Epilog

DIE INVASION VON Finch endete an einem drückend heißen Augustnachmittag. Mein friedliches englisches Dorf hatte randalierende Tagesausflügler, exzentrische Übernachtungsgäste und eine Reihe rauschender Pub-Abende überlebt, doch die König-Wilfred-Kirmes hatte den unerwarteten Tod ihres fröhlichen Monarchen Wilfreds I. nicht überlebt. Am Ende des Sommers wurde das »Hauptthor« für immer geschlossen, und bald erinnerte im Bishop’s Wood nichts mehr an die Kirmes.

Merlot der Magier schockierte die Weinkenner von Finch, indem er sechs Kartons von Dick Peacocks grässlichem selbstgemachtem Wein kaufte, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Bill und ich vermuteten, dass sein nächster Trick darin bestehen würde – um mit Christine Peacocks Worten zu reden –, seinen Zahnschmelz verschwinden zu lassen. Magus Silveroak nahm würdevoll Sally Pynes Abschiedsgeschenk entgegen – handgestrickte Socken und einen Schal –, doch niemand glaubte so recht, dass der Zauberer etwas damit anfangen könnte. Peggy Taxman überreichte den Jongleuren zum Abschied eine Tüte voller Übungsfrüchte, und der Pantomime ging, ohne ein Wort zu jemandem zu sagen.

Nachdem sich Peggy einverstanden erklärt hatte, die traditionellen dörflichen Sommerveranstaltungen auf dem Kirmesgelände abzuhalten, wurden sie zu einem vollen Erfolg. Bei dem neu ins Leben gerufenen Kostümpreis im Rahmen der Hundeschau räumte Grog, der Basset, den ersten Preis ab, dank des neuen Kostüms, das Sally Pyne für ihn genäht hatte. Bei der Blumenausstellung gewannen Grant Tavistock und Charles Bellingham den ersten Preis für ihre atemberaubenden Begonien, und das Juniorteam von Anscombe Manor holte sich seinen wohlverdienten ersten Preis bei den Reiterspielen, bei denen großer Zuschauerandrang auf dem Turnierplatz herrschte.

Will, Rob, Thunder und Storm wurden von König Wilfred II. auf dem Turnierplatz zu Rittern geschlagen, wobei die ganze Zeremonie selbstverständlich hoch zu Ross stattfand. Bill trug bei den Festivitäten sein mittelalterliches Geckengewand, aber ich hatte beschlossen, meine Rolle als Madame de Bergère und damit mein Kostüm abzulegen, und blieb für den Rest des Sommers bei meinem weltlichen Aufzug. Ich wollte nicht, dass Alex oder Leslie oder Jim oder Diane – oder wie immer sie hießen – in mir die Frau erkannten, die sie beim Herauskrabbeln aus Edmonds Zelt beobachtet hatten. Keine Braut will erfahren, dass ihre Hochzeitsplanerin das »Flittchen« ihres Bräutigams war.

Calvin nahm noch ein einziges Mal auf dem Thron Platz. Um bei einem opulenten Fest, das einen ganzen Tag lang dauerte und bei dem so gut wie jeder Darsteller der Kirmes seinen Auftritt hatte, Edmond und Mirabel zu trauen. Das glückliche Paar wurde von Soldaten, Rittern und Knappen zur Great Hall begleitet, während der Trauungszeremonie gesanglich von den Madrigalsängerinnen und bei einem üppigen Hochzeitsmahl von Bettlern, Zigeunern, Piraten, Feen, Mönchen, Schlangenbeschwörern, Moriskentänzern, Bauchtänzerinnen, Puppenspielern, Bauernmädchen, Zauberern, Hexenmeistern, Jongleuren, Akrobaten, Musikanten und dem wandelnden Baum gefeiert. Die Hochzeit war der Höhepunkt des Sommers und ein glanzvolles Abschiedsfest für die herrliche, magische Kirmes von König Wilfred.

Danach brachen die Kirmesleute ihre Zelte ab und zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Einige, um ihre weltlichen Acht-Stunden-Jobs wieder aufzunehmen, andere, um an anderen historischen Festivals teilzunehmen, die überall in England stattfanden, und einige wenige, um nach Amerika zu reisen, wo sie ihr Glück bei dem ganzjährigen Ren-Fest-Karussell versuchen wollten.

Jinks verbrachte sieben Wochen in dem Pflegeheim, das Calvin für ihn ausfindig gemacht hatte. Dort erholte er sich sowohl von einer kleineren Knieoperation als auch von dem erlittenen Nervenzusammenbruch. Calvin musste seine Mitarbeiter gar nicht erst drängen, Jinks zu besuchen. Da die Kirmes wie ein Dorf war, wusste das ganze Camp über Jinks’ Machenschaften Bescheid, noch ehe er am nächsten Morgen aus dem Gefängnis in Upper Deeping entlassen wurde. Sie verurteilten ihn jedoch nicht, waren sie doch im Großen und Ganzen ein unvoreingenommenes Völkchen und weil sie, wie Calvin, Jinks’ Ängste durchaus verstehen konnten. Kein Tag verging, an dem nicht der ein oder andere im Erholungsheim erschien, um Jinks mit dem neuesten Kirmestratsch zu versorgen oder ihm ganz einfach Gesellschaft zu leisten.

Seine eifrigste Besucherin aber war Lady Amelia. Die schlanke rabenschwarze Schönheit lehrte ihn das Flötenspiel und entdeckte, dass er über eine schöne Stimme verfügte, die vorzüglich mit ihrer harmonierte. Als er mit ihr am Arm bei der Hochzeit erschien, war er nicht länger Jinks der Hofnarr, sondern Rowan der Barde. Die Lieder, die er eigens für das Fest komponiert hatte, waren geistreich, witzig und klug, und er musste nicht länger eine Schellenkappe tragen und Flickflacks machen.

»Lady Amelia meint, dass er in ein, zwei Wochen in der Lage sein wird, nach Amerika zu reisen«, sagte ich. »Er hat sie gefragt, ob sie mit ihm kommt, und das trifft sich sehr gut, denn sie hat ihre Koffer schon seit Juli gepackt.« Ich saß, die Füße auf der Ottomane ausgestreckt, im Arbeitszimmer und das blaue Notizbuch lag aufgeschlagen auf meinem Schoß. König Reginald blickte mit einem zufriedenen Schimmern in seinen schwarzen Knopfaugen aus seiner Nische im Buchregal auf mich herab. Offensichtlich fand er das Königsein eine gute Sache.

Weiß Calvin von Lady Amelias Absichten?

Als die Frage in Tante Dimitys altmodischer Handschrift auf der Seite erschien, musste ich lachen.

»Du machst wohl Witze?«, sagte ich. »Calvin hat alles getan, um sie zu bestärken. Er hofft, dass die Hochzeit noch vor Weihnachten stattfindet.«

Ich bin froh, dass Calvin Lady Amelia noch immer mag. Es kann bisweilen schmerzhaft sein, wenn der beste Freund eine Lebensgefährtin findet. Ich hatte befürchtet, Calvin würde sich ausgeschlossen fühlen.

»Lady Amelia ist dir weit voraus. Sie hat Calvin gebeten, sich um ihre Engagements für das nächste Jahr zu kümmern und einen Plan zu machen. Dabei ist er gehalten, nur Ren-Feste in Betracht zu ziehen, wo alle drei gemeinsam unterkommen können, alle übrigen fallen aus. Calvin wird jedoch keine Schwierigkeiten haben, Arbeit für sie zu finden. Sie sind ein talentiertes und erfahrenes Trio.«

Ich bin sicher, dass sie auch als Team erfolgreich sein werden. Man kann Calvin zu seiner Entscheidung, seinen großen Traum aufzugeben und zu seinen Wurzeln zurückzukehren, nur applaudieren.

»Meinst du? Die meisten Leute denken, er würde einen Schritt zurück machen – sich vom Schmetterling zur Raupe zurückentwickeln.«

Im Gegensatz zu den meisten Menschen ist Calvin mit sich im Reinen. Als sich herausstellte, dass sein Traum eine Nummer zu groß für ihn war, ließ er sich nicht entmutigen. Stattdessen erkannte er seine Grenzen und beschloss, glücklich innerhalb dieser Grenzen zu leben. Ich habe keinen Zweifel, dass er eine hervorragende Raupe abgeben wird. Schmetterlingsflügel sind bisweilen schwer zu handhaben.

»Lord Belvedere und Sir James halten ihn für einen Narren, weil er Jinks so leicht davonkommen lässt.«

Ich wäre lieber ein Narr wie er als einer von ihrer Sorte. Wo sie Bosheit sehen und Strafe fordern, sieht Calvin Verzweiflung und fordert Mitleid. Grausamkeit würde er nicht tolerieren – er hätte Sir Jacques entlassen, wenn die Soldaten ihm nicht zuvorgekommen wären –, und einen kranken Freund hinter Gitter zu bringen wäre besonders grausam gewesen. Calvin ist klüger, als er weiß. Er lässt es nicht zu, dass Bitterkeit sein Herz verhärtet. Er glaubt an die heilenden Kräfte der Liebe.

»Jedenfalls hat er dem Spruch ›Vergessen und vergeben‹ eine neue Bedeutung gegeben«, sagte ich trocken.

Die alte Bedeutung ist mächtig genug. Was hätte er gewonnen, wenn er sich Wut und Rachsucht hingeben würde? Eine gemeinsame Zukunft mit Lady Amelia und Rowan dem Barden ist bei weitem glänzender als ein Leben voller Reue und Ressentiments.

»Calvin ist klüger als ich«, sagte ich. »Ich schleppe noch immer einen Sack voller Reue mit mir herum.«

Zum Beispiel?

»Ich wünschte, ich hätte Calvin nicht in die Playboyschublade gesteckt. Ich wünschte, ich hätte in Edmond nie einen rasenden Mörder gesehen. Ich wünschte, ich hätte Jinks’ Verführungsversuch durchschaut. Er hätte sich wesentlich besser gefühlt, wenn ich ihm eine Ohrfeige verpasst hätte. Ich wünschte, ich hätte mehr Vertrauen in Bills Fähigkeiten gehabt, meine Ehre zu verteidigen. Ich hatte solche Angst, dass der Lüsterne Jack ihn grün und blau schlagen würde, dass ich bei dem Kampf nicht einmal zuschauen konnte.«

Was für merkwürdige Anwandlungen. Würdest Du mir das bitte näher erläutern?

»Es liegt an meiner Fantasie. Sie ist völlig überspannt. Die Dinge, die ich mir vorstellen konnte, stellten sich als falsch heraus, und die Dinge, die ich mir nicht vorstellen konnte, waren am Ende wahr. Calvin ist kein Playboy und Edmond kein rasender Mörder, dafür versuchte Jinks, mich zu verführen, und Bill war sehr wohl fähig, meine Ehre zu verteidigen. Was stimmt mit mir nicht, Dimity? Egal wie ich mich auch anstrenge, es gelingt mir nicht, das zu sehen, was vor meinen Augen ist.«

Wie langweilig das Leben wäre, wenn wir nur sähen, was vor uns ist! Deine Fantasie mag Dich in die Irre geführt haben, Liebes, aber sie führt Dich doch immer wieder auf faszinierende Reisen, und am Ende steigst Du stets an der richtigen Stelle aus. Mach Dir nichts vor, Lori: Du bist nun mal kein normaler Mensch. Du bist dazu geboren, besser als normal zu sein. Lern von Calvin. Erkenne Deine Grenzen und genieße das Leben innerhalb dieser!

»Aber …«

Kein Aber! Drachen kommen in allen Formen und Farben vor. Manche brauchen eins auf die Nase. Andere müssen sich in ein Erholungsheim zurückziehen. Die Drachen in uns müssen erlegt werden. Hör auf, an Dir zu zweifeln. Versuch nicht, jemand zu sein, der Du nicht bist. Lass Emma Emma sein. Ich mag Dich so, wie Du bist, Lori.

 

Bis zum ersten Wochenende im September waren Horace Malverns Kühe wieder auf ihre alte Weide umgezogen, und Finch hatte seinen alten Rhythmus wiederaufgenommen. Die örtliche Gerüchteküche brodelte heftig vor Tratsch über die Hochzeit, die bereits in zwei Wochen stattfinden würde, und Peggy Taxmans Richterhammer war weit über das Dorf hinaus zu hören. Nichts hatte sich wirklich verändert in Finch. Dem Himmel sei Dank.

Ich versäumte keine Komiteeversammlung, nicht weil ich Angst hatte, in Abwesenheit mit einem unappetitlichen Job betraut zu werden, sondern weil ich erpicht darauf war, das Erntedankfest, das Feuer zum Guy-Fawkes-Tag, das Krippenspiel und den verschobenen Flohmarkt zu organisieren. Theater hatte ich genug erlebt. Ich konnte es nicht erwarten, die fadenscheinigen Leinentücher, die angelaufenen Teekessel und das zusehends schäbiger werdende Dekorationsmaterial auszupacken.

Ich war zu beschäftigt, um beim Sommer des Drachen zu verweilen. Ich blickte in die Zukunft und ließ meiner Fantasie freien Lauf.