31
Als ich zurückkehrte, saßen die Brüder inmitten von Knochensplittern und pflegten ihre Wunden. Roddat, Jobe, Eis und Frenk lagen ausgestreckt abseits der Gruppe. Der Tod macht selbst den beliebtesten Mann zu einem Aussätzigen. Ich schenkte den Leichen keine Beachtung – alle wertvollen Dinge waren ihnen längst abgenommen worden.
»Ich dachte, du hättest uns verlassen, Bruder Jorg.« Der Rote Kent sah mich unter seinen buschigen Brauen hinweg an und richtete den Blick dann wieder auf Schleifstein und Schwert.
In dem »Bruder« hörte ich einen tadelnden Ton. Und vielleicht war es nicht nur ein einzelner Ton, sondern eine ganze Symphonie.
Kein »Prinz« für den Davongelaufenen.
Makin musterte mich nachdenklich. Er lag auf dem Boden und war zu müde, um an eine Säule gelehnt zu sitzen.
Rike stemmte sich hoch. Langsam kam er näher und putzte einen Ring an den Lederpolstern seines Brustharnischs. Ich erkannte ihn als Roddats Glücksring, ein schönes Stück aus gelbem Gold.
»Dachte, du hättest uns verlassen, Bruder Jorgy«, sagte er und ragte vor mir auf, breit und düster.
Einige der Brüder, wie zum Beispiel Lügner, geben für das Auge nicht viel her, und die Leute sind immer wieder überrascht, mit was für einem scheußlichen Mistkerl sie es zu tun bekommen. Rike überraschte niemanden auf diese Weise. Die Gefahr, die er darstellte, seine schiere Brutalität, seine Liebe, die dem Schmerz anderer Leute galt … Es stand überall an ihm geschrieben, dafür hatte Mutter Natur gesorgt.
»Der Nubier ist tot.« Ich achtete nicht auf Rike, sah Makin an, zog mir die Armbrust vom Rücken und zeigte sie allen. Danach herrschte kein Zweifel mehr. Der Mann war tatsächlich tot.
»Gut«, sagte Rike. »Geschieht ihm recht fürs Weglaufen. Hab den blöden Feigling nie gemocht.«
Ich schlug Rike so hart wie möglich. An die Kehle. Ich traf keine bewusste Entscheidung. Wenn ich auch nur ansatzweise darüber nachgedacht hätte, wäre ich so klug gewesen, die Faust zurückzuhalten. Mit einem Schwert hätte ich vielleicht eine Chance gegen ihn gehabt, mit bloßen Händen auf keinen Fall.
Das mit den »bloßen Händen« stimmt nicht ganz. Ich trug meine Panzerhandschuhe aus genietetem Eisen. Mit vierzehn war ich sechs Fuß groß und hager, mit Muskeln, die daran gewöhnt waren, ein Schwert zu schwingen und eine schwere Rüstung zu tragen. Ich wusste auch, wie man zuschlägt. Ich legte mein ganzes Gewicht hinter diesen Hieb, und jede Unze meiner Kraft.
Das genietete Eisen traf Rike an der breiten Gurgel. Ich hatte vielleicht nicht mit dem Kopf gedacht, aber zum Glück schien mich die Vernunft nicht ganz verlassen zu haben. Mit einem Schlag in Rikes Gesicht hätte ich mir die Hand gebrochen und ihn nur ein bisschen gekitzelt.
Er gab eine Art Brummen von sich, stand da und wirkte ein wenig verwirrt. An die Vorstellung, dass ich gerade auf so grandiose Weise Selbstmord beging, musste er sich offenbar erst noch gewöhnen.
Irgendwo in meinem Hinterkopf wurde mir klar, dass ich einen sehr großen Fehler machte. Dem Rest von mir war es gleich. Ich glaube, blinder Zorn und Freude darüber, Rike als einen Schlagsack verwenden zu können, hielten sich die Waage.
Da er mir Gelegenheit zum erneuten Zuschlagen bot, machte ich gleich doppelt Gebrauch davon. Ein gepanzertes Knie, genau zwischen die Beine platziert, bringt so manchen Mann zum Nachdenken, selbst diesen sieben Fuß großen Irren, der doppelt so viel wog wie ich. Rike krümmte sich gehorsam zusammen, und ich brachte beide Fäuste auf sein Genick herab.
Lehrer Lundist hatte mich mit Nippons Kampftechniken vertraut gemacht. Eins seiner aus dem Äußersten Osten stammenden Bücher hatte davon gehandelt. Eine Seite Reispapier nach der anderen mit Beschreibungen von Kampfstellungen und Bewegungsabläufen. Hinzu kamen anatomische Diagramme, die Auskunft über Druckpunkte gaben. Ich bin sicher, dass ich die beiden Betäubungspunkte an Rikes Nacken traf, und zwar ziemlich hart.
Wahrscheinlich war er so dumm, dass er nicht wusste, welchen Zweck sie erfüllten.
Rike holte mit der Faust aus, zum Glück für mich, denn er hätte mich auch packen und mir einfach den Kopf abreißen können. Seine Armschiene traf meinen Brustkorb. Wenn ich nicht den Brustharnisch getragen hätte, wären vermutlich alle meine Rippen gebrochen, und so brachen nur zwei. Die Wucht des Hiebs riss mich von den Beinen, und ich rutschte über die Knochensplitter auf dem Boden. Mit einem schmerzvollen Scheppern stieß ich gegen eine der Säulen.
Ich hätte mein Schwert ziehen können. Das wäre die einzige vernünftige Entscheidung gewesen. Natürlich hätte ich damit gegen die ungeschriebenen Regeln verstoßen. Ich hatte mit einem Schlag begonnen, und auf diese Weise sollte die Sache enden. Aber wenn man den Gesichtsverlust bei den Brüdern dagegen abwog, dass einem Rike das Gesicht tatsächlich abriss, so fiel die Entscheidung eigentlich leicht.
Ich richtete mich wieder auf. »Komm her, du dicker Schweinehund.«
Die Worte fragten nicht um meine Erlaubnis, bevor sie den Mund verließen. Der Zorn sprach aus mir. Zorn darüber, die Beherrschung verloren zu haben, mehr noch als der Zorn darüber, dass Rike den Nubier einen Feigling genannt hatte. Ich musste Rike nicht blutig schlagen, um zu beweisen, dass der Nubier kein Feigling gewesen war. Mein Zorn galt dem eigenen Zorn – wenn das kein Wurm ist, der sich in den eigenen Schwanz beißt und sich selbst frisst. Ich hätte Oroboros in meinem Familienwappen haben sollen.
Rike stürmte mit seinem wortlosen Heulen auf mich zu. Er wurde ziemlich schnell. Nicht viele Burgtore hätten unseren Kleinen Rikey aufhalten können, wenn er auf volle Geschwindigkeit gekommen war. Ziemlich erschreckend, es sei denn, man wusste, dass er kaum die Kurve kriegte.
Ich trat im letzten Augenblick beiseite und verfluchte meine Rippen. Rike knallte gegen die Säule und prallte ab, wobei sich einige Brocken lösten. Ich hob einen ordentlichen, stabilen Schenkelknochen auf und schmetterte ihm das Ding an den Kopf, als er aufzustehen versuchte. Der Knochen zerbrach fast ganz, was ich zum Anlass nahm, noch einmal zuzuschlagen, mit dem Ergebnis, dass ich zwei Keulen in der Hand hielt.
Was am Kampf gegen Rike besonders deprimierend war: Er blieb einfach nicht unten und kam immer wieder auf die Beine. Er näherte sich erneut und taumelte ein bisschen, knurrte grässliche Drohungen und meinte jede von ihnen ernst.
»Ich stopfe dir das Maul mit deinen Augen, Junge.« Er spuckte einen Zahn aus.
Ich tänzelte hin und her und schlug ihn mit der längeren meiner beiden Keulen, woraufhin er einen weiteren Zahn spuckte. Ich musste lachen. Der Zorn verließ mich, und es fühlte sich gut an.
Rike wankte also hinter mir. Ich wich ihm immer wieder aus und briet ihm was mit meinen Knochenkeulen über, wenn ich Gelegenheit bekam. Es war wie eine jener Vorstellungen, bei denen ein Bär gereizt wird, der immer wieder knurrt, mit seinen Pranken aber nur ins Leere schlägt. Ich bekam einen Lachanfall, was alles andere als ratsam war, denn es genügte ein falscher Schritt, dann hatte er mich. Wenn er mich zu fassen bekam … Wahrscheinlich stopfte er mir dann wirklich die Augen in den Mund. Er machte solche Sachen.
Die Brüder begannen damit, Wetten abzuschließen und zu klatschen.
»Ich reiße dir die Gedärme aus dem Leib.« Rike schien über einen endlosen Vorrat an Drohungen zu verfügen.
Leider schien er auch über endlos viel Kraft zu verfügen, und mein Tänzeln näherte sich allmählich dem Ende – Müdigkeit machte mich immer schwerfälliger.
»Ich breche jeden kleinen Knochen in deinem hübschen Gesicht, Jorgy.«
Wir kehrten dorthin zurück, wo er den ersten Schlag von mir bekommen hatte.
»Ich reiße dir deine dünnen Arme aus den Gelenken.« Mit dem Blut, das ihm übers Kinn lief, sah Rike fürchterlich aus.
Ich erkannte meine Chance, lief direkt auf ihn zu und überraschte ihn erneut. Eigentlich hätte ich genauso gut versuchen können, eine Säule umzustoßen, aber der verblüffte Rike wankte zumindest einen Schritt zurück, und das genügte. Er stieß gegen Makins Beine, stolperte und ging zu Boden. Ich schnappte mir die Armbrust des Nubiers und war damit über Rike, bevor er wieder auf die Beine kommen konnte. Ganz vorn an der Armbrust befand sich ein schwerer eiserne Falke, und den ließ ich dicht über Rikes Gesicht schweben.
»Und nun, Kleiner Rikey?«, fragte ich. »Ich glaube, ich kann deinen Schädel zertrümmern, bevor du mich zu fassen kriegst. Sollen wir es darauf ankommen lassen? Oder willst du es zurücknehmen?«
Er starrte mich verwirrt an.
»Das über den Nubier«, sagte ich. Rike hatte wirklich vergessen, worum es ging.
»Oh.« Zweifel furchte seine Stirn. Er versuchte, sich auf die Armbrust zu konzentrieren. »Ich nehme es zurück.«
»Beim blutenden Christus!« Schweißgebadet sackte ich in mich zusammen. Um uns herum kam Bewegung in die Brüder, als sie ihre Wetten bezahlten und den Moment Wiederaufleben ließen, als Rike gegen die Säule geprallt war. Ich merkte mir, wer auf mich gesetzt hatte: Burlow, Lügner, Grumlow, Kent, die älteren Männer, die über den Horizont der Jugend sahen. Makin machte sich sogar die Mühe aufzustehen. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Du und der Nubier, ihr habt die Nekromantin erwischt?«
Ich nickte.
»Ich hoffe, sie ist schreiend zur Hölle gefahren«, sagte Makin.
»Sie starb einen schweren Tod«, sagte ich. Es war eine leichte Lüge.
»Der Nubier …« Makin suchte nach Worten. »Er war besser als der Rest von uns.« Ich musste nicht suchen. »Ja.«
Während meines Kampfes gegen Rike hatte sich Gorgoth nicht gerührt. Er saß auf dem kalten Stein, die Beine übereinandergelegt. Hier und dort hatte das Geisterfleisch von Knochenfingern weiße Stellen an ihm hinterlassen, wie tödliche Fingerabdrücke. Er bewegte sich nicht, beobachtete mich aber mit seinen Katzenaugen.
Neben Gorgoth, ein oder zwei Meter entfernt, bemerkte ich einen dunklen Haufen. Gog und Magog hockten dort, die Arme umeinander geschlungen.
»Ein guter Kampf, Junge«, sagte ich zu Gog. »Du hast nicht zu viel versprochen.«
Gog sah zu mir auf. Magogs Kopf kippte nach hinten und rollte auf einem von weißen Linien durchzogenen Hals – weiße Linien des Todes in seinen Tigerstreifen.
Ich kniete neben ihnen. Gog knurrte, als ich seinen Bruder berührte, versuchte aber nicht, mich daran zu hindern. Magog fühlte sich leicht an in meinen Händen, eine sonderbare Mischung aus knochiger Auszehrung und kindlicher Weichheit.
»Dein Bruder«, sagte ich. Für einen langen Moment wusste ich sonst nichts zu sagen, als hätte meine Kehle alle Worte weggeschlossen. »So klein.« Ich erinnerte mich daran, wie er die endlose Treppe hinaufgelaufen war. Schließlich musste ich auf meine gebrochenen Rippen drücken, damit mich stechender Schmerz aus der Dummheit holte.
Ich setzte das Kind ab und stand auf. »Du hast für ihn gekämpft, Gog. Das war dumm, aber vielleicht findest du Trost darin.« Vielleicht folgen dir seine Vorwürfe nicht für den Rest deines Lebens.
»Wir haben ein neues Maskottchen!«, rief ich den Brüdern zu. »Gog gehört jetzt zu unserer fröhlichen Schar.«
Das bewirkte eine Reaktion bei Gorgoth. »Die Nekromanten …«
Ich trat auf ihn zu, bevor er aufstand, und richtete die Armbrust des Nubiers auf ihn. Nur drei Zoll trennte ihr eisernes Ende von Gorgoths höckriger Stirn. »Hast du irgendwelche Einwände?«, fragte ich.
Er sank zurück.
Ich wandte mich ab. »Wir verbrennen die Toten. Ich möchte nicht, dass sie zurückkehren, um uns einen Gruß aus dem Jenseits zu bringen.«
»Womit sollen wir sie verbrennen?«, fragte der Rote Kent.
»Knochen brennen schlecht, Jorg.« Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, spuckte Elban Schleim in den nächsten Knochenhaufen.
»Wir werden trotzdem ein Feuer anzünden«, sagte ich. »Auf dem Weg zurück hierher habe ich Teer gesehen.«
Wir trugen die Knochen dorthin, wo das schwarze Zeug langsam und stinkend aus einem Riss im Erbauer-Stein sickerte. Nacheinander beschmierten wir sie damit und bildeten einen großen Haufen für Roddat und die anderen, und einen kleinen für den Leucrota-Jungen. Elban baute die Scheiterhaufen so wie für Könige in den teutonischen Ländern.
Ich zündete das Feuer mit Makins Fackel an. »Gute Nacht, Jungs«, sagte ich. »Diebe und Abschaum von der Straße seid ihr gewesen, allesamt. Richtet dem Teufel von mir aus, dass er sich gut um euch kümmern soll.«
Ich gab die Fackel Gog. »Lass ihn brennen. Du möchtest bestimmt nicht, dass die Nekromanten mit seinen Knochen spielen.« Hitze kam von dem Jungen, als sei ein Feuer in ihm erwacht. Noch heißer, und er hätte den Haufen ohne Fackel in Brand setzen können.
Er entzündete den kleineren Haufen, und wir wichen vor dem Rauch zurück. Teer brennt nie sauber, aber ich bedauerte den Schleier nicht, den uns der Qualm gab. Gog gab mir die Fackel zurück. Seine schwarzen Augen hüteten ihre Geheimnisse noch besser als die des Nubiers, aber trotzdem sah ich etwas in ihnen. Eine Art von Stolz.
Wir machten uns wieder auf den Weg. Ich ließ Burlow die Armbrust des Nubiers tragen. Ein Prinz muss schließlich gewisse Privilegien haben. Wir gingen mit brennenden Fackeln aus Knochen und Teer, und Gorgoth übernahm die Spitze und suchte einen Weg für uns.
Der Weg, den Gorgoth fand, führte meilenweit durch kastenförmige Räume und Säle, breite Korridore und schmale Tunnel. Ich schätze, als die Erbauer ihr Höllenfeuer von Luzifer kauften, müssen sie mit ihrer Fantasie dafür bezahlt haben.
Die Große Treppe überraschte mich.
»Hier.« Gorgoth blieb an einer Stelle stehen, wo ein natürlicher Tunnel den Korridor untergrub.
Die Große Treppe war weniger groß, als ich gedacht hatte. Ihre Breite ging an keiner für mich erkennbaren Stelle über zehn Meter hinaus. Zumindest schien sie weitgehend natürlichen Ursprungs zu sein. Meine Augen hatten sich nach gewölbten Linien gesehnt, und hier konnten sie sich endlich erholen. Irgendein alter Fluss hatte sich durch eine Bruchlinie gegraben und war dann stufenweise in die Tiefe gesprungen. Von jenem Fluss war nur mehr ein Rinnsal übrig, und sein Wasser tropfte in eine Rinne so steil und verdreht, wie man sich nur vorstellen konnte.
»Offenbar liegt eine Kletterpartie vor uns«, sagte ich.
»Diese Stufen sind nicht für die Lebenden bestimmt.« Ein Nekromant schob sich in den schmalen Zugang. Er kam aus den Schatten gekrochen, die wie Spinnweben an ihm klebten, und hätte ein Zwillingsbruder der Schlampe sein können, die den Nubier überwältigt hatte.
»Um Himmels willen!« Ich zog mein Schwert und schwang es sofort in einem Bogen. Der Kopf des Nekromanten fiel von den Schultern. Ich ließ mich vom Bewegungsmoment tragen, drehte mich und brachte die Klinge mit ganzer Kraft auf den pulsierenden Halsstumpf herab. Der Hieb erwischte den Nekromanten, bevor er fiel, und spaltete sein Brustbein.
»Ich bin nicht interessiert!«, rief ich der Leiche zu, als ich mich von ihrem Gewicht zu Boden ziehen ließ. Wie bei so vielen anderen Dingen im Leben ist der Tod nur eine Frage des richtigen Moments. Bei der Nekromantin – Chella – hatte ich den Fehler gemacht, ihr einige Sekunden Zeit zu geben, und die hatte sie genutzt. Jane hätte mir sagen sollen, sie sofort anzugreifen. Von wegen weglaufen. Wenn ich Chellas erste Worte mit meinem Schwerthieb beantwortet hätte, wäre der Nubier vielleicht noch unter uns.
Mit einem Ruck drehte ich das Schwert und riss dem Nekromanten die Brust auf. In meinem Stiefel steckte ein kleiner Dolch, mit verteufelt scharfer Klinge. Ich zog ihn, und während die Brüder stumm zusahen, schnitt ich Chellas Zwillingsbruder das Herz heraus. Das Ding zuckte warm in meiner Hand – ihm fehlte sowohl die Hitze des Lebenden als auch die Kälte des Toten. Auch dem Blut mangelte es an einer gewissen Vitalität. Wenn man jemandem das Herz aus der Brust schneidet, und hier spreche ich aus Erfahrung, so kann man erwarten, von Kopf bis Fuß scharlachrot zu werden. Das Blut des Nekromanten wirkte violett im Fackelschein und reichte mir kaum weiter als bis zu den Ellenbogen.
»Wenn noch mehr von euch Mistkerlen meine Zeit mit dummem Melodram vergeuden wollen, so stellt euch bitte ordentlich in einer Schlange auf.« Ich ließ meine Stimme durch die Korridore und Tunnel hallen.
Der Nubier hatte mir einmal von einem Stamm in Nuba erzählt, der Herz und Gehirn seiner Feinde aß. Die Stammesangehörigen glaubten, damit Kraft und Schläue ihrer Widersacher aufzunehmen. Ich habe den Nubier nie bei so etwas beobachtet, aber er wies jene Vorstellungen nicht zurück.
Ich hob das Herz des Nekromanten zum Mund.
»Prinz!« Makin kam auf mich zu. »Das ist böses Fleisch.«
»Es gibt nichts Böses, Makin«, erwiderte ich. »Es gibt Liebe, die bestimmten Dingen gilt: Macht, Bequemlichkeit, Sex. Und Männer sind bereit, alles zu tun, um diese Bedürfnisse zu erfüllen.« Ich trat nach der Leiche des Nekromanten. »Hältst du diese traurigen Kreaturen für böse? Glaubst du, wir sollten sie fürchten?«
Ich nahm einen Bissen, einen möglichst großen. Rohes Fleisch ist schwer zu kauen, aber das Herz des Nekromanten war weich, wie ein Wildvogel, der so lange gehangen hatte, dass er fast vom Haken fiel. Die bittere Schärfe des Bluts brannte in meiner Kehle. Ich schluckte den Bissen, und er rutschte hinunter, langsam und herb.
Ich glaube, Burlow sah mir zum ersten Mal ohne die grünen Augen des Neids beim Essen zu. Den Rest des Herzens ließ ich fallen. Die Brüder standen stumm, in den Augen Tränen vom Fackelrauch. Das ist das Problem mit Teerfackeln, man muss in Bewegung bleiben. Ich fühlte mich ein bisschen seltsam. Ich hatte das Gefühl, das man bekommt, wenn man weiß, dass man eigentlich woanders sein sollte – als hätte man sich für den Morgen zu einem Duell oder dergleichen verabredet, ohne sich recht daran erinnern zu können, worum es dabei ging. Kälte strich mir über den Rücken und die Arme, wie von geisterhaften Fingern, die mich berührten.
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder, als ich ein Flüstern hörte. Wachsam sah ich mich um. Das Flüstern kam aus allen Ecken, gerade laut genug, um es zu hören, aber so leise, dass man die Worte nicht verstand. Auch die Brüder sahen sich nervös um.
»Hört ihr das?«, fragte ich.
»Was denn?«, entgegnete Makin.
Die Stimmen wurden lauter, sie waren zornig, aber undeutlich. Zahlreiche Stimmen, die sich näherten. Leichter Wind wehte plötzlich.
»Zeit fürs Klettern, meine Herren.« Ich strich mir mit der Hand über den Mund, und violettes Blut blieb auf meinem Panzerhandschuh zurück. »Mal sehen, wie schnell wir nach oben kommen.«
Ich hob den Kopf des Nekromanten auf und rechnete halb damit, dass seine Augen rollten und mich anstarrten. »Ich glaube, Freunde unseres herzlosen Feinds sind unterwegs«, sagte ich. »Viele Freunde von ihm.«