»So kommen Sie mit zu mir.«
»Ich kann ja – – kann ja nicht gehen.«
»Soll ich Sie tragen?«
»Nein, nein!« antwortete sie rasch und unter erkünsteltem Schreck. »Nicht tragen!«
»So müssen Sie also doch gehen. Versuchen Sie es wenigstens. Bitte, ich werde Sie stützen.«
Er reichte ihr den Arm und half ihr, sich von dem Steine zu erheben.
»Nicht wahr, es geht?« fragte er.
»Sehr schwer! Ah, der Schmerz!«
»Stützen Sie sich nur fester auf mich! Kommen Sie!«
Sie hing schwer in seinem Arme, den er jetzt um ihre Taille legte. Schritt um Schritt, sie ächzend und er sie tröstend und ermuthigend, gingen sie nach der Thür und traten ein. Er schob den Riegel vor.
»Wohin nun?« fragte sie.
»Nach oben.«
»Gott! Diese Treppe hinauf?«
»Ja.«
»Ist denn unten kein Zimmer?«
»Kein einziges. Sie müssen es schon versuchen.«
»So sterbe ich vor Schmerz.«
Es dauerte lange, sehr lange, bevor sie die Treppe überwanden und die Stube erreichten. Dort fiel sie ganz ermattet auf das Kanapee.
»Jetzt hole ich Essig,« sagte er.
Er ging hinaus. Sofort veränderte sich ihr Gesicht. Es zeigte sich ein höhnisches Lachen auf demselben, und sie flüsterte: »Dummer Mensch! Welch ein Loch dies hier ist! Aber Geld, ich brauche Geld!«
Er kam mit einer Schüssel zurück, in welche er Essig gegossen hatte.
»Hier, meine Gnädige!« sagte er. »Da sind auch Tücher zum Umschlag. Soll ich es machen?«
»Ja. Ich kann es ja doch nicht.«
»Aber der Schuh! Den müssen Sie ausziehen.«
»O weh! Daran dachte ich nicht. Der wird wohl nicht herabgehen.«
»Versuchen wir es! Erlauben Sie?«
»Ich muß wohl, wenn ich den Schmerz los sein will!«
Er kniete vor ihr hin und nahm ihr kleines Füßchen in die Hand. Sobald er es berührte, schrie sie vor Schmerz auf. Und als er zu ziehen begann, konnte sie es kaum aushalten. Sie wimmerte zum Erbarmen und ließ dann gar den Kopf sinken. Als er den Schuh in der Hand hatte, lag sie ohnmächtig auf dem Kanapee.
»Das Bewußtsein verloren!« sagte er. »O, sie wird schon wieder zu sich kommen. Jetzt zunächst den Umschlag!«
Er zog ihr auch den Strumpf aus. Die Lampe beleuchtete ein kleines, alabasternes Füßchen. Er drückte wieder und immer wieder seine Lippen darauf.
»Man sieht keine Geschwulst!« meinte er. »Oder sollte der Fuß eigentlich noch kleiner sein als jetzt?«
Er tauchte ein Tuch in den Essig und legte es um den Fuß. Sie bewegte sich nicht. Er stand auf und horchte an ihrem Mund.
»Kein Athem!« sagte er. »Na, todt ist sie nicht. Eine Ohnmacht ist nicht gefährlich, mir kommt sie sogar ganz gelegen.«
Er verschlang das reizende Mädchen mit gierigen Augen. Er legte den Arm um sie, sich auf das Kanapee setzend, zog ihren Kopf empor und küßte sie.
»Endlich, endlich, endlich!« sagte er. »Ah, wenn sie es wüßte. Was würde sie sagen! Und doch gäbe ich Alles, Alles her, wenn sie mein sein wollte!«
Er hielt sie umschlungen und drückte sie fest, fest an sich. Dann, als die Ohnmacht doch gar zu lange dauerte, öffnete er ihr das Kleid, damit die Brust freier athmen könne. Das half. Ihr Busen bewegte sich; er fühlte das mit der Hand. Und bald hörte er auch ihren Athem gehen.
Er dachte nicht daran, sie aus seiner Umarmung zu lassen. Er vergaß Alles. Er sah sie vor sich, so schön, so verführerisch, und er fühlte nichts Anderes als nur das Verlangen, dieses Glück vollständig auszukosten.
Da begann sie, sich zu bewegen. Ihre Augen blieben geschlossen, aber ihre Lippen bewegten sich.
»Wo bin ich?« fragte sie leise.
»Bei mir,« antwortete er.
»Bei Dir!« flüsterte sie.
Dabei flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Das riß ihn hin, so daß er seinen Mund auf den ihrigen legte, um sie zu küssen und immer wieder zu küssen.
»Du Lieber, Lieber!« hauchte sie.
Er fühlte, daß sie seine Küsse erwiderte. Das raubte ihm fast die Besinnung. Er hätte laut aufjubeln mögen, that es aber doch nicht. Sie war noch nicht völlig bei Besinnung. Sie hielt ihn jedenfalls für einen Anderen, und er wollte diese für ihn so angenehme Täuschung nicht gewaltsam beendigen.
Endlich schlug sie langsam die Augen auf. Ihr Blick ruhte erst ganz ausdrucklos in seinem Gesichte; dann kam Leben in das Auge. Sie erkannte ihn. Sie schrak zusammen und wollte sich ihm entziehen. Er aber hielt sie fest.
»Wer – wer sind Sie?« fragte sie ungewiß.
»Ich bin es, ich!« antwortete er, sie wiederholt an sich drückend.
»Wo – wo bin ich?«
Ihr Blick irrte erstaunt in der Stube umher.
»Bei mir, Du herrliches Mädchen!«
»Bei Dir – bei Ihnen! Herrgott!«
Jetzt fuhr sie auf, um sich von ihm los zu machen.
»Nein,« sagte er, »nein! Ich lasse Sie nicht! Sie müssen liegen bleiben, hier an meinem Herzen!«
»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich gehen!«
Sie sträubte sich; sie gab sich scheinbar alle Mühe, von ihm loszukommen – vergebens. Seine Kraft war der ihrigen überlegen. Sie wurde matt und matter und ließ endlich die sich nutzlos wehrenden Arme sinken.
Er benutzte diese scheinbare Ergebung zu allen Zärtlichkeiten. Sie ließ dieselben über sich ergehen. Plötzlich aber bemerkte sie, daß er ihr Kleid geöffnet hatte. Da schob sie ihn mit ungeahnter Kraft von sich, so daß er seine Arme von ihr lassen mußte.
»Was ist denn mit mir?« fragte sie. »Was ist geschehen? Träume ich denn, oder habe ich geträumt?«
»Es ist kein Traum, sondern es ist Wirklichkeit,« antwortete er. »O, Geliebte, wie glücklich fühle ich mich!«
Sie starrte ihn entsetzt an.
»Geliebte?« fragte sie.
»Ja, Du bist meine Heißgeliebte! Dir gehört mein Leben und Alles, was ich habe und was ich bin.«
»Ist’s möglich! Wo bin ich? Wie kam ich hierher zu Ihnen? Sie haben mich – –«
Sie wollte aufspringen, sank aber mit einem Schmerzesschrei auf das Sopha zurück.
»Schmerzt er noch?« fragte er zärtlich.
»Jetzt, jetzt weiß ich es. Dieser Schmerz bringt mich zum Bewußtsein. Ich hatte mir den Fuß vertreten – –«
»Und Sie kamen zu mir, um mich um meine Hilfe zu bitten. Ich führte Sie hierher. Sie wurden ohnmächtig, und ich habe Ihnen unterdessen einen Umschlag gemacht.«
Sie zuckte vor Schreck zusammen.
»Umschlag? Sie? Ein Herr! O, Sie haben sogar den Strumpf entfernt, wie ich bemerke!«
»Mußte ich nicht?«
»Nein, Sie mußten nicht! Und dann habe ich gefühlt – gestehen Sie, Sie haben mich geküßt!«
»Ja,« meinte er aufrichtig.
Ihr Auge blitzte vor Zorn.
»Welch eine Frechheit!«
»Verzeihung! Wer kann Ihnen widerstehen!«
»Sie haben mein Vertrauen mißbraucht. Das ist schändlich. Und hier – ah, wer hat Ihnen erlaubt, das Kleid zu öffnen?«
»Sie waren ohnmächtig; ich mußte Ihnen Luft verschaffen.«
»Lieber hätten sie mich sterben lassen sollen! Was soll ich denken; was soll ich thun! Welch eine Beleidigung! Mein Vater wird mich rächen, er mag Genugthuung verlangen. Ich eile sofort nach – o weh, o weh!«
Sie hatte abermals aufspringen wollen, brach jedoch wieder zusammen.
»Bleiben Sie ruhig sitzen!« sagte er. »Sie können ja doch nicht fort. Ich aber werde gehen, um Hilfe, um einen Wagen für Sie zu holen.«
»Nein, bleiben Sie! Ich mag nicht allein hier sein. Ich fürchte mich zu Tode.«
»Was aber soll ich da bei Ihnen? Sie zürnen doch!«
»Habe ich nicht Ursache dazu? Ehe ich mich hierher führen ließ, sagten Sie, Sie wollten tausend Eide schwören, daß ich nichts zu befürchten habe, und nun haben Sie mich betrogen und mir Alles geraubt.«
»Geraubt?« fragte er erstaunt.
»Ja doch!«
»Alles? Was meinen Sie?«
»Meine Ehre. Ist das nicht Alles!«
»Ich habe nicht im Mindesten gegen Ihre Ehre gesündigt.«
»Was! Sie leugnen?«
»Ich sage die Wahrheit.«
Da erröthete sie und sagte, sich halb abwendend:
»Ah, Sie verstehen mich falsch! Sie haben einen anderen Begriff von Ehre als ich. Wenn Sie ohne Erlaubniß eine Dame berühren, so verletzen Sie ihre Ehre. Und wissen Sie, was dann diese Dame verlangen kann?«
»Die Herstellung ihrer Ehre.«
»Was ist da zu thun?«
»Ah, Sie wissen nicht, in welcher Weise die verletzte Ehre einer Dame restituirt wird?«
»Doch durch die Vermählung?«
»Sehen Sie, daß Sie es wissen! Ich könnte verlangen, daß Sie sofort erklären, mich – – oh, diese Beleidigung ist wirklich zu groß.«
»Gnädiges Fräulein, ich bin bereit, es gut zu machen.«
»Das können Sie nicht.«
»O, ich kann es und will es!«
»Das ist unmöglich. Eine Dame, welche in der Weise von einem Manne berührt wurde, wie Sie mich berührt haben, kann niemals einem Anderen gehören.«
»Gott, das wünsche ich ja!« rief er aus.
»Ah, Sie meinen, ich solle – – Ihre – –?«
»Meine Frau sein!«
»Ihre Frau! Jetzt weiß ich es, warum Sie mich hierher gelockt haben. Ich habe Sie abgewiesen, bin Ihnen aber heute willenlos in die Hände gefallen. Sie sind ein Bösewicht!«
Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet, zumal er die Widersprüche, derselben gar nicht bemerkte. Ihr Zorn erhöhte nur ihre Schönheit. Er war hingerissen; er ergriff ihre Hand und sagte: »Verzeihen Sie mir! Was ich that, das that ich aus Liebe!«
»Sie haben mich verrathen und betrogen. Wie kann ich Ihnen verzeihen? Sie können mir nicht zurückgeben, was Sie mir genommen haben!«
»Ich kann es. Sie sagten, daß eine Dame keinem Anderen angehören könne – –«
»Ja.«
»Nun, so ist das auch bei Ihnen der Fall?«
»Ja. Sie haben mich um meine ganze Zukunft betrogen. Was können Sie mir dafür bieten?«
»Mich.«
Sie zuckte verächtlich die Achsel.
»Sich! Was ist das? Wer ist das? Wer sind Sie? Kein Mensch weiß das!«
Sein unschönes Gesicht wurde noch ernster als vorher.
»Sie spotten über mich,« sagte er, »aber mit Unrecht. Ich bin vielleicht mehr, als Sie vermuthen. – Ich bin reich; reicher, als Sie vielleicht glauben werden!«
»Pah! Ihren Reichthum erkennt man aus der Art und Weise Ihrer Einrichtung hier.«
»Der Schein trügt!«
»Sie täuschen mich nicht. Ja, der Reichthum vermag viel; er kann sogar Liebe erwecken. Wenn ein Mann das Wesen, welches er liebt, mit Glanz und Glück zu umgeben vermag, so wird Vieles vergessen und viele andere Ansprüche können sinken. Es kann die Tochter eines aristokratischen Hauses sich entschließen, sein Weib, sein liebendes Weib zu werden, aber – reich muß er sein, reich!«
»Lassen Sie sich nicht auslachen!«
Er war vom Sopha aufgestanden. Er stand vor ihr und sog ihren Anblick mit wahrem Seelendurst in sich ein. Was sie sagte, machte ihn trunken. Also nur reich brauchte er zu sein, um sie zu besitzen!
»Sagen Sie, würden Sie mir gehören, wenn ich wirklich reich genug wäre?« fragte er.
»Wenn Sie es genug wären, ja,« antwortete sie.
»Wieviel müßte ich haben? Wieviel verlangen Sie?«
»Wer kann da Ziffern angeben!«
»Sie können mir ja gar nicht anders als in Ziffern antworten. Wie reich müßte Ihr Verlobter sein?«
»Fragen Sie lieber, wie kostbar sein Verlobungsgeschenk sein müßte!«
»Nun gut, so will ich so fragen.«
»Auch da ist schwer zu antworten. Gesetzt, ich sollte Sie lieben und Ihnen angehören, welche Summe würden Sie an das Verlobungsfest wenden?«
»Fünf – nein, zehntausend Gulden.«
Sie blickte entrüstet auf ihn.
»Und Sie glauben, daß ich Ihnen für zehntausend Gulden sogleich um den Hals falle, Sie herze und küsse und Ihr Eigen bin und bleibe für’s ganze Leben?«
»Nun gut! Ich würde zwanzigtausend sagen.«
»Wie splendid!«
»Sie spotten? Wissen Sie, welch eine Summe zwanzigtausend Gulden sind?«
»Pah! Wissen Sie, was es heißt, die Reize und Schönheiten einer Frau bis zum Entzücken genießen zu können?«
Sie hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt und blickte ihn mit einem hinreißenden Ausdrucke an. Da antwortete er schnell: »Dreißigtausend Gulden für dieses Entzücken!«
»Spaß!«
»Ist auch das nicht genug?«
»Es könnte genügen. Wer seiner Braut so viel schenkt, hat auch so viel, wie er braucht, um Noth und Sorge von ihr fern zu halten. Aber hier scherzen wir ja nur.«
»Scherzen? Ich spreche im Ernste.«
»Pah! Spielen wir nicht Theater!«
»Bei Gott, es ist mein Ernst! Hören Sie! Ich liebe Sie rasend. Ich bin bereit, Alles zu thun, um Ihre Gegenliebe zu erringen. Ich will Ihnen dienen und Ihnen gehorsam sein wie ein Sclave. Ich will Ihnen zu Füßen legen Alles, was ich besitze. Wollen Sie sich als meine Verlobte betrachten und mir das schriftlich und durch Handschlag und Kuß versichern, so lege ich Ihnen die erwähnte Summe zu Füßen.«
»So bin ich fast neugierig, zu sehen, ob Sie Wort zu halten vermögen.«
»Warten Sie!«
Er ging in die Schlafstube. Sie hörte Schlüssel rasseln und Eisen klirren. Dann kehrte er zurück und legte ein Päcktchen Banknoten vor sie hin.
»Zählen Sie nach,« sagte er. »Es sind dreißig Tausendguldennoten.«
Sie zählte. Ihre Hände zitterten. Ihre Wangen waren blaß. Sie hatte, was sie sich gewünscht hatte, ja noch fünftausend mehr, aber um welchen Preis! Doch schwebte ihr der Gedanke vor, daß es ihr ja mit dieser Verlobung gar nicht ernst sei. Die Hauptsache war das Geld. Nur erst mit dem Gelde hier zum Thurme hinaus! Das Andere würde sich später finden.
»Stimmt es?« fragte er.
»Ja.«
»Sie sehen, daß ich Wort gehalten habe. Was werden nun Sie thun?«
»Auch Wort halten.«
»Ah! Sie sind meine Verlobte?«
»Ja.«
Da riß er sie an sich und schlang die Arme um sie, als ob er sie erdrücken wolle. Sie duldete nicht nur diese Umarmung, sondern sie erwiderte dieselbe. Sie küßte ihn freiwillig und flüsterte ihm zärtliche Ausdrücke zu, um nur ja keinen Argwohn in ihm aufkommen zu lassen.
Der scheinbar verletzte Fuß war ganz vergessen. Sie saßen eng verschlungen neben einander. Doch trotz seines Glückes brachte er dann doch einen Bogen Papier zum Vorschein, auf welchem sie sich als seine Verlobte erklären mußte.
»Was wird Dein Vater sagen?« fragte er.
»Er darf die Thatsache nicht sofort erfahren,« antwortete sie. »Es würde ihn zu sehr treffen. Er hatte ganz andere Pläne mit mir.«
»Du meinst, daß unsere Verlobung noch geheim bleiben soll?«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Zwei Monate, wollen wir sagen.«
»Gut; aber länger warte ich nicht. Da aber fällt mir Dein Fuß ein. Schmerzt er noch sehr?«
»Nicht so sehr wie vorher. Der Umschlag hat geholfen.«
»Soll ich ihn erneuern?«
»Nein. Man wird daheim in Sorge um mich sein; ich muß fort.«
»Aber Du kannst doch unmöglich gehen!«
»Vielleicht doch, ich will es versuchen.«
Sie trat auf, und siehe da, es ging. Sie heuchelte zwar noch Schmerz, erklärte aber, daß sie glaube, keinen Wagen zu brauchen. Als sie nach dem Strumpfe griff, sagte er: »Bitte, laß das mir! Was ich Dir ausgezogen habe, kann ich Dir auch wieder anziehen.«
Sie gewährte ihm auch noch diese Vertraulichkeit. Das Geld hatte sie ja erhalten. Dann wollte sie sich verabschieden. Er aber bestand darauf, sie zu begleiten. Sie durfte dieses Anerbieten nicht zurückweisen und hinkte nun an seinem Arme dem Gute zu. Am Garten blieben sie stehen, um Abschied zu nehmen.
»Wann sehe ich Dich wieder?« fragte er.
»Das weiß ich jetzt noch nicht.«
»Bitte, recht bald! Vielleicht morgen? Darf ich wohl hierher kommen und Dich erwarten?«
»Nein, das wäre unvorsichtig, mein Lieber. Ich komme lieber zu Dir. Das bemerkt Niemand.«
»Schön! Wann darf ich Dich erwarten?«
»Sobald ich kann. Jetzt weiß ich es noch nicht.«
»So bitte ich wenigstens, meine Geduld nicht gar zu lang zu peinigen!«
»Ich werde das Möglichste thun. Aber jetzt noch Eins: Du kennst mich, ich aber noch nicht Dich.«
»In dieser Beziehung zahle ich Dir gleiche Münze zurück. Du mußt warten. Ich bin ein Anderer, als ich scheine. Du wirst das Richtige an dem Tage erfahren, an welchem unsere Verlobung veröffentlicht wird. Welches Geschenk wirst Du Dir für die dreißigtausend Gulden kaufen?«
»Einen Diamantschmuck natürlich.«
»Dachte es mir.«
»Ich werde ihn an dem erwähnten Tage zum ersten Male anlegen. Gute Nacht.«
»Schlafe wohl, mein Leben!«
Noch ein Kuß, und dann eilte sie fort. Als sie sich aber in gehöriger Entfernung von ihm befand, blieb sie stehen, holte tief Athem und sagte: »Welche Scenen! Gräulich! Aber schön bin ich, und der Eindruck weiblicher Schönheiten muß auf die Männer doch ein ungeheurer sein, da selbst Geizhälse solche Summen bezahlen. Natürlich ist es aus; er darf mich nie mehr berühren.«
In ihrem Zimmer nahm sie die übrigen fünftausend Gulden für sich weg. Dann suchte sie ihren Vater auf.
»Du warst fort,« sagte er. »Etwa bei ihm?«
»Ja.«
»Mit welchem Erfolge?«
»Mit diesem.«
Sie gab ihm das Geld in die Hand. Er fuhr vor Schreck zusammen, allerdings vor freudigem Schreck.
»Wie ist das möglich!« rief er aus. »Die ganze Summe, baar erhalten! Wie hast Du das angefangen?«
»Das ist vorläufig noch Geheimniß.«
»Deinem Vater gegenüber?«
»Hm! Du hast recht. Es ist Unsinn, heimlich zu thun. Dieses Geld ist mein Verlobungsgeschenk von ihm.«
»Um Gottes willen!«
»Ist das so fürchterlich?«
»Verlobung? Das kann unmöglich sein!«
»Es soll auch nicht sein. Ich halte ihm nicht Wort.«
»Aber er hat Dein Wort?«
»Sogar schriftlich.«
»Welch’ eine Unvorsichtigkeit!«
»Laß’ es gut sein! Wir müssen das Geld haben; die Sache wird sich arrangiren lassen.«
»Wenn Hagenau etwas erfährt!«
»Er erfährt kein Wort.«
»Er kommt morgen ganz sicher. Ich bin neugierig, wie er Dir gefallen wird.«
»Entzückt werde ich nicht gerade von ihm sein. Ich hörte, daß er von seinen Kameraden der Kranich genannt wird; also hübsch ist er jedenfalls nicht.«
»Aber ein gutes Herz soll er besitzen.«
»Das ist die Hauptsache. Ich trachte nicht nach einer Ehe, in welcher sich das Ehepaar zu todte schnäbelt. Ich will gegenseitige vollste Freiheit haben. Bin ich schön, nun gut, so will ich es nicht blos für Einen sein. Das Gesicht meines Mannes geht mich nichts an; aber er soll so sein, daß ich mit ihm leben kann.«
Am anderen Tage kamen die Hagenau’s, Vater und Sohn. Sie wurden mit Aufmerksamkeit überschüttet, und bereits bald nach ihrer Ankunft waren die beiden Väter so klug, ihre Kinder allein zu lassen.
Walther von Hagenau hatte sich die für ihn bestimmte Braut sehr genau betrachtet, Als sie jetzt neben einander am Fenster standen, zuckte ein sarkastischer Zug um seinen Mund. Er ließ ein kurzes Lachen hören und sagte: »Ich liebe die Aufrichtigkeit, gnädiges Fräulein. Sie jedenfalls wohl auch?«
»Ja. Ihr Geschmack ist in dieser Beziehung auch der meinige.«
»So lassen Sie uns also aufrichtig sein! Kennen Sie den Grund meines heutigen Besuches?«
»Ja.«
»Wir sollen uns kennen lernen.«
»Das können wir ja thun.«
»Schön, nur ist es zuweilen nicht leicht, sich kennen zu lernen. Daher schlage ich vor, daß wir uns gegenseitig diese mühevolle Arbeit erleichtern. Wie gefalle ich Ihnen?«
»Meinen Sie äußerlich oder – – –«
»Zunächst äußerlich!«
»Hm, Kranich!«
»Danke!« lachte er. »Das ist allerdings aufrichtig. Also auch bis hierher ist mein Kriegsname gedrungen. Ja, schön bin ich nun freilich nicht!«
»Das wird auch nicht verlangt. Ihr innerer Mensch wird mich jedenfalls befriedigen.«
»Hoffentlich. Dieser innere Mensch wird sich alle Mühe geben, sich Ihre Sympathie zu erwerben.«
»Und wohl nicht erfolglos. Jetzt aber darf ich wohl auch fragen, ob ich Ihnen gefalle?«
»Umgekehrt.«
»Wieso? Wie meinen Sie das?«
»Äußerlich gefalle ich Ihnen nicht, aber innerlich. Mir geht es mit Ihnen gerade umgekehrt.«
»Ah! Ich gefalle Ihnen äußerlich?«
»Ja.«
»Nicht aber innerlich?«
»Sie sind reizend, ja. Sie sind mehr als reizend; aber Ihre Seele ist schwarz.«
Er sagte diese Worte so bombastisch, daß sie laut auflachte und in künstlichem Schreck hinzusetzte:
»Wie die Nacht oder wie die Hölle!«
»So ungefähr. Schwarz ist sie. Freilich, ob diese Schwärze eine edle oder nur Rußschwärze ist, das kann ich noch nicht unterscheiden; darum eben müssen wir uns kennen lernen. Wenn ich mein Urtheil fertig habe, werde ich es Ihnen mittheilen.«
Er hatte es aber bereits fertig, denn als auf dem Heimwege sein Vater fragte, wie Theodolinde ihm gefallen habe, antwortete er: »Gar nicht, lieber Vater.«
»Wie? Was? Dieses schöne, reizende Mädchen gefällt Dir nicht? Wo hast Du denn Deine Augen?«
»Ganz an der richtigen Stelle. Ihre Schönheit macht Eindruck, aber dieser Eindruck ist ein unheiliger.«
»Ich glaube gar, Du fängst an zu frömmeln!«
»So will ich mich anders ausdrücken: Ihre Schönheit ist diejenige einer Courtisane. Und ich habe keineswegs die Absicht, mir eine Frau zu nehmen nur zum Vergnügen Anderer.«
»Du irrst.«
»Das wollen wir sehen. Ich werde beobachten.«
»Aber beeile Dich damit! Wir brauchen Geld.«
»Hm! Ist dieser Herr von Tannenstein wirklich reich?«
»Ja.«
»Warum trägt er da unechte Steine in den Ringen?«
»Wären sie unecht?«
»Ja, ich wette auf meinen Kopf, daß sie imitirt sind. Ich werde denn doch die Augen ein Wenig aufmachen, ehe ich ein reiches Mädchen nehme, um mit ihr zu verhungern.«
Am nächsten Vormittage ließ sich Jacob Simeon bei dem Freiherrn melden. Er war erwartet worden und wurde in Folge dessen sogleich vorgelassen.
»Sie wollen sich meine Entscheidung holen,« sagte der Tannensteiner. »Ich bin entschlossen, es mit Ihnen zu versuchen. Haben Sie die Kette mit?«
»Ja.«
»Zeigen Sie her?«
»O bitte! Haben Sie das Geld?«
»Ja.«
»Zeigen Sie her! Sie sehen, daß ich Ihnen Ihre eigenen Worte zurückgebe. Man muß vorsichtig sein.«
»Da, sehen Sie sich diese Banknoten an!«
Der Freiherr warf ihm die Summe auf den Tisch. Der Goldarbeiter prüfte jede einzelne Note. Er hatte es wirklich kaum für möglich gehalten, eine solche Summe auf einmal ausgezahlt zu erhalten. Desto befriedigter steckte er sie zu sich und gab die Kette dafür heraus. Dann fragte er: »Wie gedenken Sie es nun mit den Kindersachen zu halten?«
»Wir fahren heute nach der Residenz, nämlich ich und meine Tochter. Ich möchte keine Zeit verlieren.«
»Gut. Wo steigen Sie ab?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Am Besten ist es, Sie bestimmen mir Ort und Zeit, wo und wann ich Sie treffen kann.«
»So kommen Sie Nachts punkt ein Uhr zum großen Brunnen auf dem Altmarkte. Sie werden mich treffen. Hoffentlich befinde ich mich da bereits im Besitze der Schlüssel.«
»Das Letztere ist die Hauptsache. Ich werde mich ganz bestimmt zu der angegebenen Zeit dort einfinden.«
Jacob Simeon ging, und der Freiherr theilte seiner Tochter das Resultat der Unterredung mit. Sie erklärte, ihn nach der Residenz begleiten zu wollen. Er ging darauf ein, sprach aber die Erwartung aus, daß sie nicht etwa beabsichtigen werde, sich an dem geheimen und so gefährlichen Vorhaben zu betheiligen. Sie erklärte, daß dies im Gegentheile ihre ganz bestimmte Absicht sei. Er erschrak über die Entschiedenheit, mit welcher sie dieses Vorhaben aussprach und sagte: »Bedenke, welchen Gefahren Du Dich dabei preisgiebst!«
»Diese Gefahren sind ganz dieselben, welchen auch Du entgegengehst, Vater!«
»Es ist ein Unterschied dabei. Ich bin Mann.«
»Pah!«antwortete sie. »Als ob wir Frauen nur von Watte seien! Willst Du Dich lieber fremden Menschen anvertrauen als mir? Ich kenne Dich. Du bist kein sehr großer Held. Ich habe bedeutend mehr Muth als Du!«
»Oho!« meinte er gekränkt.
»Ja, es ist ganz gewiß so. Ich will Dich nicht beleidigen; Du mußt unbedingt zugeben, daß ich mehr Energie besitze als Du. Ich habe an Euern Paschergeschäften bedeutend mehr Antheil genommen als Du selbst; ich war mehr, weit mehr als einfach nur Deine Vertraute. Jetzt habe ich das Geld beschafft und will nun auch mitmachen.«
»Etwa gar mit in das Amtsgebäude eindringen?«
»Wenn ich es für nöthig halte, ja.«
»Bist Du toll?«
»Gar nicht.«
»Wenn man Dich unterwegs sieht! Eine Dame in Deiner Toilette fällt auf.«
»Unsinn! Ich werde doch nicht etwa ein Ballkleid anziehen. Ich werde schon für eine Kleidung sorgen, welche passend ist. Sei still! Ich mache mit, und dabei bleibt es!«
»Ich sage Dir, daß ich nicht einwilligen kann.«
»Und ich sage Dir, daß ich meinen Willen durchsetze! Hast Du diesem Manne das Geld gegeben und die Kette erhalten?«
»Ja.«
»Zeige sie. Man muß sie genau ansehen. – – –«
Im Tivoli, dem Locale, in welchem Max Holm zur Tanzmusik die Violine gespielt hatte, war wöchentlich zweimal gewöhnlicher Ball. Diese Abende wurden nur von den Söhnen und Töchtern bürgerlicher Familien frequentirt. Zuweilen verirrte sich auch ein achtbares Dienstmädchen dorthin.
Seit einiger Zeit hatte sich da die Zofe der Baronin Ella von Helfenstein dort eingefunden. Sie war von seiten des Gerichtes, welches das Palais des gefangenen Barons mit Beschlag belegt hatte, entlassen worden und wartete nun auf die Gelegenheit, in eine passende Stellung zu treten. Als gewöhnliches Hausmädchen wollte sie sich nicht engagiren lassen, bessere Placements aber waren selten. Das genirte sie aber nicht. Ihr Lohn war so gut gewesen, daß sie sich etwas gespart hatte. Darum konnte sie es für einige Zeit aushalten.
Sie war sehr hübsch, darum hatte es ihr an diesen Abenden nicht an Tänzern gefehlt. Heute nun hatte ihr der Briefträger ein Schreiben gebracht, dessen Verfasser zu errathen ihr unmöglich gewesen war. Es lautete:
»Geehrtes Fräulein.
Schon seit langer Zeit kenne ich Sie, obgleich ich mich Ihrer Aufmerksamkeit nicht erfreuen durfte. Ich sehne mich danach, Ihre Bekanntschaft zu machen und gäbe viel darum, wenn es mir gelingen könnte, Ihre Liebe zu erwerben. Sollte Ihr Herz noch nicht vergeben sein, so kommen Sie heute Abend wieder in das Tivoli. Ich werde daraus merken, daß Sie noch frei sind, und dann die Gelegenheit nicht versäumen, mich Ihnen zu Füßen zu legen.«
Unterschrieben waren diese Zeilen nicht. Jedes Mädchen freut sich, wenn sie gefällt, die Zofe freute sich auch, und zwar um so mehr, als sie eine bedeutende Portion Gefallsucht besaß. Sie war neugierig, den Verfasser kennen zu lernen. Auch ohne seinen Brief hätte sie heute das Tivoli besucht; nun aber ging sie natürlich erst recht.
Sie war kaum eingetreten, so wurde sie auch bereits engagirt. Sie tanzte fast jede Tour; aber diese Tänzer waren die gewöhnlichen; der Briefschreiber befand sich jedenfalls nicht unter ihnen. Da kam ein junger Mann die Reihe der Sitze entlang, dessen Gesicht ihr bekannt vorkam. Er blickte nicht nach ihr; er schien seine Aufmerksamkeit auf anderwärts gerichtet zu haben; aber als er an ihr vorüberschreiten wollte, fiel sein Blick wie zufällig auf sie, und er blieb stehen.
»Verzeihung, mein Fräulein,« sagte er, »mir ist, als ob ich Sie kennen müsse.«
Er war von stattlicher Figur und elegant gekleidet. Sein Ton klang sehr höflich, und die Verbeugung, welche er machte, befriedigte sie noch mehr. Darum antwortete sie: »Auch mir ist es so, als ob ich Sie bereits gesehen hätte.«
»Wenn Sie mir erlaubten, neben Ihnen Platz zu nehmen, könnten wir überlegen, wo wir uns begegnet sind.«
»Bitte, setzen Sie sich!« klang ihre Aufforderung.
Er that es.
»Ob dieser es ist?« dachte sie.
Er gefiel ihr nicht übel. Sie sah eine schwere Uhrkette an seiner Weste und theure Ringe an seinen Fingern. Er schien also wohlhabend zu sein, obgleich er nicht gerade etwas Vornehmes an sich hatte. Einem Menschenkenner hätten seine zusammengekniffenen Lippen und sein stechender Blick nicht gefallen.
»Also, wo wir uns gesehen haben?« sagte er, die Beine gemächlich über einander legend.
»Ja. Hier ist es nicht gewesen,« antwortete sie.
»Wenigstens früher nicht. Einige Male habe ich Sie hier bemerkt, doch erst in letzter Zeit.«
»Und früher, wo? Ihr Gesicht kommt mir heimathlich vor.«
»Mir das Ihrige auch. Ich bin aus Grünbach.«
»Meinen sie das Grünbach, welches dem Freiherrn von Tannenstein gehört?«
»Ja.«
»So liegt Ihre Heimath freilich sehr nahe an der meinigen. Ich bin aus Reitzenhain, welches Herrn von Hagenau gehört.«
»Ach, jetzt erklärt es sich! Also dort haben wir uns gesehen. Nun, wissen Sie es, und die Untersuchung ist zu Ende. Muß ich deshalb nun wieder fort?«
»O nein,« antwortete sie lächelnd. »Ich werde doch meinen Landsmann nicht fortschicken, zumal – –«
Sie hielt inne und blickte ihn schalkhaft forschend an.
»Was wollen Sie sagen?« fragte er.
»Können Sie schreiben?« lachte sie.
»O, sehr gut,« lachte auch er.
»Vielleicht Briefe an Damen?«
»Wenn es sehr nothwendig ist, ja.«
»Wann haben Sie den letzten Brief an eine Dame geschrieben?«
Er machte eine bedenkliche Miene und antwortete dann:
»Das kann noch nicht so sehr lange her sein.«
»An wen?«
»Wollen Sie das nicht lieber errathen?«
»Das kann ich nicht. Lieber möchte ich es von Ihnen hören.«
»Ich würde es wohl sagen, wenn ich wüßte, daß die Betreffende nicht bös darüber gewesen ist.«
»Nun, ich glaube nicht, daß man Ihnen eines Briefes wegen bös sein würde. Was haben Sie denn geschrieben?«
»Ich bat die Dame, heute hierher zu kommen.«
»Wozu?«
»Ich hätte gern einige Touren mit ihr getanzt und – –«
»Sie dann auch weiter kennen gelernt.«
»Ist sie denn gekommen?«
»Ja.«
»Sie Glücklicher!«
»Ja,« nickte er, »ich bin allerdings ganz glücklich darüber.«
»Und ich bin ganz neugierig, sie zu sehen. Wo sitzt sie?«
»O, auf diese Weise werde ich es nicht verrathen. Aber passen Sie auf; diejenige, welche ich bei der nächsten Tour engagiren werde, die ist es.«
»Da werde ich allerdings genau aufmerken.«
Gerade jetzt war die Pause zu Ende, und die Musik intonirte einen flotten Galopp. Er erhob sich, verbeugte sich und bat um ihren Arm. Sie gab ihm denselben, und der Tanz begann. Als derselbe zu Ende war und Beide sich wieder setzten, fragte er: »Jetzt wissen Sie es, an wen ich geschrieben habe. Nun möchte ich wissen, ob Sie zornig sind.«
»Ich wüßte nicht, weshalb ich zornig sein sollte.«
»Dann will ich eine große Bitte an Sie richten. Die aber können Sie mir leicht übel nehmen.«
»Wollen sehen! Lassen Sie hören!«
»Schenken Sie mir auch die übrigen Tänze?«
»Hm! Ich soll also mit keinem Anderen tanzen?«
»Das wünsche ich. Ich möchte Sie gern allein für mich haben, obgleich ich kein Recht dazu besitze. Oder interessiren Sie sich vielleicht für einen Anderen, so daß es Ihnen schwer fällt, meine Bitte zu erfüllen?«
»Es geht mich keiner etwas an, und damit Sie dies auch glauben, werde ich nur mit Ihnen tanzen.«
Sein Auge ruhte in freudiger Ueberraschung auf ihrem Gesicht. Ihre vollen Formen wollten fast die ganze Taille zersprengen; ihre küßlichen Lippen blühten ihm entgegen, und in ihrem Blicke leuchtete es, wie auffordernd zum Genusse.
»Das ist herrlich!« sagte er. »Das hätte ich nicht erwartet.«
»Warum nicht?«
»Weil ich glaubte, Sie seien nicht mehr frei.«
»Da haben Sie sich geirrt.«
»O, vielleicht täuschen Sie mich doch!«
»Haben Sie Grund, dies anzunehmen?«
»Ja.«
»O, den möchte ich doch wissen!«
»Ein so schönes Mädchen kann doch kaum ohne Anbeter sein.«
»Anbeter, ja,« antwortete sie, verächtlich die fleischigen Schultern zuckend. »Aber ein Anbeter ist noch kein Liebhaber!«
»Der Unterschied ist nicht sehr groß, und ich kenne Einen, von dem ich doch denken möchte, daß er nicht ganz allein Anbeter gewesen ist.«
»Ich werde das lieber verschweigen. Sie können ihn sehen, er ist heute ja da.«
Ihr Auge musterte schnell suchend die verschiedenen Tische und Menschengruppen. Dann antwortete sie:
»Ich sehe keinen Einzigen, den Sie meinen könnten.«
»O, im Saale ist er nicht, sondern da links in dem Nebenzimmer. Er befindet sich in liebenswürdiger Gesellschaft!«
»Sie machen mich so neugierig, daß ich wirklich einmal nachsehen möchte!«
»Thun Sie das. Ich warte hier!«
Sie stand auf und entfernte sich. Er blickte ihr siegesgewiß nach und murmelte für sich:
»Sie ist entzückend schön. Diese Hulda muß ich haben, und wenn ich sonst etwas thun sollte!«
Sein Auge folgte ihr fast trunken. Jetzt ging sie an der offenen, in das Nebenzimmer führenden Thür vorüber. Sie blickte hinein. Er sah sie zusammenzucken.
»Ah, sie hat ihn gesehen,« dachte er. »Nun werde ich es erfahren, ob es mit ihm aus ist.«
Sie schritt langsam und wie absichtslos promenirend um den Saal herum und kehrte dann zu ihm zurück.
»Nun, haben Sie ihn gesehen?« fragte er.
»Nein.«
»Er sitzt da drin!«
»Ich habe wirklich Keinen gesehen, für den ich mich interessiren könnte. Wen meinen Sie denn?«
»Nun, den gewissen Anton.«
»Anton? Ich kenne keinen Anton,« antwortete sie, indem sie sich erstaunt stellte.
»O, doch!«
»Dann wissen Sie es besser als ich,« schmollte sie.
»Besser wohl nicht. Sie sollten eigentlich aufrichtig sein.«
»Aber wer ist denn dieser Anton?«
»Er ist – – ist – – Spion.«
»Spion? Wie meinen Sie das?«
»Geheimpolizist.«
»Ach gehen Sie! Ich habe nie mit der Polizei zu thun gehabt, am Allerwenigsten aber gar mit einem Geheimpolizisten.«
»Auch während Ihres letzten Dienstes nicht?«
»Nein. Wissen sie überhaupt, wo ich engagirt gewesen bin?«
»Bei der Baronin von Helfenstein.«
»Ah! Woher wissen Sie das?«
Er besann sich ein Weilchen und antwortete dann:
»Das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen.«
»Warum denn nicht?«
»Weil Sie mir dann gewiß sehr böse sein würden.«
»Ich an Ihrer Stelle ließe es darauf ankommen.«
»Meinen Sie? Nun, dann will ich es sagen. Aber ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt – –«
»Ich auch nicht,« sagte sie. »Ich heiße Hulda Neumann.«
»Das weiß ich schon längst.«
»So scheinen Sie sich also mit mir beschäftigt zu haben?«
»Allerdings. Mein Name ist August Mehnert; ich bin Goldarbeiter. Ich war bis vor kurzer Zeit Gehilfe, und da ich nicht zu den Verschwendern gehöre und nicht bei meinem Principale wohnen konnte, so hatte ich mir eine unter dem Dache gelegene, billige Schlafstelle gemiethet. Die lag nach hinten. Ich konnte aus dem kleinen Fenster auf die Seitenfronte eines gewissen Palais sehen. Da gab es ein Fenster, welches stets erleuchtet wurde, sobald eine gewisse Baronin zur Ruhe gegangen war.«
Sie erröthete und fragte:
»Konnten Sie weit in dieses Fenster blicken?«
»Ich konnte das ganze Zimmerchen übersehen.«
»Abscheulich!«
»O nein. Was ich da sah, war keineswegs abscheulich.«
Hulda war keineswegs prüde. Sie wußte, daß sie hübsch sei. Sie hörte gern, daß man ihr dies sagte. Sie wollte es auch hören. Sie wollte wissen, was er gesehen habe und welchen Eindruck sie gemacht hatte; darum fragte sie: »Eigentlich gehen mich Ihre Entdeckungen gar nichts an; aber vielleicht ist es interessant, was Sie erblickten?«
»Sehr! Ich lag des Abends zur bestimmten Zeit stets an meinem Fenster. Ich hatte kein Licht brennen, um mich nicht zu verrathen. Wenn dann drüben das Licht erschien, sah ich ein wunderherrliches Mädchen, welches – –«
»Welches – – nun?«
»Welches schlafen ging,« flüsterte er, sich verliebt zu ihr niederbeugend.
»Da war es höchst unrecht von Ihnen, sich an das Fenster zu stellen. Sie sind ein sehr indiscreter Herr!«
»O, die Dame war noch viel indiscreter. Sie hätte doch die Vorhänge schließen können.«
»Vielleicht hatte sie keine Ahnung, daß sie belauscht werden konnte. Uebrigens pflegen die Herren sich nur zu oft solcher Sachen zu rühmen, die gar nicht geschehen sind.«
»Oho! Was ich sah, war sehr wirklich!«
»Nun, was haben Sie denn gesehen?«
Die Musik hatte einen rauschenden Walzer begonnen. Der Goldarbeiter mußte nahe an das hübsche Mädchen heranrücken, um verstanden zu werden. Das war ihm sehr lieb.
Er hielt seinen Mund fast ganz an Hulda’s Ohr und flüsterte:
»Zunächst also ein reizendes, allerliebstes Zöfchen.«
»Dann weiter?«
»Dann war ich Zeuge der Nachttoilette.«
»Schlechter Mensch!«
»Ich sah Alles, Alles. Sie pflegte das Licht erst zu verlöschen, wenn sie bereits im Bettchen lag.«
»Wußten Sie, wer sie war?«
»Noch nicht. Natürlich besorgte ich mir einen Operngucker, um – –«
»Sie sind wirklich ein ganz gefährliches Subject!« unterbrach sie ihn.
»Da will ich lieber weiter nichts erzählen. Natürlich aber erkundigte ich mich nach ihrem Namen.«
»Bei wem?«
»Bei einem der Diener, den ich zuweilen in der Restauration traf. Er sagte mir, daß die Betreffende Hulda Neumann heiße, aber bereits vergeben sei.«
»Das war Lüge!«
»Bitte, leugnen Sie nicht. Anton, der Diener des Fürsten von Befour, besuchte Sie so oft und zu solcher Zeit, wie es nur ein Geliebter thun darf.«
»Nun, das ist Ihnen doch wohl sehr gleichgiltig gewesen?«
»Gleichgiltig? Alle Teufel! Ich hätte ihn todtschlagen mögen!«
»Sind Sie wirklich so bösartig?«
Ihr Gesicht hatte bei dieser Frage einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Aus den Wangen war die Farbe gewichen, und ihr Blick ruhte begierig forschend auf ihm.
»Bösartig bin ich nicht,« antwortete er.
»Sie wollten doch todtschlagen?«
»Diesem Hallunken könnte ich allerdings Eins auswischen!«
»Aus purer Eifersucht!«
»Ja, ich will es gestehen, aus Eifersucht, aber auch, weil ich genau wußte, daß er Sie betrog.«
»Mich betrügen? Das glauben Sie ja nicht!«
»Natürlich gesteht kein Mädchen so Etwas gern ein; aber es ist dennoch wahr. Er wollte Sie nur aushorchen.«
»Woher vermutheten Sie das?«
»Weil ich zufällig erfuhr, daß er Geheimpolizist war.«
»Hätte ich es doch auch gewußt,« grollte sie.
»Wie gern hätte ich es Ihnen gesagt!«
»Warum thaten Sie das nicht?«
»Ich konnte es doch nicht wagen. Ich glaubte natürlich, Sie seien im Einverständnisse mit ihm.«
»Das ist mir nicht eingefallen,« antwortete sie verlegen. »Sie hätten gar nichts gewagt.«
»Und sodann wußte ich damals doch auch gar nicht, was er eigentlich beabsichtigte; erst jetzt weiß ich es, nun ich erfahren habe, daß Ihr Baron der Hauptmann gewesen ist. Nun hat dieser Anton seinen Zweck erreicht und sieht Sie nicht mehr an. Ist’s nicht so?«
Ihr Auge blitzte vor Zorn und Haß.
»Mich nicht mehr ansehen!« stieß sie hervor. »Ach! Könnte ich doch Etwas erfinden, was ihm wehe thäte, so recht wehe in’s tiefste Herz, in’s Leben hinein!«
»Denken Sie nach!«
»Ah! Man ist doch zu schwach zur Rache!«
»So suchen Sie sich Hilfe!« meinte er, ihre Hand ergreifend.
Sie ließ sie ihm, blickte ihn forschend an und sagte:
»Wer sollte mir helfen? Etwa Sie?«
»Warum nicht? Wenn es lohnte!«
»Welchen Lohn meinen Sie?«
»Sie selbst.«
Er hatte sich ganz zu ihr herübergebogen und blickte ihr begierig fragend in die Augen.
»Haben Sie Muth?« klang es ihm entgegen.
»Ja.«
»Ich meine nicht gewöhnlichen Muth.«
»Für Sie thue ich Alles.«
»Vielleicht werde ich Sie prüfen.«
»Thun Sie es. Darf ich Sie heute nach Hause begleiten?«
»Ja, gehen Sie mit. Wir können über diese Angelegenheit dann in größerer Ruhe sprechen. Ich habe das Verlangen, mich an diesem miserablen Menschen zu rächen. Wer ist denn Die, neben welcher er sitzt?«
»Seine Braut.«
»Ich kenne sie nicht.«
»Sie ist die Tochter des früheren Wachtmeisters Landrock. – Um Ihretwillen habe ich das Alles ausgeforscht.«
»Sie sind also bereits verlobt?«
»Ja. Auch sein schöner College ist verlobt.«
»Der mit d’rin sitzt? Er war auch Diener beim Fürsten.«
»Ja, und machte es ebenso wie er. Dieser Adolf ist mit der Tochter des jetzigen Theatercassirers Werner verlobt, vorher aber betrog er ein armes Mädchen, um den Vater der Betrogenen in’s Garn zu bekommen.«
»Wer war das?«
»Der alte Apotheker Horn.«
»Ah, der sich todt gestellt hat, um zu entfliehen, aber wieder gefangen worden ist?«
»Ja. Seiner Tochter geht es ebenso wie Ihnen. Was mag sie denken, wenn sie ihn jetzt neben der Anderen sitzen sieht? Jedenfalls sinnt sie auch auf Rache.«
»Ja. Dort die dicke Kleine, uns schräg gegenüber, die kein Auge von der offenen Thür verwendet. Sehen Sie die Augen, welche sie macht? Als ob sie ihn verschlingen wollte. Das wäre eine Verbündete für Sie!«
Hulda beobachtete eine Zeitlang schweigend die dicke Jette. Dann fragte sie:
»Woher wissen Sie auch dieses von diesem Mädchen?«
»Hm! Eigentlich sollte ich es nicht wissen; aber ich habe es erlauscht. Bei meinem Principale wurde verschiedenes besprochen, was nicht für uneingeweihte Ohren war.«
»Wer ist Ihr Principal?«
»Er ist es nicht mehr, denn ich habe ihm das Geschäft vor kurzer Zeit abgekauft.«
»So sind Sie also jetzt selbstständig?«
»Vollständig. Ich bin mein eigener Herr und habe ein sehr gutes Auskommen. Mein Principal war jüdischer Abstammung und hieß Jacob Simeon.«
Sie blickte schnell und überrascht auf.
»Was! Bei dem waren Sie?«
»Ja. Kennen Sie ihn?«
»Gewiß! Er gehörte ja zu den Leuten des Haupt – –«
»Woher wissen Sie, daß er zu diesen Leuten gehörte?«
»Ich hörte es von den Polizisten, welche nach der Arretirung meines Herrn das Palais besetzten. Ich belauschte sie.«
»Donnerwetter! Und Jacob Simeon hat fest geglaubt, daß es kein Mensch ahne.«
»Es wurde auch nur als eine Vermuthung ausgesprochen. Ist Ihnen diese Horas da drüben nur von Weitem bekannt?«
»Nein. Ich kenne sie näher. Ihr Vater war oft bei uns, und ich hatte zuweilen Aufträge des Principals an ihn auszurichten. Sie heißt Jette.«
»Brr! Häßlicher Name!«
»Ebenso häßlich wie sie selbst.«
»Ich möchte wohl einmal mit ihr sprechen.«
»Doch nicht!« meinte er ungläubig.
»Warum nicht?«
»Sie, die Schönheit selbst – –«
»Schmeichler!« lächelte sie selbstgefällig.
»Mit diesem Ausbund von Häßlichkeit!« fuhr er fort.
»Sie kann ja nicht dafür.«
»Der Diamant neben der Rußkohle.«
»O, die Rußkohle ist sehr nützlich. Vielleicht kann mir diese Horas Jette auch nützlich sein.«
»Nun, was das betrifft, so habe ich mit ihr gesprochen und kann Ihnen sagen, daß Sie darauf brennt, ihrem früheren süßen Adolf Eins auszuwischen.«
»Da passen wir also ganz prächtig zusammen. Wenn Sie mit ihr über solche Sachen sprechen, müssen Sie doch recht vertraut mit ihr sein?«
»Sie hält nicht gegen mich zurück.«
»Nun, so machen Sie es fertig, daß sie sich her zu uns setzt!«
»Das soll sofort geschehen.«
Er erhob sich, um den Auftrag auszuführen. Sie bemerkte noch:
»Sie werden uns für einige Zeit allein lassen. Ich denke nämlich, daß die Jette offenherziger sein wird, wenn Sie nicht dabei sind.«
Er ging. Hulda sah, welch ein erstauntes Gesicht die Dicke machte, als sie die Aufforderung vernahm. Sie folgte derselben sichtlich nur zögernd. Sie gab nicht gern den Platz auf, von welchem der Ungetreue so gut beobachtet werden konnte. Bald saßen beide Mädchen neben einander, in ein sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Es kamen einige Tänzer, um Hulda zu engagiren. Sie schlug es aber ab. Die Unterhaltung war ihr wichtiger.
Der Goldarbeiter hatte sich nicht zu ihnen gesetzt. Es schlenderte im Saale herum und blieb dabei auch einige Male unter der offenen Thür halten, von welcher aus er die Nebenstube überblicken konnte.
Dort saßen Anton und Adolf mit dem Wachtmeister Landrock nebst dessen Tochter und dem jetzigen Theatercassirer Werner und dessen zwei Töchtern. Da heute keine Theatervorstellung war, hatte dieser Letztere Zeit gehabt, das Tivoli zu besuchen. Nach so langer Unglückszeit that ihm die Änderung seines Schicksals unendlich wohl. Sein Gesicht strahlte förmlich vor Vergnügen und Zufriedenheit.
Antons Auge fiel zufällig auf Mehnert, als dieser unter der Thür stand. Er stieß Adolf an und fragte: »Kennst Du den jungen Menschen dort?«
»Gehilfe bei Jacob Simeon.«
»Dachte es mir. Ist aber nicht mehr Gehilfe, sondern selbst Besitzer. Werde ihn gleich einmal in’s Examen nehmen.«
Er stand von seinem Stuhle auf und trat zu dem Goldarbeiter, ihn fragend:
»Nicht wahr, Sie sind jetzt der Besitzer des Geschäftes, in welchem Sie bisher arbeiteten?«
»Ja, Herr.«
»Haben Sie es vollständig bezahlt?«
»Das geht Niemanden Etwas an!«
»O bitte, ich meine es nicht bös.«
»Warum fragen Sie so?«
»Weil ich wissen wollte, ob Sie in Verbindung mit Ihrem früheren Principale stehen. Hätten Sie noch an ihn zu zahlen, wäre das der Fall.«
»Es ist bezahlt,« antwortete Mehnert unwillig.
Auf diese Weise war er nicht zu packen, dies sah Anton ein. Daher versuchte er es auf eine andere Weise. Er wollte dem jungen Manne Etwas verdienen lassen, um ihn gesprächiger zu machen. Darum fragte er.
»Es paßt sich gut, daß ich Sie hier treffe. Fertigen Sie auch Trauringe an?«
»Natürlich!«
»Ihr früherer Principal war stets billiger als Andere. Ich brauche nächstens einen Hochzeitsring, dort mein Freund auch.«
»Ich habe diese Preise beibehalten.«
»Schön. Vielleicht schenken wir unseren Damen auch noch einen anderen Ring als den einfachen Goldreif. Sie haben doch vielleicht eine gute Auswahl?«
»O gewiß! Ich mache besonders in nachgemachten Edelsteinen, welche von den echten kaum zu unterscheiden sind.«
»Das paßt. Man ist natürlich nicht Millionär, um echte Diamanten kaufen zu können. Wir werden morgen einmal vorsprechen und uns Ihren Vorrath ansehen.«
Er that das natürlich nur, um von Mehnert vielleicht zu erfahren, wohin Jacob Simeon gekommen sei. Der junge Goldschmied aber durchschaute ihn und ging höhnisch lächelnd weiter. Als er an den beiden Mädchen vorüber wollte, fragte ihn Hulda: »Dort stand doch dieser Spion bei Ihnen. Was wollte er?«
»Ueber meinen Principal mich aushorchen.«
»Sie sind doch nicht etwa dumm gewesen?«
»Fällt mir nicht ein. Sie mögen ihre Ringe bezahlen, erfahren aber werden sie nichts.«
»Ringe? Wollen sie welche kaufen?«
»Ja, ihre Trauringe, als Vorwand natürlich.«
Aus Hulda’s Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie starrte ihn an wie gedankenlos. Und doch befand sich ihr Geist gerade jetzt im schärfsten Nachdenken.
»Die Trauringe,« sagte sie vor sich hin. »Ach, wenn es doch nicht gerade die Trauringe wären.«
»Sie werden auch andere kaufen; dieser brave Anton sagte es mir.«
Sie fuhr bei dieser Mittheilung förmlich vom Stuhle empor.
»Ah, also auch andere Ringe.«
»Morgen wollen sie kommen.«
»Morgen, schon morgen! O, wenn ich wüßte, was sie so ungefähr wählten!«
»Ich sprach von meinen imitirten Diamanten, und er schien Lust zu haben, sich so Etwas auszusuchen.«
»Schön, schön! Lassen Sie uns allein! Ich gebe Ihnen einen Wink, wenn Sie wiederkommen sollen.«
Er ging weiter. Die Dicke betrachtete Hulda mit Erstaunen und sagte:
»Sie sind auf einmal eine ganz Andere geworden, als von den Ringen die Rede war. Sie sind ganz aufgeregt.«
»Es ist auch kein Wunder. Wir zerbrachen uns vorhin die Köpfe, um auf einen Gedanken zukommen, wie wir uns rächen könnten, und nun ist dieser Gedanke da.«
»Sie machen mich begierig.«
Jette war körperlich und auch geistig schwerfälliger als die schöne Zofe, aber wenn es sich um die Rache an dem treulosen Geliebten handelte, so war sie Feuer und Flamme.
»Diese beiden Kerls haben ihren Vater in’s Verderben gebracht?« sagte Hulda.
»In’s Gefängniß!«
»Ja. Wie nun, wenn wir auch sie in’s Gefängniß brächten?«
»Wäre das möglich?« fragte die Dicke, indem sich ihre Wangen schnell rötheten.
»O gewiß. Nicht nur sie Beide, sondern auch ihre Bräute.«
»Das, das wäre Rache!«
»Ja, denken Sie sich diese Werners Tochter im Gefängnisse.«
Sie hatte das in erhöhtem Tone gesprochen, um Jette noch mehr aufzuregen. Diese antwortete:
»Ich gäbe einige Jahre meines Lebens darum.«
»Wie wäre das anzufangen?«
»Sehr leicht. Leichter, als wir denken. Es werden kostbare Ringe gestohlen. Die beiden Bräute tragen jede einen von diesen gestohlenen Ringen und werden natürlich arretirt.«
»Von wem haben sie sie denn?«
»Von ihren Bräutigams, die auch arretirt werden.«
»Und die Bräutigams haben sie wirklich gestohlen?«
»Wird ihnen nicht einfallen!«
»Dann giebt’s auch keine Arretur!«
»O doch! Lassen Sie nur mich sorgen. Wissen Sie denn bereits, wo diese beiden Spione schlafen?«
»Nein.«
»Im Palais des gefangenen Barons von Helfenstein. Sie haben dieses Haus zu bewachen. Dort steht Alles noch genau so, wie der Baron es verlassen hat. Auch die angeschraubte Cassette mit dem Geschmeide ist wahrscheinlich noch vorhanden. Dieses Geschmeide wird gestohlen.«
»Von wem?«
»Von uns Beiden natürlich.«
Jette erschrak.
»Um Gottes willen!« sagte sie.
»Sie haben Angst?«
»Ja.«
»Angst! Und wollen sich rächen? Sie sind verkauft und verrathen worden und zaudern jetzt, wo sich eine so gute Gelegenheit findet, die Uebelthäter samt ihren Metzen zu bestrafen? Schämen Sie sich!«
Das wirkte sofort. Jette antwortete:
»Es wird doch wohl sehr schwer sein.«
»Ganz leicht, kinderleicht.«
»Wie soll es denn zugehen? Meinen Sie etwa, daß wir in das Palais einbrechen und die Diamanten holen?«
»Ja, freilich.«
»Herrgott! Mich schaudert! Wenn man uns erwischt!«
»Das ist unmöglich. Die beiden Wächter sitzen ja dort im Zimmer und werden sobald nicht heimkommen.«
»Sie meinen, wie es scheint, daß wir es heute thun sollen?«
»Natürlich! Heute, gleich! Morgen sollen ja die Ringe gekauft werden.«
»Ich weiß nicht, wie das zusammenhängt.«
»Sehr einfach. Wir holen das Geschmeide, und ich gebe diesem Herrn Mehnert, welcher ganz vernarrt in mich ist, zwei von den Ringen, welche er an Anton und Adolf verkaufen muß, die sie dann ihren Mädchen schenken, bei denen sie gefunden werden. Ist das nicht einfach?«
»Ich finde es nicht so sehr einfach. Es ist dabei Einiges noch sehr unklar. Wie können wir in das Palais?«
»Mit dem Schlüssel.«
»Ah, Sie haben einen Schlüssel! Wie kommt das?«
»Ein gescheidtes Mädchen setzt sich stets so bald wie möglich in den Besitz eines eigenen Haus-oder Hauptschlüssels.«
»Den darf der Schlosser doch nicht machen für Sie!«
»Für das Mädchen freilich nicht, aber für die Herrschaft. Das Mädchen hat nur dafür zu sorgen, daß die Herrschaft den Schlüssel verliert. Verstanden?«
»Ja,« nickte die Dicke verständnißinnig. »Das Mädchen stibitzt den Schlüssel weg, und die Herrschaft muß sich einen anderen machen lassen.«
»Ja, so ist’s auch bei mir gewesen. Und zwar hat die Herrschaft von dem Verluste nicht einmal Etwas gemerkt. Als die Baronin nach Rollenburg gekommen war, annectirte ich den Hauptschlüssel, und der Baron hat gar nicht an denselben gedacht. Ich brauche blos den Schlüssel zu holen, so können wir in das Palais, ohne bemerkt zu werden.«
»Können Sie denn auch in die Cassette?«
»Ja. Ich habe auch diesen Schlüssel.«
»Auf dieselbe Weise?«
»Ja. Die Baronin dachte, sie hätte ihn verlegt. Sie wollte dem Herrn nichts wissen lassen und hat heimlich einen neuen bestellt. Sie natürlich mußte ihn bekommen.«
»Sind es viele Kostbarkeiten?«
»Na, gar so großartig wird der Fang nicht sein, denn in letzter Zeit stand es nicht so glänzend mit der Herrschaft, das habe ich bemerkt. Aber ein gutes Geschäft machen wir dennoch außer unserer Rache. Wir theilen, und dann heben wir uns die Sachen auf, bis wir sie verkaufen können.«
»Wollen Sie den Gang ins Palais nicht lieber allein machen, Fräulein Neumann?«
»Nein. Ich brauche eine Zweite dazu, und die sind natürlich Sie. Oder wollen Sie vielleicht auf Ihre Rache verzichten?«
»Hm! Es ist doch sehr gefährlich.«
»Sie dauern mich.«
»Wenn man uns erwischt!«
»Kein Mensch wird uns erwischen. Wir sehen nach, ob irgend ein Fenster erleuchtet ist. Ist das der Fall, so können wir es nicht wagen. Sind aber alle Fenster finster, so ist nicht das Mindeste zu befürchten.«
»Man wird es sehen, wenn wir das große Thor öffnen.«
»Das werden wir eben nicht thun. Wir gehen durch das Pförtchen und die Zimmer des Herrn. Es ist mir da jeder Schritt bekannt. Sie leuchten natürlich.«
»Man wird das Licht von unten sehen!«
»Wenn wir es dumm anfangen, ja; aber wir werden es eben nicht dumm anfangen. Ich habe eine kleine Windlaterne, die man beliebig öffnen kann!«
»Es giebt auch noch weitere Unklarheiten. Selbst wenn wir die Geschmeide bekämen, würde es uns nichts helfen. Die beiden Polizisten würden ja sagen, daß sie die Ringe von Mehnert gekauft haben.«
»Der behauptet aber, daß dies nicht wahr ist. Er verkauft ihnen die gestohlenen, behauptet aber das Gegentheil. Er zeigt die Zeichnung zweier Ringe vor, welche er ihnen verkauft haben will, und diese Ringe werden auch bei ihnen gefunden. Dann sind die beiden Spione überführt.«
Die langsam denkende Jette schüttelte den Kopf. Die resolute Zofe aber fuhr in fast strengem Tone fort: »Also entschließen Sie sich! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Machen Sie mit?«
»Ich möchte doch lieber verzichten!«
»So! Sie sind betrogen worden. Ihr Vater stirbt im Zuchthause oder auf dem Schafot; Ihre ganze Familie ist in’s Verderben gestürzt, und dafür lassen Sie Ihren lieben Adolf jetzt Hochzeit und dann später Kindtaufe machen!«
Das wirkte und Jette meinte:
»Ich will mitgehen, wenn nämlich alle Fenster wirklich finster sind, sonst aber nicht.«
»Bleiben Sie hier, ich werde die Schlüssel holen.«
Sie stand auf und trat zu Mehnert, welcher in der Nähe an einem Pfeiler lehnte.
»Nun, haben Sie einen Plan?« fragte er.
»Ja, und zwar einen sehr guten.«
»Kann ich vielleicht mit helfen?«
»Ja. Ich brauche Ihre Hilfe sogar sehr nothwendig.«
»Ich stelle mich gern zur Verfügung.«
»Können Sie denn schweigen?«
»Auf ihren Wunsch wie das Grab.«
»Gut! Sie sollen mich nach Hause führen; aber ich stelle die Bedingung, daß Sie jetzt zuvor nach Hause eilen und mir zwei Damenringe mit nachgemachten Steinen holen.«
»Wozu?«
»Das werden Sie später erfahren. Jetzt ist die Zeit zu kurz.«
»Beschreiben Sie mir die Façon, welche Sie wünschen!«
»Weiß es selbst nicht. Es sollen zwei Ringe sein, welche die beiden Polizisten ungefähr kaufen würden. Außerdem müssen sie Ihnen so bekannt sein, daß Sie sie später ganz genau beschreiben können.«
»Das wäre das wenigste. Also gleich wollen Sie sie haben?«
»Gleich. Doch soll Niemand etwas davon bemerken.«
»Ich gehe sofort!«
Er eilte hinaus. Sie folgte langsamer, nickte aber vorher der Dicken für eine Weile Geduld zu. –
Außer den bisher erwähnten Personen befand sich noch ein Bekannter im Saale, nämlich der lustige Paukenschläger Hauck, der freilich heute nicht bei guter Laune zu sein schien. Neben ihm saß der dritte Violinist. Dieser sagte in einer Pause kopfschüttelnd zu Hauck: »Mensch, was ist denn heute mit Dir? Du bist ja wie umgewechselt! Was machst Du für ein Gesicht?«
»Ich habe den Bandwurm.«
»Ja, im Kopfe, aber nicht im Leibe!«
»Na, ja. Es wurmt mich.«
»Was denn?«
»Daß ich hier sitzen und Musik machen muß, während Andere tanzen können.«
»Alle guten Geister! Was sind das für Marotten! Solche Gedanken hast Du noch nie gehabt!«
»Aber heute!«
»Ja, das merkt man. Vorhin hast Du Dich um volle vier Takte verzählt! Das ist bei Dir noch gar nicht vorgekommen.«
»Na, bei so einem Gesicht kann es vorkommen; da kann Einem sogar noch viel mehr passiren.«
»Von welchem Gesichte faselst Du denn?«
»Sapperment, ich sehe hundert Gesichter! Welches meinst Du?«
»Ach so! Hm, ja! Ich dachte, weil es mir auffällt, müßtest Du auch die Augen dort haben. Siehst Du dort die offene Zimmerthür?«
»Ja; sie ist ja groß genug, denke ich.«
»Es sitzen Leute drin. Aber von hier aus kann man nur die hinterste Tischecke sehen, und daran sitzt sie.«
Der Violinist ließ einen leisen Pfiff hören und sagte:
»Famos! Allerdings famos!«
»Diese Augen!«
»Wie Karfunkel!«
»Das Haar!«
»Viel schöner als bei meiner Alten!«
»Das will ich meinen! Dieses Näschen, und der Mund!«
»Zum Schmatz-, wollte sagen, zum Küssen!«
»Der Hals, die Büste!«
»Die reine Venus!«
»Ja. Das Gesicht hat aber einen wehmüthigen Ausdruck, so wie ein lautloses Verzichtleisten auf – –«
»Auf Milchkaffee!«
»Unsinn! Rede nicht so dumm!«
»Mensch, dieses Mädchen hat Dir’s angethan!«
»Du bist am Ende gar verliebt!«
»Bis über die Ohren!«
»So schütze Dich der heilige Baldrian! Wer verliebt ist, der ist verloren!«
»Du warst auch einmal verliebt.«
»Darum bin ich auch verloren. Ich bleibe die dritte Geige bis an mein sanftseliges Ende. Soll es mit Dir auch so bleiben? Willst Du nicht von der Pauke weg?«
»Freilich will ich weg, und zwar sofort! Einen Walzer möchte ich tanzen mit ihr, so einen sanften, zarten.«
»Ja, so ungefähr
Komm, lieber Heinerich,
Komm, komm und küsse mich!«
»Spaß beiseite! Kennst Du sie?«
»Nein. Du?«
»Auch nicht, Esel! Sonst fragte ich doch nicht!«
»Besten Dank für den neuen Vornamen, den ich da bekomme. Du bist aber ein noch viel größerer Esel als ich! Wenn Du wissen willst, wer sie ist, so gehe doch hin und frage sie selber!«
»Ich kann ja nicht fort!«
»Unsinn! Meine dritte Geige ist nicht so nothwendig. Gehe nur getrost, mein Sohn! Ich schlage Deine Pauken.«
»Natürlich will ich es. Du bist wahrhaftig verliebt bis über die Ohren. Weißt Du:
Sieht der Jüngling nur die Jungfrau an,
Gleich fängt das Herz zu pinken an!«
»Sei still mit Deinen Vogelschießreimen und passe lieber auf die Noten auf, wenn Du die Pauken nimmst. Ich will sie Dir anvertrauen.«
»Und ich will Dir den Walzer bestellen. Falle nur nicht hin mit der – lautlosen Verzichtsleiste!«
Hauck verließ das Orchester. Gerade als er an dem Tische vorüberkam, an welchem die Zofe mit der Jette saß, hörte er die Erstere sagen: »Ja; denken Sie sich diese Werners Tochter im Gefängniß!«
Das war nur Zufall, und er dachte sich auch gar nichts dabei. Als er an die offene Thür kam, erblickte er die im Zimmer sitzende Gesellschaft. Werner saß ihm mit dem Gesichte entgegen und erkannte ihn sofort.
»Herr Hauck! Guten Abend!« grüßte er, ihm die Hand entgegenstreckend. »Wollen wir nicht wieder einmal so einen Streich ausführen?«
»Nun, wie damals auf dem Bellevue, wo Sie die Dame machten?«
Die Anwesenden lachten. Sie kannten ja alle den Streich, so wie die ganze Stadt ihn kannte. Auch die drei Mädchen hatten von ihm gehört und betrachteten sich neugierig den jungen Mann, welcher der Held jenes Scherzes gewesen war.
Hauck sah die dunklen, großen Augen Laura’s auf sich gerichtet und erröthete wie ein Kind.
»Hier sind meine Töchter, und hier ist Herr und Fräulein Landrock,« stellte Werner die Genannten vor.
Daß das hübsche Mädchen Werners Tochter sei, das überraschte ihn so, daß er unvorsichtig äußerte:
»Was! Ihre Tochter ist sie?«
»Ja, meine Tochter ist sie!«
Jetzt bekam das gute, aufrichtige Gesicht des Paukenschlägers einen ganz unbeschreiblichen Ausdruck, welcher unwillkürlich zum Lachen reizte. Doch er erlangte sehr schnell seine Fassung wieder und antwortete, indem er auf Laura zeigte: »Diese Dame meinte ich.«
»Laura? Was ist mit ihr?«
»Ich sah sie vom Orchester aus sitzen. Ich kenne alle Damen, welche hier verkehren, sie aber kannte ich noch nicht. Darum fiel sie mir auf, und darum – darum –«
»Darum kamen Sie, um zu erfahren, wer sie ist?« fiel ihr Vater ein.
»Ja,« antwortete er aufrichtig.
»Da ist’s ein wahres Glück, daß ich es wußte und es Ihnen gleich sagen konnte?«
»Gewiß! Aber es ist auch noch ein anderes Glück dabei.«
»Welches?«
»Nun, der Musikdirector will jetzt einen Walzer anfangen, von dem er wissen möchte, ob er sich gut tanzt oder nicht. Ich soll das probiren. Allein tanzen, das geht doch nicht, und da könnten Sie mir mit Ihren väterlichen Rathschlägen beistehen.«
»Ich? Ich bin doch Ihr Vater nicht!«
»Aber der Vater Derjenigen, welche Diejenige ist, die mit Demjenigen – verstanden?«
»Jetzt, ja. Welche verlangen Sie denn?«
»Fräulein Laura, wenn Sie erlauben.«
»Gern. Greifen Sie zu!«
Das Mädchen sah den jungen Mann mit einem eigenthümlichen Blicke an. War das Angst oder Dank, der aus diesen dunklen Augen leuchtete?
Der Violinist hatte den Walzer erwähnt, und als Hauck nun winkte, begann der Reigen.
Er war Musikus, hatte aber selbst erst außerordentlich wenig getanzt. Bei seinem freisinnigen Wesen war es ihm noch nicht passirt, daß sein Herz ernstlich gefangen gewesen wäre. Jetzt aber war es ihm ganz unbeschreiblich zu Muthe. Es war ihm, als ob er etwas unendlich Kostbares in seinen Armen halte. Und dann, als er mit ihr Solo stand, dachte er wohl daran, daß er sich jetzt mit ihr unterhalten müsse, aber ihm, der sonst so voll bunter Raupen steckte, wollte grad jetzt nichts einfallen. Endlich aber fragte er doch: »Sie sind wohl wenig hier?«
»Ich war noch gar nicht da,« antwortete sie.
»So gehen Sie anderwärts zum Tanze?«
»Nein. Ich tanze nie!«
»Ach! Wie schade!«
Das klang so aufrichtig, daß sie fragend emporblickte.
»Ich meine, es wäre so schön, wenn man Sie öfter hier sehen könnte,« erklärte er.
»Wem könnte daran liegen!« sagte sie trübe.
»Mir!«
Er erschrak, als er dieses sein eigenes Wort hörte. Er hatte es zurückhalten wollen, aber es war ihm zu schnell entschlüpft. Es kam ihm aus dem Herzen.
»Ihnen?« fragte sie, ihm ernst ins Gesicht blickend. »Das sagen Sie natürlich aus Höflichkeit.«
»Nein, nein!« antwortete er rasch.
»O, Sie kennen den Vater und haben es für eine Aufmerksamkeit gehalten, mit einer seiner Töchter zu tanzen.«
»Das denken Sie ja nicht. Mit solchen Aufmerksamkeiten gebe ich mich nicht ab. Ich thue nur das, was ich überhaupt gern thue, und diesen Walzer wollte ich eben so sehr gern mit Ihnen tanzen.«
»Warum mit mir?«
Das war keine Koketterie, um irgendeine Schmeichelei zu hören. Sie blickte ihn dabei so ernst, fast traurig an, daß eine Frivolität ganz undenkbar war.
»Weil es hier keine Andere giebt, welche ich engagiren möchte,« antwortete er. »Sie haben da eine Nelke an der Brust, Fräulein Werner. Ich bin ein so großer Nelkenfreund, und doch kommt Unsereiner so selten dazu, an Blumen zu denken: ich – ich –«
Er brachte die Bitte aber doch nicht ganz hervor; sie aber nahm die Blume von der Brust und sagte:
»Sie wollen sie gern haben? Hier ist sie, Herr Hauck!«
»Aber Sie trennen sich nur ungern von ihr?«
»Nein. Ihnen gebe ich sie gern.«
»Warum mir? Ich will einmal gerade so fragen, wie Sie vorhin.«
»Nun, weil hier kein Zweiter ist, dem ich sie geben möchte. Sie sehen, daß ich genau so antworte wie Sie.«
Ein leises Lächeln spielte dabei um ihre Lippen. Er bemerkte das und sagte:
»So sollten Sie öfters lächeln, immer, immer. Sie aber scheinen stets ernst zu sein.«
»Ich habe alle Ursache dazu, für mein Lebelang dem Lachen zu entsagen. Bitte, wir sind an der Reihe.«
Sie gab ihm den Arm, und sie tanzten weiter. Dann führte er sie dem Vater zu und kehrte zum Orchester zurück. Dort saß er still und in sich gekehrt. Er kannte Werner, aber er kannte nicht das Schicksal Laura’s. Er hatte ganz zufälliger Weise nichts davon gehört. Was hatten die traurigen Worte zu bedeuten: »Ich habe alle Ursache dazu, für mein Lebelang dem Lachen zu entsagen?«
Da fiel sein Blick auf die Zofe und auf Jette, welche so eifrig mit einander sprachen. Er dachte jetzt plötzlich an die Worte: »Ja, denken Sie sich diese Werners Tochter im Gefängniß!«
Es durchzuckte ihn ein plötzlicher Gedanke. Wer war da gemeint? Eine von Werners Töchtern? Etwa gar diese ernste, gute Laura? Waren diese Worte nur zufällig; hatten sie mit Werners Anwesenheit nichts zu schaffen?
Aber da bemerkte Hauck die öfteren zornigen, haßerfüllten Blicke, welche die beiden Mädchen nach der offenen Thür warfen. Da gab es keinen Zufall. Wovon sprachen sie? Was meinten sie?
Er hielt selbst während der Musik die Augen mehr auf die Sprecherinnen, als auf die Noten geheftet. Er sah Hulda aufstehen und zu Mehnert treten, den er aber auch nicht kannte. Es wurden Worte gewechselt. Mehnert ging, Hulda auch; vorher aber warf sie jenen Blick auf die dicke Jette, und der fiel dem Paukenschläger besonders auf.
Er fühlte sich außerordentlich besorgt. Es war ihm als ob etwas geschehen sollte, was er zu verhüten suchen müsse. Aber er wußte nicht, wie er dieses Letztere anzufangen habe. Später trat Mehnert wieder ein. Auch die Zofe kehrte zurück. Beide sprachen mit einander. Er gab ihr etwas, was sie betrachtete. Dann winkte sie der dicken Apothekerstochter und verließ mit ihr den Saal. Sie hatte etwas bei sich getragen, irgend einen nicht sehr großen Gegenstand, leicht in das Concerttuch eingeschlagen. Zu welchem Zwecke? Warum hielt sie es umwickelt, also verborgen? Und bevor die Beiden den Saal verließen, schweiften ihre Blicke noch drohend nach dem offenen Nebenzimmer. Hauck sah dies ganz deutlich. Es litt ihn nicht länger auf seinem Platze. –»Du, nimm die Pauken doch noch einmal,« sagte er zu dem dritten Violinisten.
Er verließ eiligst den Saal, um die beiden Mädchen zu beobachten. Er kam noch zeitig genug, sie im Schein der Gaslaternen hinter der nächsten Ecke verschwinden zu sehen und eilte ihnen nach mit dem Vorsatze, ihnen zu folgen, wohin sie auch gehen würden.
Mehnert hatte natürlich der Zofe die beiden bestellten Ringe gebracht. Als sie sich dann mit Jette entfernte, ahnte sie nicht, daß sie einen Beobachter hinter sich habe, der sich vorsichtig im Schatten der Häuser hielt und so leise wie möglich auftrat.
Beide erreichten diejenige Seite des Altmarktes, an welcher das Palais Helfenstein lag; unweit davon der schon bekannte Brunnen mit der Steineinfassung.
»Es giebt kein einziges Licht da oben,« sagte Hulda. »Also ist Niemand da.«
»Vielleicht aber befindet sich Jemand in einem nach hinten hinaus liegenden Zimmer.«
»Nein. Ich kenne die Verhältnisse zu genau. Kommen Sie dort um die Ecke. Da ist das Pförtchen.«
»Wollen Sie nicht lieber allein –?«
»Fällt mir nicht ein! Was wir zusammen besprochen haben, wollen wir auch mit einander ausführen!«
Sie zog die Zaudernde mit sich fort um die Ecke. Hauck folgte langsam und vorsichtig nach. Als er um die Ecke trat, sah er Niemand. Er horchte. Auch zu hören war kein Mensch. Sollten die beiden Mädchen hier so schnell gelaufen sein? fragte er sich. Er eilte indessen rasch weiter, bis zur nächsten Ecke, um zu lauschen. Es war Niemand zu hören und zu sehen.
»Sie sind nicht hierher,« sagte er sich. »Also zurück!«
Er kam bis wieder fast an die Ecke. Da bemerkte er das Pförtchen, welches ihm vorhin entgangen war.
»Sollten sie da hinein gegangen sein?« fragte er sich. »Das wäre romantisch! In’s Palais des Hauptmannes! Zwei Mädchen ganz allein in dieses große, finstere, berüchtigte Gebäude! Nein, das glaube ich doch nicht!«
Er begab sich langsam und sinnend nach der Vorderfronte und musterte die Fenster.
»Teufel!« brummte er. »War das nicht ein blitzschneller Lichtschein? Oder hätte ich mich geirrt?«
Er hielt das Auge scharf auf die Fensterreihen gerichtet, und die Beobachtung wiederholte sich.
»Es ist richtig! Es ist, als ob Jemand da oben mit einer Blendlaterne sei, die nur von Zeit zu Zeit ein Haarbreit geöffnet werde. Aber ich kann mich auch täuschen. Wenn man so starr nach einem Punkte sieht, dann gehen Einem die Augen über. Es wird am Klügsten sein, ich bewache das Pförtchen. Gegenüber ist ein Thorweg, welcher Raum und Dunkel genug bietet. Die Pauken mögen auf mich warten.«
Er hatte ziemlich lange da gesteckt, da hörte er einen Schlüssel klirren; die Pforte öffnete sich, und die beiden Mädchen traten heraus.
»Gräßlich!« sagte die Dicke. »Ich habe vor Angst fast Blut geschwitzt. So etwas thue ich gewiß nicht wieder.«
Diese Worte hörte Hauck, die weiteren aber nicht, da er sich nicht so weit nähern konnte, ohne bemerkt zu werden. Doch folgte er ihnen nach.
»Und doch werden Sie es noch einmal thun müssen,« antwortete ihr die Zofe.
»Um Gottes willen, nicht.«
»Na, beruhigen Sie sich! Ich wollte Ihnen nur ein bißchen Angst machen. Ich führe Sie nicht wieder in Versuchung.«
»Was thun wir jetzt? Theilen wir.«
»Jetzt nicht, und heute nicht.«
»Warum nicht?«
»Dazu ist nicht Zeit. Ich habe zunächst mit dem Goldarbeiter zu sprechen. Das ist das Wichtigste. Er muß seine Instruction erhalten.«
»Und ich meine Hälfte des Geschmeides.«
»Ja doch; aber erst morgen früh. Ich habe Ihnen meine Wohnung genannt. Kommen Sie hin!«
»Aber wir wollen doch wenigstens zählen, wie viele Stücke es sind!«
»Wozu aber? Mißtrauen Sie mir?«
Sie fragte das in so zornigem Tone, daß Jette nun keine Entgegnung mehr wagte. Sie schritten schweigend weiter bis in die Nähe des Tivoli. Dort blieb Hulda stehen und sagte: »Jetzt gehen Sie in den Saal und senden mir den Goldarbeiter heraus, sagen ihm aber nicht, was geschehen ist.«
Jette gehorchte, und nach wenigen Augenblicken kam Mehnert, welcher die Zofe stehen sah.
»Jetzt bitte, wo sind Sie solange gewesen?« fragte er.
»Davon später. Kommen Sie!«
»Wohin?«
»In meine Wohnung. Ich denke, Sie wünschen mich nach Hause zu begleiten?«
»Gern, sehr gern! Was haben Sie da? Erlauben Sie mir, es zu tragen!«
»Das geht Sie nichts an. Kommen Sie nur!«
Bis hierher hörte Hauck das Gespräch, dann hatten sie sich zu weit entfernt.
»Sie gehen in ihre Wohnung,« dachte er. »Die muß ich kennen lernen. Was sie da im Tuche trägt, das muß sie aus dem Palais geholt haben. Sie hat den Schlüssel zur Pforte. Ein Geheimniß ist das auf alle Fälle. Ich muß es ergründen. Meine Pauken mögen vor Sehnsucht nach mir zerplatzen; mir ganz egal!«
Der Weg war nicht weit. Hulda hielt bald mit Mehnert vor ihrer Hausthür, zu welcher sie den Schlüssel bei sich hatte.
»Ich wohne jetzt möblirt,« sagte sie. »Man darf Ihre Anwesenheit nicht bemerken. Ziehen Sie Ihre Stiefeln aus!«
»Ah!« fragte er voller Freude. »Ich darf mit hinauf?«
»Ja.«
»So haben Sie mich lieb?«
Er wollte den Arm um sie legen; sie aber wehrte ihm ab und antwortete:
»So weit sind wir wohl noch nicht. Ich habe mit Ihnen zu sprechen, und zwar unbemerkt und ungestört; das ist der Grund, daß ich Ihnen die Erlaubniß gebe, mit bis in mein Zimmer zu gehen.«
Sie traten ein und Hulda verschloß die Thür von innen. Hauck nahm an der anderen Straßenseite Posto und sagte zu sich: »Hier bleibe ich, selbst wenn es Pflaumenkuchen regnen sollte. Weiß ich, wo sie wohnt, so muß ich auch seine Wohnung erfahren. Ich warte also, bis er wieder aus dem Hause kommt.«
Die Beiden erreichten das in der ersten Etage gelegene Zimmer von den Hausbewohnern unbemerkt. Hulda legte das Packet ab, um die Lampe anzubrennen.
»Das war ein bekannter Ton,« meinte Mehnert. »Das klang gerade so, als ob das Tuch Gold-und Schmucksachen enthielte.«
»Nicht so neugierig! Und sprechen Sie leiser; man hört uns sonst nebenan. Die Wände sind so dünn. Setzen Sie sich da auf das Sopha!«
Er gehorchte, gehorchte nur gar zu gern. Das Licht brannte und Mehnert sah, daß er sich in einem sehr traulich eingerichteten Zimmer befand, in welchem zugleich auch das Bett der Inhaberin stand. Diese zog die Stiefeletten aus, um sie mit weichen Pantöffelchen zu vertauschen, wobei ein allerliebstes kleines, weißbestrumpftes Füßchen zum Vorschein kam.
Dann legte sie auch das Tanzkleid ab, um an Stelle desselben ein Negligeejäckchen anzuziehen.
»Sie verzeihen!« sagte sie. »Ich bin ja hier zu Hause. Ich will mir es bequem machen.«
»Thun Sie das, thun Sie das!« antwortete er, indem er die Augen begierig auf die Reize richtete, welche sie entblößen mußte. So schöne, volle weiße Arme hatte er noch nie gesehen und die volle, vom Schnürleib nicht ganz umfaßte Büste war einer Venus würdig.
Sie gewährte ihm diesen Genuß aus Berechnung, doch that sie, als ob sie gar nicht bemerke, daß sie seinem Blicke Punkte geboten habe, welche sonst verhüllt zu bleiben hatten.
»So,« sagte sie, »jetzt kann man freier athmen und nun wollen wir auch mit einander sprechen. Rücken Sie ein wenig hin.«
Sie setzte sich neben ihn auf das Sopha. Dieses letztere war klein und zierlich, so daß die Beiden ganz eng an einander saßen.
»Hätten Sie,« fragte sie, »als Sie mich das erste Mal sahen, es für möglich gehalten, einmal so hier bei mir zu sitzen?«
»Ob es möglich sei oder nicht, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe nur die Sehnsucht nach Ihnen gefühlt.«
»Ist die denn gar so groß gewesen?«
»Unendlich groß!«
»So ist sie also jetzt befriedigt?«
»O nein, noch nicht.«
»Sie sind ja bei mir!«
»Aber nicht so, wie ich es wünsche.«
»Nun, wie wünschen Sie es denn?«
»Ungefähr in dieser Weise.«
Er legte den Arm um sie, um sie an sich zu ziehen; sie jedoch entwand sich ihm und sagte verweisend:
»Ich sehe, daß Sie keine sehr gute Meinung von mir haben.«
»Wieso? Die Meinung, welche ich von Ihnen habe, ist die allervortrefflichste.«
»Keineswegs. Ich sehe Sie heute eigentlich zum ersten Male, und dennoch muthen Sie mir Zärtlichkeiten zu, welche eine lange Bekanntschaft voraussetzen. Wissen Sie, welchen Mädchen man solche Zumuthungen stellen darf?«
»Was denken Sie, Fräulein Hulda! Die echte, wahre Liebe braucht nicht Jahre, um sich zu entwickeln; sie ist im Augenblicke da und verlangt sofortigen Gehorsam. Wenigstens ist es mir genau so mit Ihnen ergangen. Als ich Sie zum ersten Male sah, da wußte ich, daß mein Leben Ihnen geweiht sein würde.«
»Sind Sie vielleicht im Besitze eines Briefstellers?«
»Nein. Warum?«
»Ich dachte, Sie hätten diese Worte aus einem solchen auswendig gelernt.«
»Sie sollten nicht spotten!«
»Ich spotte nicht, ich kann aber nicht glauben, daß ich im Stande sei, einen gar so schnellen und tiefen Eindruck zu machen.«
»O, da kennen Sie sich ja gar nicht.«
»Ich glaube, mich sehr gut zu kennen.«
»Nein. Sehen Sie sich an, wie Sie hier sitzen!«
»Nun, wie denn?« lächelte sie verführerisch.
»So, daß man sich alle Gewalt anthun muß, Sie nicht fest und innig in die Arme zu schließen.«
»Gehen Sie! Was haben Sie denn davon, wenn Sie mich in den Armen halten?«
»Was ich davon habe?« fragte er erstaunt. »Fragen Sie im Ernste so?«
»Natürlich!«
»Nun, dann haben Sie noch nie geliebt!«
»Allerdings nicht. Sie dagegen desto öfter.«
»Nie!« betheuerte er.
»Wie? Sie wollen nie geliebt haben und wissen doch so genau, was es mit einer Umarmung für eine Bewandtniß hat? Gehen Sie!«
»Ich habe es auch noch nicht gewußt, sondern ich weiß es erst jetzt in diesem Augenblicke. Denken Sie doch daran, was ich Ihnen im Tivoli erzählte.«
»Was?«
»Nun, wie ich Sie zum ersten Male gesehen habe, so reizend, so entzückend.«
»Wohl reizender als jetzt?«
»Schöner nicht, aber reizender allerdings. Ich gäbe viel darum, Sie wieder so zu sehen.«
»Sie sind ungenügsam. Ich denke, Ihnen genug gewährt zu haben durch die Erlaubniß, jetzt bei mir hier sitzen zu dürfen. Nicht?«
»Sie machen mich durch diese Erlaubniß wirklich glücklich. Ich muß Ihnen dafür Ihren süßen Mund –«
»Nein, nein!« fiel sie schnell ein, ihn von sich abwehrend. »Ich bin nicht mehr so leichtgläubig wie früher.«
»Ich spreche die Wahrheit!«
»Das muß erst erprobt sein. Ich habe einmal einem Manne geglaubt, zum zweiten Male nicht wieder, ohne vorher Beweise zu haben.«
»Fordern Sie von mir diese Beweise!«
»Gut. Sie sagen, ich sei schön, und ich will ehrlich zugeben, daß ich es bin. Ich fühle mich befähigt, einen Mann glücklich zu machen, aber ich verschleudere dieses Glück nicht, ich bringe es nur dem Würdigen entgegen. Der Würdige ist Derjenige, welcher mir zu beweisen vermag, daß er mich wirklich liebt, mehr als alles Andere, daß ich ihm über Alles gehe.«
»Das ist ja bei mir der Fall!«
»Daß ihm kein Opfer für mich zu schwer und zu groß ist.«
»Ja, so ist es bei mir!«
»Verstehen Sie mich wohl. Ich meine jedes Opfer, alle Arten von Opfern. Er soll nur an mich denken, mir alle Bedenken zu Füßen legen. Soll ich Sie in dieser Weise auf die Probe stellen?«
»Thun sie es!«
Sie legte sich halb sitzend in die Sophaecke zurück, das schöne Köpfchen nach hinten sinkend lassend. War es Zufall oder Berechnung, die Jacke öffnete sich, und ein Schloß des Corsets sprang auf. Sie that nichts, diese Enthüllung wieder zu verschleiern. Sie fragte: »Könnten Sie zum Beispiel mir zu Liebe etwas thun, was andere Menschen ein Unrecht nennen würden?«
»Ja,« antwortete er schnell und bestimmt.
»Irgend ein Vergehen?«
»Aber nicht ein Verbrechen?«
»Auch das, wenn ich einsehen könnte, daß es mir Ihre Gegenliebe bringt.«
»So wollen wir sehen, ob dies wahr ist. Ich Mitte, daß ich Sie liebhaben könnte –«
»Wirklich, wirklich?« fiel er ein.
»Ja. Aber Sie müßten ein resoluter, thatkräftiger Mann sein. Ich hasse glühend, vermag aber auch ebenso glühend zu lieben. Meine Liebe soll nur Dem gehören, welcher sich Mühe giebt, meinen Haß zu stillen.«
»Sie meinen in Beziehung auf jenen Polizisten?«
»Ja.«
»Sagen Sie mir, was ich thun soll!«
»Werden Sie es thun?«
»Sicher!«
Er war wie trunken vom Anblicke ihrer Schönheit.
»Wenn Sie ihn nun ermorden sollten?«
»Ich thäte es!«
»Oho! Man machte Ihnen den Proceß.«
»Pah! Es sollte mir Niemand etwas beweisen können.«
»Nun, so viel verlange ich gar nicht. Ich will ihn zwar tödten, aber nicht körperlich, sondern moralisch. Er hat als Criminalspion schon Manchen unglücklich gemacht; jetzt soll er selbst in’s Gefängniß spazieren. Wollen Sie dazu helfen oder nicht?«
»Sehr gern, wenn ich es vermag!«
»Gut. Sie sollen sogleich einen kleinen Lohn haben. Hier, küssen Sie mich!«
Sie hielt ihm den Mund entgegen und er machte von dieser Erlaubniß sofort Gebrauch. Aber als er sie enger umschlingen wollte, schob sie ihn von sich und sagte: »Genug für jetzt! Sie sehen, daß ich mit meiner Zärtlichkeit keineswegs geize, aber ich will auch sehen, daß Sie sie verdienen.«
»Ich wiederhole nur die Bitte, mir zu sagen, was ich zu thun habe.«
»Zweierlei.«
»Ich thue es, und wenn es noch so schwer wäre!«
»Beides ist sehr leicht. Erstens sollen Sie zwei Ringe, welche ich Ihnen gebe, morgen an die beiden Polizisten verkaufen, Jedem einen.«
»Und zweitens?«
»Zweitens sollen Sie später behaupten, daß dies die beiden Ringe gewesen seien, welche Sie mir vorhin im Tivoli gegeben haben.«
»Ich werde es thun, bitte aber um die nothwendige Erklärung, damit ich dabei keinen Fehler mache.«
»Das ist allerdings unumgänglich nöthig. Also hören Sie: Die Pretiosen der Baronin von Helfenstein befinden sich noch in deren Palais. Sie werden gestohlen werden.«
Es zuckte wie eine Erkenntniß über sein Gesicht.
»Sie sind bereits gestohlen!« sagte er.
»Was bringt Sie auf diese Idee?«
»Pah! Dort liegen sie!«
»Werden Sie es verrathen?«
»Was denken Sie! Lieber ließe ich mir die Zunge aus dem Munde reißen.«
»Das verlange ich auch von Ihnen, die tiefste, unverbrüchlichste Verschwiegenheit! Wissen Sie, wer das Palais Helfenstein bewacht?«
»Jene beiden Polizisten.«
»Ja. Ich habe die nöthigen Schlüssel und bin dort gewesen. Sie haben Recht. Die Juwelen liegen hier, dafür steckt in den Effecten eines jeden der beiden Spione einer der Ringe, die Sie mir gegeben haben.«
»Wozu?«
»Begreifen Sie das nicht?«
»Nein, obgleich ich zu ahnen beginne.«
»Nun, sie werden die gestohlenen Ringe von Ihnen kaufen und ihren Bräuten schenken. Der Diebstahl wird entdeckt und man findet bei den beiden Mädchen das gestohlene Gut.«
»Dann werden sie sagen, daß sie diese beiden Ringe von mir haben.«
»Das werden sie allerdings sagen; Sie aber bestreiten das. Sie beschreiben die beiden anderen Ringe und –«
»Ich könnte sogar deren Zeichnungen vorlegen,« schaltete er ein.
»Desto besser. Sie fordern, daß bei ihnen ausgesucht werde. Man muß es thun und wird Ihre Ringe finden, die ich da versteckt habe. Die Wahrheit Ihrer Aussage ist erwiesen und ebenso ist bewiesen, daß sie die Diebe sind.«
»Man wird nach den übrigen Juwelen fragen.«
»Sie werden nicht angeben können, wo diese sich befinden, man wird sie für verstockt halten müssen und ihnen eine desto härtere Strafe dictiren.«
»Ein teuflischer Plan!«
»Ich räche mich!«
»Und ich stehe Ihnen bei.«
»Das erwarte ich.«
»So schwierig es auch ist.«
»Schwierig? Pah! Das Schwere ist bereits gethan. Die Juwelen sind gestohlen und die Ringe sind versteckt. Es ist nur noch nöthig, zwei der gestohlenen Ringe an sie zu verkaufen. Das ist doch leicht.«
»Ja, das ist leicht. Dann aber die gerichtliche Untersuchung. Da gilt es, fest zu sein.«
»Eben, wenn Sie fest sind, kann Ihnen ja nicht das Mindeste geschehen. Kommen Sie und sehen Sie sich einmal diese Sachen an.«
Sie öffnete das Concerttuch und breitete den Raub vor ihm aus. Er hatte fast gar kein Auge für die kostbaren Steine und deren Fassung. Er blickte nur auf das schöne Mädchen, welches neben ihm stand und gar nicht zu bemerken schien, daß die weite Jacke von den weißen, üppigen Schultern rutschte.
»Was sagen Sie dazu?« fragte sie.
»Vielleicht zusammen zwanzigtausend Gulden werth, mehr nicht. War diese dicke Jette mit?«
»Sie weiß also um Ihren Plan?«
»Ja.«
»Auch von mir?«
»Daß ich sie einweihen muß, weiß sie, mehr aber nicht.«
»Das ist gut. Wahrscheinlich verlangt sie, daß Sie mit ihr theilen?«
»Allerdings.«
»Werden Sie es thun?«
»Scheinbar, ja.«
»Ah! Sie wollen sie täuschen?«
»Natürlich! Sie werden mir einige billige Sachen versorgen, die ich ihr als ihr Antheil gebe. Sie hat diese Gegenstände gar nicht gesehen und wird also zufrieden sein müssen.«
»Sie sind eine Schlaubergerin wie selten Eine! Also zwei Ringe. Ich werde diesen hier nehmen und diesen. Beide haben eine gewisse Ähnlichkeit mit denen, die ich Ihnen gegeben habe. Darf ich sie einstecken?«
»Gewiß. Ich hoffe, daß Sie Ihre Sache zu meiner Zufriedenheit machen werden.«
»Ohne allen Zweifel. Aber, bitte, wollen wir auch ein Wort über den Lohn sprechen, welcher meiner wartet?«
»Ich denke, er soll in meiner Gegenliebe bestehen?«
»Ja, doch ist der Begriff Gegenliebe etwas sehr weit. Wollen wir ihn nicht lieber enger begrenzen?«
»Wie soll das gemacht werden?«
Da ergriff er ihre Hände und antwortete:
»Hulda, sagen Sie mir, wann ich Sie die Meine nennen darf. Sagen Sie es mir!«
»Die Ihrige? Auch dieser Begriff ist etwas sehr weit. Wollen wir ihn nicht lieber auch enger begrenzen?«
»Dieses Wort kann doch nur eine einzige Bedeutung haben.«
»O nein! Die stolzen Herren der Schöpfung nennen eine Jede, welche sie einmal umarmen, die Ihrige.«
»So meine ich es nicht. Damit wäre ich nicht zufrieden. Ich will Sie ganz haben, ganz, als meine Frau!«
Sie trat einen Schritt zurück, that ganz erstaunt und fragte in reizender Koketterie:
»Wie? Höre ich recht? Heirathen wollen Sie mich? Heirathen?«
»Aber was denn sonst? Was haben Sie sich denn gedacht?«
»Nun, gedacht habe ich mir eigentlich noch gar nichts. Aber wenn es bei Ihnen wirklich so entsetzlicher Ernst ist, so werde ich mir diese Angelegenheit wohl auch von der ernsten Seite betrachten müssen. Also gebe ich Ihnen die kurze und bündige Antwort: Sobald die beiden Polizisten dem Strafrichter überliefert werden, bin ich bereit, Ihre Frau zu sein.«
»Eher nicht?«
»Nein. Erst die Rache und dann die Liebe!«
»Und vorher nicht eine ganz kleine Abschlagszahlung?«
»Was verstehen Sie darunter?«
»Die Verlobung.«
»Ist nicht nothwendig. Es braucht jetzt Niemand zu wissen, daß wir uns kennen.«
»Grausame!«
»Ich will nachsichtig sein. Kommen Sie morgen Abend elf Uhr hierher vor die Thür. Wenn Sie mir dann sagen können, daß die Beiden die zwei Ringe gekauft haben, dürfen Sie mich zum ersten Male umarmen.«
»Sie setzen mich wahrhaftig auf Krankenkost!«
»Sie sind doch auch krank – liebeskrank!«
»Meinen Sie, daß ich durch so magere Diät geheilt werden könne?«
»O nein, ich werde nur desto kränker.«
»Welche Kost verlangen Sie denn?«
»Eine kräftige. Ungefähr diese!«
Er hatte blitzschnell die Arme um sie gelegt und zog sie fest an sich. Sie sträubte sich und wollte sich loswinden: er aber gab sie nicht frei. Endlich ließ sie den Widerstand fallen und folgte willig, als er sie zu sich auf das Sopha zog. Hier legte sie sich mit verführerischer Innigkeit an ihn, ohne ihm jedoch allzu große Kühnheit zu gestatten. Sie liebte ihn ja noch nicht, sie konnte ihn nur leiden, sie berechnete.
Als er später sich verabschiedete, war sie überzeugt, seine Liebe bis zur willenlosesten Hingebung angefacht zu haben. Er war ihr Sclave geworden, das versicherte er ihr, und das glaubte sie auch. Sie brachte ihn vor die Thür und entließ ihn mit einem Kusse.
»Verflucht!« brummte drüben der Paukenschläger. »Dieser Kuß gehörte eigentlich mir, für die vier vollen Stunden, welche ich hier gestanden habe. Doch ist’s auch so recht, ich danke dafür. Ja, wenn es diese Laura Werner wäre! Ah, Sapperment! Da hielte ich ihr den Schnabel hin und sie könnte hineinblasen wie in eine A-Clarinette, so lange es ihr beliebte. Aber jetzt muß ich aufmerken, daß mir dieser Kerl ja nicht aus den Augen kommt. Ich will unbedingt wissen, wo er wohnt.«
Der Weg führte an dem Gerichtsgebäude vorüber. Dort war es dem Musikus, als ob er eine Thür klirren hörte. Drei Gestalten kamen von der Mauer her, da, wo sich ein Seiteneingang befand. Mehnert war von der Seite der Ecke her gekommen. Sie hatten sein Nahen nicht hören können und stießen fast mit ihm zusammen.
»Donnerwetter!« sagte er. »Herr Simeon!«
»Mehnert, Sie?«
»Ja, und – Herrgott, der Freiherr von Tannenstein und Fräulein Tochter in Männerkleidung?«
Das war ihnen vor Ueberraschung entfahren. Jetzt sagte Simeon in gedämpftem Tone:
»Um Gottes willen, still! Es darf kein Mensch ahnen, daß wir hier waren. Kommen Sie mit nach Ihrer Wohnung, wo wir Ihnen Alles erklären werden.«
Sie eilten von dannen, Hauck hinter ihnen her.
»Schön!« sagte er zu sich selbst. »Also Mehnert heißt dieser Kerl. Der Andere ist ein gewisser Simeon, bei dem ein Freiherr von Tannenstein mit seiner Tochter war, die hatte sich als Mann verkleidet. Das werde ich mir zu merken haben. Sie kamen aus der Seitenthür des Amtsgerichtes. Da ist irgend eine Luderei ausgeheckt worden. Also rasch nach!«
In seinem Eifer trat er zu stark auf. Theodolinde besaß ein außerordentlich feines Gehör.
»Es kommt jemand hinter uns her,« sagte sie.
»Bleiben wir stehen,« meinte Simeon.
Sie thaten es und hörten, daß der hinter ihnen Kommende auch stehen blieb.
»Gehen wir weiter!«
Sie hörten, daß sich der Mann auch in Bewegung setzte. Sie blieben noch einige Male stehen, um zu sehen, ob es sich wirklich um eine Verfolgung handle.
»Ja,« sagte Simeon. »Er hat es auf uns abgesehen. Gehen Sie langsam weiter!«
»Was wollen Sie thun?« fragte der Freiherr.
»Ihn uns vom Halse schaffen.«
Er lehnte sich ganz eng an eine dunkle Hausthür und ließ den Musikus, der an der anderen Straßenseite ging, vorüber. Dann zog er den Todtschläger heraus, huschte ihm nach, holte aus – ein fürchterlicher Hieb, ein lauter Schrei – der Getroffene brach zusammen, und der Goldarbeiter eilte davon. –Er hatte sich punkt ein Uhr am Brunnen des Altmarktes eingestellt, natürlich nicht ahnend, daß Hulda und Jette, die er Beide kannte, einige Stunden früher in ebenso heimlicher Absicht hier vorübergekommen seien.
Er fand den Freiherrn und zu seinem Erstaunen auch dessen Tochter, und zwar in Männerkleidung.
»Nun, wie steht es mit den Schlüsseln?« fragte Herr von Tannenstein.
»So kann es wohl losgehen?«
»Ja. Es ist bereits sehr ruhig auf den Straßen. Wir werden es wagen können.«
Als sie das Gerichtsgebäude erreichten, gingen sie zunächst recognosciren. Es war kein Mensch zu sehen oder zu hören. Der Schlüssel öffnete. Sie traten ein und schlossen hinter sich zu. Dann brannten sie die Blendlaterne an.
»Jetzt sollte Jemand kommen!« sagte der Freiherr.
»Mich würde man nicht fangen,« erklärte seine entschlossene Tochter. »Ich habe da ein scharfgeladenes Doppelterzerol.«
»Damit würden Sie Alles verderben. Der Schuß würde nur Verfolger herbeilocken. Ich habe mir eine bessere Waffe mitgebracht. Sehen Sie. Einen Todtschläger. Der arbeitet ohne Geräusch und sicher. Kommen Sie!«
»Kennen Sie die Oertlichkeit genau?«
»Ganz genau. Ich habe mich natürlich gut unterrichtet.«
Sie horchten bei jeder neuen Biegung des Ganges oder der Treppe. Endlich blieb Jacob vor einer Thür stehen.
»Da ist das Zimmer, welches wir suchen.«
Der Schlüssel öffnete natürlich auch hier. Er steckte mit mehreren anderen kleineren an einem Schlüsselringe. Sie verschlossen auch diese Thür hinter sich, nachdem sie eingetreten waren. Hier nun gab es zwei offene Thüren, welche rechts und links je in ein Nebenzimmer führten. Sie nahmen sich in Acht, den Schein der Laterne nicht so fallen zu lassen, daß er von unten bemerkt werden konnte.
»Da sind wir,« sagte der Freiherr. »Wo aber wird diese Geschichte stecken?«
»In einem offenen Behältnisse jedenfalls nicht, sondern in einem Schranke. Wir müssen eben suchen.«
Schränke befanden sich nur in dem Nebenzimmer rechts. Sie konnten mit Hilfe der mitgebrachten Schlüssel geöffnet werden, und nun begann die Nachforschung.
Sie gaben sich dabei Mühe, ja nicht etwa eine Spur ihrer Anwesenheit zurückzulassen. Endlich fand sich ein Kästchen, in welchem sich das Gesuchte befand.
»Da ist’s!« meinte Jacob Simeon. »Jetzt nun schnell es untersuchen! Sodann müssen wir es wieder zurückschaffen.«
»Wollen erst sehen, ob dies nöthig ist. Zeigen Sie her!«
Theodolinde betrachtete Stoff, Façon und Stickerei aufmerksam beim Scheine der Laterne und sagte dann: »Wir brauchen es nicht mitzunehmen. Papier und Bleistift giebt’s hier genug. Ich fertige genaue Zeichnungen, nach welchen wir die Copien anfertigen. Morgen Abend sind wir fertig und können den Umtausch bewerkstelligen.«
Das war dem Goldarbeiter auch recht. Die Zeichnungen wurden genau angefertigt, dann brachen die Drei wieder auf, natürlich besorgt, Alles genau so zurückzulassen, wie sie es vorgefunden hatten. –Als unten die Pforte wieder verschlossen war und sie sich nun entfernen wollten, stießen sie, wie bereits erwähnt, auf Mehnert, dem sie nach dessen Wohnung folgten, wobei der Paukenschläger von Jacob Simeon den Hieb erhielt, welcher ihm hätte das Leben kosten können.
Nach einiger Zeit fand ein Nachtwächter den regungslos Daliegenden. Er pfiff Hilfe herbei, um ihn nach der nächsten Hilfsstation schaffen zu lassen, wo er zufällig erkannt wurde. Am anderen Morgen war in den Blättern zu lesen:
»In letzter Nacht fand man den Musikus Hauck, einen jungen, kräftigen Mann, ohne Besinnung auf der Straße liegend, auf. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß ein Schlag an den Kopf die Ursache dieses Falles sei. Es läßt sich vermuthen, daß der beinahe tödtliche Hieb mit einem sogenannten Todtschläger ausgeführt worden ist. Da der Patient bis jetzt seine Besinnung noch nicht wieder erlangt hat, so bleibt der Vorgang noch in Dunkel gehüllt. Glücklicher Weise aber steht zu hoffen, daß der Verletzte mit dem Leben davonkommen werde.«
Kurz nach Mittag schlenderten Anton und Adolf der Gasse zu, in welcher Mehnert wohnte.
»Ja,« sagte der Erstere, »es ist so, wie ich sage. Jacob Simeon soll gestern Abend gesehen worden sein. Nachtwächter Nummer Zwanzig will ihn erkannt und auch angerufen haben, doch ist der Kerl schnell enteilt.«
»Es ist allerdings möglich, daß er sich noch in der Stadt aufhält und sich des Nachts nur auf die Gassen wagt. Er mag Wind von dem Verdachte bekommen haben, in welchem er steht. Daß er da so plötzlich verkauft hat und verschwunden ist, gereicht ihm keineswegs zum Vortheile und zur Rechtfertigung. Vielleicht ist bei Mehnert etwas zu erfahren.«
»Schwerlich. Dieser Mensch gefällt mir auch nicht. Er weiß übrigens, daß wir Polizisten sind, und wird sich nicht sehr mit uns einlassen.«
Trotzdem aber traten sie in seinen Laden, um sich die Trauringe auszusuchen. Sie ließen sie natürlich noch bei ihm, um Datum und Namen eingraviren zu lassen. Dann betrachteten sie sich auch die anderen vorhandenen Ringe, mehr in der Absicht, den Ladenbesitzer auszuforschen, als in Wirklichkeit etwas zu kaufen.
Es kam ihnen auch nichts sehr Verlockendes vor die Augen. Was ihnen gefiel, war zu theuer, und das Billige fand ihren Beifall nicht. Zuletzt sahen sie noch, ganz bei Seite geschoben, eine kleine, einfache Pappschachtel, in welcher sich auf gewöhnlicher Watte zwei Ringe befanden.
»Donnerwetter?« sagte Anton. »Die sind echt!«
»Echt?« lachte Mehnert. »Würde ich echte Steine so in dieser Weise aufbewahren?«
»Nicht echt? Ich möchte Gift darauf nehmen, daß es Diamanten sind!«
»Gute, allerdings sehr gute Nachahmungen, weiter nichts.«
»Wie ist der Preis?«
»Zehn Gulden pro Stück.«
»Was? Zehn Gulden? So billig? Da behalte ich einen.«
»Ich auch,« meinte Adolf.
»Aber ich wiederhole, daß es nur Imitation ist. Wenn die Herren sie wirklich behalten wollen, so –«
»Nun was? Wir behalten sie.«
»So möchte ich fast um eine Bescheinigung bitten, daß ich sie Ihnen als Imitation verkauft habe; es ist einfaches Alenconer Bergkrystall.«
»Diese Bescheinigung sollen Sie haben. Jetzt können wir fast dicke thun. Kein Mensch wird uns beweisen können, daß diese Ringe unecht sind.«
Als sie bezahlt hatten und seelenvergnügt den Laden verließen, lachte Mehnert höhnisch hinter ihnen her: »In die Falle gegangen! Jetzt ist mir Hulda sicher. Das ist mir außerordentlich leicht geworden, leichter, als ich dachte. Um dieses reizende Mädchen zur Frau zu bekommen, würde man noch ganz andere Dinge thun. Erstens ist sie schön und zweitens nun auch wohlhabend. Das Geschmeide repräsentirt zwar keinen Reichthum, ist aber doch soviel werth, wie ich selbst besitze. Wird sie meine Frau, so verdoppelt sich also mein Vermögen. Wie freue ich mich auf heute Abend!«
Er brauchte nicht bis zum Abend zu warten, denn noch im Laufe des Nachmittags hatte er die freudige Ueberraschung, die Geliebte bei sich eintreten zu sehen. Als er sie nach der Ursache dieses unerwarteten Besuches fragte, antwortete sie: »Ich hatte doch nicht daran gedacht, daß diese Jette heute ihre Hälfte abholen werde.«
»War sie bei Ihnen?«
»Ja; aber ich habe mich verleugnen lassen. Ich konnte ihr doch nichts geben. Ich komme jetzt, um mir etwas von Ihnen zu holen, natürlich etwas Unechtes. Sie will gegen Abend wiederkommen; da gebe ich es ihr.«
»Das ist gleichgiltig. Viel soll es nicht kosten. Die Bezahlung habe ich gleich mitgebracht.«
»O bitte, das ist doch nicht nöthig!«
»Warum nicht? Geschäft ist Geschäft. Daß Sie es mit mir abschließen, das ändert nichts an der Sache. Wie viel ist wohl hier dieses Armband werth?«
Sie zog den genannten Gegenstand hervor, den er prüfend betrachtete. Er antwortete:
»Ah, von den Sachen der Baronin von Helfenstein!«
»Natürlich! Würden Sie es als Zahlung annehmen?«
»Von Ihnen, ja, von einem Anderen aber nicht. Es mag über hundert Gulden gekostet haben, aber in Folge der Art und Weise, wie es in Ihren Besitz gekommen ist, verliert es bedeutend an Werth. Man muß den Stein herausnehmen und das Metall dann einschmelzen, der Sicherheit wegen. Ich kann wirklich nicht mehr als fünfzig Gulden bieten.«
»Das genügt. Geben Sie mir für diese fünfzig Gulden andere Schmucksachen, die ich dann dieser Jette geben werde.«
»Schön! Was aber werden Sie mit den übrigen Geschmeidegegenständen anfangen?«
»Die erhalten Sie, natürlich als meine Aussteuer. Sie werden das Gold einschmelzen und die Steine beliebig verwerthen. Sobald diese beiden Spione in Strafe genommen sind, bin ich die Ihrige, und dann erhalten Sie die Sachen. Sind die Zwei vielleicht bereits hier gewesen?«
»Wirklich? Haben Sie die Ringe verkauft?«
»Gewiß. Es ist Alles ganz gut von statten gegangen.«
»So wird unser Plan gelingen. Hoffentlich dauert es nicht lange, bis sie die Ringe ihren Mädchen geben.«
»Das wird noch heute geschehen, wie ich aus ihren Reden zu errathen vermochte.«
»Gut. Suchen wir also jetzt aus!«
Er gab ihr für fünfzig Gulden minderwerthige Sachen. Sie hatte nichts dagegen, daß er sie dabei mit Zärtlichkeiten überschüttete. Beim Scheiden dann meinte er: »Es hat mich natürlich gefreut, Sie bei mir zu sehen, eigentlich aber wäre es mir lieber gewesen, wenn Sie nicht gekommen wären.«
»Warum?«
»Ich sollte Sie doch heute Abend aufsuchen, um Ihnen zu berichten, ob es mir gelungen ist, die beiden Ringe an den Mann zu bringen. Nun wünschen Sie vielleicht, daß dieser Besuch in Wegfall kommt. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut.«
»Nun, ich will nicht grausam sein. Kommen Sie also!«
Sie war kaum zu Hause angelangt, als die dicke Tochter des Apothekers wiederkam und nun ihre Schmucksachen erhielt. Jette war keineswegs sehr scharfsinnig; sie steckte die Gegenstände zu sich und dachte nicht daran, daß es möglich sei, übervortheilt zu sein.
Der Paukenschläger Hauck hatte den ganzen Tag ohne Besinnung gelegen.
Erst am Abend meldete die Wärterin, welche ihn zu beobachten hatte, dem Arzte, daß er die Augen geöffnet habe.
»Hat er gesprochen?«
»Nein, kein Wort. Sein Blick ist blöde und verständnißlos. Das Selbstbewußtsein scheint zu fehlen.«
»Hoffentlich wird es bald wiederkehren. Ich werde gleich einmal zu ihm gehen.«
Es stand doch besser, als die Wärterin gemeint hatte. Als der Arzt zu dem Patienten kam, saß dieser aufrecht im Bette und hielt die Hand an diejenige Stelle des Kopfes, an welche er den Schlag erhalten hatte. Sein Blick war nicht mehr blöde wie vorher und erwiderte den Gruß des Arztes.
»Wo befinde ich mich denn?« fragte er dann.
»Im Stadtkrankenhause.«
»Warum denn? Wie bin ich denn hierher gekommen?«
»Man hat Sie, besinnungslos auf der Straße liegend, gefunden.«
»Besinnungslos? Mein Kopf thut weh.«
»Sie müssen einen Hieb erhalten haben, der Sie sofort niedergeworfen hat.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Sind Sie nicht mit Jemand in Streit gerathen?«
»Nein. Ich weiß überhaupt gar nicht, wo ich gewesen bin.«
»Das wäre doch eigenthümlich! Sie können sich nicht mehr auf den Ort besinnen?«
»Nein. Seit wann bin ich hier?«
»Seit vergangener Nacht.«
»Welcher Tag ist heute?«
»Dienstag.«
»So muß ich doch gestern im Tivoli gewesen sein, um mit Musik zu machen.«
»Das ist allerdings der Fall. Man hat natürlich von Seiten der Polizei nachgeforscht. Sie sind im Tivoli gewesen, haben sich aber entfernt und sind nicht wieder gekommen.«
»Das wäre sonderbar!«
»Sie wissen also nicht, warum Sie fortgegangen sind?«
»Nein.«
»Aber doch, wo Sie gewesen sind?«
»Auch nicht. Ich weiß nur, wer ich bin und daß ich mich hier befinde.«
»Das ist ein Fall höchst interessanter Gedächtnißstörung, natürlich in Folge des Hiebes, den Sie erhalten haben. Ich hoffe, daß die Erinnerung zurückkehren wird, sobald sich die Anschwellung gesetzt haben wird.«
»Bin ich verwundet?«
»Eigentlich verwundet nicht, auch ist der Knochen nicht entzwei. Jedenfalls aber ist eine Blutansammlung vorhanden. Ist dieses Blut absorbirt, so sind Sie geheilt. So besinnen Sie sich also auf gar nichts, betreffs des gestrigen Abends?«
»Nicht auf das Geringste.«
»Sie sollen einmal getanzt haben.«
»Getanzt? Das wäre fast ein Wunder. Ich pflege nicht zu tanzen. Wer soll denn meine Tänzerin gewesen sein?«
»Das hat man noch nicht erfahren können. Man hat die betreffenden Erkundigungen bei Ihrem Musikdirector eingezogen. Dieser hat das Mädchen nicht gekannt.«
»Ich muß mich doch wenigstens von ihm beurlaubt haben.«
»Nein, das haben Sie nicht gethan. Sie haben sich einen Walzer bestellt, welcher auch gespielt worden ist, als Sie tanzten. Dann sind Sie nach Ihrem Platze zurückgekehrt, um denselben plötzlich wieder zu verlassen. Sie sind aus dem Saale fortgegangen, ohne wieder zu kommen.«
»Das ist sonderbar! Wo mag ich gewesen sein?«
»Das eben möchte man gern wissen. Vielleicht sind Sie auf der Straße mit irgend einem rohen Menschen in Streit gerathen, der Sie dann niederschlug.«
»Fällt mir nicht ein. Erstens verkehre ich nicht mit rohen Menschen, zweitens streite ich mich mit keinem Anderen, wenigstens in der Weise, daß eine Prügelei entstehen könnte, und drittens bin ich stark und kräftig genug, es in einer Balgerei mit Zweien aufnehmen zu können. Hätte es auf der Straße so etwas gegeben, so müßten doch die Nachtwächter den Lärm gehört haben.«
»Die haben freilich gar nichts gehört. Der Wächter, in dessen Reviere Sie gefunden worden sind, ist vernommen worden und er hat ausgesagt, daß in seinem Bezirke Alles höchst ruhig gewesen sei, bis er Sie gefunden hat.«
»Hm! Fast möchte ich glauben, daß ich hinterrücks niedergeschlagen worden bin.«
»Haben Sie Gründe dafür?«
»Was ich bereits sagte: Ich bin stark genug, es mit Zweien aufzunehmen. Wäre ich offen angegriffen worden, so hätte ich mich sicherlich meiner Haut zu wehren gewußt.«
»Aber die Uebermacht!«
»Pah! Da hätte ich um Hilfe gerufen und das müßte der Wächter gehört haben. Man hat mich von hinten niedergehauen mit – ja, mit was denn?«
»Es scheint ein sogenannter Todtschläger gewesen zu sein.«
»Ah! Da haben Sie es! Ein ehrlicher Mensch trägt keinen Todtschläger bei sich. Auch ein Mann, der nur zufälliger Weise in eine Prügelei verwickelt wird, steckt eine so lebensgefährliche Waffe nicht ein. Das thut vielmehr nur Einer, der auf Mord und Todtschlag ausgeht.«
»Diese Argumente lassen sich allerdings hören. Vielleicht ist es auf einen Raub abgesehen gewesen. Wissen Sie genau, was sich in Ihren Taschen befand?«
»Darinnen befindet sich niemals etwas Werthvolles. Ich bin ein armer Teufel. Ich pflege bei mir zu tragen ein paar Cigarren von der billigsten Sorte, ein Portemonnaie mit einigen Kreuzern und meine Cylinderuhr, für welche ich sechs Gulden bezahlt habe.«
»Nun, diese Gegenstände hat man bei Ihnen gefunden. Dort auf dem Tische liegen sie. Drei Cigarren, die Uhr und das Geldtäschchen mit wenig über einen Gulden.«
»Mehr habe ich nicht bei mir gehabt. Von einem Raubanfalle kann also keine Rede sein.«
»Trotzdem doch. Vielleicht war es auf einen Anderen abgesehen. Man hat sich geirrt.«
»Das sollte ihnen der Teufel danken! Wenn sie es auf einen Anderen abgesehen haben, so mögen sie doch diesen niederschlagen, nicht aber mich!«
»So etwas kommt aber leider vor.«
»Ja, aber ich glaube doch nicht, daß dies gestern der Fall gewesen ist. Daß ich vom Saale fortgegangen bin, ist eine solche Seltenheit, daß ich unbedingt sehr wichtige Gründe dazu gehabt haben muß. Mit diesen Gründen möchte ich den Angriff auf meine Person in Verbindung bringen.«
»Vielleicht haben Sie Recht. Wenn Sie sich doch nur auf diese Gründe besinnen könnten.«
Der Musikus kratzte sich in den Haaren und sagte:
»Da habe ich nun freilich nicht die blasseste Idee von einer Ahnung. Sie sind Arzt, treiben also vielleicht auch Phrenologie?«
»Ja. Warum fragen Sie?«
»Hier habe ich die Beule. Liegt denn vielleicht gerade an dieser Stelle alberner Weise das Gedächtniß?«
»Nein. Man nimmt an, daß die Organe des Gedächtnisses weiter nach vorn zu liegen.«
»So sind sie mir eben hinuntergerutscht, denn ich habe die Erinnerung an gestern verloren. Es wäre zum Teufel, wenn das Gedächtniß nicht wiederkommen wollte!«
»Da brauchen Sie sich nicht zu ängstigen. Wenn sich die Geschwulst gelegt hat, wird es sich einfinden.«
»Also steckt es in der Geschwulst. Das will ich mir denn doch verbitten. Mein Gedächtniß soll sich an so eine Beule gar nicht kehren. Ich werde es einmal bei den Ohren nehmen. Ich werde ihm ein bischen zu Hilfe kommen!«
Das klang so spaßhaft, daß der Arzt lachend fragte:
»Wie sollen Sie das anfangen?«
»Hm! Das muß ich mir erst überlegen. Wen hat man außer dem Musikdirector nach mir gefragt?«
»Niemand.«
»So. Da hat man sich freilich nicht an die richtige Quelle gewendet, Herr Doctor.«
»Eine bessere als den Director kann es doch nicht geben.«
»Oho! Denken Sie, daß wir dem Alles auf die Nase binden? Von unseren Privatsachen erfährt er nichts. Es giebt da gar Vielerlei, was er nicht zu wissen braucht. Gerade so eine Angelegenheit ist es vielleicht gewesen, wegen deren ich den Saal verlassen habe. Dann habe ich mich nicht an den Director gewendet, sondern an meinen Kameraden.«
»So kann dieser am Ende Auskunft geben.«
»Sehr möglich. Er geigt die dritte Violine und da diese leicht ausfallen kann, so pflege ich ihm die Pauken anzuvertrauen, wenn ich meinen Platz einmal verlassen muß. Jedenfalls habe ich das gestern auch gethan.«
»So muß er gefragt werden. Ich werde das dem Untersuchungsrichter melden.«
»Untersuchungsrichter? Hat man denn aus dieser Sache eine Amtsgeschichte gemacht?«
»Natürlich! Es handelt sich doch um einen versuchten Todtschlag. Ist das kein Criminalfall, so giebt es überhaupt keinen.«
»Hm! Ich werde also auch vernommen werden?«
»Allerdings, und zwar morgen hier.«
»Sie meinen, ich solle hier bleiben?«
»Ja.«
»Fällt mir gar nicht ein.«
»Denken Sie nicht daran, daß ich Sie entlassen werde!«
»So gehe ich selbst.«
»Das werde ich verhindern. Sie dürfen Ihre Verletzung nicht so leicht nehmen.«
»Ich bin ja ganz wohl! Der Schädel brummt zwar ein wenig, sonst aber fehlt mir gar nichts.«
»Und doch haben Sie keine Erinnerung! Ihr Fall ist für den Arzt höchst interessant; er muß auf das Genaueste beobachtet werden. Ich lasse sie nicht fort.«
»Aber ich könnte vielleicht schon heute herausbekommen, wer mich geschlagen hat!«
»Wenn Ihnen das möglich ist, dann ist es dem Untersuchungsrichter noch viel leichter möglich. Sie werden hier wenigstens so lange warten, bis er morgen bei Ihnen gewesen ist.«
Hauck blickte nachdenklich vor sich hin. Ueber sein Gesicht ging jener schelmische Zug, welcher ihm so sehr eigenthümlich war. Dann antwortete er in ergebungsvollem Tone: »So muß ich liegen bleiben und mich darein ergeben!«
»Ja. Sie werden hier ja viel besser abgewartet und gepflegt als daheim. Und Familie, nach der Sie sich sehnen könnten, haben Sie nicht, wie ich gehört habe.«
»Familie? Das fehlte noch! Ein Mensch, welcher todtgeschlagen werden soll, braucht keine Familie! Ich habe da jetzt etwas ganz Anderes, was mir aber viel Sorgen macht, Herr Doctor.«
»Was denn?«
»Hunger.«
Der Arzt lachte abermals über die drollige Antwort und tröstete ihn mit der Versicherung:
»Dem soll gleich abgeholfen werden. Ich werde dem Hausverwalter den betreffenden Befehl ertheilen.«
»Aber, bitte, machen Sie keinen Fehler – denn ich habe keinen Hunger nach Wasser-oder Semmelsuppe.«
»Nach was denn, Sie Schwerenöther?«
»Nach Fricassee von Huhn, Hamburger Rauchfleisch, polnischem Karpfen, Leipziger Allerlei und gespickter Rindsbrust mit Remouladensauce.«
»Nicht übel! Sie scheinen Geschmack zu besitzen.«
»Auf der Zunge und am Gaumen, ja.«
»Wie aber haben Sie ihm solche Ausbildung gegeben?«
»Durch das Studium der Speisenzettel. Wenn ich nämlich kein Geld habe, so gehe ich in eine feine Restauration, kaufe mir für fünf Kreuzer Zuckerwasser, was bekanntlich das Billigste ist, und setze mich damit möglichst nahe an die Küchenthür. Dann nehme ich den Speisenzettel in die Hand und warte, bis die Thür aufgeht. Kommt dann ein appetitlicher Geruch, so sehe ich schnell auf dem Zettel nach, von welcher Delicatesse er stammt. Auf diese Weise bereichere ich mich an gastronomischen Kenntnissen und Finessen, ohne daß ich davon bankerott werde.«
»Auch gut. Nun, heute werden Sie auf Delicatessen leider verzichten müssen.«
»O weh!«
»Bedenken Sie, daß Sie sich im Krankenhause befinden, wo eine Hummermajonnaise zu den Seltenheiten gehört. Ich werde nachsehen, was es giebt, und Ihnen zugleich eine Flasche Arnicaspiritus verschreiben.«
»Etwa als Dessert, zum Austrinken?«
»Nein, nur zum Einreiben.«
»Ach, wegen meiner Gedächtnißbeule! Na, das muß ich mir eben geduldig gefallen lassen.«
Der Arzt entfernte sich. Als er fort war, brummte Hauck leise vor sich hin:
»Hierbleiben? Im Krankenhause? Nein, fällt mir gar nicht ein! Ich habe eine tüchtige Kopfnuß bekommen, weiter nichts. Sonst fehlt mir gar nichts. Meinem Gedächtnisse werde ich noch heute zu Hilfe kommen; ist’s nicht auf diese Weise, dann auf eine andere. Dort liegt mein ganzer Anzug. Ich werde mich französisch empfehlen, wenn man mich nicht freiwillig fortläßt.«
Nach einiger Zeit kam der Hausverwalter. Er meldete:
»Sie sollen Essen erhalten. Hier giebt es die Abendmahlzeit um sieben Uhr. Das ist vorüber, und es ist nichts übrig geblieben. Aber ich esse privatim. Wenn Sie davon Etwas haben wollen, darf ich es Ihnen geben.«
»Nun, was giebt’s denn?«
»Kartoffelsalat mit Schlackwurst.«
»Schön! Bringen Sie mir getrost eine tüchtige Portion; aber wenig Salat und sehr viel Schlackwurst!«
Der Mann ging lachend und brachte ihm nach einiger Zeit das genannte Essen. Er hatte den Wunsch des gut gelaunten Patienten erfüllt und ihm ein tüchtiges Ende Wurst beigelegt. Darum meinte Hauck: »Sie sind gar kein übler Kerl! machen Sie es mit allen Ihren Patienten so?«
»Kann mir nicht einfallen. Der Oberarzt kurirt zumeist durch Diät. Sie glauben gar nicht, wie schnell unsere Kranken gesund werden, wenn sie täglich nur zwei Wassersuppen bekommen.«
»Da werden Sie mich nicht lange behalten. Ich will lieber machen, daß ich Ihren Wassersuppen aus dem Wege gehe.«
»Na, na, nur nicht so schnell. Heute kommen Sie nicht fort!«
»Warum?«
»Der Arzt hat es verboten. Er sagte mir, daß Sie fort wollen. Ich habe strengen Befehl, Sie nicht fort zu lassen.«
»Dann bleibt mir nichts Anderes übrig, als zu bleiben.«
Als der Hausverwalter fort war, fügte er unter frohem Lachen hinzu:
»Wartet es nur ab! Halten lasse ich mich nicht. Es ist nur gut, daß ich mich nicht in einem Krankensaale, sondern hier in dem Beobachtungszimmer befinde. Wollen doch einmal sehen, wie hoch das Fenster liegt.«
Er stand auf und öffnete den Fensterflügel.