Am Freitag, dem 8. März, saß Gunvald Larsson in einem Zimmer des Polizeigebäudes in der Kungsholmsgatan. Er hatte ein weißes Polohemd und einen grauen Anzug mit schräg eingesetzten Taschen an. Beide Hände waren verbunden, und mit dem Verband um seinen Kopf sah er aus wie General von Döbeln während der Schlacht bei Jutas auf dem bekannten Gemälde. Außerdem hatte er mehrere Pflaster auf Gesicht und Hals. Ein Teil seines blonden Haares war weggesengt, ebenso die Augenbrauen, doch der klare Blick aus den hellblauen Augen wirkte genauso starr und unfreundlich wie immer.
Im Zimmer befanden sich noch andere Personen.
Zum Beispiel Martin Beck und Kollberg, die von der Reichsmordkommission in Västberga angefordert worden waren, und Polizeidirektor Evald Hammar, der vorläufig mit der Aufklärung dieses Falles beauftragt zu sein schien. Hammar war ein breitschultriger und großer Mann, dessen dichte Löwenmähne in den langen Jahren, die er im Polizeidienst war, weiß geworden war. Er hatte schon angefangen, die Tage bis zu seiner Pensionierung zu zählen, und sah in jedem Gewaltverbrechen eine persönlich gegen ihn gerichtete Schikane.
»Wo sind die anderen?« fragte Martin Beck.
Er stand wie meistens etwas abseits nahe der Tür und lehnte mit dem rechten Arm gegen einen Aktenschrank.
»Welche anderen?« fragte Hammar zurück, der genau wußte, daß die Zusammensetzung der Untersuchungskommission ausschließlich von ihm selbst abhing. Er hatte genügend Einfluß, alles Personal, das er haben wollte, auch zu bekommen, und kannte sich in solchen Sachen aus.
»Rönn und Melander«, erwiderte Martin Beck ungerührt.
»Rönn ist im Krankenhaus und Melander an der Brandstelle«, entgegnete Hammar brummig.
Die Abendzeitungen lagen auf dem Tisch, und Gunvald Larsson blätterte mit seinen bandagierten Händen wütend darin.
»Verdammte Schmierfinken«, brummte er und reichte Martin Beck eine der Zeitungen hinüber. »Guck dir bloß mal dieses Bild an.«
Das Foto ging über drei Spalten und zeigte einen jungen Mann im Trenchcoat und einem Hut mit schmalem Rand, der mit sorgenvoller Miene dastand und mit einem Stock in den rauchenden Trümmern des Hauses in der Sköldgatan stocherte. Schräg hinter ihm an der linken Kante des Bildes stand Gunvald Larsson und starrte blöde in die Kamera.
»Besonders vorteilhaft siehst du nicht aus«, bemerkte Martin Beck. »Wer ist der Mann mit dem Spazierstock?«
»Zachrisson heißt er. So ein Grünschnabel vom zweiten Polizeidistrikt. Vollkommener Idiot. Lies nur mal den Text.«
Der Held des Tages, Erster Kriminalassistent Gunvald Larson (rechts), rettete in einem waghalsigen Unternehmen während des Brandes heute nacht mehrere Menschenleben. Unser Bild zeigt ihn bei der Untersuchung der Reste des Hauses, das bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist.
»Nicht nur, daß diese verdammten Stümper rechts und links nicht unterscheiden können«, murmelte Gunvald Larsson. »Außerdem…«
Er sprach nicht weiter, aber Martin Beck verstand, was er meinte, und nickte nachdenklich. Darüber hinaus war der Name falsch geschrieben. Gunvald Larsson sah das Bild mit Widerwillen an, dann schob er die Zeitungen mit dem Arm zur Seite.
»Außerdem ist es ein ganz schlechtes Bild von mir«, fuhr er fort.
»Hat eben seine Nachteile, wenn man berühmt wird«, meinte Martin Beck.
Kollberg, der Gunvald Larsson nicht ausstehen konnte, schielte unwillkürlich auf die umherliegenden Zeitungsberichte. Nicht alle Bilder waren so unvorteilhaft, und auf jeder ersten Seite, unter groß aufgemachten Schlagzeilen, begegneten sie Gunvald Larssons männlichem Blick.
Heldentat und Meisterstück und viele anerkennende Worte, dachte Kollberg und seufzte mißmutig. Er saß zusammengesunken auf einem Stuhl, fett und schwammig, und stützte die Ellbogen auf die Tischkante.
»Wir befinden uns also in der eigenartigen Situation, daß wir nicht wissen, was eigentlich passiert ist.« Hammar war ärgerlich, das hörte man seiner Stimme an.
»Gar nicht so außergewöhnlich«, bemerkte Kollberg. »Ich für meinen Teil weiß nie so recht, was eigentlich passiert.«
Hammar sah ihn mißbilligend an. »Ich meine, wir wissen nicht, ob es Brandstiftung war oder nicht.«
»Warum soll es denn Brandstiftung sein?«
»Optimist«, warf Martin Beck ein.
»Ihr könnt mir ruhig glauben, daß der Brand gelegt war«, ließ Gunvald Larsson sich vernehmen. »Das Haus flog praktisch vor meiner Nase in die Luft.«
»Und du bist sicher, daß es bei diesem Mahn zu brennen angefangen hat?«
»Ja, da besteht kein Zweifel.«
»Wie lange hast du das Haus beobachtet?«
»Eine halbe Stunde ungefähr. Höchstpersönlich. Und vorher stand dieser Schafskopf Zachrisson da. Übrigens 'ne ziemlich unverschämte Frage!« Martin Beck rieb sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Dann fragte er: »Bist du sicher, daß während der Zeit kein Mensch das Haus betreten oder verlassen hat?«
»Ja. Hundertprozentig. Was passiert ist, ehe ich kam, weiß ich natürlich nicht. Zachrisson hat drei Personen in das Haus gehen sehen; rausgekommen sei keiner.«
»Kann man sich darauf verlassen?«
»Bezweifle ich. Er scheint 'n bißchen beschränkt zu sein.«
»Das ist doch nicht dein Ernst?« bemerkte Kollberg.
Gunvald Larsson sah ihn wütend an. »Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich stehe da, und das Haus fängt an zu brennen. Elf Menschen waren eingeschlossen, und acht davon hab ich noch retten können.«
»Das hab ich zur Kenntnis genommen«, entgegnete Kollberg mit einem Blick auf die Zeitungen.
»Und du meinst, daß nur drei Menschen in den Flammen umgekommen sind?«
fragte Hammar.
Martin Beck nahm einige Notizen aus seiner Innentasche und überflog sie. Dann sagte er: »Scheint so. Dieser Mahn, dann einer, der Roth hieß und in der Wohnung über Mahn wohnte, und dann Kristina Modig, die ein Zimmer auf dem Dachboden hatte. Eine Vierzehnjährige.«
»Warum wohnte sie auf dem Dachboden?« wollte Hammar wissen.
»Weiß ich nicht«, antwortete Martin Beck. »Müssen wir nachfragen.«
»Gibt 'ne ganze Menge, was wir noch rausfinden müssen«, meinte Kollberg.
»Zum Beispiel ist es noch gar nicht raus, ob es gerade drei waren, die mit verbrannt sind. Und das mit den elf Personen ist doch nur eine Vermutung, oder etwa nicht, Herr Larsson?«
»Was sind das für Leute, die sich noch rechtzeitig retten konnten?« fragte Hammar.
»Erst mal hat sich überhaupt keiner selbst gerettet«, antwortete Gunvald Larsson. »Ich war's, der sie rausgeholt hat. Wenn ich nicht zufällig da gestanden hätte, wäre keiner mit dem Leben davongekommen. Und zweitens hab ich die Namen der Leute nicht aufgeschrieben. Ich hatte nämlich was anderes zu tun.«
Martin Beck sah den großen Mann mit den Bandagen nachdenklich an. Gunvald Larsson trat für gewöhnlich unhöflich auf, aber daß er sich Hammar gegenüber unverschämt benahm, deutete entweder auf Größenwahn oder eine Gehirnblutung hin.
Hammar runzelte die Stirn.
Martin Beck blätterte in seinen Papieren und versuchte abzulenken. »Hier hab ich die Namen. Agnes und Herman Söderberg. Verheiratet, achtundsechzig und siebenundsechzig Jahre alt. Anna-Kajsa Modig und ihre beiden Kinder Kent und Clary. Die Mutter ist dreißig, der Junge fünf Jahre und das Mädchen sieben Monate alt. Dann noch zwei Frauen, Carla Berggren und Madeleine Olsen, sechzehn und vierundzwanzig, und ein Mann, der Max Karlsson heißt. Wie alt er ist, weiß ich nicht. Die drei letzten wohnten nicht im Haus, sondern waren Gäste. Offensichtlich bei Kenneth Roth, der verbrannt ist.«
»Mir sagt keiner der Namen etwas«, sagte Hammar.
»Mir auch nicht«, fügte Martin Beck hinzu. Kollberg zuckte mit den Achseln.
»Roth war Einbrecher«, erklärte Gunvald Larsson, »Söderberg ist Säufer und Anna-Kajsa Modig eine Hure. Wenn euch das weiterhilft.«
Ein Telefon klingelte, und Kollberg nahm ab. Er angelte sich einen Notizblock und nahm seinen Kugelschreiber aus der Brusttasche.
»Ach so. Du bist es. Na, fang schon an.«
Die anderen sahen ihn schweigend an. Dann legte Kollberg den Hörer auf und erklärte: »Das war Rönn. So sieht es zur Zeit aus: Madeleine Olsen wird nicht durchkommen. Sie hat ausgedehnte Brandverletzungen, dazu eine Gehirnerschütterung und einen komplizierten Oberschenkelbruch.«
»Sie hatte am ganzen Körper rote Haare«, bemerkte Gunvald Larsson. Kollberg sah ihn forschend an und fuhr fort: »Der alte Söderberg und seine Frau haben eine Rauchvergiftung, haben aber beide gute Chancen. Max Karlsson hat ebenfalls Brandverletzungen, aber leichtere, und wird überleben. Carla Berggren und Anna-Kajsa Modig sind nicht verletzt, haben aber beide, wie auch Karlsson, den Schock noch nicht überwunden. Noch ist keiner von ihnen vernehmungsfähig. Völlig in Ordnung sind nur die beiden Kinder.«
»Könnte es sich nicht doch um ein ganz gewöhnliches Schadenfeuer handeln?« überlegte Hammar.
»Ach, Scheiße…«, begann Gunvald Larsson, aber Martin Beck unterbrach ihn.
»Ist es nicht besser, wenn du nach Hause gehst und dich hinlegst?«
»Das könnte euch so passen, was?«
Zehn Minuten später traf Rönn ein. Er starrte Gunvald Larsson ungläubig an und fragte: »Was machst du denn hier, um Gottes willen?«
»Das kann man wirklich fragen.«
Rönn sah die anderen wütend an. »Ihr seid wohl nicht ganz bei Trost. Komm, Gunvald, wir fahren los.« Gunvald Larsson stand folgsam auf und ging zur Tür.
»Einen Moment noch«, hielt Martin Beck ihn auf. »Nur eine Frage. Warum hast du Göran Malm überwacht?«
»Hab keinen blassen Schimmer«, antwortete Gunvald Larsson und ging. Im Fahndungshauptquartier herrschte Grabesstille.
Nach einigen Minuten brummte Hammar etwas Unverständliches und ging hinaus. Martin Beck setzte sich, nahm eine Zeitung und fing an zu lesen. Eine halbe Minute später folgte Kollberg seinem Beispiel. So saßen sie da, in dumpfes Schweigen gehüllt, bis Rönn zurückkam.
»Was hast du denn mit ihm gemacht?« fragte Kollberg. »Skansen?«
»Was willst du damit sagen? Gemacht? Mit wem?«
»Mit Herrn Larsson?«
»Wenn du Gunvald meinst, der liegt mit einer Gehirnerschütterung im Süd-Krankenhaus. Darf mehrere Tage nicht sprechen und nicht lesen. Und wessen Schuld ist das?«
»Na, jedenfalls nicht meine!«
»Doch, genau das. Ich hätte verdammt Lust, dir ordentlich eine in die Fresse zu schlagen.«
»Moment mal, was blaffst du mich so an?«
»Ich kann noch mehr als blaffen. Du hast dich Gunvald gegenüber immer flegelhaft benommen. Aber jetzt reicht's bald.«
Einar Rönn stammte aus Norrland, ein ruhiger und gutmütiger Mann, der nie die Fassung verlor. Fünfzehn Jahre lang hatte Martin Beck mit ihm zusammengearbeitet, ihn aber noch nie wütend gesehen.
»Na ja, welch Glück, daß er wenigstens einen Freund hat«, meinte Kollberg spöttisch.
Rönn ging einen Schritt auf ihn zu und ballte die Fäuste. Schnell stand Martin Beck auf und trat zwischen sie. Er wandte sich an Kollberg und sagte: »Laß das, Lennart, mach eine schlimme Sache nicht noch schlechter.«
»Du selbst bist auch nicht viel besser«, fuhr Rönn ihn an. »Ihr seid ein paar richtige Scheißkerle.«
»Das langt.« Kollberg setzte sich aufrecht hin.
»Beruhige dich doch, Einar«, redete Martin Beck auf Rönn ein. »Klar, wir hätten merken müssen, daß irgendwas mit ihm nicht stimmte.«
»Das war ja wohl das mindeste.«
»Ich hab keinen besonderen Unterschied gemerkt«, bemerkte Kollberg nachlässig. »Wahrscheinlich muß man auf dem gleichen hohen intellektuellen Niveau stehen, um…«
Die Tür ging auf, und Hammar trat ein. »Wie seht ihr denn aus? Was ist los?«
»Nichts«, antwortete Martin Beck.
»Nichts? Einar hat einen roten Kopf wie ein frisch gekochter Hummer. Wollt ihr euch schlagen? Keine Prügelei im Dienst, wenn ich bitten darf.«
Das Telefon klingelte, und Kollberg griff nach dem Hörer wie ein Ertrinkender nach dem berühmten Strohhalm.
Rönns Gesicht nahm langsam wieder seine normale Farbe an. Nur die Nase blieb rot, aber die sah meistens so aus.
Martin Beck nieste.
»Woher soll ich das wissen«, rief Kollberg ins Telefon. »Welche Leichen überhaupt?« Er warf den Hörer auf die Gabel und seufzte: »Das war 'n Idiot vom Gerichtsmedizinischen Institut, wollte wissen, wann die Körper abgeholt werden können. Haben die denn die Leichen überhaupt gefunden?«
»War denn irgendeiner von den Herren schon mal an der Brandstelle?« fragte Hammar säuerlich.
Keiner antwortete.
»Ein Besuch studienhalber könnte vielleicht nicht schaden.«
»Ich muß noch einen Bericht ausarbeiten«, entschuldigte sich Rönn unsicher. Martin Beck ging zur Tür. Kollberg zuckte die Achseln, stand auf und folgte ihm.
»Das darf einfach keine Brandstiftung gewesen sein«, murmelte Hammar eigensinnig vor sich hin.