5

VOR SCHRECK VERSPRITZTE ich einen Mundvoll Tee über den Teakholztisch. Der junge Mann war sofort bei mir und klopfte mir auf den Rücken, während ich hustete und prustete. »Entschuldigung«, sagte er. »Tut mir echt leid. Unendlich leid.«

»Wissen Sie nicht … wie … man … eine Klingel … benutzt?«, brachte ich endlich heraus und drückte mir ein Taschentuch ans Kinn.

»Es tut mir wirklich sehr, sehr leid. Ich hätte zur Vordertür gehen müssen, ich weiß, aber der Zaunübertritt war so naheliegend, dass ich …«

»Naheliegend?«, fiel ich ihm unbarmherzig ins Wort, ließ das feuchte Taschentuch auf den Tisch fallen und funkelte ihn an. »Naheliegend, sagen Sie? Jenseits des Zaunübertritts befindet sich meines Wissens nach nichts weiter als eine Kuhweide.«

»Die Kühe wurden auf eine andere Weide gebracht, um mir Platz zu machen.«

»Und wer sind Sie?«

»Jinks der Hofnarr«, sagte er abermals und verbeugte sich. »Ich war vergangenen Monat bei der Dorfversammlung. Ich dachte, dass Sie sich vielleicht erinnern würden.«

Ich warf einen Blick zum Zaunübertritt, fuhr im Geiste den Bogen nach, den der junge Mann durch die Luft beschrieben hatte, und starrte ihn an, während es mir allmählich dämmerte. »Sie kamen zusammen mit Calvin Malvern. Sie haben Flickflacks auf dem Mittelgang gemacht.«

»Genau.«

»Ohne das Kostüm habe ich Sie nicht wiedererkannt«, sagte ich kleinlaut. »Wobei mir Ihr spektakulärer Auftritt freilich auf die Sprünge hätte helfen müssen.«

»Es tut mir wirklich unglaublich leid.« Während er die Umgebung in Augenschein nahm, wippte er auf den Fersen. »Hübsches Plätzchen haben Sie hier.«

»Lassen wir mein hübsches Plätzchen außen vor«, sagte ich. »Was machen Sie auf der Viehweide? Horace Malvern hat uns erzählt, dass das Camp der Darsteller östlich vom Bishop’s Wood liegt.«

»Ich brauche Platz für meine Turnübungen. Da der Hauptplatz mit Zelten und Wohnwagen voll gestellt sein wird, sobald die restlichen Darsteller eintreffen, hat Mr Malvern mir freundlicherweise erlaubt, meinen Camper etwas abseits zu parken.«

»Ich hoffe, Sie haben eine Dusche in Ihrem Camper«, sagte ich grummelnd. »Wenn Sie Flickflacks auf der Kuhweide üben, brauchen Sie nämlich eine.«

»Mr Malvern hat mir auch Schaufel und Mistgabel ausgeliehen«, sagte der junge Mann. »Die letzten zwei Tage habe ich ausgiebig Gebrauch davon gemacht.« Er zeigte auf die Spitzen seiner makellos polierten Stiefel und sah mich mit flatternden Lidern an. »Ich komme mit friedlichen Absichten, um eine Brücke zwischen unseren verfeindeten Staaten zu bauen.«

Unfreiwillig stieß ich ein belustigtes Prusten aus, obwohl mein Ärger über ihn noch nicht verraucht war. Mit einer Kopfbewegung deutete ich zu dem Frühstücksgeschirr auf dem Tisch und sagte: »Wo Sie schon mal da sind, können Sie sich ebenso gut nützlich machen. Helfen Sie mir, den Tisch abzuräumen.«

Augenblicklich sprang er auf und trat in Aktion, begann, das schmutzige Geschirr in die Küche zu tragen und es in die Spülmaschine zu räumen, um schließlich ausgiebig den Teakholztisch zu schrubben, bis sämtliche Spuren weggewischt waren, die sein plötzliches Auftauchen verursacht hatte. Stanley ließ sich kurz in der Küche blicken, zweifelsohne angezogen durch die männliche Stimme, doch als er feststellte, dass sie nicht meinem Mann gehörte, fauchte er leise und verschwand.

Während Jinks und ich herumwerkelten, betrachtete ich ihn beiläufig. Er war nicht mehr ganz so jung, wie seine Kleidung – und sein Verhalten – vermuten ließen. Nach den Falten um seinen Augen und einigen verräterischen grauen Strähnen in seinem kastanienbraunen Haar zu urteilen, war er eher in Bills Alter als in Calvin Malverns, also in den späten Dreißigern.

Das Haar trug er zu einem sich kräuselnden Pferdeschwanz gebunden, und er hatte den muskulösen Körperbau eines Athleten, war aber weit entfernt davon, ein gut aussehender Mann zu sein. Seine Augen hatten einen eigentümlichen oliv Farbton, seine lange Nase war leicht nach links gebogen, und er hatte ein schmales, spitzes Kinn. Er würde nie eine Führungsrolle innehaben, dachte ich, während ich aus der Küche ging und in den Garten zurückkehrte, und doch besaß er eine ganz eigene Note, die ihn attraktiv machte. Seine Augen waren groß und ausdrucksstark, und sein Lächeln ließ auf einen Hang zum Unfugtreiben schließen, ein Zug, der ihm in meinen Augen etwas Liebenswertes gab.

Er wartete, bis ich beim Tisch war, um mir einen Stuhl anzubieten, ehe er mir gegenüber Platz nahm.

Ich sah ihn neugierig an. »Wie heißen Sie in Wirklichkeit?«, fragte ich. »Ich kann Sie nicht Jinks nennen.«

»Das wäre mir aber lieber. Meine Eltern hatten eine ziemlich alberne Phase, als sie mich tauften.«

»Regenbogen?«, riet ich, indem ich den Blick über sein Batik-T-Shirt und seine zerschlissene Jeans gleiten ließ.

»Sonnenblume? Walgesang?«

»So schlimm ist es auch wieder nicht«, meinte er lachend. »Nein, mein Name ist Rowan.«

»Und was ist an Rowan so schlimm?«

»Mein Nachname ist Grove.« Ich nickte.

»Ach so. Nun, es könnte noch schlimmer sein. Sie hätten Sie …«

»Eiche, Pinie, Strand nennen können«, schlug er vor. »Ja, derlei botanische Namenskombinationen habe ich reichlich zu hören bekommen, vor allem während meiner prägenden Jahre. Kleine Jungen können brutal sein, wenn sich ihnen ein geeignetes Ziel bietet. Ich habe ein paar Narben, die das beweisen. Deshalb ziehe ich Jinks vor. Wenn ich schon einen dummen Namen haben muss, dann möchte ich ihn wenigstens selbst auswählen.«

»Dann also Jinks«, sagte ich.

»Und Sie heißen …?«

»Lori Shepherd. Und kommen Sie mir ja nicht mit einem Schäferwitz – es gibt keinen, den ich noch nicht kenne.«

»Käme nicht im Traum auf die Idee.« Jinks wich in gespieltem Entsetzen vor mir zurück. »Darf ich Sie Lori nennen?«

»Ja, klar. So nennen mich alle. Warum treten Sie nicht unter Ihrem eigentlichen Namen auf? Er ist organisch, ungewöhnlich, poetisch – genau richtig für eine Mittelalter-Kirmes, würde ich meinen.«

»Er mag all das sein«, sagte er zweifelnd, »aber wir dürfen nicht unsere bürgerlichen Namen benutzen. Wir sind dazu angehalten, uns Namen zuzulegen, die zu unseren Rollen passen. Das trägt zum besonderen Kirmesambiente bei, und, um offen zu sein, erleichtert es unsere Arbeit. Im bürgerlichen Leben ist John Smith ein schüchterner, zurückgezogener Programmierer, doch sobald er sein Gewand anzieht und Cyrano de Bergerac heißt« – Jinks hob den Arm und nahm die Pose eines Fechters ein –, »verwandelt er sich in einen verwegenen romantischen Helden.«

»Wie ein Schauspieler auf der Bühne«, sagte ich fasziniert.

»Wie ein Schauspieler ohne Drehbuch«, ergänzte Jinks. »Die meisten von uns improvisieren. Das macht großen Spaß.«

»Das kann ich mir vorstellen. Warum haben Sie sich für die Rolle des Hofnarren entschieden?«

»Ist das nicht offensichtlich?«, fragte er. »Ich habe ein Gesicht, das nur die Mutter eines Hofnarren lieben könnte.« Er schielte und spitzte die Lippen, ehe er lächelnd fortfuhr: »Außerdem war ich in der Schule ein hervorragender Turner. Und ich bin schlagfertig. Ein schmächtiges Kind mit einem dämlichen Namen lernt schnell, sich mit Worten statt mit Fäusten zu verteidigen.«

»Ich finde, Worte sind immer ein besseres Mittel als Fäuste.«

»Sie sind kein zehnjähriger Junge.« Jinks erlaubte seinem Blick, freizügig meine Gestalt in Augenschein zu nehmen, ehe er strahlend sagte: »Außerdem sind Sie keine Engländerin, Ihrem Akzent nach zu urteilen. Woher kommen Sie?«

»Aus den Vereinigten Staaten«, sagte ich. »Ich bin in Chicago geboren und aufgewachsen.«

»Chicago kenne ich gut. Ich habe Calvin bei einem Ren-Fest in der Nähe von Chicago getroffen, in Windy City.«

Ich hob meine Augenbrauen. »Haben Sie auch beim Ren-Fest in Wisconsin gearbeitet?«

Er nickte. »Unter der Woche habe ich in einem Restaurant in Milwaukee gekellnert und am Wochenende auf der Kirmes gearbeitet. Nebenbei habe ich jede Gelegenheit genutzt, um nach Chicago runterzufahren.«

»Aber Sie sind Engländer«, sagte ich. »Wie kamen Sie nach Wisconsin? Sind Sie, wie Calvin, im Internet auf die Ren-Festivals aufmerksam geworden?«

Jinks legte die Stirn in Falten und blinzelte in den Himmel. »Es ist schon so lange her, dass ich mich kaum mehr daran erinnern kann. Ich glaube, dass ich damals an der University of Wisconsin ein Aufbaustudium absolvierte. Eines schönen Sommertags besuchten ein paar Freunde und ich ein Volksfest, über das wir in der Zeitung gelesen hatten. Sie gingen hinterher nach Hause, wie es sich für vernünftige Jungs und Mädels gehört, aber ich blieb … und blieb … und blieb …« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte.

Ich starrte ihn unsicher an. »Sie haben Ihr Studium hingeschmissen und sind ein … Hofnarr geworden?«

»Ich bin mit den Schaustellern weggelaufen«, räumte er belustigt ein. »Und habe es nie bereut. Die Fantasie ist Nahrung für meine Seele. Ein weiterer Universitätsabschluss wäre pure Vergeudung für mich gewesen.«

»Sagen Sie so etwas bloß nicht vor meinen Söhnen«, sagte ich beschwörend. »Ich will, dass sie weiter zur Schule gehen.«

»Meine Lippen sind versiegelt«, sagte Jinks und legte den Zeigefinger an die Lippen. »Wie, wenn ich fragen darf, verschlägt es ein Mädchen aus Chicago nach England?«

Da ich keine Lust hatte, weder mit ihm noch sonst einem Fremden über Tante Dimity zu reden, sagte ich einfach nur: »Eine verstorbene Freundin hat mir das Cottage vermacht, und mein Mann und ich dachten, es sei ein guter Ort, um unsere Kinder aufzuziehen.«

»Wie viele Kinder haben Sie?«, erkundigte er sich höflich.

»Ich habe zwei sechsjährige Buben«, antwortete ich. »Zwillinge.«

Jinks stützte die verschränkten Arme auf den Tisch und sagte feierlich: »Wenn ich verspreche, ihre akademische Laufbahn nicht zu ruinieren, versprechen Sie dann, mit ihnen zur Kirmes zu kommen?«

»Selbst wenn ich wollte, würde es mir nicht gelingen, sie davon fernzuhalten.« Als ich seinen betrübten Ausdruck sah, musste ich lachen. »Den vergangenen Monat haben sie sozusagen im Sattel verbracht und geübt, von dort aus kleine Plastikringe mit Holzstäben zu durchstoßen. Am liebsten hätten sie andere Reiter aufgespießt – natürlich rein zu Forscherzwecken –, aber ihr Reitlehrer hat es nicht zugelassen.«

»Spaßverderber«, sagte Jinks ironisch. »Jeder Junge sollte sich ab und zu wie ein Barbar aufführen dürfen.«

»Und Ihre Narben zeugen davon«, bemerkte ich trocken.

Keuchend ließ er sich mit dem Rücken gegen die Lehne sinken und fuhr sich mit den Händen an die Brust, als hätte ich ihn erdolcht.

»Touché«, krächzte er.

Ich kicherte und fragte: »Was hat Sie nach England zurückgeführt?«

»Cal«, antwortete er und richtete sich wieder auf. »Als er seinen Plan verkündete, auf der anderen Seite des großen Teichs ein Mittelalterfest zu veranstalten, fragte ich, ob ich mitkommen könne. Nachdem ich zehn Jahre lang Amerikanern zugehört hatte, wie sie mit furchtbarem, nachgeahmtem englischem Akzent deklamierten, hatte ich das Bedürfnis, wieder einmal das Original zu hören. Nichts für ungut.«

»Schon gut. Nachgemachter englischer Akzent tut auch meinen Ohren weh. Sind alle Darsteller Amerikaner?«

»Nein, keineswegs. Unsere Besetzung besteht ausschließlich aus Briten. Cal war die letzten sechs Monate in England, Schottland und Wales unterwegs, um Straßenkünstler, Reenactors, Kunsthandwerker, Künstler und Caterer zu rekrutieren. Er ist ein guter Marktschreier, müssen Sie wissen.«

»Das weiß ich.« Ich nickte. »Meine Nachbarn sind kein leichtes Publikum, aber er hat sie auf seine Seite gezogen, ohne ins Schwitzen zu geraten.«

»Könige schwitzen nicht, Lori«, deklamierte Jinks hochtrabend. »Könige transpirieren. Sie wohnen auch in ziemlich luxuriösen Wohnwagen, während der Rest von uns weniger königlich logiert. Es ist in der Tat nicht schlecht, König zu sein.«

»Warum wohnt Calvin nicht im Haus seines Onkels?«

»Er will mitten im Geschehen sein. Ein weiser König bleibt auf Tuchfühlung mit seinen Untertanen.« Er setzte sich eine unsichtbare Krone auf das Haupt, richtete sich kerzengerade auf und hob die rechte Hand zu einem steifen, förmlichen Gruß.

Ich lächelte der Form halber, während ich mit den Gedanken woanders war. Calvins Übernachtungswahl verblüffte mich. Das Farmhaus seines Onkels war groß und komfortabel und nah genug am Campingplatz der Darsteller, um »in Tuchfühlung mit seinen Untertanen« zu sein. Warum hatte er sich dennoch bemüßigt gefühlt, sich ein offenbar luxuriöses Wohnmobil anzuschaffen? Es erschien mir wie eine unnötige Extravaganz, es sei denn, Calvins finanzielle Situation war sehr viel besser, als sein Onkel vermutete. Als Jinks die Hand wieder sinken ließ und sich zurücklehnte, fragte ich mich, ob er ein wenig Licht ins Dunkel von Calvins Finanzen bringen könnte.

»Mir scheint es, als müsste man auch reich wie ein König sein, um ein Mittelalterfest zu finanzieren«, bemerkte ich. »Es muss eine teure Unternehmung sein.«

»Ein ausgewachsenes Mittelalterfest kann sehr kostspielig sein«, sagte Jinks, »aber die König-Wilfred-Kirmes wird nicht ganz ausgewachsen sein. Wir werden einmal täglich ein Ritterturnier veranstalten, statt der üblichen zwei auf den großen Festen, und die Stände und Bühnen sind so konstruiert, dass sie nur bis zum Ende des Sommers halten müssen. Provisorische Gebäude kosten weniger als feste, außerdem werden die Kosten durch die Standmieten der Verkäufer und Kunsthandwerker gedeckt sein.«

»Und was ist mit den Löhnen für die Darsteller?«, fragte ich. »Es muss ein schönes Sümmchen kosten, so viele Menschen anzuheuern.«

»Unsere Besetzung ist nicht annähernd so groß wie bei den Festivals in den Staaten«, erläuterte Jinks. »Jeder ist für seinen Aufzug verantwortlich …«

»Aufzug?«, sagte ich.

»Kostüm. Wir bringen unser eigenes Kostüm mit, kümmern uns um unser Make-up und die Requisiten. Auch für unsere Wohnwagen sind wir selbst zuständig, außerdem kann ich bezeugen, dass unsere Gehälter ziemlich bescheiden sind.« Er bemerkte ein ausgefranstes Loch in seiner Jeans und stieß ein märtyrerhaftes Seufzen aus. »In den Staaten können populäre Mittelalter-Darsteller bis zu zehntausend Dollar pro Auftritt verlangen, aber bei der König-Wilfred-Kirmes werden wir keine vergleichbaren Akteure haben. Dafür ist unser Festival noch zu unbekannt.«

Ich war sprachlos und sah ihn mit aufgerissenen Augen an. »Zehntausend Dollar für einen Auftritt? Das ist eine gute Bezahlung für einen Teilzeitjob. Hat Calvin auch so viel verdient, als er in Amerika war?«

»Ich habe ihn nie gefragt.«

»Aber Sie müssen doch eine ungefähre Vorstellung haben«, sagte ich. »Er war ein Marktschreier. Verdienen Marktschreier so viel?«

»Ich weiß es nicht.« Jinks besah sich eingehend seine Fingernägel, ehe er geziert hinzufügte: »Ich bin Schauspieler, nicht Produzent. Es geht mich nichts an, wie viel meine Mitdarsteller verdienen.«

Dermaßen gerügt zog ich den Kopf ein. »Mich geht es auch nichts an, ich war einfach nur neugierig.«

»Sie sind Amerikanerin«, sagte er tröstend. »Sie können nichts dafür, dass es Sie interessiert, wie viel andere Leute einnehmen. Für mich ist das Geld der uninteressanteste Teil an einem Mittelalterfestival. Mich faszinieren viel mehr die Intrigen, die sich hinter den Kulissen abspielen.«

»Erzählen Sie«, sagte ich mit einem aufmunternden Lächeln.

»Tut mir leid, aber das kann ich nicht.« Jinks stand auf. »Ich bin mit Cal im Bishop’s Wood verabredet, in …«, er blickte auf seine Uhr, »zehn Minuten. Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Lori Shepherd. Für diesmal muss ich Ihnen adieu sagen, hoffe jedoch, alsogleich unsere Unterhaltung fortsetzen zu können. Sie kommen uns doch morgen besuchen, nicht wahr?«

»Ich werde die Eröffnung um nichts in der Welt verpassen«, versicherte ich ihm.

»Bis dann, Mylady …« Jinks führte einen übertrieben komischen Bückling aus, lief zum Zaunübertritt und war auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden.

»Alsogleich«, murmelte ich belustigt.

Während ich noch versonnen zum Zaunübertritt blickte, drang das vertraute Motorgeräusch des Range Rovers von der anderen Seite des Hauses an meine Ohren. Ich riss mich aus meiner Versunkenheit und ging hinein, um meinen Mann und die Jungen zu begrüßen. Eigentlich wollte ich sie an der Haustür empfangen, aber Will und Rob kamen mir bereits im Flur entgegen und rannten mich beinahe um, als ich die Küchentür öffnete.

»Brr!« Ich packte jeden von ihnen an der Schulter. »Langsam, meine Herren, und erzählt mir – einer nach dem anderen –, warum ihr so aufgeregt seid. Will? Du fängst an.«

»Wir werden bei der Kirmes reiten«, sagte er atemlos.

»Wie die Ritter«, fuhr Rob fort. »König Wilfred hat Kostüme für Thunder und Storm.«

»Calvin hat Kostüme für die Ponys?«, fragte ich und sah zu Bill, der die Küche betrat.

»Er hat Schabracken«, sagte Bill großspurig. »Das sind schicke Pferdedecken. Die Ritter benutzten sie in den Schlachten, um ihre edlen Rösser von denen der Feinde zu unterscheiden. Calvin hat ein paar Schabracken übrig und wird sie verkleinern lassen, damit sie den Ponys passen und die Jungs auf dem Turnierplatz auftreten können.«

So erfreut ich war, ein neues Wort in meinen Mittelalterwortschatz aufnehmen zu können, kam ich doch nicht umhin, mich zu wundern, ob die Welt verrückt geworden war. Will und Rob als Ritter. Sie waren kleine Jungen, und kleine Jungen hatten auf dem Turnierplatz nichts verloren.

»Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, dass ihr an dem Ritterturnier teilnehmt«, sagte ich, indem ich versuchte, ruhig zu bleiben.

»Wir werden ja nicht kämpfen«, erklärte Will.

»Wir machen bei der Parade mit«, verkündete Rob.

»Wir tragen das Banner des Königs.« Will streckte einen nicht ganz sauberen Finger in die Luft. »Einmal am Tag.«

»Und einmal um den Turnierplatz herum«, fügte Rob hinzu. »Vor dem Turnier.«

»Was für eine Ehre«, sagte ich, über alle Maßen erleichtert. »Was haltet ihr davon, wenn ihr in der Diele eure Reitstiefel auszieht und dann nach oben geht – langsam und gesittet – und euch eurer Reitsachen entledigt? Ich komme gleich zu euch hoch. Dann könnt ihr mir alles haarklein erzählen, während ihr ein Bad nehmt.«

»Okay«, sagten sie im Chor.

»Aber beeil dich«, beharrte Will.

»In fünf Minuten«, versprach ich. Ich wartete, bis ich hörte, wie sie in Socken die Treppe hochstampften, ehe ich mich zu Bill umdrehte. »Das ist nicht zufällig eine reine Wunschvorstellung, oder?«

»Nee.« Er schüttelte den Kopf und ging in die Hocke, um Stanley zu streicheln, der ihm von der Haustür in die Küche gefolgt war. »Calvin Malvern hat Emma gefragt, ob nicht einige ihrer Reitschüler bei dem Festzug des Königs mitmachen wollen. Emma rief rasch ein paar Eltern an, woraufhin sich Alison und Billy McLaughlin herauskristallisierten und, nach Rücksprache mit mir, unsere Jungen.«

»Das ist das halbe Juniorteam des Reiterfests«, sagte ich.

»Genau. Emma meint, es sei eine gute Übung für sie, vor einer nicht so vertrauten Kulisse zu reiten. Sie haben den ganzen Morgen trainiert.«

»Und was ist mit ihren Helmen?«, fragte ich besorgt. »Mittelalterliche Bannerträger mögen zwar barhäuptig geritten sein, aber unsere Söhne …«

»Mittelalterliche Bannerträger trugen weiche Kappen«, unterbrach mich Bill. »Aber unsere Söhne nicht. Emma hat Calvin bereits über die Helmpflicht in Kenntnis gesetzt, und wenn sie es nicht getan hätte, dann ich.« Er kraulte Stanley ein letztes Mal zwischen den Ohren und richtete sich wieder auf. »Emma wird die Helme vielleicht mit ein, zwei Straußenfedern schmücken oder sie golden anmalen, aber keiner der Jungen wird ohne Helm reiten.«

»Wird Emma dabei sein, um auf sie aufzupassen?«, erkundigte ich mich.

»Nicht nur Emma, sondern ein ganzes Team. Emma und ein paar der Pferdepfleger werden sich um die Ponys kümmern, während Lawrence McLaughlin und ich ein Auge auf die Kinder und ihre Kostüme haben werden. König Wilfred wird für uns alle einen Mittagsimbiss besorgen, was gut ist, denn wir werden fast den ganzen Tag dort verbringen. Wie üblich werden Kit und Nell in Emmas Abwesenheit den Stallbetrieb auf Anscombe Manor aufrechterhalten. Die Jungen und ich müssen morgen früh um sieben Uhr dort sein, um die Ponys einzuladen und sie zum Kirmesgelände zu fahren.«

»Ich werde auch mitkommen«, schlug ich bereitwillig vor.

»Tut mir leid« – Bill schüttelte den Kopf –, »aber deine Anwesenheit ist nicht erwünscht.«

»Seit wann?«, sagte ich, wie von der Tarantel gestochen.

»Die Zwillinge haben das entschieden, nicht ich. Du sollst sie erst beim Festzug kostümiert sehen.«

»Ach«, sagte ich und schmolz dahin. »Wie süß. Haben wir nicht die reizendsten Kinder der Welt?«

In diesem Moment brüllten die Jungen vom oberen Treppenabsatz: »Mami! Wo bleibst du?«

»Jedenfalls sind sie reizend gut zu hören«, bemerkte Bill und zuckte zusammen.

»Ich gehe besser zu ihnen, bevor sie das Dach zum Einstürzen bringen«, sagte ich.

»Übrigens«, rief Bill mir nach, als ich bereits im Flur war, »habe ich vorhin Sally Pyne getroffen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, geht morgen niemand aus dem Dorf verkleidet zur Kirmes.«

Ich wirbelte zu ihm herum. »Niemand?«

»Niemand. Offensichtlich hat es einen allgemeinen Sinneswandel gegeben. Sally erzählte mir, ihre Nähschülerinnen hätten beschlossen, sich erst einmal das Kirmesgelände anzuschauen, ehe sie entscheiden, ob sie ihre neuen Kostüme tragen.«

Ich blinzelte ihn verblüfft an.

»Ich dachte, das würde dich vielleicht interessieren.«

»Danke«, sagte ich matt und stieg die Treppe hinauf.

Irgendwie fühlte ich mich niedergeschmettert. Es gab kaum eine Frau in Finch, die nicht einen Nähkurs bei Sally besucht hätte. Sie hatten sich ihre Finger wundgearbeitet, um sich ein raffiniertes Gewand für die Kirmes zu schneidern. Ich verstand nicht, warum sie nun zögerten, es zu tragen.

Während ich das Bad für die Jungen einließ, grübelte ich über diese Frage nach, und langsam beschlichen mich ebenfalls Zweifel. Meine Nachbarn waren nicht dumm, sagte ich mir. Vielleicht wäre es klug, mir ein Beispiel an ihnen zu nehmen und die Kirmes zunächst als Zuschauerin zu besuchen, statt mich mit meiner üblichen Unbekümmertheit ins Abenteuer zu stürzen. Dass die Zwillinge und ihre Ponys ihre jeweilige Verkleidung trugen, war ja einleuchtend, waren sie doch Teil des offiziellen Gepränges, doch vielleicht war es für Bill und mich ratsam, erst einmal die Lage zu sondieren und in Zivil zu erscheinen.

»Dimity«, murmelte ich und traf einen Entschluss. »Du wirst stolz auf mich sein. Das erste Mal werde ich erst schauen, bevor ich springe.«

Während ich zwei Gummienten zu Wasser ließ, spürte ich förmlich ihre wohlwollende Anerkennung.