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»Er ist noch nicht tot?« Die Stimme einer Frau, mit einem teutonischen Akzent, in dem Alter knarrte.
»Nein.« Eine jüngere Frau, vertraut, ebenfalls teutonisch.
»Es ist nicht natürlich, so lange am Leben festzuhalten«, sagte die ältere Frau. »Und wie bleich er ist. Er sieht tot aus.«
»Er hat viel Blut verloren. Ich wusste nicht, dass Männer so viel Blut in sich haben.«
Katherine! Ihr Gesicht kam zu mir in meiner Dunkelheit. Grüne Augen, und die wohlgeformten Engel ihrer Wangenknochen.
»Er ist bleich und kalt«, sagte sie, mit den Fingern an meinem Handgelenk. »Aber der Spiegel beschlägt, wenn ich ihn an seine Lippen halte.«
»Ich meine, drückt ihm ein Kissen aufs Gesicht, damit es endet.« Ich stellte mir meine Hände am Hals der Alten vor. Der Gedanke brachte ein bisschen Wärme.
»Ich wollte ihn sterben sehen«, sagte Katherine. »Nach dem, was er mit Galen gemacht hat. Voller Freude hätte ich beobachtet, wie er vor dem Thron gestorben und sein Blut über die Stufen geflossen wäre.«
»Der König hätte ihm die Kehle durchschneiden sollen.
Dann wäre es schnell zu Ende gewesen.« Wieder die alte Frau. In ihrer Stimme hörte ich einen Bedienstetenton. Sie äußerte ihre Meinung in der Sicherheit eines privaten Ortes; hier sprach sie von Dingen, die sie zu lange zurückgehalten hatte und in Stille bitter geworden waren.
»Es ist ein grausamer Mann, der das Messer gegen seinen einzigen Sohn hebt, Hanna.«
»Es ist nicht sein einziger Sohn. Sareth trägt deinen Neffen. Das Kind wird jetzt als wahrer Thronerbe geboren.«
»Werden sie ihn hier behalten, was glaubst du?«, fragte Katherine. »Werden sie ihn in den Sarg seiner Mutter legen, neben seinen Bruder?«
»Man lege die Welpen zur Hündin und verschließe den Raum, sage ich.«
»Hanna!« Ich spürte, wie Katherine von mir fortwich.
Sie hatten mich zum Grab meiner Mutter gebracht, einen kleinen Raum in den Gewölben. Als ich zum letzten Mal dort gewesen war, hatte der Staub eine dicke Schicht gebildet, ohne Fußspuren darin.
»Sie war eine Königin, Hanna«, sagte Katherine. Ich hörte, wie ihre Hand über etwas strich. »Man sieht die Kraft in ihr.«
Mutters Bildnis war in den marmornen Sargdeckel gehauen, als läge sie dort, die Hände fromm gefaltet.
»Sareth ist hübscher«, sagte Hanna.
Katherine kehrte an meine Seite zurück. »Kraft macht eine Königin aus.« Ich fühlte Finger auf meiner Stirn.
Vor vier Jahren. Vor vier Jahren hatte ich jene marmorne Wange berührt und geschworen, nie zurückzukehren. Das war meine letzte Träne. Ich fragte mich, ob Katherine ihr Gesicht berührte hatte, vielleicht die gleiche Wange.
»Lasst es mich zu Ende bringen, Prinzessin. Es wäre ein Akt der Gnade dem Jungen gegenüber. Sie werden ihn zu seiner Mutter und dem kleinen Prinzen legen.« Hanna sprach jetzt mit süßer Freundlichkeit. Ich fühlte ihre Hand am Hals, die Finger rau wie die Haut eines Hais.
»Nein.«
»Ihr habt selbst gesagt, dass Ihr ihn tot sehen wolltet«, sagte Hanna. Es steckte Kraft in der alten Hand. Sie hatte so manchem Huhn den Hals umgedreht, unsere Hanna. Vielleicht auch dem einen oder anderen Säugling. Der Druck nahm zu, langsam, aber gleichmäßig.
»Auf den Stufen des Throns, während sein Blut heiß war«, erwiderte Katherine. »Aber ich habe auch gesehen, wie er so lange am Leben festhielt, mit solcher Leichtigkeit, als sei es ihm zur Angewohnheit geworden. Soll er fallen, wenn er bereit ist. Es ist keine Wunde, die man überleben kann. Soll er den Zeitpunkt selbst wählen.«
Der Druck nahm noch etwas mehr zu.
»Hanna!«
Die Hand löste sich von meinem Hals.