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Bei einem Duell, Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert, kann es der Mangel an Geschick sein, der einen tötet. Oft spielt reines Glück die entscheidende Rolle. Oder es droht, wenn der Kampf zu lange dauert, dem Mann der Tod, der zuerst ermüdet.

Letztendlich geht es um Ausdauer und Durchhaltevermögen. Dies sollte man in Grabsteine meißeln: »Er wurde müde.« Vielleicht nicht des Lebens müde, aber zu müde, um daran festzuhalten.

Bei einem echten Kampf –  und die meisten Kämpfe sind echt, ohne die Kunstfertigkeit eines formellen Duells – ist Erschöpfung der gefährlichste Gegner. Ein Schwert ist ein ziemlich schweres Stück Eisen. Wenn man es einige Minuten schwingt, entwickeln die Arme eigene Vorstellungen davon, was sie tun können und was nicht. Selbst wenn das eigene Leben davon abhängt.

Ich erinnere mich an Zeiten, als das Heben meines Schwerts einer Herkulestat gleichkam, doch nie vor der Konfrontation mit Katherines Messer hatte ich mich so erschöpft gefühlt.

»Mistkerl!«

Das Feuer in ihren Augen schien heiß genug zu sein, um bis nach der Tat zu brennen.

Ich suchte nach dem Willen, sie aufzuhalten, und fand nichts.

Ein Messer kann ziemlich erschreckend sein, wenn man es scharf und kalt am Hals fühlt. Dieser Gedanke war ein Echo aus der Nacht, als die Geister aus den Sümpfen zu beiden Seiten der Totenstraße gekommen waren.

Das Glitzern an des Messers Klinge, als Katherine auf mich zutrat, die Vorstellung, dass es in meinen Körper schnitt, mir vielleicht ein Auge zerstach … Solche Gedanken lassen einen Mann zögern. Bis man begreift, was sie sind. Sie sind nur ein Weg, das Spiel zu verlieren. Man verliert das Spiel, und was hat man verloren? Man hat das Spiel verloren. Corion hatte mir vom Spiel erzählt. Wie viele meiner Gedanken stammten von ihm? Wie viel von meiner Philosophie war Dreck von den Fingern des alten Mannes?

Ich war zu lange durch Dunkelheit gefallen. Das Spiel erschien mir nicht mehr wichtig.

Mit der Asche meiner Kraft hob ich beide Arme und breitete sie aus, um den Stich des Messers zu empfangen. Und ich lächelte.

Etwas hielt Katherines Hand fest. Ich sah es in ihrem Gesicht, in den dünnen Falten, die plötzlich ihre Stirn durchzogen. Etwas rang mit ihrem Zorn.

»Mein Vater scheint das Herz nicht ganz erreicht zu haben, wie mir scheint.« Meine Stimme war nicht mehr als ein raues Flüstern. »Vielleicht kannst du die richtige Stelle treffen, Tante?«

Das Messer zitterte. Ich fragte mich, ob Katherine jemals zuvor lebendes Fleisch geschnitten hatte.

»Du … hast sie getötet.«

Die Finger meiner rechten Hand schlossen sich um etwas, um etwas Glattes und Schweres auf dem Regel neben dem Bett.

Katherines Blick wanderte zum Gesicht der alten Frau.

Ich schlug zu. Nicht sehr hart, dazu fehlte mir die Kraft, aber hart genug, um die Vase zu zerbrechen, die ich gefunden hatte. Mit einem Murmeln brach Katherine zusammen.

Reglos blieb sie auf den Steinplatten liegen, von ihrem saphirblauen Gewand umgeben. Neues Leben floss in meine Arme. Die Kraft schien in dem Moment zurückzukehren, als Katherine zu Boden sank. Als sei ein Bann gebrochen.

Töte sie, und du bist für immer frei. Eine vertraute Stimme, wie trockenes Papier. Meine oder seine?

Das Haar bedeckte Katherines Gesicht, Kastanienbraun auf Saphirblau.

Sie ist deine Schwäche. Schneid ihr das Herz aus dem Leib.

Ich wusste, dass es stimmte.

Erwürg sie.

Ich sah meine Hände, blass an einem sich scharlachrot verfärbenden Hals.

Nimm sie. Die Stimme der Dornen. Ich spürte, wie sie sich mir unter die Haut bohrten, wie Haken, die mich dazu bringen wollten, neben Katherine zu knien. Nimm sie. Nimm dir das, was sie dir vielleicht nie gibt. Dieses Credo kannte ich.

Töte sie, und du bist frei.

Ich hörte das Echo eines fernen Unwetters.

Katherines Haar fühlte sich zwischen meinen Fingern wie Seide an. »Sie ist meine Schwäche.« Meine Stimme, und meine Lippen. Ein kleiner Schritt, ein weiterer Tod, und nichts würde mich jemals wieder berühren. Ein kleiner Schritt, und die Tür zu jener stürmischen Nacht würde sich für immer schließen. Dann wäre das Spiel wirklich zu einem Spiel geworden. Und ich wäre der Spieler gewesen, der es gewinnen würde.

Erwürg sie. Nimm sie. Die Stimme der Dornen. Ein Knistern und Knacken im Geist. Ein hohles Geräusch. Eine Leere.

Leer.

Ihr Hals war warm. Ich fühlte ihren Puls unter meinen Fingern.

»Töte sie, Dornenprinz.«

Ich sah die Worte auf dünnen Lippen, in einem leeren Zimmer gesprochen.

»Töte sie.«

Erneut bewegten sich die Lippen. Ich sah die leeren Augen, den Blick in die Ewigkeit gerichtet. »Töte sie.«

»Corion.«

Für einen Moment schlossen sich meine Hände um Katherines Hals.

»Ich werde mit dir abrechnen, alter Hurensohn.« Ich lockerte meinen Griff.

Ein grimmiges Lächeln erschien auf den schmalen Lippen. Ich sah es, als die Vision verblasste, die leeren Augen und das Lächeln. Es war mein eigenes Lächeln.

Corion hatte mich manipuliert. Jahrelang war ich umhergezogen, ohne mich an ihn zu erinnern, in dem Glauben, dass es meine Entscheidung gewesen war, mich von Renar abzuwenden. Ich hatte sie für ein Symbol meiner Kraft und Bestimmung gehalten, davon überzeugt, dass ich die Rache zugunsten des wahren Wegs zur Macht beiseite ließ. Und jetzt, am Rand des Todes, hatte ich zurückbekommen, was mir genommen worden war. Ich sah Katherine an und erinnerte mich an einen Engel an einem dunklen Ort. Der Gedanke daran ließ mich schaudern.

Ich nahm Katherines Dolch vom Boden und stand auf. Meine schöne Tante ließ ich liegen, neben dem alten Weib, das ich erdrosselt hatte. Die Tür führte in einen Flur, den ich kannte. Die Westecke – ich wusste, wo ich war. Ich hob das Messer an die Lippen und küsste es. Graf Renar, und der Strippenzieher, der so viele Strippen zog … Eine scharfe Klinge genügte für sie alle.