«
»Nein?«
»Weiß Einer von dem Anderen, daß sie sich bei Ihnen treffen werden, Durchlaucht?«
»Auch nicht. Also kommen Sie um acht Uhr und bringen Sie den Herrn Assessor von Schubert mit.«
»Ich werde bis dahin keine Ruhe haben. Das will ich Ihnen aufrichtig gestehen.«
Der Fürst ging. Er nahm eine Droschke und ließ sich nach der Wohnung Alma’s von Helfenstein fahren. Im Vorzimmer fand er Magda Weber, welche ja seit ihrer Errettung aus dem Hause der Melitta in Rollenburg im Dienste der Baronesse stand. Sie theilte ihm mit, daß ihre Herrin zum Oberst von Hellenbach auf Besuch gefahren sei. In Folge dessen blieb ihm nichts übrig, als sich ebenfalls dorthin zu begeben.
Er fand nur Familienzirkel vor und wurde mit herzlicher Freude empfangen. Die bleichen Wangen der Baronesse Alma rötheten sich, als sie ihn erblickte. Der Oberst streckte ihm in seiner biederen Weise die Hand entgegen und sagte: »Willkommen, Durchlaucht! Wissen Sie, daß wir Ihretwegen uns in großer Sorge befunden haben?«
»Das thut mir leid, wirklich leid!«
»Und doch sind Sie selbst schuld daran. Sie lassen sich nicht sehen und wenn nicht Herr Bertram zuweilen käme, um uns zu sagen, daß Sie noch leben, so hätten wir längst denken müssen, daß Sie zu Ihren Vätern versammelt worden seien.«
»Dann verzeihen Sie! Also Robert kommt oft, wie ich jetzt höre, Herr Oberst?«
»Ja. Seit neuerer Zeit hat er begonnen, mit unserer Fanny zu musiciren. Dieser junge Mann ist von der Natur sehr reich ausgestattet. Immer neue Talente entdeckt man an ihm. Jetzt singt er wie ein Kammervirtuos. Darf ich Durchlaucht vielleicht einladen, mit uns zu soupiren?«
»Ich danke! Für die Zeit des Soupers bin ich beschäftigt.«
»Ah, pah! Fräulein von Helfenstein hat auch zugesagt.«
»Und doch komme ich nur in der Absicht, gerade diese Dame Ihnen zu entführen.«
»O weh! Ich hoffe, daß sie sich nicht entführen läßt!«
»Und ich hoffe das grade Gegentheil. Gnädige Baronesse, darf ich annehmen, daß meine Bitte Erhörung findet?«
Diese Frage war an Alma gerichtet. Ihr Auge richtete sich forschend auf ihn und sie fragte: »Vielleicht darf ich vorher erfahren, wohin ich eigentlich entführt werden soll.«
»Zu mir.«
Diese Antwort brachte Aufsehen hervor. Noch Niemand war bei dem Fürsten gewesen, von dessen glanzvoller Einrichtung man sich so Außerordentliches erzählte.
»Zu Ihnen selbst?« sagte der Oberst. »Ah, Fräulein von Helfenstein, da dürfen wir Sie freilich nicht zurückhalten. Sie haben Kunstgenüsse zu erwarten, um welche wir Alle Sie sehr, sehr beneiden.«
Der Fürst schüttelte sehr ernst den Kopf und bemerkte:
»Von Genüssen wird wohl kaum die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um etwas sehr –«
Er hielt inne, blickte nachdenklich im Kreise umher und fuhr dann fort:
»Da kommt mir allerdings ein Gedanke. Wollen Sie uns vielleicht begleiten, Herr von Hellenbach?«
»Ich, ich?« fragte dieser erstaunt.
»Ja.«
»Sapperlot! Was soll denn Saul unter den Propheten? Haben Sie etwa Empfangsabend?«
»Ja.«
»Nun, so laden Sie lieber meine Frau und Tochter ein. Diese Beiden passen besser zu Fräulein von Helfenstein als ich.«
»Für heute doch nicht. Es handelt sich um ein Thema, welches so ernst ist, daß ich die Damen nicht mit demselben beschäftigen darf.«
»Aber Fräulein Alma ist doch auch eine Dame!«
»Das Thema steht in inniger Beziehung zu ihrer Person.«
»Vielleicht auch zu meiner Person, da Sie mich einladen?«
»Ja.«
»Schön, schön! Darf ich denn nicht wenigstens um eine kleine Andeutung bitten, wie dieses Thema lautet?«
»Ja. Dieses Thema lautet: Ihr Bruder.«
Der Oberst sprang auf und fragte ganz erstaunt:
»Mein Bruder?«
»Ja.«
»Der ist doch todt!«
»Allerdings. Gerade mit seinem Tode wollen wir uns beschäftigen.«
»Durchlaucht! Was sagen Sie? Was wissen Sie von ihm?«
»Sie werden es heute Abend hören.«
»Wissen Sie vielleicht – oh, Verzeihung, Fräulein Alma! Ich weiß ganz wohl, wie außerordentlich peinlich Ihnen diese Sache ist, aber Durchlaucht haben sie erwähnt und so ist das Unglück einmal geschehen!«
Auch Alma hatte eine Bewegung des Erstaunens nicht zu unterdrücken vermocht. Ihr schönes, engelgleiches Angesicht war um einen Ton bleicher geworden, aber ihre Stimme klang ruhig, als sie jetzt antwortete: »Es ist wahr, daß ich von jenen Tagen nicht gern sprechen höre, aber Durchlaucht haben ein-für allemal Erlaubniß, mich an jene Ereignisse zu erinnern.«
»Ach so! Das ist mir neu. Durchlaucht interessiren sich also für jene unglücklichen Geschehnisse?«
»Ja,« antwortete der Fürst. »Ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich Brandt für unschuldig halte –«
»Sapperment!« fiel der Oberst ein.
»Und daß ich mir Mühe gegeben habe, etwas mehr Licht in diese dunkle Angelegenheit zu bringen.«
»Ist Ihnen das gelungen?«
»Ich denke, daß der heutige Abend wenigstens einen kleinen Erfolg bringen werde. Ich habe nämlich Einladungen ergehen lassen und Sie werden alle diejenigen Herren bei mir finden, welche damals Brandt verurtheilten, natürlich diejenigen ausgenommen, welche unterdessen gestorben sind.«
»Mein Gott!« sagte Alma. »Welche Veranstaltung! Ich ersehe daraus, daß wir Wichtiges erfahren werden!«
»Gewiß, gnädige Comtesse. Sie werden Wichtiges erfahren und auch Unerwartetes sehen.«
»Mein Heiland! Doch nicht etwa ihn, ihn, ihn!«
Er wußte, wen sie meinte. Er bat:
»Bitte, Fräulein, fassen Sie sich! Sie werden eine Dame sehen, welche Sie auf keinen Fall bei mir erwarten. Das ist es, was ich meine. Wollen wir aufbrechen?«
»Ja, ja!« rief der Oberst. »Ich will nur vorher ein wenig Toilette machen!«
Er eilte fort. Alma trat zu dem Fürsten und fragte:
»Durchlaucht, werde ich stark genug sein?«
»Ich hoffe es.«
»O, ich habe immer geglaubt, daß meine Kräfte jeder neuen Kunde gewachsen seien, und nun Sie mir sagen, daß ich Wichtiges erfahren werde, fühle ich mich schwach.«
»So will ich Ihnen vorher mittheilen, daß das, was Sie erfahren werden, nichts Schlimmes ist.«
»O, ich danke! Haben Sie vielleicht Nachricht von – ihm?«
»Ja.«
»Schreibt er von mir? Denkt er an mich?«
»Er hat sein lebensgroßes Portrait anfertigen lassen und sendet es mir, es Ihnen zu zeigen. Ich soll fragen, ob es vielleicht einen Platz in Ihrer Wohnung finden darf.«