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Es ist Ostersonntag 1994, und ich sitze hier mit Stift und Notizblock, so wie mir aufgetragen wurde. Ich warte auf Gott. Er hat versprochen, aufzutauchen, wie schon die letzten beiden Osterfeste, um ein weiteres Gespräch zu beginnen. Ein drittes und letztes – vorerst.

Dieser Prozeß – diese außergewöhnliche Unterhaltung – begann 1992 und wird Ostern 1995 beendet werden. Drei Jahre, drei Bücher. Das erste Buch befaßte sich vor allem mit persönlichen Dingen – romantische Liebesbeziehungen, die richtige Arbeit finden, der Umgang mit den machtvollen Energien von Geld, Liebe, Sex und Gott – und deren Integration in unser Alltagsleben. Das zweite erweiterte diese Themen und ging zu größeren geopolitischen Betrachtungen über – das Wesen von Regierungen, das Schaffen einer Welt ohne Krieg, die Grundlage einer geeinten internationalen Gesellschaft. Dieser dritte und letzte Teil der Trilogie wird sich, so wurde mir gesagt, auf die großen Fragen der Menschheit konzentrieren. Es wird sich mit Vorstellungen aus anderen Bereichen, anderen Dimensionen befassen und es wird untersuchen, wie dieses ganze komplexe Gewebe zusammengefügt ist.

So lautet die Reihenfolge:

  1. Individuelle Wahrheiten
  2. Globale Wahrheiten
  3. Universelle Wahrheiten

Und wie schon bei den ersten beiden Manuskripten habe ich keine Ahnung, worauf es hinausläuft. Die Prozedur ist einfach. Ich nehme Notizblock und Stift zur Hand, stelle eine Frage – und warte ab, welche Gedanken mir kommen. Kommt nichts, werden mir keine Worte eingegeben, räume ich alles weg bis zum nächstenmal. Beim ersten Buch dauerte der ganze Prozeß ein Jahr, beim zweiten Buch etwas länger – ich muß es noch abschließen, auch wenn ich jetzt schon mit dem dritten Band beginne.

Ich glaube, daß dies hier das wichtigste Buch von allen wird.

Seit ich mit ihm angefangen habe, fühle ich mich sehr befangen. Zwei Monate sind seit diesen ersten vier oder fünf Absätzen vergangen. Zwei Monate seit Ostern und nichts wurde mir eingegeben.

Ich habe Wochen mit der Durchsicht und Korrektur der Fahnen des ersten Bandes verbracht – und in dieser Woche die endgültig korrigierte Fassung erhalten, nur um sie mit dreiundvierzig entdeckten Fehlern wieder zurückschicken zu müssen.

Die Niederschrift des zweiten Bandes habe ich letzte Woche beendet – zwei Monate später als vorgesehen. Dieser dritte Teil hier, der trotz der Tatsache, daß der zweite noch nicht beendet war, am Ostersonntag begonnen wurde, hat seither in seinem Ordner herumgelegen und schreit jetzt nach Aufmerksamkeit.

Doch zum erstenmal seit 1992, als alles anfing, scheine ich diesem Prozeß Widerstand entgegenzusetzen, ja ihn fast abzulehnen. Ich habe das Gefühl, durch die eingegangene Verpflichtung unter Zugzwang zu stehen, und ich mochte noch nie etwas tun, was ich tun muß. Dazu kommt, daß ich jetzt, nachdem ich ein paar Leuten die unkorrigierte Fassung des ersten Manuskripts zu lesen gegeben und ihre Reaktionen vernommen habe, davon überzeugt bin, daß alle drei Bände von vielen Menschen gelesen, gründlich überprüft, hinsichtlich ihrer theologischen Relevanz analysiert und leidenschaftliche Diskussionen auslösen werden.

Das hat es mir sehr schwergemacht, bis zu dieser Seite zu kommen und diesen Stift als meinen Freund zu betrachten. Denn während ich weiß, daß ich es schaffen muß, die Worte zu empfangen, ist mir auch klar, daß ich mich verleumderischen Angriffen, dem Spott und vielleicht auch dem Haß vieler Menschen aussetze, weil ich es wage, diese Informationen zu veröffentlichen. Ganz zu schweigen davon, daß ich auch noch verkünde, sie direkt von Gott zu bekommen.

Doch ich glaube, meine größte Angst ist die, daß ich mich in Anbetracht der scheinbar unendlich vielen Fehler, die mein Leben und mein Verhalten prägten, als ungeeignetes Sprachrohr Gottes erweise.

Alle, die mich aus meiner Vergangenheit kennen – meine früheren Ehefrauen und meine Kinder eingeschlossen –, hätten jedes Recht vorzutreten und mit Blick auf mein erbärmliches Benehmen als menschliches Wesen an diesen Texten Kritik zu üben. Ich habe nicht nur als Ehemann und Vater elend versagt, sondern auch in anderen Bereichen meines Lebens, die mit Freundschaft und Integrität, Arbeitseifer und Verantwortungsbewußtsein zu tun haben.

Ich bin mir zutiefst bewußt, daß ich es nicht wert bin, als ein Mann Gottes oder ein Bote der Wahrheit aufzutreten. Ich sollte der letzte Mensch sein, der eine solche Rolle übernimmt oder sie auch nur in Betracht zieht. Ich tue der Wahrheit Unrecht, wenn ich mir anmaße, sie zu verkünden, wo doch mein ganzes Leben nur von meinen Schwächen zeugt.

Aus diesen Gründen bitte ich dich, Gott, mich von meinen Pflichten als dein Schreiber zu entbinden und jemanden zu finden, der sich einer solchen Ehre als würdig erweist.

ICH WÜRDE GERNE beenden, was wir angefangen haben – obwohl du nicht dazu verpflichtet bist. Du hast überhaupt keine Pflichten, weder mir noch irgendeinem anderen gegenüber, doch ich sehe, daß du Schuldgefühle hast, weil du dich verpflichtet fühlst.

Ich habe Menschen, darunter auch meine eigenen Kinder, im Stich gelassen.

ALLES, WAS IN deinem Leben passiert ist, geschah in einer für dich – und auch für alle daran beteiligten Seelen – perfekten Ordnung, damit du genauso wachsen konntest, wie du es brauchtest und wolltest.

Diese perfekte Ausrede basteln sich alle New-Age-Anhänger zurecht, die sich der Verantwortung für ihr Handeln entziehen und unangenehmen Folgen ausweichen wollen.

Ich habe das Gefühl, den Großteil meines Lebens egoistisch gewesen zu sein – unglaublich egoistisch – und nur getan zu haben, was mir gefiel, ohne Rücksicht darauf, wie sich das auf andere auswirkt.

ES IST NICHTS falsch daran, wenn du tust, was dir gefällt …

Aber es sind so viele Menschen verletzt, im Stich gelassen worden …

ES FRAGT SICH nur, was dir am besten gefällt. Du sagst doch, dir gefällt jetzt ein Verhalten am besten, das anderen möglichst wenig oder gar keinen Schaden zufügt.

Das ist milde ausgedrückt.

ABSICHTLICH. DU MUSST lernen, sanft mit dir umzugehen.

Und aufhören, dich selbst zu richten.

Das ist schwer – vor allem, wenn andere mich so bereitwillig verurteilen. Ich habe das Gefühl, daß ich dir und der Wahrheit Schande machen werde; daß ich, wenn ich auf der Vollendung und Veröffentlichung dieser Trilogie bestehe, ein so armseliger Übermittler deiner Botschaft sein werde, daß sie diskreditiert wird.

DU KANNST DIE Wahrheit nicht diskreditieren. Wahrheit ist Wahrheit, und sie kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Sie existiert einfach.

Das Wunder und die Schönheit meiner Botschaft kann und wird nicht von dem, was die Leute von dir denken, beeinträchtigt werden.

Tatsächlich bist du einer der besten Botschafter, gerade weil du ein Leben gelebt hast, das nicht unbedingt vollkommen war.

Die Menschen können sich mit dir identifizieren – auch wenn sie ein Urteil über dich fällen. Und wenn sie sehen, daß du wirklich aufrichtig bist, werden sie dir auch deine Vergangenheit verzeihen können.

Doch ich sage dir: Solange du dir darüber Sorgen machst, was andere von dir denken, gehörst du ihnen.

Nur wenn du keine Zustimmung von außen brauchst, kannst du dir selbst gehören.

Mir lag mehr an der Botschaft als an mir. Ich hatte Sorge, daß sie besudelt werden könnte.

WENN DIR AN der Botschaft liegt, dann übermittle sie. Mach dir keine Sorgen, daß sie besudelt werden könnte. Sie spricht für sich selbst.

Denk daran, was ich dich gelehrt habe: Es ist bei weitem wichtiger, wie gut eine Botschaft gesendet wird, als wie gut sie aufgenommen wird.

Und vergiß nicht: Du lehrst das, was du lernen mußt.

Du mußt nicht vollkommen sein, um von Vollkommenheit sprechen zu können.

Du mußt kein Meister sein, um von Meisterschaft sprechen zu können.

Du mußt nicht die höchste Evolutionsebene erreicht haben, um von der höchsten Evolutionsebene sprechen zu können.

Bemühe dich nur um Authentizität. Sei bestrebt, ehrlich zu sein. Wenn du all den »Schaden«, den du deiner Vorstellung nach angerichtet hast, wiedergutmachen möchtest, dann demonstriere das durch dein Handeln. Tu, was du tun kannst.

Und laß es dann auf sich beruhen.

Das ist leichter gesagt als getan. Manchmal fühle ich mich so schuldig.

SCHULDGEFÜHLE UND ANGST sind die Feinde des Menschen.

Schuldgefühle sind wichtig. Sie sagen uns, wann wir ein Unrecht begangen, etwas falsch gemacht haben.

ES GIBT NICHTS »Falsches«. Es gibt nur das, was dir nicht dienlich ist; was nicht dem entspricht, der du bist und wofür du dich entschieden hast.

Schuldgefühle lassen dich in dem steckenbleiben, was du nicht bist.

Aber Schuldgefühle machen uns zumindest darauf aufmerksam, daß wir einen Fehler gemacht haben.

DU SPRICHST VON Bewußtsein, nicht von Schuldgefühlen.

Ich sage dir: Schuldgefühle liegen wie ein Giftschleier auf dem Land – sie sind das Gift, das die Pflanze tötet.

Schuldgefühle lassen dich nicht wachsen, sondern schrumpfen und sterben.

Du strebst nach Gewahrsein, nach Bewußtsein. Doch das ist nicht Schuldgefühl, und Liebe ist nicht Angst.

Angst und Schuldgefühle, ich sage es noch einmal, sind eure einzigen Feinde. Liebe und Bewußtheit sind eure wahren Freunde. Verwechselt aber nicht das eine mit dem anderen, denn das eine tötet euch, das andere gibt euch Leben.

Dann sollte ich mich niemals schuldig fühlen?

NIEMALS. WOZU SOLL das gut sein? Es gestattet dir nur, dich nicht selbst zu lieben – und das zerstört jede Chance, jemand anderen lieben zu können.

Und ich sollte nichts fürchten?

FURCHT UND VORSICHT sind zwei verschiedene Dinge. Sei vorsichtig – sei bewußt –, aber sei nicht furchtsam. Denn Furcht lähmt nur, wohingegen Bewußtheit mobilisiert.

Sei beweglich, nicht starr.

Mir wurde beigebracht, Gott zu fürchten.

ICH WEISS. UND seither warst du in deiner Beziehung zu mir erstarrt.

Erst als du aufhörtest, mich zu fürchten, konntest du eine bedeutungsvolle Beziehung zu mir aufbauen.

Wenn ich dir etwas geben, irgendeine besondere Gnade erweisen könnte, die dir erlaubte, mich zu finden, dann wäre es die der Furchtlosigkeit.

Gesegnet seien die Furchtlosen, denn sie werden Gott schauen.

Das heißt, du mußt furchtlos genug sein, um alles zu vergessen, was du über Gott zu wissen glaubst.

Du mußt furchtlos genug sein, um von dem Abstand zu nehmen, was andere dir über Gott erzählt haben.

Du mußt so furchtlos sein, daß du es wagen kannst, in deine eigene Erfahrung von Gott einzutreten.

Und dann darfst du dich nicht schuldig fühlen. Widerspricht diese Erfahrung dem, was du über Gott zu wissen glaubtest und was dir alle anderen über ihn sagten, dann darfst du dich nicht schuldig fühlen.

Angst und Schuldgefühle sind die einzigen Feinde des Menschen.

Und doch gibt es welche, die sagen, daß man mit dem Teufel paktiert, wenn man tut, was du da vorschlägst; daß nur der Teufel einem so etwas einflüstern kann.

ES GIBT KEINEN Teufel.

Auch das würde der Teufel sagen.

DER TEUFEL WÜRDE alles sagen, was Gott sagt, meinst du das?

Nur noch etwas gewitzter.

DER TEUFEL IST gewitzter als Gott?

Sagen wir, listiger.

ALSO SCHMIEDET DER Teufel ein Komplott, indem er sagt, was Gott sagen würde?

Er verdreht die Dinge nur ein ganz klein wenig, nur gerade so, daß er einen vom Weg abbringt, in die Irre führt.

ICH GLAUBE, WIR müssen mal eine kleine Unterhaltung über den »Teufel« führen.

Über den haben wir eine Menge in Band 1 gesprochen.

OFFENSICHTLICH NICHT GENUG. Abgesehen davon mag es einige geben, die Band 1 – und auch Band 2 – nicht gelesen haben.

Ich denke, es wäre ein guter Anfang, einige der in diesen Bänden gefundenen Wahrheiten zusammenzufassen. Das bereitet die Bühne für die umfassenden universellen Wahrheiten in diesem dritten Band vor. Und damit kommen wir auch schon früh auf den Teufel zu sprechen. Ich möchte dir erzählen, wie und warum eine solche Wesenheit erfunden wurde.

Okay. In Ordnung. Wie du meinst. Ich bin schon wieder mitten im Dialog, also scheint sich das Gespräch doch fortzusetzen. Aber eines möchte ich die Leser vorab wissen lassen: Seit ich die ersten hier präsentierten Sätze niedergeschrieben habe, ist ein halbes Jahr vergangen. Heute ist der 25. November 1994, ein Tag nach Thanksgiving. Es dauerte fünfundzwanzig Wochen, um bis hierher zu gelangen; fünfundzwanzig Wochen seit deinen letzten Worten. In dieser Zeit ist zwar eine Menge passiert, aber nichts, was dieses Buch auch nur einen Zentimeter weiterbrachte. Warum dauert das so lange!

SIEHST DU, WIE du dich selbst blockieren kannst? Siehst du, wie du dich selbst sabotieren kannst? Siehst du, wie du dich selbst sofort zum Stoppen bringen kannst, wenn du an etwas Gutem dran bist? Das hast du dein ganzes Leben lang gemacht.

He, warte mal einen Moment! Nicht ich verzögere dieses Projekt. Ich kann gar nichts tun – nicht ein einziges Wort schreiben –, wenn ich mich nicht dazu gedrängt fühle, wenn ich mich nicht dazu … ich hasse das Wort, muß es aber wohl gebrauchen … inspiriert fühle, mir diesen Notizblock vorzunehmen und weiterzumachen. Und Inspiration ist deine Abteilung, nicht meine!

ICH VERSTEHE. DU glaubst also, ich habe es hinausgezögert, nicht du.

Ja, so ähnlich.

MEIN WUNDERBARER FREUND, das sieht dir – und anderen Menschen – ja so ähnlich! Da sitzt du ein halbes Jahr herum und unternimmst nichts zu deinem höchsten Wohl, ja schiebst es sogar von dir weg, und dann gibst du irgend jemandem oder etwas außerhalb von dir die Schuld dafür, daß du nicht vorankommst. Erkennst du da nicht ein Muster?

Nun …

ICH SAGE DIR: Es gibt keinen Zeitpunkt, wo ich nicht bei dir bin, keinen Moment, in dem ich nicht bereit bin.

Habe ich dir das nicht schon früher gesagt?

Ja schon, aber …

ICH BIN IMMER bei dir, bis ans Ende aller Zeit.

Doch ich werde dir nicht meinen Willen aufzwingen – niemals.

Ich wähle für dich dein höchstes Wohl, aber darüber hinaus wähle ich für dich deinen Willen. Und das ist das sicherste Zeichen für Liebe.

Wenn ich für dich will, was du für dich willst, dann liebe ich dich wirklich. Wenn ich für dich will, was ich für dich will, dann liebe ich mich durch dich.

An demselben Maßstab kannst du ablesen, ob andere dich lieben und ob du andere wirklich liebst. Denn Liebe wählt nicht für sich selbst, sondern macht die Wahl möglich, die die geliebte Person getroffen hat.

Das scheint dem, was du in Band 1 gesagt hast, direkt zu widersprechen, nämlich daß sich Liebe überhaupt nicht darum kümmert, was der andere ist, tut und hat, sondern nur darum, was das Selbst ist, tut und hat.

Und es wirft auch andere Fragen auf wie … was ist mit der Mutter, die ihrem Kind zuruft, von der Straße wegzugehen? Oder noch besser mit der Mutter, die sich unter Lebensgefahr in den Verkehrsstrom stürzt und das Kind da herausholt? Was ist mit ihr? Liebt sie ihr Kind nicht? Und doch hat sie ihm ihren Willen aufgezwungen. Das Kind war schließlich auf der Straße, weil es das so wollte. Wie erklärst du diese Widersprüche?

DA IST KEIN Widerspruch. Doch du kannst die Harmonie darin nicht erkennen. Und du verstehst diese göttliche Doktrin, diesen Grundsatz von der Liebe so lange nicht, wie du nicht begreifst, daß meine Wahl im höchsten Sinn für mich dieselbe ist wie deine Wahl im höchsten Sinn für dich. Und das deshalb, weil du und ich eins sind.

Schau, dieser göttliche Grundsatz ist auch eine göttliche Dichotomie, weil das Leben selbst eine Dichotomie ist – eine Erfahrung, innerhalb der zwei augenscheinlich widersprüchliche Wahrheiten im gleichen Raum zur gleichen Zeit existieren können.

In diesem Fall besagen die vermeintlich widersprüchlichen Wahrheiten, daß du und ich getrennt voneinander existieren und daß du und ich eins sind.

Ich stehe zu dem, was ich in Band 1 sagte: Der größte Fehler, den Menschen in ihren Beziehungen machen, ist der, daß sie sich darum sorgen, was der andere will, ist, tut oder hat. Sorgt euch nur um das Selbst. Was ist, tut oder hat das Selbst? Was will, braucht, wählt das Selbst – Worin besteht die im höchsten Sinn getroffene Wahl für das Selbst?

Ich stehe auch zu einer anderen Aussage in jenem Band: Die im höchsten Sinn getroffene Wahl für das Selbst wird auch zur Wahl im höchsten Sinn für den anderen, wenn das Selbst erkennt, daß da kein anderer ist.

Das Problem ist also nicht, daß du das Beste für dich wählst, sondern daß du nicht weißt, was das Beste für dich ist. Das kommt daher, daß du nicht weißt, wer du wirklich bist, und noch weniger, wer du sein möchtest.

Ich verstehe nicht.

NUN, LASS MICH dir ein Beispiel geben. Wenn du das Autorennen in Indianapolis gewinnen willst, ist es vielleicht das Beste für dich, wenn du zweihundertdreißig Stundenkilometer fährst. Wenn du aber nur sicher zum Supermarkt kommen willst, ist das wohl nicht das Beste.

Du sagst, alles steht in einem Zusammenhang, hängt von den Umständen ab.

JA. ALLES IM Leben. Was das Beste ist, hängt davon ab, wer du bist und zu sein bestrebt bist. Du kannst nicht auf intelligente Weise das Beste für dich wählen, solange du nicht auf intelligente Weise entschieden hast, wer und was du bist.

Ich als Gott weiß, was zu sein ich bestrebt bin. Deshalb weiß ich, was das Beste für mich ist.

Und was ist das? Sag mir, was ist das Beste für Gott? Das zu erfahren wäre interessant …

DAS BESTE FÜR mich ist, dir das zu geben, was deiner Entscheidung nach das Beste für dich ist. Denn ich versuche der Ausdruck meines Selbst zu sein. Und dies bin ich durch dich.

Kannst du dem folgen?

Ja tatsächlich, ob du es glaubst oder nicht.

GUT. NUN WERDE ich etwas sagen, das du vielleicht nur schwer glauben kannst.

Ich gebe dir immer das, was das Beste für dich ist … obwohl ich zugebe, daß du das vielleicht nicht immer erkennst.

Dieses Rätsel mag sich nunmehr ein wenig lösen, da du zu verstehen beginnst, worauf ich aus bin.

Ich bin Gott.

Ich bin die Göttin.

Ich bin das höchste Wesen. Das alles von allem. Der Anfang und das Ende. Alpha und Omega.

Ich bin die Summe und die Substanz. Die Frage und die Antwort. Deren Auf und Ab. Das Linke und das Rechte, das Hier und Jetzt, das Davor und das Danach.

Ich bin das Licht, und ich bin die Dunkelheit, die das Licht erschafft und es möglich macht. Ich bin das Gutsein ohne Ende und die Schlechtigkeit, die das Gutsein gut macht. Ich bin alle diese Dinge – das Alles von Allem –, und ich kann keinen Teil meines Selbst erfahren, ohne alles von meinem Selbst zu erfahren.

Und das ist es, was du in bezug auf mich nicht verstehst. Du willst mich zu dem einen machen, aber nicht zum anderen.

Zum Hohen und nicht zum Niedrigen. Zum Guten und nicht zum Schlechten. Doch indem du die Hälfte von mir leugnest, leugnest du die Hälfte deines Selbst. Und wenn du das tust, kannst du nie sein, wer du wirklich bist.

Ich bin das großartige Alles und Jedes – und ich trachte danach, mich selbst in der Erfahrung zu erkennen. Ich tue das durch dich und alles andere Existierende. Und ich erfahre mein Selbst als großartig und herrlich durch die Wahl, die ich treffe. Denn jede Wahl ist selbstschöpferisch. Jede Wahl ist entscheidend. Jede Wahl repräsentiert mich – das heißt, sie repräsentiert, schenkt mich mir wieder – als den, der ich in diesem Moment zu sein wähle.

Doch ich kann nicht die Wahl treffen, großartig zu sein, wenn es nichts zum Auswählen gibt. Ein Teil von mir muß weniger großartig sein, damit ich den Teil von mir wählen kann, der großartig ist.

Und dasselbe gilt für dich.

Ich bin Gott im Akt des Erschaffens meines Selbst.

Und das bist du auch.

Das ist es, wonach sich deine Seele und dein Geist sehnen.

Wenn ich dich daran hinderte, das zu haben, was du für dich wählst, würde ich mein Selbst daran hindern, das zu haben, was ich wähle. Denn mein größtes Verlangen ist es, mich in meinem Selbst als das zu erfahren, was ich bin. Und wie ich so sorgfältig und gewissenhaft in Band 1 erklärte, kann ich das nur im Raum dessen tun, was ich nicht bin.

Also habe ich sorgsam geschaffen, was ich nicht bin, um erfahren zu können, was ich bin.

Und doch bin ich alles und jedes, was ich erschaffe – deshalb bin ich, in gewissem Sinn, was ich nicht bin.

Wie kann jemand sein, was er nicht ist?

GANZ LEICHT. DU machst das die ganze Zeit. Beobachte nur dein Verhalten.

Versuche das zu verstehen. Es gibt nichts, was ich nicht bin. Deshalb bin ich, was ich bin, und bin ich, was ich nicht bin.

 

DIES IST DIE GÖTTLICHE DICHOTOMIE.

Dies ist das göttliche Mysterium, das bisher nur die überragendsten Geister verstehen konnten. Ich habe es dir hier so offenbart, daß es auch andere begreifen können.

Dies war die Botschaft von Band 1, und diese Grundwahrheit mußt du verstehen – in ihrer Tiefe erfassen –, wenn du die hier in Band 3 folgenden noch erhabeneren Wahrheiten verstehen und erfassen willst.

Doch laß mich jetzt zu einer dieser Wahrheiten kommen, denn in ihr ist die Antwort auf den zweiten Teil deiner Frage enthalten.

Ich hoffte, du würdest auf diesen Teil meiner Frage zurückkommen. In welcher Weise lieben Eltern ihr Kind, wenn sie sagen oder tun, was das Beste für es ist, auch wenn sie sich dabei über seinen Willen hinwegsetzen müssen? Oder demonstrieren sie die wahrste Liebe, wenn sie es mitten im Verkehr spielen lassen?

DAS IST EINE wunderbare Frage. Und es ist die Frage, die sich alle Eltern in der einen oder ändern Form stellen, seit es Elternschaft gibt. Die Antwort ist die gleiche für dich als Elternteil wie für mich als Gott.

Was ist also die Antwort!

GEDULD, MEIN SOHN, Geduld. »Gut Ding will Weile haben.« – Du kennst doch diesen Spruch.

Ja, mein Vater sagte das immer, und ich konnte das nicht ausstehen.

DAS VERSTEHE ICH. Aber hab Geduld mit deinem Selbst, vor allem, wenn deine Wahl dir nicht bringt, was du deiner Meinung nach haben willst. Zum Beispiel die Antwort auf den zweiten Teil deiner Frage.

Du sagst, du willst die Antwort, aber du wählst sie nicht. Du weißt, daß du sie nicht wählst, weil du nicht die Erfahrung machst, sie zu haben. In Wahrheit hast du die Antwort und hattest sie schon die ganze Zeit. Du wählst sie nur einfach nicht. Du triffst die Wahl zu glauben, daß du die Antwort nicht weißt – also weißt du sie auch nicht.

Ja, auch darauf bist du in Band 1 eingegangen. Ich habe alles, was ich in diesem Moment zu haben wähle – einschließlich eines vollständigen Verständnisses von Gott –, aber ich erfahre nicht, daß ich es habe, bis ich weiß, daß ich es habe.

GENAU! DAS HAST du perfekt ausgedrückt.

Aber wie kann ich wissen, daß es so ist, solange ich nicht erlebe oder erfahre, daß es so ist? Wie kann ich etwas wissen oder kennen, das ich nicht erfahren habe? Hat nicht ein großer Geist gesagt: »Alles Wissen ist Erfahrung?«

ER IRRTE SICH.

Wissen folgt nicht der Erfahrung – es geht ihr voraus.

In dieser Sache zäumt die halbe Welt das Pferd von hinten auf.

Du meinst also, ich kenne die Antwort auf den zweiten Teil meiner Frage und weiß nur nicht, daß ich sie weiß?

GENAU.

Aber wenn ich nicht weiß, daß ich sie weiß, dann weiß ich sie nicht.

DAS IST DAS Paradoxon, ja.

Ich kapier's nicht … außer ich kapier's.

SO IST ES.

Wie kann ich also zu diesem Ort des »Wissens, daß ich etwas weiß«, gelangen, wenn ich nicht weiß, daß ich weiß?

UM ZU WISSEN, daß du weißt, handle so, als ob du wüßtest.

Dazu hast du auch irgend etwas in Band 1 gesagt.

JA. WIR SOLLTEN hier kurz die vorangegangenen Lehren rekapitulieren. Gut, daß du »zufällig« gerade die richtigen Fragen stellst, die mir gestatten, zu Beginn dieses Buches zusammenzufassen, was wir andernorts detailliert besprochen haben.

In Band 1 sprachen wir über das Paradigma von Sein-Tun-Haben und darüber, daß die meisten Menschen hier umgekehrt verfahren.

Die Leute glauben, daß sie, wenn sie ein Ding (mehr Zeit, Geld, Liebe – was auch immer) haben, endlich etwas tun können (ein Buch schreiben, einem Hobby nachgehen, Urlaub machen, ein Haus kaufen, eine Beziehung eingehen), was ihnen dann erlaubt, etwas zu sein (glücklich, friedlich, zufrieden oder verliebt).

In Wahrheit drehen sie dieses Paradigma vom Sein-Tun-Haben um. Im wirklichen Universum (nicht in dem eurer Vorstellung) produziert Haben nicht Sein, sondern gerade umgekehrt.

Erst bist du ein Ding, das man »glücklich« (oder »wissend« oder »weise« oder »mitfühlend«) nennt, dann fängst du an, von diesem Seinsort aus Dinge zu tun – und entdeckst bald darauf, daß dieses Tun dir schließlich die Dinge bringt, die du immer haben wolltest.

Wenn du diesen schöpferischen Prozeß – und darum handelt es sich – in Gang setzen willst, mußt du dir erst anschauen, was du haben willst, und dich fragen, was du deiner Ansicht nach sein würdest, wenn du es hättest, und dich dann direkt auf dieses Sein verlegen.

Auf diese Weise dreht ihr eure übliche Anwendung des Paradigmas vom Sein-Tun-Haben um – wendet es richtig an – und arbeitet mit der schöpferischen Kraft des Universums statt gegen sie.

Zusammengefaßt läßt sich das Prinzip folgendermaßen ausdrücken: Im Leben braucht ihr nicht irgend etwas zu tun.

Es ist alles eine Frage dessen, was ihr seid. Das ist eine der drei Botschaften, auf die ich am Ende unseres Dialogs – und dieses Buches – zurückkommen werde.

Stell dir nun mal eine Person vor, die weiß, daß sie, wenn sie nur ein bißchen mehr Zeit, ein bißchen mehr Geld oder ein bißchen mehr Liebe hätte, wirklich glücklich wäre.

Sie begreift nicht den Zusammenhang, der zwischen ihrem Gefühl, nicht sehr glücklich zu sein, und der Tatsache, nicht die Zeit, das Geld oder die Liebe zu haben, die sie sich wünscht, besteht.

RICHTIG. DAGEGEN SCHEINT die Person, die glücklich ist, die Zeit zu haben, um alles wirklich Wichtige tun zu können, alles nötige Geld zu haben und genügend Liebe, daß es für ein ganzes Leben reicht.

Sie stellt fest, daß sie alles Nötige hat, um glücklich zu sein … indem sie von Anfang an glücklich ist!

GENAU. DIE IM voraus getroffene Entscheidung, was zu sein du wählst, erzeugt eben dies in deiner Erfahrungswelt.

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«

GANZ RECHT. GLÜCK ist ein Geisteszustand und reproduziert sich wie alle Geisteszustände in physischer Form.

Hier ist ein Spruch für einen Aufkleber:

»Alle Geisteszustände reproduzieren sich.«

Aber wie kannst du von Anfang an glücklich oder irgend etwas, das du sein möchtest, sein – wohlhabender oder mehr geliebt, zum Beispiel –, wenn du nicht hast, was du deiner Meinung nach brauchst, um es zu sein?

HANDLE SO, ALS wärest du es, und du wirst es anziehen.

Du wirst das, was du durch dein Handeln, als ob du es seist, zum Ausdruck bringst.

Mit anderen Worten: Täusche es vor, bis es Wirklichkeit wird.

JA, SO ÄHNLICH. Nur kannst du dieses Sein nicht wirklich »vor-täuschen«. Du mußt in deinem Handeln lauter und ehrlich sein.

Alles, was du tust, muß der Lauterkeit und Ehrlichkeit entspringen, oder die Früchte deines Handelns gehen verloren.

Das ist nicht deshalb so, weil ich dich nicht »belohnen« würde. Gott »belohnt« und »bestraft« nicht, wie du weißt.

Aber das Naturgesetz erfordert, daß Körper, Geist und Seele in Gedanken, Wort und Tat geeint sein müssen, wenn der Schöpfungsprozeß funktionieren soll.

Du kannst deinen Geist nicht übertölpeln. Er weiß es, wenn du unaufrichtig bist, und das war's dann. Damit hast du jede Chance vertan, daß er dir bei diesem schöpferischen Prozeß helfen kann.

Du kannst natürlich auch ohne deinen Geist etwas erschaffen – es ist nur erheblich schwieriger. Du kannst deinen Körper bitten, etwas zu tun, woran dein Geist nicht glaubt, und wenn dein Körper das lange genug macht, wird dein Geist allmählich seinen vormaligen Gedanken in dieser Sache aufgeben und einen neuen Gedanken erschaffen. Mit diesem neuen Gedanken bist du schon auf dem Weg, etwas als einen permanenten Aspekt deines Seins zu erschaffen, statt nur etwas auszuagieren.

Das ist die harte Tour, aber auch in solchen Fällen muß dein Handeln ehrlich sein. Im Gegensatz zu Menschen läßt sich das Universum nicht manipulieren.

Wir haben es hier also mit einem sehr empfindlichen Gleichgewicht zu tun. Der Körper tut etwas, woran der Geist nicht glaubt, doch der Geist muß dem Handeln des Körpers das Element der Ehrlichkeit hinzufügen, wenn es funktionieren soll.

Wie kann der Geist Ehrlichkeit hinzufügen, wenn er nicht an das glaubt, was der Körper tut?

INDEM ER DAS selbstsüchtige Element des persönlichen Gewinns ausräumt.

Wie?

DER GEIST IST vielleicht nicht imstande, ehrlich zu glauben, daß die Handlungen des Körpers dir bringen können, was du wählst, aber er scheint sich doch sehr klar darüber zu sein, daß Gott durch dich einem anderen Gutes bringt.

Gib deshalb das, was du für dich selbst wählst, einem anderen.

Würdest du das bitte wiederholen?

NATÜRLICH: GIB DAS, was du für dich selbst wählst, einem anderen.

Wenn du die Wahl triffst, glücklich zu sein, laß einen anderen glücklich sein.

Wenn du die Wahl triffst, erfolgreich zu sein, laß einen anderen erfolgreich sein.

Wenn du die Wahl triffst, mehr Liebe in deinem Leben zu haben, laß einen anderen mehr Liebe in seinem Leben haben.

Handle aufrichtig – nicht, weil du den persönlichen Gewinn anstrebst, sondern weil du wirklich willst, daß der andere dies hat – und alle Dinge, die du weggibst, werden dir zukommen.

Warum ist das so? Wie funktioniert das?

DEIN AKT DES Weggebens bewirkt in dir die Erfahrung, daß du es hast, um es weggeben zu können. Da du einem anderen nicht etwas geben kannst, das du nicht hast, kommt dein Geist zu einer neuen Schlußfolgerung, faßt er einen neuen Gedanken – nämlich, daß du es haben mußt, denn sonst könntest du es nicht weggeben.

Dieser neue Gedanke wird dann deine Erfahrung. Du fängst an, es zu sein. Und wenn du erst einmal anfängst, etwas zu sein, hast du die machtvollste Erschaffungsmaschinerie des Universums in Gang gesetzt – dein göttliches Selbst.

Was immer du bist, das erschaffst du.

Der Kreis schließt sich, und du wirst mehr und mehr davon in deinem Lehen erschaffen. Es wird sich in deiner physischen Erfahrungswelt manifestieren.

Das ist das größte Geheimnis des Lebens. Um dir das zu sagen, wurden Band 1 und 2 geschrieben. Dort steht alles, nur sehr viel detaillierter.

Erkläre mir bitte, warum Ehrlichkeit so wichtig ist, wenn wir einem anderen etwas geben, das wir für uns selbst wählen.

WENN DU EINEM anderen etwas mit Hintergedanken gibst, weil du manipulieren und eigentlich dir etwas zukommen lassen möchtest, weiß dein Geist das. Damit signalisierst du ihm nur, daß du das jetzt nicht hast. Und da das Universum nichts weiter als eine riesige Kopiermaschine ist, die deine Gedanken in physischer Form reproduziert, wird dies deine Erfahrung werden.

Das heißt, du wirst weiterhin erleben, daß du es nicht hast – ganz gleich, was du machst.

Weiterhin wird es auch die Erfahrung der Person sein, der du es zu geben versuchst. Sie wird merken, daß du nur danach trachtest, etwas zu bekommen, daß du im Grunde gar nichts anzubieten hast. Dein Geben wird eine leere Geste sein und in ihrer ganzen egoistischen Oberflächlichkeit erkannt werden.

Genau das, was du anzuziehen bestrebt warst, wirst du so von dir wegstoßen.

Doch wenn du einem anderen etwas mit reinem Herzen gibst, weil du siehst, daß er oder sie es möchte, braucht oder haben sollte, dann wirst du entdecken, daß du es hast, um es geben zu können. Und das ist eine großartige Entdeckung.

Das ist wahr! So funktioniert es tatsächlich. Ich kann mich erinnern, daß ich einmal, als die Dinge in meinem Leben nicht sehr gut liefen, ganz verzweifelt dachte, daß ich kein Geld und nur noch sehr wenig zu essen hatte. Ich wußte nicht, wann ich wieder zu einer ordentlichen Mahlzeit kommen würde oder wie ich meine Miete bezahlen sollte. An diesem Abend stieß ich an der Busstation auf ein junges Paar. Da saßen diese Kinder zusammengekauert auf einer Bank und deckten sich mit ihren Mänteln zu.

Ihr Anblick rührte mein Herz. Ich erinnerte mich an meine eigene Jugend, wie es war, als wir von der Hand in den Mund lebten und auch so unterwegs waren. Ich ging auf sie zu und fragte sie, ob sie zu mir nach Hause kommen, am Feuer sitzen, ein bißchen heiße Schokolade trinken und vielleicht auf meiner Couch übernachten wollten. Sie sahen mich mit großen Augen an wie Kinder am Weihnachtsabend.

Wir gingen dann zu mir nach Hause und ich kochte etwas für sie. An diesem Abend aßen wir alle so gut wie schon lange nicht mehr. Die Nahrungsmittel waren immer dagewesen.

Der Kühlschrank war voll, ich mußte nur nach hinten langen, wo ich das ganze Zeug hingeschoben hatte. Ich fabrizierte einen Eintopf aus allem, was sich im Kühlschrank fand, und er war köstlich! Ich entsinne mich, daß ich mich fragte, wo das ganze Essen herkam.

Am nächsten Morgen machte ich den beiden sogar noch Frühstück, bevor ich sie auf den Weg brachte. An der Busstation gab ich ihnen noch einen Zwanzigdollarschein, der sich in meiner Hosentasche fand. »Das wird euch vielleicht eine Hilfe sein«, sagte ich und umarmte sie zum Abschied. Den ganzen Tag über fühlte ich mich, was meine eigene Situation anging, viel besser. Was sage ich, die ganze Woche über. Und dieses Erlebnis, das ich nie vergessen habe, hat meine Ansichten und mein Verständnis vom Leben grundlegend verändert.

Von da an wurden die Dinge besser, und als ich mich heute morgen im Spiegel betrachtete, bemerkte ich etwas sehr Wichtiges. Ich bin immer noch hier.

DAS IST EINE schöne Geschichte. Und du hast recht. Genauso funktioniert es. Wenn du also etwas möchtest, dann gib es weg. Es wird dir dann nicht mehr fehlen. Du wirst sofort erfahren, daß du es hast. Von da an ist es nur noch eine Sache des Maßes. Psychologisch gesehen wirst du feststellen, daß es sehr viel leichter ist, hinzuzufügen, als etwas aus dem Nichts zu erschaffen.

Ich habe das Gefühl, hier gerade etwas sehr Tiefgründiges gehört zu haben. Kannst du das nun zum zweiten Teil meiner Frage in Beziehung setzen? Gibt es da eine Verbindung?

SCHAU, ICH MÖCHTE dir nahebringen, daß du die Antwort auf diese Frage bereits hast. Im Moment lebst du den Gedanken aus, daß du die Antwort nicht hast; daß du Weisheit besäßest, wenn du die Antwort hättest. Also wendest du dich an mich, um Weisheit zu erlangen. Doch ich sage dir, sei Weisheit, und du wirst sie haben.

Und wie kommt man am schnellsten dazu, Weisheit zu sein?

Laß einen anderen weise sein.

Möchtest du die Antwort auf diese Frage haben? Gib einem anderen die Antwort.

Also stelle ich jetzt dir die Frage. Ich tue so, als ob ich es nicht wüßte, und du gibst mir die Antwort.

Wie können eine Mutter oder ein Vater, die ihr Kind von der Straße holen, es wirklich lieben, wenn Liebe bedeutet, daß du für den anderen willst, was dieser für sich selbst will!

Ich weiß es nicht.

ICH WEISS. ABER was würdest du antworten, wenn du dächtest, du wüßtest es?

Nun, ich würde sagen, daß die Mutter oder der Vater für das Kind wirklich wollen, was dieses wollte – nämlich am Leben bleiben. Ich würde sagen, daß das Kind nicht sterben wollte, aber einfach nicht wußte, daß es im Straßenverkehr umkommen könnte. Die Eltern haben also dem Kind nicht seinen Willen genommen, sondern kamen einfach in Kontakt mit der wahren Wahl des Kindes, mit seinem tiefsten Wunsch.

DAS WÄRE EINE sehr gute Antwort.

Wenn das stimmt, dann solltest du, Gott, nichts anderes tun, als uns davon abhalten, daß wir uns Schaden zufügen, denn das kann nicht unser tiefster Wunsch sein. Und doch schädigen wir uns die ganze Zeit, und du sitzt nur herum und schaust zu.

ICH BIN IMMER mit eurem tiefsten Wunsch in Berührung und gebe ihm immer statt.

Auch wenn ihr etwas tut, das euren Tod verursacht – wenn das euer tiefster Wunsch ist, dann bekommt ihr das auch: die Erfahrung des Sterbens.

Ich behindere euch nie in eurem tiefsten Verlangen.

Willst du damit sagen, daß wir, wenn wir uns Schaden zufügen, es deshalb tun, weil es unser Wunsch war? Unser tiefstes Verlangen?

IHR KÖNNT EUCH keinen Schaden zufügen. Ihr seid nicht imstande, beschädigt zu werden. »Schaden« ist eine subjektive Reaktion, kein objektives Phänomen. Ihr könnt die Wahl treffen, als Resultat irgendeiner Begegnung oder eines Phänomens die Erfahrung zu machen, daß euch Schaden zugefügt wird, aber das ist ganz und gar eure Entscheidung.

Angesichts dieser Wahrheit lautet die Antwort auf deine Frage: Ja, wenn ihr euch selbst Schaden zugefügt habt, dann war dies euer Wunsch. Doch ich spreche hier auf einer sehr hohen esoterischen Ebene, die im Grunde nicht die Ebene deiner Frage ist.

Im Sinne, wie du es meinst, nämlich als Sache der bewußten Wahl, würde ich sagen: Jedesmal, wenn ihr etwas tut, womit ihr euch schadet, dann tut ihr es nicht, weil ihr es so wollt.

Das Kind, das von einem Auto angefahren wird, weil es auf die Straße lief, wollte das nicht – wünschte es nicht, strebte es nicht an, wählte es nicht bewußt.

Der Mann, der immer wieder dieselbe Art von Frau in unterschiedlicher Verpackung heiratet, die die falsche für ihn ist, will nicht ständig schlechte Ehen – wünscht sie nicht, strebt sie nicht an, wählt sie nicht bewußt.

Man kann nicht sagen, daß die Person, die sich mit dem Hammer auf den Daumen haut, diese Erfahrung wollte. Sie war nicht gewünscht, angestrebt, bewußt gewählt.

Doch alle objektiven Phänomene werden von dir unterbewußt angezogen; alle Ereignisse werden von dir unbewußt erschaffen; jede Person, jeder Ort oder jedes Ding in deinem Leben wurde von dir zu dir herangezogen – vom Selbst erschaffen, wenn du so willst –, um dir die perfekten Bedingungen, die perfekte Gelegenheit zu liefern, mit deren Hilfe du erfahren kannst, was du in deinem Entwicklungsprozeß als nächstes zu erfahren wünschst.

Es kann in deinem Leben nichts, aber auch gar nichts geschehen, was dir nicht die absolut perfekte Gelegenheit bietet, etwas zu heilen, zu erschaffen oder zu erfahren, das du heilen, erschaffen oder erfahren möchtest, um zu sein, wer du wirklich bist.

Und wer bin ich wirklich?

WER IMMER zu sein du wählst. Jeder Aspekt der Göttlichkeit, der du zu sein wünschst, ist, wer du bist. Das kann sich ständig ändern und ändert sich auch oft von Moment zu Moment.

Wenn dein Leben ruhiger werden, wenn es dir nicht mehr eine so große Vielfalt an Erfahrungen bescheren soll, dann kannst du das folgendermaßen bewerkstelligen: Hör einfach auf, deine Meinung über wer du bist und wer du sein willst so oft zu ändern.

Das ist leichter gesagt als getan!

ICH BEOBACHTE, DASS ihr alle diese Entscheidungen auf vielen verschiedenen Ebenen trefft. Das Kind, das beschließt, auf die Straße zu gehen und mitten im Verkehr zu spielen, trifft nicht die Wahl zu sterben. Es trifft vielleicht eine ganze Reihe von Entscheidungen, aber das Sterben gehört nicht dazu. Die Mutter weiß das.

Das Problem ist hier, daß das Kind sich für Dinge entschieden hat, die zu mehr als einem Resultat führen könnten, sein Sterben eingeschlossen. Diese Tatsache ist ihm nicht klar, ist ihm nicht bekannt. Es ist die fehlende Information, die das Kind daran hindert, eine klare Wahl, eine bessere Wahl zu treffen.

Du siehst also, du hast es perfekt analysiert.

Nun, ich als Gott werde nie in eure Entscheidungen eingreifen – aber ich werde immer wissen, was ihr gewählt habt.

Von daher kannst du davon ausgehen, daß alles, was dir passiert, so auch perfekt ist – denn nichts entkommt der Vollkommenheit in Gottes Welt.

Der Plan deines Lebens und die Menschen, Orte und Ereignisse darin sind alle perfekt vom vollkommenen Schöpfer der Vollkommenheit selbst erschaffen worden: von dir. Und von mir … in dir, als du und durch dich.

Nun können wir in diesem gemeinsamen schöpferischen Prozeß bewußt oder unbewußt zusammenarbeiten. Du kannst dich bewußt oder unbewußt durchs Leben bewegen. Du kannst deinen Weg schlafend oder wach gehen.

Du hast die Wahl.

Warte, kommen wir auf diese Bemerkung von dir zurück, daß wir alle unsere Entscheidungen auf vielen verschiedenen Ebenen treffen. Kannst du das ausführlicher erklären? Was bedeutet das?

WENN DU DIR nichts weiter wünschtest als das, wonach deine Seele verlangt, dann wäre alles sehr einfach. Wenn du auf den Teil in dir hörtest, der nur Seele ist, fielen dir alle deine Entscheidungen leicht und wären alle Resultate von Freude begleitet. Denn die Entscheidungen der reinen Seele sind immer eine Wahl im höchsten und besten Sinn.

Diese Entscheidungen müssen nicht weiter kritisch betrachtet, nicht analysiert oder bewertet werden. Sie brauchen nur befolgt, nur gelebt zu werden.

Aber ihr seid nicht nur Seele. Ihr seid ein dreieiniges Wesen, das aus Körper, Geist und Seele besteht. Das macht eure Herrlichkeit aus und auch das Wunder. Denn oft trefft ihr auf allen drei Ebenen zugleich Entscheidungen – die keinesfalls immer in Einklang miteinander stehen.

Es ist nicht ungewöhnlich, daß euer Körper das eine will, euer Geist etwas anderes und eure Seele ein drittes. Das trifft vor allem auf Kinder zu, die oft noch nicht reif genug sind, um unterscheiden zu können zwischen dem, was für den Körper nach »Vergnügen« klingt und was für den Geist Sinn macht – ganz zu schweigen von dem, was die Saiten der Seele zum Erklingen bringt. Also wandert das Kind auf die Straße.

Nun, als Gott bin ich mir all eurer Entscheidungen bewußt – auch jener, die ihr unterbewußt trefft. Ich werde mich nie in sie einmischen, ganz im Gegenteil. Es ist meine Aufgabe, sicherzustellen, daß ihnen entsprochen wird. (In Wahrheit gewährt ihr das eurem Selbst. Ich habe nur ein System eingerichtet, das euch das ermöglicht. Dieses System nennt man Schöpfungsprozeß und wird in Band 1 im Detail erklärt.) Wenn eure Entscheidungen miteinander in Konflikt stehen – wenn Körper, Geist und Seele nicht einheitlich agieren –, arbeitet der Schöpfungsprozeß auf allen Ebenen und führt gemischte Resultate herbei. Wenn sich dagegen dein Sein in Harmonie befindet und deine Entscheidungen einheitlicher Natur sind, können sich erstaunliche Dinge ereignen.

»Alle beisammenhaben« ist eine gängige Redewendung unter euren jungen Leuten, mit der sich dieser geeinte Seinszustand ganz gut beschreiben läßt.

Innerhalb der Ebenen eurer Entscheidungsprozesse existieren noch weitere Ebenen, was vor allem für den Geist gilt.

Euer Geist kann auf einer von mindestens drei inneren Ebenen eine Wahl treffen und tut es auch: nämlich auf der Ebene der Logik, der Intuition und der Emotion. Manchmal gründet er sich auf alle drei, was das Potential für noch mehr innere Konflikte in sich birgt.

Und innerhalb einer dieser Ebenen, der Emotion, gibt es noch weitere fünf Ebenen. Das sind die fünf natürlichen Emotionen: Kummer, Ärger, Neid, Angst und Liebe.

Innerhalb dieser existieren zwei endgültige Ebenen: Liebe und Angst.

Die fünf natürlichen Emotionen schließen Liebe und Angst mit ein, doch diese beiden bilden das Fundament aller Emotionen. Die anderen drei natürlichen Emotionen gehen aus der Liebe und Angst hervor.

Letztlich speisen sich alle Gedanken aus der Liebe oder der Angst. Das ist die große Polarität. Das ist die Urdualität. Alles läßt sich auf eines von beiden zurückführen. Auf eines von beiden gründen sich alle Gedanken, Ideen, Vorstellungen, Einsichten, Entscheidungen und Handlungen.

Und am Ende gibt es dann wirklich nur noch eines.

Liebe.

In Wahrheit ist Liebe alles, was es gibt. Auch die Angst ist eine Nebenerscheinung der Liebe und bringt, wenn sie effektiv eingesetzt wird, Liebe zum Ausdruck.

Angst drückt Liebe aus?

IN IHRER HÖCHSTEN Form – ja. Alles drückt Liebe aus, sofern es sich um einen Ausdruck in seiner höchsten Form handelt.

Drückt die Mutter, die das Kind davor bewahrt, vom Auto überfahren zu werden, Angst oder Liebe aus?

Nun, beides, nehme ich an. Angst um das Leben des Kindes und Liebe – genug, um zur Rettung des Kindes das eigene Leben zu riskieren.

GENAU. UND HIER sehen wir, daß Angst in ihrer höchsten Form zur Liebe wird … sie ist Liebe … als Angst ausgedrückt.

Ähnlich sind auch die anderen natürlichen Emotionen, Kummer, Ärger und Neid, eine Ausdrucksform von Angst, die wiederum letztlich eine Form von Liebe darstellt.

Eines führt zum anderen. Verstehst du?

Problematisch wird es, wenn eine der fünf natürlichen Emotionen verzerrt wird. Dann werden sie zu etwas Groteskem und sind nicht mehr als eine natürliche Folge der Liebe zu erkennen, geschweige denn als ein Ausdruck Gottes, der die absolute Liebe ist.

Ich habe durch meine wunderbare Verbindung mit Dr. Elisabeth Kübler-Ross schon von diesen fünf natürlichen Emotionen gehört. Sie hat mich darüber belehrt.

RICHTIG. UND ICH war es, der sie dazu inspirierte.

Das heißt also, wenn ich Entscheidungen treffe, hängt viel davon, ab, »woher ich komme«, und dies kann wiederum mehrere Schichten haben.

JA, SO VERHÄLT es sich.

Bitte, sag mir noch mal alles über die fünf natürlichen Emotionen. Ich möchte es gerne noch einmal hören, weil ich viel von dem, was mir Elisabeth beigebracht hat, vergessen habe.

KUMMER (LEID, SCHMERZ) ist eine natürliche Emotion. Er ist der Teil von dir, der dir Abschied zu nehmen erlaubt, wenn du es gar nicht möchtest; es läßt dich die innere Traurigkeit über die Erfahrung irgendeines Verlustes zum Ausdruck bringen, herausdrängen, herausstoßen. Dabei kann es sich um den Verlust einer geliebten Person oder auch einer Kontaktlinse handeln.

Wenn du deinen Kummer zum Ausdruck bringen darfst, wirst du ihn los. Kinder, die traurig sein dürfen, wenn sie traurig sind, haben als Erwachsene ein gesundes Verhältnis zur Traurigkeit und durchlaufen deshalb im allgemeinen ihre Kummerphasen sehr rasch.

Kinder, die ermahnt werden, nicht zu weinen, tun sich als Erwachsene mit dem Weinen schwer. Schließlich wurde ihnen ihr ganzes Leben lang gesagt, daß sie das nicht tun sollen, sie unterdrücken daher ihren Kummer.

Ständig unterdrückter Kummer wird zur chronischen Depression, eine sehr unnatürliche Emotion. Menschen haben wegen chronischer Depression getötet, Kriege wurden begonnen, Nationen gingen unter.

Ärger ist eine natürliche Emotion. Er erlaubt dir »nein danke« zu sagen. Man muß dabei nicht ausfallend werden und braucht auch nie einem anderen Schaden zuzufügen.

Wenn Kinder ihrem Ärger Luft machen dürfen, haben sie als Erwachsene ein sehr gesundes Verhältnis dazu und durchlaufen daher im allgemeinen Phasen des Ärgers sehr rasch.

Kinder, denen das Gefühl vermittelt wird, daß Ärger etwas Negatives ist – daß es falsch ist, ihm Ausdruck zu geben, ja daß sie ihn nicht einmal verspüren sollten –, werden als Erwachsene nur schwer mit ihrem Ärger auf angemessene Weise umgehen können.

Aus ständig unterdrücktem Ärger wird rasende Wut, eine sehr unnatürliche Emotion. Menschen haben in rasender Wut getötet, Kriege wurden begonnen, Nationen gingen unter.

Neid ist eine natürliche Emotion. Sie läßt den Fünfjährigen wünschen, die Türklinke so erreichen zu können wie seine Schwester – oder dieses Fahrrad zu fahren. Neid ist eine natürliche Emotion, die in dir den Wunsch entstehen läßt, es noch mal zu probieren, dich mehr anzustrengen, nicht nachzulassen, bis du Erfolg hast. Neidisch zu sein ist sehr gesund und natürlich. Wenn Kinder ihren Neid zum Ausdruck bringen dürfen, haben sie als Erwachsene eine sehr gesunde Einstellung dazu und durchlaufen deshalb im allgemeinen ihre Neidphasen sehr rasch.

Kinder, denen das Gefühl vermittelt wurde, daß Neid nicht in Ordnung ist – daß es falsch ist, ihm Ausdruck zu geben, ja ihn überhaupt zu verspüren –, werden als Erwachsene nur schwer mit ihrem Neid auf angemessene Weise umgehen können.

Aus ständig unterdrücktem Neid wird Eifersucht, eine sehr unnatürliche Emotion. Menschen haben aus Eifersucht getötet, Kriege wurden begonnen, Nationen gingen unter.

Angst ist eine natürliche Emotion. Alle Babys kommen mit nur zwei Ängsten auf die Welt: mit der Angst vor dem Fallen und der Angst vor lauten Geräuschen. Alle anderen Ängste sind erlernte Reaktionen, die dem Kind durch seine Umwelt und Eltern beigebracht werden. Der Sinn und Zweck der natürlichen Angst ist die Anleitung zu einer gewissen Vorsicht. Vorsicht hilft den Körper am Leben zu erhalten. Sie ist eine natürliche Folge der Liebe, der Selbst-Liebe.

Kinder, denen das Gefühl vermittelt wird, daß Angst etwas Schlechtes ist – daß es falsch ist, sie zu zeigen, ja daß sie nicht einmal verspürt werden sollte –, werden es als Erwachsene schwer haben, mit ihrer Angst auf angemessene Weise umzugehen.

Aus ständig unterdrückter Angst wird Panik, eine sehr unnatürliche Emotion. Menschen haben aus der Panik heraus getötet, Kriege wurden begonnen, Nationen gingen unter.

Liebe ist eine natürliche Emotion. Wenn sie von einem Kind normal und natürlich, ohne Einschränkung oder Vorbedingung, Scham oder Verlegenheit zum Ausdruck gebracht und empfangen werden darf, braucht es nichts weiter. Denn eine solche Liebe ist sich selbst genug. Doch Liebe, die an Bedingungen geknüpft ist, die eingeschränkt, durch Regeln und Vorschriften, Rituale und Restriktionen verbogen, die kontrolliert, manipuliert und zurückgehalten wird, wird unnatürlich.

Kinder, denen das Gefühl vermittelt wird, daß ihre natürliche Liebe nicht in Ordnung ist – daß es falsch ist, sie zum Ausdruck zu bringen, ja sie überhaupt zu verspüren –, werden sich als Erwachsene schwertun, mit der Liebe auf angemessene Weise umzugehen.

Aus ständig unterdrückter Liebe wird Besitzanspruch und Besitzgier. Menschen haben aus Besitzgier getötet, Kriege wurden begonnen, Nationen gingen unter.

Und so kommt es, daß die natürlichen Emotionen, wenn sie unterdrückt werden, unnatürliche Reaktionen bewirken. Und in den meisten Menschen sind die natürlichen Emotionen unterdrückt. Doch sie sind eure Freunde. Sie sind eure Gaben.

Sie sind eure göttlichen Werkzeuge, mit deren Hilfe ihr eure Erfahrungen gestaltet.

Euch werden diese Werkzeuge mit eurer Geburt an die Hand gegeben. Sie sollen euch beim Umgang mit dem Leben helfen.

Warum sind diese Emotionen bei den meisten Menschen unterdrückt?

MAN HAT IHNEN beigebracht, sie zu unterdrücken. Man hat sie dazu ermahnt.

Wer hat das getan?

DIE ELTERN. DIE, die sie erzogen haben.

Warum? Warum sollten sie das tun?

WEIL SIE ES so von ihren Eltern gelernt haben, und diese haben es von ihren Eltern.

Ja, ja. Aber warum? Was passiert da?

WAS PASSIERT, IST, daß die falschen Leute die Aufgaben der Eltern übernehmen.

Was meinst du damit? Wer sind die »falschen Leute«?

DIE MUTTER UND der Vater.

Die Mutter und der Vater sind die falschen Leute für die Kindererziehung?

WENN DIE ELTERN jung sind – ja. In den meisten Fällen – ja.

Tatsächlich ist es ein Wunder, daß so viele von ihnen dabei noch so gute Arbeit leisten.

Niemand ist schlechter für die Kindererziehung ausgerüstet als junge Eltern. Und das weiß übrigens niemand besser als die jungen Eltern.

Die meisten Eltern übernehmen ihre Aufgabe, wenn sie selbst noch sehr wenig Lebenserfahrung haben. Sie sind ja noch kaum der Obhut ihrer eigenen Eltern entwachsen. Sie suchen immer noch nach Antworten, nach Hinweisen.

Sie haben sich noch nicht einmal selbst entdeckt und versuchen nun andere, die noch verletzlicher sind als sie selbst, zur Entdeckung anzuleiten und zu ermuntern. Sie sind noch nicht einmal zu einer Selbstdefinition gelangt und sollen nun andere definieren. Sie versuchen immer noch, mit der grauenhaft falschen Definition, die sie von ihren Eltern gelernt haben, fertig zu werden.

Sie haben noch nicht einmal entdeckt, wer sie sind, und versuchen anderen zu sagen, wer diese sind. Sie stehen unter gewaltigem Druck, es richtig zu machen, und haben doch noch nicht einmal ihr eigenes Leben wirklich im Griff. Also machen sie alles verkehrt – in ihrem eigenen Leben und bei dem ihrer Kinder.

Wenn sie Glück haben, richten sie bei ihren Sprößlingen nicht allzu großen Schaden an. Ihre Nachkommenschaft wird darüber hinwegkommen – aber wahrscheinlich erst, nachdem sie schon einiges an ihre Kinder weitergegeben hat.

Die meisten Menschen erwerben sich die Weisheit, die Geduld, das Verständnis und die Liebe, die es braucht, um wunderbare Eltern sein zu können, erst nach den Jahren ihres aktiven Elterndaseins.

Warum ist das so? Ich verstehe das nicht. Ich sehe, daß deine Beobachtungen auf viele Fälle zutreffen, aber warum ist das so?

WEIL ES NIE so gedacht war, daß die, die in jungen Jahren Kinder bekommen, auch die sind, die die Kinder aufziehen. Die Jahre dieser Aktivität sollten eigentlich erst beginnen, wenn sie bei euch derzeit schon vorbei sind.

Ich verstehe immer noch nicht ganz.

MENSCHEN SIND BIOLOGISCH imstande, Kinder auf die Welt zu bringen, wenn sie selbst noch Kinder sind, und das sind sie – wie die meisten von euch überrascht vernehmen werden – vierzig oder fünfzig Jahre lang.

Menschen sind selbst vierzig oder fünfzig Jahre lang »Kinder«!

UNTER EINEM BESTIMMTEN Gesichtspunkt – ja. Ich weiß, das ist eine für euch schwer verdauliche Wahrheit, aber schau dich um. Vielleicht kann dir das Verhalten deiner Spezies als Beweis dafür dienen.

Die Schwierigkeit ist die, daß ihr in eurer Gesellschaft mit einundzwanzig als »erwachsen« und auf die Welt vorbereitet geltet. Bedenkt man zudem, daß viele von euch von Müttern und Vätern aufgezogen wurden, die anfangs auch nicht viel älter als einundzwanzig waren, kannst du allmählich das Problem erkennen.

Wenn die, die die Kinder bekommen, auch dazu bestimmt wären, die Kinder aufzuziehen, dann setzte das zeugungs- und gebärfähige Alter erst mit fünfzig ein!

Es war so gedacht, daß die Jungen, die einen starken und gutentwickelten Körper haben, die Kinder bekommen. Das Aufziehen der Kinder sollte hingegen den Älteren obliegen, deren Geist stark und gut entwickelt ist.

In eurer Gesellschaft habt ihr darauf bestanden, die, die die Kinder bekommen, auch für deren Erziehung verantwortlich zu machen. Das hat zur Folge, daß das Elterndasein sehr schwierig geworden ist, und die mit der Sexualität verbundenen Energien mit allerlei Komplikationen befrachtet sind.

Äh … könntest du das erklären?

JA. ES HABEN schon viele die Beobachtung gemacht, daß die meisten Menschen nicht wirklich imstande sind, die Kinder dann, wenn sie fähig sind, sie zu bekommen, auch aufzuziehen. Doch nachdem die Menschheit dies entdeckt hatte, hat sie die genau falsche Lösung eingeführt.

Statt den jüngeren Menschen zu erlauben, ihre Sexualität zu genießen und, falls Kinder daraus hervorgehen, die Älteren sie aufziehen zu lassen, ermahnt ihr die jungen Menschen dazu, sich so lange nicht auf Sex einzulassen, bis sie nicht bereit sind, auch die Verantwortung für das Aufziehen der Kinder zu übernehmen. Ihr habt es zu einem »Unrecht« erklärt, wenn sie vor dieser Zeit sexuelle Erfahrungen machen, und auf diese Weise etwas mit einem Tabu belegt, das eigentlich ein wunderbarer Anlaß zum Feiern sein sollte.

Natürlich ist dies ein Tabu, um das sich die Nachkommenschaft wenig kümmert, und das aus gutem Grund: Es ist völlig unnatürlich, sich daran zu halten.

Menschen haben das Verlangen, sich zusammenzutun und zu paaren, sobald ihnen ein inneres Signal sagt, daß sie bereit dazu sind. Das ist die menschliche Natur.

Doch ihre Gedanken über ihre eigene Wesensnatur haben mehr mit dem zu tun, was ihre Eltern ihnen gesagt haben, als mit dem, was sie in ihrem Innern fühlen. Eure Kinder blicken auf euch, damit ihr ihnen sagt, worum es im Leben geht.

Wenn sie also ihre ersten Impulse verspüren, sich heimlich anzugucken, unschuldig miteinander herumzuspielen, die Unterschiede zu erforschen, dann erwarten sie von euch deutliche Signale. Ist dieser Aspekt ihrer menschlichen Natur »gut«? Ist er »schlecht«? Wird er gebilligt? Muß er unterdrückt werden? Zurückgehalten? Gehemmt?

Was die Eltern ihren Kindern über diesen Aspekt ihrer menschlichen Natur erzählen, entspringt allem möglichen: dem, was man ihnen erzählt hat, was ihre Religion sagt, was ihre Gesellschaft denkt – allem außer der natürlichen Ordnung der Dinge.

In der natürlichen Ordnung euer Spezies blüht die Sexualität irgendwann im Alter zwischen neun und vierzehn auf. Ab fünfzehn Jahren ist sie in den meisten Menschen sehr präsent und macht sich stark bemerkbar. Dann beginnt der Wettlauf: Die Kinder machen sich auf, um ihre freudvolle sexuelle Energie auszuleben, und die Eltern gehen dagegen an und wollen sie stoppen.

Die Eltern brauchten in diesem Kampf schon immer allen Beistand, den sie ausfindig machen konnten, weil sie, wie bereits erwähnt, von ihren Sprößlingen forderten, etwas nicht zu tun, das ganz und gar zu ihrer Natur gehört.

Also erfanden die Eltern zur Rechtfertigung ihrer unnatürlichen Forderungen alle möglichen Arten von familiären, kulturellen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Druckmitteln, Restriktionen und Einschränkungen. Die Kinder akzeptierten schließlich, daß ihre Sexualität etwas Unnatürliches ist. Wie kann etwas so Natürliches derart mit Schande besetzt, ständig gestoppt, so kontrolliert, in Schach gehalten, unterdrückt, gezügelt und verleugnet werden?

Nun, ich glaube, du übertreibst hier ein bißchen. Meinst du nicht, daß du übertreibst?

TATSÄCHLICH? WIE WIRKT es sich deiner Meinung nach auf ein vier- oder fünfjähriges Kind aus, wenn die Eltern gewisse Körperteile noch nicht einmal korrekt benennen? Was erzählst du dem Kind darüber, wie behaglich dir bei dieser Sache ist, und wie behaglich sollte seiner Meinung nach ihm dabei sein?

Äh …

JA … »ÄH …«

Nun, »wir gebrauchen diese Worte nun mal nicht«, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Es ist einfach nur so, daß »Pipi« und »Popo« netter klingen.

ES IST EINFACH nur so, daß ihr die tatsächlichen Bezeichnungen dieser Körperteile mit so viel negativem Ballast beladen habt, daß ihr diese Worte bei einer völlig normalen Unterhaltung kaum benutzen könnt.

Wenn die Kinder noch ganz klein sind, wissen sie natürlich nicht, warum ihre Eltern so empfinden, und werden nur mit dem Eindruck, dem oft unauslöschlichen Eindruck, zurückgelassen, daß bestimmte Körperteile »nicht okay« sind, und daß alles, was mit ihnen zu tun hat, peinlich, wenn nicht gar »Unrecht« ist.

Wenn die Kinder dann älter werden und ins Teenageralter kommen, merken sie vielleicht, daß das so nicht stimmt, aber sie werden deutlich über den Zusammenhang von Sexualität und Schwangerschaft aufgeklärt und darüber, daß sie die Kinder, die sie bekommen, auch aufziehen müssen. Nun haben sie einen neuen Grund für ihr Gefühl, daß das Ausleben von Sexualität »Unrecht« ist – und der Kreis schließt sich.

Das hat in eurer Gesellschaft zu Verwirrung und einer ganzen Menge Chaos geführt – was immer die Folge ist, wenn man der Natur ins Handwerk pfuscht.

Ihr habt sexuelle Verstörtheit, Unterdrückung und Scham geschaffen – was zu sexueller Hemmung, Störung und Gewalt geführt hat.

Ihr werdet immer in Dingen gehemmt sein, die euch peinlich sind und in Verlegenheit bringen; ihr werdet immer da verhaltensgestört sein, wo ihr etwas unterdrückt; und ihr werdet immer mit aggressiven Handlungen dagegen protestieren, daß ihr bei etwas Scham empfinden sollt, bei dem ihr, wie ihr in eurern Herzen wißt, nie Scham empfinden solltet.

Dann war Freud auf der richtigen Spur, als er sagte, daß sehr viel von dem Ärger und der Wut, die Menschen empfinden, mit der Sexualität zu tun haben könnten. Tief sitzende Wut darüber, daß man grundlegende und natürliche physische Instinkte, Interessen und Triebe unterdrücken muß.

MEHR ALS EINER eurer Psychiater hat sich dahingehend geäußert. Der Mensch ist wütend, weil er weiß, daß er sich nicht einer Sache schämen sollte, die sich so gut anfühlt – und doch empfindet er Scham und Schuldgefühle.

Erst wird der Mensch wütend auf das Selbst, weil er sich so gut bei etwas fühlt, das ganz offensichtlich »schlecht« sein soll.

Dann, wenn er endlich merkt, daß er getäuscht wurde – daß die Sexualität ein wunderbarer, ehrenhafter und glorioser Bestandteil der menschlichen Erfahrung sein sollte –, wird er wütend auf andere: auf die Eltern, weil sie ihn unterdrückt haben; auf die Religion, weil sie ihn Scham empfinden ließ; auf die Angehörigen des anderen Geschlechts, weil sie ihn herausforderten; auf die ganze Gesellschaft, weil sie Kontrolle über ihn ausgeübt hat.

Schließlich wird er wütend auf sich selbst, weil er sich von all dem hat hemmen lassen.

Viel von dieser unterdrückten Wut floß in der Gesellschaft, in der du jetzt lebst, in den Aufbau von verzerrten moralischen Wertvorstellungen. Es ist eine Gesellschaft, die mit Monumenten, Statuen, Gedenkbriefmarken, Filmen, Bildern und TV-Programmen einige der häßlichsten Gewaltakte der Welt glorifiziert und ehrt, aber einige der schönsten Liebesakte der Welt verbirgt – oder schlimmer noch, herabwürdigt.

Und all das – alles das – entstand durch einen einzigen Gedanken: Die, die die Kinder bekommen, sollen auch allein die Verantwortung dafür tragen, daß sie aufgezogen werden.

Aber wenn die Leute, die die Kinder haben, nicht für deren Erziehung verantwortlich sind, wer ist es dann?

DIE GANZE GEMEINSCHAFT. Wobei den Älteren eine besondere Bedeutung zukommt.

Den Älteren?

BEI DEN FORTGESCHRITTENSTEN Völkern und Gesellschaften ziehen die Älteren die Nachkommenschaft auf, ernähren sie, bilden sie aus und geben ihre Weisheit, Lehren und Traditionen an sie weiter. Ich werde später, wenn wir über einige dieser fortgeschrittenen Zivilisationen sprechen, noch einmal darauf zurückkommen.

In den Gesellschaften, in denen es nicht als »Unrecht« angesehen wird, wenn man in jungen Jahren Kinder bekommt – weil die Stammesältesten sie aufziehen und somit nicht das Gefühl von überwältigender Bürde und Verantwortung entsteht –, kennt man keine sexuelle Unterdrückung und auch keine Vergewaltigungen, Perversionen und soziosexuelle Störungen.

Gibt es solche Gesellschaften auf unserem Planeten?

JA, OBWOHL SIE mehr oder weniger verschwunden sind. Ihr wart bestrebt, sie auszurotten, sie zu integrieren, weil ihr sie für ungesittet und unzivilisiert gehalten habt. In euren sogenannten zivilisierten Gesellschaften werden Kinder (wie auch Ehefrauen und Ehemänner) als Eigentum, als persönlicher Besitz betrachtet, und deshalb müssen die, die die Kinder bekommen, sie auch aufziehen, weil sie sich um ihr »Eigentum« zu kümmern haben.

Dieser Grundgedanke, daß Ehegatten und Kinder ein persönlicher Besitz sind, liegt vielen Problemen eurer Gesellschaft zugrunde.

Wir werden dieses Besitzdenken später untersuchen, wenn wir über die Lebensführung hochentwickelter Wesen sprechen.

Doch zurück zu der Erziehung von Kindern. Welche Menschen sind dann, wenn sie körperlich in der Lage sind, Kinder zur Welt zu bringen, auch emotional wirklich so weit entwickelt, daß sie sie aufziehen können?

In Wahrheit sind die meisten Menschen noch nicht einmal in ihren Dreißigern und Vierzigern dazu ausgerüstet – und es sollte auch nicht von ihnen erwartet werden. Sie sind noch nicht lange genug erwachsen, um tiefe Weisheit an ihre Kinder weitergeben zu können.

Ich habe diesen Gedanken schon früher einmal gehört. Mark Twain soll einmal gesagt haben: »Als ich neunzehn war, wußte mein Vater nichts. Aber als ich fünfunddreißig war, war ich erstaunt, wieviel der alte Mann gelernt hatte.«

DAS HAT ER perfekt ausgedrückt. Eure jüngeren Jahre waren nie für das Lehren, sondern vielmehr für das Sammeln von Wahrheiten gedacht. Wie könnt ihr eure Kinder eine Wahrheit lehren, die ihr nicht gefunden habt!

Das könnt ihr natürlich nicht. Also bringt ihr ihnen die einzige euch bekannte Wahrheit bei – die Wahrheit der anderen.

Die eures Vaters, eurer Mutter, eurer Kultur, eurer Religion.

Alles und jedes außer eurer eigenen Wahrheit. Nach der sucht ihr immer noch.

Und ihr werdet suchen und experimentieren und finden und scheitern und eure Wahrheit, eure Vorstellung von euch selbst gestalten und umgestalten, bis ihr ungefähr ein halbes Jahrhundert auf diesem Planeten verbracht habt.

Dann fangt ihr vielleicht allmählich an, beständig zu werden, euch mit eurer Wahrheit einzurichten. Und die größte Wahrheit, auf die ihr euch wahrscheinlich alle einigen könnt, ist die, daß es gar keine konstante Wahrheit gibt, daß die Wahrheit, wie das Leben selbst, ein wandelbares, ein wachsendes, ein sich entwickelndes Ding ist – und daß gerade, wenn ihr denkt, daß dieser Prozeß sein Ende gefunden hat, es nicht so ist, sondern daß er im Grunde erst anfängt.

Ja, darauf bin ich auch schon gekommen. Ich bin über fünfzig und an diesem Punkt angelangt.

GUT. DU BIST nun ein weiserer Mann. Einer der »Stammesälteren«. Jetzt solltest du Kinder aufziehen. Oder in zehn Jahren, das wäre noch besser. Die Älteren sind es, die die Nachkommenschaft aufziehen sollten – und auch dazu bestimmt waren.

Die Älteren sind es, die etwas über die Wahrheit und das Leben wissen. Darüber, was wichtig und was unwichtig ist. Was mit Begriffen wie Integrität, Ehrlichkeit, Loyalität, Freundschaft und Liebe wirklich gemeint ist.

Ich verstehe, worauf es dir hier ankommt. Es ist schwer zu akzeptieren, aber es ist tatsächlich so, daß viele von uns noch kaum dem Kindesalter entwachsen und »Schüler« geworden sind, wenn wir schon eigene Kinder haben und nun glauben, daß wir sie belehren müssen. Also denken wir, na gut, ich bring' ihnen bei, was meine Eltern mich gelehrt haben.

SO ÜBERTRAGEN SICH die Sünden des Vaters auf den Sohn bis ins siebte Glied.

Wie können wir das ändern! Wie können wir diesem Kreislauf ein Ende setzen?

LEGT DAS AUFZIEHEN der Kinder in die Hände eurer respektierten und geachteten Ältesten. Die Eltern sehen ihre Kinder, wann immer sie wollen, leben mit ihnen, wenn sie das möchten, aber sie sind nicht allein dafür verantwortlich, daß sie gut versorgt und aufgezogen werden. Die ganze Gemeinschaft kümmert sich um die physischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Kinder, wobei die Älteren, was Erziehung und Wertvorstellungen angeht, ihren Beitrag leisten.

Wenn wir später über jene anderen Kulturen im Universum sprechen, werden wir uns auch einige neue Lebensmodelle anschauen. Doch diese Modelle funktionieren nicht im Rahmen eurer gegenwärtigen Lebensstrukturen.

Was meinst du damit?

ICH MEINE, DASS sich nicht nur euer Wesen der Elternschaft auf ein uneffektives Modell gründet, sondern eure ganze Lebensweise.

Noch mal, was meinst du damit?

IHR HABT EUCH voneinander entfernt. Ihr habt eure Familien auseinandergerissen, eure kleineren Gemeinden zugunsten riesiger Städte aufgelöst. In diesen großen Städten leben mehr Menschen, aber weniger Stämme, Gruppen oder Klans, deren Angehörige ihre Verantwortlichkeit auch als Verantwortlichkeit für das Gesamtwesen begreifen. So habt ihr im Grunde keine »Ältesten«, jedenfalls nicht in Reichweite.

Und nicht nur, daß ihr euch von euren Ältesten abgesetzt habt, schlimmer noch, ihr habt sie abgeschoben. Sie zur Randgruppe gemacht, sie ausgegrenzt. Ihnen ihre Kraft genommen. Und ihr hegt sogar Groll gegen sie.

Ja, einige Mitglieder eurer Gesellschaft hegen einen Groll gegen eure Senioren und behaupten, daß sie Schmarotzer sind und Zuwendungen fordern, für die die Jungen bezahlen müssen.

Das ist wahr. Manche Soziologen prophezeien den Ausbruch eines Generationenkriegs. Den älteren Menschen wird vorgeworfen, daß sie mehr und mehr fordern, während sie immer weniger beitragen. Jetzt, da die Generation der vierziger und fünfziger Jahre ins Seniorenalter kommt und die Leute zudem im allgemeinen länger leben, haben wir bei uns auch sehr viel mehr ältere Bürger.

WENN EURE ÄLTEREN nichts beitragen, dann deshalb, weil ihr sie nicht laßt. Ihr verlangt von ihnen, daß sie gerade dann ihren Arbeitsplatz aufgeben und in Rente gehen, wenn sie der Firma etwas wirklich Gutes zukommen lassen könnten. Sie sollen sich dann aus dem aktiven Leben zurückziehen, wenn sie durch ihre Teilnahme etwas Sinn und Verstand in das allgemeine Geschehen bringen könnten.

Nicht nur im Bereich der Elternschaft, sondern auch in der Politik, der Wirtschaft und sogar der Religion, wo die Älteren Fuß fassen konnten, seid ihr zu einer Gesellschaft des Jugendwahns geworden, die die älteren Menschen zum Alteisen wirft.

Ihr seid zu einer singularen statt pluralen Gesellschaft geworden, das heißt zu einer Gesellschaft, die sich aus Einzelwesen statt aus Gruppen zusammensetzt.

Und weil ihr eure Gesellschaft auf das Einzelwesen und die Jugendlichkeit abgestellt habt, habt ihr viel von ihrem Reichtum und ihren Ressourcen verloren. Nun habt ihr beides nicht mehr, und viele von euch leben in emotionaler und psychischer Verarmung und Erschöpfung.

Ich frage dich noch einmal: Gibt es irgendeinen Weg, wie wir diesen Kreislauf beenden können?

ALS ERSTES MÜSST ihr erkennen und euch eingestehen, daß es sich tatsächlich so verhält. Viele von euch leben in der Verleugnung und Verdrängung. Viele von euch tun so, als wäre nichts. Ihr belügt euch selbst, wollt die Wahrheit nicht hören und noch weniger aussprechen.

Auch darüber werden wir später reden, wenn wir einen Blick auf die Zivilisationen höher entwickelter Wesen werfen, weil diese Verweigerung, dieses Nichtbeachten und Nichtzugeben der herrschenden Zustände, keine belanglose Angelegenheit ist. Und wenn ihr die Dinge wirklich ändern wollt, dann hoffe ich, daß ihr euch einfach gestattet, mich zu hören.

Die Zeit ist gekommen, die Wahrheit zu sagen, schlicht und einfach. Bist du bereit?

Bin ich. Deshalb habe ich mich an dich gewandt. So hat dieses ganze Gespräch begonnen.

DIE WAHRHEIT IST oft unbequem. Sie ist nur für die tröstlich, die sie nicht ignorieren möchten. Doch dann ist sie nicht nur tröstlich, sie inspiriert auch.

Für mich ist dieses ganze Gespräch inspirierend. Bitte fahr fort.

ES GIBT GUTE Gründe, optimistisch zu sein. Ich beobachte, daß sich die Dinge allmählich verändern. Innerhalb eurer Spezies wird nun mehr als früher Wert darauf gelegt, Gemeinschaften zu schaffen, Familien aufzubauen. Und mehr und mehr ehrt ihr eure Älteren, gebt ihrem Leben einen Sinn und Wert und bezieht auch Sinn und Wert daraus. Das ist ein großer Schritt in eine sehr nützliche Richtung.

Es zeichnet sich also eine Wende ab. Eure Kultur scheint diesen Schritt getan zu haben. Nun gilt es, von da aus weiterzumachen.

Ihr könnt diese Veränderungen nicht an einem Tag bewerkstelligen. Ihr könnt zum Beispiel nicht euer System der Elternschaft, der Ausgangspunkt dieses Gedankengangs, in einem Satz völlig umkrempeln.

Doch ihr könnt eure Zukunft verändern, Schritt für Schritt.

Die Lektüre dieses Buches ist einer dieser Schritte. Wir werden im Verlauf unseres Gesprächs immer wieder auf viele wichtige Punkte zurückkommen. Diese Wiederholung ist kein Zufall, sondern dient der Nachdrücklichkeit.

Nun hast du um Ideen für den Aufbau eurer Zukunft gebeten.

Laß uns damit beginnen, daß wir uns eure Vergangenheit anschauen.