»Gern, ach, zu gern. Darf ich seinen Brief sehen?«
»Ja. Ich werde Ihnen denselben dann zeigen.«
Bald kehrte der Oberst zurück und nun fuhren sie in einer Schlittendroschke nach dem Palaste des Fürsten. Als sie dort eintraten, ließ der Oberst seine Augen fleißig umherschweifen. Alma aber hatte kaum einen Blick für den Glanz und den Reichthum, der hier zu sehen war. Sie hatte nur den einen Gedanken – an den Geliebten.
Es war noch keiner der Eingeladenen angekommen. Der Fürst führte die Beiden in ein Salonzimmer, wohin er auch Doctor Zander kommen ließ, welchen er der Baronesse und dem Obersten vorstellte. Dann fragte er den Arzt: »Haben Sie Alles so gefunden, wie ich es Ihnen während der Fahrt im Coupee sagte?«
»Ganz so.«
»Die Patientin?«
»Nach Wunsch.«
»Den Schlüssel zur Arznei und das Fläschchen selbst?«
»Ich habe das letztere bereits in Anwendung gebracht.«
»Wann wird sie erwachen?«
»In zwei Stunden, wenn die Wirkung nämlich diejenige ist, welche Sie mir angegeben haben.«
»Sie ist so. Beobachten Sie die Sache jetzt noch als Geheimniß und sagen Sie auch keinem der Geladenen, der vielleicht während meiner kurzen Abwesenheit kommen sollte, weshalb er geladen ist. Ich lasse Sie jetzt auf eine Viertelstunde zu Zweien und bitte um die Erlaubniß, mich für diese Zeit unserer Dame widmen zu dürfen.«
Er gab Alma den Arm und entfernte sich mit ihr. Draußen auf dem Corridore, welcher tageshell erleuchtet war, sagte er zu ihr: »Rathen Sie, Fräulein, wohin wir gehen!«
»Nach dem Bilde!« antwortete sie.
»Ja, aber vorher nach – nun – nach Tannenstein.«
»Wie ist das möglich?«
»Sehr leicht. Eigentlich bin ich nicht genau gewesen; denn wir gehen nicht in das Dorf Tannenstein, sondern in den Wald, zu Förster Brandts, wo Sie so oft gewesen sind.«
»Sie sprechen in Räthseln. Daß Brandts Eltern in dem Hause jenseits Ihres Gartens wohnen, haben Sie mir gesagt, und ich war ja auch bei ihnen: aber wie ich hier in den Wald, in das Forsthaus, kommen soll – –«
»So, in dieser Art und Weise.«
Er öffnete eine Thür, und Alma stieß einen Ruf der Ueberraschung aus. Sie befand sich im Hausflur des kleinen Forsthauses. Alles, Alles war hier genau so wie dort, und als sie links die niedere Stubenthüre öffnete, befand sie sich in der Wohnstube. Hinten der grüne Kachelofen, das alte Kanapee, dann der Tisch, die hölzernen Stühle, das Tellerbret, die Bibel über der Thür, die alte Lampe, welche von der niedrigen Decke herabhing. In der Ecke stand der Spinnrocken, und dort zwischen den Beinen des Ofens saß die schwarze Katze, und wahrhaftig, bei ihr im Korbe lagen drei, vier junge Kätzchens, welche die beiden Eingetretenen mit munteren Äuglein anblinzelten.
Alma sagte kein Wort. Sie hielt die Hände gefaltet und betrachtete jeden einzelnen Gegenstand genau und lange, lange Zeit. Dann trocknete sie sich eine Thräne und fragte: »Das haben Papa und Mama Brandt angegeben?«
»Ja. Sie hatten die Möbels mitgebracht.«
»Und das Bild?«
»Befindet sich auf Schloß Hirschenau.«
»Wie?« fragte sie verwundert.
»Bitte, kommen Sie!«
Er führte sie wieder in den Corridor zurück und von da in eine Art Vorzimmer. Als er dann eine weitere Thür öffnete, schlug sie die Hände zusammen und rief: »Mein Gott, ja! Das ist das Zimmer, welches er bei uns auf dem Schlosse bewohnte!«
Auch hier stimmte Alles, selbst das Kleinste mit der Vergangenheit. Sie war tief, tief bewegt. Sie bemerkte hier Etwas und da Etwas, was sie einst Gustav Brandt geschenkt hatte, Kleinigkeiten; aber sie waren vorhanden, und ihr Anblick trieb ihr die bittersten Thränen in die Augen.
»O mein Gott,« weinte sie, »könnte er nicht selbst auch hier sein? Er ist unschuldig. Kann das denn nicht entdeckt werden? Wenn Gott mein Leben als Preis dafür forderte, so würde ich es mit Freuden hingeben.«
»Er ist da, gnädiges Fräulein, wenn auch nur im Bilde.«
Die Stimme des Fürsten zitterte, als er diese Worte sprach.
»Wo?«
»Hier.«
Das, was ein Fenster zu sein schien, war nur eine Art Thür. Er öffnete und trat dann zurück. Hinter der Thür hatte sich das Gemälde befunden.
»Gustav, o Gustav! Das bist Du, ja das bist Du!« schrie sie auf.
Sie wankte näher und sank auf ihre Kniee nieder. Er zog sich durch die Thür in das Vorzimmer zurück und wartete. Er hörte betende, dann leidenschaftlich klagende Worte, unterbrochen von Schluchzen und Weinen. Endlich wurde es still, und die Thür ging auf. Sie streckte ihm dankend die Hand entgegen und sagte: »Auch Sie weinen. Was Sie mich hier sehen lassen, das rührt alte und doch heiße Schmerzen auf, aber ich habe es verdient. Ich habe damals nicht an ihn geglaubt; ich verzweifelte an ihm, und daher mußte er schuldig sein und in die Fremde gehen. Geben Sie mir den Trost, seinen Brief, seine Handschrift zu sehen!«
»Er liegt drinnen auf dem Tische.«
Sie trat wieder ein, und er folgte ihr. Sie sah das zusammengefaltete Papier auf dem Tische liegen. Sie fragte nicht, warum das Couvert fehle; sie griff darnach und öffnete es, um zu lesen. Noch viel weniger aber hatte sie acht auf Das, was hinter ihr vorging. Sie bemerkte nicht, daß er hastig den Ueberrock ablegte, daß das falsche Haar, der Bart und auch die Narbe aus seinem Gesicht verschwand.
Der Brief enthielt nur folgende Zeilen:
»Mein lieber, angebeteter Sonnenstrahl, Du fragst nach mir; Du willst mich sehen? Willst Du Dich nicht umdrehen zu Deinem Gustav!«
Im ersten Augenblicke wußte sie nicht, was sie denken, was Das bedeuten solle. Nicht in Folge dieser Zeilen, sondern mehr instinctiv machte sie eine Wendung zurück und – –»Gustav!« schrie sie auf, laut, überlaut, wie man schreien würde, wenn man plötzlich ein Gespenst, einen Geist erblickt.
Ihr Mund blieb geöffnet; ihre Augen starrten groß, unnatürlich groß auf ihn, und ihre erhobenen Arme blieben ausgestreckt, als ob sie alle Macht der Bewegung verloren habe.
»Alma, meine Alma!« antwortete er.
Sie blieb stumm und unbeweglich.
»Alma, um Gotteswillen! Was ist mit Dir!«
Er trat den einen Schritt auf sie zu und legte den Arm um ihre Taille. Bei dieser Berührung zuckte sie zusammen. Aus ihrem Munde tönte ein zweiter, unarticulirter Schrei. Sie zuckte zusammen; ihre Arme sanken nieder; ihr Mund schloß sich, und ihre Wimpern legten sich auf die Augen.
Die Erstarrung war vorüber. Sie brach so schnell zusammen, daß er kaum Zeit fand, sie fest zu halten.
Er trug sie nach dem Sopha und öffnete ihr das dunkle Kleid, damit ihre Brust zu athmen vermöge. Er tauchte sein Taschentuch in Wasser und kühlte ihr Stirn und Schläfe.
Dabei nannte er sie bei den süßen Worten, welche ihm die Angst der Liebe eingab. Endlich, endlich öffnete sie die langen, seidenen Wimpern. Ein beinahe irrer, zweifelsvoller Blick stahl sich hervor, und dann hauchte sie kaum hörbar: »Gustav!«
»Ist’s wahr? Du bist’s, Du?«
»Ja, ich bin es, mein Engel, meine Seele, mein Leben!«
»Ich täusche mich nicht?«
»Nein.«
»Es ist nicht das Bild, welches der Fürst mir zeigte?«
»Nein. Bitte, fühle mich an!«
Er ergriff ihre Alabasterhändchen und drückte sie an seine Lippen, an seine Wangen. Ihrer Brust entrang sich ein tiefer, schwerer Athemzug; sie hauchte: »Du mein lieber, lieber Gott, ich danke Dir!«
Er nahm sie in seine Arme und legte ihr liebes Köpfchen an sein Herz.
»Fast wäre es zu viel gewesen,« klagte er.
»Ja. Fast hätte mich der freudige Schreck getödtet!«
»Nun aber ist’s doch vorbei? Nicht? Bitte, bitte!«
Seine Stimme hatte jenen einzigen, unbeschreiblichen Ton angenommen, dessen die menschliche Sprache nur im Augenblicke des Entzückens, des größten Glückes, der höchsten Liebe fähig ist. Sie lauschte diesem Tone. Sie bemerkte nicht, daß er ihr Kleid geöffnet hatte, und daß sein Auge einzudringen vermochte in ein Heiligthum, welches noch von keinem Blicke entweiht worden war. Sie antwortete: »Ja, nun ist’s vorbei. Ich werde nicht vor Freude sterben.«
»Nein, leben sollst Du, leben! Glücklich sollst Du sein nach diesen langen Jahren der Trauer und des Unglückes.«
Er küßte sie auf den Mund, und sie erwiderte seinen Kuß.
»Das ist das erste, erste Mal,« flüsterte sie.
»Daß Du mich küssest?«
»Ja – ich meine, nicht als Bruder.«
»Und doch hast Du mich bereits auch anders geküßt.«
»Dich? Und wo war das?«
»Bei Dir, in Deinem Zimmer.«
Sie blickte ihn mit großen Augen an und sagte:
»Wie wäre das möglich? Du warst ja nie bei mir!«
»Nie? Ach so! Denke an den Fürsten!«
Da fuhr sie in seinen Armen empor und sagte:
»Ja, der Fürst! Wo ist er hin?«
Jetzt bemerkte sie die geöffnete Taille, und unter einem tiefen Erglühen verhüllte sie sich wieder.
»Willst Du ihn sehen?«
»Ja,« antwortete sie. »Er darf uns nicht überraschen.«
»So meinst Du, er habe mich zu Dir gebracht?«
»Wie sonst?«
»Nun, paß auf!«
Er nahm seine Arme von ihr und drehte sich ab. Dann hob er die weggeworfenen Gegenstände von der Diele auf, legte sie an und drehte sich um: »Hier ist er, gnädiges Fräulein!«
Er sagte dies auch mit anderer, mit derjenigen Stimme, in welcher der Fürst stets gesprochen hatte.
»Durchlaucht! Gustav! Du bist es? Du bist Beides?«
»Ja, mein Leben.«
»Du konntest so lange, so lange Zeit hier in der Residenz sein, ohne daß Du Dich mir zu erkennen gabst?«
Er legte die Verhüllung schnell wieder ab, schlang die Arme um sie, zog sie mit sich auf den Sitz nieder und sagte: »Bist Du mir vielleicht bös darüber?«
Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und antwortete:
»Ich weiß es nicht; ich weiß überhaupt gar nichts; ich weiß nicht, was ich denken und sagen soll. Diese Ueberraschung ist so groß; sie kommt so plötzlich, daß es mir ist, als ob meine Sinne sich verwirren sollten. Halte mich, halte mich fest, lieber Gustav, sonst falle ich.«
Es wurde ihr drehend. Die Farbe kam und ging in ihrem Gesicht; er fühlte das rasche Wogen ihres Busens und das stürmische Klopfen ihres Pulses und machte sich im Stillen die bittersten Vorwürfe. Diese zu plötzliche und zu große Ueberraschung hätte ihren Tod herbeiführen können. Er drückte sie fest, fest an sich und wartete, bis sie Etwas sagen werde.
Aber sie sagte nichts; er merkte nur, daß sie leise aber herzbrechend vor sich hinweinte; sie zuckte unter dem verhaltenen Schluchzen wieder und immer wieder zusammen. Da begann er, ihr zuzusprechen, leise und innig, lange, lange Zeit. Ihre Thränen ließen nach; sie wurde still. Und da, endlich legten sich ihre Arme fest, fest um ihn; ihr Gesicht, welches an seiner Brust verborgen gelegen hatte, kehrte sich ihm zu und mit leiser aber eindringlicher Stimme fragte sie: »Hast Du mir vergeben?«
»Ja, mein Sonnenstrahl.«
»Ganz? Ganz?«
»Vollständig. Ich habe Dir nie, nie gezürnt.«
»Und – und – – Du bist mir noch gut?«
»Wie sehr, o wie sehr! Alma, mein größtes Weh lag in dem Muß, von Dir so entfernt zu sein.«
»Aber nun, nun bist Du da, da bei mir! Und nun soll jeder Augenblick zu einer Ewigkeit des Glückes werden. Ich habe gut zu machen, so viel, so sehr viel!«
Sie küßte ihn wieder und immer wieder; sie versenkten sich in jenes süße, gegenstandslose Geplauder, dessen nur die Liebe fähig ist; sie vergaßen die Gegenwart und Alles, Alles Wichtigere, um sich nur in die Augen blicken und gegenseitig zuhören zu können.
So verging eine sehr geraume Zeit, bis sich Alma erinnerte, daß sie eigentlich nicht hierher gekommen sei, um den verlorenen Geliebten zu finden.
»Man wartet auf uns,« sagte sie in ängstlichem Tone. »Laß uns gehen, lieber Gustav!«
»Warte noch einige Minuten. Bis jetzt war’s nur das Wiedersehen; nun aber muß doch auch Einiges erwähnt und erklärt werden. Mein Sonnenstrahl weiß ja noch gar nicht, weshalb er heute zu mir herein glänzen sollte.«
»Ich denke, daß ich es in Gegenwart der Anderen erfahren soll.«
»Einiges muß doch vorher und unter uns besprochen werden, mein süßes Leben. Du fragtest mich vorhin bei Hellenbachs, ob Du für heute abend stark genug sein werdest, und ich antwortete mit Ja. Nun aber Dich unsere Unterredung hier bereits so sehr ergriffen hat, möchte ich doch vorsichtig sein. Darfst Du heute von Deinem Vater hören?«
»Gilt es, Deine Unschuld zu beweisen?«
»Ja.«
»Und wirst Du sie beweisen können?«
»Ich hoffe es.«
»So mußt Du thun, was Du für nöthig hältst, lieber Gustav. In diesem Falle werde ich stark sein, stärker, viel stärker als damals, wo ich an Dir zweifelte. Gott, mein Gott, wie hat meine damalige Schwachheit auf mir gelastet, während der vielen, vielen Jahre. Ich habe von meinen Thränen gezehrt und von meiner Reue gelebt. Gustav, glaube mir, ich habe bitter, sehr bitter gebüßt.«
»Sprich nicht davon! Ich habe Dich, und nun ist Alles, Alles gut. Ich habe Dir bereits, als ich unter der Maske des Fürsten von Befour in Deiner Wohnung war, angedeutet, wer der Mörder war.«
»Ja. Baron Franz.«
»Wäre die Anklage auf ihn gefallen, so hätte er verurtheilt werden müssen. Die Umstände sprachen zwar gegen mich, aber man war förmlich darauf passionirt, mich zum Mörder zu machen. Jetzt nun habe ich eine Mitschuldige in meinen Händen, welche ihn anklagen, ihn verrathen und gegen ihn zeugen wird.«
»Wer ist das?«
»Seine Frau.«
»Ella! Also sie ist wirklich seine Mitschuldige?«
»Ja. Sie wußte wenigstens von dem Morde, den er an Deinem Vater beging.«
»Warum aber trachtete sie, Dich zu verderben?«
»Sie hatte zwei Gründe. Erstens – verzeihe mir – war es mir ganz unmöglich, ihre mir förmlich entgegengetragene Zuneigung zu erwidern –«
»Ja, dann aber im Gegentheile desto mehr gehaßt. Und zweitens bekam sie dadurch den Baron Franz in ihre Gewalt und konnte ihn zwingen, sie zur Baronin zu machen, was ja auch geschehen ist.«
»Dieses Weib! Dieses Weib! Sie ist eine Teufelin!«
»Sie wird jetzt die Folgen ihrer Mitschuld zu tragen haben. Uebrigens ist sie bereits gestraft genug. Sie ist lebendig todt gewesen.«
»In wiefern? Ich weiß nur, daß sie als geisteskrank nach Rollenburg kam und dann plötzlich verschwunden war.«
»Der Baron hat ihr ein Gift beigebracht, welches die Bewegungsnerven lähmt, das Leben selbst aber, das Gefühl, die Sinne nicht beschädigt. So hat sie monatelang gelegen und alle Schrecken des Todes durchkosten müssen.«
»Fürchterlich! Kann es in Wahrheit solche Menschen geben?«
»Eine Sünde bringt die andere, und die nächste ist stets größer und schwerer als die vorhergehende. Ich ließ die Baronin heimlich entführen, um sie in meine Gewalt zu bekommen. Ich besitze ein Gegengift, mit welchem ich sie nachher erwecken werde. Ich hoffe, sie wird Alles gestehen.«
»Wie? Sie ist bei Dir?«
»Ja. Es steht den Gästen, welche ich geladen habe, eine sehr große Ueberraschung bevor.«
»Was Du Alles thust und wagst!«
»Als Fürst von Befour darf ich es.«
Da legte sie ihr Händchen auf seinen Arm und sagte:
»Darf ich einmal recht neugierig sein, lieber Gustav?«
»Frage nur immer zu!«
»Ist Befour ein stingirter Name?«
»Nein.«
»Es giebt also wirklich ein Befour?«
»Ja.«
»Wo liegt es?«
»Es ist eine Landschaft auf der Insel Madagaskar.«
»Ah, dort! Und giebt es auch einen Fürsten dort?«
»Ja freilich.«
»Aber Du, Du bist er nicht?«
»Wer sonst, meine liebe Alma?«
»Wirklich, wirklich?«
»Ja. Ich richtete nämlich meine Flucht nicht nach Amerika, wie die meisten mit dem Gesetze Zerfallenen es thun, sondern nach dem indischen Archipel. Ich war drei Jahre lang auf der Insel Borneo – –«
»Mein Gott! Unter den Wilden! Es soll dort sogar Menschenfresser geben!«
»Das ist allerdings wahr; aber ich bin mit ihnen gut verkommen. Ich war Diamantengräber und freute mich einer so reichen Ausbeute, daß ich sehr bald reich wurde. Da aber kamen die Engländer, und nun konnte ich mich nicht mehr wohl fühlen. Dieses Krämervolk besitzt kein Herz, sondern an dessen Stelle einen Klumpen Egoismus. Es gründet Colonieen, nur um sie auszubeuten. Es achtet keine Menschenrechte. Es schafft die Sclaverei der Neger ab, um desto besser die Bewohner seiner Colonieen in Fesseln zu schmieden. Ein unheilbares Zerwürfniß mit diesen Krämern trieb mich fort.«
»Ich hatte mir im Diamantensuchen eine wirkliche Geschicklichkeit angeeignet; dabei besaß ich vieles Glück. Ich beschloß also, dahin zu gehen, wo es Diamanten gab. Das Cap der Guten Hoffnung? Brasilien? An diesen Orten waren die dortigen Diamantenfelder mehr als gut bevölkert. Ich ging also nach Madagaskar, wo ich keine Concurrenz hatte, obgleich die edelsten der Steine in unvergleichlicher Größe und Schönheit gefunden wurden.«
»Und Du warst wieder glücklich?«
»Ja. Nach abermals einigen Jahren hatte ich mir unter den Eingeborenen eine solche Achtung und Sympathie erworben, daß ich es wagen konnte, die Landschaft von Befour für mich zu erwerben. Dort residirte ich. Mein Name drang nach Indien. Ich war zuweilen dort, um meine Steine den dortigen Großhändlern zu verkaufen. Es wurde mir bald zur anderen Heimath. Ich war ein Gegner der Engländer; aus diesem Grunde sympathisirte ich mit den Franzosen, obgleich sie mir sonst nicht sympathisch sind. Ihre Gouverneurs achteten meinen Rath, meine Ansichten. Sie befolgten dieselben zum Besten ihrer Colonieen. Die Kunde davon drang in’s Mutterland. Der Kaiser ließ mich auffordern, Druckschriften über meine indischen Besitzungen einzureichen. Ich that es; er zog Nutzen daraus und belohnte mich – allerdings in einer Weise, die ihm nichts kostete. Eines Tages erhielt ich meine Erhebung zum Prince de Befour. Ich war Fürst von Befour.«
»Und dieser Titel, dieser Rang ist nicht anzufechten?«
»Nein.«
»Ah! Ein Polizist, ein Försterssohn und – Fürst!«
»Sogar unser König erkennt diesen Titel an.«
»Du verkehrst am Hofe?«
»Sehr viel, aber nicht öffentlich.«
»Der König hat keine Ahnung, wer Du bist?«
»Sagen dürfte ich es nicht; aber er weiß es.«
»So ist er überzeugt, daß Du unschuldig bist?«
»Ja. Er war zur Zeit meiner Verurtheilung Kronprinz und hat ganz die Ansicht seines Vaters, des damaligen Königs, gehegt – Justizmord.«
»Ich erinnere mich noch sehr genau der Art und Weise, in welcher ich damals von der Majestät behandelt wurde, als ich –«
Sie stockte.
»Nun, als Du –«
»Als ich zu dem Könige ging und um Gnade für Dich bat.«
»Ich habe davon gehört. Es ist das gleich nach der Verhandlung und der Fällung des Urtheils gewesen.«
»Ja. Der König machte mir die bittersten Vorwürfe. Mein Gott, was waren sie gegen diejenigen, welche ich nur selbst dann machte. Aber, lieber Gustav, ich denke, man wartet auf uns.«
»So werden wir wohl gehen müssen.«
»Läßt Du Dich so sehen, wie jetzt hier.?«
»Nein. Die Maske wird wieder angelegt.«
»Sie ist vortrefflich. Ich habe nicht geglaubt, daß man sich so verändern kann.«
»Ich lernte diese Kunst von indischen Gauklern. Hoffentlich, mein süßer Sonnenstrahl, werde ich Dich nun öfters hier sehen, da Du einmal weißt, wer ich bin.«
»Gewiß, ganz gewiß! Und Du mußt auch zu mir kommen! Aber weißt Du, Gustav, das Wort Sonnenstrahl ist ein schönes helles, lichtes, und doch schmerzt es mich, wenn Du mich so nennst.«
»Warum?«
»Es erinnert mich an meine schweren Versäumnisse. Ja, das Weib soll der Sonnenstrahl sein, welcher das Leben des Mannes erhellt und erwärmt. Du hast so lange, lange Jahre Deine Sonne entbehren müssen.«
»Desto heller und goldiger strahlt sie mir jetzt.«
Sie nickte ihm dankbar lächelnd zu, erhob aber dann den drohenden Finger und sagte:
»Oder giebt es dort im Osten andere Sonnen!«
»Es giebt allüberall, auf der ganzen Welt nur eine einzige und das bist Du!«
»Und wenn ich das nicht glaubte?«
»O, Du glaubst es doch!«
»Wenn ich zweifelte, so wärst Du allein nur schuld.«
»Wieso?«
»Es war einmal Einer bei mir, welcher mir sagte, daß Dein Herz schon längst entschieden hätte.«
»Ah! Wer war das? Er war ein Lügner!«
»Das war ein sonst sehr wahrheitsliebender Herr, nämlich Seine Durchlaucht der Fürst von Befour.«
»Ich?« fragte er erstaunt.
»Ja gewiß! Erinnerst Du Dich nicht?«
»Nein.«
»Du sagtest, Gustav Brandt sei verheirathet.«
Da schlug er ein herzliches Lachen auf und fragte:
»Kannst Du Dir denken, weshalb ich dies sagte?«
»Ich wollte beobachten, welchen Eindruck diese Kunde auf Dich hervorbrachte.«
»Also ein bloßes Experiment?«
»Ja.«
»Nun, wie war der Eindruck?«
Da nahm er sie in seine Arme, küßte sie innig und antwortete strahlenden Angesichtes:
»Es war ein für mich sehr beglückender. Ich erkannte, daß ich Dir nicht gleichgiltig geworden war.«
»Gleichgiltig? Mein Gott! Gleichgiltig!«
Sie legte ihm ihre beiden Hände auf die Wangen, zog seinen Kopf zu sich heran und küßte ihn viele, viele Male auf den Mund. Dann fuhr sie fort: »Siehst Du nun, ob Du mir gleichgiltig bist?«
»Ich sehe, daß Du mich liebst, und daß ich einen Himmel finden werde. Welch’ ein Unterschied zwischen jenem Tag meiner Flucht, an welchem ich Dich traf.«
»Du hättest mich getroffen?«
»Ja.«
»Und wo war das?«
»Im Walde. Kurz vor dem Forsthause.«
»Ich besinne mich nicht.«
»Du warst zu Wagen und ich zu Pferde.«
»Ach, ja, jetzt entsinne ich mich. Aber noch Eins. Wie gelang es Dir, zu entkommen?«
»Ich wurde von zwei Tannensteinern gerettet.«
»Unmöglich!«
»Ich hätte es auch für unmöglich gehalten.«
»Wer waren sie?«
»Wolf, der Schmied, mit seinem Sohn.«
»Ah, diese! Gott vergelte es ihnen!«
»Ja, auch ich möchte ihnen dankbar sein; aber sie machen es mir leider zu schwer. Gerade jetzt wieder befinden sie sich in Untersuchungshaft.«
»Weshalb?«
»Wegen Pascherei. Ich habe sie bereits einmal gerettet. Zum zweiten Male aber wird es mir unmöglich sein. Uebrigens aber habe ich ihnen gar nicht sehr großen Dank zu zollen dafür, daß sie mich retteten.«
»Wie? Wolltest Du nicht gerettet sein?«
Sein Gesicht nahm einen ernsten, ja trüben Ausdruck an, als er antwortete:
»Ich dachte nicht an Rettung, nicht an Flucht. Ich war zum Tode verurtheilt. Vater hatte mir, ganz meiner eigenen Ansicht angemessen, verboten, um Gnade anzurufen. Ich wollte sterben. Anstatt des Todes aber gab man mir lebenslängliches, entehrendes Zuchthaus. Ich hätte es nicht überlebt. Die beiden Schmiede erschienen als rettende Gewalten, welche ich nicht herbeigesehnt hatte. Sie befreiten mich, weil sie es mir schuldig waren.«
»Schuldig? Wieso?«
»Sie wußten, daß ich unschuldig war. Sie kannten den Mörder.«
»Woher?«
»Sie müssen sich, während der Hauptmann von Hellenbach ermordet wurde, im Walde befunden haben. Sie schwiegen, jedenfalls um ihr Schweigen sich gut bezahlen zu lassen. Sie sind ja auch zu Vermögen gekommen. Und um sich nun mit ihrem Gewissen abzufinden, gaben Sie mir die Freiheit. Laß uns davon schweigen. Denken wir jetzt an die Herren, welche unterdessen eingetroffen sein werden.«
Er verwandelte sich wieder in den Fürsten, gab ihr den Arm und kehrte in den Salon zurück.
Dort befand sich bereits die Mehrzahl der Geladenen. Sie begrüßten die Beiden auf das Respectvollste. Und soeben wurde ein Justizrath gemeldet.
»Der Vorsitzende von damals!« flüsterte Alma.
»Ja. Er hatte es ganz besonders auf meine Verurtheilung abgesehen. Er stellt mir die Fragen zu meinen Ungunsten. Das ist schon die halbe Verurtheilung.«
Der erwähnte Herr trat ein. Er war pensionirt, trug und gab sich aber als ein Mann, welcher seinen Selbstwerth gehörig zu schätzen weiß. Er näherte sich in würdevoller Haltung dem Fürsten, verbeugte sich, aber ja nicht zu tief, und sagte nur: »Ausgezeichnete Ehre, Durchlaucht!«
Das klang so albern, daß der Fürst fragte:
»Was?«
»Mein Erscheinen hier.«
»Für wen? Für mich?«
»O nein, sondern für mich.«
»Sehr verbunden!«
Er stellte den emeritirten Beamten der Baronesse vor und wendete sich dann von ihm ab.
Es war den Anwesenden anzusehen, daß sie sich über den Grund der Einladung sehr im Unklaren waren. Sie flüsterten mit einander, zuckten die Achseln und trugen sehr gespannte Gesichter zur Schau.
Als Alle versammelt waren, deutete der Fürst nach dem gefüllten Büffete und sagte:
»Meine Herren, ich habe Ihre Anwesenheit gewünscht, nicht um Ihnen ein Souper zu geben, sondern um eine alte, nicht mehr beachtete Erinnerung in Ihnen aufzufrischen. Die meisten von Ihnen sind Juristen. Es handelt sich nämlich um einen ausgezeichneten Criminalfall, in Beziehung dessen ich Ihr Urtheil kennen lernen möchte. Zur beliebigen Erfrischung dabei ist Ihnen das Büffet empfohlen.«
Der Justizrath verbeugte sich und sagte:
»Sehr gütig, Durchlaucht. Werde mich Ihrem Wunsche gern acommodiren!«
Er trat an das Büffet, goß sich ein Glas Wein ein, nippte mit Kennermiene und sagte:
»Exquisit! Alter, schwerer, dicker, schwarzer Tintio aus Portugal. Liebe diese Sorte! Ist aber selten! Bitte, Durchlaucht: Welchen Criminalfall?«
»Ein Fall, den Sie Alle kennen. Der Angeklagte wurde unschuldig verurtheilt.«
»Unschuldig? Unmöglich!«
»Warum unmöglich?«
»Absolut unmöglich! Bedenken Durchlaucht, daß nur helle Köpfe und scharfe Denker das Amt eines Richters bekleiden. Die Logik eines richterlichen Urtheiles ist infallibel wie der Papst in Rom.«
»Und doch haben wir Fälle, daß ein Verdammungsurtheil einen Unschuldigen traf.«
»Könnte mir nicht passiren.«
Der Justizrath schien für alle Anderen das Wort ergriffen zu haben, weil er sich für den Höchststehenden hielt.
»Und dennoch halte ich auch Sie für fehlbar!«
»Was? Mich?«
Seine Brauen zogen sich finster zusammen.
»Ja, Herr Rath. Alle Menschen sind dem Irrthum unterworfen, und auch Sie sind ein Mensch.«
»O bitte, Durchlaucht! Erlauben Sie, meine Herren! Ich habe mich stets eines solchen Scharfsinnes, einer so gediegenen Divination befleißigt, daß ich mir sagen darf, keinem Menschen zu viel oder zu wenig gethan zu haben.«
»Hm!« ließ sich eine Stimme hören.
»Wie? Was?« fragte er schnell, indem er sich im Kreise umblickte.
»Sagte einer der Herren Etwas? Nein? Scharfsinn, Gediegenheit, Sorgfalt! Ist auch anerkannt worden.«
Er deutete dabei mit stolzer Geberde auf das in seinem Knopfloche befindliche Band.
Da sagte der Fürst:
»Sie müssen sich ja selbst kennen, Herr Gerichtsrath, und wir zweifeln ja auch gar nicht daran, daß die Ihnen gewordene Auszeichnung eine wohlverdiente ist. Aber, hm, da kam mir heute eine alte Zeitung in die Hand, in welcher der Bericht einer Gerichtsverhandlung stand, der mich sehr interessiren mußte. Es handelte sich nämlich um einen Doppelmord. Der Mörder wurde zum Tode verurtheilt und wunderbarer Weise erkannte ich an den angegebenen Namen, daß die Eltern dieses Mörders in meinen Diensten stehen.«
»Fatal! Höchst fatal!« sagte der Justizrath.
»Wieso?«
»Hm! Man kann doch nicht die Eltern eines Mörders gern in seiner unmittelbaren Nähe haben!«
»Was können die dafür?«
»Durchlaucht, die Krankheiten der Moral sind ebenso ansteckend wie diejenigen des Leibes.«
»Sie halten also den Mord für ansteckend?«
»Unter Umständen, ja. Zum Beispiel bei Aufruhr oder bei bigott religiösen Aufregungen.«
»Das war aber hier nicht der Fall. Die Eltern sind alte, ruhige, stille, ehrbare Leute. Der Vater, ein gewisser Brandt, war früher Förster in Tannenstein.«
Da machte der Justizrath eine hastige Bewegung und sagte:
»Brandt? Ah, Durchlaucht meinen den exquisiten Fall Gustav Brandt gegen Helfenstein und Hellenbach?«
»Ja.«
»Das ist allerdings der bedeutendste Fall, der mir in meiner Praxis vorgekommen ist. Und dieser Mensch, der Brandt, hatte wirklich die Stirn, zu leugnen.«
»Seine Eltern behaupten noch heute, daß er unschuldig gewesen sei.«
»Natürlich! Eltern vertheidigen ja stets ihre Kinder.«
»Es soll aber auch bereits damals Stimmen des Zweifels gegeben haben, Herr Justizrath!«
»Stimmen des Zweifels? O, die giebt es stets. Aber in dieser Bewegung logischer Ungewißheit sitzt der Richter fest, wie ein Fels im Meere. Er läßt sich nicht verlocken und verleiten und spricht sein endliches Wort so groß und gelassen aus wie jenes biblische: Es werde Licht!«
»Hm!« ließ sich Einer vernehmen.
Der Justizrath wendete sich sofort nach der betreffenden Seite, schnupperte mit der Nase in der Luft und fragte: »Wie? Was? Sagte einer der Herren Etwas?«
Der Fürst machte mit der Hand eine beruhigende Bewegung und fuhr fort:
»Ich sprach sodann mit einem alten, wohlverdienten Polizisten über diese Angelegenheit, und auch dieser zuckte mit der Achsel und meinte, er hätte nicht klug werden können.«
»Polizist! Ah, untergeordnete Beamte! Können überaus niemals klug werden. Sie müssen geleitet werden von dem studirten und erfahrenen Kriminalisten. Uebrigens, Durchlaucht, trifft es sich sehr glücklich, daß gerade wir, die wir hier versammelt sind, über den Fall Brandt die beste Auskunft zu ertheilen vermögen.«
»Wirklich? In wiefern?«
»Nun, es sind zufälliger Weise mehrere Herren hier, welche als Beamte dabei thätig waren. Ich zum Beispiel war während der Session Vorsitzender; das heißt, ich leitete die ganze Verhandlung.«
»Das ist mir interessant.«
»Ja, allerdings. Und hier haben Sie noch zwei, drei, fünf Herren, welche unter mir betheiligt waren. Ich darf wohl sagen, daß wir damals in treuester und scharfsinnigster Pflichterfüllung geleistet haben, was zu leisten war. Es war nicht leicht, einem so verstockten lügnerischen Bösewicht gegenüber gerecht und unpartheiisch zu bleiben. Er wußte alle Saiten anzuschlagen, wir aber hielten uns tapfer und blieben ungerührt.«
Dieses Mal war es der Gerichtsrath gewesen. Der Justizrath fuhr schnell zu ihm herum und fragte:
»Wie? Was? Sagten Sie vielleicht Etwas, Herr Bezirksgerichtsdirector?«
»Nein. Ich räusperte mich.«
»Ah, Sie räusperten sich! Aus altem Interesse! Ja, Sie führten ja damals das Protocoll. Schade aber um die schöne Verhandlung.«
»Schade?« fragte der Fürst.
»Ja, gewiß.«
»Warum?«
»Der verruchte Doppelmörder wurde nicht geköpft.«
»Wohl begnadigt?«
»Nein. Er entfloh; er entkam. Denken Sie sich, er wollte einen vollständig Unschuldigen mit dem Morde belasten, nämlich den Baron von Helfenstein. Das war geradezu teuflisch. Ich aber ließ mich nicht irre machen. Durchlaucht sind jedenfalls nicht Jurist?«
»Nun, so muß ich Ihnen sagen, daß der Vorsitzende das Verhör zu leiten und die Fragen zu stellen hat. Und auf die Fragestellung kommt sehr, sehr viel an. Ob man dem Angeklagten wohl will oder nicht, das hat sehr großen Einfluß auf die Folgen. Man kann den Angeklagten durch schonendes Verhör in ein sehr mildes Licht stellen; man kann aber auch durch unbeugsames und verwickeltes Fragen ihn zu Antworten zwingen, welche belastend auf ihn zurückwirken. Ja, dies ist die Kunst des Vorsitzenden. Und ich habe ihn damals so gerecht, so unbeugsam und schonungslos inquirirt, daß er sich verfangen mußte.«
»Das heißt, Sie waren von seiner Schuld überzeugt?«
»Natürlich, vollständig.«
»Und behandelten ihn also als Mörder?«
»Das versteht sich.«
»Und doch habe ich gehört, daß nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die Vorschrift gebietet, den Angeklagten erst nach vollzogenem Urtheilsspruche als Verbrecher zu betrachten und zu behandeln.«
»Menschlichkeit! Humanität! Laxe Begriffe! Der Richter hat mit Strenge zu verfahren, denn die Macht des Gesetzes liegt eben in der Strenge. Der Richter hat niemals zu belohnen, meist aber zu bestrafen. Und damals – ah, da fällt mir ja ein, daß die gnädige Baronesse hier ja auch dabei war. Auch sie zeugte gegen ihn, Durchlaucht. Wer kann da von Unschuld reden! Kein Mensch, kein Einziger.«
»Sie sind Ihrer Sache so gewiß, daß ich mir keinen Zweifel gestatten kann. Hier behauptet man, daß ein Unschuldiger für schuldig erklärt worden sei. Ich kenne einen strict entgegengesetzten Fall, nämlich daß Einer, der ein Verbrechen begangen hat und dasselbe auch freimüthig eingesteht, doch für unschuldig erklärt wird.«
»Unmöglich!«
»O, es ist ein positiver Fall; er ist wirklich geschehen.«
»So ist der Thäter unzurechnungsfähig!«
»Auch nicht; man rühmt ihm im Gegentheile sehr gute Geisteseigenschaften nach.«
»Um welches Verbrechen handelt es sich?«
»Menschenraub.«
»Alle Wetter! Das ist gefährlich und wird streng bestraft!«
»Er hat die Frau eines Anderen nächtlicher Weile aus ihrer Behausung geraubt und sie in seine eigene Wohnung geschafft und dort heimlich hinter Schloß und Riegel gehalten.«
»Mit ihrer Erlaubniß?«
»Nein; da wäre es ja nicht Raub, sondern nur Entführung, Herr Justizrath.«
»Ja.«
»Und nicht bestraft worden«
»Nein. Das heißt, er wird nicht bestraft werden, denn der Fall ist noch ein schwebender.«
»Also erst kürzlich geschehen?«
»Ja.«
»Höchst interessant. Beschäftigt er bereits den Richter?«
»Noch nicht. Es ist noch keine Anzeige erstattet worden.«
»Wie ist das möglich? Man kennt das Verbrechen und zeigt es nicht an?«
»Sie alle kennen das Verbrechen; es handelt sich nämlich um die Baronin Ella von Helfenstein.«
Ein allgemeines Erstaunen ließ sich bemerken; aber der Justizrath beabsichtigte nicht, einen Anderen zu Worte kommen zu lassen; er sagte: »Die ist aus der Irrenanstalt geraubt worden. Und Durchlaucht sagen, daß der Thäter nicht bestraft werden könne, sondern für unschuldig erklärt werden müsse?«
»Ja, das behaupte ich.«
»Nun, Durchlaucht haben ja selbst die Güte gehabt, zu gestehen, daß Sie kein Jurist sind!«
»Hm!« brummte es.
Der Justizrath drehte sich um und sagte in rügendem Tone:
»Wie? Was? Sagte schon wieder Jemand Etwas. Man scheint sich hier sehr gern zu räuspern; aber ein jeder Jurist muß überzeugt sein, daß diese That bestraft werden muß. Ist der Thäter bereits bekannt, Durchlaucht?«
»Nicht allgemein.«
»Sie aber kennen ihn?«
»Sehr genau.«
»So ist es Ihre Pflicht, ihn schleunigst zur Anzeige zu bringen.«
»Schleunigst heißt doch möglichst schnell?«
»Allerdings.«
»Nun, so will ich ihn sofort anzeigen.«
»Recht so! Wir werden also seinen Namen erfahren.«
»Gewiß, wenn Sie es wünschen.«
»Natürlich! Bitte, wer ist es?«
»Ich selbst bin es.«
Diese vier kleinen Worte brachten ein allgemeines Erstaunen hervor. Der Justizrath aber trat einen Schritt zurück, zog die Stirn in Falten und meinte sehr ernst: »Durchlaucht kennen meine Stellung?«
»Ja. Pensionirter Justizrath.«
»Und decorirt! Ich bin nicht gewöhnt, Scherz mit mir treiben zu lassen, selbst nicht von einem Vertreter der höchsten Aristokratie!«
»Das ist sehr anerkennenswerth von Ihnen. Ein Jeder muß wissen, was ihm der Andere schuldig ist!«
»Natürlich! Und so hoffe ich, daß auch Sie mir diejenige Achtung zollen, welche zu empfangen ich gewöhnt bin!«
»Hm!« brummte der Gerichtsrath.
Der Justizrath blitzte ihn mit zornigen Augen an und fragte:
»Wie? Was? Sagten Sie etwas?«
»Nein. Ich brummte nur ein Wenig.«
»Ah, so! Durchlaucht, wird bei Ihnen gebrummt?«
»Je nach Belieben. Ich pflege meinen Gästen keine Gesetze vorzuschreiben; behagt mir aber Einer nicht, so wird er eben nicht mehr eingeladen. Uebrigens haben Sie sich geirrt. Ich habe nicht gescherzt. Ich bin wirklich der Thäter des Verbrechens, von welchem wir sprechen.«
»Was? Sie hätten –?« fragte er erstarrt.
»Ja,« nickte der Fürst.
»Wirklich – –«
Abermaliges Nicken.
»Die Baronin geraubt?«
»Wie ich Ihnen sage.«
»Durchlaucht sehen mich ganz fassungslos!«
»Bitte, behalten Sie immerhin Ihre Fassung, wie Sie es als Richter gewöhnt sind! Ich werde Ihnen die Gründe angeben, welche mich zu der betreffenden That veranlaßten.«
»Ich bin begierig, sie zu hören.«
»Vorher aber bitte ich alle die Anwesenden, mir ihr Ehrenwort zu geben, daß Sie über Das, was hier gesprochen und geschehen wird, bis auf Weiteres das tiefste Schweigen bewahren werden.«
»Nein, das kann ich nicht geben! Auf keinen Fall!«
»Warum nicht?«
»Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, so ist es meine Pflicht, Anzeige zu machen.«
»Sie haben ein sehr zartes und zugleich strenges Gewissen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es sich nicht um etwas Strafbares handelt. Und so können Sie mir auch durch Ihr Ehrenwort Schweigen geloben.«
»Wenn das ist, gut! Ich gebe mein Wort.«
»Und die anderen Herren?«
Alle stimmten bei. Der Fürst fuhr nun fort:
»Also, ich theile Ihnen mit, daß ich die Baronin aus Rollenburg geraubt und hierher gebracht habe. Ich habe dabei einen Helfershelfer gehabt, nämlich hier den Herrn Doctor Zander.«
»Ah!« sagte der Justizrath, indem sich aller Augen auf Zander richteten. »Man sagt, daß der Herr Doctor die Baronin in Behandlung gehabt habe.«
»Allerdings! Nämlich der Baron hat die Absicht gehabt, seine Frau zu tödten.«
»Sogar wirklich. Er hat ihr ein Gift eingegeben, in Folge dessen sie in ihren gegenwärtigen Zustand gefallen ist. Er hat sie nach Rollenburg zu Doctor Mars geschafft und diesem eine hohe Gratification geboten, falls sie sterben sollte. Um sie zu retten, haben wir sie entführt.«
»Romantisch! Höchst romantisch!« meinte der Justizrath. »In diesem Falle werden Sie allerdings nicht bestraft, denn es fehlt der dolus, die Absicht, ein Verbrechen zu begehen. Sie hatten vielmehr die Absicht, ein solches zu verhüten. Und diese arme Baronin befindet sich bei Ihnen?«
»Ja. Sie liegt in einem Zustande der Erstarrung. Ich habe ihr durch Herrn Doctor Zander ein Gegengift geben lassen, und Sie Alle sollen nachher Zeuge ihres Erwachens sein, meine Herren.«
Diese Worte brachten eine bedeutende Wirkung hervor. Ausrufe der Verwunderung, der Befriedigung, der Erwartung wurden laut. Der Justizrath aber kehrte auch hier den juristischen Examinator heraus. Er fragte: »Sie verfolgen dabei, wie es scheint, eine bestimmte Absicht?«
»Ja, das gestehe ich.«
»Dürfen wir erfahren, welche?«
»Wenn Sie mir versprechen, mir nicht zu zürnen.«
»O, ich bin über jeden Zorn erhaben!«
»Sie glücklicher Mensch! Meine Absicht steht nämlich in inniger Beziehung zu dem Gegenstande unseres vorigen Gespräches. Das Erwachen der Baronin soll den Beweis liefern, daß Brandt unschuldig gewesen ist.«
Der Justizrath fuhr zurück, als hätte ihn eine Natter angezischt. Er sagte in fast drohendem Tone:
»Durchlaucht!«
»Schön! Ich denke, Sie sind über jeden Zorn erhaben?«
»Sie wissen ja wohl, was Sie sagten?«
»Gewiß!«
»Wenn eine Möglichkeit von Brandt’s Unschuld vorhanden wäre, so läge ja auch die Möglichkeit vor, daß wir uns damals geirrt haben!«
»Sehr folgerichtig!«
»Gegen diese Möglichkeit aber muß ich mich streng verwahren, Durchlaucht! Ich war Vorsitzender!«
»Das kann an meiner Absicht gar nichts ändern. Ich vermuthe nicht nur, sondern ich behaupte sogar, daß Brandt unschuldig ist.«
Da machte der Justizrath eine Verbeugung und sagte:
»Meine Zeit ist abgelaufen. Durchlaucht gestatten, daß ich mich jetzt zurückziehe.«
»Nein, danke!«
Er drehte sich um und schritt dem Eingange zu. Seine Haltung war so stolz, wie die eines Löwen, welcher an einem Rattenneste vorübergeht und keinen Appetit fühlt, diese niedrigen Thiere zu verschlingen.
»Herr Justizrath!« sagte der Fürst, als der pensionirte Gerichtsbeamte bereits an der Thür war.
»Durchlaucht?«
»Sie gehen wirklich?«
»Unbedingt! Ich kann mich nicht beleidigen lassen.«
»Ich ersuche Sie doch, zu bleiben!«
»Danke! Habe die Ehre, meine Herren!«
Er öffnete die Thür Da rief der Fürst:
»Halt! Sie bleiben!«
Diese Worte waren in einem solchen Tone gesprochen, daß der Justizrath herumfuhr und den Fürsten anstarrte.
»Wie? Was?« fragte er.
»Sie bleiben!«
»Nein, ich gehe! Selbst ein Fürst kann auf meine freie Selbstbestimmung keinen Einfluß äußern!«
»Und dennoch befehle ich Ihnen, zu bleiben!«
»Befehlen?« fragte der Pensionirte zornig.
»Ja. Kommen Sie her, und sehen Sie!«
Das klang so bestimmt, so allen Widerspruch ausschließend, daß der Justizrath wieder näher kam.
»Lesen Sie diese Karte!«
Er warf einen Blick auf dieselbe und sagte erschrocken:
»Ah, von Seiner Exzellenz!«
»Ja. Werden Sie nun bleiben?«
Der einstige Vorsitzende verbeugte sich tief und antwortete:
»Unter diesen Verhältnissen, ja!«
»Auch unter den erst vorwaltenden Verhältnissen wäre jeder Andere außer Ihnen geblieben. Glücklicher Weise hat man mich über Ihre Eigenthümlichkeiten unterrichtet. Ein braver Beamte, zumal Justizbeamte, verdient die höchste Achtung und möglichste Rücksichtnahme. Sie sind ein verdienstvoller Beamter gewesen, aber seit Sie dieses Band in das Knopfloch erhalten haben, leiden Sie am Größenwahn. Sie haben sich hier bei mir heute Abend eines Verhaltens befleißigt, als ob es für mich die höchste Ehre sei, Sie bei mir zu sehen. Gewöhnen Sie sich das ab! Sie machen sich doch nur lächerlich! Jetzt aber bitte, nehmen Sie Platz! Ich werde Sie überzeugen, daß Sie keineswegs so unfehlbar sind, wie Sie denken!«
Der Angeredete gehorchte, ohne ein Wort zu entgegnen. Er war leichenblaß geworden. Es kochte in ihm. Er sagte sich keineswegs, daß er diese Zurechtweisung verdient habe; aber der Respect vor der Unterschrift des Ministers legte ihm schweigenden Gehorsam auf.
»Meine Herren,« fuhr der Fürst fort. »Wir werden uns jetzt in das Nebenzimmer begeben. Es ist dunkel, damit sie unbemerkt Zeugen dessen sein können, was geschehen wird. Ich ersuche Sie, Ihre Anwesenheit durch kein Geräusch, durch keinen Laut zu verrathen.«
Er ergriff einen mehrarmigen Leuchter und schritt voran in das erwähnte Zimmer. Sie folgten.
Der Raum war mit dicken Teppichen belegt, und die schweren, weichen Polstermöbels waren ganz geeignet, jedes Geräusch zu ersticken. Sie nahmen Platz, einer dunklen Wand gegenüber, auf welche der Fürst sie aufmerksam machte, indem er sagte: »Dies scheint eine Zwischenwand, eine Mauer zu sein, ist aber nichts, als ein dünner, durchsichtiger, aber straff angezogener Schleier, durch dessen Maschen Sie blicken können, ohne bemerkt zu werden, weil Sie sich im Dunkeln befinden werden. Also bitte, so still wie im Grabe selbst!«
Er ging mit dem Lichte hinaus, und nun sahen sie allerdings, daß sie sich vor einem Schleier befanden, durch welchen sie den dahinter liegenden Raum als ein fein ausgestattetes Damenboudoir erkannten. Die Gaze war so fein, daß sie sogar die feinsten Striche der dahinter an der Wand hängenden Malereien zu unterscheiden vermochten. Es brannte drüben eine Ampel, welche ein mildes, aber durchdringendes Licht verbreitete.
Sie warteten in höchster Spannung der Dinge, die da kommen würden. Sie wagten nicht, auch nur ganz, ganz leise miteinander zu flüstern.
Jetzt wurde drüben eine Portière geöffnet, und zwei Diener brachten ein höchst elegantes Ruhebett hereingetragen, welches sie in die Mitte des Raumes setzten. Dann zogen sie sich zurück.
In den Kissen lag eine bleiche, aber wunderschöne Frauengestalt. Diejenigen von den verborgenen Zuschauern, welche die Baronin Ella von Helfenstein gesehen hatten, erkannten diese sofort.
Nach einer kurzen Pause trat der Fürst ein, mit ihm Doctor Zander. Sie benahmen sich so unbefangen, als ob sie gar nicht wüßten, daß sie belauscht würden.
»Warum ordneten Sie an, daß die Dame in dieses Zimmer geschafft werde?« fragte der Fürst laut.
»Dieses Zimmer hat eine abgesonderte Lage. Es steht zu befürchten, daß die Baronin bei ihrem Erwachen sich höchst aufgeregt benimmt, vielleicht laut weint und schreit, und da ist es besser, sie befindet sich in einem Zimmer, wo sie von Unberufenen nicht gehört werden kann.«
»Das genügt. Fühlen Sie den Puls?«
»Er ist bereits da. Es ist ganz genau so, wie Durchlaucht vorher bestimmt haben. In fünf Minuten wird die Allerärmste die Macht zurückerhalten, sich bewegen zu können.«
»So will ich bleiben. Sie darf bei ihrem Erwachen nicht allein sein.«
»Und ich? Wie befehlen, Durchlaucht?«
»Gehen Sie! Ich will mit ihr ganz allein sein. Kein Mensch soll hören oder sehen, was sie thut, außer mir.«
Zander ging.
Der Fürst setzte sich auf einen Stuhl, welchen er neben das Bett zog, und beobachtete sie.
Es vergingen mehrere Minuten; die fünf waren vorüber. Wie würde ihr Erwachen sein? Langsam, allmählich, von einem Gliede auf das andere übergehend?
Nein. Sie lag noch vollständig starr; aber einen einzigen Augenblick darauf ertönte ein überlauter, gräßlicher Schrei, und da saß sie aufrecht im Bette, mit weit von sich abgestreckten Händen und übernatürlich aufgerissenen Augen.
Der Fürst sprang auf.
»Gnädige Frau! Endlich, endlich!« sagte er.
Ihre blassen Wangen rötheten sich; sie zog die Hände wieder an sich, ballte sie aber zu Fäusten, streckte sie drohend wieder aus und knirschte mit der Stimme eines Teufels, eines höllischen Wesens: »Fluch ihm! Verderben! Rache! Rache!«
»Wem?« fragte der Fürst.
»Ihm, ihm! Dem Baron!«
Ihre Zähne knirschten so laut aufeinander, daß den Lauschern das Gehör wehe that.
»Er ist ein Satan! Ein tausendfacher Satan! Sie aber sind mein Retter! Er gab mir Gift, und ich konnte mich nicht regen; aber ich fühlte, ich hörte Alles, Alles! Die Minuten wurden zu Wochen, die Stunden zu Jahren und die Tage zu Ewigkeiten! Er stand vor mir mit Doctor Mars und besprach mit ihm, daß er mich ermorden solle. Und als Mars sagte, daß ich jedes Wort verstände, da hatte er noch höllische Freude darüber!«
Sie schüttelte die Arme drohend vor sich hin.
»Baronin, fassen Sie sich!« bat der Fürst.
»Fassen? Ich bin gefaßt; ich bin nicht aufgeregt. Oh, Fürst, Sie wissen nicht, welche Qualen ich erduldet habe! Hätte ich tausend Menschen umgebracht, ich wäre jetzt quitt mit dem Richter, denn eine jede Secunde ist mir zum letzten Augenblick, zur Hinrichtung geworden. Welch ein fürchterliches Gift! Mein Herz stand still, und meine Lungen waren wie Stein. Es war todteskalt in meinem Körper, und dennoch lebte ich. Ich wollte mich bewegen, und ich konnte nicht. Ich wollte die Fäuste ballen, und ich vermochte es nicht. Ich wollte schreien, ich wollte fluchen, beten; es ging nicht. Ich war wie eine Erzfigur im weichen, warmen Daunenbette. Da wurde jede Secunde zur Geburtsstunde eines Fluches für ihn. Meine Zunge lag in meinem Munde wie Eisen, und doch fühlte ich jeden Lufthauch, und doch hörte ich die Fliegen draußen am Fenster mit einander sprechen. Der Hunger, der Durst, sie wollten mich verzehren; aber sie konnten es nicht, denn ich war ja ein Stück Metall. Nun aber ist es vorüber, und nun soll die Reihe an ihn kommen, an ihn, an ihn, an ihn!«
»Gnädige Frau, verzeihen Sie ihm. Er ist Ihr Mann, Ihr Gemahl!«
»Was sagen Sie? Was wollen Sie? Mein Gemahl! Gerade aus diesem Grunde ist sein Verbrechen tausendfach größer und strafbarer. Sie sind ein weiches Gemüth, und Sie haben nicht einen einzigen solchen Augenblick erlebt, wie ich ihrer Millionen. Als ich Ihre Stimme zum ersten Mal wieder hörte, da tropfte ein Atom Himmelstrost in meine Höllenqual. Und als Sie dann mit Doctor Zander kamen, um mich zu entführen, mich zu retten, als Sie mich auf Ihren Armen in das Coupee trugen und heimlich nach hier brachten, da wollte ich vor Wonne laut aufbrüllen, da wollte ich meine Arme um Sie legen, um Sie todt zu drücken vor Seligkeit; aber, ich war ja noch todt. Doch ich wurde ruhig, ich wartete. Und als soeben Doctor Zander sagte, daß es nur noch fünf Minuten währen könne, da wußte ich, daß mein Erwachen kein wahnsinniges sein werde. Desto wahnsinniger aber wird meine Rache sein, meine Rache, Rache, Rache!«
»Bitte, legen Sie sich! Soll ich Ihnen eine Erquickung reichen lassen?«
»Legen soll ich mich? Erquickung soll ich genießen? Hölle und Tod! Ich werde mich nicht legen; ich werde nicht ruhen, bis ich ihn verdorben habe! Ich habe weder Hunger noch Durst nach Speise und Trank mehr. Ich hungere und dürste aber nach seiner Seele. Meine größte Erquickung wird sein, wenn sein Todesschrei in meine Ohren gellt. Durchlaucht, Sie haben mich gerettet! Sie dürfen dabei nicht stehen bleiben. Sie müssen auch ferner für mich handeln!«
»Was soll ich thun?«
»Wollen Sie? Wollen Sie?«
»Sagen Sie, was!«
»Sie sollen der Träger, der Schildknappe meiner Rache sein. Sie sollen der Dolch sein, den ich ihm in’s Leben stoße, und der Hammer, mit dem ich ihn zerschmettere!«
»Fassen Sie sich!«
»Fassen! Fassen! Fassen! Herrgott, wie kann ein Mensch so ruhig sprechen! Fassen! Ich wollte, ich könnte zur Flamme werden, in welcher er bis auf die Knochen verbrennt, und sollte ich mich dabei selbst auch verzehren. Verderben soll er, verderben! Er soll ausgestoßen werden, wie ein räudiger Hund. Er soll als Merkzeichen der Schande und der Gefährlichkeit dienen, wie die Eule, welche man an das Scheunentor nagelt. Und ich ruhe nicht eher, als bis Sie mir versprechen, mich dabei zu unterstützen.«
»Unchristlich! Ist er ein Christ? Oh, Sie kennen ihn ja nicht. Sie haben keine Ahnung, was er ist. Er ist der Auswurf der Menschheit, der größte Verbrecher. Er muß zertreten werden wie der Scorpion, der von seinem eigenem Gifte lebt.«
»Beste Baronin, Sie haben Fürchterliches ausgestanden; aber dennoch kann ich Sie nicht begreifen. Ein Verbrecher soll er sein?«
»Ja, ja und tausendmal ja!«
»Sie sprechen doch von Ihrem Gemahl?«
»Von wem sonst?«
»Vom Baron Franz von Helfenstein?«
»Bei allen Göttern und Teufeln, ja; ihn meine ich, ihn, ihn und keinen Anderen!«
»Und ein Verbrecher soll er sein? Hm!«
»Ihre Worte klingen wie kaltes Wasserplätschern, während in mir ein glühender Lavastrom wühlt. Ich werde Ihnen Alles sagen, Alles. Und dann sollen Sie hingehen, um ihn zu verderben. Sie allein sind der Mann dazu; Einen Anderen würde er verderben. Selbst den Minister, den König würde er morden, um sich zu retten. Sie aber sind ihm überlegen. Sie werden ihm den Stoß geben, ohne daß er ahnt, von wem er kommt!«
»Das klingt so, als ob er der größte Bösewicht sei.«
»Das ist er auch. Ich werde Ihnen alle seine Verbrechen entdecken. Dann handeln Sie!«
»Sie verderben sich ja selbst dabei!«
»Das will ich ja! Ach, ich hatte auch ein Herz; ich fühlte, ich liebte, ich hoffte. Sein Gift hat mir das Herz erstarrt. Ich war todt, und ich will wieder sterben. Vorher aber will ich ihn verderben!«
»Wüthen Sie nicht gegen sich selbst.«
»Schweigen Sie! Ich sage Ihnen ja, daß ich sterben will. Mir gilt das Leben nichts; denn, wissen Sie, ich habe sie gesehen, sie, sie, sie –«
Ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab.
»Wen?« fragte er.
Da verzerrten sich ihre Züge, und sie antwortete.
»Die Verdammten, ja, die Verdammten im ewigen Feuer! Ich lag jetzt Monate lang, aber ich konnte nicht schlafen – o, wissen Sie, was das heißt, nicht schlafen können! Das machte meine Seele glühend wie flüssiges Blei, und in dieser Gluth tauchte meine Vergangenheit auf, voller Haß, Rache, Lüge, Verrath, Meineid und Blut, ja, Blut, Blut, Blut! Es klebt hier an diesen meinen Händen, so weiß und schön sie auch zu sein scheinen. Ich wollte Baronin sein, und ich bin es auch geworden; aber ich gab mein Gewissen und meine Seligkeit dafür hin. Jetzt nun will ich beichten; vielleicht hat Gott dann Erbarmen!«
Sie legte das Gesicht in die Hände, als ob sie weinen wolle; aber ihrem glühenden Innern konnte keine lindernde Thräne entfließen.
»Jetzt hören Sie!« sagte sie dann. »Merken Sie wohl, daß ich jetzt ruhig und leidenschaftslos reden werde. Ich spreche von Thatsachen, nicht von Hirngespinsten, und da fließen die Worte unerregt dahin. Wollen Sie mich anhören?«
»Wenn es Sie erleichtern kann, ja.«
»Gut! Also zunächst ist der Baron ein Mörder.«
»Unmöglich!«
»O, sogar ein Doppelmörder. Er hat seinen Cousin, den Grafen Otto von Helfenstein und sodann den Hauptmann von Hellenbach während einer Nacht und des darauf folgenden Morgens ermordet!«
»Gnädige Frau, bedenken Sie wohl, was Sie sagen!«
»Ich sage die Wahrheit, Durchlaucht! Sie wissen wohl, daß ich einst die Zofe der Baronesse Alma von Helfenstein war?«
»Man sprach davon.«
»Sie glaubten es wohl nicht?«
»Ich achtete gar nicht darauf.«
»Nun, es verkehrte auf dem Schlosse ein Försterssohn namens Gustav Brandt. Ich liebte ihn, er aber stieß mich von sich. Ich liebe ihn noch heute, aber ich beschloß, mich zu rächen. Und die Gelegenheit kam.«
Sie erzählte nun Alles, was an jenem fürchterlichen Abende geschehen war. Und sie erzählte es in so ruhiger, monotoner Weise, als ob sie es aus einem Buche ablese. Dann berichtete sie auch von dem Morde des Hauptmanns von Hellenbach.
»Aber,« fragte er, »wie wollen Sie denn hier beweisen, daß der Baron und nicht Brandt der Mörder gewesen ist? Sie waren nicht dabei.«
»Erstens hat er es mir selbst gestehen müssen, und zweitens giebt es zwei Zeugen, welche es gesehen haben.«
»Wer sind diese?«
»Der Schmied Wolf und sein Sohn. Sie haben hinter den Bäumen gesteckt. Sie waren Pascher, und Brandt war ja gekommen, der Schmuggelei ein Ende zu machen. Darum verriethen sie den wahren Mörder nicht?«
»Und Sie schworen vor Gericht falsch?«
»Ja. Ich ging vor der Verhandlung zum Baron und drohte ihn zu verrathen. Da ging er mit mir zum Pfarrer und verlobte sich mit mir.«
»Entsetzlich!«
»Was noch?«
»Baron Franz war arm und hatte Schulden. Sein Cousin war nun todt; aber der kleine Robert lebte noch. Er ließ ihn tödten.«
»Durch wen?«
»Durch die beiden Schmiede, welche das Schloß wegbrannten.«
»Und der Knabe verbrannte mit?«
»Ja.«
»Er lebt also nicht mehr?«
»Nein.«
»Wissen Sie das genau?«
»Ganz genau, obgleich ich seit jener Zeit nicht wieder darüber gesprochen habe.«
»Mein Gott! Fürchterlich!«
»Nun erbte mein Mann die Baronie. Er konnte seinem Stande gemäß leben; aber er war nie sparsam gewesen und verschuldete sehr bald. Was thun, um Geld zu haben?«
»Er wurde Schmuggler?«
»Ah! Sie wissen es?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Davon später. Ihr Mann ist der eigentliche Pascherkönig, obgleich er mehrere Untergebene besitzt, welche sich ganz ebenso nennen.«
»Gerade das wollte ich Ihnen sagen«
»Weiter, Baronin!«
»Was weiter?«
»Was treibt er hier in der Stadt?«
»Teufel! Sollten Sie auch davon wissen?«
»Vielleicht!«
»Sagen Sie es! Bitte!«
»Er ist der Hauptmann!«
»Wirklich, wirklich!« rief sie aus. »Sie wissen es. Sie wissen alles! Aber woher?«
»Aus Zufall und weil ich mich privat für diese Angelegenheit interessire.«
»So brauche ich Ihnen weiter kein Geständniß mehr zu machen, Durchlaucht?«
»Jetzt nicht. Nur Eins noch: Wie weit ist dieser fromme Schuster Seidelmann in das Geheimniß gezogen?«
»Das weiß ich nicht genau.«
»Ich werde es erfahren. Doch sagen Sie, werden Sie mir auch fernerhin Auskunft ertheilen, wenn ich mich bei Ihnen erkundige?«
»Gern und gewiß!«
»Und der Wahrheit gemäß?«
»Ja.«
»Werden Sie Ihre jetzigen Bekenntnisse auch vor dem Richter wiederholen?«
»Ja. Aber nicht –«
»Nicht in der öffentlichen Verhandlung.«
»Und wenn man Sie dazu zwingt?«
»Zwingen? Durchlaucht, Sie sind ein Mann und reden von Zwang? Ich sage Ihnen, daß ich sterben will; ich will Alles, Alles gestehen und dann Abschied nehmen; aber in die öffentliche Verhandlung bringt mich Niemand, kein Mensch, keine Macht und keine Gewalt.«
»Ich begreife das. Ich setze nun den Fall, Brandt lebe noch und er könne aufgefunden werden. Würden Sie sich auch diesem gegenüber stellen lassen?«
»Ja.«
»Und Alles gestehen?«
»Ja. Aber nicht etwa aus Angst oder Reue. Ich würde ihm nur sagen: Du hast mich nicht gemocht, und so habe ich mich gerächt. Wärest Du klüger gewesen.«
»Und wenn man Sie Ihrem Manne gegenüberstellt?«
»Das werde ich sogar verlangen.«
»Gut, so sind wir einig. Ihr Asyl haben Sie bei mir. Oder wünschen Sie einen anderen Aufenthaltsort?«
»Nein. Nur erwarte ich, daß Sie mich jetzt sofort der Polizei übergeben würden.«
»Das fällt mir nicht ein. Wer den Hauptmann stürzen will, der muß es besser anfangen. Er würde Sie ganz einfach für wahnsinnig erklären, und da Sie aus der Irrenanstalt kommen, so würde es sehr glaubhaft sein.«
»Er würde sie zu entkräften versuchen. Nein. Er muß langsam, geschickt und sicher umspannt werden, bis ganz plötzlich und unerwartet das Netz so über ihn zusammengezogen wird, daß er weder entgehen noch leugnen kann. Bis dahin bleiben Sie bei mir.«
»Wenn ich nun meine heutige Aufrichtigkeit unterdessen bereute, Durchlaucht?«
»Pah!« lachte er.
»Und mich von hier flüchtete.«
»Das thun Sie nicht.«
»Wissen Sie das so genau?«
»Ja, ich kenne Sie.«
»Ich sehe, Sie verstehen mich. Wie freue ich mich auf den Augenblick, an welchem dieser verfluchte Baron in Ketten vor mir steht! Ich freue mich darauf wie ein Racheteufel! Jetzt aber, Durchlaucht, sagen Sie mir, welches Wohngemach Sie mir anweisen. Dieses hier?«
»Nein. Ich werde Ihre Bedienung rufen. Sie sollen Alles finden, was Sie brauchen; es ist bereits vorgesorgt. Uebrigens bitte ich, mich mit Ihren Wünschen stets bekannt zu machen.«
Er zog an einer Glockenschnur, und dann erschien eine Zofe, welcher er die Baronin übergab. Als sich diese Beiden entfernt hatten, zog der Fürst an einer weiteren Schnur, und sogleich ging der Schleiervorhang zur Seite. Die heimlichen Zuschauer wurden jetzt von dem Lichte beschienen. Keiner von ihnen hatte ein Geräusch verursacht, und Keiner hatte bisher mit einem Andern ein Wort gesprochen.
Alma saß neben dem Obersten von Hellenbach. Sie bewegte sich nicht und hielt das Taschentuch vor das Gesicht.
»Nun, Herr Justizrath,« sagte der Fürst, »halten Sie sich auch jetzt noch für infallibel?«
Der Gefragte stand auf und antwortete:
»Habe ich jetzt geträumt, Durchlaucht?«
»Sie leben in der Wirklichkeit.«
»Diese Dame war wirklich die Baronin?«
»Ja.«
»Und sie ist nicht –«
Er deutete nach dem Kopfe.
»Noch weniger jedenfalls als Sie!«
»Dann – dann – dann –«
»Nun, bitte, sprechen Sie sich aus.«
»Dann – – dann haben wir uns allerdings damals geirrt, fürchterlich geirrt!«
»Ja, das ist wahr. Gut, daß Sie es doch noch einsehen. Sind auch die anderen Herren dieser Meinung?«
Alle antworteten mit Ja.
Da gab er dem Gerichtsrathe die Hand und sagte:
»Sie sehen, daß ich Wort gehalten habe. Sie kennen den Mörder Helfensteins und Hellenbachs, den Hauptmann, den Pascherkönig und auch den Fürsten des Elendes.«
»Wer ist denn das?« fragte schnell der Justizrath.
»Errathen Sie das nicht?«
»Ah! Auch dieser Baron Franz von Helfenstein! Sonderbar! Auf der einen Seite ein Teufel und auf der anderen ein solcher Engel!«
»Vielleicht irren Sie sich doch!«
»Aber, Durchlaucht, Sie müssen sofort Anzeige machen.«
»Wo?«
»Bei der Polizei.«
»Wozu eigentlich?«
»Der Hauptmann muß festgenommen werden.«
»Ueberlassen Sie mir, zu thun, was ich für gut befinde! Sie haben meine Legitimation ja in den Händen gehabt. Uebrigens habe ich Aller Ehrenwort, das tiefste Stillschweigen einzuhalten. Herr Assessor von Schubert, Sie werden in dieser Angelegenheit viel Arbeit erhalten.«
Der Angeredete verbeugte sich tief und antwortete unter glückstrahlendem Gesichte:
»Durchlaucht geben mir so sehr Gelegenheit, mir das Vertrauen meiner Oberbehörde zu erwerben, daß ich nicht genug dankbar sein kann!«
Dann wurden sie Alle außer Alma und dem Obersten entlassen. Dieser Letztere war bis jetzt im Zimmer hin und her gegangen.
»Wer hätte das gedacht!« sagte er.
»Nun endlich kennen Sie den Mörder,« meinte der Fürst. »Sie werden besser von Brandt denken.«
»Durchlaucht, wenn ich diesen Kerl hier hätte, ich zerruppte ihn vor Reue, daß ich ihm unschuldiger Weise die Hölle gewünscht habe. Soll auch ich Schweigen bewahren?«
»Natürlich!«
»Meine Frau und meine Tochter –?«
»Erfahren es auch später zeitig genug.«
»Na, ganz wie Sie wollen! Aber haben Sie wirklich die Absicht, diesen Baron Franz von Helfenstein immer noch länger laufen zu lassen?«
»Lange nicht mehr. Die Falle ist bereits fertig. Ich brauche sie ihm nur vor die Füße zu legen, so läuft er ganz sicher hinein.«
»Nur zu, nur zu! Dann werde auch ich ein Wort mit dem Schurken sprechen, da ich für jetzt noch still sein muß. Nun aber darf ich mich empfehlen. Oder bekomme ich die Erlaubniß, Fräulein von Helfenstein begleiten zu dürfen?«
»Bitte, mir das Fräulein noch kurze Zeit zu überlassen. Es giebt noch Einiges zu besprechen.«
»So? Gute Nacht, meine Herrschaften! Hoffentlich sehe ich Sie schon morgen wieder bei mir!«
Alma hatte bis jetzt auf ihrem Sessel keine Bewegung gemacht. Als aber Hellenbach die Thür zugemacht hatte, fuhr sie auf, kam herbei und warf sich mit einem Schrei an die Brust des Fürsten. Er drückte sie an sich und flüsterte ihr zu: »Nicht wahr, es war fast zu viel!«
Ein heftiges Schluchzen war die Antwort.
»Komm, Kind, ruhe Dich aus!«
Er zog sie auf den Divan neben sich nieder und nahm ihr Köpfchen an sein Herz. Sie weinte lange, lange Zeit vor sich hin, dann wurde sie endlich ruhiger.
»Jetzt erst habe ich eingesehen, wie und was Du gelitten haben mußt!« sagte sie.
»Ja, ich war sehr unglücklich, meine Alma, doch ist es zu meinem Heile gewesen. Gott hat mich dafür in anderer Weise gesegnet. Hätte die Baronesse den armen, bürgerlichen Försterssohn lieben dürfen?«
»Ich hätte nicht darnach gefragt. Du wärst avancirt. Vielleicht wärst Du heute –«
»Polizeiminister, nicht?« lächelte er.
»Warum nicht?«
»Nun, so ist es doch immerhin besser. Was sagst Du zu Deiner einstigen Zofe, Alma?«
»Sie ist ein teuflisches Wesen.«
»Ja. Aber sie hat jetzt ausgestanden, was Tausende nicht überstanden hätten. Und weißt Du, wer daran schuld war?«
»Nein. Wer war es?«
»Ich.«
»Ah, Du? Daß sie in diese Lethargie versank?«
»Ja. Es war das, wie ich mich einmal rühmen will, ein Meisterstückchen von mir. Ich mußte sie mit Haß und Rachsucht gegen ihren Mann erfüllen, damit sie an ihm zur Verrätherin werde; darum veranlaßte ich ihn, sie nach Rollenburg zu schaffen.«
»Gab er ihr auch das Gift auf Deine Veranlassung hin?«
»Nein. Nun aber ist sie seine größte Feindin geworden.«
»Du meinst, daß sie ihr Geständniß nicht bereuen wird?«
»Nein. Sie wird von ihrer Rache nicht lassen.«
»Es war entsetzlich, was ich hörte! Armer, armer Vater! Ich sehe ihn noch im Blute vor mir liegen! Und weißt Du, was mich am Tiefsten betrübt?«
»Sage es, mein Leben!«
»Daß Robert wirklich verbrannt ist.«
»Noch glaube ich es nicht.«
»Sie sagte es doch!«
»Entweder weiß sie wirklich nichts, oder sie hat einen Grund, es nicht zu sagen.«
»Sie werden es gestehen müssen. Ich werde überhaupt dafür sorgen, daß sie sich baldigst aller ihrer Geheimnisse entledigen. Wir haben noch so Vieles zu besprechen, liebe Alma. Darf ich Dich morgen besuchen?«
»O bitte, komm!«
»Und heute fahre ich Dich heim?«
»Willst Du denn, Du lieber, lieber Mann?«
»Nicht gern!«
»Ah! Nicht? Warum?«
»Weil, so lange ich Dich heimfahren muß, Du an einem anderen Orte wohnst als ich.«
»Du meinst, ich sollte eigentlich bei Dir wohnen?«
»Ja! Ich muß mich aber noch gedulden.«
Ungefähr um dieselbe Zeit traten zwei junge Herren in ein Haus des Altmarktes. Die erste Etage desselben enthielt eine Weinlocalität, welche man mit dem Namen Cavaliercasino zu bezeichnen pflegte.
Sie stiegen die Treppe empor und klingelten an der Vorsaalthüre. Ein Mädchen öffnete. Diese Person war sehr leicht gekleidet und von üppigen Formen, so wie sie von jungen Lebemännern zur Bedienung geliebt werden.
»Guten Abend, Anna!« grüßte der Eine.
»Guten Abend, Herr Lieutenant!« dankte sie, indem sie es duldete, daß er sie in den vollen Arm kniff.
»Fast vollzählig.«
»Schön! Komm, Hagenau!«
Der Genannte war jener Oberlieutenant von Hagenau welcher in Rollenburg das unglückliche Rencontre bei der Melitta gehabt hatte.
Sie traten aus dem Corridor zunächst in ein leeres Zimmer, wo sie ablegten. Dann öffneten sie die Thür zu dem nächsten Raume. Dieser war sehr comfortabel eingerichtet. Zehn oder zwölf Gäste saßen da, lauter junge Leute. Sie blickten auf, als die Beiden eintraten. Einer rief: »Donnerwetter! Hagenau! Ist’s wahr?«
»Hagenau, der Kranich?« fragte ein Anderer. »Weiß Gott, er ist’s! Mensch, wer bringt Dich auf den glücklichen Gedanken, nach der Residenz zu kommen?«
»Ich selber!« schnarrte der Lange. »Meine eigene Erfindung! Kinder, habt ihr was zu trinken?«
»Nur Punsch einstweilen.«
»Pfui Teufel! Das ist ein Gesöff für Höckenweiber, aber nicht für Cavaliere. Gebt doch mal da die Weinkarte her!«
Er setzte sich, wählte aus und bestellte. In kurzer Zeit saßen die Herren beim Weine anstatt beim Punsche. Das war so Hagenau’s Eigenthümlichkeit. Er hatte ja Geld, und das war ebenso gut, als ob Andere auch welches hätten.
Eine der Kellnerinnen machte sich an seinem Stuhle zu schaffen. Sie bemerkte seine gestickte und gespickte Börse und mochte ein gutes Trinkgeld ersehnen. Darum lehnte sie sich an seinen Stuhl und legte ihm den Arm um den Nacken. Er drehte sich zu ihr um, sah sie prüfend an und fragte: »Mädel, hast Du Dich gewaschen?«
»Natürlich!«
»So trockne Dich an einem Anderen ab, aber nicht an mir! Verstanden?«
Alles lachte.
»Der Gebrannte fürchtet das Feuer!« stichelte Einer.
»Geht das auf mich?« fragte er.
»Nein, sondern auf die Melitta.«
»Haltet den Schnabel von dieser Aventurie, Kameraden! Das ist eine ganz hundsgemeine Angelegenheit.«
»Wie lange wird sie noch schweben?«
»Das weiß der Teufel! Unterdessen schweben auch wir, nämlich zwischen Hangen und Bangen. Soll mir nie wieder einfallen, eines Mädels wegen eine Flasche Wein zu riskiren.«
»Ist denn der Hausknecht todt?«
»Ja.«
»Und der Andere, der fromme Schuster?«
»Der lebt, der befindet sich ganz wohl, einstweilen aber noch in Nummer Sicher. Wie da der Fürst von Befour dazu kommen konnte, das ist mir auch ein Räthsel. Was hatte der dort zu suchen?«
»Vielleicht hatte er auch von der Venus gehört.«
»Unsinn!«
»Nun, sie wohnt ja bei ihm.«
»Aber mit ihrem Vater. Den hatte er angestellt. Uebrigens, da fällt mir ein: Wißt ihr’s von der Leda?«
»Natürlich! Es steht ja in den Blättern!«
»Oho! Was denn?«
»Daß sie gefangen ist.«
»Ja, das steht wohl darin, nicht aber, warum sie da drinnen steckt.«
»Weißt Du es vielleicht?«
»Auch nicht genau. Aber man munkelt so Allerlei.«
»Behalte es gütigst für Dich! Ich weiß etwas Besseres, was uns weit mehr interessirt.«
»Was denn?«
»Scharfenberg kommt heute.«
»Das glaube ich nicht. Wir haben ihn kürzlich so gerupft, daß er es wohl nicht gleich wieder wagen wird.«
»Er kommt dennoch. Ich weiß es.«
»Wer sagt es?«
»Er selbst. Ich war bei ihm.«
»O! Und wieviel!«
»Wirklich? Wirklich?«
»Volle zehntausend Gulden sage ich Euch.«
»Mensch, Du bist nicht bei Troste!«
»Ich beschwöre es!«
»Phantasie! Woher soll er zehntausend Gulden haben? Sein Vater honorirt nicht mehr, und sein Onkel hat es nun auch satt.«
»Ich will es Euch mittheilen: Gepumpt.«
»Auch das glaube ich nicht. Wer pumpt ihm noch eine so hohe Summe?«
»Ein gewisser Schönlein.«
»Kenne diesen Namen nicht. Wer ist er?«
»Weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Scharfenberg von ihm zehntausend Gulden geborgt hat, dreitausend baar, und das Uebrige in feinen Ausländern.«
»So wird er ein paar Hälse brechen lassen.«
»Nein. Er wird eine Bank legen.«
Da sprangen sie Alle auf, außer Hagenau.
»Ist’s wahr?« fragte es im Kreise.
»Gewiß. Er hat es mir versprochen.«
»Dann rasch in das hintere Zimmer! Es ist doch geheizt?«
»Schon längst,« antwortete das Mädchen.
»So kommt? Hagenau, Du machst doch ein kleines Spielchen mit?«
»Warum nicht?«
»Wer verliert, gewinnt nicht.«
»Donnerwetter! Was für ein geistreicher Einfall!«
»Ja, gewiß! Stammt von mir; meine eigene Erfindung. Na, bin lange Zeit nicht bei Euch gewesen. Wie hoch pointirt Ihr denn jetzt?«
»Das ist verschieden. Gewöhnlich beginnt es niedrig und steigt nach und nach höher.«
»Gerade wie bei den Brennesseln, die wachsen auch! Schon wieder verdammt geistreicher Ausdruck!«
»Also Du machst mit?«
»Habe wirklich keine Lust.«
»Warum nicht?«
»Hm! Scharfenberg!«
Dabei machte Hagenau mit der Hand eine geringschätzende Geste.
»Hast Du etwas gegen ihn?«
»Na! Ist nicht nobel!«
»Pah! Die Scharfenbergs sind ein uraltes Geschlecht.«
»Geschlecht hin, Geschlecht her, er ist nicht nobel. Er verschafft sich sein Geld auf undelicate Weise und wirft es dann unsinnig wieder von sich. Ich gebe auch gern aus; aber ich weiß, was ich einnehme.«
»Na, es ist doch aber kein Unglück, wenn Du ihm einige Gulden abnimmst.«
»Habe aber leider so verdammtes Schwein. Darf nur Würfel oder Karten anrühren, so gewinne ich.«
»Das halte ich nun freilich für keinen Grund, sich vom Spiele auszuschließen. Komm!«
Da wendete sich Hagenau zu ihm und fragte leise:
»Sind denn die Anderen – hm?«
»Du meinst Industrieritter?«
»Ja. Kenne sie ja nicht«
»Alle aus guter Familie. Werde sie Dir vorstellen. Ist ja das Cavaliercasino hier. Zweifelhafte Größen wagen sich da nicht her.«
Und doch war gerade dieses Local von solchen Größen sehr besucht. Es kamen viele Leute, welche vom Spiele lebten oder von, man wußte selbst nicht was.
In kurzer Zeit war das obere Zimmer wieder leer, da sich Alle nach dem Spielsalon begeben hatten. Die Kellnerinnen hielten die Thüre von innen verschlossen, damit die Herren ja nicht von der Polizei überrascht werden konnten.
Nach einer Weile klopfte es an.
»Wer draußen?« fragte eins der Mädchen.
»Scharfenberg.«
»Bitte, kommen Sie!«
Ihm wurde geöffnet. Er trat ein, küßte die Kellnerin, gab ihr einen freundlichen Klapps und fragte:
»Alle hinten.«
»Ach so!«
Damit verschwand auch er im Salon.
»Wie viel wird er heute verlieren!« meinte die eine Kellnerin, indem sie den Kopf schüttelte.
»Nicht mehr, als er bei sich hat. Geborgt bekommt er nicht mehr.«
Es kamen noch einige Herren, welche durch dieselbe Thür wieder verschwanden. Es wurde viel Wein getrunken; aber es ging sehr ruhig zu.
Nach und nach begann es, lebhafter zu werden. Die Flaschen wurden schneller leer, und bald konnte man Ausrufe wie »Zweihundert Gulden rechts« und »Fünfhundert links« hören.
»Ah, so hoch ist es noch nie zugegangen,« meinte das eine Mädchen. »Fünfhundert Gulden! Horch, wie man das Geld klingen hört!«
So spielte man durch einige Stunden. Der Wein that immer mehr seine Wirkung. Der Wirth wahrte seinen Vortheil und sandte nun schlechtere Nummern, die heimtückisch wirkten. Die Stimmen wurden immer lauter; es ließen sich Flüche hören, Verwünschungen und Drohungen, die eigentlich nicht in ein Casino gehörten.
Da einmal ließ sich Scharfenberg’s Stimme hören:
»Tausend Gulden in Papier noch einmal!«
Es wurde einige Augenblicke still, dann riefen mehrere Stimmen durch einander.
»Verloren! Abgefallen! Höre auf, Scharfenberg!«
Aber als Antwort auf diesen guten Rath sagte er:
»Abermals tausend Gulden!«
Dann hörte man Einen fragen:
»Sind es wirklich tausend?«
»Ja. Natürlich!«
»Auf Ehre?«
»Auf Ehre!«
»Na, dann braucht man ja nicht erst die Päckchen zu öffnen, um nachzusehen.«
Wieder dauerte es eine Weile, da erklang die Stimme Scharfenbergs:
»Das letzte Tausend auch noch! Hat der Teufel so viel geholt, so mag er auch noch dieses holen! Gebt einmal die volle Bulle her!«
»Donner und Doria! Weiß Gott, er trinkt sie aus, rein aus! Jetzt geht’s los, Scharfenberg! Schau her! Ah! Das letzte Paquet ist zum Teufel, ganz so, wie Du es haben wolltest! Condolire, alter Junge! Fast zehntausend Gulden verloren!«
»Halte das Maul!« antwortete Scharfenberg. »Was mache ich mir daraus, wenn ich diese Kleinigkeit verliere! Wer borgt mir tausend?«
Niemand antwortete.
»Ich frage, wer mir tausend leihen will?«
»Donnerwetter! Erst nehmt Ihr es mir ab, und dann verweigert Ihr mir den Credit! Hagenau, Du hast viertausend gewonnen. Pumpe mir zweitausend davon!«
»Das geht nicht, alter Junge!«
»Nicht? Warum nicht?«
»Ist gegen meinen Grundsatz. Vom Gewinn verborge ich nie einen Heller!«
»So hast Du ja noch anderes Geld bei Dir?«
»Na, höre mal, wie kommst Du mir vor! Wenn ich vom Gewinn nichts verborge, so verborge ich doch von dem Anderen erst recht nichts.«
»Du hast doch soeben Stautenau vierhundert gelassen!«
»Ja, mein Sohn, der giebt mir’s wieder.«
»Ich wohl nicht?«
»Hm!«
»Ich frage, ob Du sagen willst, daß Du Dein Geld nicht wiederbekommen würdest?«
Er ärgerte sich über den Verlust und nun auch über die Hartnäckigkeit Derer, die ihm keinen Vorschuß geben wollten. Seine Stimme klang erregt; er war gewiß schon ziemlich den Geistern des Weines verfallen.
»Das will ich nicht wörtlich sagen,« antwortete Hagenau, nun auch mit bereits verschärfter Stimme.
»Nicht wörtlich! Wie denn?«
»Nein! Lassen wir das nicht! Jetzt wird es Ehrensache! Schießest Du mir tausend Gulden vor oder nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Das brauche ich nicht zu sagen.«
»Wenn Dir es nicht an Muth gebricht, so sage es!«
»Kommst Du mir so? Gut! Ich borge Dir nichts, weil wir Alle wissen, daß Du bereits Deine Ehre verpfändet gehabt hast, ohne zu zahlen.«
»Wer hat das gesagt? Wer sagt es, wer?«
»Ich sage es!« erklang es fest und bestimmt.
»Wirst Du dieses Wort zurücknehmen?«
»Nein.«
»Und Du willst auch Deinen Gewährsmann nicht nennen?«
»O doch!«
»Nun, wer hat es gesagt?«
»Der Soldat Bertholt.«
»Alle Teufel! Ein Soldat! Was, so ein gemeiner Kerl, so ein Hallunke, von einem Offizier sagt, das wird so ohne Weiteres von den Herren Oberlieutenants für wahr angenommen?«
»Bertholt sagt nie eine Lüge!«
»Aber ich wohl, he?«
»Das geht mich nichts an.«
»Woher will denn dieser obscure Bertholt diese Neuigkeit wissen?«
»Aus Deinem eignen Munde.«
»Alle Wetter! Das ist stark! Ich kenne nicht einmal einen Soldaten Bertholt und wäre auch wohl der Allerletzte, der einem solchen Menschen solche Dinge mittheilte. Das ist die gemeinste, die schandbarste Lüge, und ich werde diesen Kerl dem Obersten zur strengsten Bestrafung melden.«
»Thue das!«
»Bis dahin nimmst Du aber Dein Wort zurück!«
»Nein!«
»Himmelelement!«
»Dann wird es sich ja erst zeigen, ob Bertholt gelegen hat.«
»Es ist Lüge!«
»Du warest bei Deinem Onkel auf Besuch?«
»Ja.«
»Und hast dort Besuch erhalten?«
»Nein.«
»O doch!«
»Wen denn?«
»Den Juden Salomon Levi von hier.«
Es blieb einen Augenblick lang still; dann aber lautete die Antwort Scharfenbergs:
»Das nennst Du Besuch?«
»Er war bei Dir?«
»Also doch! Ihr habt im Vorzimmer mit einander gesprochen. Von dort geht ein Wasserleitungsrohr in’s Parterre. Das Rohr ist nach früherer Art von Blech und sehr weit. Daher kann man jedes Wort hören, was oben gesprochen wird.«
»Und da hat der Kerl gelauscht?«
»Nein. Er stand da Posten und hat Alles unfreiwillig hören müssen. Dann ist von Dir die Rede gewesen, und er hat erzählt, was er gehört hat. Kannst Du ihm das verbieten?«
»Er hat gelogen. Ich verlange, daß Du Deine Beleidigung zurücknimmst!«
»Die Wahrheit kann nie beleidigen. Bringe mir den Juden, und wenn er behauptet, daß er bezahlt ist, so will ich widerrufen, sonst aber keinesfalls.«
Da hörten die draußen an der Thüre lauschenden Kellnerinnen eine andere Stimme:
»Donnerwetter! Was ist denn das? Das sollen tausend Gulden sein?«
Es hatte Einer ein Paquet Scharfenberg’s geöffnet.
»Natürlich!« antwortete dieser.
»Du sagtest tausend Gulden in Papier?«
»Ja.«
»Darunter verstehe ich aber doch Guldenscheine, nicht Actien, Kuxes oder ähnliche Wische!«
»Diese Papiere sind gut!«
»Wie soll das sein? Keine Guldennoten sind es? Da will ich denn doch gleich einmal nachsehen! – Ah! Chilenen! Donnerwetter! Solche Wische! Darum also hat er sie eingepackt! Und er behauptete auf Ehre, daß jedes Päckchen tausend Gulden enthalte!«
»Das ist auch der Fall!« schrie Scharfenberg.
»Unsinn! Dort liegt die Zeitung mit dem Cursvermerk. Es ist sogar die neue Abendnummer. Her damit! Welche Emission? Schaut einmal, Kameraden! Diese Wische stehen dreiundzwanzig. Zehn derselben sind also zweihundertunddreißig Gulden werth, anstatt tausend!«
»Lüge! Niederträchtige Lüge!« rief Scharfenberg.
»Du! Höre, dieses Wort sagst Du nicht noch einmal! Ich habe nämlich lesen gelernt!«
»Und dennoch ist es Lüge!«
»Gut. Hier hast Du die Lüge!«
Es erfolgte ein klatschendes Geräusch, wie von einer Ohrfeige. Dann hörte man einen brüllenden Wuthschrei Scharfenberg’s. Es schien eine kleine Katzbalgerei stattzufinden, wobei aber Scharfenberg von den Anderen fest-und zurückgehalten wurde.
»Ohrfeigen! Ohrfeigen zu geben!« schrie er. »Das kostet Blut! Nur Blut kann das abwischen! Verstanden!«
»Pah! Ich bemerke nicht, daß meine Hand schmutzig ist. Du brauchst nicht auch noch abgewischt zu werden!«
Eine Flasche zertrümmerte an der Wand, und dann ertönte Hagenau’s Stimme:
»Mensch, unterlaß diese Gassenbubenstreiche, sonst werde ich Dich noch einmal bei der Parabel nehmen!«
»Genugthuung! Satisfaction muß ich haben. Morgen schicke ich Dir meinen Bevollmächtigten!«
»Das laß nur sein! Mit Einem, der Ohrfeigen empfängt und seinen Ehrenschein nicht einlöst, schlage ich mich nicht.«
»Ich werde Dich zu zwingen wissen! Ich haue Dich auf offener Straße krumm!«
»Papperlapapp! Das geht nicht so schnell! Aber, höre, Mann, wenn ich mich auch nicht mit Dir schlage, so kommt es mir doch auf ein kleines Duellchen nicht an. Wie wäre es mit einem amerikanischen?«
»Mir recht!«
»Schön! Dir kann geholfen werden. Kinder, thut mir den Gefallen und gebt einmal das Geld wieder her, was Ihr von ihm gewonnen habt. Ich habe da einen famosen Gedanken! Eigene Erfindung!«
»Hier, hier, hier!« schob man ihm die Summen zu.
»So recht!« meinte er in befriedigtem Tone. »Jetzt, Scharfenberg, wollen wir sehen, ob Du Muth hast. Also, ein amerikanisches Duell.«
»Ich habe bereits gesagt, daß ich einverstanden bin.«
»Nur sachte! Ich meine nämlich ein echtes Yankee-Duell, wobei der Mammon eine Rolle spielt. Ich will Dir die Satisfaction nicht verweigern. Ich biete sie Dir in Geld, und Du brauchst ja Geld. Hier sind Deine zehntausend Gulden, das heißt, die sogenannten zehntausend. Die setze ich, und Du setzest Dein Leben. Wir würfeln. Wer am höchsten wirft, gewinnt. Gewinne ich, so hast Du Dich binnen heute und einer Woche zu erschießen, gewinnst aber Du, so sind die zehntausend Gulden Dein.«
»Verflucht schneidige Idee!« lachte eine Stimme.
»Ja, meine eigene Erfindung!« schnarrte Hagenau. »Aber ich glaube nicht, daß dieser Mann den Muth hat, darauf einzugehen. Er zittert vor Angst schon!«
War diese Idee nur dem Weinrausche entsprungen, oder meinte Hagenau es wirklich ernst? Auch Scharfenberg war betrunken, mehr noch als die Anderen; er hatte ja gleich eine volle Flasche geleert. Er dachte daran, daß er sein Geld wiedergewinnen und dabei seinen Muth beweisen könne; an das Verlieren aber dachte er nicht.
»Du irrst Dich!« sagte er höhnisch. »Mein Muth ist wohl noch ein anderer, als der Deinige. Ich beweise es Dir, indem ich darauf eingehe.«
»Ja.«
»Dein Leben gegen diese Papiere?«
»Ja.«
»Hört Ihr’s? Habt Ihr’s gehört?«
»Ja, ja,« antwortete es.
»Einen Becher mit drei Würfeln her! So! Hier, Scharfenberg! Du bist der Beleidigte. Wirf zuerst!«
Man hörte die Würfel im Becher klirren und dann auf den Tisch fallen. Hagenau zählte:
»Fünf und fünf und vier macht vierzehn! Stimmt’s?«
»Ja,« antwortete Scharfenberg in frechem Tone.
»Alle Teufel! Ich glaube, das Geld ist verloren. Na, wir wollen sehen, was zu machen ist.«
Er schüttelte die Würfel im Becher und warf.
»Tausend Donner!« rief er. »Was ist denn das? Sechs, fünf und vier, macht fünfzehn. Gewonnen! Gewonnen! Kinder, nehmt Euer Geld wieder! Scharfenberg, das Wort ist der Mann. Heute in einer Woche! Verstanden?«
»Hole Euch alle der Teufel!«
Mit diesen Worten kam er aus dem Spielsalon gestürzt. Er riß seine Kopfbedeckung vom Nagel und eilte davon, ärmer noch, als er heute am Morgen gewesen war, trotzdem er zehntausend Gulden aufgenommen hatte. –
Zweites Capitel
Falschmünzer
Der Jude Salomon Levi besaß in der Wasserstraße nicht nur das Haus, welches er bewohnte, sondern noch mehrere, welche allerdings in ziemlich baufälligem Zustande sich befanden und an arme Leute vermiethet waren, ihm aber doch sehr reichliche Zinsen der darin angelegten Capitalien brachten.
Es war Abend. In der oberen Giebelstube eines dieser Häuser, vier schmale, hölzerne Treppen hoch, saß ein Mann bei einer spärlich genährten Lampe am Tische und arbeitete.
Der Griffel, welchen er über die Platte führte, sagte, daß dieser Mann Graveur sei. Er war klein, bereits über fünfzig Jahre, sehr hager, hatte ein gedrücktes, leidendes Aussehen und trug eine Brille im Gesichte, unter deren blauen Gläsern zwei wimpernlose, äußerst entzündete Augen zu erkennen waren.
Er arbeitete mit sichtlicher Anstrengung und strich sich dabei so oft über die Augen, daß zu vermuthen war, er fühle heftigen Schmerz in den kranken Augen.
Der kleine, eiserne Kanonenofen hatte mehrere Löcher. Er rauchte, verbreitete aber doch in Folge der drei oder vier Kohlenstücke, welche man ihm geopfert hatte, ein Etwas, was eine auf dem Ofen sitzende Mücke für Wärme gehalten haben würde.
Von Zeit zu Zeit horchte der Mann zur Seite, wo sich hinter einer nur angelehnten Thür ein oft unterbrochenes Murmeln und Seufzen hören ließ.
In der Nähe des Mannes stand ein Stuhl, auf dem ein Stickrahmen lag, ein Beweis, daß ein weibliches Wesen an seiner Seite gearbeitet habe.
Da wurde die Thür geöffnet, und eine bleiche, sehr ärmlich, aber sauber gekleidete Frau trat herein. Sie weinte.
»Wie geht es?« fragte er leise.
»Es wird nun alle, lieber Franz. Hast Du denn gar so nothwendig?«
»Ich soll morgen früh fertig sein.«
»Aber der sterbenden Schwiegermutter kannst Du doch ein paar Minuten schenken.«
Er legte die Platte weg und seufzte tief auf.
»Es ist nicht nur der Arbeit wegen. Aber wenn ich mit hinausgehe, muß ich weinen, und das schadet meinen armen Augen so sehr!«
Aber der gute Mann weinte schon jetzt. Die Frau sah es. Sie legte ihm den Arm um den Nacken und bat:
»Franz, komm heraus! Sie will Dich noch sehen. Du weinst ja auch schon hier!«
Er stand vom Stuhle auf und folgte ihr hinaus in die Schlafkammer. Dort saßen auf Stroh an der Diele fünf Kinder, welche nicht schlafen konnten, weil die gute Großmutter sterben wollte. Diese lag mit tief eingefallenen Wangen und Schläfen in ihrem ärmlichen Bette. Man sah es ihr an, daß der Tod bereits an die Thür klopfte.
Als sie den Schwiegersohn erblickte, ging ein befriedigtes Lächeln über ihr Gesicht.
»Wie gut von Ihnen, daß Sie kommen,« sagte sie langsam und leise. »Ich muß Sie und Ihre Kleinen verlassen, die ich so gern noch gewartet und gepflegt hätte, damit meine Tochter ungestört arbeiten kann. Aber der liebe Gott will mich hinauf zu sich haben, und da oben werde ich ihm sagen, was für ein guter Mann und Vater und Schwiegersohn Sie sind. Ich werde ihn bitten, Ihnen Ihre Gesundheit und Ihr Augenlicht wiederzugeben. Er wird mir es sicherlich zu Gefallen thun. Jetzt aber haben Sie tausend Dank für Alles, was sie an mir alten Frau gethan haben!«
Sie hatte nur in langen Absätzen gesprochen. Jetzt hielt sie inne, um Athem zu schöpfen. Sie hatte seine Rechte ergriffen und drückte sie zwischen ihren beiden abgewelkten Händen.
Er stand dabei mit überströmenden Augen und konnte nichts sagen.
Seine Frau lehnte weinend an der Wand, und die Kleinen hielten sich umschlungen und weinten auch, aber leise, ganz leise; denn sonst mußte Vater noch mehr weinen, und dann thaten ihm ja die Augen so sehr weh.
»Sie sind uns immer eine große Hilfe und Stütze gewesen, liebe Schwiegermutter,« klagte er halblaut. »Sollte ich Sie einmal gekränkt haben, so vergeben Sie es mir. Mit Absicht ist es sicherlich nicht geschehen!«
Und nun war es aus. Er konnte nicht länger an sich halten. Er weinte laut auf und eilte in die Stube zurück, wo er sich traurig an die Fensterwand lehnte. Draußen hörte er Frau und Kinder schluchzen und dazwischen die Stimme der Sterbenden, welche zu beruhigen suchte. Als er sich wieder in der Gewalt zu haben vermeinte, ging er wieder hinaus.
»Lieber Franz,« sagte die Frau. »Hast Du den Zettel mit dem schönen Liede noch?«
»Ja.«
»Die Mutter möchte es gern noch einmal hören.«
Er holte den Zettel und setzte sich auf den unteren Bettrand. Die Frau hatte die beiden Hände der Mutter ergriffen. Die Kinder falteten die Händchen; der Vater wischte sich noch einmal die Augen und las dann die herrlichen Strophen Gerok’s:
»Ich möchte heim. Mich zieht’s dem Vaterhause,
Dem Vaterherzen zu,
Fort aus der Welt verworrenem Gebrause,
Zur stillen, tiefen Ruh.
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen;
Heim kehr ich mit bescheidenem Verlangen.
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim:
Ich möchte heim!
Ich möchte heim, bin müd von Deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von Deiner Freude;
Glück zu, wem sie gefällt.
Weil Gott es will, will ich mein Kreuz noch tragen,
Will ritterlich durch diese Welt mich schlagen,
Doch tief im Busen seufz’ ich insgeheim:
Ich möchte heim!«
»Heim, heim, heim!« erklang es in leisem, frommem Echo von den Lippen der Sterbenden. »Weiter, weiter, mein guter Schwiegersohn!« Er trocknete sich die Thränen und las weiter:
»Ich möchte heim; ich sah in sel’gen Träumen
Ein bess’res Vaterland;
Dort ist mein Theil in ewig lichten Räumen;
Hier hab ich keinen Stand.
Der Lenz ist hin; die Schwalbe schwingt die Flügel,
Der Heimath zu, weit über Tal und Hügel;
Sie hält kein Jägergarn; kein Vogelleim –
Ich möchte heim!
Ich möchte heim; trug man als kleines Kindlein
Mich einst zu Spiel und Schmaus:
Es freute mich ein leichtes, kurzes Stündlein,
Dann war der Jubel aus.
Wenn sternhell noch der Brüder Auge blitzte,
In Lust und Spiel ihr Herz sich erst erhitzte,
Trotz Purpuräpfeln, goldnem Honigseim:
Ich wollte heim!
Ich möchte heim; das Schifflein sucht den Hafen;
Das Bächlein läuft in’s Meer.
Das Kindlein legt im Mutterarm sich schlafen.
Und ich will auch nicht mehr.
Manch Lied hab ich in Lust und Leid gesungen,
Wie ein Geschwätz ist Lust und Leid verklungen.
Im Herzen blieb mir noch der letzte Reim:
Ich möchte heim!«
Er war zu Ende. Ein langer, langer, tiefer Athemzug ging durch die Kammer. Von wem? Sie warteten, daß die Mutter noch Etwas sagen werde – vergebens! Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Ihre Hände lagen noch in denen ihrer Tochter.
Da legte der Vater das Blatt zur Seite, beugte sich über die gute Schwiegermutter nieder, betrachtete sie einige Augenblicke lang und sagte dann leise: »Sie ist auch heim.«
Und die Kleinste von den Kindern hielt ihr kleines Mündchen an das Ohr des Schwesterchens und flüsterte: »Sie ist auch heim!«
Weiter wurde kein Wort gesprochen. Die Tochter drückte der Mutter die Augen zu, legte dann ein kleines Weilchen ihren Kopf an die Brust des Mannes und sagte dann, tief und schmerzlich aufathmend: »Wir wollen weiter arbeiten!«
Der Vater erhob gegen die Kinder warnend den Zeigefinger und meinte:
»Die Großmutter ist nun ganz, ganz eingeschlafen. Ihr dürft sie nicht stören. Legt Euch hin und schlaft recht schön und ruhig!«
Die Kinder gehorchten, und die Eltern traten in die Stube zurück, wo sie sich zur Arbeit niedersetzten. Der Griffel und die Stricknadeln bewegten sich fleißig bis nach Mitternacht, ohne daß die Fleißigen ein Wort gesprochen hätten. Dann aber brach die Frau doch endlich das tiefe Schweigen: »Ist Dir es nicht zu kalt?«
»Nein. Dir?«
»Auch nicht.«
Und dennoch froren sie Beide. Die Frau warf einen wehmüthigen Blick nach dem Ofen. Dort lagen vier oder fünf Holzscheitchen neben ebensoviel Handvoll Kohlen. Das war Heizmaterial für den morgigen Tag.
»Was thun wir nun?« meinte sie.
»Melden,« antwortete er, ohne von der Arbeit aufzusehen. Er mußte die Versäumniß nachholen.
»Ja. Ich meine aber nicht das.«
»Was denn?«
»Sarg, Begräbnißkosten!«
Er neigte den Kopf noch tiefer auf die Platte herab, antwortete aber nicht.
»Und was ziehen wir ihr an!« flüsterte sie weiter, mehr für sich als für ihn.
»Das schwarze Kleid.«
»Das ist zu gut!«
»Sie hat ja weiter nichts!«
»Da begnügt sie sich mit einem alten Rocke und meiner braunen Alltagsjacke.«
»Nein.«
Sie warf einen erstaunt fragenden Blick zu ihm hinüber.
»Was denn?«
»Ihr schwarzes Kleid.«
»Aber es ist schade d’rum! Ich kann den Kindern zwei Röckchen und ein Jäckchen daraus machen!«
»Es ist ihr Hochzeitskleid gewesen. Sie soll es behalten. Sie hat uns lieb gehabt. Ich schämte mich, wenn ich sie so ganz ärmlich fortschicken sollte.«
Da richtete die Frau einen langen, dankbaren, innigen Blick auf den Mann und flüsterte: »Du Guter!«
Wieder verging eine Zeit. Da begann dieses Mal der Mann das kurze Gespräch:
»Wann wirst Du fertig?«
»Heute Abend.«
»Bekommst Du da Geld?«
»Zwei Gulden! Und Du?«
»Ich werde früh fertig. Vielleicht erhalte ich auch etwas.«
»Was ist es denn, was Du jetzt fertigst?«
Er senkte den Kopf so tief herab, daß die Stirn fast die auf dem Tische liegende Platte berührte und antwortete leise: »Ein Titelkopf für ein Wochenblatt.«
»D’rum ist es so lang und schmal. Wieviel wirst Du dafür bekommen?«
»Hm! Jetzt vielleicht gar nichts! Es wird erst später ganz fertig. Ich kann jetzt nur Theil um Theil fertig machen.«
»Könnten sie Dir denn da nicht auch Theil um Theil so nach und nach bezahlen?«
»Das wollen diese Leute nicht.«
»Herrjesus! Was fangen wir da an! Ich habe nur noch zwei Kreuzer, und die brauche ich zu Milch für die Kinder. Wie viel hast Du noch?«
»Gar nichts. Ich habe Dir gestern mein Leztes gegeben.«
»Da mag Gott helfen!«
»Hätten wir doch Etwas zu verkaufen oder in’s Leihhaus zu schaffen!«
Sie blickte, vorsichtig forschend, zu ihm hinüber und sagte dann mit unsicherer Stimme:
»Oder wir sollten in der Lotterie gewinnen!«
Er schüttelte, trübe lächelnd, den Kopf und antwortete:
»Das dürfen wir uns nicht einbilden. Wir haben weder Glück noch Stern. Es war eine richtige Vermessenheit, daß wir die fünf Gulden für das Loos ausgaben. Wir hätten zwei Wochen dafür leben können!«
»Aber die schöne Hoffnung!«
»Sie nützt nichts.«
»Ich sollte es eigentlich nicht sagen; aber weißt Du, was die Mutter vorhin noch sagte, als Du in die Stube zurückgingst?«
»Was?«
»Sie hätte Dich nicht an das Loos erinnern wollen. Zu mir aber sagte sie, daß sie gleich, wenn sie heute in den Himmel komme, wolle sie den lieben Gott bitten, uns auf das Loos hundert Gulden gewinnen zu lassen.«
»Das ist Sünde!«
»O, der liebe Gott weiß, wie sie es meint.«
»Er weiß es auch ohne sie, daß wir arm sind.«
Diese Worte hatten einen so herben Ton, daß die Frau beschloß, zu schweigen.
Sie arbeiteten mit einander die ganze Nacht hindurch. Zur angezeigten Zeit ging die Frau fort, um für die letzten zwei Kreuzer Milch zu holen. Er aber tauchte einen Lappen ins Wasser und band sich ihn auf die brennenden Augen, um die Schmerzen zu kühlen.
Er saß einige Minuten frierend da. Seine auf dem Tische liegende Hand berührte die Platte. Da faltete er die Hände und murmelte leise: »Herrgott, vergieb mir es! Ich weiß, daß ich in kurzer Zeit blind sein werde, und muß doch für die Meinigen sorgen. Es ist eine Sünde, ein Unrecht. Ich will es auf mich nehmen, ganz auf mich allein. Nun ist die Schwiegermutter oben; die weiß nun auch, was ich für Schlimmes vorhabe. Aber ich weiß keinen anderen Rath.«
Nach einiger Zeit entfernte er den Umschlag und arbeitete wieder. Aber er merkte wohl, daß er sich vorhin verrechnet habe und erst gegen Mittag fertig werden könne.
Am Vormittage saß der Jude Salomon Levi in seiner Stube, in alten Sachen kramend. Da brachte ihm seine Frau einen Mann, bei dessen Anblicke Levi schnell von seinem Stuhle aufsprang.
»Willkommen!« sagte er, dem Ankömmlinge die Hand bietend. »Endlich! Haben Sie die Proben gemacht?«
»Ja, in dieser Nacht.«
»Gelungen oder nicht?«
»Ueber alles Erwarten.«
»Gott Abrahams! Ist es die Möglichkeit?«
»Ja. Dieser Graveur – wie heißt er gleich?«
»Franz Herold.«
»Also, dieser Graveur Franz Herold hat uns ein Meisterstück geliefert. Diese Vorderplatte ist gar nicht mit Geld zu bezahlen. Zehntausend Gulden ist da gar nicht zu viel.«
»Zehn – zehnt – – zehntau – –! Sind Sie etwa geworden verrückt?«
»Nein. Wir können mit dieser Platte Millionen verdienen. Wie viel haben wir ihm versprochen?«
»Tausend Gulden; das ist genug.«
»Meinetwegen! Mir kann es lieb sein. Er wird also gleich die ersten zehn Hundertguldenscheine seiner eigenen Arbeit bekommen. Sehen Sie einmal.«
Er zog ein Papier hervor, welches die Form und Farbe einer Hundertguldennote hatte, aber nur auf der einen Seite bedruckt war.
Der Jude suchte bei sich auch nach so einer Note, nahm eine Lupe und begann zu prüfen.
»Bei Goliath und David, das ist eine feine, eine sehr feine Arbeit. Da ist die Copie vom Originale gar nicht zu unterscheiden. Wenn die Hinterplatte auch so gut geräth, so können wir tausend Jahre drucken, ehe man entdeckt, daß es falsche Scheine giebt. Wann also werden wir die Hinterplatte bekommen?«
»Das erfahre ich heute. Er kommt ganz sicher am Vormittage, um mir zu zeigen, wie weit er bereits ist.«
»Schärfen Sie nur ein, sich alle Mühe zu geben!«
»Das vergesse ich natürlich nicht. Adieu!«
Er ging.
Nach einiger Zeit kam ein Anderer. Er kam beinahe hereingesprungen. Der Jude kannte ihn. Es war ein Lotteriecollecteur, mit welchem er zuweilen kleine Privatgeschäfte abschloß, welche zu beider Vortheil zu gereichen pflegten.
»Guten Morgen, Herr Levi,« grüßte der Mann.
»Guten Morgen! Was kommen Sie, zu machen für Gesichter? Haben Sie gewonnen das große Loos oder gar die ganze Lotterie?«
»Scherz beiseite! Es handelt sich wirklich um einen großen Gewinn.«
»Aber nicht für mich, sondern für Andere.«
»Warum nicht für Sie?«
»Weil ich nicht habe ein Loos.«
»Man kann auch gewinnen ohne Loos.«
»Soll ich es Ihnen beweisen?«
»Ja. Thun Sie das.«
»Wenn Sie den Gewinn mit mir theilen.«
»Au waih geschrieen!«
»Nicht?«
»Wenn ich gewinne, so will ich gewinnen für mich, aber nicht für Andere!«
»Nun gut, so gewinnen Sie! Adieu!«
Er that, als ob er gehen wollte; aber sofort war der Jude hinter ihm her und zog ihn zurück.
»Bleiben Sie, bleiben Sie!« sagte er. »Erklären Sie mir vorher, wie Sie sich denken diesen Handel!«
»Das kann ich eben nicht.«
»O, man kann erklären Alles, wenn man nur es erklären will.«
»Na, meinetwegen! Nehmen wir an, daß irgend eine Nummer das große Loos gewinnt; Jemand hat diese Nummer, weiß aber noch nichts von dem Gewinne und verkauft sie Ihnen?«
»So soll es sein? So?«
»Ja.«
»Welches ist diese Nummer?«
»Pah! Das weiß nur ich!«
»Nein. Sie wissen auch nichts!«
»Wie können Sie das behaupten?«
»Weil Sie dem Betreffenden sonst würden kaufen diese Nummer ab.«
»Sie vergessen, daß ich Collecteur bin. Ich weiß, daß er gewinnen wird, ich darf ihm also die Nummer nicht abkaufen; ich müßte sie ihm wiedergeben.«
»Ein Anderer aber könnte sie behalten?«
»Ja.«
»Und wann wird ausgezahlt das Geld?«
»Innerhalb zweier Wochen.«
»Woher wissen Sie diese Nummer?«
»Ich habe soeben von der Direction eine Depesche erhalten, daß auf die betreffende Nummer das große Loos gefallen ist.«
»Das große Loos? Das allergrößte Loos?«
»Ja.«
»Gott meiner Väter! Wieviel hat gekostet dieses Loos?«
»Fünf Gulden.«
»Und wieviel wird es erhalten ausgezahlt?«
»Hunderttausend Gulden. Einige Procente aber gehen vorher ab.«
»So werde ich kaufen dies Loos auf der Stelle!«
»Also Sie gehen darauf ein?«
»Ja. Sagen Sie mir die Nummer und Den, der es hat in seinen Händen!«
»Zunächst muß ich Ihrer sicher sein. Also wieviel zahlen Sie mir?«
»Zahlen? Ah so! Will ich Ihnen geben volle tausend Gulden.«
»Sind Sie wahnsinnig? Die Hälfte will ich haben!«
»So sind Sie selbst wahnsinnig!«
»Unsinn! Die Zeit vergeht, und der Betreffende erfährt, daß er Gewinner ist.«
»Will ich geben fünf Tausend.«
»Nein. Ich sage Ihnen ein-für allemal, daß ich fünfzigtausend Gulden verlange.«
»Gott Zebaoth! Was doch sind die Menschen für nimmersatte Leute!«
»Zum Beispiel Sie!«
»Ich. Aber ich bin doch nicht Collecteur!«
»Ich will Ihnen zum letzten Male sagen, daß Sie fünfzigtausend Gulden einstecken, wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen, daß Sie aber keinen Heller bekommen, wenn ich jetzt fortgehe. Also, geben Sie fünfzigtausend?«
»Zehntausend!« sagte Salomon Levi, welchem es ganz so war, als ob er das halbe Leben herzugeben habe.
»Fünfzig!«
»Zwanzig!«
»Fünfzig!«
»Dreißig!«
»Nein. Zum Teufel! Denken Sie denn, ich bin Ihr dummer Junge? Sie können doch nicht um Etwas mit mir handeln und feilschen, was ich Ihnen geradezu umsonst gebe, also schenke! Wenn Sie nicht sofort Ja sagen, gehe ich!«
»Nun gut, gut, gut! Ich werde Ja sagen. Ich sage bereits Ja. Ich bin einverstanden. Wie ist die Nummer, und wer hat sie?«
»Nicht so eilig, mein Bester! Zunächst will ich Sicherheit haben.«
»Sicherheit? Die haben Sie ja!«
»In wiefern?«
»Sie haben mein Wort!«
»Darauf gebe ich keinen Kreuzer.«
»Was wollen Sie denn? Wenn ich bekomme das Geld, werden wir theilen!«
»Wenn Sie das Geld haben, so haben Sie es, und ich bekomme nichts. Ich kenne Sie!«
»Au waih! Bin ich ein Betrüger?«
»Sie sind Salomon Levi; das ist genug.«
»Welche Sicherheit wollen sie?«
»Einen Wechsel auf fünfzigtausend Gulden.«
»Herr Zebaoth! Wollen Sie mich bringen in Armuth und Elend!«
»Leben Sie wohl!«
Der Collecteur ging. Aber der Jude rannte ihm nach bis zur Hausthür, zog ihn wieder herein und sagte:
»Wenn ich Ihnen nun gebe den Wechsel und gar nicht bekomme das Loos?«
»So bekommen Sie den Wechsel zurück.«
»Ich. Ich gebe Ihnen für den Wechsel einen Revers.«
»Ja ein Reverschen, das ist nicht übel!«
»So schreiben Sie schnell den Wechsel, und ich stelle den Revers aus.«
»Auf welche Zeit?«
»Auf Sicht. Ich präsentire Ihnen natürlich den Wechsel, wenn ich Ihnen den Gewinn auszahle.«
»Gut! So wollen wir schreiben!«
Sie setzten sich hin und machten die beiden Papiere fertig. Der Jude erhielt den Revers und der Collecteur den Wechsel. Dann fragte der Erste: »Also die Nummer?«
»Es ist Nummer 45332.«
»Und wer hat sie?«
»Der Graveur Herold, welcher in Ihrem anderen Hause wohnt.«
Da machte der alte Schacherer vor Freuden einen ellenhohen Sprung und rief:
»Hallelujah, hallelujah! Das Geld ist unser.«
»Sie denken, daß er Ihnen das Loos verkauft?«
»Ja.«
»Wie wollen Sie dies anfangen?«
»Er muß, er muß!«
»Wieso?«
»Das ist meine Sache! Gehen Sie, gehen Sie, ich erwarte ihn! Er kann in jedem Augenblicke kommen.«
»So werde ich Sie nach Mittag wieder aufsuchen, um zu erfahren, ob es gelungen ist.«
»Ja, kommen Sie! Jetzt aber müssen Sie gehen, sogleich, sogleich!«
Er nahm ihn und steckte ihn zur Thür hinaus. Dann eilte er zu Frau und Tochter, um ihnen diese frohe Botschaft mitzutheilen.
Gegen Mittag kam der Erwartete. Er wurde von Rebecca eingelassen und zu dem Juden geführt. Dieser machte ein finsteres Gesicht und fragte im Tone des Unmuthes: »Warum so spät? Wußten Sie nicht, daß ich Sie eher erwartete?«
»Ich wurde nicht eher fertig.«
»So muß man fleißiger sein!«
»Herr, ich habe Tag und Nacht gearbeitet!«
»Das ist nicht wahr. Sie wären da eher fertig geworden.«
»Meine Augen sind schwach!«
»So sagt ein Jeder, welcher trägt eine Brille, nur um sich zu geben das Aussehen eines Gelehrten. Ich werde die Arbeit prüfen. Kommen Sie übermorgen wieder. Adieu!«
Der Graveur ging nicht, sondern fragte:
»Darf ich vielleicht erfahren, wie die vorige Platte gelungen ist?«
»O weh!«
»Warum o weh?«
»Weil ich die Absicht hatte, Sie um einen kleinen Vorschuß zu bitten.«
»Vorschuß? Herr, was denken Sie? Haben wir ausgemacht und bestimmt, daß gegeben werden sollen Vorschüsse?«
»Allerdings nicht; aber unter den gegenwärtigen Umständen glaubte ich, daß Sie vielleicht doch eine Ausnahme machen würden.«
»Ausnahme? Umstände? Welche Umstände meinen Sie denn eigentlich?«
»Während dieser Nacht ist meine Schwiegermutter gestorben.«
»Schwiegermutter? Da seien Sie froh! Immer fort mit den Schwiegermüttern!«
»O, sie war gut! Aber ich habe nicht einen einzigen Kreuzer zum Begräbnisse.«
»Das ist auch nicht nöthig.«
»Nicht? Wieso? Sie muß doch begraben werden.«
»Ja. Aber wenden Sie sich an das Armenamt.«
»Das würde ich nur im schlimmsten Falle thun.«
»Der ist ja da, der schlimmste Fall. Sie haben kein Geld!«
»O, ich habe sogar kein Geld zum Leben. Wenn Sie mir doch einige Gulden leihen wollten.«
»Leihen? Ja, gern. Was geben Sie für einen Pfand?«
»Ich habe nichts.«
»So leihe ich auch nichts.«
»Aber Sie haben ja meine Platten!«
»Die gehen mich nichts an; ich mache nur den Vermittler. Es bekommt sie ein ganz Anderer. Auf die Platten kann ich also gar nichts leihen. Und wie aber nun ist es mit dem Hauszinse?«
»Den schulde ich nur für ein halbes Jahr.«
»Nur? Ist das nicht lange genug? Zwanzig Gulden. Wann und wie wollen Sie das bezahlen?«
»Von dem, was mir die Platten einbringen.«
»So lange kann ich nicht warten. Ich brauche mein Geld bald, sehr bald.«
Der Graveur blickte traurig zu Boden und sagte:
»Ich dachte, daß Sie Nachsicht haben würden, weil ich ja für Sie arbeite.«
»Nachsicht! Dazu habe ich keinen Grund. Sie verdienen keine Nachsicht.«
»Warum nicht?«
»Sie bezahlen Ihre Schulden nicht und spielen doch in der Lotterie.«
»Ich in der Lotterie?« fragte Herold erschrocken. »Wer hat das gesagt?«
»Ich habe es gehört. Ist es etwa nicht wahr?«
»Nun ja. Meine Frau war schuld. Es war ja möglich, daß uns das Glück günstig sein werde.«
»Gerade Ihnen, unter so vielen Nieten? Das ist lächerlich. Spiele doch nicht einmal ich! In dieser letzten Lotterie wollte meine Frau es einmal versuchen; aber sie konnte kein Loos mehr bekommen. Verkaufen Sie ihr das Ihrige, so haben Sie ja gleich fünf Gulden.«
Der Graveur blickte auf. Dieser Gedanke war ihm noch gar nicht gekommen. Das Loos war alles, was er entbehren konnte. Er war sogleich entschlossen, es zu verkaufen, aber doch nicht ohne jedes Vortheil. Das Begräbniß seiner Schwiegermutter mußte bezahlt werden.
»Wollen Sie es kaufen?« fragte er.
»Ja. Halb aus Liebe für meine Frau und halb aus Mitleid für Sie. Wo haben sie es?«
»Zu Hause.«
»So holen Sie es!«
»Wir sind ja gar nicht einig geworden?«
»Einig? In welcher Beziehung?«
»Ueber den Preis!«
»Der ist doch fünf Gulden.«
»Ja, für gewöhnlich. Aber heute und morgen sind die letzten Ziehungstage, an denen die größten Gewinne gezogen werden. Wie leicht kann gerade auf diese Nummer ein bedeutender Gewinn kommen.«
»Das bilden Sie sich ja nicht ein!«
»Sie können ebenso wenig so genau wissen, daß ich keinen Gewinn habe.«
»Sie wollen also mehr als fünf Gulden.«
»Ja.«
»Sind Sie ein Wucherer?«
»Ich nicht.«
»Gut, so behalten Sie Ihr Loos. Ich brauche es ja nicht. Ich kam nur so nebenbei auf den Gedanken, es zu kaufen.«
Herold besann sich. Auf der einen Seite lag die Möglichkeit eines Gewinnes; auf der anderen bedachte er, daß er eine Leiche zu Hause habe, aber keinen Kreuzer Geld. Und dazu die hungernden Kinder.
»Wieviel würden Sie mir dafür geben?« fragte er.
»Die richtigen fünf Gulden.«
»Nein. Die kostete das Loos bereits vor einem halben Jahre. Mit jedem Tage steigt sein Werth, weil die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, steigt.«
»So will ich sein sehr nobel und Ihnen geben das Doppelte – zehn Gulden.«
»Auch dafür gebe ich es nicht hin. Wenn ich es einmal verkaufe, so muß ich gleich so viel dafür bekommen, daß ich meine Schwiegermutter begraben lassen kann.«
»Au waih! Was hat eine Schwiegermutter mit einem Lotterielose zu thun? Nun wird es geben ganz gewiß und sicher eine Niete!«
»So warte ich es ab. Zwanzig Gulden bietet mir ein Jeder.«
»Gut, so werde ich auch geben zwanzig. Das ist das Höchste, was man geben kann, für so einen Zettel.«
Der Graveur rechnete leise hin und her. Endlich war er fertig und entgegnete:
»Mit zwanzig Gulden reiche ich nicht aus. Ich brauche mehr. Für zwanzig verkaufe ich es also nicht.«
»Was sind Sie für ein Mensch! Wollen Sie etwa haben tausend Gulden?«
»Nein, so unsinnig bin ich nicht; aber mit dreißig Gulden würde ich wohl langen.«
»Dreißig, Dreißig? Dafür verkaufen Sie es?«
Dem Juden hüpfte das Herz im Leibe vor Entzücken.
»Ja, dafür verkaufe ich es,« antwortete Herold. »Für dreißig Gulden baar.«
»Eine grausam große Summe! Aber wie gesagt, meine Frau will gern ein Loos; es ist keins mehr zu haben; Sie brauchen Geld, und einen Vorschuß darf ich Ihnen nicht geben, da die Platten nicht für mich gefertigt werden. Darum will ich in Rücksicht auf Ihre bedrängte Lage und auf den Wunsch meiner Frau Ihnen die dreißig Gulden geben. Also Sie machen mit?«
»Topp! Schlagen Sie ein!«
Er hielt dem Graveur die Hand hin; dieser aber zögerte, einzuschlagen.
»Nun?« fragte der Jude.
»Ich muß erst sehen, ob meine Frau mitmacht.«
»Ihre Frau? Was hat die dabei zu sagen? Sie sind doch Mann, und was Sie beschließen, das muß gelten!«
»Und doch möchte ich sie erst fragen.«
»Warum denn?«
»Nun, erstens ist sie eigentlich schuld, daß wir das Loos genommen haben, und zweitens – –«
Er stockte einigermaßen verlegen.
»Nun, und zweitens?«
»Ich will aufrichtig sein, obgleich Sie mich vielleicht auslachen werden. Meine Schwiegermutter hat nämlich kurz vor ihrem Tode meiner Frau versprochen, den lieben Gott zu bitten, daß er uns Etwas in der Lotterie gewinnen lasse.«
»Und Ihre Frau glaubt auch, daß die Todte ihr Versprechen wirklich erfüllen kann?«
»Vielleicht.«
»Und daß Gott auch herunterkommt und ein Loos für sie ziehen läßt?«
»Bei Gott ist kein Ding unmöglich.«
»Wissen Sie aber, daß es Gotteslästerung ist, Gott Zebaoth mit der Lotterie in Verbindung zu bringen?«
»Das mag sein, doch sind die Frauen ja stets gläubiger und mystischer angelegt, als wir Männer.«
»Aber einen solchen Unsinn darf ein Mann auf keinen Fall dulden.
Bedenken Sie die Noth, in der Sie sich befinden. Sie brauchen Geld, und zwar augenblicklich.«
»Das weiß ich wohl, und darum werde ich meiner Frau zureden, das Loos zu verkaufen.«
»Thun Sie das. Aber ich sage Ihnen, daß ich mein Angebot nur eine Viertelstunde aufrecht erhalte!«
»Später zahlen Sie nicht dreißig Gulden?«
»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin grad jetzt bei guter Laune. Ich lasse mir in Geschäftssachen nicht einmal von meiner Frau Vorschriften machen, von der Frau eines Fremden aber nun gar nicht. Gehen Sie, und fragen Sie! Binnen einer Viertelstunde zahle ich dreißig Gulden, später aber nicht!«
Herold ging. Der Jude wartete mit größter Spannung auf seine Wiederkehr. Fast war die angegebene Zeit vergangen; da kam der Graveur.
»Nun?« fragte Salomon Levi.
»Sie wollte nicht – –«
»Dummheit!«
»Aber ich stellte ihr vor, daß wir ja Geld haben müssen, und so hat sie mir das Loos mitgegeben.«
»Das ist Ihr Glück! Soeben sind die fünfzehn Minuten vorüber. Haben Sie das Loos mit?«
Er gab das Loos hin. Der Jude betrachtete es. Es war wirklich die Nummer 45332, von welcher der Collecteur gesagt hatte, daß das große Loos auf sie gefallen sei.
»Bereits sechzehn Minuten verflossen,« sagte er. »Aber ich will eine Ausnahme machen und die eine Minute nicht rechnen, Sie sollen das Geld haben.«
Er zahlte ihm die dreißig Gulden aus, und der Graveur ging. Der Jude wartete, bis dieser Letztere fort war; dann streckte er jubilirend die Arme empor und rief: »Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs! Was ist das für ein Geschäft! Was ist das für ein Gewinn! Fünfzigtausend Gulden in dieser kurzen Zeit. Ich habe gemacht in meinem ganzen Leben nie ein so brillantes Geschäft!«
Da trat seine Alte herein und fragte:
»Hast Du erhalten das Loos?«
»Ja; er hat es gebracht, Rebekkaleben.«
»Ist es das richtige?«
»Es ist dreihundertzweiunddreißig und fünfundvierzigtausend, worauf ist gefallen der große Gewinn, welcher wird gezahlt werden bei uns auf die Hälfte.«
»Hättest Du denn nicht haben können mehr als die Hälfte?«