»In späterer Zeit Wasserstraße Nummer Elf.«
»Verdammt und abermals verdammt! Hatte der Junge irgend ein Kennzeichen bei sich?«
»Eine Kette mit einem goldenen Herzchen.«
»Die haben Sie mit in das Findelhaus gegeben?«
»Ja.«
»Sie dreifacher Esel und zehnfacher Dummkopf!«
»Hm! Ich wollte, ich wäre damals noch hundertmal dümmer gewesen und hätte mich mit der ganzen Geschichte gar nicht eingelassen. Sie sind mein Teufel gewesen.«
»Dieser Robert Bertram kann mir noch heute die ganze Baronie abnehmen.«
»Das kann er allerdings, wenn ich auftrete!«
»Das werden Sie aber wohl bleiben lassen!«
»Wenn Sie morgen zahlen, schweige ich!«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich bezahlen werde.«
»Sie machten zwei Bedingungen. Die erste habe ich jetzt erfüllt; nun sagen Sie mir die zweite!«
»Die läuft auf Ihre Sicherheit hinaus.«
»Wirklich? Das wäre sehr schön von Ihnen!«
Das klang geradezu höhnisch. Der Baron kehrte sich nicht daran. Er fuhr fort: »Wo wollen Sie bleiben bis morgen?«
»Jetzt weiß ich es noch nicht.«
»Sie befinden sich überall in Gefahr.«
»Allerdings, doch hoffe ich schon, für so kurze Zeit ein heimliches Plätzchen zu finden.«
»Ah! Wo denn?«
»Bei mir.«
»Danke sehr, Herr Baron!«
»Wie? Sie schlagen es aus?«
»Wie Sie hören.«
»Warum?«
»Ich habe meine guten Gründe.«
»Aber gerade das ist die zweite Bedingung, die ich stelle. Sie holen jetzt Ihren Sohn hierher!«
Der Schmied stieß ein eigenthümlich höhnisches Kichern aus, daß der Fürst im Stillen wünschte, sein Gesicht zu sehen.
»Und ich erwarte Sie unten an einer geheimen Thür,« fuhr der Baron fort.
»Schön! Befehlen Sie weiter!«
»Ich beherberge Sie bis morgen Nacht. Da zahle ich Ihnen das Geld aus, gebe Ihnen gute Pässe und eine ebenso vortreffliche Verkleidung und bringe Sie dann mit meinem eigenen Geschirr nach einem entlegenen Bahnhofe, von welchem aus Sie Ihre Reise mit größter Sicherheit antreten können.«
»Das alles wollen Sie thun?«
»Ja.«
»Welch’ ein gutes Herz Sie haben!«
»Sie haben mir treu gedient!«
»Dafür wollen Sie uns erkenntlich sein!«
»Ja, gewiß!«
»Und wir sind doch so undankbar!«
»Wieso?«
»Wir nehmen Ihren menschenfreundlichen Vorschlag leider Gottes nicht an, Herr Baron.«
»Nicht? Warum nicht?«
»Aus keinem als dem einzigen Grunde, daß wir zwei verteufelt vorsichtige Kerle sind.«
»Was soll das heißen? Ich hoffe doch nicht – – –«
»Was hoffen Sie nicht?«
»Das Sie mir mißtrauen.«
»Ja, gerade das thun wir.«
»Alle Teufel!«
»Hm, und doch! Da helfen selbst alle Teufel nichts. Wir bekämen bei Ihnen ein Asyl, welches unser letztes, unser allerletztes sein würde. Davon bin ich überzeugt.«
»Wolf!« brauste der Baron auf.
»Pah! Sie haben für Ihren Cousin ein Rasirmesser und für den Hauptmann von Hellenbach eine Kugel gehabt. Den kleinen Robert sollte ich in Ihrem Auftrage ermorden – – das Alles, weil Ihnen diese Personen im Wege waren. Jetzt sind wir Beide Ihnen im Wege, ganz sackermentisch im Wege. Ich danke für das Asyl, welches Sie uns bieten. Sie haben als Waldkönig und als Hauptmann kein Gewissen gehabt; jetzt ist Ihre Frau verschwunden, wie ich gehört habe. – Donnerwetter! Ich will auswandern, aber verschwinden will ich nicht.«
Da trat der Baron einen Schritt auf ihn zu und sagte mit vor Zorn zischender Stimme: »Mensch, das wagst Du mir zu sagen, mir, Deinem Herrn und Meister?«
»Oh, mit der Herr-und Meisterschaft hat es ein Ende!«
»Ich kann Dich zermalmen!«
»Das geht nicht so schnell! Hier stehe ich. Fassen Sie mich einmal an! Noch sind meine Schmiedefäuste von Eisen. Und wenn Sie zu anderen Waffen greifen, so habe ich hier diesen geladenen Revolver. Er hat seinem Besitzer, dem erstochenen Actuar, keinen Nutzen gebracht, zu meinem Schutze aber würde er mehr als ausreichen!«
»Pah! Es giebt andere Mittel!«
»Etwa Gift, Säure oder Gas? Ich sage Ihnen: Jetzt ist es an Ihrer Uhr dreiviertel auf Elf. Bin ich um Elf noch nicht bei meinem Sohne, so geht er auf die Polizei und läßt Sie arretiren. So haben wir es besprochen, und so wird es gemacht. Darauf verlassen Sie sich!«
»O, er wird sich hüten, sich selbst in’s unvermeidliche Verderben zu stürzen.«
»Sie wären so ein Feigling; er aber ist ein Wolf; er ist mein Sohn.
Er fürchtet den Tod nicht. Ich warne Sie! Lassen Sie keine Minute zuviel verstreichen!«
Der Baron mußte es dem Schmiede ansehen und anhören, daß dieser in unerschütterlichstem Ernste spreche. Er warf einen besorgten Blick auf die Uhr und sagte: »Aber anderwärts als bei mir befinden Sie sich in augenscheinlichster Gefahr, ergriffen zu werden.«
»Wir werden uns zu wahren wissen!«
»Nun gut! Kommen Sie morgen Abend zehn Uhr.«
»Wird das Geld bereit liegen?«
»Ja.«
»Die Pässe und das Andere?«
»Ja. Bringen Sie Ihren Sohn mit, damit ich ihn doch noch einmal zu sehen bekomme.«
»Der kommt nicht mit.«
»Warum nicht?«
»Kommen wir Beide, so sind wir verloren. Einer von uns muß fortbleiben; dann sind wir sicher.«
»Hartkopf verteufelter.«
»Mag ich hartköpfig sein! Das ist jedenfalls besser, als wenn ich wie ein dummer Staar in die Schlinge fliege, welche ich offen sehe.«
»Ich sehe, daß es am Besten ist, Sie schwatzen zu lassen. Aber Eins bitte ich mir aus. Kommen Sie morgen nicht wieder so wie heute durch den öffentlichen Eingang.«
»Die Polizei sucht Sie. Ich werde ihr doch nicht merken lassen, daß Sie bei mir verkehren.«
»Gut, meinetwegen! Giebt es denn einen anderen Weg?«
»Ja. Wenn Sie um die obere Ecke meines Palais biegen, so kommen Sie an ein kleines Pförtchen. Dieses wird volle fünf Minuten vor der angegebenen Zeit für Sie offen stehen.«
»Soll ich diesen Ausgang auch jetzt benutzen?«
»Nein. Meine Leute haben Sie kommen sehen; sie müssen auch bemerken, daß Sie wieder gehen.«
»Schön! Haben Sie noch einen Befehl?«
»Nein. Aber wissen möchte ich doch, wo Sie bis morgen Abend ein Versteck suchen werden.«
»Dies zu wissen, kann Ihnen keinen Nutzen, uns aber nur Schaden bringen. Gute Nacht!«
Er ging. Der Baron ballte hinter ihm die Fäuste gegen die Thür und knirschte voller Grimm: »Alter Teufel, ich überliste Dich doch! Das Geld sollst Du erhalten; aber wenige Minuten später nehme ich es Euch wieder ab. Ich werde meine Leute so postiren, daß Ihr uns unmöglich entgehen könnt!«
Diese Worte waren so laut gesprochen, daß der Fürst, welcher sich leise hinter dem Bette hervorschlich, sie noch zu hören vermochte. Dann huschte er vorsichtig nach der Garderobe und von da zu der Treppe hinunter.
Unten stand Adolf im Finstern.
»Fertig?« fragte er.
»Ja. Schnell fort! Wo steht die Droschke?«
»Drüben an der Ecke.«
»Den Schlüssel her!«
Er schloß die Pforte zu und eilte mit Adolf nach der Droschke, welche schon längst da gewartet hatte.
»Gasthof zum goldenen Ring!« sagte er. »Wo liegt er?«
»In der Marienvorstadt,« antwortete der Kutscher.
»Kommen wir da an einer Polizeiwache vorüber?«
»Ja. Sie liegt nicht weit von dem Gasthofe.«
»Halten Sie dort!«
Das Pferd setzte sich in Bewegung. Bald kamen sie an einem hoch und stark gebauten Mann vorüber, welcher langsam die Straße hinabschritt.
»Das ist der Schmied,« sagte der Fürst. »Er geht langsam. Wir haben also Zeit.«
Als sie die Polizeiwache erreichten, stieg er ab und ging hinein. Es war wohl gegen ein Dutzend Polizeier beisammen. Nach seinem Wunsche gefragt, antwortete er: »Meine Herren, ich bin Der, den man den Fürsten des Elends zu nennen pflegt. Haben Sie Ihre Instructionen bezüglich der beiden Schmiede Wolf erhalten?«
»Ja,« ertönte die Antwort.
Sie Alle standen in Achtung vor dem Manne, welcher den so berühmten und doch so geheimnißvollen Namen genannt hatte. In seiner gegenwärtigen Verkleidung konnten sie in ihm den Fürsten von Befour nicht erkennen.
»Wollen Sie ihn fangen?« fragte er weiter.
»Ja, ja! Ist er da? Ist er in der Residenz?«
»Nicht nur er, nicht nur Einer von ihnen, sondern sie alle Beide befinden sich hier.«
»Wo?«
»Im Gasthofe zum goldenen Ring. Bitte, nehmen Sie Hand-und Fußschellen mit und folgen Sie mir.«
Diesem Gebote wurde sofort Folge geleistet. Er stieg gar nicht wieder in die Droschke. Er ließ Adolf aussteigen und lohnte den Kutscher ab. Sie begaben sich zu Fuß nach dem Gasthofe. Unterwegs erklärte er ihnen: »Im Hofe des Gasthauses wird ein Wagen stehen. Unter dem darin befindlichen Stroh steckt der Sohn. Der Vater ist ausgegangen, wird aber in wenigen Minuten zurückkehren. Es wird gut sein, wenn der Sohn bis dahin bereits gebändigt ist. Die Beiden sind stark.«
»O, wir fürchten uns nicht.«
»Warten Sie es ab!«
Sie schritten hinter ihm her und musterten ihn mit scheuen, ehrfurchtsvollen Blicken.
Der Gasthof lag, wie der Kutscher bemerkt hatte, nicht weit entfernt. Vor der Thür stand der Hausknecht, welcher sich nicht wenig wunderte, eine solche Anzahl von Polizisten auf sich zukommen zu sehen.
»Haben Sie heute viel Wagenverkehr gehabt?« fragte der Fürst.
»Ziemlich viel.«
»Behalten Sie davon über Nacht?«
»Nur zwei.«
»Ist ein Wagen aus dem Oberlande dabei?«
»Ja. Er war zweispännig.«
»Wo ist der Fuhrmann?«
»Er sitzt in der Stube und spielt Schafkopf.«
»Zeigen Sie uns den Wagen, aber vermeiden Sie dabei alles Aufsehen.«
Der Hausknecht führte sie in den Hof.
»Dort steht er,« sagte er, auf den Rollwagen deutend.
»Suchen Sie, meine Herren!«
Auf diese leise gesprochenen Worte des Fürsten traten die Polizisten an den Wagen, stiegen von allen Seiten auf und griffen unter das Stroh.
»Ah, hier steckt ein Mensch!« sagte Einer.
»Heraus mit ihm!«
Der junge Schmied wurde gepackt und emporgezogen. Er erblickte die Uniformen und wußte, woran er war.
»Alle Teufel!« schrie er auf. »Mich sollt Ihr aber doch nicht haben, Ihr Hallunken!«
Sie wußten gar nicht, wie das kam – einige Armstöße Wolf’s und die Polizisten flogen nach allen Seiten vom Wagen herunter. Ein Sprung, und er stand mitten unter ihnen. Er schlug sie auseinander, wie ein Löwe eine Hundemeute zertheilt. Dann sprang er dem Ausgange zu. Aber er sollte nicht weit kommen. Dort stand der Fürst. Die Polizisten, welche sich schnell wieder emporgerafft hatten, sahen beim Scheine der Laterne in seiner Hand Etwas metallisch hell aufblitzen, und in demselben Augenblicke lag der Schmied langgestreckt am Boden.
»Fesseln Sie ihn rasch, ehe sein Vater kommt, und legen Sie ihn einstweilen in den Stall. Wir haben keine Minute Zeit zu verlieren.«
Dieser Befehl wurde sofort befolgt. Einer sagte:
»Geben wir ihm einen Knebel, damit er nicht schreien kann.«
»Das ist nicht nothwendig,« meinte der Fürst. »Er wird unter zwei Stunden nicht erwachen.«
Sie trugen den Gefesselten in den Stall und legten ihn auf das Stroh; dann wurden sie vom Fürsten in einen finsteren Winkel beordert, wo sie nicht sogleich gesehen werden konnten.
Auch der Hausknecht mußte sich zu ihnen stellen, damit er dem Alten nicht im Wege stand, da dieser jedenfalls nur dann in den Hof kommen würde, wenn er sich unbemerkt glaubte.
Bereits nach ganz kurzer Zeit sah der Fürst ihn draußen auf der Straße langsam vorübergehen und dabei mit scharfen Blicken den Flur und den Hof mustern. Als er keinen Menschen bemerkte, kam er schnell herein, trat an den Wagen und sagte halblaut: »Pst! Ich bin wieder da!«
Und als weder eine Antwort noch irgend eine Bewegung innerhalb des Wagens erfolgte, wiederholte er: »Hörst Du? Ich bin da!«
Da erklang es in freundlichem Tone hinter ihm:
»Er ist nicht mehr d’rin!«
Auf das heftigste erschrocken, drehte er sich um. Der Fürst stand so, daß der Schein der Lampe auf sein Gesicht fiel. Dieses Gesicht hatte der Schmied gesehen; er kannte es sehr genau, sich zum Unglücke.
»Der Fürst des Elends!« sagte er bestürzt.
»Ja, ich bin es. Sie suchen Ihren Sohn? Er ist fort.«
»Donnerwetter! Wohin denn?«
Wäre er nicht gar so sehr überrascht gewesen, so hätte er sicherlich gehandelt, ohne erst zu fragen.
»Der arme Kerl ist arretirt,« sagte der Fürst.
»Arretirt?« wiederholte der Alte, der nun erst wieder zum Begreifen der Situation gelangte. »Arretirt? Aber bei allen Teufeln, mich sollt Ihr nicht bekommen!«
Er drehte sich um, in der Absicht, zu entspringen, sah sich aber sofort von den Polizisten umringt.
Nun entstand ein fürchterliches Ringen. Der Alte schlug um sich wie ein rasender Roland und brüllte vor Wut wie ein wildes Thier. Die Polizisten flogen nur so zu Boden. Der Fürst stand von fern und sah lächelnd zu.
Aber gerade das Brüllen wurde dem Alten verderblich. Die Gäste hörten es und kamen herbeigeeilt.
»Was giebt es hier? Wer ist das?«
»Der alte Schmied Wolf, der Mörder!« keuchte einer der Beamten. »Greift mit zu! Der Kerl ist wüthend.«
Da half ihm nun alle seine Kraft nichts. Dreißig, vierzig Hände streckten sich nach ihm aus. Er ward zusammengedrückt, daß er keiner Bewegung mehr fähig war, und in kurzer Zeit hatte man ihm Hand-und Fußschellen angelegt, so daß an eine Flucht nicht zu denken war.
»Den müssen wir uns ansehen!« rief es von allen Seiten. »Schafft ihn in die Stube.«
»Seinen Sohn auch!« meinte der Hausknecht. »Er liegt hier im Stalle.«
Der Alte wurde in die Stube gestoßen, sein Sohn aber hineingeschleppt. Dort wurde ein vorläufiges Legitimationsverhör angestellt.
Nur Zwei waren nicht mit in das Gastzimmer gegangen: nämlich der ganz erschrockene Bergwirth, welcher nichts Eiligeres zu thun hatte, als seine Pferde aus dem Stalle zu ziehen und anzuspannen, und der Fürst, welcher ihm lächelnd zuschaute. Der Bergwirth stieg auf und fuhr zum Thore hinaus. Da hielt der Fürst die Pferde am Zügel fest und sagte: »Bergwirth, wenn Sie auch jetzt entkommen, fassen wird man Sie doch. Sie haben zwei Mördern zur Flucht verholfen. Und damit Sie nicht auch noch wegen Zechprellerei bestraft werden, so machen Sie wenigstens, bevor Sie aufbrechen, Ihre Zeche ab. Ich bin der Fürst des Elendes und will Ihrer Flucht nichts in den Weg legen.«
Er ging. Der erschrockene Wirth aber stieg vom Wagen und trat in die Stube. Dort gab er der Kellnerin zwei Guldenstücke und sagte: »Hier geht mir’s zu laut zu. Da ist meine Zeche!«
Sie wußte nicht, daß man die beiden Schmiede in und an seinem Wagen gefangen hatte, und da alle anderen Anwesenden ihre Aufmerksamkeit einzig auf die Gefangenen richteten, so konnte er die Stube verlassen, ohne daran gehindert zu werden.
Der alte Wolf saß ingrimmig neben seinem Sohne, welchen man auf die Diele gelegt hatte, und gab auf keine der an ihn gerichteten Fragen eine Antwort.
»Verstockter Kerl!« sagte einer der Polizisten. »Wir bringen kein Wort aus ihm. Aber holt doch den Fürsten des Elendes herbei; dem wird er schon antworten.«
»Den Fürsten des Elendes? Wo ist er? War er hier?« erklang es rundum.
»Natürlich! Er kam ja zu uns und führte uns hierher. Er wird noch draußen im Hofe sein.«
Man ging hinaus. Man suchte und rief. Niemand sah ihn. Er war gegangen, so wie er gekommen: räthselhaft.
Nachdem er dem Bergwirthe seine Verwarnung gesagt hatte, war er nach dem Palais des Barons von Helfenstein zurückgekehrt. Da oben, in dem Arbeitszimmer des Barons, brannte noch Licht, und ein Schatten ging hin und her.
Auch das hohe, breite Portal war noch offen.
»Ah, ich werde zu ihm gehen,« flüsterte er. »Ich werde ihm jetzt die letzte Schlinge um den Hals legen.«
Er trat ein und stieg die Freitreppe hinauf. Droben im Corridor stand der Diener mit der Köchin scherzend beisammen. Beide wunderten sich, zu so später Zeit noch einen Fremden zu sehen.
»Was wünschen Sie?« fragte der Diener.
»Nein.«
»Das ist nicht wahr. Er ist in seinem Arbeitszimmer!«
»Aber für so späte Visite doch nicht daheim.«
»Für mich ist er zu sprechen. Gehen Sie!«
»Wen soll ich anmelden?«
»Er kennt meinen Namen. Sagen Sie, ein Bekannter wünsche ihn in einer dringenden Angelegenheit noch zu sprechen.«
Der Diener ging. Es währte eine ziemliche Weile, ehe er wiederkehrte. Er fragte: »Ist die Sache wirklich so dringlich?«
»Wünschen Sie das zu wissen oder Ihr Herr?«
»Der Herr Baron. Er hat mir befohlen, noch einmal zu fragen. Wenn die Angelegenheit nicht nothwendig ist, bin ich es, der den Verweis erhält!«
»Sie ist unaufschiebbar.«
»So kommen Sie.«
Er führte ihn nach der betreffenden Thür, öffnete, ließ ihn eintreten und machte sie hinter ihm zu.
Der Baron saß am Schreibtische, den Kopf in die Hand gestemmt, und hielt das mehr als unmuthige Gesicht finsteren Blickes auf den Eintretenden gerichtet. Kaum aber war der Schein des Lichtes auf diesen gefallen, so sprang er von seinem Sitze auf und rief: »Hölle und Teufel! Wer ist das?«
»Hoffentlich kennen Sie mich noch, Herr Baron?« sagte der Fürst, indem er eine halbe Verbeugung machte.
»Sie sind – Sie sind –«
Er brachte vor Schreck das Weitere nicht hervor.
»Ich hatte die Ehre, mich eines Frühmorgens mit Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin zu unterhalten!«
»Ja, ja! Weiß schon! Sie sind der Fürst des Elends!«
»Ich sehe, daß Sie mich nicht vergessen haben!«
»Nein. Sie haben schon dafür gesorgt, daß ich jenen Morgen nicht vergessen kann. Aber, zum Donnerwetter! Herr, Sie scheinen verdammt wenig Uebung in den Regeln des Anstandes zu besitzen!«
»Wieso?«
»Habe ich Sie rufen lassen oder eingeladen?«
»Nein. Ich komme aus eigener Intention.«
»Dann kommen Sie doch nicht morgens fünf Uhr oder Abends kurz vor Mitternacht! Und sagen Sie Ihren Namen, wenn Sie sich anmelden lassen!«
Der Baron bebte vor Zorn. Der Fürst aber lächelte ihm ruhig in’s Gesicht und sagte: »Ich komme gerade dann, wenn Ihnen meine Gegenwart am Dienlichsten ist; ich muß dabei Ihr Heil berücksichtigen, nicht aber die frühe oder späte Tagesstunde.«
»Mein Heil? Spotten Sie etwa?«
»War etwa Ihr letzter Besuch zu meinem Heile?«
»Ganz gewiß, zumal Sie auf meinen Vorschlag, Ihre Frau zu entfernen, so bereitwillig eingegangen sind.«
»Der Teufel hole diesen Vorschlag! Die Frau ist fort!«
»Sie werden sie zu Ihrem Entzücken wiedersehen.«
»Danke für das Entzücken! Was aber wünschen Sie heute wieder bei mir?«
»Ich komme, um Ihnen eine freundschaftliche Mittheilung zu machen, Herr Baron.«
»Welche denn?«
»Daß Sie morgen Abend Ihre Leute nicht so postiren können, wie Sie es sich vorgenommen haben.«
»Meine Leute? Postiren? Ich verstehe Sie nicht.«
»So postiren, daß Sie Ihr Geld zurück erhalten.«
»Welches Geld denn?«
»Die zwanzigtausend Gulden.«
Der Baron wurde bleich wie eine Kalkwand. Er mußte seine ganze Kraft zusammen nehmen, um nicht in ein angstvolles Zittern zu verfallen.
»Ich weiß nichts von zwanzigtausend Gulden!« sagte er.
»Hm! Sollten Sie das vergessen haben? Es ist ja kaum eine halbe Stunde vergangen!«
»Herr! Reden Sie keinen Blödsinn!«
»Sie sprachen: ›Alter Teufel, ich überliste Dich doch! Das Geld sollst Du erhalten; aber wenige Minuten später nehme ich es Euch wieder ab. Ich werde meine Leute so postiren, daß Ihr uns unmöglich entgehen könnt!‹ Sind das nicht ganz genau dieselben Worte, welche Sie vorhin zu sich selbst sagten?«
Der Baron starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. War dieser geheimnißvolle Mann denn allwissend?
»Wann soll ich es gesagt haben?« fragte er fast stöhnend.
»Als der alte Schmied von Ihnen fortgegangen war.«
»Welcher Schmied?«
»Wolf aus Tannenstein.«
»Kenne ich nicht! Herr, leiden Sie an Hallucinationen?«
»Nein, aber Sie leiden an einer geradezu ungeheuren und unbegreiflichen Vergeßlichkeit. Ich werde mir gestatten, Ihrem Gedächtnisse ein wenig zu Hilfe zu kommen.«
»Das haben Sie nicht nöthig. Ich brauche Sie nicht. Ich habe keine Minute für Sie übrig. Gehen Sie!«
»Nun, ich kam, um Sie zu warnen. Wenn Sie meines Rathes nicht bedürfen, so werde ich gehen. Leider aber werden Sie dann in fünf Minuten arretirt sein.«
»Arretirt!« fuhr da der Baron auf. »Wer will es wagen, mich zu arretiren?«
»Die Polizei,« antwortete der Fürst, indem er sich achselzuckend wieder zu ihm zurückwendete.
»Mich, den Baron von Helfenstein!«
»Das sind Sie ja nicht!«
»Was! Nicht?«
»Nein. Sie heißen Franz, während der echte Erbe der Baronie Robert heißt. Das wissen Sie wohl.«
»Mensch! Mann! Ich weiß nicht, was Sie meinen!«
»Und sodann arretirt man in Ihnen nicht den Helfenstein, sondern den sogenannten Hauptmann!«
»Herr!«
»Ferner den Waldkönig!«
»Herrrr! Solche Worte verbitte ich mir!«
»Den Mörder des eigenen Cousins und des Hauptmannes von Hellenbach!«
»Sie sind wirklich verrückt!«
»Den Mann ferner, welcher den Knaben Robert von Helfenstein und erst kürzlich sein eigenes Weib ermorden lassen wollte.«
»Mein Gott! Warum werfe ich Sie nicht hinaus!«
»Weil Sie nicht können, weil Ihnen der Muth des guten Gewissens dazu fehlt!«
»Was sagen Sie? Was? Mir fehlte der Muth? Ich will Ihnen zeigen, ob mir der Muth fehlt!«
Er drang auf den Fürsten ein, um ihn bei der Brust zu packen. Dieser aber faßte ihn bei beiden Oberarmen, hob ihn empor und schmetterte ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, daß er ganz zusammengebrochen zu Boden sank und kein Wort hervorzubringen vermochte.
Jetzt setzte sich der Fürst auf einen Sessel und sagte:
»Hören Sie mir zu. Ihre Frau befindet sich in meinen Händen. Sie ist gesund. Sie hat während ihrer Starrsucht Höllenqualen erlitten und alle Ihre Anschläge hören müssen. Sie glüht vor Begierde, sich an Ihnen zu rächen. Sie ist bereit, als Zeugin gegen Sie aufzutreten. Vor einigen Minuten habe ich die beiden Schmiede Wolf im Gasthofe zum goldenen Ring arretirt. Diese Männer werden gegen Sie zeugen. Ich werde die Pascher des Gebirges und die hiesigen Mitglieder Ihrer Bande gegen Sie hetzen. Ich werde bringen den Riesen Bormann und seinen Bruder, den Juden Salomon Levi, den Apotheker, welcher Ihnen die Gifte lieferte, den frommen Seidelmann und viele, viele Andere. Und auch Ihr Hauptfeind ist anwesend: Gustav Brandt, der Försterssohn. Ihr Verderben ist beschlossen. Es bleibt Ihnen nur die Wahl zwischen dem Schafot und einem freiwilligen Tode. Ich gebe Ihnen den Rath, diesen Letzteren zu wählen und vorher Ihr Herz und Gewissen zu erleichtern, damit Sie die Fehler Ihres Lebens möglichst wieder zum Besten kehren!«
Der Baron lag an der Erde. Es war ihm nicht anzusehen, ob er die Worte des Fürsten höre oder nicht. Dieser Letztere trat zu ihm, berührte leise seine Achsel und sagte dann in drohendem Tone: »So wie ich Sie jetzt hier niedergeschmettert habe, wird die Hand des Richters Sie zu Boden werfen, wenn Sie meinen Rath nicht befolgen. Ich gebe Ihnen drei Tage Frist. Gehen Sie während dieser Zeit zu Ihrer Cousine Alma von Helfenstein und gestehen Sie ihr die Geheimnisse der vergangenen Tage. Ist der dritte Tag verronnen, ohne daß Sie dies gethan haben, so wird die Faust der rächenden und öffentlichen Justiz über Sie kommen, und Ihr Ende wird ein Ende mit Schrecken sein!«
Er wendete sich und ging.
Der Baron lauschte den verhallenden Schritten; dann raffte er sich vom Boden auf. Seine Augen glühten, seine Wangen brannten, seine Lippen zitterten und seine Kniee schlotterten. Doch von Secunde zu Secunde wurde seine Haltung fester; sein Gang gewann an Kraft, aber die Stimme versagte ihm.
Da endlich, nachdem seine Brust lange gearbeitet hatte, machte sie sich in einem lauten, fast thierischen Schreie Luft.
»Himmeldonnerwetter! Ah! Oh! Wie ein Schulbube bin ich abgekanzelt worden! Was sagte er? Ich soll beichten und dann sterben, wenn ich nicht das Schafot besteigen will?«
Er schlug sich mit der Faust vor den Kopf und fuhr fort: »Ja, das sagte er, so sagte er! Das hat er gewagt, und ich mußte es anhören. Er warf mich gegen die Wand, und ich mußte es mir gefallen lassen. Wer bin ich denn? Bin ich wirklich der Hauptmann, der Waldkönig, oder bin ich ein Schmachtlappen, den man nach allen Winden blasen kann? Hölle, Tod und Teufel!«
Er schlürfte im Zimmer auf und ab und blickte dabei in die Ecken, als ob er Gespenster suche.
»Aber sie kennen mich noch nicht!« knirschte er. »Ich weiß nun, woran ich bin! Ich sehe Alles klar, was mir bisher dunkel war. Drei Tage Zeit! Gut! In diesen drei Tagen werde ich aufräumen, fürchterlich aufräumen unter Euch, Ihr Hallunken!«
Er streckte die geballten Fäuste nach der Thüre hin, als ob dort Diejenigen ständen, denen diese Drohung galt.
»Tod über sie! Tod, Tod, Tod! Also bei diesem Fürsten des Elendes ist mein Weib. Sie war beim Fürsten von Befour gesehen worden. Beide sind also identisch. Dieser Befour stirbt, und mein Weib mit. Robert Bertram stirbt. Ich vernichte binnen dieser drei Tage jede Creatur, welche mir widerstrebt. Dann bin ich Sieger – Sieger – Sieger!«