26
Nach der Begegnung mit Sageous auf dem Westhof ging ich auf direktem Weg zur Messe. Das Treffen mit dem Heiden weckte in mir den Wunsch, Roms Kirche zu berühren, ein bisschen Weihrauch zu atmen und eine ordentliche Dosis Dogma zu mir zu nehmen. Wenn Heiden solche Macht hatten, schien es nur recht und billig zu sein, dass die Kirche eine eigene Art von Magie hatte, die sie den Würdigen schenken konnte, und hoffentlich auch den Unwürdigen, die zum Gottesdienst erschienen. Abgesehen davon brauchte ich ohnehin einen Priester.
Wir betraten die Kapelle, wo Pater Gomst am Altar stand. Das Klacken unserer Stiefel auf dem Marmorboden beendete den Chorgesang. Nonnen wichen in Schatten zurück, erschrocken von den lüsternen Blicken der Brüder und vermutlich auch von unserem Gestank. Gains und Sim nahmen die Helme ab und verbeugten sich. Die anderen sahen sich nach etwas um, das es wert war, gestohlen zu werden.
»Entschuldige die Störung, Pater.« Ich tauchte die Hand ins Becken neben dem Eingang und beobachtete, wie mir Weihwasser das Blut von den Fingern wusch. Es brannte.
»Prinz!« Der Priester legte sein Buch aufs Pult und erbleichte. »Diese Männer … es gehört sich nicht.«
»Ach, sei still.« Ich schritt durch den Mittelgang, den Blick an die wundervoll bemalte Decke gerichtet, und drehte mich langsam, mit erhobener, tropfender Hand. »Sind sie nicht alle Gottes Söhne? Reumütige Kinder, die Vergebung suchen?«
Ich blieb vor dem Altar stehen und sah zu den Brüdern an der Tür. »Leg das zurück, Roddat, oder du lässt beide Daumen in der Opferbüchse.«
Roddat zog einen silbernen Kerzenhalter unter seinem grauen Mantel hervor.
»Wenigstens der dort.« Mit einem zitternden Finger zeigte Pater Gomst auf den Nubier. »Der gehört nicht zu Gottes Gemeinde.«
»Nicht mal ein schwarzes Schaf?« Ich trat neben Gomst. Er zuckte zusammen. »Nun, vielleicht kannst du ihn während unserer Reise konvertieren.«
»Mein Prinz?«
»Du wirst mich nach Gelleth begleiten, Pater Gomst. Eine diplomatische Mission. Es überrascht mich, dass der König dir nichts davon gesagt hat.« Eigentlich überraschte es mich nicht so sehr, denn es war eine Lüge. »Wir brechen sofort auf.«
»Aber …«
»Komm!« Ich ging zur Tür, und nach kurzem Zögern folgte er mir. Ich hörte das Widerstreben im Geräusch seiner Schritte.
Die Brüder stapften vor mir hinaus. Rike strich mit der Hand über die Wand, über Reliquien und Ikonen.
Nachdem ich den Priester geholt hatte, wollte ich los. Ich beauftragte Makin, sich um Proviant zu kümmern, und führte Gomst zum Westhof.
»Wir sollten den Nuba-Mann nicht zu einer diplomatischen Mission mitnehmen, Prinz. Auch nicht zu irgendeiner anderen.« Gomst flüsterte, als wir gingen. »Weißt du, solche Leute trinken das Blut christlicher Priester für ihre Zauber.«
»Tun sie das?« Ich glaube, es war der erste interessante Hinweis, den ich von Gomst gehört hatte. »Ich könnte ein bisschen Magie gebrauchen.«
Der Priester erbleichte hinter seinem Bart. »Es ist Aberglaube, mein Prinz.«
Noch einige Schritte, und dann: »Dennoch, wenn du ihn verbrennen würdest, gäbe uns der Herr seinen Segen, uns und unserer Reise.«
Eine Stunde später ritten wir mit gefüllten Satteltaschen in die Altstadt. Sageous wartete auf uns. Er stand allein auf dem Kopfsteinpflaster. Ich hielt vor ihm an, noch immer voller Unbehagen. Er hatte einen Keil des Zweifels in mich getrieben. Bisher war ich davon überzeugt gewesen, Kraft gewonnen zu haben, indem ich Graf Renar beiseite stellte, ein weiteres Opfer für den eisernen Willen, den ich brauchte, um das Spiel der Throne zu gewinnen. Aber manchmal, zum Beispiel jetzt, glaubte ich nicht recht daran.
»Du solltest meinen Schutz annehmen, Prinz«, sagte Sageous.
»Ich habe lange genug ohne ihn überlebt.«
»Aber jetzt brichst du nach Gelleth auf und folgst einem Weg, der deinen Vater stärken soll.«
»In der Tat.« Die Pferde der Brüder schnaubten hinter mir.
»Wenn man es für möglich hielte, dass du tatsächlich einen Erfolg erzielst, würde man versuchen, dich aufzuhalten«, sagte Sageous. »Jener, der dich all diese Jahre geführt hat, wird versuchen, die gelockerten Fesseln strammzuziehen. Der Priester hilft dir vielleicht. Seine Präsenz hat dir schon einmal geholfen.
Er kann dir als Talisman nützlich sein, doch abgesehen davon ist seine Kutte leer.«
Ein Pferd näherte sich; der Reiter lenkte es an meine Seite.
Ich legte die Hand auf den Schwertknauf. »Du gefällst mir nicht, Heide.«
»Was, glaubst du, hat die Sumpfgeister verjagt, Jorg?« Der Blick des Magiers blieb ruhig und wachsam.
»Ich …« Die Behauptung klang leer, noch bevor ich sie aussprach.
»Ein zorniger Junge?« Sageous schüttelte den Kopf. »Die Toten sahen eine dunklere Hand auf deinem Herzen.«
»Ich …«
»Nimm meinen Schutz. Es gibt größere Träume, die du träumen kannst.«
Ich fühlte das weiche Gewicht des Schlafes auf mir, und der Sattel schien plötzlich weniger fest zu sein.
»Traumhexer.« Eine dunkle Stimme erklang an meiner Schulter.
»Traumhexer.« Der Nubier hob seine Armbrust, den Schaft in der schwarzen Faust, die Muskeln unter dem schweren Gewicht der Waffe gespannt. »Ich habe hier etwas, das von dir stammt, Traumhexer. Deine Magie wird den Jungen nicht beflecken.«
Sageous wich zurück, und die tätowierten Schriftzeichen schienen durch sein Gesicht zu kriechen.
Von einem Augenblick zum anderen war ich hellwach. »Du bist er.« Die Klarheit dieser Erkenntnis war fast blendend. »Du hast die Brüder ins Verlies meines Vaters gebracht. Du hast den Jäger geschickt, um mich zu töten.«
Ich legte die Hand auf die Armbrust des Nubiers und erinnerte mich, wie er sie dem Mann genommen hatte, der in jener Nacht in die Scheune gekommen war, um uns zu töten. Der Jäger des Traumhexers.
»Du hast deinen Jäger geschickt, um mich zu töten.« Die letzten Reste von Sageous’ Zauber verließen mich. »Und jetzt ist es mein Jäger, der die Armbrust hält.«
Sageous drehte sich um und eilte, halb laufend, zum Burgtor.
»Bete, dass ich dich bei meiner Rückkehr nicht finde«, sagte ich, aber ich sprach leise, denn wenn er es hörte, beherzigte er vielleicht meinen Rat.
Und so verließen wir die Stadt, ohne einen Blick zurück zu werfen.
Der Regen fand uns das erste Mal auf der Ankrath-Ebene und begleitete uns nach Norden, zur bergigen Grenze von Gelleth. Ich bin auf der Straße oft nass gewesen, doch der Regen, der uns erwartete, als wir das Land meines Vaters verließen, brachte kaltes Elend, das tiefer als nur bis zu den Knochen reichte. Burlows Appetit blieb davon unbeeinträchtigt, wie auch Rikes Temperament. Burlow aß, als sähe er in den Rationen eine Herausforderung, und Rike knurrte über jeden Regentropfen.
Auf meine Anweisungen hin nahm Gomst den Männern die Beichte ab. Als er von den Verbrechen des Roten Kent hörte und erfuhr, was ihm seinen Namen eingebracht hatte, bat er, von seinen Pflichten entbunden zu werden. Nachdem er Lügners Flüstern zugehört hatte, begann er zu beten.
Tage vergingen. Lange Tage und kalte Nächte. Ich träumte von Katherine, von ihrem Gesicht und der Wildheit in ihren Augen. Abends aßen wir Gains geheimnisvollen Eintopf, und der Fette Burlow sah nach den Pferden, überprüfte Hufe und Fesselköpfe. Burlow kümmerte sich immer um die Pferde.
Vielleicht fühlte er sich schuldig, weil sie so schwer an ihm zu tragen hatten, aber ich führte es auf eine krankhafte Furcht davor zurück, zu Fuß gehen zu müssen. Wir kletterten höher in die Ödnis der Berge, und schließlich hörte der Regen auf. In einem hohen Pass lagerten wir, und ich saß beim Nubier und beobachtete, wie die Sonne unterging. Der schwarze Mann hielt seine Armbrust und flüsterte ihr in seiner Sprache alte Geheimnisse zu.
Zwei Tage führten wir unsere Pferde über Hänge, die so steil und voller spitzer Steine waren, dass man sie nur den Hufen von Bergziegen zumuten konnte.
Eine Säule markierte den Zugang zur Leucrota-Klamm. Zwei Meter breit war sie, und doppelt so hoch, ein Stumpf, zerschmettert vom Zorn eines Riesen. Die Reste des oberen Teils lagen überall verstreut. Runen waren darin eingeritzt -Lateinisch, glaube ich –, aber so verwittert, dass ich sie nicht entziffern konnte.
Wir machten bei der Säule Rast. Ich kletterte hinauf, um von oben zu den Brüdern zu sprechen und mir die Landschaft anzusehen.
Ich wies die Männer an, ein Lager aufzuschlagen. Gains zündete sein Kochfeuer an und klapperte mit den Töpfen. In der Klamm wehte der Wind nur schwach, und die Wachstücher der Zelte bewegten sich kaum. Der Regen kehrte zurück, aber sanfter als vorher, und klopfte ruhig und kalt auf die Zeltplanen. Er war nicht stark genug, Rike zu wecken, der fünf Meter von der Säule entfernt auf den Felsen lag und schnarchte.
Mein Blick strich über die Klippenwände. Es gab Höhlen dort oben. Viele Höhlen.
Mein Haar schwang hinter mir, als ich den Kopf in den Nacken legte. Der Nubier hatte es für mich geflochten, in ein Dutzend lange Zöpfe, mit einem Bronzezauber am Ende eines jeden Zopfes. Er meinte, das würde böse Geister abwehren. Damit blieben nur die Guten, um die ich mir Sorgen machen musste.
Ich stand da und wartete auf etwas, die Hände auf das Ankrath-Schwert gelegt, dessen Spitze auf dem Boden ruhte.
Die Männer wurden nervös, und auch die Pferde. Sie klagten nicht, was mir einen deutlichen Hinweis bot. Zusammen mit mir beobachteten sie die Felswände und Hänge, der zahnlose Elban so vom Wetter mitgenommen wie die Felsen, der junge Roddat blass und pockennarbig, der Rote Kent mit seinen Geheimnissen, der durchtriebene Row, Lügner, der Fette Burlow und all die anderen Mitglieder meines zerlumpten Haufens. Meine Gruppe aus Brüdern. Sie alle waren besorgt und wussten nicht warum. Gomst schien bereit, loszulaufen, wenn ihm nur jemand die Richtung wies. Die Brüder hatten ein besonderes Gespür für Gefahr. Ich kannte mich gut genug damit aus, um zu wissen: Es war ein schlechtes Zeichen, wenn sich alle gleichzeitig Sorgen machten. Ein sehr Schlechtes.