»Sie könnten so leicht reich sein.«
»Wieso?«
»Na, einen Griff in die Diamanten!«
»Danke sehr! Man würde mich sehr schnell gefaßt haben!«
»Wie nun, wenn man Ihnen nichts nachweisen könnte?«
»Wenn auch! Ich danke! Ich bin ein einziges Mal unvorsichtig gewesen und habe es büßen müssen. Ich bleibe ehrlich. Ich vergreife mich nie wieder an fremdem Eigenthume.«
»Und doch wollen Sie zwei Gefangene befreien helfen. Das ist gleich gefährlich. Wie stimmt das zusammen?«
»Ich habe den Schmieden mein Wort gegeben und werde es halten. Und sodann macht es mir Vergnügen, den Herren dort, die mich verurtheilten, einen Streich zu spielen.«
»So, so! Haben Sie mir sonst noch etwas mitzutheilen?«
»Nein. Ich habe Alles gesagt.«
»So will ich mir die Sache überlegen. Ich werde Sie benachrichtigen, sobald ich einen Entschluß gefaßt habe.«
»Wie erhalte ich diese Nachricht?«
»Hinschicken zu Ihnen kann ich nicht. Wenn ich wüßte – hm, da fällt mir ein Local ein, welches sich sehr gut eignen würde. Nicht wahr, Ihre Herrin logirt im Hotel Union?«
»In derselben Straße giebt es ein kleines Kellerlocal. Der Wirth heißt Winkelmann und –«
»Ah, das kenne ich!«
»Waren Sie dort?«
»Ja. Dort sprach ich eben mit jenem emeritirten Cantor, von welchem ich erfuhr, wie Sie zu treffen sind.«
»Das ist gut. Sobald ich mit Ihnen zu sprechen habe, werde ich dem Wirthe einige Zeilen für Sie übergeben lassen.«
»Er wird sie doch nicht lesen?«
»Nein. Und wenn er es täte, so wäre es ungefährlich. Ich gebe Ihnen eine Zeit und einen Ort an; das ist Alles.«
»Es müßte aber eine späte Tageszeit sein, eine Zeit, in welcher meine Herrin bereits schläft, sonst könnte es sich ereignen, daß es mir unmöglich wäre, mich einzufinden.«
»Ich werde es so einrichten, daß es um die jetzige Zeit ist. Nun aber sind wir fertig. Also Sie werden in Beziehung der beiden Wolfs Ihr Wort halten?«
»Ja.«
»Ich verlasse mich darauf und werde Sie fein bezahlen. Gute Nacht für heute!«
Der Hauptmann huschte in das Schneegestöber hinein, und Adolf wollte den Platz auch verlassen, hatte aber kaum einige Schritte getan, so fuhr gerade vor ihm, wie aus dem Boden heraus, eine männliche Gestalt empor.
»Sapperment!« sagte er in der Ueberraschung.
»Pst, Adolf, keine Unvorsichtigkeit!«
»Ah! Durchlaucht!«
»Ja, ich bin es.«
»Wie kommen Sie hierher?«
»Ich bin jenem Menschen gefolgt bis hier in diese Gegend.«
»Und ich habe hier mit dem Hauptmanne gesprochen.«
»Ich weiß es.«
»Bitte, kommen Sie hier fort. Er könnte sich noch in der Nähe befinden und uns bemerken. Ich werde Ihnen unterwegs erzählen, wovon wir gesprochen haben.«
»Ist nicht nöthig. Bleibe nur! Erstens ist der Hauptmann fort, das weiß ich ganz genau, und zweitens weiß ich bereits, was Ihr gesprochen habt.«
»Wieso?«
»Ich habe fast jedes Wort gehört.«
»Kaum möglich.«
»O doch. Ich lag ganz in Eurer Nähe an der Erde.«
»Natürlich. So ein weißes Betttuch ist im Winter doch zu herrlich zu gebrauchen.«
»Sie wissen also, daß es gelungen ist?«
»Ja. Aber ich weiß noch weit mehr. Ich kenne den Versammlungsort der Bande.«
»Das wäre famos! Wo ist er?«
»Nicht weit von hier. Ich bin jenem Kerl nachgeschlichen, eine lange Zeit, bis er hinter eine Ecke bog Ich kam gerade zur rechten Zeit, daß er an der anderen Seite der Mauer sagte: ›auch Einer‹; dann war er fort.«
»Diese beiden Worte bilden also doch die Parole?«
»Allerdings. Komm, ich muß Dir den Ort zeigen.«
Er führte ihn die Straße weiter hinab, bis diese zu Ende ging. Dort gab es eine lange Mauer mit einer Oeffnung, in welcher früher einmal Thorflügel gehangen hatten; jetzt waren diese aber weg. Hinter dieser Mauer erhob sich ein langes, niedriges Gebäude, dessen rußige Mauern schwarz in die weiße Winternacht hineinstarrten.
»Ich bin hier nicht orientirt,« sagte der Fürst. »Bist Du vielleicht besser bekannt?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Gebäude?«
»Die frühere Actienmaschinenbrauerei. Die Gesellschaft hat Bankerott gemacht, und das Grundstück hat bis jetzt keinen Käufer gefunden. Nun steht das Gebäude leer, und die Gläubiger haben Alles, was nicht niet-und nagelfest war, fortgeschafft und verwerthet.«
»Da hinein sind sie. Ich habe wohl gegen ein Dutzend hineingehen sehen. Einer kam heraus. Ich hörte ihn zur Schildwache sagen, daß er bald wiederkommen werde. Diese Stimme erkannte ich. Es war der Hauptmann. Ich schlich ihm nach und belauschte Euch. Nun aber wollen wir versuchen, ob wir noch mehr entdecken können.«
»Sie meinen, daß wir in das Gebäude wollen?«
»Ja.«
»Sie können uns sehr leicht bemerken.«
»Wir nehmen uns in Acht.«
»Steht der Posten noch dort am Thore?«
»Jedenfalls. Wir folgen der Mauer bis hinter die Ecke. Vielleicht finden wir da eine Stelle, wo wir sie übersteigen können. Dann wird sich das Uebrige finden.«
Die erwähnte Mauer umschloß ein ziemlich bedeutendes Viereck. Sie war stark und gewiß drei Ellen hoch. Indem die Beiden an ihr hinschritten, kamen sie an eine Stelle, wo sich aus irgend einem Grunde einige Steine losgelöst hatten.
»Hier?« fragte Adolf.
»Ja; es geht.«
Sie kletterten hinüber.
»Was aber nun?« meinte der Polizist. »Wollen wir hier über diese freie Stelle bis hin zum Gebäude, so riskiren wir es, bemerkt zu werden.«
»O nein. Hier ist mein Betttuch. Wir halten es vor uns hin, so wird man uns vom Schnee gar nicht unterscheiden können.«
Das wurde so ausgeführt, und auf diese Weise gelangten sie glücklich an das Gebäude heran. Dieses hatte breite Fensteröffnungen, welche vom Dache an bis fast herab auf den Boden reichten. Die Fensterscheiben fehlten.
»Sogar das Glas ist verkauft worden,« sagte Adolf. »Nun wettert es hinein. Wer soll das Ding kaufen!«
»Hast Du das Innere einmal gesehen?«
»Oft.«
»Aus wie vielen Abtheilungen besteht es?«
»Aus einer einzigen. Es giebt nur die vier Umfassungsmauern, welche ein Rechteck bilden, in welchem früher die Maschinen standen.«
»So mußte man, wenn es Tag wäre und man hier zu diesem Fenster hineinblickte, den ganzen Raum übersehen können?«
»Ja, vollständig.«
»Dann halten die Leute, welche ich eintreten sah, ihre Versammlung im Dunkeln. Hätten sie Licht, so müßten wir es unbedingt sehen.«
»Das ist wahr, aber – halt, Durchlaucht, bemerken Sie dort hinten nicht einen hellen Schein?«
»Es ist, als ob er aus der Erde käme.«
»Ich sehe es. Giebt es dort einen Keller?«
»Nein, aber die weite Vertiefung, in welcher sich die Dampfkessel befunden haben!«
»Ah, so stecken sie dort unten. Ich glaube nicht daß man auch hier Wachen aufgestellt hat. Die eine vorn an der Mauer genügt. Laß uns durch das Fenster steigen!«
Sie gelangten in das Innere des verwüsteten Gebäudes und schlichen sich an der Wand hin.
Der erwähnte Lichtschein wurde desto bemerkbarer, je weiter sie sich ihm näherten. Endlich standen sie vor der Grube, von welcher Adolf gesprochen hatte. Diese war mit starken Quadern eingemauert; eine aus demselben Materiale bestehende Treppe führte hinab. Man sah es, daß da unten die mächtigen Dampfkessel gestanden hatten. Jetzt aber war der Platz leer.
Zwei Blendlaternen brannten unten, und beim Scheine derselben gewahrten die Lauscher zahlreiche dunkle Gestalten, in deren Mitte Einer stand, welcher mit gedämpfter Stimme Befehle auszutheilen schien.
»Das ist der Hauptmann,« flüsterte Adolf.
»Jedenfalls. Schade, daß er leise spricht! Schleichen wir uns in die Nähe der Treppe. Vielleicht hören wir etwas, wenn sie dann gehen.«
Sie huschten am Rande der Grube hin, und wieder war es eine Gunst des Zufalles, daß gerade in der Nähe der Treppe eine Menge Sandsteinquader lagen, hinter denen sich die Beiden verstecken konnten.
So sehr sie sich auch anstrengten, sie konnten nichts verstehen. Endlich aber hörten sie ein lautes »Gute Nacht«. Die Männer kamen einzeln herauf und entfernten sich. Die beiden Laternen wurden verlöscht. Es war völlig grabesdunkel umher.
Trotz dieser Finsterniß bemerkten die beiden Lauscher, daß Jemand ganz in ihrer Nähe stehen geblieben sei. Sie hielten nun sogar den Athem an.
Schon glaubten sie, daß dieser der einzige noch Anwesende sei, da hörten sie abermals Schritte die Treppe heraufkommen, und dann sagte der in ihrer Nähe Befindliche: »Hauptmann!«
»Was? Noch Jemand hier?« lautete die Frage.
»Ich bin es: Jacob Simeon.«
»Ah, der Goldarbeiter. Warum wartest Du noch?«
»Um Bericht zu erstatten. Es ist ja nicht für die Ohren der Anderen.«
Jetzt war der Hauptmann zu ihm getreten. Die Lauscher verstanden ein jedes der gesprochenen Worte.
»Nun, bist Du glücklich gewesen?«
»Ich denke.«
»August Seidelmann wird nicht sterben.«
»Verdammt! Woher weißt Du es?«
»Vom Dienstmädchen des Gerichtsarztes. Er ist bereits so weit hergestellt, daß er dislocirt werden soll.«
»Wohin?«
»Aus dem Krankenhaus in das Untersuchungsgefängniß.«
»Gefangen? Was, gefangen soll er werden?«
»Ja. Der Arzt hat mit seiner Frau davon gesprochen, und das Mädchen hat Alles gehört.«
»Aber hat sie auch gehört, warum man ihn festhalten will?«
»Ja. Es geschieht auf Veranlassung des Fürsten von Befour.«
»Alle Teufel! Was hat dieser mit dem Schuster zu schaffen?«
»Er ist ja da gewesen, als bei der Melitta die That geschah. Die Mädchen haben gegen den Schuster ausgesagt.«
»So mag der Fürst trotzdem davon bleiben, sonst klopfe ich ihm auf die Finger.«
»Hm! Er scheint auch anderweit sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, welche ihm nichts angehen.«
»In wiefern?«
»Es bezieht sich das auf die Aufgabe, die Sie mir gestellt haben, als wir zum letzten Male hier waren.«
»Du meinst die Angelegenheit mit der verschwundenen Baronin Ella von Helfenstein?«
»Ja.«
»Bist Du vielleicht glücklich gewesen?«
»Sehr glücklich!«
»Nun, was weißt Du?«
»Werde ich die Prämie bekommen?«
»Gewiß! Was ich verspreche, halte ich. Wenn Du entdeckst, wo sich die Baronin befindet, zahle ich die dreihundert Gulden.«
»So zahlen Sie!«
»Alle Wetter! Weißt Du sie wirklich?«
»Ja wohl. Sie ist beim Fürsten von Befour.«
»Bist Du toll?«
»Nein. Ich habe sie gesehen.«
»Und Du irrst Dich nicht? Du kennst sie genau?«
»Ja, ganz genau. Ich habe sie hundertmal gesehen.«
»Wie hast Du das entdeckt?«
»Nun, Sie kommandirten mich nach Rollenburg, um zu forschen. Ich bin zwar kein Polizist, aber ich habe die Anlagen, einer zu sein. Ich machte mich also an die Krankenwärter des Doctor Mars, besonders der Eine wurde beim Wein gesprächig. Er sagte mir, daß Keiner als nur Doctor Zander die Baronin fortgeschafft haben könne.«
»Ganz meine Ansicht. Wüßte man nur, wo er jetzt steckt!«
»Gerade so dachte auch ich. Da kam ich ganz zufällig auf dem Bahnhofe mit einem Kellner zu sprechen. Die Rede kam auf das dortige Zuchthaus. Er sagte, daß vielleicht Mancher der Züchtlinge unschuldig sei. Erst vor einigen Tagen sei eine Sträflingin entlassen worden, welche als Kindesmörderin ganz unschuldig gesessen habe. Sie sei aus der Residenz, die Tochter eines Theaterdieners. Drei Herren seien mit ihr gewesen, unter ihnen Doctor Zander.«
»Ah! Also eine Fährte.«
»Ja. Ich fuhr natürlich sofort hierher, um die Tochter des Theaterdieners aufzusuchen.«
»Kanntest Du ihren Vater?«
»Nein. Der Kellner hatte ja nicht einmal den Namen gewußt. Aber Theaterdiener giebt es wenige. Ich war also schnell orientirt. Der Mann heißt Werner und hat seine Stelle eingebüßt. Ich ging zu ihm und erfuhr, wer die drei Begleiter seiner Tochter gewesen sind: Doctor Zander, ein Doctor Max Holm und der Fürst von Befour.«
»Holm? Kenne ich nicht.«
»Dieser hat die Unschuld der Werner entdeckt und die Leda ist dafür eingesperrt worden.«
»Ah! Endlich! Daher also weht der Wind! Wartet, ihr Bursche, ich werde Euch das Spiel verderben!«
»Ich fragte, ob der Theaterdiener wisse, wo Doctor Zander sich jetzt befinde. Er wußte es.«
»Er ist zu Werner gekommen, um dessen Frau, welche am Krebse leidet, zu untersuchen. Er hat Hoffnung auf Besserung gegeben und gesagt, wenn sie ihn plötzlich brauchen sollten, so müßten sie in das Befour’sche Palais schicken. Dort wohne er für die nächsten Tage.«
»Also dort!«
»Ja. Nun dachte ich: Zander hat die Baronin fortgeschafft; wo er ist, da ist wohl auch sie; er ist im Palais des Fürsten, folglich wohl auch sie. Ich spionirte also und es ist mir glänzend gelungen.«
»Wann?«
»Heute abend. Ich steckte im Garten. Ein Fenster war erleuchtet und zwar mit einem so eigenthümlichen Lichte, daß ich sofort an Arznei und Krankenstube dachte. Das Fenster befindet sich über der Veranda. Ich kletterte auf die Letztere hinauf, was sehr leicht ist, und blickte in das Zimmer. Da lag sie im Bette, still und regungslos. Sie schlief.«
»Wirklich, und Du hast sie nicht verkannt? Ich frage noch einmal, weil diese Angelegenheit wichtig ist.«
»Ich konnte sie unmöglich verkennen. Ich sah sie so deutlich, als ob ich an ihrem Bette stände.«
»So muß ich sie auch sehen. Ich gehe hin, nachher, und Du sollst mich begleiten. Sonst noch etwas Neues?«
»Ja. Salomon Levi ist arretirt.«
»Unmöglich! Du meinst doch den Juden in der Wasserstraße?«
»Ja. Es giebt keinen zweiten Salomon Levi.«
»Weshalb ist er eingesteckt?«
»Das konnte ich nicht erfahren. Uebrigens ist dem Kerl diese Lection recht gut zu gönnen.«
»Pst! Er war ein Verbündeter von uns!«
»Aber ein Schinder! Ich habe wiederholt für ihn gearbeitet, aber nie den vollen Lohn erhalten. Vor einiger Zeit mußte ich ihm ein Medaillon fälschen. Ich verlangte fünf Gulden; er aber gab nur drei.«
»Fälschen? Ein Medaillon? Wie ist das möglich? Zu welchem Zwecke?«
»Das weiß ich nicht. Es war eine Kette mit Medaillon. Das Letztere hatte die Form eines Herzens und zeigte eine Freiherrnkrone mit den Buchstaben R.v.H. Ich mußte ein ähnliches Herz machen und die angegebenen Buchstaben in R.u.H. umändern. Das ist Alles, was ich weiß.«
»Da steckt nun freilich Etwas dahinter! Nun, jetzt aber wollen wir gehen. Wir trennen uns jetzt, treffen uns aber in einer halben Stunde an der niederen Ecke der Palaststraße. Von da aus suchen wir in den Garten des Fürsten zu gelangen. Wenn sie es wirklich ist, bekommst Du Deine dreihundert Gulden.«
»Sie ist es. Ich kann zehn Eide ablegen.«
»Desto besser für Dich.«
Sie entfernten sich.
»Sapperment, das ist nicht übel!« flüsterte Adolf.
»Höchst wichtig!«
»Wenigstens das von der Baronin.«
»Das Andere auch. Aber wir müssen uns beeilen. Wir müssen dafür sorgen, daß sie die Baronin nicht sehen. Wir nehmen die erste beste Droschke, um ihnen zuvor zu kommen.«
»Sie werden durch das Fenster gucken. Wollen wir sie festnehmen lassen?«
»Das hat keinen Zweck.«
»So schlage ich vor: Es legt sich eine Andere in das Bett.«
»Natürlich! Die Köchin mag sich hineinlegen. Besorge Du das. Ich werde den Hauptmann beobachten. Ich verstecke mich in der Veranda.«
Nach einer halben Stunde traf der Hauptmann mit Simeon zusammen. Sie stiegen über das eiserne Stacket in den Vorgarten und gelangten so hinter den Palast. Alle Fenster der hinteren Front waren dunkel. Nur eines war erleuchtet.
»Ist es das?« fragte der Hauptmann.
»Ja. Gerade über der Veranda.«
»Wollen erst recognosciren, ob Jemand da ist.«
Sie durchstrichen vorsichtig den Garten, und als sie nichts Besorgniß erregendes bemerkten, stiegen Beide an der Veranda empor.
Der Hauptmann befand sich in einer beinahe fieberhaften Spannung. Er blickte durch das Fenster. Ja, da lag eine schlafende Frauengestalt im Bette, in ein weißes Nachtgewand gehüllt. Im ersten Augenblicke ließ sich seine erregte Phantasie täuschen.
»Ja, ja, sie ist es!« flüsterte er. »Alle Teufel! Die soll nicht lange mehr hier liegen bleiben!«
»Wollen Sie es ihrem Manne sagen, dem Baron?«
»Natürlich! Und sodann – aber, hm! Was ist denn das! Ich glaube, ich war soeben halb blind!«
»Wieso!«
»Sie ist es doch gar nicht!«
»Das ist unmöglich!«
»Sie ist es nicht, wahrhaftig nicht!«
»Ich wette um mein Leben, daß sie es ist.«
»Du würdest verlieren!«
»Ich kann sie hier nicht sehen. Die Gardine verhüllt sie mir. Bitte, erlauben Sie!«
Der Hauptmann rückte ein Wenig zur Seite, und Simeon blickte hinein.
»Sapperment, was ist das denn?« stieß er hervor. »Das ist sie ja nicht! Das ist eine Andere!«
»Das habe ich auch gesehen.«
»Vorhin aber war es die Baronin.«
»Nein. Man hat sie umgetauscht.«
»Dieser Gedanke ist lächerlich! Glaubst Du, daß der Fürst so wenig Betten hat, daß bei ihm Damen nach einander in einem und demselben Bette schlafen müssen?«
»Er mag genug Betten haben oder nicht. Die jetzt da drinnen liegt, ist nicht Diejenige, welche vorher drin lag.«
»Pah! Es ist Dir eben gerade so gegangen wie mir: Deine Phantasie hat Dir einen Streich gespielt.«
»Nein und nein! Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. Es ist gar kein Irrthum möglich.«
»Streiten wir uns nicht. Klettern wir lieber wieder hinab, sonst könnte man uns gar noch erwischen!«
Und als sie den Erdboden erreichten, fuhr er fort:
»Es thut mir leid: Du hast Dir die dreihundert Gulden also doch nicht verdient. Ich hätte sie Dir gern gegeben.«
»O, ich bekomme sie schon noch!«
»Du hältst die Hoffnung fest?«
»Ja. Ich lasse mir nichts einstreiten. Ich habe die Baronin gesehen und werde hier solange aufpassen und spioniren, bis ich Ihnen das beweisen kann.«
Sie gingen.
Im Innern der Veranda erhob sich der Fürst vom Boden. Die letzten Worte Simeon’s sagten ihm, daß er vorsichtig zu sein habe. Er beschloß, die Baronin nach einem der vorderen Zimmer, welche man unmöglich belauschen konnte, zu bringen. – –Am anderen Vormittage begab er sich nach dem Gerichtsgebäude, um sich nach den Aussagen Salomon Levi’s zu erkundigen. Zander hatte ihm das Erlebniß erzählt.
Von da ging er dann nach der Wasserstraße in das Haus des Juden, wo die alte Rebecca ihn nach seinem Begehr fragte. Sie hatte ein sehr verweintes Gesicht.
»Ich möchte ein Geschenk machen,« antwortete er. »Haben Sie Schmuck-oder überhaupt Goldsachen?«
»Ja, genug zur Auswahl.«
»So zeigen Sie einmal.«
»Kommen Sie herein in das andere Zimmer!«
Sie zeigte sich außerordentlich freundlich, ganz gegen ihre Gewohnheit; aber dieser Herr hatte ein so nobles Aussehen, daß sie sofort geneigt war, ihn für einen vornehmen Mann zu halten. Diese Ansicht befestigte sich, als er einige der Goldsachen kaufte und sie, ohne einen Kreuzer abzuhandeln, bezahlte.
Ihre Neugierde war erregt. Sie mußte wissen, wer er sei, und darum sagte sie in ihrem freundlichsten Tone: »Ich habe den Herrn noch nie gesehen. Sie sind wohl nicht aus der Residenz, sondern hier fremd?«
In diesem Augenblicke trat Judith ein. Sie erstaunte, denn sie kannte den Fürsten und begrüßte ihn mit einer tiefen Verneigung. Ihr Kommen war ihm lieb. Er dankte ihr in herablassender Weise und antwortete ihrer Mutter: »O doch, ich wohne hier. Ich pflege zwar nie bei Althändlern zu kaufen; ich gehe zum Juwelier; aber ein junger Herr, welcher sich bei mir befindet, hat mir Ihr Geschäft warm empfohlen und mir gesagt, daß Sie auch wirklich gute Sachen haben. Er ist, glaube ich, ein guter Bekannter von Ihnen.«
»Ein Bekannter? Wer könnte das sein?«
»Er heißt Robert Bertram.«
»Robert Bertram? Gott Abrahams! Er hat uns empfohlen? Er hat unser Geschäft gelobt?«
»Ja. Er sprach sehr gut von Ihnen.«
»O, er ist ein hübscher junger Mann und ein großer Dichter. Aber, Sie sagten, daß er sich bei Ihnen befinde?«
»Ja.«
»Ich denke, er wohnt beim Fürsten von Befour.«
»Das ist allerdings der Fall. Ich bin nämlich der Fürst.«
Da war es, als ob die Alte vor lauter Glück und Respect in den Boden versinken wolle.
»Der Fürst! Der Fürst von Befour! Bei uns, in unserem Geschäfte! Hast Du gehört, Judith?«
»Ja, ich kenne Durchlaucht!« antwortete das schöne Mädchen.
»Du kennst ihn! Und ich habe ihn nicht gekannt! O, wäre doch hier Dein Vater, mein Mann Salomon Levi! Wie würde er sich freuen, zu sehen bei sich einen so vornehmen Herrn!«
»Er ist nicht daheim?« fragte der Fürst.
»Nein, heute nicht.«
»Wohl verreist?«
»Verreist – auch nicht,« antwortete sie verlegen.
Da that er, als ob er sich besinne, und sagte:
»Ach ja, da fällt mir ein! Er ist allerdings nicht verreist.«
»Sie wissen das?«
»Ja. Ich habe mit den Herren vom Gerichte über diese Angelegenheit gesprochen.«
»Was sagen diese Herren? Werden sie recht bald wieder freilassen den unschuldigen Mann?«
»Unschuldig?« meinte er achselzuckend.
»Ja, er ist unschuldig. Er hat gekauft das Loos für dreißig Gulden. Das Andere ist nicht wahr.«
»Ich will nicht richten; aber ich wünschte um Ihretwillen, daß er nur dieser einen Sache wegen angezeigt sei.«
»Soll er auch noch Anderes getan haben?«
»Leider!«
»Was denn?«
»Er soll mit dem sogenannten Hauptmanne in Verbindung stehen oder doch gestanden haben.«
»Das ist nicht wahr, das ist Lüge!«
»Und auch noch Anderes soll er getan haben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß auch Sie Beide noch eingezogen werden.«
»Wir? Eingezogen, das heißt arretirt?«
»Das ist’s, was ich sagen will.«
»Gott der Gerechte! Hörst Du, Judithleben, meine Tochter, wir sollen werden auch arretirt!«
Die Tochter richtete sich stolz empor und sagte:
»Das wird man bleiben lassen!«
»Seien Sie nicht so sicher!« warnte der Fürst.
»Wir haben nichts Unrechtes getan.«
»Und doch ist man der Ansicht, daß Sie auch mit schuldig seien. Man glaubt, Ihre Schuld beweisen zu können.«
»Was wirft man uns vor?«
»Unterschlagung, Fälschung.«
»Herr Zebaoth!« schrie die Alte. »Welch eine schlechte und böse Menschheit ist dies.«
»Was sollen wir unterschlagen und gefälscht haben, Durchlaucht?« fragte Judith.
»Eine goldene Kette nebst Medaillon.«
Sie erbleichte.
»Wer sagt das?« fragte sie.
»Der Staatsanwalt.«
»Wer kann es uns beweisen?«
»Er weiß nichts; er kann nichts beweisen.«
»O, es sind Zeugen da!«
»Wer sind sie?«
»Robert Bertram.«
»Der hat seine Kette wieder zurück erhalten.«
»Auch sein Medaillon?«
»Ja.«
»Oder vielmehr ein gefälschtes, ein nachgemachtes.«
»Das ist eine Lüge!«
»Es giebt noch einen Zeugen.«
»Wer ist das?«
»Der Goldarbeiter Jacob Simeon, welcher in Ihrem Auftrage das Herz verändert hat.«
»Er lügt.«
»Er wird sein Geständniß beschwören, und Sie Beide wird man arretiren! Sie dauern mich; aber ich kann nichts ändern. Noch wäre es Zeit, sich zu retten!«
»Wieso retten?«
»Wenn Sie das Geschmeide freiwillig heraus geben, will Robert Bertram diese Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Sie haben das echte Medaillon; man weiß es ganz genau. Sie könnten zwar auf den Gedanken kommen, es zu vernichten, aber das würde Ihre Lage nur verschlimmern.«
Sie antworteten nicht. Er ließ einige Augenblicke verstreichen; dann fuhr er in wohlwollendem Tone fort: »Bertram beschwört, daß er Ihnen das echte Medaillon gegeben und dafür ein falsches erhalten hat. Jacob Simeon beschwört, daß er von Ihnen das echte erhalten hat, um ein unechtes darnach anzufertigen; er beschwört ferner, daß er Ihnen das echte zurückgegeben hat und daß dasjenige, welches Bertram von Ihnen erhielt, das von ihm angefertigte, unechte ist. Nun mögen Sie gestehen oder nicht, das Zuchthaus ist Ihnen gewiß.«
»Zuchthaus!« kreischte die Alte.
»Zuchthaus!« murmelte auch Judith vor sich hin.
»Und nicht bloß das! Robert Bertram will Ihnen wohl. Er rühmt Ihre Freundlichkeit; er denkt gern an Sie und spricht gern von Ihnen. Er nimmt noch jetzt an, daß die Verwechslung der Medaillons nur eine ganz zufällige gewesen ist. Er hält Sie für brav und ehrlich. Aber wenn Sie beim Leugnen bleiben, dann ist er gezwungen, Sie allerdings für Betrügerinnen zu halten. Und das würde ihm leid, sehr leid thun.«
»Leid, sehr leid!« flüsterte Judith.
In ihrem Gesichte sprach sich ein Kampf aus, den sie jetzt in ihrem Inneren durchmachte. Dann aber fuhr sie wie in einem raschen, kräftigen Entschlusse von ihrem Stuhle auf und fragte: »Würde es ihm wirklich leid thun, Durchlaucht?«
»Ja, gewiß, herzlich leid.«
»Und er spricht gern von uns?«
»Sehr gern! Sie sind doch gut und freundlich gegen ihn gewesen, als er sich in Noth befand.«
»So soll er sein Medaillon haben!«
»Judith!« rief die Alte abmahnend.
»Schweig, Mutter! Es gehört uns nicht; es ist sein Eigenthum, und er hält uns für ehrlich! Ich hole es!«
Sie ging in ihr Zimmer und brachte das Medaillon.
»Hier, Durchlaucht, ist es,« sagte sie. »Geben Sie es ihm, und sagen Sie ihm, daß Judith Levi dieses Herz hat zurück behalten, nicht um ihm zu schaden.«
»Davon bin ich, und davon ist auch er überzeugt.«
Er betrachtete den für die Betreffenden so werthvollen Schmuck. Er hatte ihn früher hundertmal gesehen und erkannte ihn sofort wieder. Es jauchzte in seinem Inneren auf. Er konnte nun doch nicht an die Aussage der Baronin Ella, daß der kleine Robert mit verbrannt sei, glauben.
»Nun aber werden uns doch nicht die Gerichte arretiren und bestrafen?« fragte die alte Rebecca.
»Wegen diesem Medaillon nicht.«
»Nun, und Anderes haben wir uns nicht vorzuwerfen. Das falsche Medaillon erhalten wir wohl wieder zurück?«
»Ja. Ich werde es Ihnen senden.«
Da trat Judith einen Schritt näher und sagte:
»Wäre es nicht möglich, daß er – er – – er es uns selbst bringen könnte, Durchlaucht?«
»Vielleicht. Ich will es ihm sagen.«
»Und – und – – noch Eins!«
Sie senkte den Blick verlegen zu Boden.
»Was? Fragen Sie immerhin!«
»Geht er oft zu Hellenbach’s?«
»Zuweilen.«
»Und Fräulein von Hellenbach zu ihm?«
»Wer behauptet das?«
»Ich bin ihnen auf der Straße begegnet. Sie ritten mit einander spazieren.«
Dem Fürsten that das verschmähte Mädchen leid. Es war ein Character, der durch Liebe zu allem Guten, Schönen und Erhabenen zu bringen war.
»Sie sehen sich zuweilen. Er hat damals den Riesen Bormann bei ihr überrascht, dadurch sind sie mit einander bekannt geworden. Sie ist ihm dankbar; das ist Alles.«
Er verabschiedete sich, nahm eine Droschke und fuhr sofort zu Alma von Helfenstein. Sie empfing ihn mit einer innigen Umarmung und zog ihn zu sich auf den Divan nieder.
»Bringst Du mir vielleicht eine Neuigkeit?« fragte sie.
»Sogar einige.«
»Zunächst hat mir gestern der Hauptmann einen Besuch abgestattet.«
»Mein Gott! Er war bei Dir? Ihr seid doch nicht in Kampf gerathen?«
»Nein; habe keine Sorge! Er war nur auf meiner Veranda und weiß gar nicht, daß ich ihn gesehen und belauscht habe.«
»Was wollte er dort?«
»Er suchte seine Frau.«
»Weiß er denn etwa, daß sie sich bei Dir befindet?«
»Einer seiner Leute hat sie aufspionirt. Sie stiegen mit einander auf die Veranda und blickten in das Zimmer.«
»O weh! So ist Alles verrathen!«
»Noch nicht. Ich hatte die Baronin hinausbringen und die Köchin sich in das Bett legen lassen. Der Baron war allerdings sehr enttäuscht; er ist überzeugt, daß sein Untergebener sich geirrt hat.«
»Aber ein Verdacht wird dennoch sitzen bleiben.«
»Ganz gewiß. Darum habe ich die Baronin eine Etage höher und nach der Front herausplaciren lassen. Die zweite Neuigkeit ist weit wichtiger.«
»Laß sie hören!«
»Nicht eher, als bis Du mir Zweierlei versprochen hast.«
»Erstens einen Kuß zum Lohn und zweitens, daß Du nicht erschrecken willst darüber.«
»Ist es so schrecklich?«
»Nein; es giebt auch einen freudigen Schreck!«
»O, seit ich Dich wieder habe, bin ich stark. Den Kuß sollst Du recht gern pränumerando erhalten.«
Sie umschlang seinen Nacken und küßte ihn innig.
»So! Nun erzähle!« sagte sie dann.
»Zunächst werde ich Dir nichts erzählen, sondern Dir nur Etwas zeigen. Kennst Du vielleicht diesen Gegenstand?«
Er zog das Medaillon hervor und gab es ihr. Sie warf einen Blick darauf, stieß einen lauten Schrei aus und griff mit den Händen nach ihrem Herzen.
»Siehst Du, daß Du sehr erschrocken bist!« sagte er.
»Vor Freude, vor Freude! Vor Wonne, mein geliebter Gustav. Mein Gott und Herr! Das ist ja Robert’s Medaillon!«
»Ja, gewiß!«
»Es ist nicht mitverbrannt. Man hat es jedenfalls unter dem Schutte gefunden.«
»Ich denke anders. Nicht nur das Medaillon ist erhalten worden, sondern auch der kleine Robert.«
»Du meinst, daß er noch lebe?«
»Ja.«
»Aber Ella sagte das Gegentheil!«
»Das beweist noch nichts. Ich werde mit den beiden Schmieden sprechen. Vielleicht bringe ich sie zum Geständnisse. Erst dann können wir sagen, ob er todt sei oder nicht.«
»Wer aber ist jetzt Eigenthümer des Medaillons?«
»Robert Bertram.«
Sie blickte ihn mit großen, weitgeöffneten Augen an, dann schlug sie plötzlich vor Entzücken die schönen Händchen zusammen, sprang wie electrisirt vom Sitze auf und rief: »Er ist’s! Er ist’s! Er und kein Anderer! Mein Herz sagt es mir, und das wird Recht behalten.«
»Auch ich stimme Dir bei.«
»Auch Du? Siehst Du! Siehst Du! Und was sagt Bertram dazu? Ich muß sofort hin, um ihn zu umarmen!«
»Warte, warte, liebes Kind! Er weiß kein Wort.«
»Kein Wort? Warum nicht?«
»Ich muß erst meiner Sache sicher sein, ehe ich die Gemüthsruhe des braven Jünglings so gewaltig störe. Komm, setze Dich; ich will Dir die Geschichte dieses Medaillons erzählen.«
Als er später die Geliebte verließ, war er mir ihr einig geworden, Robert Bertram noch nichts zu sagen, sondern erst mit den Schmieden zu sprechen und die erforderliche Erkundigung im Findel-und Waisenhause einzuziehen. –Um vielleicht dieselbe Zeit saß in der betreffenden Kellerrestauration der Agent Bauer, welcher der Lieutenant des Hauptmannes war. Er wartete auf den Letzteren, welcher bekanntlich unter der Maske eines emeritirten Cantors und Organisten hier zu verkehren pflegte.
Dieser Letztere erschien auch baldigst und setzte sich zu ihm. Das Gespräch, welches sie führten, drehte sich um die Unterredung, welche der Hauptmann gestern nach Mitternacht mit dem Diener Leonhardt gehabt hatte.
»Dieser Mensch,« sagte der Agent, »scheint ein ehrlicher Kerl zu sein. Wenigstens ist er mir ganz so vorgekommen.«
»Mir auch. Er ist dummehrlich.«
»Hm! Vielleicht doch nicht so dumm, wie Sie meinen. Er scheint denn doch ein gut Theil Verschlagenheit zu besitzen. Er kommt mir ganz so vor, wie ein dummer Bauer!«
»Mir allerdings nicht. Und wie reimt sich das zusammen, daß Sie ihn einen dummen Bauer und doch einen Menschen nennen, welcher ein gut Theil Verschlagenheit besitzt?«
»O, das reimt sich sehr gut zusammen. Früher sprach man nur von den ›dummen Bauern‹. Man erzählte sich tausend der lächerlichsten Anecdoten von ihnen. Wo aber sind diese Bauern jetzt hin? Der Bauer ist klug geworden. Er weiß zu rechnen; er ist pfiffig. Er ist jetzt klüger als mancher Advocat und haut Den, von dem er sich früher betrügen ließ, nun seinerseits über die Ohren, daß es eine Art hat. Der Bauer ist dumm pfiffig. Und gerade so kommt mir auch dieser Diener der amerikanischen Tänzerin vor.«
»Sie glauben also, daß man mit ihm Etwas machen kann?«
»Ganz gewiß!«
»Und daß man ihm vertrauen darf.«
»Er ist ehrlich. Er wird nicht stehlen und nicht betrügen. Er wird aber sein den Schmieden gegebenes Wort halten, obgleich er da Etwas thun muß, was von den Gesetzen verboten ist.«
»So rathen Sie mir also, mit ihm zu gehen?«
»Natürlich! Wie er es zu arrangiren gedenkt, ist ja nicht die mindeste Gefahr vorhanden.«
Der Hauptmann warf dem Agenten einen langen, prüfenden Blick zu und fragte dann:
»Haben Sie wirklich diese Ueberzeugung?«
»Ja; ich vertraue ihm unbedingt. Uebrigens ist ja keinerlei Gefahr für Sie bei der Sache.«
»Oho!«
»Nun, welche denn?«
»Man kann mich sehr leicht wegfangen.«
»Das ist nicht gut möglich.«
»Und doch! Wie nun, wenn er die Polizei benachrichtigt und ich dann von ihr festgenommen werde?«
»Wie will er das anfangen?«
»Er braucht ja nur hinzugehen.«
»Sie brauchen ihn ja gar nicht aus den Augen zu lassen.«
»Das ist wahr.«
»Sie werden von hier aus in einem Coupee mit ihm sitzen und stets an seiner Seite bleiben. Er selbst wird die Leiter holen; er selbst wird auch den Schlüssel stehlen. Sie müssen das so einzurichten suchen. Das ist genug. Er ist dann der Mitschuldige und würde im Falle der Ergreifung bestraft werden, während Sie Zeit haben, zu entkommen.«
»Wie will ich zum Beispiel entkommen, wenn ich mit ihm im Gefängnisse ergriffen werde?«
»Sie können da gar nicht ergriffen werden. Sie brauchen ja nicht mit hinein zu gehen.«
»O doch!«
»Nein. Einer muß doch außen wachen. Das werden Sie sein. Er kennt das Innere des Gefängnisses, also muß er es sein, der da hineingeht und die beiden Gefangenen herausholt.«
»Hm! Das klingt allerdings sehr ungefährlich!«
»Es klingt nicht so, sondern es ist wirklich so!«
»So finden Sie also keine Gefahr dabei?«
»Nicht die mindeste.«
»Nun, so übernehmen Sie doch die Expedition!«
»Ich?«
Er that diese Frage doch mit dem Ausdrucke der Betroffenheit.
»Ja, Sie! Ich denke, Sie glauben so fest an die Ungefährlichkeit und das Gelingen derselben.«
»Allerdings. Aber Ihre Gegenwart ist doch unbedingt nothwendig bei der Geschichte.«
»Ganz und gar nicht. Es genügt, wenn Sie mir die beiden Schmiede bringen.«
Da ließ der Agent ein kurzes Lachen hören und sagte:
»Ich verstehe! Sie wittern doch immer noch einige Gefahr und wünschen, daß es nicht Ihr Kopf sei, der in einer etwaigen Schlinge stecken bleibt.«
»Nun, ich will das nicht ableugnen.«
»Das ist sehr aufrichtig. Also ich soll meinen Kopf in diese gefürchtete Schlinge stecken?«
»Hm! Sie glauben ja eben an keine Gefahr!«
»Das habe ich gesagt, und das ist auch richtig. Aber allwissend bin ich nicht, und bei Gott ist Alles und beim Teufel ist sehr Vieles möglich. Ein Zufall kann das Spiel verderben.«
»Das ist’s ja, was ich meine! Und darum muß ich handeln wie der Feldherr handelt.«
»Der zurück bleibt und seine Soldaten vorschickt!«
»Sie werden ironisch!«
»Habe ich nicht die Veranlassung dazu?«
»Nein. Wenn der Feldherr verunglückt, ist Alles verloren. Er hat nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Untergebenen gegenüber die Pflicht, sich zu schonen.«
»Aber was nützt es dem Soldaten, wenn er an Stelle des Feldherrn erschossen wird?«
»Hier ist ja weder von einer Schlacht noch von Erschießen die Rede. Hier ist nur das Eine möglich, daß Sie gefangen werden.«
»Schlimm genug!«
»O, nicht so schlimm, als wenn man mich ergreift. Verunglücke ich, so ist Alles verloren. Hält man aber Sie zurück, so bin ich da, um Sie heraus zu holen.«
»Würden Sie das wirklich thun?«
»Muß ich nicht?«
»Hm!« brummte der Agent.
»Ich darf Sie ja nicht verlassen. Man könnte Sie zu Geständnissen zwingen, und das muß ich doch auf alle Fälle verhüten. Sie sehen ja, daß ich ganz aus demselben Grunde jetzt bemüht bin, die Schmiede zu befreien!«
»Das ist wahr. Sie haben noch Keinen verlassen!«
»Weil dies in meinem eigenen Interesse liegt. Also, wollen Sie die Expedition unternehmen?«
»Hm! Darf ich mir eine Bedenkzeit ausbitten?«
»Wozu?«
»Man muß sich doch seine Haut betrachten, ehe man sich entschließt, sie zu Markte zu tragen.«
»Ich wiederhole, daß Sie ja an keine Gefahr glauben!«
»Und ich wiederhole meine Bemerkung, daß doch die Möglichkeit des Mißlingens nicht ausgeschlossen ist!«
Die Beiden verhielten sich als echte Spitzbuben zu einander. Der Hauptmann wollte sich in keine Gefahr begeben, und der Andere war zwar vom Gelingen des Streiches überzeugt, er war auch im Innern schon bereit, denselben zu übernehmen, wollte aber möglichst viel Nutzen für sich herausschlagen. Da glaubte der Hauptmann, seinen Vorschlag mit einem triftigen Argument unterstützen zu müssen. Er sagte: »Sie müssen sich übrigens an unsere Abmachungen erinnern. Es hat mir ein Jeder unbedingt zu gehorchen?«
»Wenn Sie einen wirklichen Befehl aussprechen, ja. Das aber haben Sie bis jetzt noch nicht getan.«
»Ich dachte, daß es nicht nöthig sein werde. Ich wünsche, daß Sie Das, was ich verlange, für einen Gefallen ansehen, den Sie mir erweisen.«
»Etwas Anderes könnte es auch nicht sein.«
»O doch!«
»Nun, was denn?«
»Ich brauche keinen Gefallen, sondern nur Gehorsam zu verlangen. Ich habe nicht zu bitten, sondern nur zu befehlen.«
Der Agent zwinkerte ihn mit halb zusammengekniffenen Augen von der Seite an und antwortete: »In dieser Angelegenheit wohl nicht!«
»Oho!«
»Ganz gewiß nicht!«
»Sie meinen etwa, daß Sie mir nicht zu gehorchen brauchen?«
Seine Stimme klang fast drohend; der Andere aber zuckte gleichmüthig die Achsel und antwortete:
»Wir haben geschworen, Ihnen zu gehorchen. Aber der Gehorsam, den wir gelobt haben, hat seine Grenzen.«
»Wo und wie?«
»Ich habe Ihnen nur innerhalb der Residenz zur Verfügung zu stehen. An einem Unternehmen, welches sich nach außerhalb erstreckt, brauche ich mich nicht zu betheiligen.«
»Aber dennoch müssen Sie wissen, daß es nur gut für einen Jeden ist, auch in diesem Falle meine Wünsche zu berücksichtigen.«
»Ihre Wünsche! Da haben wir es! Aber nicht Ihre Befehle! Ich bin ja auch bereit, über den Kreis meiner Verpflichtungen hinaus zu gehen. Aber umsonst ist nicht einmal der Tod, denn auch dieser muß mit dem Leben bezahlt werden. Wenn ich mehr thue als ich verpflichtet bin, zu thun, möchte ich auch einen Erfolg für meine Person sehen.«
»Ich bin ja bereit, Sie zu belohnen!«
»Ach! Wirklich« fragte Bauer, indem seine Mienen einen offenbaren Zweifel ausdrückten.
»Ja, gewiß!«
»Das möchte ich denn doch bezweifeln.«
»Warum?«
»Ich kenne Sie genau. Sie zahlen nicht schlecht; aber zweimal bezahlen Sie doch nicht gerne.«
»Zweimal? Thue ich das hier?«
»Ja. Sie bezahlen doch den Diener und auch mich.«
Dabei machte er ein so pfiffiges Gesicht, daß der Hauptmann lachen mußte. Dieser Letztere meinte:
»Ich sehe, daß Sie mich doch ein Wenig studirt haben.«
»Nicht wahr? Ja, ich kenne meine Pappenheimer!«
»Und Sie vermuthen, daß ich auch hier nicht gegen meine Gewohnheit handeln werde?«
»Ich vermuthe es nicht nur, sondern ich bin wirklich überzeugt davon: Sie werden nur einmal bezahlen.«
»Aber Sie sind es nicht, welcher schlecht dabei fahren wird.«
»Das erwarte ich allerdings!«
»Na, ja! Sie werden Das erhalten, was ich diesem Diener hätte zahlen müssen.«
»Das vermuthe ich. Er wird sich ärgern!«
»Das geht mich nichts an. Wenn er die Schmiede befreit, ist er vor dem Gesetze straffällig; er kann nichts machen, wenn ich ihm nichts gebe.«
»Und selbst wenn er seine Forderung gesetzlich geltend machen könnte; er kennt Sie ja gar nicht.«
»Richtig! Also, machen Sie mit?«
»Hm! Zahlen Sie einen Theil an?«
»Meinetwegen.«
»Gut, so will ich es riskiren. Wann soll es geschehen?«
»Möglichst bald. Am liebsten wäre es mir heute.«
»Aber ob es dem Diener paßt?«
»Wollen sehen. Er kommt jedenfalls noch während des Vormittags. Ich werden dem Wirthe einige Zeilen für ihn geben; da werden wir ja gleich sehen, ob er es möglich machen kann.«
»Und wie arrangiren wir uns?«
»Sehr einfach. Sie fahren mit ihm nach der Kreisstadt; er holt die Schmiede heraus. Sie verkleiden diese – – –«
»Womit?«
»Ich sorge für Anzüge, Bärte und Perrücken. Ich schicke oder bringe selbst diese Sachen in einem kleinen Koffer hierher. Dann fahren Sie per Bahn zurück.«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Nein. Sie brauchen ja nicht an Ort und Stelle einzusteigen. Sie gehen bis zur ersten oder zweiten Station.«
»Und wo bringe ich die Schmiede hin, nachdem ich mit ihnen hier angekommen bin?«
»Sie lassen sie einfach an der letzten Station aussteigen. Die beiden Wolfs wissen mich zu finden.«
»Ah!« meinte der Agent erstaunt. »Also diese zwei Männer wissen genau, wer Sie sind?«
»Ja.«
»Und hier weiß es Niemand!«
»Kein Mensch.«
»Selbst ich nicht!«
Seine Stimme klang vorwurfsvoll und beleidigt. Darum beeilte sich der Hauptmann mit der Erklärung:
»Sie wissen, wie vorsichtig ich hier sein muß!«
»Aber gegen die Schmiede sind Sie es nicht!«
»Die haben mich bereits gekannt, ehe ich hier unsere geheime Gesellschaft gründete. Ein Mißtrauen, besonders gegen Sie, ist also keinesfalls vorhanden.«
»Das hätte mir auch leid getan.«
»Ich will also hoffen, daß Sie die Schmiede nicht nach mir ausfragen; sie würden Ihnen nicht antworten.«
»Fällt mir gar nicht ein! Aber, zum Teufel, da denke ich erst jetzt daran, daß ich die Reise doch nicht unternehmen kann!«
»Dieser Diener Leonhardt kennt mich ja!«
»Das ist kein Hinderniß.«
»O doch! Er darf auf keinen Fall erfahren, daß ich zu der Gesellschaft des Hauptmannes gehöre.«
»Das soll er auch nicht. Sie verkleiden sich. Unser Friseur wird Ihnen einen famosen Bart und eine Glatze machen, die ihres Gleichen sucht. Sie steigen mit ihm in ein Coupé, um ihn beobachten zu können. Wir geben ihm ein Zeichen, an welchem er seinen Helfershelfer erst beim Aussteigen erkennt.«
»Er wird denken, Sie sind es.«
»Das soll er auch. Sie müssen also ganz so thun, als ob Sie der Hauptmann wären. Haben Sie noch eine Frage?«
»Nein, aber einen Wunsch.«
»Welchen?«
»Das Draufgeld!«
»Sie haben es verteufelt eilig.«
»Die Reise kostet eben Geld.«
»Nun, hier haben Sie!«
Er öffnete die Börse und gab ihm einen Betrag, mit welchem der Agent sichtlich zufrieden war. Dann zog er ein Blatt Papier und ein Couvert hervor und schrieb auf das Erstere:
»Mir ist daran gelegen, die Reise so bald wie möglich zu machen. Paßt es Ihnen nicht bereits heute? Wenn dies der Fall ist, so kommen Sie drei Uhr nach dem Bahnhofe und lösen Sie sich ein Billett dritter Klasse. Beim Aussteigen an dem betreffenden Orte werde ich Sie mit den Worten empfangen: ›Willkommen zur That!‹ Das ist das Erkennungszeichen. Also, wenn es Ihnen paßt, so geben Sie dem Wirthe hier in einem Couverte einen Zettel, auf den Sie ein einfaches ›Ja‹ schreiben. Ist dies aber nicht der Fall, so schreiben Sie mir die Zeit auf, in welcher es Ihnen möglich ist. Das muß aber dann ganz bestimmt sein. Ich liebe die Pünktlichkeit.«
Er steckte diesen Zettel in das Couvert und ging damit zum Wirthe, bei dem er sich erkundigte: »Haben Sie den Menschen bemerkt, welcher mit uns Sechsundsechzig spielte? Er ist ein Diener?«
»Ja; ich habe gehört, daß er Ihnen sagte, er diene bei der amerikanischen Tänzerin.«
»Schön! Er wird wohl bald kommen und soll dieses Couvert erhalten, darf aber nicht wissen, daß es von mir ist. Es handelt sich nämlich um einen Geburtstagsscherz.«
»Ich will es besorgen. Soll ich es ihm erst geben, wenn Sie sich dann entfernt haben?«
»Nein, sondern sobald er sich gesetzt hat.«
Und als ob er gerufen worden sei, trat, als der Hauptmann sich kaum wieder niedergesetzt hatte, der Diener ein. Er grüßte höflich und that so, als ob er sich einen anderen Tisch wählen wolle, aber der Agent meinte: »Warum dorthin? Wollen Sie nicht auch heute wieder ein Spielchen mit uns machen?«
»Heute bin ich sehr beschäftigt. Ich gehe gleich wieder. Aber, wenn Sie erlauben, werde ich für diese kurze Zeit bei Ihnen Platz nehmen.«
Er setzte sich an ihren Tisch, und der Agent fragte im Tone, als ob er eben nur das Gespräch fortsetzen wolle: »Was haben Sie denn heute so Eiliges zu thun?«
»Eine Reise.«
»Ah, Ihre Herrin verreist?«
»Nein. Ich habe mir Urlaub geben lassen.«
»Wohin?«
Der schlaue Polizist heuchelte eine verlegene Miene, wartete ein Wenig und antwortete dann:
»Ich will in meine Heimath, wo ich in einer kleinen Familienangelegenheit anwesend sein muß.«
Die beiden Anderen tauschten einen Blick aus, welcher nichts Anderes besagte, als:
»Aha! Er hat angebissen. Er will mit dem Hauptmann fort.«
Und da kam auch schon der Wirth herbei, brachte das Glas Bier, welches der Diener beim Platznehmen verlangt hatte, und sagte: »Vorhin war Jemand da und hat mir diesen Brief übergeben.«
»Für mich?«
»Ja.«
»Hm! Das wundert mich. Das muß ein Versehen sein. Das Couvert hat ja gar keine Adresse!«
»Die fehlt allerdings.«
»Wer war denn dieser Jemand?«
»Ein Mann, den ich nicht kannte.«
»Er muß doch einen Namen genannt haben, und ich glaube nicht, daß Sie den meinigen wissen.«
»Er sagte, der Brief sei für den Diener der amerikanischen Tänzerin, welcher hier zu verkehren scheine. Sind Sie das?«
»Ja freilich.«
»Nun, so ist die Sache ja in Richtigkeit!«
Der Polizist that noch immer so, als ob er zweifle. Er betrachtete den Brief von allen Seiten und schüttelte den Kopf. Die beiden Andern dachten im Stillen: Der Kerl spielt seine Rolle nicht übel. Und dann meinte der Agent: »Was überlegen Sie noch? Der Brief ist ohne allen Zweifel an Sie gerichtet; Sie können ihn also getrost öffnen!«
»Na, ich will’s versuchen!«
Er brach das Couvert auf, las den Zettel, nickte mit dem Kopfe und sagte dann lächelnd: »So ist es! Man ist vergeßlich. Ich hatte mich um eine Anstellung beworben und dem Agenten gesagt, daß er den Brief hierher schicken solle. Das hatte ich vergessen, da ich indessen eine Anstellung gefunden habe. Herr Wirth, haben Sie vielleicht ein Couvert und Papier?«
Der Wirth brachte das Verlangte. Der Polizist legte den Briefbogen auf den Tisch und schrieb so offen, daß die Andern es deutlich sehen konnten, ein »Ja« darauf. Er steckte dann den Bogen in das Couvert und fragte: »Soll die Antwort abgeholt werden?«
»Ja.«
»Hier ist sie. Die Schreiberei ist gar nicht nöthig!«
Diese letzteren Worte waren doppelzüngig gesprochen, was aber gar nicht beachtet wurde. Er trank sein Bier baldigst aus, bezahlte und verabschiedete sich.
Nun brachte der Wirth den Brief. Er sagte lachend.
»Sie werden bereits gesehen haben, was er antwortete. Er scheint nur ein Wort geschrieben zu haben.«
»Allerdings. Der Witz ist gelungen.« – –
Der Fürst war unterdessen im Findelhaus gewesen und hatte gebeten, betreffs Robert Bertram in den Büchern nachzuschlagen. Er hatte das Datum und die Art und Weise erfahren, unter welcher man den Knaben in der Drehscheibe gefunden hatte. Die Kette mit dem Medaillon war ganz genau beschrieben, und zuletzt stand die Bemerkung, daß der Findling dem Schneider und Musikus Bertram ausgehändigt worden sei.
Ueber die Person gab es also keinen Zweifel mehr. Es fehlte nur noch das Geständniß der Schmiede, daß sie den Knaben in das Findelhaus gebracht hatten und daß dieser der Sohn des ermordeten Barons von Helfenstein sei.
Als der Fürst nach Hause kam, wartete Adolf auf ihn. Er sah es dem Gesichte desselben an, daß er eine gute Nachricht bringe.
»Nun? Hast Du bereits Erfolg gehabt?«
»Ja, diesen hier.«
Der Polizist zeigte ihm das Schreiben, welches er von dem Wirthe erhalten hatte. Der Fürst las es und fragte: »Was hast Du geantwortet?«
»Ein ›Ja‹ natürlich.«
»Ganz recht. Du wirst Dich also drei Uhr bereit halten.«
»Ich allein?«
»Nein. Ich fahre auch mit, wenn auch anderer Wagenklasse.«
»Recht so. Aber wie fangen wir das Ding an?«
»Wir kommen noch vor Abend hin. Du wirst Dich mit ihm wohl in irgend eine Kneipe begeben müssen, um die Zeit abzuwarten.«
»Natürlich. Vor Mitternacht kann nichts geschehen.«
»Unterdessen spreche ich mit dem Gerichtsamtmann. Man wird Euch nichts in den Weg legen. Ihr holt den Schlüssel aus der Expedition; der Gefängnißwärter muß sich durch den Garten entfernen, ganz so, als ob er wirklich zu seiner Geliebten gehe, und dann bringst Du ihn herein.«
»Und drin wird er sofort festgenommen.«
»Natürlich!«
»Na, dann haben wir ihn endlich!«
Das war in einem frohen Tone gesagt. Der Fürst aber ging einige Male auf und ab und fragte dann:
»Du glaubst also, daß er wirklich kommt?«
»Natürlich! Er schreibt es ja!«
»Ich glaube nicht daran. Es handelt sich hier um eine wahre Mausefalle, und es sollte mich wundern, wenn er so bereitwillig den Kopf hineinsteckte. Ich denke, er wird einen Andern schicken.«
»Das wäre dumm!«
»Für uns ja, von ihm aber sehr gescheidt.«
»Dann bin ich neugierig, zu erfahren, wen er sendet.«
»Den Agenten, denke ich.«
»Hm! So nehmen wir den gefangen!«
»Das geht nicht. Das wäre eine Dummheit.«
»Warum?«
»Wir brauchen ihn. Er giebt an seinem Fenster das Zeichen zu den Zusammenkünften. Wir müssen froh sein, dies entdeckt zu haben. Dadurch bekommen wir Gelegenheit, zu erfahren, wenn die ganze Bande beisammen ist. Nehmen wir ihn aber gefangen, so geht uns das verloren.«
»Das ist wahr. Wie dumm! Also, den Fall gesetzt, daß an Stelle des Hauptmannes ein Anderer kommt, was thue ich dann? Das muß ich natürlich wissen.«
»In diesem Falle sagst Du ganz einfach, daß Du nur dem Hauptmann zur Verfügung stehst, aber keinem Andern.«
»Also in das Gefängniß soll ich ihn nicht führen?«
»Nein. Die Hauptsache ist, daß Du den Betreffenden erkennst.«
»Keine Sorge! Den Baron von Helfenstein erkenne ich unter jeder Verkleidung, vorausgesetzt, daß ich ihn genau betrachten kann und auch seine Stimme höre. Das wird ja heute der Fall sein. Und diesen Agenten Bauer habe ich mir angesehen. Er mag sich verkleiden und verstellen wie er will; auf den Gedanken, seine rechte Hand zu verändern, wird er aber wohl schwerlich kommen.«
»Ist sie gezeichnet?«
»Ja. Ich habe es beim Kartenspiel gesehen. Er scheint einmal einen sehr bösen Finger gehabt zu haben, vielleicht den Fingerwurm, denn der Zeigefinger ist viel dunkler gefärbt als die andern. Daran erkenne ich ihn sicher.«
»So wäre es mir wünschenswerth, noch bevor ich zu dem Amtmanne gehe, zu erfahren, mit wem wir es zu thun haben.«
»Das wird schwer gehen.«
»Warum?«
»Der Kerl wird mich beobachten und mich wohl nicht aus seiner Nähe lassen.«
»Das steht allerdings zu erwarten. Ich werde Euch von Weitem folgen. Vielleicht fällt mir ein Mittel ein.«
»Es wird am Besten sein, wir machen es folgendermaßen: Er empfängt mich am Bahnhofe. Erkenne ich ihn sofort, so kann ich gleich das Zeichen geben. Erkenne ich ihn aber nicht gleich, so veranlasse ich ihn, in die Bahnrestauration zu treten.«
»Und wenn er das nicht thut?«
»Ich werde ihn schon hinein zu bringen wissen. Während des Trinkens komme ich in’s Klare über ihn. Also, entweder gehe ich mit ihm direct vom Bahnhofe oder nach einem kurzen Besuche der Restauration nach der Stadt. In beiden Fällen werde ich mich, sobald wir den Bahnhof im Rücken haben, meines weißen Taschentuches bedienen. Stecke ich dasselbe dann in den rechten Rockschooß, so ist’s der Hauptmann, also der Baron; stecke ich es in den linken, so ist’s dieser Agent Bauer; stecke ich es aber in die Hosentasche, so ist es irgend ein Anderer.«
»Gut. Im ersteren Falle kann das Abenteuer vor sich gehen; in den beiden letzteren Fällen aber wird nichts daraus. Es bringt uns keinen Nutzen.«
»Was thue ich dann?«
»Du machst Dich von ihm los. Wir fahren dann mit dem nächsten Zuge wieder zurück und treffen uns auf dem Bahnhofe.«
Somit war die Sache abgemacht. Um drei Uhr befand Adolf sich auf dem Bahnhofe. Er löste sich ein Billet dritter Klasse und ging in das Wartezimmer. Dort saßen bereits viele Leute, unter denen es ganz unmöglich war, den Betreffenden herauszufinden. Aber Adolf vermuthete mit Recht, daß dieser ganz sicher dasselbe Coupé mit ihm aufsuchen werde. Und so geschah es auch.
Als das Zeichen gegeben wurde und Adolf eingestiegen war, kam zu denen, welche mit Platz genommen hatten, noch ein Mann, welcher ein Musikus zu sein schien. Er hatte eine große Glatze, trug eine Brille und brachte einen Violinkasten mit, welchem er große Sorgfalt widmete.
Er kam Adolf gegenüber zu sitzen, so daß dieser ihn genau zu beobachten vermochte. Der Blick des Polizisten fiel sofort auf den Zeigefinger der rechten Hand und siehe da, es war ganz der Finger des Agenten!
Nun betrachtete Adolf das Gesicht seines Gegenübers. Er mußte sich gestehen, daß der falsche Bart mit wirklicher Meisterschaft angebracht worden war.
Nachdem einige kleine Anhaltepunkte zurückgelegt worden waren, kam eine größere Station, an welcher der Zug mehrere Minuten zu halten hatte. Adolf stieg aus. Er war überzeugt, daß der Fürst aufpassen werde, und er hatte sich nicht getäuscht. Sie trafen am Büffet zusammen, wo der Letztere sofort fragte: »Wohl der Geiger?«
»Errathen!« meinte der Polizist verwundert.
»Das ist keine Kunst. Ich sah ihn einsteigen. Seine Haltung war eine so gezwungene, daß ich gleich erkannte, daß die Person imitirt sei. Hast Du ihn erkannt?«
»Ja. Der Agent ist es.«
»Er hat den Finger?«
»Ja. Das ist zu dumm!«
»Allerdings. Aber es fragt sich, ob nicht doch auch der Hauptmann da ist. Vielleicht in einem anderen Coupée.«
»Möglich kann es sein.«
»Wüßten wir, daß er nicht dabei ist, so könnten wir gleich hier zurückbleiben. Aber wir müssen es doch abwarten. Wenn Dich der Geiger auf dem Ankunftsbahnhofe anredet, so ist der Hauptmann nicht da. In diesem Falle ist uns die Expedition verdorben.«
Es läutete und sie stiegen wieder ein. Als sie das Ziel erreichten und ausgestiegen waren, blieb Adolf wartend stehen. Niemand kam. Aber neben ihm stand der Geiger, der ebenso that, als ob er Jemand erwarte. Aber als er sah, daß die Passagiere sich entfernten, so daß Niemand seine Worte hören konnte, sagte er: »Sie erwarten wohl Jemand, mein Herr?«
»Nein,« antwortete Adolf, »sondern ich glaubte, erwartet zu werden.«
»Von einem Bekannten?«
»Was geht das Sie an?«
»Vielleicht doch mehr, als es scheint. Ich erlaube mir, Sie zur That hier willkommen zu heißen!«
»Donnerwetter!« meinte der Polizist, scheinbar überrascht. »Sie sind es? Sie?«
»Ja, wenn Sie erlauben.«
»Sie sind also der Hauptmann?«
»Natürlich!«
»Aber warum diese Geige?«
»Die gehört zur Verkleidung. Aber wir können hier doch nicht stehen bleiben. Kommen Sie herein nach der Stadt!«
»Meinetwegen! Es ist noch zu früh zum Handeln. Was thun wir unterdessen?«
»Wir kneipen ein und machen ein Spielchen. Vorwärts!«
Sie gingen. Adolf bemerkte, daß er von dem Fürsten, welcher auf dem Perron stehen geblieben war, beobachtet wurde. Er zog also sein Taschentuch hervor, wischte sich das Gesicht und steckte es dann in die linke Tasche seines Rockschooßes. Das war das Zeichen, daß die heutige Expedition allerdings mißlungen sei.
Der Fürst überlegte, ob er gleich hier auf den nächsten Zug warten oder sich nach dem Gerichtsgebäude begeben solle, um mit dem Amtmanne über die beiden Schmiede zu sprechen. Da bemerkte er mehrere Personen, welche vor einem an die Ecke angeklebten Placate standen und dabei so augenfällig debattirten, daß ein wichtiges Ereigniß zu vermuthen war. Er ging hin und las:
»Heute früh elf Uhr sind die beiden aus Tannenstein gebürtigen Schmiede Wolf, Vater und Sohn, unter erschwerenden Umständen während des Verhöres aus dem Fenster des Verhörzimmers entsprungen. Auf die Ergreifung derselben wird hiermit ein Preis von 300 Gulden gesetzt. Signalement wie folgt.«
Nämlich am Vormittage bei Beginn der Expeditionszeit war der Amtmann zu dem Actuar gekommen, welchem die Untersuchung gegen die Schmiede anvertraut war, und hatte ihm unter finsterem Kopfschütteln ein Actenstück mehr hingeworfen als hingelegt.
»Ich habe Einsicht genommen,« sagte er. »Wie lange Zeit gedenken Sie diese Sache noch hinzuschleppen?«
Der Actuar war erschrocken; er antwortete:
»Entschuldigung! Ich glaube, nichts versäumt zu haben. Die Kerls gestehen eben nichts!«
»Das ist keine Entschuldigung. Sie haben ja Indizien genug in den Händen, mit denen Sie die Angeklagten förmlich erdrücken können!«
»Sie sagen, daß sie sich zum Scherze verkleidet hätten. Was kann ich dagegen thun?«
»Pah! Es giebt in den Aussagen der Beiden genug Punkte, in denen sie sich widersprechen. Das sind Handhaben, bei denen Sie sie fassen müssen. Warum confrontiren Sie die Beiden nicht?«
»Ich glaubte die Untersuchung noch nicht reif genug dazu. Es kann zu nichts führen.«
»In der jetzigen Weise bringen Sie die Reife niemals zu Stande. Ich hoffe, daß das anders wird!«
Nach diesen Worten hatte sich der Amtmann entfernt. Der Actuar war überzeugt, seine Pflicht gethan zu haben. Er schritt erzürnt und beleidigt im Zimmer auf und ab, that einige Blicke in die Acten und murmelte dann vor sich hin: »Unsinn! Confrontation! Dadurch verrathe ich doch nur dem Einen die Aussagen des Anderen. Aber, er will es, und so will auch ich.«
Er zog an der Glocke und befahl, die beiden Schmiede vorzuführen. Der Amtsdiener fragte:
»Beide zugleich, Herr Actuar?«
»Natürlich!«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Warum sollte es gefährlich sein?«
»Die Kerls sind verwegen!«
»Pah! Haben sie sich denn schlecht geführt?«
»Nein. Sie sind im Gegentheil lammfromm gewesen. Aber gerade solchen Folgsamen ist nicht zu trauen. Soll ich vielleicht mit hereinkommen?«
»Nein. Sie wissen ja, daß während der Voruntersuchung über die Aussage der Gefangenen nichts verlauten darf, und darum –«
»Ich verrathe nichts!«
»Das weiß ich. Aber ich brauche Sie nicht. Uebrigens habe ich ja, wie ein jeder anderer Untersuchungsbeamter, hier meinen Revolver.«
»So werde ich mich wenigstens in der Nähe der Thür aufhalten. Sollte etwas geschehen, so rufen Sie!«
Er ging, und der Actuar zuckte lächelnd die Achsel. Dennoch aber nahm er den Revolver aus dem Kasten und legte ihn neben das aufgeschlagene Actenheft hin.
Der alte Schmied war der Erste, welcher in das Wartezimmer gebracht wurde. Er schritt sofort auf die wohlbekannte Thür zu, hinter welcher er den Actuar wußte, aber der Amtsdiener sagte: »Noch nicht. Ich habe erst Ihren Sohn zu holen. Setzen Sie sich einstweilen da auf die Bank!«
Der Alte gehorchte. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich; aber als er sich setzte, dehnte und reckte er seine Glieder, als ob er sich überzeugen wolle, ob sie noch kräftig genug seien zu dem, was er sich im Augenblicke vorgenommen hatte.
Als sein Sohn gebracht wurde, blieb dieser bei in Anblicke des Vaters überrascht stehen.
»Du auch hier« fragte er.
»Ja,« brummte der Alte, ohne aufzusehen.
»Sie sollen confrontirt werden,« sagte der Diener mit wichtigem Tone. »Treten Sie jetzt ein!«
Er öffnete die Thür. Dabei drehte er ihnen nur einen Augenblick lang den Rücken zu; aber dieser Moment genügte vollständig. Ein gegenseitiger schneller Aufblitz der Augen und die Beiden wußten, was geschehen werde. Als sie eintraten, war ihr Aussehen so unbefangen und demüthig, daß der Actuar dem Amtsdiener durch ein Achselzucken andeutete, für wie ungerechtfertigt er seine vorhin ausgesprochene Besorgniß halte.
Dennoch aber postirte sich der Letztere draußen an die Thür, um beim geringsten Zeichen, daß der Untersuchende sich in Gefahr befinde, diesem zu Hilfe zu eilen. Leider aber durfte er seine anderen Obliegenheiten nicht versäumen, und so kam es, daß er seinen Platz sehr bald verlassen mußte.
Später stellte er sich freilich wieder hin. Er hörte nicht das mindeste Auffällige; auffällig fand er nur die tiefe Stille, welche da drinnen herrschte. Er hörte kein Wort, während er doch vorhin die Stimme des Actuars und auch diejenigen der Antwortenden gehört hatte, wenn es ihm auch unmöglich gewesen war, die Worte selbst zu verstehen.
Dies kam ihm je länger desto mehr verdächtig vor. Sollte er öffnen? Das durfte er nicht. Aber als jetzt zufälliger Weise der Amtswachtmeister in das Wartezimmer trat, sagte er zu diesem: »Herr Wachtmeister, geben Sie mir einen Rath. Die beiden Schmiede befinden sich seit einer Stunde zur Confrontation bei dem Herrn –«
»Das weiß ich,« fiel ihm der Vorgesetzte in die Rede. »Was ist’s mit ihnen?«
»Ich höre sie nicht sprechen.«
»Natürlich! Das Brüllen würde man ihnen bald verbieten!«
»O, sie brauchen nicht zu brüllen, um gehört zu werden. Es ist aber todesstill da drin!«
»Horchen wir einmal!«
Er legte das Ohr an die Thür und brummte nach einer Weile:
»Kein Wort! Der Herr Actuar wird schreiben.«
»Da müßte er bereits seit einer halben Stunde geschrieben haben, ohne zu sprechen. Und das kommt bei einem Kreuzverhör doch wohl niemals vor.«
Jetzt schien der Wachtmeister auch unruhig zu werden.
»Warten wir noch ein Weilchen,« sagte er.
Beide legten die Ohren an die Thüre, aber als sich auch jetzt noch mehrere Minuten lang kein Ton hören ließ, sagte der Amtsdiener: »Ich schlage vor, nachzusehen.«
»Es wird allerdings das Beste sein.«
Er klopfte an und als auch jetzt keine Antwort erfolgte, da machte er die Thür auf, um einzutreten. Er hatte aber den Fuß kaum erhoben, so rief er: »Herr Gott! Was ist das?«
Und der Diener, welcher hinter ihm stand und über seine Achsel in das Zimmer blickte, schrie mit dröhnender Stimme: »Hilfe! Mord! Mord! Mord!«
Im Nu öffneten sich die Thüren sämmtlicher Zimmer und die Insassen der letzteren eilten herbei. Sie sahen den armen Actuar gebrochenen Auges auf der Diele liegen. Gerade in seinem Herzen stak die eine Klinge der langen, spitzen Papierscheere. Er war eine Leiche. Das Fenster stand offen und – der Revolver war verschwunden.
Die beiden Gefangenen hatten die Fragen des Untersuchenden ganz demüthig beantwortet. Er hatte sie gebeten, der Wahrheit die Ehre zu geben; er war dann strenger geworden und hatte sie auf die Widersprüche in ihren früheren Aussagen aufmerksam gemacht.
»Widersprüche?« hatte der Alte gefragt. »Ich kann darauf schwören, daß ich mir nicht widersprochen habe.«
»Sich selbst allerdings nicht, aber Ihrem Sohne!«
»Das ist nicht möglich. Er kann nichts Anderes sagen, als was ich ausgesagt habe.«
»Nun, so will ich es Ihnen beweisen. Ihr Sohn sagt zum Beispiel hier, daß Sie am Abende Ihrer Gefangennahme zu Fuße von Tannenstein gekommen seien. Sie aber haben gesagt, daß Sie unterwegs einen Schlitten getroffen hätten, dessen Eigenthümer Sie mitgenommen hatte.«
»Das? Das sollte ich gesagt haben?« fragte der Alte kopfschüttelnd und im Tone des Zweifels.
»Ja.«
»Da kann ich mich nicht besinnen.«
»Ah, Sie wollen diese Aussage verleugnen, zurücknehmen?«
»Was ich gesagt habe, das bleibt gesagt. Aber ich glaube wirklich nicht, daß ich von einem Schlitten gesprochen habe. Ich pflege doch nicht zu phantasiren!«
»Hm! Das ist ein Irrthum, Herr Actuar!« meinte er im treuherzigsten Tone.
»Sie haben das Protocoll ja unterschrieben!«
»Wo?«
»Hier! Kommen Sie her! Sehen Sie es sich an!«
Er schob ihm das Actenheft hin. Der Alte bückte sich nieder und las seine eigene Unterschrift.
»Nun? Haben Sie das geschrieben?«
»Ja, Herr Actuar.«
»Und jetzt wollen Sie Ihre damaligen Worte – Gott –«
Er konnte nicht weiter sprechen. Seine Stimme erstarb in einem leisen Röcheln. Der Alte hatte ihm die Hände wie einen Schraubstock um die Gurgel gekrallt, so daß er dunkelblau im Gesicht wurde und Arme und Beine von sich streckte.
»Halt fest!« flüsterte der Sohn.
Er nahm die Papierscheere vom Tische, öffnete sie und stieß ihm die eine Klinge derselben in das Herz.
»Jetzt nieder mit ihm und wir zum Fenster hinaus!«
Während dieser Worte öffnete der Sohn das Fenster. Der Alte, welcher weitsehender war, meinte:
»Hier, den Revolver mit; dann seine Uhr, seine Ringe und sein Geld. Wir brauche es.«
Sie steckten die erwähnten Gegenstände im Nu zu sich. Dann blickte der Sohn zum Fenster hinaus.
»Es ist nicht sehr hoch.«
»Unsinn! Darnach frage ich nicht. Springen können meine alten Knochen noch! Ich meine, ob es Leute unten giebt?«
»Nur ein Mädchen holt dort am Troge Wasser.«
»Warte, bis sie fort ist!«
»Jetzt geht sie. Dort zur Thür hinein. Rasch!«
»Höre, Junge! Wenn ich mir Schaden thue und nicht fliehen kann, schießt Du mir eine Kugel durch den Kopf!«
»Und Du mir eben so, wenn ich vielleicht nicht fort kann. Jetzt. Hinunter!«
Der Sohn stand auf dem Fensterbrete. Er verschwand. Einige Augenblicke später sprang ihm der Alte nach. Er kam zwar auch mit den Händen zur Erde, erhob sich aber sofort wieder. Sie warfen einen Blick umher.
»Niemand hat’s gesehen!« sagte der Sohn, fast athemlos vor Aufregung.
»Also fort!«
»Wohin?«
»Zur Bergstraße hinaus, in den Wald.«
»Gut! Aber langsam, damit es nicht auffällt.«
Es war um die Zeit, in welcher die Bewohner der kleinen Stadt mit dem Mittagsessen beschäftigt waren. Die Gassen waren leer. Die Bergstraße war bald erreicht und nicht lang. Bereits kaum zwei Minuten nach dem Sprunge befanden sich die Beiden vor der Stadt.
»Und wohin nun?« fragte der Sohn.
»Zum Bergwirth. Er war unser Hehler, er muß uns helfen. Aber nicht hinein zu ihm. Es könnten Bekannte da sein. Wir müssen durch den Wald, bis wir uns seiner Schänke gegenüber befinden.«
»Wie bekommen wir ihn heraus?«
»Er kennt doch den Pascherpfiff!«
»Gut! Aber wir wollen uns theilen.«
»Warum?«
»Da beachtet man uns weniger, wenn man uns ja bemerken sollte. Eile Du da links in’s Gebüsch. Ich gehe noch ein Stück langsam nach dem Gehölze rechts. Hinter der Straßenkrümmung kommen wir wieder zusammen.«
Das wurde gemacht.
Wer jetzt den jungen Wolf so langsam dahinschlendern sah, der konnte unmöglich denken, daß er ein flüchtiger Mörder sei, der soeben aus der Gefangenschaft entsprungen war.
Da, wo die Straße eine andere Richtung annahm und nun eine Entdeckung von der Stadt aus unmöglich machte, trafen sie wieder aufeinander. Hier gab es Wald.
»Jetzt im Galopp nach der Schänke!« meinte der Sohn.
»Man wird unsere Spuren sehen.«
»Nein. Unter den Tannen giebt es keinen Schnee. Er ist zum Glück selbst im Freien nicht sehr hoch.«
Sie rannten in höchster Eile im Walde parallel mit der Straße dahin, bis drüben auf der andern Seite der letzteren sich ein Gebäudecomplex zeigte, neben dessen Vorderthür einige Pferdekrippen standen. Ueber dieser Thür waren die Worte »Zur Bergschänke« zu lesen.
Der alte Schmied steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen nicht sehr lauten, aber durchdringenden und eigenthümlich trillernden Pfiff aus. Bereits nach kurzer Zeit wurde drüben die Thür geöffnet und der Wirth trat heraus. Er blickte sich forschend um.
Wolf pfiff abermals, aber viel leiser als vorher. Da kam der Wirth über die Straße herüber geschritten. Er trat zwischen die Bäume herein.
»Tausend Teufel! Wolf!« rief er erschrocken.
»Brüll’ nicht so!« antwortete der Alte.
»Seit Ihr ausgerissen?«
»Ja. Du mußt uns helfen.«
»Wie denn?«
»Wir müssen nach der Hauptstadt.«
»Wie seid Ihr denn entkommen?«
»Das zu erzählen, ist jetzt keine Zeit. Man wird uns gleich auf den Fersen sein.«
»Na ja, also schnell. Ich bin ganz froh, daß Ihr frei seid. Wir steckten in fürchterlicher Angst, daß Ihr schwatzen würdet. Dann wäre es um uns geschehen gewesen!«
»Fällt uns nicht ein. Sind Deine Pferde daheim?«
»Ja.«
»Spanne rasch an!«
»Hm! Eine verteufelte Geschichte! Gut, daß meine Alte nicht daheim ist. Der würde die Sache auffällig sein.«
»Nimm viel Stroh mit, damit wir uns verstecken können; bringe auch zwei Hüte oder Mützen mit, auch einiges Geld und Proviant. In der Residenz bezahlen wir.«
»Wollt Ihr denn hier warten?«
»Wie lange dauert es?«
»Eine halbe Stunde immerhin.«
»So lange Zeit können wir uns unmöglich herstellen!«
»So lauft fort und sagt, wo ich Euch treffen soll.«
»Hinter dem nächsten Dorfe, wenn Du bei der Windmühle vorüber bist, im Walde.«
»So macht, daß Ihr fortkommt!«
Sie gingen, und er kehrte in die Stube zurück. Dort saß sein Sohn und fragte neugierig:
»Nicht wahr, es war der Pascherpfiff?«
»Ja. Du hattest richtig gehört.«
»Wer war es denn?«
»Ein Bote von drüben herüber.«
»Endlich wieder einmal! Wir haben lange genug feiern müssen. Giebt’s ein Geschäft?«
»Ja. Ich soll etwas abholen. Wir müssen sofort einspannen. Gehe in den Stall. Schirre die Pferde ein!«
»Das schwere Geschirr?«
»Das leichte. Ich nehme den Rollwagen.«
Der Sohn begab sich nach dem Stalle, und der Vater ging nach dem Hofe, wo der Rollwagen stand. Er steckte einige Strohbündel hinein, that ein paar Decken hinzu und zog ihn zum Thore hinaus. Er hatte Einiges an dem Wagen herum zu wischen und zu putzen und beachtete da die Straße nicht. Darum erschrak er fast, als er angeredet wurde.
»Guten Morgen, Bergwirth!«
Er drehte sich um. Vor ihm stand ein Gensdarm, welcher öfters bei ihm einkehrte.
»Guten Morgen!« antwortete er. »Auch auf den Beinen?«
»Ja. Haben Sie Gäste drin?«
»Keinen Menschen.«
»Auch nicht gehabt?«
»Noch nicht.«
»Seit welcher Zeit sind Sie hier vor dem Hause?«
»Hm,« antwortete der schlaue Wirth, »ich habe wohl über eine halbe Stunde hier an dem Wagen herumhantiert.«
»Kam während der Zeit Jemand vorüber?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Gewiß nicht. Ich müßte es gesehen haben. Sie fischen wohl nach irgend Jemandem?«
»Freilich, freilich! Ich will es Ihnen sagen, damit Sie mir vorkommenden Falles einen Wink geben können. Kennen Sie die beiden Wölfe?«
»Wölfe? Was für Wölfe? Giebt’s hier solches Raubzeug!«
»Ich wollte sagen, die beiden Wolfs, die Schmiede aus Tannenstein da drüben.«
»Ach, Sie meinen die Schmuggelbrüder?«
»Ja.«
»Nun, wenigstens den Alten habe ich einmal gesehen.«
»Würden Sie ihn wieder erkennen?«
»Ich denke es. Aber, sie sind doch gefangen!«
»Sie sind vor einer Viertelstunde entsprungen.«
»Heiliges Sapperment! Wie ist das möglich?«
»Sie haben den Actuar erstochen und sind durch das Fenster auf die Gasse herabgesprungen.«
Der Alte schlug, jetzt wirklich erschrocken, beide Hände zusammen, fuhr einige Schritte zurück und rief: »Herr, mein Heiland? Doch nicht?«
»Ja. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, und die Polizei rennt zunächst nach allen Seiten hinaus, um zu erfahren, nach welcher Richtung sie geflohen sind. Also, Sie haben wirklich Niemand gesehen?«
»Hier nicht.«
»Was soll das heißen, hier nicht?«
»Nun – aber, ich habe alte Augen, auf die ich mich nicht mehr verlassen kann!«
»Heraus damit! Sie wissen Etwas!«
»Etwas Genaues freilich nicht. Das ist aber nicht vor einer Viertelstunde, sondern Etwas länger her.«
»Nun, meinetwegen eine halbe Stunde. Man kann das nicht so genau sagen. Also was ist es?«
»Meine Uhr war stehen geblieben –«
»Zum Teufel mit Ihrer Uhr! Kommen Sie zur Sache!«
»Ich bin ja bei der Sache! Also meine Uhr war stehen geblieben. Ich wollte sie richtig stellen und trat da ein Stück hinter das Haus hinüber, wo ich den Kirchthurm sehen kann und das Zifferblatt dran.«
Dies erzählte er breit und langsam. Der ungeduldige Gensdarm stampfte mit dem Fuße und sagte:
»Jetzt bringen Sie gar den Kirchthurm. Da hinauf sind die Wolfs sicher nicht gelaufen!«
»Nein, da wären sie schön dumm! Aber als ich nun so nach der Uhr schaute, sah ich links auf der hohen Straße, die nach der Grenze geht, zwei Menschen rennen.«
»Ja.«
»Fiel Ihnen irgend Etwas auf?«
»Ja. Sie hatten nämlich nichts auf den Köpfen, obgleich wir keine Hundstage haben. Sie rannten so sehr, daß ich dachte, der Eine wolle den Anderen fangen.«
»Konnten Sie die Kleidung erkennen?«
»Die Farbe nicht, aber Jacken hatten sie an, wie sie hier bei uns getragen werden. Und – da fällt mir ein – –«
»Was denn?«
»Der Eine, der Hintere, der dem Vorderen nicht gut nachkommen konnte, hatte helles Haar. Ob grau, ob blond, das konnte ich nicht genau erkennen.«
»Sie sind es, sie sind es! Also die hohe Straße hinaus?«
»Ja, nach der Grenze zu.«
»Da müssen wir sofort nach – zu Pferde – damit wir ihnen den Weg abschneiden. Danke sehr, Bergwirth! Adieu.«
»Gern geschehen. Adieu.«
Der Gensdarm rannte im Trabe nach der Stadt zurück. Der Bergwirth aber brummte zufrieden vor sich hin: »Das war pfiffig, Alter! Das hätte ich Dir beinahe gar nicht zugetraut. Nun mögen sie grad in entgegengesetzter Richtung nach diesen beiden Kerlen suchen!«
Und sich die Pelzmütze nach hinten schiebend, fuhr er fort:
»Den Actuar erstochen! Donnerwetter! Verwegene Menschen! Aber sonst hätten sie nicht entfliehen können! Ich muß ihnen forthelfen, es geht nicht anders!«
Er zog einen Pelz an, schaffte einigen Proviant, Cigarren und Schnaps, auch zwei Mützen in den Wagen und war damit eben fertig, als sein Sohn die Pferde brachte.
»Wohin geht es denn?« fragte dieser.
»Nach Trippsdrille, wo die Pfütze über die Weide geht!«
»Oho! Man wird doch wohl fragen dürfen!«
»Halte das Maul, Junge! In solchen Sachen braucht nicht ein Jeder Alles zu wissen.«
»Aber wenn die Mutter kommt und fragt! Was soll ich ihr da antworten?«
»Sage ihr, daß ich geradewegs hinauf in den Himmel gefahren bin. Wenn sie heute Abend hinaufguckt, wird sie grad neben dem Mond meine Pelzmütze sehen.«
Er stieg auf, nahm Zügel und Peitsche in die Hände und fuhr davon. Sein Sohn aber lachte vor sich hin: »Ein alter Schlauberger! Der hat es hinter den Ohren. Aus dem bringt Keiner Etwas heraus, was er nicht freiwillig sagen will. Aber es ist gut so!«
Der Bergwirth ließ die Pferde tüchtig ausgreifen. Er kam durch das nächste Dorf, an der Windmühle vorüber, und als er dann langsamer durch den Wald fuhr, kamen die beiden Schmiede zwischen den Bäumen hervor und stiegen auf den Wagen, wo sie mit Freuden die Vorbereitungen bemerkten, welche er getroffen hatte.
»Hast Du Etwas bemerkt?« fragte der alte Wolf.
»Ja, freilich!«
»Was?«
»Der Gensdarm war bei mir! Was für Dummheiten habt Ihr Kerls denn gemacht!«
»Ausgerissen sind wir! Weiter nichts!«
»So, so! Und der Actuar?«
»Ah! Sprach der Gendarm von ihm?«
»Natürlich! Ihr habt ihn erstochen!«
»Unsinn!«
»Na, vor mir braucht Ihr Euch nicht zu fürchten. Mir soll es nur lieb sein, wenn sie Euch nicht erwischen.«
»Das denke ich auch. Also man sucht bereits nach uns!«
»Ja. Die ganze Stadt ist rebellisch. Zum Glück habe ich Euch laufen sehen.«
»Sapperment! Du hast doch keine Dummheiten gemacht!«
»Glaube nicht. Ich habe zwei die hohe Straße hinaus rennen sehen, nach der Grenze zu. Jetzt holt sich der Gensdarm ein Pferd, um ihnen den Weg zu verlegen.«
»Recht so, recht! Das hast Du gescheidt gemacht.«
»Also nach der Hauptstadt wollt Ihr?«
»Ja.«
»Da kommen wir erst gegen Abend an. Habt Ihr denn dort Jemand, der Euch aus der Patsche hilft?«
»Das will ich meinen.«
»Wer ist’s denn?«
»Der – Hauptmann.«
»Sapperment! Kennt Ihr denn auch den?«
»Ja. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden Dir diese Fuhre gut bezahlen.«
»Bezahlt oder nicht, ich thue Euch den Gefallen. Basta! Jetzt aber grabt Euch in das Stroh hinein. Es darf kein Mensch sehen, daß sich außer mir noch Zwei im Wagen befinden. Später, wenn wir in andere Gegenden kommen, dürft Ihr dann die Nasen wieder herausrecken.« – –Der Fürst von Befour war nicht wenig erstaunt, als er das erwähnte Plakat gelesen hatte. Das Erste, was er that, sich nach Adolf umzudrehen. Aber dieser war bereits hinter den ersten Häusern der Stadt verschwunden. Der Fürst aber ging zum Bahnhofsvorstande.
»Herr Inspector, haben Sie eine geheitzte Locomotive hier?« fragte er.
»Zwei sogar.«
»Kann ich Extramaschine nebst Wagen nach der Residenz bekommen?«
»Das ist nicht möglich, mein Herr.«
»Warum nicht?«
»Die Strecke ist jetzt nicht frei. Thut mir leid.«
»Wann wird sie frei?«
»In einer Stunde. Aber dann geht ja auch der fahrplanmäßige Personenzug ab.«
»Danke!«
Er schritt davon. Der Beamte aber blickte dem Manne nach, welcher so reich war, einen Extrazug zu bestellen. Der Fürst begab sich nun in das Telegraphenbureau und gab folgende, an seinen anderen Diener, den Polizisten Anton, adressirte Depesche auf: »Die zwei Schmiede entflohen. Jedenfalls nach der Residenz. Wohnung des Baron streng bewachen.«
Nun ging er nach der Stadt, natürlich nach dem Gerichtsgebäude, wo er seinen Namen nannte und um Auskunft bat, welche ihm auch bereitwilligst gegeben wurde.
Adolf hatte das Plakat gar nicht bemerkt. Er war von seinem Begleiter in ein kleines, enges Gäßchen geführt worden, in welchem sich ein nicht sehr einladendes Bierlokal befand. Dort setzten sie sich mit einander an einen Tisch und ließen sich zwei Gläser Bier geben.
Adolf kostete dasselbe, setzte aber das Glas sofort wieder ab und sagte, sich schüttelnd: »Pfui Teufel! Wer soll das genießen?«
»Schlecht?«
»Miserabel!«
»Lassen Sie es stehen.«
»Das sagen Sie in solcher Gemüthlichkeit?«
»Ja. Was wollen Sie anders machen?«
»Ein besseres Local aufsuchen, in welchem man genießen kann, was man bezahlt.«
»Das werden wir bleiben lassen.«
»Warum?«
»Ich habe mit Absicht diese abgelegene Kneipe aufgesucht. Sie begreifen doch, daß wir uns hier nicht breit machen dürfen.«
»Das haben wir gar nicht nöthig; aber Sie können sich wohl ebenso denken, daß die Polizei auf derartige Spelunken ein schärferes Auge hat, als auf anständige Restaurationen.«
Der andere hätte geantwortet. Da aber trat die Wirthin herein und grüßte. Der Wirth, welcher das Bier gebracht hatte, war in ein Nebenzimmer gegangen. Seine Frau schien erregt zu sein. Sie wendete sich mit vielgeschäftiger Miene an die beiden Gäste und sagte: »Wieder einen Falschen.«
»Was?« fragte Adolf.
»Nun, wieder einen Falschen. Das ist nun der Vierte.«
»Welcher Vierte?«
»Na, erst Einen, dann Zwei auf einmal, und nun jetzt diesen Letzten, der also der Vierte ist.«
»Aber, liebe Frau, ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Sie wissen das nicht? Diesen Vierten haben sie für den jungen Schmied gehalten. Er hat sich in einem Nachbardorf herumgetrieben und keine Mütze gehabt. Bei seiner Einlieferung hier aber hat sich’s herausgestellt, daß er auch ein Falscher ist. Die Richtigen sind viel zu gescheidt. Die sind längst über alle Berge.«
»Sie reden von Falschen und Richtigen. Wer sind denn diese Falschen und diese Richtigen.«
»Nun, die Richtigen sind doch die beiden Schmiede.«
»Welche Schmiede?«
»Die Wolfs aus Tannenstein!«
»Die Wolfs – – ah, Sapperment! Was ist mit ihnen?«
»Wie? Was? Das wissen Sie nicht?«
»Nein.«
»Das ist aber stark!«
»Wir sind hier fremd, gute Frau!«
»Ach so! Nun, dann ist es freilich nicht zu verwundern, daß Sie nicht wissen, was geschehen ist. Aber das wissen Sie vielleicht, daß die Schmiede hier gefangen waren?«
»Ja, zufällig.«
»Nun, die sind fort.«
»Was? Fort?«
»Ja, ausgerissen.«
»Entflohen?« fragte Adolf, indem er vom Stuhle aufsprang.
Auch sein Gefährte erhob sich rasch von seinem Sitze. Hastig frug er die Wirthin:
»Wissen Sie genau, daß die beiden Schmiede entkommen sind?«
»Ja, entflohen sind sie, alle Beide,« antwortete die Frau.
»Wann?«
»Gegen elf Uhr am Vormittage.«
»Wie ist denn das möglich?«
»Sie sind mit einander im Verhör gewesen. Da haben sie den Actuar erstochen und sind durch das Fenster herab auf die Straße gesprungen und dann verschwunden.«
»Welch eine Verwegenheit! Welch eine Tollkühnheit!«
»Freilich! Sie konnten Hals und Beine brechen!«
»Haben sie denn als Gefangene Waffen gehabt?«
»Sie haben die Papierscheere genommen.«
»Herrgott! Hat man keine Spur von ihnen entdeckt?«
»Nein. Aber Viere hat man bereits arretirt; freilich sind es nicht die Richtigen. Von dem Vierten weiß mein Mann noch gar nichts. Ich muß hinaus, um es ihm zu sagen.«
Sie ging. Die Beiden standen da und sahen einander an.
»Glauben Sie es?« fragte der maskirte Agent.
»Es klingt, wenn auch nicht unglaublich, aber doch fürchterlich.«
»Einen Actuar erstochen!«
»Mit der Papierscheere!«
»Und dann zum Fenster herabgesprungen!«
»Am hellen, lichten Tage.«
»Diese Kerls müssen verwegene Menschen sein! Kamen sie Ihnen denn auch so vor, als Sie hier gefangen waren?«
»Gar nicht. Da waren sie ganz das Gegentheil.«
»Die haben es hinter den Ohren gehabt!«
»Nun aber in den Beinen!«
»Man wird sie doch nicht erwischen!«
»Dann wäre es freilich um sie geschehen. Bis jetzt haben sie noch nichts Todeswürdiges vollbracht. Der heutige Mord aber geht ihnen an das Leben.«
»Und unser schöner Plan ist zu schanden!«
»Leider! Ich dachte mir dabei Etwas zu verdienen.«
»Das ist nun freilich aus. Vielleicht aber giebt der Hauptmann Ihnen eine andere Gelegenheit, sich Geld zu holen.«
»Auf welche Weise?«
»Hm! Ich habe so eine Ahnung.«
»Ahnung? Ah, Sie sind der Hauptmann gar nicht.«
»Wieso?«
»Sie haben nur so eine Ahnung von Dem, was er vorhat. Und soeben sagten Sie: Vielleicht giebt der Hauptmann Ihnen eine andere Gelegenheit. Sie sprachen von ihm in der dritten Person. Sie sind also ein Anderer.«
»Man kann sich versprechen.«
»Ja, versprochen haben Sie sich allerdings. Sie sind aus der Rolle gefallen.«
»Nein. Ich bin wirklich der Hauptmann. Da es aber sehr häufig vorkommt, daß ich dies nicht zugebe, so verspreche ich mich zuweilen. So auch jetzt.«
»Na, meinetwegen. Welche Gelegenheit meinen Sie also?«
»Hm! Davon sprechen wir später!«
»Jetzt wäre es mir lieber!«
»Es hat Zeit.«
»O nein. Ich will aufrichtig sein: Ich brauche Geld.«
»Ich muß eine Schuld tilgen, welche mir sehr viel zu schaffen macht. Dieser Schuld wegen beging ich den Fehler, welcher mich hier in das Gefängniß brachte. Es glückte nicht, und so ist die Summe viel höher und der Gläubiger viel dringender geworden.«
»Ist es viel?«
»Leider, leider!«
»Ich denke, Sie haben eine gute Stelle.«
»Der Gehalt ist allerdings fein. Aber bis ich mir so viel, wie ich brauche, gespart habe, hat mich der Gläubiger längst beim Kragen genommen.«
»Das klingt gefährlich. Ich ahne es, um was es sich handelt. Doch wohl um ein Wechselchen?«
»Richtig! So ist es.«
»Sie haben quer geschrieben, aber einen falschen Namen?«
»Verdammt! Sie haben eine feine Nase.«
»Na, vielleicht läßt sich helfen. Wann müssen Sie das Geld haben?«
»Leider diese Woche noch.«
»O wehe! Wollen Sie es sich nicht bei Ihrer Herrin borgen?«
»Wo denken Sie hin! Ich bin bei ihr so kurze Zeit in Stellung und sollte sie anborgen? Die würde mich jedenfalls sofort zum Teufel jagen.«
»Ich will mir die Sache überlegen. Kommen Sie morgen um Mitternacht wieder an die betreffende Stelle. Da will ich Ihnen Bescheid sagen.«
»Danke! Ich hoffe, daß Sie mich nicht verlassen werden, nachdem ich Ihnen heute gezeigt habe, daß ich brauchbar bin.«
»Ich werde mich Ihrer annehmen. Jetzt aber müssen wir an den Augenblick denken. Unser Vorhaben ist mißglückt. Was bleibt uns nun zu thun?«
»Nichts wohl, als daß wir nach der Residenz zurückkehren.«
»Ja, was wollen wir sonst thun. Aber, wissen Sie, da es so steht, braucht man uns gar nicht neben einander zu sehen. Wir wollen uns also trennen. Nicht?«
»Wie Sie befehlen!«
»Sie haben doch Geld?«
»Wenig genug.«
»Nun, so will ich Ihnen auf Abschlag hier diese zehn Gulden geben. Morgen Abend hoffe ich, mit Ihnen ein Geschäft zu entriren, welches Ihnen mehr einbringen wird.«
Er gab ihm die erwähnte Summe und dann ging Adolf. Er begab sich natürlich sofort nach dem Bahnhofe. Er sah den Fürsten nicht dort, wartete aber, da er ahnte, daß dieser nach dem Gerichtsgebäude gegangen sei, um sich zu erkundigen, aber sicher vor dem Abgange des nächsten Zuges zurückkehren werde.
Nach einiger Zeit kam auch der Agent in das Wartezimmer, setzte sich aber nicht zu Adolf, that vielmehr, als ob er denselben gar nicht kenne. Dieser aber ging an die Kasse und löste sich ein Zuschlagsbillet, um mit dem Fürsten in demselben Coupee fahren zu können. Er sagte sich, daß er mit ihm hier auf dem Bahnhofe nicht reden dürfe, um dem Agenten nicht Anlaß zum Mißtrauen zu geben.
Die Zeit verging und der Zug stand bereit. Der Agent war bereits eingestiegen. Da kam der Fürst, als es eben zum zweiten Male läutete, erblickte ihn, gab einen Wink und stieg in ein Coupee. Adolf folgte sofort.
»Hast Du Billet?« fragte Befour.
»Ja, Durchlaucht.«
»So bist Du also vorbereitet gewesen, mit mir zu fahren?«
»Ja. Ich habe mich von dem Agenten los gemacht, oder vielmehr er sich von mir.«
»Ihr habt natürlich erfahren, was geschehen ist?«
»Ja und zwar in der Restauration.«
»Ich las es schon auf dem Bahnhofe und habe sofort nach Hause telegraphirt.«
»Ah! Ich errathe. An Anton?«
»Allerdings.«
»Sie glauben, daß die Flüchtlinge sich nach der Hauptstadt wenden werden!«
»Unbedingt. Sie haben keinen Menschen, der ihnen die Mittel zur weiteren Flucht geben kann, als den Baron.«
»So suchen sie ihn auf. Aber bis zur Residenz ist es weit. Sie haben kein Geld, vielleicht nicht einmal vollständige Kleidung.«
»Das wird sie wenig kümmern. Was ihnen da fehlt, das werden sie zusammenbringen. Auch laufen werden sie nicht; eher stehlen sie sich ein Geschirr. Ich kenne die beiden Schmiede. Sie werden darnach trachten, noch heute nach der Hauptstadt zu kommen, ehe sie durch ihr Signalement weiter bekannt werden.«
»Hält Anton Wache?«
»Jedenfalls. Weißt Du nicht, ob er sein früheres Verhältniß zur Zofe der Baronin aufgelöst hat?«
»Das fällt ihm nicht ein!«
»So ist sie noch seine Geliebte?«
»Ja. So lange wir den Baron zu beobachten haben, giebt Anton dieses Mädchen nicht auf.«
»Ist sie denn noch im Dienste?«
»Ja. Ihre Herrin ist zwar verschwunden; der Baron hat aber vom weiblichen Dienstpersonale noch Niemand entlassen.«
»So wird Anton sich heute vielleicht an ihre Hilfe wenden.«
Der Fürst hatte damit richtig gerathen. Anton hatte speziell die Bewachung der Baronin Ella übertragen bekommen. Daher ging er jetzt weniger aus und war stets zu Hause. Die Depesche kam also sofort nach ihrer Ankunft in seine Hand.
Als er sie gelesen hatte, überlegte er einen Augenblick, dann steckte er verschiedene Kleinigkeiten zu sich und begab sich nach dem Helfenstein’schen Palais.
Er kannte das Fenster des Stübchens seiner Geliebten sehr genau, und ebenso kannte sie das Zeichen, welches er ihr zu geben pflegte. Es war dunkel geworden. Er klatschte in die Hände und da zeigte sich der Schatten des Mädchens am Fenster. Das war das Zeichen, daß sie herabkommen werde.
Nun begab er sich nach der vorderen Seite des Palais, wo er sie bald heraustreten sah. Sie schritt nach dem Brunnen zu, welcher auf dem Platze stand, und er folgte ihr.
»Endlich!« begrüßte sie ihn. »Wie lange ist es her, daß ich Dich nicht zu sehen bekommen habe!«
»Eine wahre Ewigkeit, mein Schätzchen. Aber ich konnte nicht, liebes Herz; heute ist der erste Abend, an welchem ich frei habe, und da komme ich natürlich auch gleich zu Dir.«
»Das ist schön, das ist hübsch von Dir, das freut mich. Aber jetzt habe ich leider keine Zeit.«
»Wann denn?«
»Kannst Du nicht in zwei Stunden wiederkommen?«
»So spät?«
»Es geht nicht anders. Wir haben mit dem Souper zu thun.«
»Ist Dein Herr zu Hause?«
»Nein.«
»Er will aber zu Hause speisen, wie ich vermuthe, da Ihr so sehr viel zu thun habt?«
»Ja. Er wird in einer Stunde kommen.«
»Wo er ist, weißt Du nicht?«
»Nein. Ich erfahre jetzt überhaupt gar nichts mehr. Früher, als die gnädige Frau noch da war, da war es anders.«
»Besser?«
»Viel, viel besser!«
»So wünschest Du sie zurück?«
»Von ganzem Herzen!«
»Hat denn bei Euch Niemand eine Ahnung, wo sie ist?«
»Kein Mensch.«
»Auch der Baron selbst nicht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hm!« meinte er in bedenklichem Tone. »Wenn ich doch nur genau wüßte, ob Du schweigen kannst!«
»Was wäre da?«
»Ich würde Dir Etwas mittheilen.«
»Du thust ja recht geheimnißvoll!«
»Also ist’s ein Geheimniß?«
»Allerdings, und zwar ein großes.«
»Welches meine Herrin betrifft?«
»Hm!«
»Ah, pah! Sei nicht so zurückhaltend!«
»Man darf nicht davon sprechen.«
»Aber doch gegen mich!«
»Eigentlich auch nicht.«
»Aber ich werde doch schweigen, zumal Du da sagst, daß es sich um meine Herrin handelt.«
»Wenn ich nur auch wirklich überzeugt sein könnte!«
»Anton, ich schwöre Dir, daß ich schweigen werde.«
»O, Ihr Mädchen schwört zu Allem, und dann, grad wenn es gilt, macht Ihr Euch mit Euren Geheimnissen wichtig und plaudert Alles, Alles aus.«
»Ich nicht, Anton, gewiß nicht! Du sollst es mir auch nicht umsonst mittheilen. Ich gebe Dir Etwas dafür.«
»Ah! Was denn?«
»Was Du lange gewünscht hast.«
»Was wäre das?«
»Nun, weißt Du, ich habe ganz genau beobachtet, als der Baron einmal die Beinkleider gewechselt hatte und dann im Speisesaale aß, da schlich ich mich in seine Gemächer –«
»Sapperment! Nach dem Schlüssel etwa?«
»Ja.«
»Hast Du ihn?«
»Er steckte noch in der Hose, die er abgelegt hatte. Und da habe ich ihn heraus genommen.«
»Das hätte ich eher wissen sollen!«
»Warum? Da wärst Du wohl eher einmal gekommen?«
Er sah, daß er sich beinahe vergallopirt hatte, und lenkte also schnell wieder um, indem er antwortete: »Das nicht. Ich hätte auf keinen Fall eher kommen können, aber ich hätte mich doch riesig gefreut. Natürlich hat er den Verlust bemerken müssen?«
»Freilich wohl. Er hat aber nicht gefragt. Jedenfalls hat er geglaubt, den Schlüssel verloren zu haben. Ich weiß, daß ein anderer gemacht worden ist.«
»Du hast ihn noch?«
»Natürlich!«
»Und Du weißt gewiß, daß es der richtige ist?«
»Ja. Ich bin des Abends hinter das Palais gegangen und habe probirt. Der Schlüssel schließt famos.«
»Wo ist er?«
»Ich habe ihn einstecken.«
»Herrlich! Nun kann ich zu Dir, wann es mir beliebt! Bitte, gieb ihn her!«
»Halt! Nicht so rasch! Du bekommst ihn nur dann, wenn Du mir Dein Geheimniß mittheilst.«
»Na, da es so ist, sollst Du es erfahren. Aber vorher muß ich den Schlüssel haben.«
»Weiter nichts?«
»Was noch?«
»Weißt Du, Anton, daß Du in neuester Zeit recht gleichgiltig geworden bist? Nicht einmal ›guten Abend‹ hast Du gesagt, und von einem Kusse ist erst recht gar keine Rede gewesen. Also, den Schlüssel und einen Kuß!«
»Daß Ihr Mädchens doch immer und immer geküßt sein wollt! Schmeckt denn ein Schnurrbart gar so ausgezeichnet? Na, komm her! Einen, zwei, drei! Ist das genug?«
»Noch drei solche! Weißt Du, solche herzhafte!«
»Gut! Werde mir Mühe geben! Also: Eins, zwei und drei! Da sind sie! Amen!«
»Schön! Hier ist der Schlüssel!«
»Danke, mein liebes Kind!«
Er steckte diesen wichtigen Gegenstand sofort in die Tasche.
»Nun aber das Geheimniß!«
»Gleich! Aber ich denke, Du hast keine Zeit!«
»Für Geheimnisse allemal!«
»So will ich Dir sagen, daß Du vielleicht Deine Herrin baldigst wiedersehen wirst.«
»Herrgott! Lebt sie noch?«
»Wo ist sie?«
»Ja, das ist schwer zu sagen. Ich habe nämlich zwei Menschen belauscht, welche von ihr sprachen.«
»Wer waren sie?«
»Polizisten.«
»O weh! Hat die Polizei damit zu schaffen?«
»Natürlich! Wenn ein Mensch verschwindet oder gar geraubt wird, so ist es Sache der Polizei, nach ihm zu forschen.«
»Und man hat sie gefunden?«
»Ja. Sie hat sich nämlich selbst finden lassen.«
»Erkläre das!«
»Nun, sie ist nämlich gar nicht krank gewesen.«
»O doch, und zwar sehr! Das weiß ich am Besten!«
»Nichts weißt Du! Ich will Dir sagen, daß der Baron sie hat los werden wollen. Er hat ihr ein Gift eingegeben, welches den Starrkrampf bringt.«
»Herrgott!«
»Dann hat er sie nach der Irrenanstalt geschafft, wo er sie sterben lassen wollte. Das hat aber der Fürst des Elendes erfahren, und er hat sie gerettet, indem er sie aus der Irrenanstalt entführen ließ.«
»Ist das wahr?«
»Wirklich und wörtlich.«
»Hat sie den Starrkrampf noch?«
»Nein. Sie ist hergestellt. Sie hat ihre volle Besinnung. Sie spricht sehr viel von Dir.«
»Von mir? Mein Gott! Weißt Du, sie hat mich oft gescholten und gepeinigt; aber dennoch ist sie mir tausendmal lieber gewesen, als der Baron. Ich wollte, ich könnte wieder bei ihr sein. Kommt sie nicht wieder?«
»Nein, auf keinen Fall.«
»So wünsche ich, ich könnte zu ihr!«
»Vielleicht ist das möglich zu machen.«
»Man müßte wissen, wo sie ist.«
»Freilich!«
»Haben die beiden Polizisten nicht davon gesprochen?«
»Sie thaten das, und ich habe mich sodann überzeugt, ob es auch wirklich wahr ist.«
»Ist es wahr?«
»Ja.«
»Aber Du sagtest doch, daß Du den Ort nicht weißt!«
»Na, man muß nicht Alles sofort ausplaudern! Ja, ich weiß, wo sie ist, liebes Kind.«
»Bitte, bitte, sage es mir!«
»Jetzt nicht. Sie hat es mir verboten. Sie muß erst wissen, ob Du ihr treu sein wirst.«
»Das will ich, gewiß, gewiß.«
»Aber dann müßtest Du vom Baron fort!«
»Ich würde sogleich gehen.«
»So schnell ist das nicht möglich. Vorher muß die Baronin Einiges erfahren, was zu wissen ihr sehr nothwendig ist.«
»Was ist das?«
»Verschiedenes. Wir werden nachher, wenn Du Zeit hast, davon sprechen. Hier ist es nicht gut, länger stehen zu bleiben.«
»Du hast recht. Ich werde dafür Sorge tragen, daß Du unbemerkt zu mir hinaufkommen kannst. Ich komme, sobald der Weg frei ist und hole Dich.«
Sie kehrte in das Palais zurück, und er postirte sich so, daß er das Portal scharf im Auge behielt. – –Die Zeit verging. Der Zug, mit welchem der Fürst mit Adolf zurückkehrte, näherte sich der Residenz.
»Du wirst,« sagte der Fürst zu dem Letzteren, »direct vom Bahnhofe weg Anton aufsuchen, um mit ihm Wache zu stehen, während ich nach meiner Wohnung fahre, um mich zu verkleiden. Ich komme dann rasch nach.«
Adolf hatte während der letzten Zeit nachdenklich in seiner Ecke gesessen. Jetzt sagte er:
»Durchlaucht, ich habe einen Gedanken, welcher vielleicht nicht ganz schlecht zu nennen ist.«
»So heraus damit.«
»Es ist für uns von Wichtigkeit, zu wissen, ob die Schmiede wirklich nach der Residenz kommen.«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Es ist immer noch besser, wirkliche Sicherheit zu haben.«
»Weißt Du einen Weg, sie zu erlangen?«
»Ja.«
»Ich nicht. So wärst Du also scharfsinniger, als ich.«
»O, es ist nur ein zufälliger Gedanke. Ob er Erfolg hat, muß erst abgewartet werden.«
»Nun, so laß hören.«
»Es muß den Schmieden daran gelegen sein, den Baron auch wirklich zu treffen –«
»Das versteht sich!«
»Sie werden also dafür sorgen, daß er heute zu Hause ist.«
»Ah! Du denkst sie benachrichtigen ihn?«
»Ja.«
»Das könnte nur durch eine Depesche geschehen sein. Ein Brief wurde zu spät kommen.«
»Das eben denke ich auch.«
»Aber es ist gefährlich für sie.«
»O, sie werden sich doch nicht unterschreiben.«
»Hm! Du meinst, daß ich im Telegraphenamte nachfrage?«
»Ja. Man muß Ihnen Auskunft ertheilen.«
»Dein Rath ist nicht ganz übel. Ich werde ihn befolgen.«
»Es sollte mich freuen, wenn ich das Richtige getroffen hätte. Jetzt kommen wir an. Bitte, Durchlaucht, erlauben Sie mir, eher auszusteigen. Dieser Agent Bauer braucht nicht zu wissen, welche Klasse ich gefahren bin.«
Der Zug hielt an und Adolf sprang sofort hinaus, um zu verschwinden. Der Fürst bestieg eine Droschke und ließ sich nach dem Telegraphenamte bringen. Dort nannte er seinen Namen, zeigte die vom Minister unterschriebene Karte vor und fragte, ob heute ein Telegramm an den Herrn Baron Franz von Helfenstein angekommen sei.
»Ja,« antwortete der Beamte.
»Mit welchem Wortlaute?«
»Hier ist die Depesche.«
Er las:
»Bitte, ganz bestimmt heute Abend Punkt zehn Uhr in Ihrer Wohnung zu sein!«
Eine Unterschrift gab es nicht. Der Aufgabeort war halbwegs zwischen dem Gebirgsstädtchen und der Residenz. Daraus ersah der Fürst, daß die Schmiede sich allerdings eines Fuhrwerkes bedienten.
Er fuhr nun nach Hause, legte eine Verkleidung an und begab sich nach dem Helfenstein’schen Palais. An dem hinteren Pförtchen hielt Adolf Wacht.
»Waren Durchlaucht beim Telegraphen?« fragte er.
»Ja. Dein Gedanke war gut. Punkt zehn Uhr Audienz.«
»Freut mich! Die haben wir also! Nehmen wir sie sofort gefangen?«
»Nein. Ich will den Baron heute noch nicht packen. Ich muß erst mit Anton sprechen; dann werde ich wissen, was zu thun ist. Jedenfalls haben die Schmiede ihr Absteigequartier, wo wir sie fassen können.«
Er begab sich nach der vorderen Seite des Palais, wo er Anton fand.
»Ist der Baron daheim?« fragte er.
»Ja. Er wird sich soeben zum Essen begeben.«
»Hat er Gäste?«
»Nein.«
»Ist etwas Ungewöhnliches geschehen?«
»Nein. Ich habe mit meiner Heißgeliebten geplaudert. Das ist Alles.«
Das war eine kleine Vertraulichkeit, welche sich der Fürst gern gefallen ließ, weil er ganz genau wußte, daß diesen Worten eine weit werthvollere Mittheilung folgen werde.
»Gönne Dir das Vergnügen. Doch nicht blos von Liebe?«
»Ich hatte mir kürzlich den Schlüssel zur Hinterpforte bei ihr bestellt, den wir außerordentlich gut gebrauchen können. Hier ist er, Durchlaucht.«
»Das ist prächtig, prächtig! Ob’s aber der richtige ist!«
»So werde ich gleich einmal probiren. Also, Du sagtest, daß der Baron jetzt speise?«
»Er hatte für jetzt das Souper bestellt.«
»Gut. So kann ich in Gemüthlichkeit recognosciren. Punkt zehn Uhr kommen die Schmiede. Bleibst Du hier?«
»Eigentlich wollte die Zofe mich hinaufhaben.«
»So gehe. Es ist vielleicht vortheilhafter für uns. Da aber fällt mir ein: Du warst ja wohl bereits in den Gemächern des Barons?«
»Ja, damals, als ich die Gnädige wegen der Juwelen belauschte.«
»Wie sind die Räumlichkeiten?«
»Ich bin nur bis in die Garderobe gekommen.«
Er beschrieb die Zimmer, soweit er sie gesehen hatte, und sodann begab der Fürst sich zu Leonhardt.
»Ich habe den Schlüssel zu dieser Pforte,« sagte er. »Du wirst jetzt mitkommen, um zu recognosciren.«
Er öffnete. Der Schlüssel that seine Pflicht ohne eine Spur von Geräusch. Als sie die Thür hinter sich wieder verschlossen hatten, zog der Fürst sein chemisches Glaslaternchen hervor. Es entfaltete ein so helles phosphorisches Licht, daß man sich ganz gut zu orientiren vermochte. Sie standen vor einer schmalen, steilen Holztreppe.
Bei diesen Worten schritt der Fürst voran, und Adolf folgte. Die Treppe führte zu einem langen, aber nicht breitem Zimmer, in welchem eine Menge von Kleidungsstücken, Perrücken und Bärten hingen.
»Ah, seine Garderobe, in welcher er sich verkleidet!« flüsterte Adolf. »Jedenfalls. Von hier aus tritt er seine heimlichen Ausflüge an. Sehen wir weiter.«
Sie gelangten in das Schlafgemach, welches nicht erleuchtet war, und von hier aus führte eine Portiere in ein Arbeitscabinet, in welchem eine Studierlampe brannte.
»Hier wird er sie wahrscheinlich empfangen,« bemerkte der Diener. »Denn in den Salon wird er sie wohl nicht bringen lassen.«
»Ganz gewiß nicht. Ah! Schau, dort liegt eine offene Depesche! Sehen wir, ob es die richtige ist.«
Er trat hinzu und las.
»Ja, sie ist’s. Und da – ein Extrablatt. Hier steht:
›Wir lassen am heutigen Nachmittage ein Extrablatt erscheinen, um unsere Leser mit einer Tragödie bekanntzumachen, deren Helden die beiden bekannten und berüchtigten Schmiede Wolf aus Tannenstein sind –‹«
Der Fürst las den kurzen, aber bombastisch gehaltenen Bericht bis zu Ende und sagte dann:
»Er weiß also genau, vom wem er die Depesche erhalten hat. Und siehe – dort auf dem Schreibtische steht Wein und dabei liegen Eßwaaren. Ja, er erwartet die Wolfs. Er will ihnen zu essen und zu trinken geben. Hier an der Uhr ist es halb Zehn.«
»Was thun wir?«
»Du gehst zurück, sorgst dafür, daß eine Droschke auf uns wartet und hältst unten an der Thür, welche Du nur anlehnst, Wacht.«
»Und Sie?«
»Ich bleibe hier.«
»Wie gefährlich!«
»O nein. Ich habe diese Menschen auf keinen Fall zu fürchten. Sorge nur dafür, daß die Thür nicht verschlossen ist. Du stellst Dich innerhalb derselben auf, damit ich schnell hinauskomme, falls ich zum eiligen Rückzug gezwungen bin.«
»Wo aber stecken Sie sich hin?«
»Da hinter das Bett. Hier ist der Schlüssel. Gehe jetzt!«
Adolf wollte noch einen Einwand machen. Er wollte den Fürsten nicht in einer so gefährlichen Lage allein lassen, zog sich aber auf einen gebieterischen Wink desselben zurück.
Jetzt nun untersuchte der Fürst das Bett. Es stand zwischen vier Säulen, welche einen blauseidenen Wolkenhimmel trugen. Reiche Gardinen von eben solcher Seide wallten hernieder. Zwischen diesen letzteren und dem eigentlichen Bette war so viel Raum, daß der Fürst ganz gut Platz fand. Er machte es sich bequem, indem er sich auf den Teppich niedersetzte und nun das Commando erwartete.
Es dauerte nicht lange, so kam der Baron in sein Arbeitscabinet. Ein Diener schien ihm zu folgen.
»Höre, Jean,« sagte der Baron. »Gegen zehn Uhr wird eine Person oder werden zwei Personen nach mir fragen, welche zum Arbeiterstand gehören. Der Grund ihrer Anwesenheit bezieht sich auf die Verwaltung eines meiner Güter. Sie werden vorgelassen, und Du bringst sie mir hierher.«
»Sehr wohl, gnädiger Herr.«
»Jetzt ist’s gut!«
Der Diener entfernte sich und der Baron begann, in seinem Zimmer ruhelos auf und ab zu gehen.
So verging über eine Viertelstunde. Da hörte der Fürst harte Schritte; es öffnete sich eine Thür und die Stimme des Dieners erklang: »Hier, gnädigster Herr, ist der Mann.«
»Gut. Kannst abtreten.«
Als der Diener die Thür hinter sich zugemacht hatte, hörte der Fürst den Eingetretenen sagen:
»Herr Baron, Sie werden –«
»Pst! Schweigen Sie!«
Der Baron trat an die Thür und lauschte. Dann öffnete er dieselbe leise und blickte hinaus, bevor er sie wieder verschloß. Dann sagte er.
»So; der Diener ist wirklich fort. Diese Menschen sind oft im höchsten Grade neugierig. Jetzt können wir reden.«
»Haben Sie meine Depesche erhalten?«
»Ja. Dort liegt sie. Aber, Mensch, was ist Euch denn eingefallen, he!«
»Na, sollen wir noch länger stecken bleiben!«
»Nein. Aber zu morden braucht Ihr doch nicht!«
»Es ging nicht anders.«
»Da liegt ein Extrablatt, welches nach dem telegraphischen Berichte Alles bringt. Es herrscht eine fürchterliche Aufregung. Die Polizei des ganzen Landes ist auf den Beinen.«
»Wir auch.«
»Spotten Sie nicht, Wolf! Ihre Lage ist gefährlich genug!«
»Ganz und gar nicht. Ich bin bei Ihnen.«
»Sie denken, daß ich mich Ihrer abermals annehmen werde?«
»Ich denke es nicht blos, sondern ich weiß es.«
»Sie sind es gar nicht werth.«
»Oho!«
»Nein. Als ich Sie aus Tannenstein fortschaffte, da hatten Sie nichts Eiligeres zu thun, als die Dummheit zu machen, sich in dem Kohlenwerk zu verstecken. Dort hat man Sie ganz einfach bei der Parabel genommen. Und wenn ich Ihnen heute forthelfe, wer weiß, welche Dummheit Sie dann wieder begehen!«
»Es wird nichts, gar nichts begangen. Es kann nur eins geschehen: Wir wandern aus.«
»Wohin?«
»Ueber das Meer.«
»Das geht nicht so leicht.«
»Es wird schon gehen. Wir verlassen uns auf sie.«
»Erzählen Sie erst, wie es Ihnen in der Gefangenschaft gegangen ist!«
»Schlecht genug. Ich will gar keine lange Rede halten. Wir gestanden eben nichts und damit basta! Heute früh wurden wir zum ersten Male zusammen vorgeführt; da drückte ich dem Actuar die Gurgel zusammen und mein Sohn machte ihn mit der Papierscheere vollends stumm. Wir sprangen zum Fenster hinaus. Das ist Alles, was ich zu erzählen habe.«
»Wie kamt Ihr so schnell nach der Residenz?«
»Der Bergwirth hat uns hergefahren.«
»Ah, Der! Der thut’s aus alter Kameradschaft. Aber, weiß er, bei wem Sie jetzt sind?«
»Nein.«
»Er darf es nie erfahren. Wo haben Sie ausgespannt?«
»Im goldenen Ring.«
»Ja.«
»Aber, Mensch, wenn man Euch nun erwischt.«
»Das thut man eben nicht. Wir lassen uns gar nicht sehen.«
»Wie ist das möglich?«
»Nun, der Bergwirth ist in den Hof gefahren. Wir steckten im Wagen unter dem Stroh. Dort steckt mein Sohn noch; ich aber habe mich heimlich davongemacht. Nun aber fragt es sich, was Sie uns rathen.«
»Das ist freilich schwierig. Wie wollt Ihr denn über das Wasser kommen?«
»Mit Ihrer Hilfe. Ich bin überzeugt, daß Sie uns Alles geben, was wir brauchen.«
»So, so! Und was braucht Ihr denn?«
»Geld, eine Verkleidung und falsche Pässe. Sie haben das Alles, Herr Baron!«
»Hm! Wieviel Geld werdet Ihr wohl brauchen?«
»Pro Mann zehntausend Gulden.«
»Mensch, sind Sie verrückt?«
»Nein.«
»Zwanzigtausend Gulden!«
»Ja, nicht mehr und nicht weniger.«
»Glauben Sie, daß mir das Geld zur Feueresse hereinfällt?«
»Nein; aber der Hauptmann und die vielen Waldkönige haben doch mit der Zeit sehr schöne Summen eingenommen!«
»Ihr seid auch gut bezahlt worden!«
»Was nutzt uns das jetzt? Was wir hatten, ist hin. Haus und Hof sind verloren! Kaufen Sie es uns ab.«
»Werde mich hüten!«
»Na, also! So wird wohl von den Hunderttausenden, welche Sie an und mit uns verdient haben, soviel abfallen, daß die beiden flüchtigen Schmiede fort können.«
»Aber zwanzigtausend Gulden nicht!«
»Billiger können wir es nicht machen.«
»Und wenn ich das nicht bezahle?«
»So sind wir geschiedene Leute.«
»Ihr aber seid verloren!«
Die Augen des Alten flammten zornig.
»Noch lange nicht,« sagte er.
»Ah! Was wolltet Ihr machen?«
»Ich habe gepascht, und mein Gewissen war nicht dagegen. Ich habe heut gemordet, und ich fühle keine Vorwürfe, denn es geschah aus Nothwendigkeit. Ich werde mich auch gar nicht bedenken, für einige Wochen den Räuberhauptmann zu machen. Dann aber bin ich reich genug.«
»Pah! Stellen Sie es sich nicht so leicht vor, ein Schinderhannes zu sein. Die Polizei ist aufmerksam.«
»Ich würde ihre Aufmerksamkeit von mir ablenken.«
»Auf Sie.«
»Das lassen Sie sich vergehen!«
»Oho! Erinnern Sie sich Ihres Schusses im Walde, welcher den Hauptmann von Hellenbach traf? Wir haben es gesehen. Brandt war unschuldig. Ich würde Sie anzeigen als Mörder, als Pascherkönig und als Diebesbandenhauptmann.«
»Das sagen Sie nur, um mir zu drohen!«
»Glauben Sie das nicht! Wir machen Ernst. Das Messer steht uns an der Kehle, und wenn wir verloren gehen sollen, so gehen Sie mit. Sie haben die Seidelmann’s ins Unglück gestürzt, ohne sich zu verletzen. Bei mir und meinem Sohne gelingt Ihnen das nicht. Also, ich habe keine Zeit. Machen wir es also kurz! Zwanzigtausend Gulden!«
»Nein. Zehntausend will ich geben.«
»Gute Nacht!«
Er drehte sich um und schritt nach der Thür.
»Halt!« sagte der Baron. »Nehmen Sie doch Verstand an.«
»Haben erst Sie welchen!«
»Ich besitze jetzt nicht zwanzigtausend.«
»So schaffen Sie es sich an!«
»Können Sie mir Zeit geben?«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Zum Teufel! Ein Tag genügt nicht, um eine solche Summe zu beschaffen.«
»Der Baron von Helfenstein hat Credit!«
»So denken Sie! Wo wollt Ihr überhaupt während dieses Tages Euch aufhalten?«
»Wir werden schon ein Versteck finden.«
Der Baron schien sich zu bedenken. Er schritt wortlos im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile fragte er: »Haben Sie Hunger oder Durst?«
»Nein.«
»Hier ist Wein und verschiedenes Eßwerk.«
»Danke! Der Bergwirth hat für uns gesorgt. Ihm muß ich hundert Gulden geben. Die müssen Sie schaffen, und zwar jetzt gleich, sofort.«
»Warum so schnell?«
»Weil er mit dem Frühesten wieder zurückfährt.«
Der Baron begann seine Zimmerwanderung von Neuem. Endlich blieb er vor Wolf stehen und sagte:
»Ich habe es mir überlegt. Ich will zwanzigtausend Gulden geben, morgen um diese Zeit. Aber ich stelle an diese Zahlung zwei Bedingungen.«
»Welche?«
»Erstens müssen Sie mir sagen, wie es mit dem kleinen Robert von Helfenstein steht.«
»Das wissen Sie ja bereits.«
»Ich weiß nur, daß Sie damals die Dummheit begangen haben, ihn nicht mit verbrennen zu lassen. Wollen Sie aufrichtig sein?«
»Wenn Sie das Geld geben, ja.«
»Sie erhalten es!«
»Gut! Wie es jetzt um mich steht, kann es mir sehr gleichgültig sein, ob Sie wissen, wer der Sohn des ermordeten Barons ist, oder nicht.«
»Also! Wer ist es?«
»Erst das Geld!«
»Donnerwetter! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es bezahle. Aber ich bezahle nicht eher, als bis Sie gesprochen haben.«
»Na, meinetwegen! Ich habe den Jungen der Botenfrau in das Bett des kleinen Bertram gethan, diesen aber nach der Hauptstadt in das Findelhaus geschafft.«
»Wissen Sie, was aus dem Kinde geworden ist?«
»Jawohl. Ich hatte einmal einige grillige Wochen. Es ließ mir keine Ruhe; ich ging, um mich nach dem Jungen zu erkundigen. Ein gewisser Bertram, ein Schneider und Musikant, hatte ihn an Kindesstatt angenommen.«
»Alle Teufel! Der Junge hieß also nun – – –«
»Robert Bertram!«
»Wissen Sie, wo sein Vater wohnte, sein Pflegevater?«