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Und so ritten wir aus Norwood. Die Bauern sahen uns nach, grämlich und verstört, und Rike verfluchte sie. Als wäre es seine Idee gewesen, sie vor Renars Scheiterhaufen zu bewahren, und als schuldeten sie ihm Dank und Jubel dafür. Wir überließen ihnen die Ruinen ihres Ortes, geschmückt mit den Leichen der Männer, die die Gebäude zerstört hatten. Kein guter Ausgleich, zumal die Brüder den Toten alles Wertvolle abgenommen hatten. Ich schätzte, dass wir bis zum Einbruch der Nacht Crath City erreichten, wenn wir zügig ritten, und an die Tore der Hohen Burg klopfen konnten, bevor der Mond aufging.
Ich hätte nicht zu meinem alten Leben heimkehren und wieder daran denken sollen, mich an Graf Renar zu rächen. Das sagte mir der Instinkt. Aber an diesem Tag sprach der Instinkt mit alter, trockener Stimme, und ich traute ihm nicht mehr. Ich wollte nach Hause, vielleicht deshalb, weil etwas anderes verlangte, dass ich nicht nach Hause ritt. Ich wollte nach Hause, und wenn sich die Tore der Hölle geöffnet hätten, um mich daran zu hindern, wäre ich nur umso entschlossener gewesen. Wir nahmen die Burgstraße, durchs Gartenland von Ankrath. Der Weg führte uns vorbei an sanften Flüssen, kleinen Wäldern und ruhigen Gehöften. Ich hatte vergessen, wie grün dieses Land war. Ich hatte mich an eine Welt aus aufgewühltem Schlamm, verbrannten Feldern, rauchgrauen Himmeln und verwesenden Toten gewöhnt. Die Sonne fand uns, drängte sich durch hohe Wolken. In der Wärme wurde unsere Kolonne langsamer, und das Klappern der Hufe verwandelte sich in träges Pochen. Gerrod blieb vor einem aus drei Stangen bestehenden Tor stehen, neben dem sich zu beiden Seiten Hecken erstreckten. Dahinter lag ein Feld mit goldenem Weizen. Gerrod fraß das lange Gras, das beim Torpfosten wuchs. Es fühlte sich an, als hätte Gott Honig auf das Land gegossen, süß und langsam, um allem Frieden zu geben. Norwood befand sich fünfzehn Meilen und tausend Jahre hinter uns.
»Es ist gut, zurück zu sein, nicht wahr, Jorg?« Makin erschien neben mir. Er richtete sich im Sattel auf und atmete tief durch. »Es riecht nach Zuhause.«
Das stimmte. Der Geruch von warmer Erde brachte mich in eine Zeit zurück, in der meine Welt klein und sicher gewesen war.
»Ich hasse dieses Land«, sagte ich. Makin sah mich schockiert an, und er war ein Mann, den so leicht nichts schockierte. »Es ist ein Gift, das Männer bereitwillig nehmen, obwohl sie wissen, dass es sie schwach macht.«
Ich stieß die Hacken an Gerrods Seite und ließ ihn über die Straße laufen. Makin schloss zu mir auf, und wir ritten Seite an Seite. Bei der Kreuzung kamen wir an Rike und Burlow vorbei, die mit Steinen nach einer Vogelscheuche warfen.
»Männer kämpfen für ihre Heimat, Prinz«, sagte Makin. »Es ist das Land, das sie verteidigen. Den König und das Land.«
Ich drehte mich um und rief den Nachzüglern zu: »Schließt die Reihen!«
Makin blieb neben mir und wartete auf eine Antwort. »Lass die Soldaten für ihr Land sterben«, sagte ich. »Wenn die Zeit kommt, diese Felder dem Sieg zu opfern, lasse ich sie sofort in Flammen aufgehen. Was man nicht opfern will, hält einen fest. Es macht einen berechenbar und schwach.«
Im Trab ritten wir nach Westen und versuchten, die Sonne einzuholen.
Es dauerte nicht lange, bis wir die Garnison bei Chelny Ford entdeckten. Oder sie uns. Vermutlich hatten uns die Soldaten auf dem Wachturm schon von weitem gesehen, und fünfzig Männer kamen über die Burgstraße, um uns aufzuhalten.
Ich hielt einige Schritte vor den Lanzenträgern, die in zwei Reihen eine stachelige Barriere vor uns bildeten. Der Rest wartete hinter der Lanzenwand, mit gezogenen Schwertern, abgesehen von einigen Bogenschützen, die rechts beim Kornfeld in Stellung gingen. Einige Kühe links auf der Wiese bemerkten uns und kamen neugierig näher.
»Männer von Chelny Ford!«, rief ich. »Ich grüße euch. Wer führt den Befehl?«
Makin näherte sich mir, und die anderen Brüder folgten ihm. Sie alle saßen locker und entspannt in den Sätteln.
Ein großer Mann trat zwischen den Lanzenträgern nach vorn, entfernte sich aber nicht zu weit von ihnen – ein Dummkopf war er nicht. Er trug Ankraths Farben über einem langen Kettenhemd und einen eisernen Topfhelm bis tief in die Stirn. Rechts von mir hielten Finger mit weiß hervortretenden Knöcheln gespannte Bogensehnen. Links glotzten Kühe hinter der Hecke und wiederkäuten in aller Gemütsruhe.
»Ich bin Hauptmann Coddin.« Der Mann hob die Stimme, als eine Kuh muhte. »Der König nimmt Söldner bei Reiston Fayre in seine Dienste. Es ist bewaffneten Gruppen nicht gestattet, Ankrath zu durchstreifen.« Er hielt den Blick auf Makin gerichtet und erwartete von ihm eine Antwort.
Es gefiel mir nicht, als Kind betrachtet und übergangen zu werden, doch es gab geeignetere Zeitpunkte und bessere Orte, um beleidigt zu sein. Außerdem schien der alte Coddin sein Handwerk zu verstehen. Bruder Gemt zum Opfer meines Zorns zu machen, war eine Sache, die Vergeudung eines guten Hauptmanns in den Diensten meines Vaters eine ganz andere.
Ich hatte das Visier bereits hochgeklappt, und jetzt zog ich mir daran den Helm vom Kopf. »Pater Gomst!«, rief ich den Priester, und die Brüder machten dem alten Burschen brummend Platz. Er bot den Augen nicht viel. Den Bart, der ihm im Galgenkäfig gewachsen war, hatte er sich abgeschnippelt, aber es gab noch immer einige graue Büschel, die sein Gesicht zierten, und seine Priesterkutte schien mehr Schmutz als Stoff zu sein.
»Hauptmann Coddin«, sagte ich, »kennt Ihr diesen Priester, Pater Gomst?«
Coddin wölbte eine Braue. Er hatte ein blasses Gesicht, das jetzt noch blasser wurde. Seine Züge verhärteten sich, wie die eines Mannes, der weiß, dass man sich über ihn lustig macht, den Witz aber noch nicht ganz verstanden hat. »Ja«, sagte er. »Er ist der Priester des Königs.« Wie am Hof schlug er die Hacken aneinander und neigte kurz den Kopf. Hier draußen auf der Straße sah es seltsam aus, mit den über uns zwitschernden Vögeln und den stinkenden Kühen, die uns beobachteten.
»Pater Gomst«, sagte ich, »bitte teile dem Hauptmann mit, wer ich bin.«
Der alte Knabe plusterte sich ein bisschen auf. Seit Norwood war er apathisch und aschfahl gewesen, aber jetzt versuchte er, den einen oder anderen Krumen Autorität aufzupicken.
»Ihr seht den Prinzen Honorous Jorg Ankrath vor Euch, Hauptmann. Verloren und wieder gefunden ist er zum Königlichen Hof seines Vaters unterwegs, und Ihr solltet besser dafür sorgen, dass er eine angemessene Eskorte bekommt.« Er sah mich an, sammelte ein wenig Mut und verzog das Gesicht hinter den lächerlichen Bartresten. »Und ein Bad.«
Daraufhin erklang leises Lachen, zu beiden Seiten unseres Patts. Es zahlt sich nicht aus, einen Kleriker zu unterschätzen. Das Prickeln in meiner Hand verlangte den Griff des Schwerts. Vor dem inneren Auge sah ich, wie Pater Gomsts Kopf von den Schultern fiel, über den Boden rollte und vor den Hufen einer schwarz-weißen Kuh liegen blieb. Ich schob das Bild beiseite.
»Kein Bad. Es wird Zeit für ein bisschen Straßengestank am Hofe. Sanfte Worte und Rosenwasser mögen dem Adel gefallen, doch jene, die im Krieg kämpfen, leben schmutzig. Ich kehre als ein Mann zu meinem Vater zurück, der das Los der Soldaten teilte. Soll er die Wahrheit darüber erfahren.« Ich übergab meine Worte der stillen Luft und behielt Gomsty im Auge. Er war so klug, meinen Blick zu meiden.
Meine kurze Rede erntete keinen Jubel, aber Coddin neigte den Kopf, und niemand sprach mehr von einem Bad. Schade eigentlich, denn seit meiner Entscheidung, nach Hause zurückzukehren, hatte ich mich auf eine Wanne mit heißem Wasser gefreut.
Coddin überließ den Befehl über die Garnison seinem Stellvertreter und ritt mit uns. Mit seiner Eskorte von zwanzig Reitern stieg unsere Zahl auf fast sechzig. Makin hielt jetzt eine Lanze aus der Rüstkammer der Garnison, daran die Farben von Ankrath und das königliche Wappen. Als wir durch die Dörfer kamen, gaben die Garnisonsreiter die Nachricht weiter:
»Prinz Jorg, Prinz Jorg, von den Toten zurückgekehrt.« Die Neuigkeit eilte uns voraus, bis uns in jeder Ortschaft ein größeres Empfangskomitee erwartete. Hauptmann Coddin schickte einen Reiter zum König, bevor wir Chelny Ford verließen, aber selbst ohne seine Botschaft hätte man in der Hohen Burg lange vor unserem Eintreffen von unserem Kommen gewusst.
In Bains Town war die Hauptstraße mit Fähnchen und Wimpeln geschmückt, und sechs Musikanten, mit Laute und Klavichord ausgestattet, spielten »Des Königs Schwert« mit mehr Begeisterung als Geschick. Jongleure warfen und fingen brennende Fackeln, und vor dem Mühlenteich tanzte ein Bär. Und die vielen Leute! So dicht standen sie, dass wir nicht hindurchreiten konnten. Eine dicke Frau in einem zeltartigen Kleid, gestreift wie ein Turnierpavillon, sah mich inmitten der Männer. Mit einem Kreischen, das den Gesang der Musikanten übertönte, zeigte sie auf mich und rief: »Prinz Jorg! Der gestohlene Prinz!« Daraufhin geriet die Menge außer sich und jubelte und weinte. Wie Verrückte drängten sie nach vorn. Coddin ließ seine Männer rasch einschreiten, und dafür verzieh ich ihm die Sache mit dem Kind. Wenn Bauern Rike erreicht hätten, wäre Blut geflossen.
Nur auf der Totenstraße hatte ich bei den Brüdern mehr Furcht gesehen als in Bains Town. Nicht einer von ihnen wusste, was er von dem Trubel halten sollte. Grumlows linke Hand ließ seinen Dolch nie los. Der Rote Kent grinste wie ein Irrer, und in seinen Augen funkelte pures Entsetzen. Doch sie lernten schnell. Wenn sie herausfanden, dass sie Willkommen erwartete, wenn sie die Tavernen und Huren sahen … Tja, dann würde sie vor Ablauf einer Woche niemand aus Bains Town herausholen können.
Einer der Musikanten blies in ein Horn, und ein scharfer Ton schnitt durch den Tumult. Wächter in roten Umhängen über schwarzen Kettenhemden bahnten einen Weg durch die Menge, und kein Geringerer als Lord Nossar von Elm näherte sich uns. Ich erinnerte mich an ihn vom Hofe her. In der goldenen Prunkrüstung und dem Samt wirkte er dicker als früher, und der lange, über den Brustharnisch reichende Bart war grauer. Doch abgesehen davon war es derselbe fröhliche alte Nossar, der mich einst auf den Schultern getragen hatte.
»Prinz Jorg!« Die Stimme des alten Mannes brach, und ich sah den Glanz von Tränen in seinen Augen. Es ging mir nahe, ja, das ging es wirklich. Ich fühlte, wie es etwas in meiner Brust berührte. Es gefiel mir nicht.
»Lord Nossar«, erwiderte ich und brachte ein Lächeln auf meine Lippen. Das gleiche Lächeln, das Gemt von mir empfangen hatte, vor dem Messer. Ich sah ein kurzes Flackern in Nossars Augen, den Hauch eines Zweifels.
Er fasste sich sofort. »Prinz Jorg! Entgegen aller Hoffnung seid Ihr zurückgekehrt! Ich habe den Mann, der die Nachricht brachte, einen Lügner genannt, aber hier seid Ihr.« Er hatte eine sehr tiefe Stimme, volltönend und golden. Wenn der alte Nossar sprach, wusste man, dass er die Wahrheit sagte und dass er einen mochte. Seine Stimme hüllte einen in warme Sicherheit. »Darf ich Euch bitten, mein Haus zu ehren und bei mir zu übernachten, Prinz Jorg?«
Ich bemerkte, wie die Brüder Blicke wechselten und Frauen in der Menge beäugten. Die sterbende Sonne gab dem Mühlteich einen scharlachroten Glanz. Im Norden, über der dunklen Linie des Rennat-Waldes, bildete der Rauch aus den Schornsteinen von Crath City einen Schleier am dunkler werdenden Himmel.
»Ich danke Euch für die Einladung, mein Lord, aber ich beabsichtige, diese Nacht in der Hohen Burg zu schlafen, von der ich zu lange fort gewesen bin«, sagte ich.
Ich konnte seine Sorge sehen. Sie hing in jeder Falte seines Gesichts. Er wollte mehr sagen, aber nicht hier. Ich fragte mich, ob Vater ihn mit dem Auftrag geschickt hatte, mich festzuhalten.
»Prinz …« Er hob die Hand, und sein Blick suchte meinen.
Erneut fühlte ich den Schmerz in der Brust. Nossar würde mich in seinen Saal setzen und mit jener goldenen Stimme von der guten alten Zeit erzählen. Er würde von William und Mutter sprechen. Wenn es einen Mann gab, der mich entwaffnen konnte, so dieser.
»Ich danke Euch für den freundlichen Empfang, Lord Nossar.« Ich gab ihm höfische Förmlichkeit, knapp und endgültig.
Ich musste an den Zügeln ziehen, um Gerrod zu drehen – selbst Pferde scheinen Nossar zu mögen. Über den Weg am Fluss führte ich die Brüder um den Ort, und dabei gerieten Herbstrüben unter die Hufe unserer Rösser. Die Bauern jubelten weiter, obwohl sie nicht wussten, was geschah – sie jubelten trotzdem.
Wir näherten uns der Hohen Burg über den Klippenweg und mieden die Stadt, deren Lichter unter uns lagen. Straßen, von Fackeln gesäumt, das Licht von Kaminfeuern und Lampen hinter Fenstern, deren Läden noch nicht geschlossen waren, um die Kühle der Nacht auszusperren. Der Schein der Wächterlaternen strich über die alte Stadtmauer, die einen schrägen Halbkreis bildete, der sich zum Fluss hin verjüngte. Dort gab es auch Häuser außerhalb der Mauern; die Bebauung erstreckte sich am Fluss entlang ins Tal. Wir erreichten das Westtor, durch das wir zur Hohen Burg gelangen konnten, ohne zuvor den schmalen Straßen der Altstadt folgen zu müssen. Die dortigen Wächter hoben das erste Fallgatter für uns, dann auch das zweite und dritte. Zehn Minuten lang knarrten Winden und rasselten Ketten. Ich fragte mich, warum die drei Tore unten gewesen waren. Standen unsere Feinde so nahe, dass wir die Hohe Mauer dreifach sichern mussten?
Der Wachhabende des Tors kam, während seine schwitzenden Männer das dritte Fallgatter hoben. Hier gab es keine Fähnchen. Ich glaubte, den Mann zu kennen: so alt wie Gomst, mit grau meliertem Haar. An den griesgrämigen Gesichtsausdruck erinnerte ich mich am besten – der Mann sah aus, als hätte er gerade eine verfaulte Zitrone gefressen.
»Prinz Jorg, wie man uns mitgeteilt hat?« Er sah zu mir hoch und hob die Fackel fast bis zu meinem Gesicht. Ich hatte genug Ähnlichkeit mit dem König, um ihn zufrieden zu stellen, woraufhin er die Fackel sinken ließ und zurücktrat. Angeblich habe ich die Augen meines Vaters. Vielleicht stimmt das, aber meine sind dunkler. Wir konnten beide auf eine Weise starren, die Männer verunsicherte. Ich habe immer geglaubt, dass ich zu mädchenhaft aussehe: mein Mund zu sehr eine Rosenknospe, die Wangenknochen zu hoch und zart. Und wenn schon. Ich habe gelernt, mein Gesicht als eine Maske zu tragen, und normalerweise kann ich diese Maske so gestalten, wie es mir gefällt.
Der Wachhabende nickte Hauptmann Coddin zu. Sein Blick ging über Makin hinweg, ohne bei ihm zu verharren, fand nicht zu Pater Gomst und verweilte kurz beim Nubier, bevor er sich voller Zweifel auf Rike richtete.
»Ich kann für Eure Männer Unterkünfte in der unteren Stadt finden, Prinz Jorg«, sagte er. Mit »unterer Stadt« meinte er den Bereich jenseits der Altstadtmauern.
»Meine Gefährten kommen zusammen mit mir in der Burg unter«, sagte ich.
»König Olidan verlangt nur Eure Präsenz, Prinz Jorg«, erwiderte der Wachhabende. »Und die von Pater Gomst und von Hauptmann Bortha, wenn er bei Euch ist.«
Makin hob eine Hand, die in einem Panzerhandschuh steckte. Beide Brauen des Wachhabenden fuhren nach oben und verschwanden unter dem Rand seines Helms. »Makin Bortha? Nein …«
»Ein und derselbe«, sagte Makin. Er schenkte dem Mann ein Grinsen und zeigte dabei zu viele Zähne. »Ist eine Weile her, Relkin, du alter Hurensohn.«
König Olidan verlangte … Hier gab es keinen Bewegungsspielraum. Es lief auf ein höfliches kleines »Bring deinen Straßen-Abschaum ins Armenviertel« hinaus. Wenigstens wies Relkin sofort darauf hin, was mich davor bewahrte, mit einer langen Diskussion das Gesicht zu verlieren, weil ich mich schließlich dem Willen des Königs beugen musste.
»Elban, bring die Brüder zum Fluss und such dort Zimmer für sie«, sagte ich. »Es gibt da eine Taverne namens ›Der Gefallene Engel, die Platz genug für euch alle haben sollte.«
Es schien Elban zu überraschen, dass ich ihn auswählte – er war nicht nur überrascht, sondern auch erfreut. Ein schmatzendes Geräusch kam aus seinem zahnlosen Mund, und er wandte sich mit finsterer Miene an die anderen Brüder. »Ihr habt Jorg gehört! Prinz Jorg, meine ich. Bewegung!«
»Für das Töten von Bauern wird man gehängt«, sagte ich, als sie ihre Pferde drehten. »Hast du gehört, Kleiner Rikey? Ein einziger Bauer genügt für den Strang. Also, kein Töten, kein Plündern, kein Vergewaltigen. Wenn ihr eine Frau wollt, so soll Graf Renar mit seinen eigenen Münzen eine für euch kaufen.
Oder mehrere.«
Alle drei Tore standen offen. »Hauptmann Coddin, es war mir ein Vergnügen«, sagte ich. »Habt einen angenehmen Ritt zurück zur Garnison.«
Coddin verneigte sich im Sattel und machte sich mit seinen Soldaten auf den Weg. Damit blieben nur ich, Gomst und Makin übrig. »Übernehmt die Führung«, wandte ich mich an den Wachhabenden. Woraufhin uns Relkin durchs Westtor in die Hohe Stadt führte.
Es wartete keine Menschenmenge auf uns. Es war längst nach Mitternacht, und der Mond stand hoch am Himmel. Die breiten Straßen der Hohen Stadt lagen leer vor uns, abgesehen von einzelnen Bediensteten, die von einem großen Haus zum nächsten eilten. Vielleicht beobachtete uns die eine oder andere Kaufmannstochter hinter den Fensterläden, aber im Großen und Ganzen schliefen die Adelshäuser und zeigten kein Interesse an einem heimkehrenden Prinzen.
Gerrods Hufe klangen zu laut auf den Steinplatten, die bis zur Hohen Burg reichten. Vor vier Jahren hatte ich sie in Samtpantoffeln verlassen, leiser als eine Maus. Das Klappern eiserner Hufe auf Stein schmerzte in meinen Ohren. In mir gab es eine Stimme, die flüsterte, dass es Vater wecken würde. Sei still, sei leise, atme nicht, lass nicht einmal dein Herz schlagen.
Die Hohe Burg ist natürlich alles andere als hoch. In vier Jahren auf der Straße hatte ich höhere Burgen gesehen, auch größere, aber keine von ihnen war wie die Hohe Burg. Sie erschien mir sowohl vertraut als auch fremd. In meiner Erinnerung war sie größer. Vielleicht war die Burg im Vergleich mit der unendlichen Weite geschrumpft, die ich in mir trug, aber sie blieb eindrucksvoll. Lehrer Lundist hatte mir einmal erzählt, dass der ganze Ort das Fundament eines Schlosses gewesen war, so hoch, dass es an den Wolken gekratzt hatte. Er hatte gesagt: Als dies alles erbaut worden war, hatte sich das, was wir heute sehen, im Boden befunden. Die Straßenleute haben die Hohe Burg nicht erbaut, aber ihre Baumeister müssen fast ebenso geschickt wie die Straßenleute gewesen sein. Die Wände bestanden nicht aus behauenen Steinen, sondern aus zermahlenen Felsen, die einst flüssig wie Wasser gewesen waren. Irgendeine Art von Magie hatte Metallstäbe in die Mauern eingelassen, krumme Stäbe aus einem Metall härter als das schwarze Eisen aus dem Osten. Und so erhob sich die Hohe Burg groß und alt, und geschützt von metallverstärkten Mauern wachte der König über die hohe Stadt, die alte Stadt und die untere Stadt. Er wachte über die Stadt Crath und alle Domänen seiner Familie. Es war auch meine Familie, meine Stadt, meine Burg.