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»Erklär es mir noch einmal.« Makin beugte sich im Sattel vor und sprach lauter, damit ich ihn im Prasseln des Regens hörte. »Dein Vater sticht dich nieder, aber wir sind zur Burg des Grafen Renar unterwegs, damit du dich rächen kannst?«

»Ja.«

»Und wir haben es nicht einmal auf den Grafen abgesehen? Nicht auf ihn, der deine geheiligte Mutter ins Jenseits schickte, sondern auf einen alten Zauberer?«

»Ja.«

»Der dich und den Nubier in seiner Gewalt hatte, als du gerade von zu Hause weggelaufen warst? Und der euch dann einfach so gehen ließ?«

»Ich glaube, er legte einen Zauber auf die Armbrust des Nubiers«, sagte ich.

»Wenn das stimmt, muss es ein Zauber gewesen sein, der Fehlschüsse verhinderte. Mit dem Ding konnte der Nubier ein ganzes Heer aufhalten. Unter geeigneten Umständen.«

»Es gab kaum etwas, das der Nubier nicht getroffen hätte«, bestätigte ich.

»Und?«

»Und was?«

»Ich verstehe nicht, warum wir hier draußen mit gestohlenen Gäulen durch strömenden Regen reiten, der schlimmsten Art von Gefahr entgegen.«

Ich rieb meinen Kiefer dort, wo er mich getroffen hatte. Die Stelle fühlte sich wund an, und die Kälte des Regens half kaum.

»Was hat es mit der Welt auf sich, Makin?«

Er sah mich an, die Augen in Wind und Regen zusammengekniffen.

»Ich hatte nie Zeit für deine Philosophen, Jorg. Ich bin Soldat, und damit hat es sich.«

»Du bist also Soldat, und so frage ich den Soldaten: Was hat es mit der Welt auf sich?«

»Krieg.« Makin legte die Hand auf den Knauf des Schwerts, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Der Hundertkrieg.«

»Und was hat es damit auf sich, Soldat?«, fragte ich.

»Hundert Adlige kämpfen über die Grenzen ebenso vieler Länder hinweg um den Thron des Reichs.«

»Das dachte ich immer«, sagte ich.

Es regnete stärker. Die Tropfen schlugen hart auf meine Hände, mit einem Stechen, als trügen sie Eis in sich. Weiter vorn, an einer Abzweigung, sah ich ein Licht, drei sogar, drei warme Lichter.

»Ein Wirtshaus.« Ich spuckte Wasser.

»Kämpfen wir nicht für das Reich?« Makin blieb an meiner Seite, obwohl die Hufe seines Pferds durch den Schlamm am Straßenrand rutschten.

»Hier habe ich Price getötet«, sagte ich. »Vor diesem Wirtshaus. Damals hieß es ›Die Drei Frösche‹.«

»Price?«

»Der große Bruder des Kiemen Rikey«, sagte ich. »Du bist ihm nie begegnet. Im Vergleich mit ihm erscheint Rikey wie ein feiner Herr.«

»O ja, ich erinnere mich an die Geschichte. Die Brüder haben sie gelegentlich am Lagerfeuer erzählt, wenn Rikey bei irgendwelchen Huren war.«

Wir erreichten das Wirtshaus. Es hieß noch immer »Die Drei Frösche«, dem Schild nach zu urteilen.

»Ich wette, sie haben dir nicht die ganze Geschichte erzählt.«

»Du hast ihm mit einem Stein den Schädel eingeschlagen, nicht wahr? Da fällt mir ein, keiner der Brüder war besonders scharf darauf, davon zu berichten.«

»Der Nubier und ich kamen gerade aus dem Hochland. Wir sprachen nicht dauernd miteinander. Ich hatte Corion in meinem Kopf, seine Präsenz, wie ein schwarzes Loch hinter meinen Augen.

Wir rechneten nicht damit, den Brüdern zu begegnen. Eine Woche zuvor hatten wir ein Treffen auf der anderen Seite von Ankrath vereinbart. Ich hatte den Nubier daran erinnert, was er mir schuldig war, und so machten wir uns gemeinsam auf den Weg.

Jedenfalls, dort waren sie. Zwanzig Pferde auf der Straße, und die Flammen erreichten gerade das Dach. Burlow saß dort drüben beim Baum, mit einem Fass Bier für sich ganz allein. Der junge Sim lief mit hoch erhobener Axt einem Schwein hinterher. Und heraus kommt Price und duckt sich, damit er durch die Tür passt. Rauch umwogt ihn, als sei er der Teufel höchstpersönlich, und er zieht den Wirt hinter sich her, mit einer Hand am Hals. Er würgte ihn nicht, wohlgemerkt. Price bekam seine Pfoten ganz um den Hals eines Mannes, ohne zudrücken zu müssen.

Er sieht mich, und etwas scheint in ihm zu explodieren. Er knallt den Wirt gegen den Türrahmen, und dem Burschen spritzt das Gehirn aus dem Kopf. Aber Price achtet nicht darauf; sein Blick ist die ganze Zeit auf mich gerichtet.

›Du kleiner Mistkerl. Ich reiße dich in Stücke.‹

Er rief nicht, aber es gab keinen Bruder, der ihn nicht gehört hätte. Der Nubier und ich, wir waren noch dreißig Meter entfernt, und trotzdem schien es mir, er hätte direkt in mein Ohr gesprochen.

›Mit einer so großen Armbrust könntest du ihn bestimmt von hier aus zwischen die Augen treffen ‹, sagte ich zum Nubier.

›Nein‹, erwiderte er, aber es klang nicht nach dem Nubier, sondern nach einer trockenen Stimme, die ich schon einmal gehört hatte. ›Sie müssen sehen, wie du damit fertig wirst.‹

Price schlenderte auf mich zu. Aufhalten konnte ich ihn nicht, und Weglaufen kam nicht infrage. Mir blieb also nichts anderes übrig, als einen Versuch zu wagen.

Ich nahm einen Stein. Einen glatten. Er passte in meine Hand, als wäre er dafür gemacht.

›David hatte eine Schleudern sagte Price mit einem scheußlichen Lächeln.

› Goliath war eine wert.‹

Er schlenderte nur, ging langsam und gemütlich, aber die dreißig Meter schrumpften schnell.

›Warum bist du überhaupt so verärgert? Hast du den Nubier so sehr vermisst?‹, fragte ich und dachte mir, dass ich ebenso gut herausfinden konnte, warum ich sterben sollte.

›Ich …‹ Meine Frage schien ihn zu verwirren. Sein Blick ging in die Ferne, als versuchte er, dort etwas zu erkennen, das ich nicht sah.

Diesen Moment nutzte ich und warf den Stein. Mit einem solchen Stein konnte man das Ziel gar nicht verfehlen – ich traf sein rechtes Auge, und es war ein ziemlich harter Treffer. Selbst ein Riese wie Price merkt so etwas. Ein schreckliches Geheul kam von ihm. Wenn du es gehört hättest, Makin, und wenn dir klar gewesen wäre, dass er es auf dich abgesehen hatte … Du hättest dir in die Hose gemacht.

Ich ging in die Hocke, und meine Hände fanden zwei weitere Steine, ebenso perfekt wie der erste.

Price hüpft noch immer herum, die eine Hand aufs verletzte Auge gedrückt. Schleim und Blut kommen zwischen seinen Fingern hervor.

› He, Goliath!‹

Das weckte seine Aufmerksamkeit. Ich hole aus und werfe den zweiten Stein, treffe damit das andere Auge. Er brüllt wie ein verrücktes Tier und greift an. Der dritte Stein schlägt durch seine Vorderzähne und bohrt sich hinten in die Kehle.

Ich sage dir, Makin, es waren unmögliche Würfe, alle drei. Glück allein reichte dafür nicht. Nie wieder habe ich so geworfen.

Jedenfalls, ich trete zur Seite, und Price wankt noch zehn Meter weiter, bevor er zu Boden geht und nach Atem ringt. Der dritte Stein steckt in seiner Luftröhre.

Ich nehme einen großen Brocken von der nahen Bruch-Steinmauer und folge ihm. Wahrscheinlich wäre er erstickt. Als ich ihn erreichte, war sein Gesicht so violett wie das eines Gehängten. Aber ich überlasse die Dinge nicht gern dem Zufall.

Blind kriecht er umher. Und wie er stank! Er hatte sich beschmutzt, auf jede erdenkliche Art. Der Schweinehund tat mir fast leid.

Ich hätte nicht gedacht, dass sein Schädel gleich beim ersten Schlag platzt, doch das war der Fall.« Makin stieg von seinem Pferd und stand bis zu den Knöcheln im Schlamm. »Wir könnten ins Wirtshaus gehen.«

Ich fühlte nicht länger den Regen, sondern die Hitze des Tages, an dem ich Price getötet hatte. Ich fühlte die Glätte der kleinen Steine und die raue Schwere des Brockens, mit dem ich ihm den Rest gegeben hatte.

»Es war Corion, der meine Hand lenkte. Und ich denke, es war Sageous, der Price gegen mich aufbrachte. Mein Vater glaubt, der Traumhexer sei ihm zu Diensten, aber da irrt er sich. Sageous sah, dass Corion seine Haken in mir verankert hatte, er sah, dass seine neue Figur nicht mehr ihm gehörte. Deshalb infizierte er Prices Träume und stachelte den Hass, den er dort fand, ein wenig an. Viel war nicht nötig.

Sie spielen mit uns, Makin. Wir sind Figuren auf ihrem Spielbrett.«

Seine rissigen Lippen formten ein Lächeln. »Wir alle sind Figuren auf irgendeinem Spielbrett, Jorg.« Er ging zur Tür des Wirtshauses. »Du hast oft genug mit mir gespielt.«

Ich folgte ihm in den Schankraum. Im Kamin lag ein einzelner Scheit, der leise zischte und mehr Rauch als Wärme schuf. An der Theke saßen ungefähr ein Dutzend Kerle, alles Einheimische, wie es schien.

»Ah! Der Geruch feuchter Bauern.« Ich warf meinen nassen Mantel auf den nächsten Tisch. »Es gibt nichts Besseres.«

»Bier!« Makin zog sich einen Stuhl heran. Um uns herum entstand ein freier Bereich.

»Und Fleisch«, sagte ich. »Kuh. Bei meinem letzten Besuch bekamen wir gebratenen Hund, und der Wirt starb.« Das stimmte, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge.

»Dieser Corion«, sagte Makin. »Er brauchte bei eurer ersten Begegnung also nur mit den Fingern zu schnippen, und du bist zusammen mit dem Nubier umgekippt. Was soll verhindern, dass sich so etwas wiederholt?«

»Vielleicht nichts.«

»Selbst ein Spieler möchte eine Chance haben, Prinz.« Makin nahm von der Dienstmagd zwei glasierte Krüge entgegen, beide mit über den Rand quellendem Schaum.

»Seit unserer letzten Begegnung bin ich ein wenig gewachsen«, sagte ich. »Sageous fand mich nicht so leicht zu besiegen.«

Makin trank durstig.

»Aber das ist noch nicht alles. Ich habe etwas von dem Nekromanten bekommen.« Ich schmeckte noch immer sein Herz, bitter auf der Zunge. Selbst mit einem Schluck Bier ließ sich der Geschmack nicht wegspülen. »Ein Stück von ihm befindet sich in mir, und damit auch ein Teil seiner Magie, Makin. Was auch immer in den Adern der toten Schlampe floss, die sich den Nubier schnappte, und auch das Licht des Mädchens bei den Ungeheuern … Ich habe etwas davon in mir.«

Makin wischte sich Schaum vom Bart, der ihm im Verlies gewachsen war. Er schaffte es, seine Skepsis mit einem leichten Wölben der Braue zum Ausdruck zu bringen. Ich hob mein Hemd. Nun, es war nicht mein Hemd, sondern etwas, das Katherine für mich ausgewählt hatte. Wo sich mir das Messer meines Vaters in die haarlose Brust gebohrt hatte, zeigte sich eine dünne schwarze Linie. Dunkle Verästelungen gingen wie Adern aus, reichten über die Rippen hinweg und streckten sich dem Hals entgegen.

»Was auch immer mein Vater sein mag, unfähig ist er bestimmt nicht«, sagte ich. »Ich hätte tot sein müssen.«