Mänsson hatte nicht viel übrig für die Anweisung, daß sich Polizeibeamte bei ihrer Arbeit nicht von der Allgemeinheit beobachten und fotografieren lassen sollen, sofern es nicht aus irgendeinem Grund auf Veranlassung des Polizeichefs geschieht oder es sich mit bestem Willen nicht umgehen läßt, wie es in einer Richtschnur für die praktische Polizeiarbeit heißt. Im Gegenteil, Mänsson gab sich ungezwungen, auch in außergewöhnlichen Situationen, und weil er andere Menschen respektierte, hatten die Menschen auch vor ihm Respekt. Obwohl weder er selbst noch irgendein anderer sich dessen bewußt wurde, machte er seine Sache an jenem Montagnachmittag im Industriehafen besonders gut und half beispielhaft, das Ansehen der Polizei zu verbessern. Würde man ihm das Kommando über die Polizei bei den Krawallen, die in dem langen und heißen Sommer bevorstanden und die allgemein mit großer Unruhe erwartet wurden, überlassen, so würden mit großer Sicherheit viele der Demonstrationen gar nicht erst stattfinden. Aber damit waren Leute beauftragt, die meinten, Rhodesien liege nicht weit von Tasmanien, und die es für strafbar hielten, eine amerikanische Flagge zu verbrennen, aber nichts dagegen hatten, sich mit der nordvietnamesischen Fahne die Nase zu schnauben. Diese Beamten hielten Wasserwerfer, Gummiknüppel und bellende Schäferhunde für das beste Mittel, den Kontakt zur Bevölkerung herzustellen, und das Ergebnis war dann auch danach.
Aber Mänsson mußte an etwas anderes denken, nämlich an eine Wasserleiche. Wasserleichen sind nie besonders angenehm anzusehen, und diese hier war, wie gesagt, die abstoßendste, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte.
Sogar der Obduzent meinte: »Puh, der sieht ja fürchterlich aus.«
Dann begann er mit der Arbeit, während Mänsson pflichtschuldigst in einer Ecke stand und zusah. Er schien sehr nachdenklich, und der Amtsarzt, der jung und offensichtlich unerfahren war, blickte ihn hin und wieder fragend an. Mänsson war sicher, daß ihm der Mann aus dem Auto noch Sorgen machen würde. Er hatte, schon als das Fahrzeug aus dem Wasser auftauchte, geahnt, daß irgend etwas nicht stimmen konnte. Die Lösung, die normalerweise nahelag, war in diesem Fall von Anfang an ausgeschlossen. Versicherungsbetrug konnte es nicht sein. Wer würde sich die Mühe machen, ein zwanzig Jahre altes Autowrack ins Hafenbecken zu versenken? Und warum? Die einzig richtige Antwort auf diese Frage war sehr einfach, und daher verzog er keine Miene, als der Obduzent feststellte: »Dieser Mann war schon tot, als er ins Wasser geworfen wurde.«
Nach einer Weile fragte Minsson: »Wie lange kann er da gelegen haben?«
»Das ist nicht so einfach zu sagen.« Der Arzt sah sich die aufgedunsene Leiche auf dem Tisch an und fragte: »Gibt's da Aale?«
»Ich glaub schon.«
»Ja, 'n paar Monate. Mindestens zwei, vielleicht vier.« Er bohrte ein wenig mit der Sonde und fuhr fort: »Das ist ziemlich schnell gegangen. Nicht so wie sonst. Wahrscheinlich enthält das Wasser 'ne Menge Chemikalien und Öl und so was.«
Kurz bevor er nach Hause ging, stellte Mänsson noch eine Frage: »Das mit den Aalen, ist das nicht bloß so 'n Gerede?«
»Der Aal ist ein rätselhaftes Tier«, antwortete der Arzt.
»Na, dann auf Wiedersehen.«
Die Obduktion wurde am Tag darauf abgeschlossen, das Ergebnis war wenig aufschlußreich.
Die kriminaltechnische Untersuchung dauerte erheblich länger, das Resultat war schließlich genauso mager.
Nicht, weil man nichts gefunden hätte, im Gegenteil, man hatte viel zuviel entdeckt.
Am Montag, dem 22. April, wußte Mänsson eine ganze Menge. Zum Beispiel dies:
Das Auto war ein Ford Prefect, Baujahr 1951. Farbe blau, vor langer Zeit einmal ohne große Sorgfalt neu lackiert. Die Kennzeichen waren gefälscht, das Protokoll der technischen Überprüfung, die Steuerquittung und das Namensschild fehlten. Mit Hilfe der Zulassungsstelle gelang es, zwei der letzten rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen. Ein Gärtner aus Oxie hatte den Wagen 1956 gekauft, damals war er bereits längere Zeit gelaufen, aber noch in gutem Zustand. Der Mann hatte ihn acht Jahre lang gefahren und dann für hundert Kronen an einen seiner Angestellten abgegeben. Der Mann hatte das Auto drei Monate lang benutzt. Zum Schluß sei es zwar noch gelaufen, habe aber so alt und verbeult ausgesehen, daß er es auf dem Parkplatz hinter der Markthalle am Drottningtorg einfach stehengelassen hatte. Nach ein paar Wochen hatte er festgestellt, daß es nicht mehr da war. Er nahm an, daß die Polizei oder das Straßenbauamt den Wagen abgeschleppt hätten.
Weder die Polizei noch das Bauamt hatten das jedoch veranlaßt. Also mußte es gestohlen worden sein. Danach hatte es keiner mehr gesehen.
Über den letzten Passagier im Wagen gab es auch einiges zu sagen. Ein Mann in den Vierzigern, einszweiundsiebzig groß und mit aschblondem Haar. Er war nicht ertrunken, sondern an einer Verletzung am Hinterkopf gestorben. Die Gehirnschale hatte ein Loch. Der Rand zeigte keine Risse, was darauf hindeutete, daß die Verletzung mit einem kugelförmigen Gegenstand verursacht worden war. Der Mann war ganz einfach erschlagen worden.
Die Mordwaffe wurde im Auto gefunden. Ein runder Stein, der in einen schwarzen Herrenstrumpf aus Nylonkrepp gesteckt worden war. Der Stein hatte einen Durchmesser von ungefähr neunzehn Zentimetern und war unbehauen. Ein ganz normaler grober Granitkiesel. Der Strumpf war neunundzwanzig Zentimeter lang und in Frankreich hergestellt. Es handelte sich um eine ausgezeichnete Qualität und eine bekannte Marke. Wahrscheinlich war er nie zu seinem eigentlichen Verwendungszweck benutzt worden.
Die Fingerabdrücke des Toten konnten nicht gesichert werden. Die oberste Hautschicht auf den Fingerspitzen hatte sich gelöst, und das Muster der Linien war auf der noch vorhandenen Lederhaut nur sehr schwach zu sehen.
Im Auto fand man nicht den kleinsten Hinweis auf die Identität des Toten. Auch nicht in den Kleidungsstücken, die von mäßiger Qualität und ausländischer Herkunft waren, man konnte auch nicht feststellen, aus welchem Land sie stammten. Es gab nicht den kleinsten Fingerzeig, in welche Richtung sich die Fahndung bewegen sollte.
Man hatte nach Leuten gesucht, die sich an einen umlackierten blauen Prefect 51, der seit 1964 nicht zugelassen gewesen war, erinnern konnten. Niemand hatte sich gemeldet. Was übrigens ganz natürlich war, wenn man bedenkt, daß sich das Land langsam, aber sicher in einen riesigen Autofriedhof verwandelt, in dem die verbeulten alten Kisten im Leichentuch aus giftigen Abgasen ihrer Nachfolger ausruhen.
Mänsson legte die Berichte beiseite, verließ sein Arbeitszimmer und bald danach auch das Polizeigebäude. Mit hängendem Kopf schlurfte er über den Davidhallstorg zum Systembolaget, dem staatseigenen Spirituosengeschäft. Er dachte an seine Wasserleiche.
Mänsson war sowohl verheiratet als auch Junggeselle. Vor zehn Jahren, nachdem ihre Tochter einen südamerikanischen Ingenieur geheiratet hatte und nach Ekuador gezogen war, waren seine Frau und er sich gegenseitig auf die Nerven gefallen. Er hatte sich eine Junggesellenwohnung in der Regementsgatan in der Nähe des Fridhemstorg gesucht, und dort wohnte er die meiste Zeit. Aber jeden Freitagabend fuhr er nach Hause zu seiner Frau, und dort blieb er bis Montagmorgen. Das war eine sehr kluge Lösung, fand Mänsson. Alle Gereiztheit war verschwunden, und in der zweiten Hälfte der Woche freuten sich beide auf das gemeinsame Eheleben am Wochenende. Mänsson saß gern in seinem alten verschlissenen Sessel und trank einige Schnäpse, bevor er sich hinlegte. So auch an diesem Montagabend.
Der Montagabend war ein anderer Höhepunkt der Woche. Einerseits hatte er genug von seiner Frau und die angenehme Aussicht vor sich, daß er sie bis zum Freitag nicht zu treffen brauchte, obwohl ihm klar war, daß er sich schon am Donnerstag auf sie freuen würde; andererseits hatte er an den letzten drei Tagen nicht mal zum Essen ein Glas Bier bekommen. Alkohol gab es im Haushalt seiner Frau nicht mehr.
Er mischte seinen dritten Gripenberger und dachte an seine Wasserleiche. Der Gripenberger besteht aus zirka acht Zentiliter Gin, einer drittel Flasche Grapetonic und kleingehacktem Eis. Ein finnischer Kavallerieoffizier, der, wie man sich denken kann, Gripenberg hieß, hatte ihm gleich nach dem Krieg in Villmanstrand diese Mischung empfohlen. Damals war Grapetonic noch ein exklusives Getränk, und seit der Zeit war er bei diesem Rezept geblieben. Mänsson hatte schon viele Verbrechen mit aufgeklärt, aber in seinem Erfahrungsschatz gab es nichts, was ihm in diesem Fall weiterhalf. Daß es sich um einen kaltblütigen Mord handelte, war klar. Außerdem hatte der Mörder eine Waffe benutzt, die ebenso einfach wie wirksam war, keinerlei Aufsehen erregte und der Polizei so gut wie keine Hinweise gab. Runde Steine gibt es überall, und der Besitz eines schwarzen Herrenstrumpfs ist völlig unverdächtig.
Der Mann im Auto war mit einem einzigen Schlag getötet worden, dann hatte der Mörder die Leiche in ein altes, schrottreifes Auto befördert und das Fahrzeug ins Wasser versenkt.
Demnächst würden sie irgendwann herausfinden, wer der Mann war. Aber er hatte das unbehagliche Gefühl, daß der Verbrecher sich deswegen kaum Sorgen zu machen brauchte.
Der Fall schien ungeahnte Schwierigkeiten zu bringen. Mänsson machte sich darauf gefaßt, daß es sehr lange dauern würde, ehe sie ihn aufklären konnten. Wenn das überhaupt möglich war.