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»Was ist dies für ein Ort?« Makin stand zusammen mit mir im Eingang.
Das Gewölbe war so groß, dass wir sein Ende nicht sehen konnten. An der Decke erwachten Geisterlichter zum Leben, manche sofort, bereitwillig der geöffneten Tür gehorchend, andere widerstrebend, wie Kinder, die zu spät zum Tagesunterricht kamen. Jenseits all der Schätze sah ich nur wenig vom Boden. Kein holländischer Kornmeister verfügt über ein so gut gefülltes Lager. Um es angemessen zu beschreiben, hätte ich das ganze von Euklid und Platon geschaffene Vokabular über Formen und Körper gebraucht. Zylinder länger und breiter als ein Mensch und Würfel mit einer Seitenlänge von einem Meter bildeten Stapel so hoch, dass sie an der Decke aus Erbauer-Stein kratzten. An den Wänden ruhten Kegel und Kugeln in Drahtgestellen, von Staub überzogen. Reihe um Reihe, Stapel um Stapel, so weit der Blick reichte, und darüber hinaus.
»Es ist ein Arsenal«, sagte ich.
»Wo sind die Waffen?« Rike kam nach seinen Anstrengungen mit der Tür zu uns. Er wischte sich Schweiß von der Stirn und spuckte in den Staub.
»In den Behältern.« Makin rollte mit den Augen.
»Dann lasst uns sie öffnen!« Burlow zog eine kleine Brechstange von seinem Gürtel. Die Brüder brauchten keine besondere Aufforderung, um mit dem Plündern zu beginnen.
»Wie ihr wollt.« Ich winkte ihn in den Raum. »Aber bitte öffne einen Behälter ganz hinten. Sie sind alle mit Gift gefüllt.«
Burlow machte einige Schritte ins Gewölbe und blieb stehen, als er begriff. »Gift?« Langsam drehte er sich um.
»Das Beste, was die Erbauer herstellen konnten«, sagte ich. »Genug, um die ganze Welt zu vergiften.«
»Und wie soll uns das helfen?«, fragte Makin. »Sollen wir uns in die Küche der Roten Burg schleichen und etwas hiervon in die Suppe geben? Das ist ein Plan für Kinderspiele, Jorg.«
Ich ging nicht darauf ein. Es war eine faire Frage, und ich wollte keinen Streit mit Makin anfangen.
»Dieses Gift kann durch Berührung töten«, sagte ich. »Es breitet sich in der Luft aus.«
Makin hob die Hand zum Gesicht, ließ sie dann langsam sinken und zog dabei an Wangen und Lippen. »Woher weißt du das, Jorg? Ich habe mir dein altes Buch angesehen und darin nichts über diesen Ort gefunden.«
Ich deutete auf die gestapelten Waffen. »Dies sind Gifte für die Erbauer.« Ich holte das Erbauer-Buch hervor. »Hier ist die Karte. Und dies …«, ich deutete auf Gorgoth »… ist der Beweis für ihre Wirksamkeit. Er und die Röter der Roten Burg.«
Ich ging dorthin, wo Gorgoth an der silbrigen Masse der Tür lehnte.
»Wenn du in den Tiefen dieses Gewölbes suchen würdest, wovon ich dir abrate, fändest du Risse, durch die Wasser eingedrungen ist. Und wohin floss dieses Wasser?«
Für einen Moment erwartete ich eine Antwort. Dann erinnerte ich mich daran, an wen meine Worte gerichtet waren.
»Wohin fließt jedes Wasser?« Gorgoth starrte mich noch immer groß an und schwieg. »Nach unten!«
Ich legte die Hand auf die Rippenknochen, die aus Gorgoths Brust ragten. Er grollte auf eine Weise, die einen Grizzlybär hätte neidisch werden lassen, und eine warnende Vibration in den Knochen kam hinzu. »Hinab ins Tal, wo das Gift, in kleinsten Dosen, aus Menschen Monstren macht. Und von wo kommt das Wasser?«, fragte ich.
»Von oben?« Makin versuchte wenigstens, an diesem Spiel teilzunehmen.
»Von oben«, bestätigte ich. »Dämpfe unseres Gifts gelangen also nach oben, und der kleine Teil davon, der die Rote Burg erreicht, färbt die Leute, die dort leben, er gibt ihnen ein hübsches Hummerrot. Und genau diese Wirkung wird in dem Buch beschrieben, das ich hier habe, meine Brüder, in einem Buch, das über mehr als tausend Jahre weitergereicht wurde, bis es euer kleiner Jorgy in die Hände bekam.«
Ich wandte mich von Gorgoth ab und ging in meinem Spiel auf, blieb mir seiner Fäuste aber sehr wohl bewusst. »Und diese Gifte, in ihren interessanten Behältern, richten all das an, weil vor tausend Jahren etwas davon verschüttet wurde. Deshalb, Bruder Burlow, halte ich es für besser, dass du zunächst darauf verzichtest, einen Behälter mit deiner Brechstange zu öffnen.«
»Was machen wir mit dem Gift, Jorg?«, fragte Bruder Elban. »Klingt ganz nach schmutziger Arbeit, wie?«
»Es ist die schmutzigste aller schmutzigen Arbeiten, alter Mann.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Wir bereiten ein langsam brennendes Feuer vor und sorgen dafür, dass es genug Nahrung hat, und dann laufen wir um unser Leben. Die Hitze wird diese wundervollen Spielzeuge öffnen, und der Rauch verwandelt die Rote Burg dann in ein Beinhaus.«
»Hört es dort auf?« Makin warf mir einen durchdringenden Blick zu.
»Vielleicht.« Ich sah mich bei den Brüdern um. »Lügner, Row, Burlow, sucht Brennmaterial für das Feuer. Knochen und Teer, wenn ihr nichts Besseres findet.«
»› Genug, um die ganze Welt zu vergiften ‹, hast du gesagt, Jorg«, wandte Makin ein.
»Die Welt ist bereits vergiftet, Sir Makin«, erwiderte ich.
Makin schürzte die Lippen. »Dies könnte sich ausbreiten. Über ganz Gelleth.«
Burlow und die anderen blieben an der Tür stehen, drehten sich um und lauschten.
»Mein Vater hat Gelleth von mir verlangt«, sagte ich. »Er hat nicht darauf hingewiesen, in welchem Zustand das Land sein soll. Wenn ich ihm rauchende Ruinen gebe, wird er mir dafür danken, bei Gott, das wird er. Glaubst du, es gäbe ein Verbrechen, das er nicht billigen würde, wenn es ihm sichere Grenzen verschaffte? Auch nur ein einziges Verbrechen? Eine einzelne Sünde?«
Makin runzelte die Stirn. »Und wenn der Rauch Ankrath erreicht?«
»Das«, sagte ich, »ist ein Risiko, das ich einzugehen bereit bin.«
Makin wandte sich von mir ab, die Hand am Knauf des Schwerts.
»Was ist?«, fragte ich seinen Rücken, und meine Stimme hallte durchs staubige Gewölbe der Erbauer. Ich breitete die Arme aus. »Was ist? Und wag es bloß nicht, von Unschuldigen zu sprechen. Es ist ziemlich spät für Sir Makin von Trent, für irgendwelche Frauen und Kinder einzutreten.« Mein Ärger wurzelte in mehr als nur Makins Zweifel. »Es gibt keine Unschuldigen. Es gibt nur Sieg oder Niederlage. Wer bist du, dass du mir sagen willst, was riskiert werden kann und was nicht? Wir haben bei diesem Spiel keine Karten erhalten, mit denen wir gewinnen können, aber ich werde trotzdem den Sieg erringen!«
Der Wortschwall ließ mich atemlos zurück.
»Aber es würden so viele sterben, Jorg«, sagte Elban.
Er hatte gesehen, wie mein Messer vor wenigen Wochen mit Bruder Gemt verfahren war, und eigentlich hätte er daraus lernen sollen, aber nein.
»Ein Leben oder zehntausend, ich sehe da keinen Unterschied. Es ist eine Zählweise, die ich nicht verstehe.« Ich zog mein Schwert, so schnell, dass Elban gar nicht reagieren konnte, und legte es ihm an den Hals. »Wenn ich dir einmal den Kopf abschlage … Ist das weniger schlimm, als wenn ich ihn dir immer wieder abschlagen würde?«
Aber danach stand mir nicht der Sinn. Der Tod des Nubiers hatte irgendwie dafür gesorgt, dass ich keine weiteren Brüder verlieren wollte, obgleich sie Abschaum waren.
Ich nahm die Klinge weg. »Brüder«, sagte ich, »ihr wisst, dass ich nicht leicht die Geduld verliere. Aber ich bin nicht gut aufgelegt. Vielleicht habe ich die Sonne zu lange nicht gesehen, oder es liegt an etwas, das ich gegessen habe …« Bei meiner Anspielung auf das Herz des Nekromanten verzog Rike das Gesicht. »Du hast Recht, Makin, es wäre eine … Verschwendung, mehr als nur die Rote Burg zu zerstören.«
Makin wandte sich mir wieder zu, und seine Hand löste sich vom Schwertknauf. »Wie du meinst, Prinz Jorg.«
»Kleiner Rikey, nimm dir nur eins dieser wundervollen Spielzeuge. Das dort, das wie eine große Gonade aussieht, wenn ich bitten darf.« Ich zeigte auf die nächste Kugel. »Pass gut auf, lass das Ding nicht fallen. Gorgoth soll dir helfen, wenn es so schwer ist, wie es aussieht. Wir bringen es ein bisschen weiter nach oben und lassen es fürs Frühstück in der Roten Burg brutzeln. Ein solcher Behälter sollte genügen.«
So gingen wir vor.
Im Rückblick, wenn alle Details bekannt gewesen wären … Makins Verhalten in jenem Erbauer-Gewölbe hätte ausreichen sollen, das Blut von seinen Händen zu waschen, alle seine Verbrechen auszulöschen, der Kathedrale von Wexten ungeachtet, und ihn zu einem Helden zu machen, der einen Platz in den Legenden verdiente. Die breite Schneise des Todes, die der Wind von der Roten Burg ausgehend schuf, weist deutlich darauf hin, dass die drastische Verkleinerung meines ursprünglichen Plans die Welt vor einem ziemlich unangenehmen Ende bewahrte – oder das Ende zumindest hinauszögerte.