20

 

Wir saßen am langen, auf Böcke gestellten Tisch, an dem das Küchenpersonal seine Mahlzeiten einnahm, Katherine und ich. Die Bediensteten brachten mehr Licht, unterschiedlich dicke und lange Kerzen in tönernen Haltern. Von den Türen zu beiden Seiten des Raums beobachteten sie uns, ein schäbiger Haufen von Leuten, die lächelten und wippten, als hätten wir einen heiligen Tag oder einen Festtag, und als seien wir die Narren, die für ihre Unterhaltung sorgten. Dräne erschien und pflügte durch die Schar wie ein Schiff durch Wasser. Er brachte frisches Brot, Honig in einer Schüssel, goldene Butter und silberne Messer.

»Dies ist der richtige Ort zum Essen«, sagte ich. Mein Blick blieb auf Katherine gerichtet. Sie schien nichts dagegen zu haben. »Warmes Brot aus dem Backofen.« Es dampfte, als ich es aufriss. Bestimmt duftete der Himmel wie frisches Brot. »Mir war klar, dass ich dich aus gutem Grund vermisst habe, Dräne!«, rief ich über die Schulter hinweg und wusste, dass der dicke Koch diese Worte ein ganzes Jahr lang genießen würde. Die Wahrheit lautete: Ich hatte ihn nicht vermisst. In hundert Träumen von seinen Torten hatte ich keinen einzigen Gedanken an ihn vergeudet. Es war mir sogar schwer gefallen, mich an seinen Namen zu erinnern, als ich ihn in der Tür gesehen hatte. Aber etwas an der jungen Frau mir gegenüber veranlasste mich, zu einem Mann freundlich zu sein, der sich daran erinnern würde.

Der erste Bissen weckte meinen Hunger, und ich riss an dem Brot wie an einer Keule Wildbret, als säße ich zusammen mit meinen Brüdern am Lagerfeuer. Katherine hielt inne und beobachtete mich, ihr Messer über der Schüssel mit dem Honig und ein Lächeln auf den Lippen.

»Mmmfflg.« Ich kaute und schluckte. »Was ist?«, fragte ich.

»Sie überlegt wahrscheinlich, ob du, wenn das Brot alle ist, unter den Tisch kriechst und dem Hund die Knochen stiehlst.« Makin hatte sich mir unbemerkt von hinten genähert.

»Verdammt, du gibst einen guten Straßenräuber ab, Sir Makin.« Ich drehte mich um, und dort stand er, in glänzender Rüstung. »Ein gepanzerter Mann sollte den Anstand haben, zu klirren und zu rasseln.«

»Ich habe laut genug geklirrt und gerasselt, Prinz«, sagte er und zeigte mir sein ärgerliches Lächeln. »Vielleicht bist du mit wichtigeren Dingen beschäftigt gewesen?« Er verbeugte sich vor Katherine. »Lady … Ich glaube, ich hatte noch nicht die Ehre.«

Sie reichte ihm die Hand. »Prinzessin Katherine Ap Scorron.«

Makin wölbte eine Braue. Er nahm die Hand und verbeugte sich erneut, ein ganzes Stück tiefer diesmal, und er hob ihre Finger an die Lippen. Dicke, sinnliche Lippen hatte er. Makin hatte sich das Gesicht gewaschen, und sein Haar, kohlschwarz und lockig, glänzte wie die Rüstung. Sauber sah er gut aus, und für einen Moment hasste ich ihn uneingeschränkt.

»Setz dich«, sagte ich. »Der tüchtige Dräne kann bestimmt noch mehr Brot für uns finden.«

Makin ließ Katherines Hand los. Zu langsam, wie ich fand. »Leider, mein Prinz, bringt mich die Pflicht und nicht der Hunger zur Küche. Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde. Man ruft dich zum Thronraum. Bestimmt sind in den Fluren hundert Knappen unterwegs, die nach dir suchen. Und auch nach Euch, Prinzessin.« Er bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. »Ich bin jemandem namens Galen begegnete, der Euch zu finden hofft.« In diesen Worten lag eine gewisse Spannung. Makin schien Sir Galen nicht mehr zu mögen als ich. Und er war ihm begegnet.

Ich nahm das Brot mit. Es war so schmackhaft, dass ich es nicht zurücklassen konnte.

Wir kehrten nach oben zurück. Während meiner Reise zur Küche schien die Hohe Burg erwacht zu sein. Knappen und Dienstmädchen eilten umher. Wächter mit Federbüschen marschierten zu zweit oder in Fünfergruppen, unterwegs zum Dienst. Wir wichen einem Lord aus, der einen Pelzmantel mitsamt goldener Kette trug und von Lakaien umgeben war – überrascht verbeugte er sich und brachte ein verdutztes »Guten Morgen, Prinzessin!« hervor.

Durch Flure und Säle erreichten wir das Flutgewölbe, die Vorkammer des Thronraums. Die Turnierrüstungen früherer Könige standen dort an den Wänden, wie hohle Ritter, die stumm Wache hielten.

»Prinz Honorous Jorg Ankrath und die Prinzessin Katherine«, wandte sich Makin an die Wächter vor der Tür. Er nannte mich vor der Prinzessin. Eine kleine Sache auf der Straße, im Flutgewölbe jedoch ein Detail, das Bände sprach. Hier ist der Thronerbe. Lasst ihn eintreten.

Die Wächter mit den Federbüschen auf beiden Seiten des Flurs standen so still wie die leeren Rüstungen hinter ihnen.

Nur ihre Augen folgten uns. Die in Panzerhandschuhen steckenden Hände ruhten auf den Knäufen ihrer Großschwerter, deren Spitzen den Boden berührten. Die beiden Tafelritter an der Thronraumtür wechselten einen Blick. Sie zögerten einen Moment und verbeugten sich vor Katherine und machten sich dann daran, die beiden großen Türflügel weit genug aufzuziehen, damit wir eintreten konnten. Einen von ihnen erkannte ich anhand des Wappens auf dem Brustharnisch: Hörner über einer Ulme. Sir Reilly. In den vergangenen vier Jahren war sein Haar grau geworden. Er mühte sich mit der Tür ab und strengte sich an, die dicken, mit Bronze beschlagenen Eichenbohlen zu bewegen. Schließlich schwangen die beiden schweren Türflügel auf, und die Lücke zwischen ihnen gewährte den Blick in eine Welt, die mir einst vertraut gewesen war.

»Prinzessin?« Ich nahm ihre Hand und hielt sie hoch, als wir den Thronraum betraten.

Den Erbauern der Hohen Burg fehlte es nicht an Geschick, wohl aber an Fantasie. Ihre Wände mochten zehntausend Jahre überdauern, eigneten sich jedoch nicht für Kunst. Der Thronraum war eine fensterlose Schachtel. Eine Schachtel mit einer Seitenlänge von gut dreißig Metern und einer sechs Meter hohen Decke, die die Höflinge unter ihr zwergenhaft erscheinen ließ – aber trotzdem eine Schachtel. Verzierte hölzerne Balkone für die Musikanten glätteten die scharfen Ecken, und das Podium des Königs gab dem Raum eine gewisse Pracht. Ich hielt meinen Blick vom Thron fern.

»Die Prinzessin Katherine Ap Scorron«, verkündete der Herold.

Der arme Jorgy wurde nicht erwähnt. Ohne ausdrückliche Anweisung hätte es der Herold sicher nicht gewagt, den Prinzen zu »vergessen«.

Gemessenen Schrittes gingen wir durch den Raum, beobachtet von Wächtern an den Wänden: Männer mit Armbrüsten links und rechts, Schwertkämpfer beim Podium und an der Tür.

Ich mochte namenlos sein, aber meine Ankunft sorgte zweifellos für Interesse. Abgesehen von den Wächtern und trotz der frühen Stunde hatten sich mindestens hundert Höflinge eingefunden. In Samt gekleidet drängten sie sich am Thronpodium und auf seinen Stufen. Ich ließ meinen Blick durch die Menge wandern und hier und dort bei teurem Schmuck verharren. Noch immer trug ich die Angewohnheiten der Straße und schätzte instinktiv den Wert der edlen Dinge, die sich meinen Augen darboten. Der üppige Busen dort war ein neues Streitross wert. Mit der Amtskette jenes Lords hätte man zehn Schuppenpanzer kaufen können, und jeder einzelne seiner Ringe hätte genug Geld für einen guten Langbogen und ein Pony eingebracht. Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass ich jetzt um neue Einsätze spielte. Das gleiche alte Spiel, mit neuem Einsatz. Nicht höher, aber anders.

Das sanfte Stimmengewirr wurde mal leiser, mal lauter, als wir uns näherten: ein Durcheinander aus messerscharfen Kommentaren, ätzendem Sarkasmus und honigsüßen Beleidigungen. Hier ein zischender Atemzug angesichts eines Prinzen, der es wagte, in Straßenkleidung vor den Thron zu treten, dort ein spöttisches Lachen, halb verborgen hinter einem seidenen Taschentuch.

Ich gestattete mir, den König anzusehen.

Vier Jahre hatten meinen Vater nicht verändert. Er saß auf dem Thron mit der hohen Rückenlehne, in einen Wolfsfellumhang mit silbernem Besatz gehüllt. Den gleichen Umhang hatte er an dem Tag getragen, als mein altes Leben zu Ende gegangen war. Die Krone von Ankrath ruhte auf seinem Haupt: eine Kriegerkrone, ein mit Rubinen besetztes eisernes Band, das schwarzes Haar zurückhielt, durchsetzt von einigen Strähnen, grau wie das Eisen. Links, auf dem Platz der Gemahlin, saß die neue Königin. Sie ähnelte Katherine, aber ihre Züge waren weicher, und ein Netz aus Silber und Mondsteinen zähmte ihr Haar. Alle Anzeichen der Schwangerschaft verbargen sich unter dem elfenbeinfarbenen Stoff ihres Gewands.

Zwischen den Thronen wuchs ein prächtiger Baum ganz aus Glas, mit Blättern so grün wie Katherines Augen, breit, dünn und zahlreich. Fast drei Meter hoch ragte dieser Baum auf, die Äste und Zweige knotig und durchsichtig, braun wie Karamell. Ein solches Gebilde hatte ich nie zuvor gesehen. Ich fragte mich, ob es die Aussteuer der Königin war. Kostbar genug war es bestimmt.

Sageous stand neben dem gläsernen Baum, im gesprenkelten grünen Licht unter seinen Blättern. Er trug nicht mehr das schlichte Weiß unserer ersten Begegnung, sondern ein schwarzes Gewand mit hohem Kragen und am Hals eine Schnur mit Obsidianscheiben. Ich begegnete seinem Blick, als wir uns dem Podium näherten, und rang mir ein Lächeln für ihn ab.

Die Höflinge wichen vor uns zurück. Makin ging ganz vorn, gefolgt von Katherine und mir Hand in Hand. Die Wohlgerüche der Lords und Ladys prickelten mir in der Nase: Lavendel und Orangenöl. Auf der Straße hat Scheiße den Anstand zu stinken.

Nur zwei Stufen unter dem Thron stand ein großer Ritter in prächtiger Rüstung, das Eisen mit Feuerbronze veredelt. Der Brustharnisch zeigte zwei Drachen umgeben von scharlachroten Flammen.

»Sir Galen«, flüsterte mir Makin zu.

Mein Blick huschte zu Katherine und entdeckte ein undeutbares Lächeln auf ihren Lippen. Galen beobachtete uns mit heißen blauen Augen. Ich mochte ihn ein wenig mehr, weil er seine Feindseligkeit so offen zeigte. Er hatte das blonde Haar eines Teutonen und ein kantiges, attraktives Gesicht. Offenbar war er recht alt. So alt wie Makin. Mindestens dreißig Sommer.

Sir Galen wich nicht vor Makin beiseite. Wir blieben fünf Stufen weiter unten stehen.

»Vater«, sagte ich. Hundertmal hatte ich mir die Worte zurechtgelegt, aber es gelang dem alten Mistkerl, sie mir von der Zunge zu stehlen. Die Stille zwischen uns verdichtete sich. »Ich hoffe …«, begann ich erneut, aber er unterbrach mich.

»Sir Makin«, sagte Vater, ohne mich anzusehen. »Als ich den Hauptmann der Palastwache auf die Suche nach einem zehnjährigen Kind schickte, rechnete ich mit seiner Rückkehr bis zum Abend. Einige weitere Tage hätten auch für einen besonders schwer zu entdeckenden Jungen genügen müssen.« Vater hob die linke Hand von der Armlehne des Throns, nur ein oder zwei Zoll, aber genug, um seinem Publikum ein Zeichen zu geben. Ein Kichern kam von den Damen und hörte sofort auf, als Vaters Finger auf das Eisenholz der Armlehne zurückkehrten.

Makin neigte den Kopf und sagte nichts.

»Ein oder zwei Wochen für die Bewältigung einer solchen Aufgabe wäre schlicht ein Zeichen von Unfähigkeit gewesen. Mehr als drei Jahre sprechen von Verrat.«

Da sah Makin auf. »Niemals, mein König! Niemals Verrat.«

»Einst hatten wir Grund zu der Annahme, Euch fürs hohe Amt geeignet zu halten, Sir Makin«, sagte Vater, seine Stimme so kalt wie die Augen. »Welche Erklärung habt Ihr mir anzubieten?«

Schweiß glänzte auf Makins Stirn. Vermutlich hatte auch er sich Worte zurechtgelegt, und jetzt verlor er sie ebenso wie ich.

»Der Prinz hat den ganzen Einfallsreichtum, den man sich vom Thronerben erhoffen darf«, begann Makin. Ich bemerkte, wie sich Falten in der Stirn der Königin bildeten, als sie dies hörte. Vater presste kurz die Lippen zusammen und warf mir einen schnellen Blick zu, den ich nicht zu deuten wusste. »Als ich ihn schließlich fand, waren wir in feindlichem Land, in Jaseth, mehr als dreihundert Meilen im Süden.«

»Ich weiß, wo sich Jaseth befindet, Sir Makin«, sagte Vater. »Wagt es nicht, mich über Geografie zu belehren.«

Makin neigte den Kopf. »Euer Majestät hat viele Feinde, wie alle großen Männer in diesen schweren Zeiten. Eine einzelne Klinge, selbst eine so treue wie meine, könnte Euren Erben in einem Land wie Jaseth nicht beschützen. Prinz Jorgs beste Verteidigung bestand aus Anonymität.«

Ich beobachtete die Höflinge. Das rhetorische Geschick schien Makin nach all den Jahren nicht verlassen zu haben. Seine Worte erzielten Wirkung.

Vater strich sich mit der Hand über den Bart. »Dann hättet Ihr mit einem namenlosen Mündel hierher zurückreiten sollen, Sir Makin. Ich frage mich, warum die Reise vier Jahre dauerte.«

»Der Prinz hatte sich einer Gruppe von Söldnern angeschlossen, Euer Majestät. Mit seinem eigenen Geschick gewann er ihre Loyalität. Er sagte mir: Wenn ich versucht hätte, ihn gegen seinen Willen fortzubringen, würden mich die Söldner töten; und wenn es mir doch irgendwie gelänge, ihn zu verschleppen, hätte er sich allen Leuten, denen wir unterwegs begegneten, zu erkennen gegeben. Ich glaubte ihm, denn er hat die Willensstärke eines Ankrath.«

Es wird Zeit, mir Gehör zu verschaffen, dachte ich. »Vier Jahre auf der Straße geben dir einen besseren Hauptmann«, sagte ich. »Es gibt mehr über den Krieg zu lernen, als man in dieser Burg entdecken kann. Wir …«

»Es mangelt Euch an Unternehmungsgeist, Sir Makin«, sagte Vater, ohne seinen strengen Blick von Makin abzuwenden. Ich fragte mich, ob ich tatsächlich gesprochen hatte. Ärger schwang jetzt in Vaters Stimme mit. »Wenn ich aufgebrochen wäre, um den Jungen zu suchen, hätte ich nach spätestens einem Monat eine Möglichkeit gefunden, mit ihm aus Jaseth zurückzukehren.«

Makin verbeugte sich tief. »Deshalb verdient Ihr den Thron, Majestät, während ich nur Hauptmann der Palastwache bin.«

»Diesen Platz nehmt ihr nicht länger ein«, sagte Vater. »Sir Galen dient mir jetzt als Hauptmann der Palastwache, so wie er vorher dem Haus Scorron diente.«

Galen deutete Makin gegenüber eine Verbeugung an und lächelte spöttisch.

»Vielleicht möchtet Ihr Sir Galen um Euer altes Amt herausfordern?«, fragte Vater. Wieder strichen seine Finger über den grau melierten Bart.

Ich spürte eine Falle. Vater wollte Makin nicht zurück.

»Euer Majestät hat den Hauptmann gewählt«, sagte Makin. »Ich erdreiste mich nicht, diese Entscheidung mit meinem Schwert infrage zu stellen.« Auch er fühlte die Falle.

»Oh, ich bitte Euch.« Vater lächelte, zum ersten Mal seit unserem Eintreffen, und es war ein kaltes Lächeln.

»Während Eurer Abwesenheit ist es am Hof still gewesen. Ihr schuldet uns ein wenig Unterhaltung. Gebt uns ein kleines Spektakel.« Er zögerte. »Lasst uns sehen, was Ihr auf der Straße gelernt habt.« Er hatte mich also gehört.

»Vater …«, begann ich. Und wieder unterbrach er mich. Ich schien nicht laut genug sprechen zu können.

»Kümmere dich um den Jungen, Sageous«, sagte er.

Und das war alles. Der Heide sah mich an und führte mich sanft wie ein Schaf zwischen die beiden Throne. Katherine warf mir einen blassen Blick zu und eilte an die Seite ihrer Schwester.

Makin und Galen verbeugten sich vor dem König. Dann gingen sie durch die Menge der Höflinge dorthin, wo ein etwa drei Meter großer Marmorstern im Boden die Mitte des Thronraums kennzeichnete. Dort blieben sie einander gegenüber stehen, verbeugten sich und zogen ihre Schwerter.

Makin trug das Langschwert, das Vater ihm bei Antritt seines Dienstes als Hauptmann der Palastwache gegeben hatte. Es war eine gute Waffe, aus indischem Stahl, dunkel und leicht, die Runen der Macht mit Säure hineingeätzt. Unsere Zeit auf der Straße hatte Kerben in der Klinge hinterlassen. Einen besseren Schwertkämpfer als Makin hatte ich nie gesehen. Und hier wollte ich keinen besseren sehen.

Sir Galen regte sich nicht. Er hielt sein Langschwert bereit, in einem ruhigen, lässigen Griff. Ich erkannte keine Markierungen an der Waffe. Eine einfache Klinge schien es zu sein, geschmiedet aus dem schwarzen Eisen der Turkmenen.

»Traue nie dem Schwert eines Turkmenen …«, flüsterte ich.

»Denn turkmenischer Stahl saugt Zauber auf wie ein Schwamm und hat einen bitteren Schnitt«, vervollständigte Sageous die alte Redensart.

Ich hatte eine scharfe Antwort für den Heiden, aber das Klirren von Klingen übertönte sie. Makin griff den Teutonen an, täuschte einen tiefen Hieb vor und schwang dann hoch. Sein Umgang mit dem Schwert hatte etwas Urgewaltiges. Die Klinge schien Teil von ihm zu sein, ein lebendes Etwas von der Spitze bis zum Heft. In einem wilden Kampf erkannte er jede Gefahr und wusste, wo sein Schutz lag.

Sir Galen parierte und reagierte mit einer sofortigen Riposte. Die beiden Schwerter spielten miteinander und sangen ein klingendes Metalllied, laut und scharf. Die Hiebe folgten so schnell aufeinander, dass ich ihnen kaum folgen konnte. Galen kämpfte mit technischer Präzision, wie ein Mann, der jeden Morgen bei Sonnenaufgang aufstand, um den Duellkampf zu üben. Er kämpfte wie ein Mann, der zu gewinnen erwartete.

Hundert Begegnungen mit dem Tod und knappes Entrinnen kennzeichneten die erste Minute des Kampfes. Ich merkte, dass sich meine rechte Hand fest um den Stamm des gläsernen Baums geschlossen hatte, der Kristall glatt und kalt unter meinen Fingern. Nach der ersten Minute begriff ich, dass Galen gewinnen würde. Dies war sein Spiel. Makin war zweifellos ein guter Kämpfer, aber wie ich war er an echte Konfrontationen gewöhnt. Er kämpfte im Schlamm. Er kämpfte sich durch brennende Dörfer. Er kämpfte auf dem Schlachtfeld. Aber dieses kleine Spiel, nur Mann gegen Mann, ohne dass äußere Faktoren eine Rolle spielten … Dies war Galens Spezialität.

Makin schwang nach den Beinen seines Gegners, und die Kurve seines Schwerts war dabei ein bisschen zu knapp. Galen ließ ihn sofort dafür bezahlen. Die Spitze des turkmenischen Schwerts kratzte eine rote Linie in Makins Stirn. Wenn Galens Arm ein oder zwei Zentimeter länger gewesen wäre, hätte es Makin den Schädel aufgerissen.

»Du beginnst dein Spiel also mit der Opferung deines Ritters, Prinz Jorg«, erklang Sageous’ Stimme an meinem Ohr.

Ich zuckte zusammen. Den Heiden hatte ich ganz vergessen. Mein Blick glitt zum grünen Baldachin über uns. »Ich habe keine Probleme damit, etwas zu opfern, Heide.« Meine Hand wanderte am kristallenen Baum nach oben; gläsern glatt war der Stamm unter meinen Fingern. Das Rasseln der Schwerter untermalte unser Gespräch. »Aber ich opfere nur, wenn es etwas zu gewinnen gibt.«

Der Baum war schwerer als gedacht, und für einen Moment befürchtete ich, ihn nicht bewegen zu können. Ich spannte die Muskeln und stemmte die Schulter dagegen. Das Ding fiel ohne ein Geräusch und zerbrach auf den Stufen in Millionen von Splittern. Ich hätte die Hälfte der ankrathischen Aristokratie geblendet, wenn ihre Augen auf den Thron und nicht auf die Kämpfenden gerichtet gewesen wären. So traf der Splitterregen ihre Rücken, und die prächtig gekleideten Edelleute am königlichen Podium verwandelten sich in kreischenden Pöbel. Ladys strichen sich durch das von Diademen zusammengehaltene Haar und ließen aufgeschnittene, blutige Hände sinken. Lords in golddurchwirkten Pantoffeln hüpften heulend über einen Teppich aus gebrochenem Glas.

Sir Makin und Sir Galen ließen die Schwerter sinken und sahen sich erstaunt um.

Als Vater aufstand, wurden alle still, ob geschnitten oder nicht.

Alle bis auf mich. Vater öffnete den Mund, um zu sprechen, aber ich sprach zuerst.

»Die Lektionen, die Makin auf der Straße lernte, betreffen keine Turnierkämpfe. Man gewinnt keine Kriege mit Tjosten und Ritterlichkeit. Die Lektionen, die Sir Makin lernte, habe auch ich gelernt. Leider würde Sir Makin lieber sterben, als sie seinem König zu zeigen.« Ich hob meine Stimme nicht. Was dafür sorgte, dass alle still blieben. »Vater …« Ich wandte mich direkt an ihn. »Ich zeige dir, was ich gelernt habe. Ich kämpfe gegen den Teutonen, den du so sehr schätzt. Wenn ein Mann mit so wenig Erfahrung wie ich deinen Meisterkämpfer bezwingen kann, solltest du froh sein, Sir Makin wieder in deine Dienste zu nehmen, nicht wahr?« Ich sprach wie auf der Straße zu ihm, um seinen Ärger zu wecken.

»Du bist kein Mann, Junge, und deine Herausforderung ist eine Beleidigung für Sir Galen und nicht würdig, in Betracht gezogen zu werden.« Er sprach durch zusammengebissene Zähne. Nie hatte ich ihn so zornig gesehen. Eigentlich hatte ich ihn überhaupt nie zornig gesehen.

»Eine Beleidigung. Vielleicht.« Ich fühlte ein Lächeln in mir aufsteigen und zeigte es. »Aber ich bin ein Mann. Vor drei Tagen bin ich volljährig geworden, Vater, und damit ehefähig. Ein wichtiges Datum. Ich beanspruche diesen Kampf als mein Jahresgeschenk. Oder willst du drei Jahrhunderte ankrathischer Tradition den Rücken kehren und mir das Mündigkeitsgeschenk vorenthalten?«

Die Adern in Vaters Hals zeichneten sich deutlich ab, und er krümmte die Finger, als wollte er nach einem Schwert greifen. Ich hielt es nicht für sicher, allein seinem guten Willen zu vertrauen.

»Wenn ich sterbe, ist die Thronfolge frei«, sagte ich. »Deine Scorron-Hure wird dir einen neuen Sohn schenken, und du bist mich los. Für immer, so wie Mutter und William. Und du musst nicht erneut Pater Gomst damit beauftragen, in den Sümpfen nach mir zu suchen.« Ich verbeugte mich vor der Königin. »Nichts für ungut, Euer Majestät.«

»Galen!«, donnerte Vater. »Töte diesen Teufel, denn er ist nicht mein Sohn!«

Ich lief los. Smaragdgrünes Glas knirschte unter hartem Leder. Sir Galen griff vom Stern in der Mitte des Thronraums her an, hob sein dunkles Schwert und rief nach meinem Blut. Er näherte sich ziemlich schnell, aber der Kampf gegen Makin hatte ihn Kraft gekostet. Ich stieß eine alte Frau beiseite, die mir den Weg versperrte. Sie fiel und spuckte Zähne, während die Perlen ihrer gerissenen Halskette über den Boden rollten.

Ich ließ die Höflinge hinter mir zurück und lief weiter, fort von Galen. Doch ich hörte ihn hinter mir, das Pochen seiner Stiefel und das Zischen seines Atems. Er war eine Handbreit über sechs Fuß groß, aber eine leichtere Rüstung und der Umstand, dass ich nicht außer Atem war, machten meine geringere Größe wett. Während ich lief, zog ich mein Schwert. In seine Klinge waren genug Zauber eingeritzt, um etwas gegen das turkmenische Schwert auszurichten. Ich warf es weg; das Gewicht behinderte mich nur.

Es blieb mir kaum mehr Platz. Wenige Meter entfernt ragte die linke Wand auf, und Galen war dicht hinter mir.

Ich hatte einen bestimmten Wächter als Ziel ausgewählt, einen jungen Burschen mit glattem Backenbart und offenem Mund. Als ihm klar wurde, dass ich meinen Kurs nicht änderte, war es zu spät. Ich traf ihn mit der Schiene des rechten Armschutzes. Der Schlag schmetterte ihm den Kopf an die Wand, und er sank langsam zu Boden, ohne weiteres Interesse an den Vorgängen. Mit der linken Hand nahm ich seine Armbrust, drehte mich um und schoss Galen in den Nasenrücken.

Der Bolzen schaffte es nicht ganz durch den Kopf. Das ist einer der Nachteile, wenn man Armbrüste schussbereit hält. Aber die Sehne hätte eigentlich nicht länger als einige Stunden gespannt sein sollen. Jedenfalls spritzte der größte Teil des teutonischen Gehirns aus dem Hinterkopf, und der Bursche stürzte sehr tot zu Boden.

Ohne das Wimmern der alten Frau beim Podium wäre es vollkommen still gewesen. Ich sah an der von Glassplittern übersäten adligen Menge vorbei zu Galen, der mit weit ausgebreiteten Armen dalag, inmitten der bis zur Tür reichenden Überreste des kristallenen Baums.

»Hat dir die Schau gefallen, Vater?«, fragte ich. »Wie ich hörte, ist es während der Abwesenheit von Sir Makin am Hof sehr ruhig gewesen.«

Und zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich Vater lachen. Zuerst war es nicht mehr als ein Kichern, aber es wurde schnell lauter und zu einem brüllenden Gelächter. Es schüttelte ihn so sehr, dass er sich auf den Thron stützen musste, als er aufstand.