Und ihres Diadems Azur
Erglänzt von funkelnden Krystallen.«
Und als er nicht antwortete, sondern sie nur fragend und erwartungsvoll anblickte, fuhr sie fort: »Das war die Nacht, von der Sie sprechen?«
»Ja.«
»Die nun zur Sonne geworden ist?«
»Zur herrlichsten Sonne!«
»Aber eines schönen Tages habe ich erfahren, auf wen diese Nacht gedichtet wurde.«
Er fuhr erschrocken zusammen und sagte:
»Niemand weiß es.«
»O doch! Sie scheinen die Stunde vergessen zu haben. Diese Dame also ist es, welche jetzt Ihre Sonne ist?«
Er blickte sehr verlegen zur Erde und sagte erst nach einer längeren Pause:
»Wissen Sie, gnädiges Fräulein, daß Sie mich martern?«
»Gott behüte! Das will ich nicht! Ich habe Ihnen so viel, so sehr viel zu verdanken, daß ich ein sehr schlimmes Mädchen sein würde, wenn es mir einfallen sollte, Ihnen wehe zu thun. Ich meine es gut, herzlich gut mit Ihnen. Sie sind mein Retter gewesen in den zwei fürchterlichsten Augenblicken meines Lebens, und ich hege den innigen Wunsch, daß Sie glücklich sein mögen. Sie sind so ganz anders als Andere, das liegt theils in Ihrem Character, theils in den Verhältnissen, in denen Sie lebten. Diese sind anders geworden und ich sehe voraus, daß sich Ihre Zukunft ganz anders gestalten wird, als Sie noch vor wenigen Monaten denken konnten. Sie werden zu den Rittern des Geistes zählen, und daher möchte ich Ihnen gern die Hand bieten, dieses herrliche Ziel eher zu erreichen, als es ohne meine Hilfe möglich wäre.«
Sie war langsam von ihrem Sitze aufgestanden und stand in freundlicher, milder Hoheit vor ihm. Die schwarzen, mühsam aufgewundenen Locken lagen wie ein Diadem um ihren Kopf. Sie hatte ein Kleid angelegt, halb Robe und halb Négligé. Diese leichte, feine Hülle ließ das Ebenmaß ihrer herrlichen Glieder plastisch hervortreten. Der antike, weiß glänzende Arm quoll wie lebendiger Alabaster aus dem weit geschnittenen Ärmel hervor. Sie stand vor ihm wie eine Göttin, welche im Begriff steht, einem Sterblichen die Thür zur Seligkeit zu öffnen.
Er blickte erstaunt und bewundernd zu ihr auf. Er sprach kein einziges Wort, aber in seinem Angesichte, in seinem Blicke strahlte die Anbetung, von welcher er vorhin gesprochen hatte.
»Sie haben jenes Gedicht auf mich gemacht?« fragte sie.
Da fuhr er empor.
»Gnädiges Fräulein!«
»Bitte, antworten Sie!«
Er hielt sich wie geblendet die Hand vor die Augen. Aber als er ihr dann in die ihrigen blickte, glänzte ihm ein Etwas entgegen, was ihm den Muth zu den Worten gab: »Sie befehlen und ich gehorche. Ja, Sie waren die Nacht, deren Herrlichkeit mich zu jenen Zeilen begeisterte.«
»Und vorhin war ich gemeint, als Sie von Ihrer Sonne sprachen?«
»Ja. Ich will es gestehen. Die Sonne kreist zu erhaben über mir, als daß sie mir zürnen könnte, wenn ich mein Auge voller Bewunderung zu ihr erhebe.«
Da legte sie ihm beide Hände auf die Schultern, neigte sich langsam zu ihm herüber und fragte: »Also lieben Sie mich?«
»Gott, ja! Und doch nein! Das Wort Liebe ist nicht inhaltreich genug, um das zu bezeichnen, was jetzt mein Herz bewegt. Ich möchte jauchzen und weinen zugleich; ich möchte jubeln und doch heiße, heiße Thränen vergießen. Ich möchte vor Ihnen niedersinken, um Sie anzubeten und mich doch über Sie erheben, um wie ein Engel des Himmels Sie begleiten und schützen zu können in allen Zeiten und Gefahren Ihres Lebens. Ich bin voller Wonne und Seligkeit und doch auch voller Weh und Herzeleid. Ich athme und lebe nur in Ihnen und darf doch nicht athmen und leben für sie!«
»Wer sagt denn das? Sie ringen nach dem Höchsten und Erhabensten, was der Mensch zu erreichen vermag. Sie haben trotz Ihrer Jugend bereits Stufen erstiegen, welche der Fuß von Tausenden nicht berühren darf. Warum wollen Sie in diesem Einen verzichten? Warum wollen Sie gerade hierin muthlos sein?«
Er wich zurück, so daß ihre Hände von seinen Schultern lassen mußten. Sein Auge wurde größer und dunkler, sein Gesicht leichenblaß. Er stotterte: »Um Gottes willen! Haben Sie Barmherzigkeit!«
»Barmherzigkeit? Warum diese? Darf ich nicht mehr für Sie haben, viel, viel mehr?«
Er faltete die Hände. Er mußte sich fast anstrengen, um die Worte hervorzubringen:
»Gnädiges Fräulein, soll ich mich selbst verlieren? Ich bin bisher Meister meines Herzens gewesen!«
»Das sollen Sie nicht länger sein, denn ich will dieses Herz beherrschen, ich allein, ganz allein!«
Da zog es ihn ganz unwiderstehlich auf die Kniee nieder. Es ging heiß und kalt, bleich und roth über seine Wangen, als ob er sich im Fieber befinde. Er streckte ihr bittend die Hände entgegen und flehte: »Ich kniee hier zwischen Tod und Leben; glauben Sie mir das um Gottes willen. Geben Sie mir eins von beiden, den Tod oder das Leben! Sprechen Sie das Wort aus, welches ich nicht sagen kann und nicht sagen darf!«
Da bog sie sich zu ihm nieder, legte abermals die Hände auf seine Schultern und flüsterte:
»Robert, ich liebe Dich.«
»O mein Himmel! Ist das wahr, ist das möglich?«
»Ja, ich bin Dir gut, so recht aus tiefstem Herzen gut. Komm, stehe auf. Du sollst mich nicht anbeten, ich bin kein Engel, keine Göttin, sondern ein recht schwaches Geschöpf, dem Du das Herz schon längst entrissen hast.«
Er stand auf, langsam und wie im Traume. Er wagte es nicht, sie zu berühren. Er schloß die Augen, legte die Hände an die Schläfen und sagte halb laut: »Es ist mir, als ob ich Deine Worte nur aus weitester Ferne hörte. Mein Gott, ich glaube, das Herz wird mir die Brust zersprengen. Ich habe Schwindel!«
Da nahm sie seine Hände, führte ihn zum Sopha und nahm neben ihm Platz. Ohne seine Hände loszulassen, sagte sie: »Ich verstehe Dich und begreife Dich. Es ist ein großes Glück für Dich, daß der liebe Gott Dir mein Herz entgegenbringt. Dieses Glück ist eigentlich eine Unmöglichkeit und darum ergreift es Dich mit solcher Gewalt. Aber denke nicht an meinen Adel, denke nicht an mein Vermögen. Du wirst zum Adel des Geistes zählen und Deine Werke werden Dir Reichthum bringen. Du bist mir vollständig ebenbürtig. Laß Dich nicht von diesem Scheine blenden, sondern öffne Deine lieben Augen nur, damit Dein Blick mir sage, daß Du mich lieb hast!«
»O, an den Adel und das Vermögen habe ich auch gar nicht gedacht. Du selbst bist so herrlich, so herrlich, daß mir die Sinne schwinden möchten bei dem Gedanken, daß ich Deine Liebe besitze. Herrgott, ich habe frierend und hungernd da drüben in dem Kämmerchen gestanden in trostloser Finsterniß. Wenn dann Dein Fenster sich erhellte und ich Deinen Schatten auf den Gardinen sah, dann war es mir, als habe ich einen Blick in Gottes Himmel thun dürfen, und alles, Hunger und Durst, Kälte und Elend war verschwunden. Dein Schatten machte mich selig. Und heute – o Fanny, Fanny!«
Er blickte sie unter Thränen an und zog ihre kleinen Händchen an seine Lippen. Sie fragte lächelnd: »Jetzt nun bist Du wohl mit dem Schatten nicht mehr zufrieden? Jetzt mußt Du die Person selbst haben.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Ich weiß genau, was mir beschieden ist, und ich will nicht mehr verlangen. Deine Liebe besitze ich und dieses Bewußtsein ist ein Schatz, den ich niemals zu erreichen hoffen konnte. Du selbst aber bleibst mir unerreichbar.«
»Warum denn?«
»Du sprachst von Deinem Reichthum und Deinem Adel, als gäbst Du diesen beiden wenig werth. Ich aber weiß, wie hoch, stark und fest diese Schranken stehen.«
»Fürchtest Du Dich vor ihnen?«
Es lag etwas in ihrem Tone, was ihn frappirte. Er sah ihr ernst, fast traurig entgegen und antwortete: »Nein, ich fürchte sie nicht. Ich würde ringen mit allen feindlichen Gewalten, um Dich einst mein Eigenthum nennen zu können; aber selbst wenn ich dieses höchste Ziel meines Lebens erreicht hätte, bliebe ich doch der Emporkömmling, welcher Deiner nicht würdig wäre.«
»O, Du Zweifler!«
»Was würden Deine Eltern sagen, wenn ich es wagen wollte, vor sie hinzutreten und Deine Hand zu verlangen?«
Sie wiegte bedächtig das Köpfchen hin und her; sie machte doch ein ernstes Gesicht, antwortete aber: »Sie würden sich ein wenig wundern, aber endlich doch sich nur durch den Gedanken an mein Glück leiten und bestimmen lassen. Freilich jetzt dürftest Du ein solches Verlangen nicht aussprechen. Wir sind noch so jung und Du hast Dir erst eine Existenz zu gründen und einen Platz im Leben und der Gesellschaft zu suchen. Dieses Plätzchen aber darf nicht so gar sehr klein und niedrig sein, sondern es soll Raum auch für mich mit haben. Und das soll der Lohn Deines Ringens sein.«
Da leuchteten seine Augen begeistert auf.
»Fanny, ist das wirklich kein Traum?«
»Nein, lieber Robert. Es ist Wirklichkeit.«
»Ich darf denken, Dich einst besitzen zu können?«
»Du sollst denken, daß ich das sehr, sehr wünsche!«
»Dann sollst Du sehen, was ein Mensch vermag. Ich bin arm und gering; aber der Fürst ist mir väterlich gesinnt und wird mir den schweren Weg möglichst ebnen. Und dann – dann –«
»Dann bin ich Dein!« fiel sie ein. »Ist es nicht vermessen von mir, mich Dir als Preis zu setzen? Als wäre ich nun gar so etwas Großes und Erhabenes.«
»Das bist Du auch. Du bist so herrlich, so hoch über mir stehend, daß – daß ich nicht einmal wage –«
»Weiter,« lächelte Sie. »Was wagst Du nicht einmal?«
»Das, was – was – doch nein, es sei gewagt!«
Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Ihre Lippen fanden sich zum Kusse, ohne daß man zu sagen vermochte, wer eigentlich der Anfänger war.
»Fanny, meine Fanny!« flüsterte er, ihr Köpfchen von sich haltend und ihr herzinnig in die Augen blickend.
»Bist Du glücklich?« fragte sie zurück.
»Unendlich!«
»Ich auch.«
»Ich tausche mit keinem Kaiser! Du wirst sehen, daß ich Dich erringe. Ich könnte Alles thun und Alles wagen, für Dich, ja, für Dich!«
»Und vorhin wagtest Du das Leichte nicht!«
Sie küßte ihn.
»O, das war schwer, außerordentlich schwer.«
»Ich habe nicht geglaubt, daß es Dir so schwer fallen würde. Du hast ja früher –«
Sie hielt inne und sah ihm in das Gesicht.
»Was früher?« fragte er. »Meinst Du etwa –«
»Ja,« nickte sie ernst. »Das meine ich!«
»Daß ich früher geküßt habe?«
»Ja, gewiß!«
»Nein, nein,« antwortete er ganz erschrecken.
»Leugne nicht!«
Da erhob er im Gefühle beleidigter Unschuld die Hand wie zum Schwure und sagte in feierlichem Tone: »Fanny, ich beeide hiermit bei Allem, was Du –«
»Still!« fiel sie ihm in die Rede. »Dein Schwur würde doch ein Meineid sein!«
»Herr, mein Heiland, was denkst Du von mir!«
»Ich denke, was wahr ist!«
»Du irrst! Du irrst wirklich!«
»Ich kann Beweise bringen.«
»Bitte, bringe sie!«
»Du hast noch keine junge Dame geküßt?«
»Nein.«
»Etwa nicht jene Jüdin?«
»Ich? Die? Nein!«
»Auch keine Andere?«
»Auch nicht.«
»Da sehe Einer diesen schlimmen Heuchler! Ich habe Beweise, daß Du ein Mädchen geküßt hast, und zwar auf offener Straße, was sehr erschwerend wirkt.«
»Aber, ich bitte Dich! Davon müßte ich doch auch wissen! Es hat irgend Jemand einen Scherz gemacht.«
»Nein. Ich habe es selbst gesehen!«
»Wie denn?«
»Da draußen vor der Stadt lag Eine auf der Straße; sie war vom Pferde gefallen und ohnmächtig geworden.«
»Ach, das warst Du!« sagte er erröthend.
»Ja, ich! Ist das nicht ebenso strafbar?«
»Ich hoffe nicht. Aber ich habe wirklich geglaubt, daß Du diese Sünde gar nicht bemerkt hast.«
»Ja, ich war ohnmächtig!« lachte sie.
»Das dachte ich wenigstens.«
»Ich war es auch wirklich; aber die Besinnung kehrte eher zurück, als Du es gedacht hattest. Noch ehe ich die Augen öffnete, fühlte ich einen Kuß –«
»O weh!«
»Ich konnte mir nicht denken, von wem, denn ich wußte doch noch nicht ganz genau wieder, was mit mir geschehen war. Ich öffnete also die Wimper, aber nur ein ganz, ganz klein wenig, und da knietest Du neben mir.«
»Heuchlerin!«
»Und Du küßtest mich abermals.«
»Und Du erwachtest nicht!«
»Ich bemerkte, daß Du es nicht ungern thatest, und da wollte ich nicht hart gegen Dich sein.«
»Fanny, meine liebe, liebe Fanny! So hast Du mich also schon damals geliebt?«
»O, noch viel eher. Ich war Dir von ganzem Herzen gut, bereits als ich zum ersten Male mit Dir sprach.«
»Du bist ein Engel. Nein, das ist zuwenig. Du bist noch viel, viel anders. Du bist – bist – ich weiß nicht das richtige Wort zu finden. Du warst mir so herrlich, so schön, so erhaben; Du bist es jetzt noch, aber dabei so lieb und gut, so herzig, ja, so herzig. Daß Du mich an jene Küsse erinnerst und mir dabei gestehst, daß Du sie gefühlt hast, das verdoppelt, nein, verzehnfacht mein Glück. Komm, laß Dich auch jetzt küssen, aber behalte Deine lieben Augen dabei offen, ich mag mir ihren Strahl nicht entgehen lassen.«
Sie reichte ihm die schwellenden Lippen und dann sagte sie:
»Und noch ein Geständniß habe ich Dir zu machen. Denkst Du an Dein Gedicht, welches ich damals erhielt?«
»Was ist’s mit demselben?«
»Als ich die Stelle las:
Du meine süße Himmelslust
O traure nicht und laß das Weinen.
Dir soll ja stets an treuer Brust
Die Sonne meiner Liebe scheinen,
da bin ich beinahe ein wenig eifersüchtig geworden.«
»Eifersüchtig? Wie wäre das möglich?«
»Nun, Du sprachst da von einer Trauernden.«
»Ja.«
»Die nanntest Du Deine süße Himmelslust und versprachst ihr, daß ihr die Sonne Deiner Liebe scheinen werde. Ich konnte mir nicht denken, daß ich unter dieser Trauernden gemeint sei, und so lag der Gedanke nahe, daß es eine Andere gebe, der diese Verse galten.«
»O, dieses Gedicht behandelte kein subjectives, sondern vielmehr ein ganz objectives Thema. Ich habe dabei gar nicht an irgend ein mir bekanntes Wesen gedacht.«
»So wünsche ich, daß Du von jetzt an an eins denkst, so oft Du eine Strophe schreibst, in welcher von süßer Himmelslust und von der Sonne der Liebe die Rede ist.«
»O, gewiß werde ich von jetzt an an Eine denken, welche wirklich lebt und wirklich existirt.«
»Und wer wird das sein?«
»Du, nur Du allein!«
Er zog sie wieder an sich. Der arme Waisenknabe, das Findelkind, der Pflegesohn eines Schneidermusikanten hatte die Tochter eines Obersten, den Abkömmling eines alten adeligen Geschlechtes, im Arme. Er fühlte den Druck ihrer Lippen und das warme, vertrauende Schwellen ihres Busens. Ihr Blick ruhte in dem seinigen – er wußte nicht, wohin mit seiner Seligkeit; er küßte sie wieder und immer wieder, bis sie plötzlich sich aus seinen Armen wand und purpurroth erglühend sich erhob.
Er drehte sich um. Unter der Thür stand der Oberst von Hellenbach mit seiner Frau und hinter ihnen sah man das durchgeistigte, vornehme Gesicht des Fürsten von Befour.
Natürlich stand auch Robert jetzt von seinem Sitze auf. Er erglühte nicht wie Fanny, sondern er war leichenblaß geworden.
»Fanny!« sagte der Oberst, mehr in erstauntem, als in verweisendem Tone.
»Mama!« antwortete sie und warf sich in die Arme ihrer Mutter, welche auch überrascht schnell näher getreten war.
Der Fürst that, als habe er gar nichts bemerkt. Er grüßte:
»Guten Abend, Robert!« und nickte ihm freundlich zu, und zu Fanny tretend, fügte er hinzu: »Sie hätten weder ihre lieben Eltern schon jetzt, noch mich überhaupt hier gesehen, wenn wir nicht vor zwei Minuten erfahren hätten, daß Ihnen ein großes Unglück gedroht hat. Wir brachen natürlich sogleich auf, um uns nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«
Diese Worte beseitigten das Peinliche des Augenblickes.
»Ja, mein Kind,« sagte die Oberstin, »man sagte uns, daß am Theater ein Attentat auf Dich unternommen worden sei. Ist das wahr?«
»Leider ja.«
»In welcher Weise? Wir konnten nichts Genaues erfahren und waren natürlich auch zu aufgeregt, als daß wir uns hätten Zeit zu weitläufigen Erkundigungen gönnen können.«
»Ich sollte mit rauchender Schwefelsäure bespritzt werden.«
»Herr Jesus! Im Gesicht?«
»Ja.«
»Von wem denn?«
»Von der Jüdin Judith Levi aus der Wasserstraße.«
»Weshalb denn?«
»Aus – aus – aus Eifersucht,« antwortete sie erröthend und indem sie sich halb abwendete.
»Eifersucht? Aus welchem Grunde könnte denn dieses Mädchen eifersüchtig gegen Dich sein?«
Der Fürst erkannte das Verfängliche dieser Frage und fiel also schnell ein:
»So sind Sie also von der Säure nicht getroffen worden?«
»Nein, sondern nur die Toilette.«
»Wir hörten, daß ein junger Herr Sie gerettet habe?«
»Ja, Robert war –«
Sie hielt erschrocken inne, da ihr der Vorname des Geliebten entfahren war.
»Robert?« fragte die Oberstin in halb verweisendem und halb überraschten Tone. »Sie, Herr Bertram waren Zeuge?«
»O, nicht Zeuge, sondern mein Retter!« fiel Fanny ein.
Und nun erzählte sie mit beredter Zunge die Begebenheit. Die Drei hörten zu, dann gab der Oberst Robert Bertram die Hand und sagte, allerdings mit einiger Kälte im Tone: »Wir haben Ihnen abermals so sehr viel zu danken. Hoffentlich geben Sie uns einmal Gelegenheit, Ihnen unsere Erkenntlichkeit zu beweisen, aber bitte, in einer für uns möglichen Weise!«
Robert verstand, was mit diesen Worten gemeint war. Er war jetzt, da er sich von Fanny geliebt wußte, ein ganz Anderer geworden. Die Ueberraschung hatte ihn zwar erblassen lassen, aber er fühlte sich keineswegs ohne Muth. Darum antwortete er: »Bitte, gnädiger Herr, was ich that, war eine einfache Folge der Situation, des Augenblickes, und verdient gar keiner lobenden Erwähnung.«
Da reichte ihm auch die Oberstin die Hand und sagte:
»Nehmen Sie auch meinen Dank. Sie haben unser Kind vor einem schauderhaften Unglück bewahrt; das werden wir Ihnen unter allen Umständen nie vergessen. Aber, Fanny, fühlst Du Dich denn nicht angegriffen und ermüdet?«
»Nein. Ich war so aufgeregt, so erschrocken; darum bat ich Herrn Bertram, mir Gesellschaft zu leisten bis zu Eurer Rückkehr.«
»Das war zu viel von ihm verlangt. Herr Bertram hat auf seine Zeit mehr Werth zu legen, als Du auf die Deinige. Wer erst am Anfange seines Lebensweges steht und sich sein Leben überhaupt erst zu gestalten hat, dem soll man es um keine Stunde verkürzen, denn eine Stunde jetzt ist gleich Monaten der Zukunft. Der Wagen steht noch unten. Wenn sich Herr Bertram seiner bedienen will, so steht er gern zur Verfügung.«
Das war deutlich gesprochen. Der Fürst nahm dieser Verabschiedung einen Theil ihrer Bitterkeit, indem er in freundlichem Tone zu dem jungen Manne sagte: »Ja, fahren Sie nach Hause, Robert. Der Herr Oberst wird Ihnen gestatten, sich morgen Vormittag nach dem Befinden des gnädigen Fräuleins zu erkundigen.«
Kaum hatte Bertram sich verabschiedet, so wendete sich der Oberst an seine Tochter:
»Fanny, ich begreife Dich nicht. Wir kommen – – –«
Da legte seine Frau ihm die Hand auf den Arm und fiel ihm schnell in die Rede:
»Bitte, bitte, lieber Mann! Bedenke, daß wir nicht allein sind. Familienangelegenheiten sind – – –«
»O, still!« unterbrach nun er sie ebenso schnell. »Durchlaucht sind ein Freund unseres Hauses. Er ist Zeuge dieses so ganz eigenthümlichen lebenden Bildes gewesen und soll nun auch hören, was wir darüber verhandeln.«
»O laß doch, Mama!« sagte auch Fanny. »Ich fürchte mich vor Durchlaucht ganz und gar nicht; ich hoffe vielmehr, in ihm einen Anwalt meiner Liebe zu finden.«
»Deiner Liebe!« sagte der Oberst verweisend.
»Ja, Papa.«
»Du sprichst doch nicht im Ernste!«
»Denkst Du, daß ich einem Herrn meinen Munde nur aus Scherz zum Kuße geben würde?«
»Also wirklich Ernst! Mädchen, wo denkst Du hin! Du weißt allerdings, daß wir Dich innig lieb haben, aber diese Liebe kann doch nicht zu einer Nachsicht führen, welche duldet, daß die einzige Trägerin des Namens Hellenbach sich als die Geliebte eines – – nun ja, eines ganz braven jungen Mannes betrachtet, der aber leider gar nichts weiter ist, als eben nur ein braver junger Mann.«
»Papa, er ist zweimal mein Retter gewesen.«
»Das giebt ihm noch kein Recht, Dich selbst für sich zu verlangen.«
»Das hat er auch noch gar nicht gethan.«
»Aber es hat allen Anschein, daß er es noch thun wird!«
»Lieber Vater, wenn er es ja einst thun sollte, so habe ich selbst ihn dazu aufgefordert.«
»Ja. Ich habe ihn heute erst selbst dahin gebracht, mir zu sagen, daß er mich lieb hat.«
»Aber, Kind! Das zu thun, und das nun auch zu sagen! Ich erkenne Dich wirklich gar nicht.«
Da sagte sie, indem sie ihn mit der Hand zum Stuhle zog und ihn siegreich anlächelte:
»Geh Papa! Du bist ja gar nicht so bärbeißig, wie Du jetzt thust.«
Sie hatte sehr Recht; er aber wollte sich das nicht merken lassen. Darum zog er ein möglichst grimmiges Gesicht und sagte in seinem drohendsten Tone: »Oho! Mädchen, mache mir den Kopf nicht warm?«
»Und die Füße nicht kalt! Ja, Du gehst ganz nach der Lehre von Samuel Hahnemann: Die Füße warm und den Kopf kalt, da wird man wie Methusalem so alt!«
»Ich glaube gar, diese Prinzessin will meiner spotten! Da aber kommst Du an den Rechten! Verstanden?«
»Bitte, laß doch mit Dir reden! Ich habe Herrn Bertram wirklich geradezu veranlaßt, mir zu sagen, daß er mich lieb hat. Ihn trifft nicht die mindeste Schuld, sondern ich habe sie ganz allein.«
»Aber, Kind, aus welchem Grunde veranlassest Du ihn denn zu so einer Dummheit?«
Da lachte sie hell und lustig auf und fragte:
»Wie? Du hältst es für eine Dummheit, mich lieb zu haben?«
»Das nicht, aber Dir die Liebe zu erklären!«
»Aber ich liebe ihn ja auch!«
»Mein Gott, ja,« seufzte der Oberst. »Das habe ich leider vorhin gesehen. Es ist ein wahres Glück, daß nur Durchlaucht zugegen gewesen ist. Diese unangenehme Angelegenheit läßt sich also noch todtschweigen.«
»Bitte, Papa, das liegt nicht in meiner Absicht und wohl auch nicht in der Deinigen.«
»Nicht in der meinigen? Wieso? Ich erstaune!«
»Giebst Du vielleicht zu, daß Herr Bertram ein hoffnungsvoller und interessanter junger Mann ist?«
»Das mag sein.«
»Und daß ich nicht ganz häßlich bin?«
»Hm!« schmunzelte er. »Die Leute sagen, daß Du mir sehr ähnlich seist.«
»Ja, der Mama aber noch mehr. Ein Vater aber, der seine hübsche Tochter in dieser engen Weise mit einem interessanten Herrn verkehren läßt, der ist doch selbst Schuld, wenn aus dem gegenseitigen Interesse etwas Innigeres wird!«
»Herrgott, jetzt bin nun ich das Kaninchen, welches angefangen haben soll!«
»Ja, gewiß. Aber sprechen wir von vollendeten Thatsachen. Wir haben uns gegenseitig lieb, aber wir fordern von dieser Liebe keine Gerechtsame. Herr Bertram will recht arbeiten, um sich eine Stelle im Leben zu erringen, und wenn diese Stelle Raum genug und Höhe genug für mich hat, dann werde ich neben ihm Platz nehmen. Wenn er mich verdient, so will ich der Preis seines Strebens sein, sonst und eher aber nicht.«
Der Oberst holte tief Athem und seufzte.
»Gott sei Dank!«
Und seine Tochter fuhr fort:
»Wir haben nur für einige Minuten unsern Herzen die Erlaubniß ertheilt, zu sprechen. Es wird jetzt nicht wieder geschehen. Für Robert kommt die Zeit einer ernsten, schweren Arbeit; er hat keinen Raum für Tändeleien. Ihr dürft also keine Sorge haben, ebensowenig, wie ich sagen kann, daß ich um ihn in Sorge bin.«
»Gott sei Dank!« seufzte der Oberst abermals.
»Warum dankst Du Gott, lieber Papa?«
»Weil ich sehe, daß aus der Sache nichts wird.«
»Du irrst Dich ebenfalls.«
»Oho! Ich bin Menschenkenner und verstehe mich auf jugendliche Mädchenherzen. Aus den Augen, aus dem Sinn!«
»Bitte, Papa, eine so böse Meinung hast Du von Deiner Tochter gar nicht!«
»Pah! Eine noch viel schlimmere!«
»Darf ich sie erfahren?«
»Ja. Du bist ein ungerathenes Kind, welches nur einen Dichter heirathen will. Du bist eine ungerathene Tochter, welche sich einbildet, ihren Vater beherrschen zu können. Du hast Dir vorgenommen, ein Nagel zu meinem Sarge zu sein; ich aber gebe Dir mein Wort, daß ich mir vornehme, noch länger zu leben, als alle Dichter der Erde. Dieser Bertram bekommt Dich nicht, außer – außer – –«
Er hielt in komischem Eifer inne.
»Nun, außer – –?« fragte sie.
»Außer, Du willst es denn gar nicht anders.«
Da fiel sie ihm um den Hals und sagte lachend:
»Das wußte ich, Papa! Du hast ihn ja nur fortgeschickt, um mir hinter seinem Rücken zu sagen, daß Du ihn ganz und gar gern hast!«
»Das laß Dir nur nicht einfallen!«
»Und doch ist es so richtig!«
»Oho! Ich will Dir sagen, daß ich Dir vertraue. Du bist ein sehr verständiges Mädchen und wirst Dir Dein Glück selbst gestalten. Darauf hin hat Dich unsere Erziehung gelenkt, und so werden wir Dir auch nicht im Wege sein. Auf eine adelige Parthie dringe ich nicht. Du bist die letzte Hellenbach. Ob diese die Frau eines Blaublütigen wird oder nicht, das ist mir gleich; aber glücklich soll sie sein. Dieser Dichter ist noch jung. Er mag mit dem Leben ringen und sich einen Platz erobern. Zeigt er sich Deiner werth, nun wohl, so soll er uns willkommen sein. So wird es und nicht anders!«
»Aber Papa, warum schicktest Du ihn da fort? Das konntest Du ihm doch sagen!«
»Ich denke mir, daß Du es ihm bereits gesagt hast?«
»Allerdings.«
»Nun, so konnte er eben gehen, denn ich hätte ihm ja doch nichts Anderes sagen dürfen.«
»Aber was sage ich morgen?«
»Wieso morgen?«
»Wenn er kommt, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen?«
»Da hast Du ihm gar nichts zu sagen. Da spreche ich mit ihm.«
»Warum ich nicht?«
»Weil das nutzlos ist. Ich werde ihm sagen, daß Du Dich wohl befindest. Damit kann er zufrieden sein.«
»Das wird er nicht. Wenn er nicht mit mir sprechen darf, so wird er sich ängstigen. Er wird denken, daß ich der Schwefelsäure erlegen bin!«
»Ja, daß Dich die Schwefelsäure ganz aufgefressen hat. Habe nur keine Sorge! Wenn er kommt, ich werde ihn schon hinausschwefeln, daß ihm das Wiederkommen schwefelsauer wird. Erst einen Platz in der Gesellschaft haben, dann soll er kommen!«
»Aber er muß mich doch zuweilen sehen, um neue Kraft und neuen Muth zu bekommen!«
»Ich möchte wissen, wozu. Er mag kräftig essen und ordentlich leben, dazu täglich sechs Liter bayerisches Bier; dann bekommt er Kraft und auch Muth, ohne Dich nur anzugucken. Bei Dir fände er nichts Nahrhaftes. Denn das, was Du ihm vorhin gabst, als wir eben eintraten, das hat noch keinen Menschen jemals satt gemacht; im Gegentheile, man pflegt immer noch mehr zu verlangen. Aber bitte, Durchlaucht, was sagen Sie zu diesem Handel?«
Der Fürst hatte geschwiegen und seine stille Freude über die Selbstvertheidigung Fanny’s und die fast burschikose Auffassung des alten Obersten gehabt. Jetzt aber machte er, mit dem Schalk im Nacken, ein sehr ernsthaftes Gesicht, schüttelte den Kopf und sagte in bedenklichem Tone: »Ich rede diesem Bertram keineswegs das Wort.«
Fanny wollte beinahe erschrecken. Ihr Vater fragte:
»Wie? Höre ich recht?«
»Ich meinte, daß ich keineswegs für Bertram sei.«
»Das habe ich nicht erwartet!«
»Warum nicht?«
»Er ist doch Ihr Schützling! Vielleicht sogar Ihr Liebling.«
»O nein. Mein Liebling ist Fräulein Fanny!«
»Herzlichen Dank!« sagte diese, sich aber fast ironisch verneigend, da er gegen den Geliebten sprach.
»Bertram ist zwar mein Schützling,« fuhr der Fürst fort, »das aber kann für mich kein Grund sein, gegen das Glück Ihrer Familie zu handeln.«
»Wäre es gegen das Glück?«
»Ganz gewiß.«
»Wieso?«
»Da bedarf es eines ganz kleinen Exempels. Bertram ist gegen zweiundzwanzig Jahre alt. Er wird vier Jahre lang die Universität besuchen und dann sechsundwanzig zählen. Sechs Jahre werden dann vergehen, bis er Assessor wird. Selbst wenn Fräulein Fanny einen Assessor heirathen wollte – sie zählt jetzt achtzehn Jahre – so würde sie dann achtundzwanzig Jahre zählen.«
»Verteufelt!« sagte der Oberst. »Das ist richtig! Was sagst Du dazu, Fanny?«
»Ich warte noch länger, wenn es sein muß!«
»Achtundzwanzig! Mädchen bedenke!«
»Ich warte bis achtundfünzig!«
»Da hat man es! Aber Frau Assessorin blos!«
»Ein Assessor kann Minister werden!«
»Ehe er es wird, bist Du hundertachtundneunzig. Das will mir allerdings nicht gefallen!«
»Und noch eins,« meinte der Fürst. »Sie meinen zwar, daß Ihr Namen aussterben werde. Das ist aber gar kein Grund, von den Traditionen Ihres Hauses abzugehen.«
»Ein Grund ist es allerdings nicht. Er würde es nur erleichtern.«
»Sie müßten sich vielmehr bemühen, diesen berühmten Namen mit Glanz zu Grabe zu tragen.«
»Sie meinen eine Standesheirath?«
»Ja.«
»Hm! Hörst Du es, Fanny?«
»Durchlaucht sind heute garstig!«
»O nein, mein liebes Kind; ich bin im Gegentheile ganz und gar nur auf Ihr Wohl bedacht. Ich habe sogar bereits mich mit gewissen Gedanken beschäftigt – – –«
»Was?« fragte Hellenbach schnell. »Soll das etwas heißen, daß Sie einen Mann für Fanny gesucht haben?«
»Ja.«
»Ah! Ueberraschend!«
»Ich sagte, daß Fräulein Fanny mein Liebling sei. Ich will meinen Liebling glücklich sehen.«
»Sie machen mich außerordentlich neugierig, Durchlaucht. Haben Sie etwas gefunden?«
»Ja.«
»Ah! Sapperlot! Wen?«
»Das ist eigentlich noch Geheimniß.«
»Auch für uns?«
»Hm! Unter acht Augen könnten wir schon davon sprechen.«
Da stand Fanny auf und sagte:
»Es wird besser sein, unter sechs Augen davon zu sprechen. Ich fühle mich doch ein Wenig angegriffen!«
Aber der Fürst nahm sie bei der Hand, führte sie zu ihrem Sitz zurück und bemerkte:
»O, bitte, es handelt sich nur um eine kurze Mittheilung, und ich bitte dringend, sie mit anzuhören!«
»Ja,« meinte der Oberst, »wenn Durchlaucht uns sagen will, welchen Gemahl er Dir in Gedanken bestimmt hat, so ist das wohl so interessant, daß Du bleiben kannst. Also, bitte, Durchlaucht!«
»Ich dachte da an Ihren seligen Bruder, welcher einst eine Braut hatte, aber leider – – – Sie entschuldigen, daß ich Sie an jenen traurigen Fall erinnere!«
»O, bitte! Ja, er sollte Alma von Helfenstein heimführen, wurde aber ermordet.«
»Da damals die Verbindung der Familien Hellenbach und Helfenstein unmöglich wurde, so dachte ich mir, wie schön und versöhnend es sei, wenn eine solche Allianz nun jetzt zu Stande gebracht würde.«
»Das ist unmöglich«
»So? Warum?«
»Es lebt ja kein Hellenbach, welcher jetzt noch die Baronesse Alma heirathen könnte.«
»Nein. Aber es lebt eine Hellenbach, welche ihre Hand einem Helfenstein geben könnte.«
»Sie meinen unsere Fanny?«
»Ja.«
»Es giebt doch keinen Helfenstein!«
»O doch!«
»Na, bitte! Sie meinen doch nicht etwa Franz von Helfenstein, den Räuberhauptmann? Und dieser ist ja der einzige noch existirende Helfenstein.«
»Das hat man bisher geglaubt.«
»Wie? Was? Sie werden mysteriös!«
»Entsinnen Sie sich, daß Baronesse Alma einen Bruder hatte?«
»Ja. Es war ein einjähriger Knabe wohl.«
»Diesen meine ich.«
»Der ist ja mit verbrannt!«
»Nein. Er lebt noch.«
»Was Sie sagen! Er lebt noch? Unmöglich!«
»Er lebt wirklich noch. Baron Franz wollte ihn tödten lassen, der Mörder aber hatte Mitleid. Er brannte zwar das Schloß nieder, rettete aber den Knaben und gab ihn unter fremdem Namen in – in – na, sagen wir in sichere Hände. Jetzt nun hat dieser Mann gestanden, daß der kleine Helfenstein noch lebt.«
»Wunderbar! Haben Sie ihn aufgesucht?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Er hat bei mir einstweilen ein heimliches Asyl gefunden.«
»Sind sind doch ein wahrhaft außerordentlicher Mann!«
»Besten Dank! Dieser junge Mann hat viel, sehr viel zu leiden gehabt, und ich dachte daran, daß er das Glück verdiene, die Hand einer Dame wie Fräulein Fanny zu besitzen. Darum also mein Vorschlag.«
»Sapperment! Ist es wirklich zweifellos nachgewiesen, daß er ein Helfenstein ist?«
»Ja.«
»Darf man ihn einmal sehen?«
»Ja. Ich werde ihn Ihnen morgen vorstellen.«
»Ist er interessant?«
»Gewiß.«
»Vielleicht so interessant wie dieser Bertram?«
»Ohne Zweifel. Helfenstein ist mir noch viel lieber und ist überhaupt bedeutend interessanter als Bertram.«
»Hörst Du es Fanny?«
Diese hatte mit Aufmerksamkeit zugehört. Sie saß höchst nachdenklich in ihrem Sessel. Jetzt bei der Frage ihres Vaters legte sich eine eigenthümlich freudige Helle auf ihr schönes Angesicht. Sie antwortete: »Ja, lieber Vater.«
»Und was denkst Du von diesem verlorenen und so plötzlich wiedergefundenen Sohne?«
»Daß seine Schicksale sehr interessant sind.«
»Aber er selbst?«
»Ist vielleicht auch so interessant.«
Er warf ihr einen höchst befremdlichen Blick zu und sagte:
»Da hat man es! Man braucht einem Mädchen gegenüber nur das Wort interessant auszusprechen, so ist sie sofort gefangen wie der Sperling in den Krallen der Katze.«
»Wie gesagt,« fuhr der Fürst fort, »ich werde Ihnen diesen jungen Herrn morgen vorstellen. Ich würde mich sehr freuen, wenn er die Theilnahme Fräulein Fanny’s erweckte!«
Da warf sie ihm einen siegreichen Blick zu und sagte:
»Durchlaucht irren sich dieses Mal in Ihrem Liebling!«
»Wieso?«
»Ich durchschaue Sie! Ich lese zwischen den Zeilen. Ich lasse mich nicht auf die Probe stellen.«
»Wieso, Probe?«
»Ich bleibe Bertram treu!«
»Aber, Mädchen,« sagte ihr Vater. »Sieh Dir doch diesen verlorenen Sohn erst an!«
»Das werde ich allerdings thun, wenn er kommt. Er ist ja so außerordentlich interessant.«
»Der Andere aber noch mehr! Und ein Helfenstein! Bedenke! Ganz abgesehen davon, daß die sämmtlichen Helfenstein’schen Besitzungen ihm gehören werden.«
»Ich kenne das!« lachte sie fröhlich.
»Nichts kennst Du! Gar nichts! Bedenke den Unterschied: Ein Baron von Helfenstein oder ein Assessor, wenn Du achtundfünfzig Jahre alt bist.«
»Da wähle ich allerdings ungeschaut!«
»Wieso?«
»Du meinst, dieser verlorene Helfenstein wäre für mich eine bessere Partie?«
»Jedenfalls.«
»Und Durchlaucht meinen es auch?«
»Gewiß,« antwortete dieser.
»So darf ich mich gleich jetzt entscheiden?«
»Ich bitte!«
»So heirathe ich den Helfenstein und lasse Bertram sitzen.«
Der Oberst saß mit offenem Munde da und starrte sie ganz fassungslos an. Er sagte:
»Mädchen, Mädchen! Ich werde ja ganz irre an Dir!«
»Ich weiß, was ich thue!«
»Vorhin gelobtest Du, Bertram treu zu bleiben, und jetzt läufst Du so schnell zu Helfenstein über!«
»Ich denke, das ist Dir lieb!«
»Nun ja; aber nun dauert mich freilich dieser arme, gute Bertram. Er ist so brav und hat Dich jedenfalls recht herzlich lieb!«
»Papa, jetzt würde ich an Dir irre werden, wenn das überhaupt möglich wäre. Aber ich kenne Dich viel zu gut!«
Auch der Fürst betrachtete sie mit Augen, in denen zu lesen war, daß er sie nicht verstehe. So ausgelassen hatte er sie noch nicht gesehen, und für so frivol hatte er sie überhaupt nie gehalten.
»Auch Durchlaucht wundern sich?« fragte sie.
»Ich gestehe es offen!«
»Da giebt es nichts zu verwundern. Ich ziehe einen Baron natürlich einem armen Schlucker vor und bin überzeugt, daß ich an der Seite des Ersteren glücklich sein werde. Bitte nur, ihn morgen mitzubringen.«
»Ja,« meinte der Oberst. »Darf ich Sie mit ihm vielleicht zum Diner bei mir sehen?«
»Ich nehme diese Einladung an und hoffe, daß alles zum Glücke gehen werde.«
Er verabschiedete sich und ging. Er war enttäuscht und mißmuthig. Er hatte es sich so schön gedacht, daß heute Fanny auf Bertram beharren und er dann morgen ihn als Baron von Helfenstein vorstellen werde. Jetzt hatte Fanny auf den Ersteren verzichtet. War sie nun morgen den Letzteren werth?
Der Oberst stand, als der Fürst gegangen war, kopfschüttelnd vor seiner Tochter und sagte:
»Kind, Du machst mir Sorgen. Ich habe Dich für treuer und verständiger gehalten! Mich dauert Bertram.«
»Der darf Dich nicht dauern, Papa. Ich heirathe ihn ja!«
»Wie – wo – was? Ihn willst Du heirathen?«
»Ja.«
»Und vorhin erklärtest Du Dich für den Baron!«
»Auch jetzt noch!«
»Alle Wetter! Du willst ihn heirathen?«
»Ja.«
»Also alle Beide?«
»Alle Beide, lieber Papa!«
Da fuhr er sich mit beiden Händen nach dem Kopfe und rief:
»Das wird mir zu bunt! Mädchen, Du hast den Verstand verloren, entweder wegen der Salpetersäure, oder wegen Bertrams Liebeserklärung. Frau, schaffe sie schlafen, damit sie ausruht. Wenn es morgen früh nicht besser ist, lassen wir den Arzt kommen!«
Ihre Mutter hatte nur sehr wenig gesprochen, da der Gegenstand der Unterhaltung ein zarter und Vieles ihr ein Räthsel gewesen war. Sie drang jetzt in die Tochter um Aufklärung über ihr unbegreifliches Verhalten. Diese aber gab den Eltern einen herzlichen Kuß und entfloh.
»Höre,« sagte er, »sie hat wirklich einen Schwapps!«
»Was Du denkst! Es steckt etwas dahinter.«
»Der arme Bertram!«
»Freilich! Was wäre sie jetzt ohne ihn! Er ist arm und bürgerlich; aber unter der Protection des Fürsten wird sich ihm eine Zukunft eröffnen. Ich könnte mich wirklich für ihn entschließen.«
»Ich auch.«
»Denke Dir, wie dankbar er uns für dieses Glück sein würde. Er würde uns auf den Händen tragen.«
»Das würde er sicher. Aber, zerbrechen wir uns jetzt die Köpfe nicht. Es wird ja kommen, wie es kommen muß. Fanny ist ein selbständiger Character. Sie wird thun, was sie will, und das wird gut sein.«
Er hatte recht. Fanny that, was sie wollte. Sie wartete nämlich, bis sie Alles zur Ruhe glaubte, dann nahm sie den Mantel und eine Kopfhülle um und stieg leise die Treppe hinab. Dort klopfte sie vorsichtig den Portier heraus, welcher noch nicht schlief.
»Gnädiges Fräulein?« fragte er ganz erstaunt. »Sie wollen doch nicht etwa noch ausgehen?«
»O ja. Ich muß. Machen Sie recht leise auf, und lassen Sie mich dann ebenso heimlich ein!«
Draußen eilte sie zum nächsten Droschkenplatz und gab den Anfang der Siegesstraße als Ziel an. Dort angekommen, lohnte sie den Kutscher ab und eilte bis nach Nummer Zehn. Im oberen Zimmer, welches Bertram bewohnte, sah sie noch Licht. Ein Schatten bewegte sich regelmäßig hin und her. Er war also noch wach.
»Es geht ihm wie mir,« flüsterte sie vor sich hin. »Er fühlt sich so glücklich, daß er nicht zu schlafen vermag. Ich wollte eigentlich zu ihm, aber das würde Papa Brandt ja bemerken und es also dem Fürsten sagen. Besser ist es, er kommt herab. Aber wie mache ich mich bemerklich? Mit ein wenig Sand, den ich an sein Fenster werfe.«
Sie that es. Robert Bertram hörte das Klirren der Sandkörner an die Glasscheibe und öffnete.
»Pst! Ganz leise!« erklang es da unten.
»Wer ist da?« fragte er, als er erstaunt eine weibliche Gestalt erkannte.
»Ich, Fanny.«
»Mein Gott! Fanny! Was ist’s? Etwas Schlimmes?«
»Nein, etwas sehr Gutes! Komm! Aber laß nicht merken, daß ich da bin.«
Er verschwand vom Fenster und trat alsbald leise auf die Straße.
»Sind Brandt’s noch wach?« fragte sie.
»Nein. Ich hoffe, daß sie nichts bemerkt haben.«
»Komm, promeniren wir. Hier dürfen wir nicht stehen bleiben.«
Er verschloß die Thür und nahm dann ihren Arm in den seinigen. Das Herz wollte ihm vor Glück und Seligkeit zerspringen. Er fühlte an seinen Schläfen den Puls klopfen. Dieses herrliche, unvergleichliche Mädchen kam zu ihm, nach Mitternacht! Wie lieb mußte sie ihn haben. Er seufzte tief, tief auf. Sie hörte es und fragte: »Ist Dir Dein Herz so schwer?«
»Nein, meine Fanny. Es ist so voller Glück, daß ich nicht weiß, wohin. O, wenn so ein Mädchen wüßte, welche Seligkeiten ihre Liebe über unser Leben ergießt!«
»Ist das wirklich so, Robert?«
»Gewiß, gewiß!«
»Und ich dachte, Du seiest recht betrübt.«
»Weshalb sollte ich es sein?«
»Wegen Papa.«
»O, der macht mir keine Sorge. Ich werde darnach streben Deiner werth zu sein. Dein Papa ist vorurtheilslos und wird Dich nicht unglücklich machen. Aber hat Dein Kommen nur diesen einen Grund, nämlich zu erfahren, ob ich betrübt bin oder nicht.«
»Nein. Es giebt noch einen viel gewichtigeren. Bist Du drüben beim Fürsten gut bekannt?«
»Ja.«
»Kennst Du Alle, die sich bei ihm befinden?«
»Alle, vom Ersten bis zum Letzten.«
»Aber es könnte doch Jemand heimlich bei ihm wohnen!«
»Nein. Ich wüßte es sicher. Ich habe es auch gewußt, als die Baronin Ella von Helfenstein bei ihm wohnte.«
»So sage mir, ob nicht vielleicht ein junger Mann sich bei ihm befindet, der seinen Eltern verloren gegangen ist?«
»Nein.«
»Der in irgend einer Erziehungsanstalt gewesen ist?«
»Nein. So Einer wohnt nicht drüben.«
»Auch nicht hüben?«
»Nein.«
»Gewiß nicht? Bitte, denke genau nach!«
»Ich kenne jeden Winkel des Palastes drüben und auch unseres Hauses hüben. Den Eltern verloren gegangen, in einer Erziehungsanstalt gewesen? Da giebt es wirklich Keinen, außer ich müßte gemeint sein. Das Findelhaus ist ja auch Erziehungsanstalt.«
Er fühlte, daß sie seinen Arm an sich drückte.
»Du kennst Deine Eltern also nicht?« fragte sie.
»Nein. Ich weiß nicht, wer sie sind.«
»Du hast auch keine Ahnung?«
»Nein. Freilich, wenn ich sanguinisch sein wollte, könnte ich mir einbilden, von Adel zu sein.«
»Ach! Warum?«
»Es wurde eine Kette bei mir gefunden mit einem Medaillon. Auf diesem befand sich eine Freiherrnkrone – –« – –«
»Mein Gott! Ist’s wahr?« fragte sie hastig.
»Ja.«
»Weiter nichts? Kein Name?«
»Nur die Anfangsbuchstaben R.v.H.«
Da blieb sie stehen und drückte ihm ihre Fingerchen vor freudigem Schreck so in den Arm, daß es ihm wehe that.
»Ist das wirklich wahr? Irrst Du Dich nicht?«
»Nein. Es ist kein Irrthum möglich.«
»Du hast die Kette noch?«
»Ja. Der Fürst hat sie in Verwahrung.«
»Also, so, also so!« nickte sie vor sich hin.
»Weißt Du, das ist die Kette, von welcher ich Dir erzählte, daß ich sie bei dem Juden Salomon Levi versetzt gehabt habe. Als ich sie einlöste, war aus dem v. ein u. geworden. Der Fürst wollte untersuchen, was da wohl zu Grunde liege, hat mir aber noch nichts mitgetheilt. Er wird es nicht haben entdecken können.«
»O doch! Er hat Alles entdeckt; er weiß Alles, Alles. Er kennt Deine Eltern, Deine Geschwister, Deine ganzen Verhältnisse.«
»Ah! Warum sagt er es nicht?«
»Er wird seine guten Gründe gehabt haben, bis jetzt darüber zu schweigen. Morgen aber will er es Dir sagen.«
»Morgen! Herr mein Gott! Ist das wahr? Ich soll meine Eltern kennenlernen, meine Abstammung?«
Er blieb stehen und faltete die Hände ineinander.
»Ja, das wirst Du erfahren.«
»Was werde ich hören müssen. Jetzt habe ich mich an die Vorstellung gewöhnt, ein Findelkind zu sein. Was aber wird nun kommen!«
»Ich weiß es, lieber Robert.«
»Du? Du solltest es wissen?«
»Ja, der Fürst hat sich verrathen.«
»Ah! Ist es schlimm? Ist es bös?«
»O nein, nein, sondern sehr gut.«
»Gott sei Dank!« sagte er, tief aufathmend. »Meinst Du, daß ich bis morgen warten soll, oder willst Du es mir jetzt schon sagen?«
»Natürlich jetzt gleich! Ich habe mich ja deshalb von daheim fortgeschlichen. Es war so wichtig, daß alle Bedenken schwanden. Ich konnte Dir diese Nachricht nicht zeitig genug bringen. Also höre: Dein Vater –«
»O bitte, bitte!« fiel er ihr in die Rede. »Warte noch einen Augenblick.«
Er lehnte sich an das eiserne Zaungitter, an welchem sie standen, als ob er der Stütze bedürfe. Sie sah nicht, was er that, aber ihr Herz sagte ihr, daß er bete. So verging eine Weile; dann fragte er stockend: »Jetzt erst das Eine: Sind meine Eltern ehrliche Leute?«
»Gott sei Lob und Dank! Nun mag der Vater sein, was er sei; mag er der niedrigste Handwerker oder Taglöhner sein; ich werde ihn lieb haben, wie lieb!«
»O, er ist – oder vielmehr er war –«
»Er ist todt?«
»Ja.«
»Und die Mutter?«
»Ist auch todt.«
»Habe ich Verwandte?«
»Ja. Zunächst eine Schwester.«
»O, eine Schwester! Welch ein schönes, süßes Wort! Ist sie verheirathet?«
»Nein, sie ist unverheirathet, obgleich sie viel älter ist als Du. Sie ist ein liebes, herrliches Wesen.«
»Ah! Solltest Du sie kennen?«
»O, sehr genau. Sie ist meine Freundin.«
»Deine – Freundin?«
»Ja, sogar meine beste, liebste Freundin.«
Sie zitterte beinahe vor Freude, ihm dies sagen zu können, und er lehnte regungslos am Zaune wie Einer, welcher in ruhiger Ergebenheit Sonnenschein und Blitz über sich ergehen lassen will.
»Deine liebste Freundin?« wiederholte er. »Welche Wonne ist mir das. Sie ist also Deiner nicht unwerth. So sage mir – nein, sage mir ihn noch nicht, ihren Namen. Sage mir lieber, ob ich noch andere Verwandte habe.«
»Ja, einen Cousin und dessen Frau.«
»Kennst Du auch diese?«
»Leider!«
»Du sagst leider? Sind es böse Menschen?«
»Ich muß mit Ja antworten, obgleich ich Dir nicht gern wehe thun möchte.«
»Was werde ich hören müssen!«
»Er ist ein höchst gottloser Mensch. Er ist ja schuld, daß Du verloren gegangen bist. Er hat Dich ermorden lassen wollen, um Erbe Deines Reichthumes zu sein – –«
»Reichthum? Sind die Eltern reich gewesen?«
»Sehr, sehr. Du bist der Sohn einer der ersten Familien des Landes, mein lieber Robert.«
Aus dem Tone, in welchem sie dieses sagte, klang das hellste Entzücken. Er zuckte zusammen.
»Einer der ersten Familien?« fragte er. »Herr, mein Gott! War mein Vater adelig?«
»Ja, Baron.«
»O, Du lieber, barmherziger Gott! Baron, ich Baron!«
Er jubelte nicht, er flüsterte es mehr vor sich hin. Aber sie fühlte, daß in diesem leisen Klange sich eine tiefere Seelenbewegung aussprach, als es hätte im hellsten Jubel sein können.
»Ja, mein guter, guter Robert,« sagte sie, »das ist ja das unendlich Herrliche an dieser Sache, daß ich den armen Findelknaben so innig geliebt habe, und daß er mir nun ebenbürtig ist. Ich weiß gar nicht, wohin ich mit all meinem Entzücken soll.«
»Wissen Deine Eltern es bereits?«
»Kein Wort. Aber ich muß Dir sagen, daß Vater und Mutter in unsere Liebe gewilligt haben, trotzdem sie noch nicht wissen, wer und was Du bist.«
»Die Guten! Fanny, mein Leben, wir werden sehr, sehr glücklich sein! Hier, wo mich Gott allein hört, schwöre ich Dir zu, daß ich Dich lieben und anbeten werde fort und fort als der arme Waise, den Du zu Dir emporgezogen hast. Die Größe einer solchen Liebe ist nie, nie zu vergessen!«
Er zog sie an sich und nahm ihr süßes Köpfchen an seine Brust. Sie schlang in tiefster Seligkeit die Arme um ihn und flüsterte ihm zu: »Und ich wollte beinahe, Du könntest bleiben, was Du bisher warst, nur um Dir zu beweisen, daß ich nur Dich liebe, Dich, wie Du bist, nur Deine Person!«
»Du Süße, Du Herrliche! Du bist so schön, so entzückend schön, und so lieb, so rein, so gut! Wenn ich wirklich eine Baronie bekommen sollte, ich würde sie hingeben für ein einziges freundliches Lächeln von Dir. Du bist ja mein Himmel und meine Seligkeit!«
»Aber Deinen Namen. Willst Du den nicht erfahren?«
»An Deinem Herzen vergesse ich Alles, Alles, selbst das Wichtigste. Ja, sage mir diesen Namen!«
»Du bist – ein – Baron – von – Helfenstein,« antwortete sie, jedes Wort schwer betonend.
Er fuhr empor.
»Helfenstein?« erklang es schnell und hastig.
»Ja.«
»Mein Gott! Doch nicht der Verwandte dieses verruchten Franz von Helfenstein?«
»O doch! Er ist nämlich der Cousin, den ich erwähnte.«
»Dann wollte ich, ich wäre geblieben, was ich war.«
»Warum? Er kann Deine Ehre nicht verdunkeln. Er hat Dich ermorden lassen wollen; er hat Dein Vermögen an sich gerissen, während Du in Armuth und Elend schmachtetest. Die Herzen aller Menschen, welche von Deinem Schicksale hören, werden Dir entgegenschlagen. Wolltest Du dieses Mannes wegen die Vergangenheit zurückwünschen, so müßtest Du auch auf Deine Schwester verzichten.«
»Alma von Helfenstein! Meine Schwester, Schwester, Schwester! O mein Gott, welch eine Wonne!«
Er weinte leise vor sich hin. Sie lehnte ihr Köpfchen an seine Brust, und als sie seine Thränen auf ihr Haupt tropfen fühlte, da zog sie ihr Taschentuch, um sie ihm schmeichelnd abzutrocknen.
»Nicht wahr, auf sie bist Du stolz?« fragte sie.
»Du und sie, Ihr Beide seid die herrlichsten Wesen, welche ich kenne. Weiß sie, wer ich bin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Und Baron Franz, der Mörder?«
»Auch von ihm kann ich es nicht sagen. Ich weiß nur, daß der Fürst das Geheimniß kennt und es morgen den Eltern mittheilen will.«
»Wie aber ist es gekommen, daß Du es errathen konntest?«
Sie theilte ihm mit, was nach seiner Entfernung gesprochen worden war. Jedes Wort erfüllt ihn mit Entzücken. Er merkte ja, daß er ihren Eltern auch als Bertram willkommen gewesen wäre. Endlich sagte sie: »Jetzt möchte ich wissen, ob der Fürst Dir vorher Mittheilung machen wird.«
»Natürlich.«
»O, er kann auch Dich mit uns überraschen wollen!«
Da überkam ihn ein fürchterlicher Gedanke:
»Wie nun, Fanny, wenn Du Dich irrtest.«
»Worin?«
»Daß ich es bin, von dem er sprach.«
»Da ist ein Irrthum unmöglich. Ich habe Dir seine Rede wörtlich erzählt. Zweifelst Du etwa?«
»Ich auch nicht, zumal der Name mit Deinem Medaillon ganz genau stimmt. Nun aber ist meinem Herzenswunsche Genüge geschehen; ich habe Dir mitgetheilt, was ich hörte. Bitte aber, verrathe mich nicht.«
»O gewiß nicht! Bist Du zu mir gefahren?«
»Mit Droschke. Ich werde aber nicht zurückfahren, sondern lieber gehen, denn an Deinem – aber ich will Dich doch nicht gar zu stolz machen!«
»Bitte, sprich weiter!«
»An Deinem Arme geht es sich wie im Paradiese. Wirst Du mich nach Hause begleiten?«
»Wie kannst Du fragen! Ich würde mit Dir bis an’s Ende der Welt gehen und noch weiter, durch das Fegefeuer und durch die Hölle.«
»Puh! Das wollen wir nicht. Komm, nicht so führen, als ob Du eine alte, häßliche Gouvernante zur Tafel führtest! Lege den Arm um mich, Geliebter! So! Und nun Hand in Hand so weiter und durch das Leben!« –Am andern Vormittage kam der Fürst zum Untersuchungsrichter, welcher ihn erwartete. Das Verhörzimmer lag drei Treppen hoch im Amtsgebäude. Die Fenster standen wegen der Tageswärme offen. Sie waren nicht vergittert. Man hatte wegen der hohen Lage des Locales diese Vorrichtung nicht für nöthig gehalten, da es jedenfalls keinem der Gefangenen einfiel, einen Sprung hinab zu wagen, er hätte denn wahnsinnig sein müssen.
»Sind die Acten über Robert Bertram geschlossen?« fragte der Fürst.
»Noch nicht. Es erübrigt noch eine Confrontation des Barons Franz mit dem alten Schmiede. Der Erstere will noch nicht gestehen. Es ist dies der letzte Versuch. Gesteht er auch heute nicht, so thut dies der Sache keinen Eintrag, da das Beweismaterial geradezu erdrückend ist. Ich habe nur die Frage, ob Sie sich vielleicht in ihrer ursprünglichen Gestalt als Gustav Brandt zeigen möchten.«
»Dem Schmiede?«
»Nein. Der hat Sie ja bereits gesehen. Ich meine vielmehr dem Baron.«
»Wie Sie wünschen.«
»Danke! Dann aber nicht sogleich beim Anfange des Verhöres, sondern im Verlaufe desselben, wenn der Inculpat zu leugnen fortfährt. Ich werde Ihnen das Zeichen durch einen Wink ertheilen.«
»So erlauben Sie mir, erst in’s Nebenzimmer zu gehen, um meine Vorbereitungen zu treffen.«
Er that dies, und dann, als er Platz genommen hatte, wurde der Schmied vorgeführt.
Der alte Mann war sehr zusammengefallen, machte aber noch immer den Eindruck eines trotzigen, kräftigen Willens und einer nachhaltigen Entschlossenheit.
»Ich habe Sie kommen lassen,« sagte der Richter, »um Sie noch einmal über den kleinen Robert von Helfenstein zu vernehmen. Bleiben Sie bei Ihren Geständnissen?«
»Ja.«
»So hören Sie! Ich werde Ihnen das Protocoll noch einmal vorlesen.«
Der Schmied hörte aufmerksam und in Ruhe zu. Dann wurde er gefragt:
»Wünschen Sie eine Abänderung oder eine Hinzufügung?«
»Nein. Es ist so richtig und gut.«
»Sie haben das Feuer allein angelegt?«
»Ja.«
»Auch das Kind der Botenfrau alleine aus dem Grab geholt?«
»Ja.«
»Und den kleinen Robert allein geraubt und auch allein nach der Residenz geschafft?«
»Ganz allein.«
»Ihr Sohn hat nichts davon gewußt?«
»Kein Wort.«
»Ihre Frau auch nicht?«
»Der hätte ich noch viel weniger etwas gesagt.«
Der Richter musterte ihn mit einem theilnehmenden Blicke. Dann sagte er nicht unfreundlich:
»Wolf, wir errathen Sie! Aber Sie sind Derjenige, welcher offen und ehrlich gesteht, und so will ich das Verhör nicht mit jener Strenge unternehmen, welche mir sonst leicht sein würde.«
»Ich danke Ihnen! Darf ich fragen, wie mein Sohn sich befindet?«
»Er ist wohl auf. Bis jetzt haben wir kein Material gegen ihn. Daß er damals mit Ihnen beim Baron gewesen ist, wird man ihm hingehen lassen müssen, da er nicht gesprochen hat und auch nicht gezwungen werden konnte, seinen Vater zu verrathen. Sein Schicksal braucht Sie nicht zu beunruhigen. Es steht zu erwarten, daß er fast ganz straflos ausgeht.«
Der Alte seufzte tief und erleichtert auf, warf einen dankbaren Blick auf den Sprecher und sagte: »Ihre Worte sind mir die größte Wohlthat in meinem selbstverschuldeten Unglücke. Wem ich diese Milde eigentlich verdanke, das weiß ich. Ich habe Herrn Brandt in’s Unglück gebracht, darum rettete ich ihn während des Transportes. Das will er mir nicht vergessen, mir alten Hallunken. Er hat als Fürst des Elendes mehrere Male den Versuch gemacht, mich zu retten, ich bin aber immer wieder in’s Unglück hineingetölpelt. Ich weiß, daß ich nicht mehr lange leben werde. Ich fühle es deutlich. Sollte ich noch hier bei Ihnen sterben, so grüßen Sie mir meinen Sohn und bringen Sie ihm meine letzte Bitte, daß er fortan als ehrlicher Mensch leben möge! Und nun zuletzt die Frage: Werde ich denn nicht einmal dem Hauptmann gegenübergestellt?«
»Das soll eben jetzt geschehen. Fürchten Sie sich vielleicht vor ihm?«
»Ich? Vor ihm? Ah! Fürchtet sich der Teufel vor dem Beelzebub? Er mag kommen!«
Der Untersuchungsrichter klingelte und befahl, den Baron Franz von Helfenstein vorzuführen.
Während der jetzt entstehenden Pause schweifte das Auge des Schmiedes nach den offenen Fenstern hin; seine Lippen preßten sich zusammen und über seine wetterharten Züge ging ein wildes, trotziges Leuchten.
Da trat der Baron ein.
Er sah geschwächt aus, aber auf seinem Gesichte lag ein höhnisches, schadenfrohes Lächeln. Er war gefesselt, und zwar in der Art, daß ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Man hatte ihn gewöhnlich vorn gefesselt, aber da hatte er die Möglichkeit, die Arme erheben zu können, zu allerlei Widersetzlichkeiten gebraucht. Seitdem legte man ihm die Hände auf den Rücken.
Er sah den Schmied mit keinem Blicke an, dem Fürsten aber stierte er mit teuflischem Grinsen in’s Gesicht.
»Treten Sie näher!« befahl der Untersuchungsrichter.
»Ich sagte, daß Sie näher treten sollen.«
Er blieb stehen. Da faßte der Beamte nach der Glocke und sagte in drohendem Tone:
»Ich habe Sie ohne Wächter eintreten lassen, um doch auf den Stand, welchem Sie angehörten, möglichst Rücksicht zu nehmen. Gehorchen Sie mir aber nicht, so werde ich von der mir zustehenden Disciplinargewalt Gebrauch machen. Ich rufe den Wächter und lassen Ihnen bei jeder Weigerung, mir Gehorsam zu leisten, einige Hiebe aufzählen.«
»Wagen Sie es« knirschte er.
»Pah! Ich wage nichts. Ich habe das Recht dazu.«
»Denken Sie, ich wisse nicht, daß das verboten ist.«
»Im Allgemeinen, ja. Ihr Verhalten aber hat mich veranlaßt, höheren Ortes um Instruction und Vollmacht zu bitten. Ich darf Sie prügeln lassen, so oft es mir gefällt. Treten Sie näher!«
Jetzt trat er hart an den Tisch heran.
»Ich habe Sie heute nur über den verschwundenen kleinen Robert von Helfenstein zu vernehmen. Sie haben bisher geleugnet. Sind Sie vielleicht bereit, der Wahrheit die Ehre zu geben?«
»Ja; das habe ich bereits gethan. Ich habe die Wahrheit gesagt. Erfindungen und Lügen können Sie nicht verlangen.«
»Nun gut. Hier steht der Schmied Wolf als Zeuge und Mitschuldiger. Ich werde Ihnen vorlesen, was er als offenes Geständniß hier niedergelegt hat.«
»Ich brauche nichts zu hören. Er erfindet, um mich zu verderben. Warum weiß nur er von dem Raube des Kindes und von der Leiche des Knaben der Botenfrau?«
»O, es giebt noch andere Zeugen!«
»Haha! Wen denn?«
»Zum Beispiel hier, Durchlaucht haben das Grab untersucht und leer gefunden.«
»Pah, dieser Mensch ist mein Specialfeind und lügt nur, um mich auf das Schafot zu bringen. Er hat einen förmlichen Roman gesponnen. Er mag mir Zeugen bringen. Was soll ich da früher alles gethan haben! Bringt mir den Einzigen, der mir gewachsen wäre, nämlich jenen Gustav Brandt, den Mörder! Aber Ihr wißt und findet ihn nicht. Er fürchtet sich, zu kommen, weil er der Schuldige ist.«
»Ah, wenn er nun da wäre?«
»Machen Sie nur mit mir keine Schnurren.«
»Nun wir werden ja sehen.«
Der Beamte nahm das Actenstück zur Hand, um das Protocoll zu verlesen, gab aber vorher dem Fürsten einen von dem Baron unbeachteten Wink. Der Fürst zog sein Taschentuch und legte es an das Gesicht.
Der Baron schenkte dem Vorleser nicht die mindeste Aufmerksamkeit. Dieser fragte, als er geendet hatte: »Was haben Sie dazu zu bemerken?«
»Erfindung!«
»Ihre Frau sagt ganz dasselbe aus.«
»Die ist verrückt und übrigens von dem Fürsten hier bis auf das Wort eindressirt.«
»Ich habe die auf den Schloßbrand bezüglichen Acten durchgenommen. Die damaligen Aussagen der Schloßbewohner stimmen genau mit dieser hier.«
»Bringen Sie mir diese Schloßbewohner, nicht aber ihre Aussagen. Ich wiederhole, daß Alles erfunden ist. Gerade die Schuldigen kommen nicht; darum häuft sich scheinbar das Beweismaterial gegen mich. In Beziehung auf das Frühere bleibe ich bei meinem Verlangen, mit Brandt confrontirt zu werden.«
»Das kann geschehen.«
»Oho! In Buxtehude oder Dummsdorf! Nicht wahr!« höhnte er lachend.
»Nein, hier! Da sitzt er ja!«
Er deutete auf den Fürsten, welcher das Taschentuch langsam vom Gesicht entfernte und sich ebenso langsam und stolz von seinem Sessel erhob. Der Baron starrte ihn an, wie man ein Gespenst anstarren würde.
»Brandt! Alle Teufel!« rief er.
»Mörder!« entgegnete der Angeredete.
»Ah! Brandt und der Fürst von Befour ein und dieselbe Person! Vielleicht auch der Fürst des Elendes!«
»Allerdings. Ich kam, um Dich zu fangen, Bösewicht, und ich habe Dich!«
»Oder ich Dich! Habe ich nicht die Hände frei, so habe ich doch die Füße, Du Hund!«
Er sprang auf den Fürsten zu und holte zu einem fürchterlichen Fußtritte in die Magengegend aus. Der Fürst trat schnell zur Seite, so daß er gar nicht getroffen worden wäre. Aber er hatte die Bewegung nicht nöthig gehabt, denn der Schmied hatte den Baron von hinten an beiden Oberarmen ergriffen.
Der Untersuchungsrichter griff nach der Glocke, um den Wächter herbeizurufen, aber der alte Wolf sagte: »Bitte, das ist nicht nöthig; ich bändige ihn schon!«
»So halten Sie ihn fest!«
»O, ich werde ihn nicht sogleich wieder loslassen. Aber bitte, lassen Sie mich ihm vorerst ein kleines Wörtchen sagen!«
Und sich an das Ohr des Barons beugend, knirschte er ihm in wildem Grimme zu:
»Du willst nicht beichten und bekennen. Nun wohl, so sollst Du einen Richter finden, bei dem kein Leugnen gilt! Ich muß sterben. Du hast mich elend gemacht und in den Tod geführt. Wohlan, ich gehe nicht allein. Komm mit.«
Er hob ihn hoch empor. Ein riesiger Sprung, ein Fluch, ein Schrei, und Beide waren verschwunden.
»Herrgott!« rief der Richter. »Wer konnte so Etwas denken. Sie müssen zerschmettert sein.«
Mit diesen Worten sprang er an das Fenster, der Fürst ebenso. Beide blickten hinab. Von allen Seiten liefen unten die Menschen herbei. Man hatte den Schrei gehört und den Vorgang bemerkt. Der alte Schmied lag regungslos unten auf dem Steinpflaster; der Baron aber hatte die Erde nicht erreicht. An dem gerade darunter befindlichen Fenster des ersten Stockwerkes waren eiserne Blumenbrethalter angebracht. An einem derselben hing der Baron mit den gefesselten Händen. Er brüllte wie ein wildes Thier, ob vor Schmerz, das vermochte man jetzt noch nicht zu sagen.
Der Fürst und der Untersuchungsrichter eilten hinaus und hinab. Es wurde schleunigst eine Leiter geholt, um den Baron von dem Eisen abzulösen. Jetzt zeigte es sich, daß er neuerdings schrecklich verletzt war. Die beiden hinten zusammengebundenen Arme waren hängen geblieben und ihm nach hinten so emporgezogen worden, daß sie vollständig aus den Achseln gedreht waren. Es wurde sogleich nach dem Arzte geschickt. Was den alten Schmied betrifft, so war er erlöst. Er lag mit zerschmettertem Schädel auf dem Pflaster. Der Tod war sofort eingetreten.
»Ich bin untröstlich, Durchlaucht!« sagte der Untersuchungsrichter.
»Weshalb denn wohl?«
»Man wird mir die Schuld beimessen.«
»O nein! Wer konnte das denken!«
»Ah, ich kenne Ihr Lächeln! Sie haben es sich gedacht.«
»So nicht. Daß der Alte den Tod suchte, um seinen Sohn zu retten, der nun Alles auf den Vater schieben kann, das dachte ich mir; aber daß er mit dem Baron von da oben herabspringen würde, davon konnte Niemand eine Ahnung haben.«
»Das Schlimmste ist die Verletzung des Barons. Er wird unfähig zum Verhör, und so bleibt die Untersuchung eine Ewigkeit ruhen. Vielleicht stirbt er gar!«
»Ich denke das Gegentheil.«
»Wieso?«
»Die Arme ausgedreht, das muß entsetzlich sein. Wer weiß, ob sie wieder eingerichtet werden können. Jedenfalls hat er die Schmerzen einer ganzen Hölle auszustehen, und ich hoffe, daß gerade diese Qualen ihn veranlassen werden, der Sache durch ein unumwundenes Geständniß ein schnelles Ende zu machen.«
»Das gebe Gott! Er ist überführt; aber sein Leugnen macht uns großartige Mühe und Beschwerden und verzögert den Gang der Sache in’s Unbestimmte. Aber, Durchlaucht, Ihr Gesicht!«
»Ach ja, ich stehe ja als Brandt hier!«
Er eilte hinauf, um Toilette zu machen und kam bald wieder als Fürst von Befour herab. –
Er begab sich nach Hause, aber nicht in sein Palais in der Palaststraße, sondern nach dem Häuschen in der Siegesstraße, in welchem seine Eltern wohnten. Er fand Robert Bertram in seiner Wohnung. Der junge Mann hatte bei einem Buch gesessen, aber nicht lesend sondern mit offenen Augen träumend. Sein Gesicht hatte den zufriedensten und glücklichsten Ausdruck, den es nur geben kann.
»Heute ist Ihr Geburtstag?« fragte der Fürst lächelnd.
»Mein Geburtstag? O, den kenne ich gar nicht!«
»Ich dachte, weil Sie ein so festliches Gesicht machen.«
»Hm! Ich bin bei guter Laune.«
»Wohl wegen der Lectüre hier? Was lesen Sie Schönes?«
»Es ist ein Lehrbuch der Geometrie.«
»O weh! Darüber pflegt man doch nicht in solche Verzückung zu gerathen!«
»Allerdings nicht. Ich dachte an gestern Abend.«
»Und da freuen Sie sich, daß Sie hinauscomplimentirt worden sind?«
»Ja, denn ich hoffe, daß man mich einladen werde, wieder zu kommen.«
»So waren Sie heute früh nicht dort?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich hatte von Ihnen keine Anweisung dazu erhalten.«
»Mein gestriger Wink war deutlich genug. Uebrigens hatten Sie als Hausfreund die Verpflichtung, sich nach dem Befinden des Fräuleins zu erkundigen. Wir werden das jetzt mit einander thun und also hinfahren. Vorher aber muß ich Sie allen Ernstes fragen, ob es denn wirklich zu einer Erklärung zwischen Ihnen und Fräulein Fanny gekommen ist.«
»Allerdings.«
»Wie, Sie wagen sich an diese Dame?«
Robert erklärte lachend:
»Oder vielmehr, sie wagte sich an mich. Ich habe sie allerdings herzlich lieb; aber ich kannte die zwischen ihr und mir bestehende Schranke nur gar zu gut und war daher entschlossen, über meine Gefühle das tiefste Schweigen zu beobachten. Sie aber trieb mich aus der Reserve.«
»Das ist allerdings ein Zeichen, daß Sie von ihr wahr und innig geliebt werden. Sie sind ein glücklicher Mensch, Robert. Aber welche Hoffnung haben Sie denn für die Zukunft. Jetzt können Sie doch nicht denken, daß Sie einst der Gemahl dieser Dame sein werden.«
»O, ich denke es dennoch und verlasse mich dabei auf Drei, nämlich auf Gottes Beistand, auf Ihre Hilfe und auf meine eigene Anstrengung.«
Der Fürst klopfte ihm gerührt auf die Achsel und sagte:
»Recht so! Das sind Drei, auf die Sie sich verlassen können. Gott wird Sie schützen, Sie meinen es gut, und was ich thun kann, das werde ich gern thun und auch bald, vielleicht sogar schon heute. Kommen Sie!«
Der Wagen war vorgefahren, und sie stiegen ein. Robert hatte sich dem Fürsten gegenüber nichts merken lassen, aber es war ihm jetzt, als ob er dem großen Loose entgegenfahre.
Als sie vor dem Thore des Obersten hielten, blickte Robert zu den Fenstern empor. Da oben stand seine Fanny strahlenden Angesichts neben Alma von Helfenstein.
Steckte die Letztere mit dem Fürsten im Bunde? so fragte sich Robert. Wußte sie, daß er ihr Bruder sei?
Natürlich wußte sie es. Der Fürst war übrigens heute bei ihr gewesen und hatte sie über den gestrigen Vorgang unterrichtet. Er hatte sie gebeten, zu dem Obersten zu kommen, weil da das Geheimniß Robert Bertrams gelöst werde.
Sie hatte heute ihre junge Freundin Fanny, welche ja nun ihre Schwägerin werden sollte, mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit begrüßt, und als sie sich dann für einige Augenblicke allein befanden, so fragte sie: »Also der Fürst ist zum Diner geladen. Wird er vielleicht Robert Bertram mitbringen?«
Fanny antwortete erröthend:
»Ich weiß es nicht bestimmt, möchte es aber wünschen.«
»Ah, Sie wünschen es besonders? Darf ich vielleicht errathen, daß dieser Wunsch aus dem Herzen kommt?«
Fanny warf sich der Freundin in die Arme und sagte, indem schnelle Thränen ihre Augen füllten: »Was auch kommen möge, nicht wahr, Sie werden mir Ihre Freundschaft stets bewahren?«
»O, liebes Kind, nicht nur die Freundschaft, sondern meine Liebe. Lassen Sie uns Schwestern sein!«
Als nun jetzt der Fürst mit Robert eintrat, standen die beiden Damen nebeneinander, die dunkel glühende Nacht des Südens und der helle, goldene Sonnenstrahl. Es gab eine eher herzliche als freundliche Begrüßung, und dann trat der Oberst ein.
»Aber, Durchlaucht,« scherzte er, »jetzt ist doch von einem Mittagessen, zu welchem Sie geladen sind, noch keine Rede. Es sind noch zwei Stunden bis dahin.«
»So warten wir. Die Damen werden dafür sorgen, daß wir nicht die Minuten zählen.«
»So werde ich sogleich auch meine Frau rufen. Die paßt dazu ganz vortrefflich, da sie gar nicht zählen kann.«
Bald saß man in traulichem Gespräch beisammen. Aber dem Oberst dauerte es zu lange, ehe die Entwicklung begann. Er rückte auf seinem Sitze hin und her und wagte es endlich sogar, den Fürsten zu erinnern: »Durchlaucht, bitte, bitte!«
»Was, bester Oberst?«
»Na, thun Sie nur nicht, als ob Sie es nicht wüßten. Ich meine Ihr Versprechen.«
»Von wegen dem jungen Baron Robert von – – –?«
»Ja. Aber, bitte, ist Fräulein von Helfenstein in das Geheimniß eingeweiht?«
»Ja. Ich habe heute morgen die Ehre gehabt, mit ihr zu sprechen. Es handelt sich vorerst aber darum, unsern Herrn Bertram vorzubereiten.«
Bertram blickte lächelnd zu ihm auf. Der Fürst fuhr fort:
»Es hat sich nämlich herausgestellt, daß Fräulein Fanny zwei Anbeter hat.«
Robert nickte sehr vergnügt. Darum fragte der Fürst:
»Das scheint Ihnen gar nicht sonderbar vorzukommen?«
»Ganz und gar nicht! Es sollte mich überhaupt wundern, wenn sie nur von Zweien angebetet würde!«
»Ach so! Ich spreche aber nämlich von zwei bevorzugten Anbetern. Der eine sind nämlich Sie, und der Andere ist ein gewisser Baron Robert von Helfenstein.«
»O weh!« lachte Robert.
»Eine Klage? Und dazu lachen Sie?«
»Ich kenne auch keinen Grund zum Weinen. Er müßte erst später kommen.«
»Das dürfte sehr leicht möglich sein. Der Herr Oberst wünscht nämlich, daß Fräulein Fanny heute, jetzt zwischen diesen Zweien entscheide.«
»Ah! Hat das solche Eile?«
»Aus gewissen Gründen, ja. Sie sind jetzt hier, um Ihr Urtheil zu empfangen. Wollen Sie sich vielleicht an die Dame wenden?«
Jetzt zwang Robert sich zu einem ernsthaften Gesichte und antwortete dem Fürsten:
»Ich darf natürlich Herrn von Hellenbach nicht fragen, was ihn zu einem solchen Verhalten drängt, und ebenso wenig möchte ich mir mein Schicksal selbst erfragen. Da überhaupt gesagt worden ist, daß eine Entscheidung stattfinden soll, so ist diese Entscheidung also möglich. Wo aber eine Entscheidung möglich ist, da ist das Herz zwischen Zweien getheilt. Ich aber verlange ein ganzes, volles, ungetheiltes Herz, und darum verzichte ich überhaupt – Fräulein Fanny, heirathen Sie den genannten Baron Robert von Helfenstein!«
Jetzt blickten die anderen gespannt auf das reizende Mädchen. Diese zuckte wie bedauernd oder gar verächtlich die Achseln und antwortete: »Ich glaube, Herr Bertram, daß Sie sich in mir geirrt haben. Sie sind mir einige Male sehr nützlich gewesen; das giebt Ihnen aber noch lange kein Recht, auf Etwas meinerseits zu rechnen, was mehr als Dankbarkeit sein würde. Sie sind zwar Dichter, aber doch von bürgerlichem Herkommen, während ich mich Baronesse nennen darf und mein Vater überdies Oberst, also Stabsoffizier ist. Die Erwartungen, welche Sie, wie es scheint, bisher gehegt haben, sind mehr als kühn zu nennen und konnten unmöglich in Erfüllung gehen. Wenn also vorhin von einer Wahl die Rede war, so ist dies ein ganz unpassender Ausdruck gewesen. Ich habe nicht zu wählen, wenigstens nicht zwischen Ihnen und einem Anderen. Der Andere steht mit mir auf derselben gesellschaftlichen Stufe, und so versteht es sich ja ganz von selbst, da es seitens meiner Eltern wirklich so dringend gewünscht wird, daß ich die Frau eines Mannes sein soll.«
Diese Worte erregten allseitige Bestürzung.
»Fanny!« sagte die Oberstin. »Ich begreife Dich nicht! Das ist ja hart; das ist sogar gefühllos!«
Und ihr Vater meinte kopfschüttelnd:
»So habe ich Dich noch nie gesehen. Herr Bertram hat es nicht um Dich und uns verdient, daß Du ihn in dieser Art zurückweist. Man kann doch wenigstens höflich sein!«
Der Fürst war beinahe zornig geworden. Er bemerkte:
»Gestern Abend, als ich dort unter der Thür stand, hätte ich nicht geahnt, daß Ihnen solche Worte möglich seien. Ich stehe da vor einem psychologischen Räthsel. Ich hatte allerdings die Absicht Ihnen den Baron von Helfenstein vorzustellen, werde das nun aber nicht thun. Es kann nicht meine Absicht sein, ihn an der Seite eines herzlosen Weibes unglücklich werden zu lassen. Kommen Sie, Robert, wir wollen gehen.«
Es war wirklich seine Absicht, ihr zu verschweigen, daß Robert der erwähnte Baron sei. Er verbeugte sich, um zu gehen, und Bertram that dasselbe. Da aber machte Fanny eine abwehrende Handbewegung und sagte: »Bleiben Sie noch einen Augenblick, Durchlaucht! Ich sagte Ihnen gestern Abend, daß Ihnen Ihre Absicht nicht gelingen werde. Erinnern Sie sich noch dieser Worte?«
»Ja.«
»Allerdings nicht.«
»Nun, Sie wollten mich in Versuchung führen!«
»Gewiß nicht.«
»So war es ein kleiner Theatercoup, welchen Sie beabsichtigten. Sie wollten uns mit einer großen Neuigkeit überraschen. Aber ich bin Ihnen zuvorgekommen. Ich bin gestern, als meine Eltern mich schlafend glaubten, noch einmal ausgegangen.«
»Doch nicht!« sagte ihre Mutter.
»Ja, gewiß, liebe Mama.«
»Mein Gott! So spät! Und wohl gar allein?«
»Freilich. Ich durfte Niemand mitnehmen. Rückwärts freilich war ich nicht allein, da hatte ich einen sehr, sehr liebenswürdigen Begleiter.«
»Das ist wahr, es passiren Unmöglichkeiten! Bei wem bist Du denn gewesen, Du Unvorsichtige?«
»Bei Herrn Bertram hier.«
»Aber weshalb denn?«
»Um ihm zweierlei zu sagen. Nämlich erstens, daß ich ihn heirathen werde, und zweitens – –«
»Ich glaube, Du redest irre, Mädchen!« rief der Oberst. »Soeben hast Du ihm den Korb gegeben, und jetzt – –«
»O bitte! Und zweitens wollte ich ihm sagen, daß er nicht Bertram heißt, sondern Helfenstein, Baron Robert von Helfenstein.«
»Alle Teufel!« rief der Vater erstaunt.
»Wie? Helfenstein? Wäre das die Möglichkeit?« fragte die Mutter, die Hände verwundert zusammenschlagend.
»Ja. Fragt nur die Beiden hier, den Fürsten und die gute, leider aber so verschwiegene Freundin Alma!«
»Woher wissen Sie es?« fragte der Fürst verwundert.
»Von Ihnen.«
»Von mir? Ich habe Ihnen ja kein Wort gesagt!«
»Direct nicht. Aber aus dem, was Sie gestern Abend sagten, zog ich meine Schlüsse. Robert besitzt mein Herz schon längst. Als ich hörte, daß er Baron sei, fühlte ich mich zunächst nicht sehr erfreut. Ich hätte ihm als armen Dichter meine Liebe ja viel besser beweisen können. Da es aber einmal so war, so sollte er sein Glück so schnell wie möglich erfahren; darum ging ich zu ihm. Und nun sehen Sie ein, Durchlaucht, warum ich Robert Bertram den Korb gebe und Robert von Helfenstein wähle. Ihr Theatercoup ist also mißlungen!«
»Weil Sie selbst eine so große Schauspielerin sind,« antwortete er lächelnd.
Jetzt war er befriedigt. Er durfte wieder an das schöne Mädchen glauben, dessen Eltern sich übrigens nicht genug darüber wundern konnten, daß aus dem armen Bertram auf einmal ein Baron und Millionär geworden war.
Größer als die Verwunderung aber war Alma’s Glück, endlich den Bruder umarmen zu können. Sie lagen sich Herz an Herz und weinten Thränen des Glückes und doch auch des Schmerzes darüber, daß sie für so lange Zeit auseinander gerissen gewesen waren.
Natürlich legten der Oberst und seine Frau die Hände der beiden Liebenden mit größter und herzlichster Bereitwilligkeit in einander, und als dann die Aufregung der Gefühle sich gelegt hatte und man zum Mahle ging, war es ein Festmahl, wie so froh und glücklich es hier noch keins gegeben hatte.