Nachdem Ted von der Hauptstraße abgebogen ist und nur noch zweihundert Meter vor sich hat, setzt er zum Sprint an. Seine Füße schlagen klatschend auf den Bürgersteig, seine Arme schwingen vor und zurück, vor und zurück, das Blut rast durch seinen Körper, er schnappt nach Luft. Kies spritzt auf, als er schweißnass das Haus seiner Eltern erreicht. Gebückt hält er sich am Zaun fest, und seine Brust hebt und senkt sich, hebt und senkt sich, bevor er so weit wiederhergestellt ist, dass er sich aufrichten und auf den Klingelknopf drücken kann.
Es dauert eine ganze Weile, bis seine Mutter ihm aufmacht.
»Liebling«, sagt sie und hält ihm automatisch die Wange hin, bevor sie bemerkt, dass er Joggingsachen trägt. Sie weicht zurück und rümpft die Nase. »Möchtest du erst duschen?«
»Nein, nicht nötig.« Ted schüttelt sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, und wischt sich die Haare aus der Stirn. »Ich kann nicht bleiben. Dad wollte, dass ich kurz vorbeikomme, um …«
»Bist du die ganze Strecke gelaufen?«, fragt sie, während sie in die Küche durchgehen.
»Ja.«
»Von der Arbeit?«
»Hm.«
»Ist das klug?«
»Klug?«
Sie zuckt mit ihren Kaschmirschultern. »Na, wegen der Luftverschmutzung und so. Und wegen deiner Gelenke.«
»Meiner Gelenke?«
»Ja. Ich habe gehört, dass Joggen ziemlich schädlich sein kann.«
Lachend lässt Ted sich auf einen Küchenstuhl fallen. »Mum, ich würde sagen, die Welt ist sich darin einig, dass Sport sehr gut für die Gesundheit ist.«
»Ach ja?« Sie macht ein zweifelndes Gesicht. »Da bin ich mir nicht so sicher. Und du willst wirklich nicht schnell unter die Dusche springen?«
»Wirklich nicht. Ich muss zusehen, dass ich nach Hause komme.«
»Wir hätten auch ein Handtuch für dich.«
»Ich weiß, dass ihr Handtücher habt, Mum. Und sie sind auch bestimmt schön weich und alles, aber ich kann nicht bleiben. Dad wollte, dass ich kurz vorbeischaue, um ein paar Papiere zu unterschreiben, und dann muss ich gleich wieder los.«
»Du bleibst nicht zum Abendessen?«
»Ich bleibe nicht zum Abendessen.«
»Aber wenigstens auf eine Tasse Kaffee? Und dazu ein Sandwich? Ich mach’ dir eins, mit Schinken und …«
»Es geht leider nicht, Mum.«
»Aber du besuchst doch wenigstens deine Großmutter? Sie würde sich so freuen, das weißt du doch.«
Ted massiert sich die Schläfen. »Ein andermal, Mum. Versprochen. Aber nicht heute. Elina war den ganzen Tag allein und …«
»Deine Großmutter ebenfalls.«
Er atmet einmal tief durch. »Elina war mit einem kleinen Kind allein. Sie hat Probleme mit dem Stillen und …«
»Tatsächlich?« Erschrocken dreht sie sich vom Kaffeeautomaten, an dem sie sich zu schaffen macht, zu ihm um. »Aber wieso denn? Was ist passiert?«
»Nichts ist passiert. Er …«
»Er trinkt nicht genug? Hat er abgenommen?«
»Es geht ihm gut. Er schreit nur viel, das ist alles. Blähungen oder Koliken, glaubt Elina.«
»Koliken? Ist das etwas Ernstes?«
»Nein«, antwortet er. »Das haben viele Säuglinge. Ich hatte es wahrscheinlich auch. Weißt du nicht mehr?«
Sie widmet sich wieder dem Kaffeeautomaten. Sie schaltet ihn ein, und ihre Antwort geht im Mahlgeräusch der Bohnen unter.
»Was hast du gesagt?« Ted rutscht auf seinem Stuhl ein Stück vor. »Aber ich glaube, ich hätte doch lieber ein Glas Wasser. Das wäre toll.«
»Keinen Kaffee?«
»Nein. Wasser.«
Seine Mutter macht den Kühlschrank auf. »Stilles oder sprudelndes?«
»Hab’ ich eigentlich auch die Brust bekommen?«
»Stilles oder sprudelndes?«
»Egal. Was du da hast. Leitungswasser geht auch. Ich weiß nicht, warum du diesen Dreck überhaupt kaufst.«
»Keine Ausdrücke, Ted.«
»Und? Hab ich?«
Mit dem Rücken zu ihm sucht sie in einem Hochschrank nach einem Glas. »Hast du was?«
»Die Brust bekommen?«
»Eine Scheibe Zitrone?«
»Ja, warum nicht.«
»Eis?«
»Von mir aus. Egal.«
Sie stellt das Glas hin und fängt an, im Gefrierfach herumzukramen. »Ich hab’ deinem Vater schon vor Tagen gesagt, er soll die Eiswürfelschalen auffüllen, aber ich möchte wetten, er hat es nicht gemacht.« Sie nimmt einen ganzen gefrorenen Fisch heraus und eine Plastikbox mit einer hellen, trüben Flüssigkeit. »Da hätten wir ja die Erste«, murmelt sie. »Natürlich leer. Aber wo steckt die andere?«
»Mum, lass es gut sein mit dem Eis. Es geht auch so.«
»Da bitte ich ihn einmal, etwas für mich zu erledigen, und dann… Aha!« Sie hält triumphierend eine Eiswürfelschale hoch. »Da stehe ich hier und mache deinen Vater schlecht, und dabei hat er längst für Eis gesorgt. Siehst du?« Sie gibt drei Würfel in Teds Wasser, wo sie beim Eintauchen zerspringen. Nachdem sie den gefrorenen Fisch wieder zurückgelegt hat, reicht sie Ted das Glas.
»Danke.« Er trinkt einen kräftigen Schluck. »Also, hab ich nun die Brust bekommen?«
Seine Mutter setzt sich zu ihm an den Tisch. Sie schüttelt den Kopf, verzieht unangenehm berührt den Mund. »Leider nicht. Du warst von Anfang an ein Flaschenkind.«
»Wirklich?«
Sie springt wieder auf. »Wo hab’ich nur diese Papiere für dich hingelegt?«
»Komisch«, sagt Ted, während sie einen Stapel Zeitungen vom Stuhl nimmt und wieder zurücklegt. »Heutzutage heißt es doch, dass Stillen gut fürs Immunsystem ist. Elina sagt immer, ich bin der krankheitsresistenteste Mensch, den sie kennt. Aber wenn ich nicht gestillt wurde, wäre damit eigentlich die ganze Theorie hinfällig.«
Seine Mutter macht einen Schrank auf, sieht hinein, macht die Tür wieder zu. »Sie können doch nicht weggekommen sein. Heute Nachmittag hatte ich sie noch. Wo können sie nur …« Sie stürzt sich auf einen weißen Papierstapel. »Da sind sie ja! Ich wusste doch, dass sie hier irgendwo sein müssen.« Sie legt sie Ted hin.
»Worum geht es dabei überhaupt?«
»Irgendetwas Finanzielles. Eine Idee deines Vaters.«
»Ja, aber was für eine?« Ted leert das Glas und nimmt das oberste Blatt vom Stapel.
»Frag mich nicht, Schatz. Über solche Dinge redet er nicht mit mir. Es geht wohl um ein Treuhandkonto. Für das Kind. Man bekommt dafür vom Staat Geld zurück.«
»Er will für das Kind ein Treuhandkonto einrichten?«
»Ja, ich glaube. Wir machen uns nämlich manchmal Sorgen. Vor allem jetzt, wo das Baby da ist.«
»Sorgen? Worüber?«
»Na ja. Eure Einkünfte sind so …«
»So was?«
»Unzuverlässig.«
»Unzuverlässig?«
»Nein, nicht unzuverlässig. Unregelmäßig. Unsicher. Deshalb wollten wir für das Kind etwas anlegen, nur für den Notfall.«
»Verstehe.« Ted verkneift sich ein Schmunzeln - und die Frage: Was für ein Notfall? »Das ist sehr lieb von euch. Hast du was zum Schreiben da?« Sie gibt ihm einen Füllhalter, und Ted setzt seine Unterschrift in das Kästchen »Einwilligung«.
Nachdem seine Mutter ihn zur Tür gebracht hat, fängt sie noch einmal mit der Dusche, den Handtüchern und dem Besuch bei der Großmutter an.
»Tut mir leid«, sagt Ted und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich muss weiter.«
»Du willst doch hoffentlich nicht die ganze Strecke bis nach Gospel Oak joggen, oder?«
Im Rückwärtsgehen winkt Ted ihr zum Abschied zu. »Nein, ich nehm’ den Bus.«
»Den Bus? Ich kann dich doch auch fahren. Du brauchst nicht den Bus zu nehmen. Ich bringe dich hin, dann kann ich meinen Enkel …«
»Ich nehme den Bus«, sagt Ted, der noch immer rückwärts geht, noch immer winkt. Dann bleibt er plötzlich stehen. Seine Mutter betrachtet ihn, die Türklinke in der Hand.
»Was hast du?«
»Erinnerst du dich …?« Er muss kurz überlegen. »Einmal kam ein Mann zu uns. Und du … Du hast ihn weggeschickt. Glaube ich. Nein, ich bin mir ganz sicher.«
»Wann war das?«
»Das ist schon Jahre her. Ich war noch klein. Ein Mann in einer braunen Jacke. Zerstrubbelte Haare. Ich war oben auf meinem Zimmer. Du hast dich mit ihm gestritten. Du hast gesagt - das weiß ich noch -, du hast gesagt: ›Nein, gehen Sie, Sie kommen mir nicht ins Haus.‹ Erinnerst du dich daran?«
Sie schüttelt energisch den Kopf. »Nein.«
»Wer könnte das gewesen sein? Bei Weggehen hat er am Haus hochgeschaut. Und mir gewinkt. Weißt du nicht mehr?«
Ohne ihn anzusehen, tastet sie mit der Hand über die Tür, als ob sie nach Rissen im Lack sucht. »Nein, davon weiß ich nichts.«
»Er hat mir gewinkt, als ob er …«
»Klingt mir ganz nach einem Vertreter. Früher kamen dauernd welche an die Tür. Aufdringliches Pack.« Sie bleckt die Zähne zu einem Lächeln. »Eine bessere Erklärung fällt mir auch nicht ein.«
»Okay.«
»Auf Wiedersehen, Liebling. Bis bald.« Sie macht schnell die Tür zu. Ted bleibt noch einen Augenblick stehen, dann dreht er sich um und geht über die Straße.
015
Elina hört Teds Schlüssel nicht im Schloss, weil das Kind wieder einmal schreit, das Fäustchen in seinen Mund gerammt, das Köpfchen an ihren Hals geschmiegt. Sie dreht im Wohnzimmer ihre Runden, mit schaukelnden, federnden Schritten, wie man sie vielleicht auf dem Mond machen würde oder im Tiefschnee. Der Kleine hat in der letzten Stunde zweimal getrunken: Er nuckelt ausgehungert los, setzt nach einer halben Minute wieder ab und schreit. Hat er Schmerzen? Ist etwas mit ihrer Milch nicht in Ordnung? Schmeckt sie ihm nicht? Stimmt etwas nicht mit ihm? Oder mit ihr?
Elina wirft einen Blick auf das Babybuch, das auf dem Sofa liegt. Sie hat es gekauft, weil es ihr die Frau in der Buchhandlung als »die absolute Baby-Bibel« empfohlen hat. Sie hat unter »Blähungen« nachgeschlagen, unter »Schreien«, »Stillproblemen« und »Koliken«, unter »Verzweiflung«, »Qualen« und »unermesslicher Traurigkeit«, aber sie kann nichts Nützliches finden.
Sie lagert das Kind um, so dass es längs auf ihrem Unterarm liegt, sein Köpfchen in ihrer Hand. Mit der anderen Hand reibt sie ihm den Rücken. Es reagiert mit großem Ernst auf die Veränderung, mit konzentriert gerunzelter Stirn, als ob es sagen will, ja, lass es uns mal so probieren, vielleicht klappt es so besser. Lasse, denkt sie, während sie auf sein seidiges Köpfchen hinunterschaut, Arto, Paarvo, Nils, Stefan. Wie soll man einen Namen für ein Kind aussuchen? Wie entscheidet man? Sieht er aus wie ein Peter, ein Sebastian, ein Mikael? Oder ist er ein Sam, ein Jeremy, ein David? Entlang der Adern und Sehnen ihres Arms spürt sie die winzigen Bewegungen, das peristaltische, wellenförmig sich fortsetzende Gurgeln seines kleinen Verdauungstrakts, und sie ist so vertieft in diese unmerklichen Veränderungen, dass sie, als sie den Kopf hebt und im dunklen Fenster unverhofft die Umrisse von zwei Köpfen vor sich sieht, einen schrillen Schrei ausstößt und herumfährt. Sie presst das Kind an sich, um es nicht fallen zu lassen.
Es ist Ted in seinen Joggingsachen, der hinter ihr ins Zimmer gekommen ist.
»Was für eine Begrüßung.« Er lächelt schief und wirft seinen Schlüsselbund aufs Sofa.
Das Kind, dem Elinas Schrei Angst gemacht hat, fängt wieder an zu schreien. Nicht mit den kratzigen, heiseren Tönen der letzten Stunde, sondern mit einem angespannten, sich immer höher schraubenden Brüllton.
»Du hast mich erschreckt«, sagt sie. Bei dem Lärm ist sie fast nicht zu verstehen.
»Entschuldige«, antwortet er. »Und, wie war euer Tag?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Soll ich ihn dir abnehmen?«
Elina nickt und gibt ihm das Kind. Ihre Arme fühlen sich leicht und merkwürdig taub an, wie bei dem Spiel, bei dem man sich mit den Handflächen gegen den Türrahmen stemmt, und wenn man loslässt, gehen die Arme wie von selbst in die Höhe.
Sie lässt sich aufs Sofa sinken, schließt die Augen, lehnt den Kopf in die niedrigen Polster. Blendet alles aus. Nach zwei, vielleicht drei Sekunden legt sich eine Hand auf ihren Arm.
»Ich glaube, er hat Hunger.« Ted hält ihr das Kind hin. »Kannst du ihn vielleicht stillen?«
»Herrgott noch mal«, schreit sie, während sie an ihrer Bluse reißt und versucht, sie sich unters Kinn zu klemmen, während sie mit dem BH-Verschluss kämpft, mit der Einlage und der richtigen Anlegeposition, während das Kind mit der Faust gefährlich nah an ihrer heißen, harten Brust vorbeidrischt. »Was glaubst du eigentlich, was ich seit einer Stunde mache?«
Erstaunt über ihren Wutausbruch, atmet Ted erst ein paarmal tief durch, bevor er antwortet. »Das kann ich doch nicht wissen«, sagt er schließlich besänftigend. »Ich bin ja eben erst heimgekommen.«
Das Kind windet sich wie ein Aal, es schnauft und zappelt vor Aufregung, vor Hunger. Sie wünscht sich nur eins, sich hinlegen zu können. Sie möchte sich bei Ted entschuldigen, möchte, dass sie die quälende, brennende Milch in ihrer Brust endlich los ist, dass ihr jemand ein Glas Wasser bringt, dass ihr jemand sagt, alles wird gut. Der Kleine zögert noch einen Augenblick, dann dockt er an, und Elinas ganzer Körper krümmt sich vor Schmerzen. Sekunden später fängt er endlich an zu saugen, versunken und andächtig. Seine Augen rollen hin und her, als ob er einen unsichtbaren Text liest.
Sie lässt vorsichtig die Schultern sinken, Millimeter um Millimeter, und hebt den Kopf. Ted hat sich in den Sessel gesetzt. Ein Bein über das andere geschlagen, sieht er ihnen nachdenklich beim Füttern zu. Doch als sie ihn anlächelt, merkt sie, dass er in Wahrheit gar keinen Blick für sie hat, sondern wie blind an ihr vorbeistarrt.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Er blinzelt und sieht sie verwundert an. »Hm?«
»Alles - in - Ordnung?«
Er kommt wieder ganz zu sich. »Natürlich. Warum fragst du?«
»Nur so. Es kam mir einfach in den Sinn.«
»Aber ich kann das nicht leiden.«
»Was denn?«
»Dass du mich kontrollierst. Dass du dauernd wissen willst, wie es mir geht.«
»Wieso stört dich das?«
»Weil es lästig ist. Wie oft soll ich es dir noch sagen? Es geht mir gut.«
»Es ist dir lästig?«, wiederholt sie. »Es nervt dich, dass ich mir Sorgen um dich mache?«
Ted steht auf. »Ich gehe duschen.«
016
Sie liegen im Bett, alle drei, auf dem Rücken, in der Mitte, mit ausgebreiteten Ärmchen, das schlafende Kind.
»Ich wüsste zu gern, ab wann er sich erinnern kann«, sagt Ted.
Elina sieht ihn an. Ted hat den Kopf auf den Ellenbogen gestützt und betrachtet seinen Sohn.
»Ich glaube, das ist unterschiedlich«, antwortet sie. »So mit drei oder vier, glaube ich.«
»Drei oder vier?«, murmelt er verwundert.
Sie lächelt. »Ich rede hier nicht von dir, Mister Amnesie. Ich rede von normalen Menschen mit einem normalen Gehirn.«
»Was ist ein normales Gehirn, Miss Insomnia?«
Sie geht nicht darauf ein. »Ich kann mich erinnern, wie mein Bruder geboren wurde.«
»Wie alt warst du da?«
»Hm.« Sie muss kurz überlegen. »Zwei. Zwei Jahre und fünf Monate.«
»Wirklich?« Ted ist ehrlich erstaunt. »Du kannst dich an Sachen erinnern, die passiert sind, als du zwei warst?«
»Ja, doch. Aber es war schließlich auch ein großes Ereignis. Die Ankunft eines Brüderchens. Daran würde sich jeder erinnern.«
Er schmiegt eine Hand um ein Kinderfüßchen. »Ich nicht.«
»Ich habe irgendwo gelesen, dass Leute mit jüngeren Geschwistern ein besseres Gedächtnis haben, weil es mehr trainiert wird oder so. Sie können ihre Erinnerungen leichter einordnen.«
Er grinst. »Dann sehe ich natürlich alt aus.« Er lässt das Füßchen los und legt sich wieder hin, die Hände hinter dem Kopf. »Es ist auf jeden Fall eine perfekte Ausrede für mein miserables Gedächtnis. Keine Geschwister.« Elina wirft ihm einen Blick zu, sieht die weißen Linien auf seiner braunen Haut, an den Armen, am Handgelenk von der Armbanduhr, das Spiel seiner Beinmuskeln, den dunklen Haarflaum um seinen Nabel, auf seiner Brust. Es ist eine heiße Nacht, und er ist bis auf die Boxershorts nackt. Wie seltsam, denkt sie, dass er äußerlich so unverändert ist. Wo ich mich selbst nicht wiedererkenne.
Ted redet weiter. »Seit wir den Jungen haben, seit ich euch zusammen erleben kann, ist es fast so, als ob meine Erinnerungen zurückkommen. Fast, aber nicht ganz. Vor ein paar Tagen zum Beispiel - es war keine große Sache, erwarte dir nicht zu viel -, aber ich habe mich daran erinnert, dass ich auf einem Weg gegangen bin und dass jemand meine Hand hielt, der viel größer war als ich, jemand, der grüne Schuhe trug, hohe Schuhe, aber keine Stöckelschuhe, sondern solche mit dicken Sohlen.«
»Plateauschuhe?«
»Ja. Grüne Plateauschuhe mit einer Sohle aus Holz.«
»Wirklich? Und sonst noch etwas?«
»Das war alles. Ich habe mich nur an das Gefühl erinnert, wie es ist, wenn man den Arm nach oben streckt und von jemandem geführt wird.«
Sie legt ihm die Hand auf die Brust, und er bedeckt sie sofort mit seinen Händen. »Sag nicht, dass dein Gedächtnis besser wird. Ist das denn überhaupt möglich?«
»Anscheinend ja«, antwortet er. Er hebt ihre Hand an die Lippen und drückt geistesabwesend einen Kuss darauf. »Wunder gibt es immer wieder.«