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Das Leben muß so eine Art Schule sein.
Ich kann mich entsinnen, daß ich jeden Herbst dem Schulbeginn mit Spannung entgegensah – und daß ich es am Ende des Schuljahres kaum erwarten konnte, da wieder rauszukommen.
GANZ GENAU! Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. So ist es. Nur ist das Leben keine Schule.
Ja, ich erinnere mich. Du hast das alles in Band 1 erklärt. Bis dahin dachte ich, das Leben sei eine »Schule« und wir kämen hierher, um »unsere Lektionen zu lernen«. Die damals gewonnene Einsicht, daß das eine falsche Lehre ist, half mir ungeheuer viel.
DAS FREUT MICH. Das ist es, was ich mit dieser Trilogie zu tun versuche – dir Klarheit bringen. Und jetzt ist dir klar, warum und wie die Seele nach dem »Tod« überaus glücklich sein kann, ohne unbedingt je dem »Leben« nachzutrauern.
Aber du hast vorhin eine wichtige Frage gestellt, und auf die sollten wir zurückkommen.
Welche?
DU FRAGTEST: »WENN die Seele im Körper so unglücklich ist, warum verläßt sie ihn nicht einfach?«
Ah ja.
NUN, DAS TUT sie. Und ich meine, nicht nur beim »Tod«. Doch verläßt sie ihn nicht, weil sie unglücklich ist, sondern weil sie sich regenerieren, erfrischen will.
Macht sie das oft?
JEDEN TAG.
Die Seele verläßt den Körper jeden Tagt Wann?
WENN SICH DIE Seele nach anderen, weitreichenden Erfahrungen sehnt. Das findet sie erfrischend.
Und sie verläßt einfach den Körper?
JA. SIE VERLÄSST den Körper ständig. Dauernd. Während deines ganzen Lebens. Deshalb haben wir den Schlaf erfunden.
Die Seele verläßt den Körper, wenn er schläft?
NATÜRLICH. GENAU DAS ist Schlaf.
Die Seele strebt im Verlauf deines Lebens immer wieder nach Erfrischung, nach einem Auftanken, wenn du so willst, damit sie weiter in diesem Träger, den ihr Körper nennt, herumtapsen kann.
Meinst du, das Wohnen in deinem Körper ist für deine Seele leicht? Das ist es nicht! Es mag einfach sein, aber leicht ist es nicht. Es ist das Schwierigste, was deine Seele je unternommen hat!
Die Seele, die eine dir unvorstellbare Leichtigkeit und Freiheit kennt, sehnt diesen Seinszustand wieder herbei, so wie ein Kind, das gerne zur Schule geht, die Sommerferien herbeisehnen kann. So wie sich ein Erwachsener, der gerne Leute um sich hat, sich auch nach dem Alleinsein sehnen kann. Die Seele trachtet nach einem wahren Seinszustand. Sie ist Leichtigkeit und Freiheit. Sie ist auch Friede und Freude. Sie ist auch Grenzenlosigkeit und Schmerzlosigkeit; vollkommene Weisheit und vollkommene Liebe.
Sie ist all diese Dinge und mehr. Doch während sie mit dem Körper zusammen ist, erfährt sie ausgesprochen wenig von all dem. Und deshalb hat sie eine Vereinbarung mit sich selbst getroffen. Sie bleibt im Körper, solange es nötig ist, um sich selbst als das, was sie nun wählt, zu erschaffen und zu erfahren – aber nur, wenn sie den Körper verlassen kann, wann immer sie das möchte!
Das macht sie täglich mittels der Erfahrung, die ihr Schlaf nennt.
»Schlaf« ist die Erfahrung der den Körper verlassenden Seele?
JA.
Ich dachte, wir schlafen ein, weil der Körper eine Erholungspause braucht.
DU IRRST DICH. Es verhält sich umgekehrt. Die Seele möchte die Erholungspause und bringt den Körper zum »Einschlafen«.
Die Seele läßt den Körper buchstäblich fallen (manchmal da, wo er gerade steht), wenn sie die mit ihm verbundenen Begrenzungen, die Schwere und den Mangel an Freiheit satt hat.
Sie verläßt den Körper einfach, wenn sie »auftanken« will; wenn sie all der Unwahrheiten, falschen Realität und eingebildeten Gefahren überdrüssig ist und wenn sie wieder einmal Bestätigung, Ruhe und geistige Wiedererweckung erfahren möchte.
Wenn sich die Seele zum erstenmal mit einem Körper verbindet, findet sie diese Erfahrung außerordentlich schwierig. Es ist sehr ermüdend, vor allem für eine neu angekommene Seele.
Deshalb schlafen Babys soviel.
Wenn sie ihren ersten Schock über ihre neuerliche Anbindung an einen Körper überwunden hat, erhöht sich allmählich ihre Toleranzschwelle. Sie bleibt mehr bei ihm.
Gleichzeitig tritt der von euch Geist genannte Teil ins Vergessen ein – so wie es ja geplant war. Auch die Ausflüge der Seele aus dem Körper, die sie nun weniger häufig, aber doch täglich unternimmt, bringen den Geist nicht immer dazu, sich wieder zu erinnern.
Tatsächlich kann es vorkommen, daß die Seele in diesen Zeiten frei, aber der Geist verwirrt ist. Dann fragt sich die Wesenheit vielleicht: »Wo bin ich? Was erschaffe ich hier?« Das kann zu wechselvollen, ja zu beängstigenden Reisen führen.
Ihr nennt solche Trips »Alpträume«.
Manchmal geschieht auch das genaue Gegenteil. Die Seele gelangt zu einem Ort großartiger Erinnerung, wodurch der Geist neu erweckt wird. Das erfüllt ihn mit Frieden und Freude – und ihr spürt das nach der Rückkehr in eurem Körper.
Je mehr dein Gesamtwesen die Stärkung durch diese Auffrischungen erfährt – und je mehr es sich daran erinnert, was es tut und mit dem Körper zu tun versucht –, desto weniger entscheidet sich die Seele für ein Fernbleiben vom Körper, denn nun weiß sie, daß sie sich aus einem Grund und mit einer bestimmten Absicht mit dem Körper verbunden hat. Sie hat den Wunsch, hier voranzukommen und die Zeit, die ihr noch mit dem Körper verbleibt, bestmöglich zu nutzen.
Eine Person, die über große Weisheit verfügt, braucht wenig Schlaf.
Meinst du damit, daß man den Entwicklungsstand einer Person an ihrem Schlafbedürfnis ablesen kann?
JA, DAS KÖNNTE man fast so sagen. Manchmal verläßt eine Seele den Körper aber auch um der bloßen Freude willen. Sie strebt dann vielleicht keine Erweckung des Geistes oder Regenerierung des Körpers an. Sie will möglicherweise nur die reine Ekstase der Erfahrung des Einsseins wiedererschaffen. Von daher kann man also nicht grundsätzlich sagen, daß eine Person um so weniger entwickelt ist, je mehr sie schläft.
Dennoch ist es kein Zufall, wenn Wesen, die sich mehr und mehr bewußt werden, was sie mit ihren Körpern machen – und daß sie nicht ihr Körper sind, sondern das, was sich ihrem Körper zugesellt hat –, willens und fähig werden, mehr und mehr Zeit mit ihrem Körper zu verbringen und so anscheinend weniger Schlaf brauchen.
Manche Wesen treffen sogar die Wahl, beides zugleich zu erfahren: das Vergessen, das die Verbindung mit dem Körper mit sich bringt, und das Einssein der Seele. Sie können einen Teil von sich so trainieren, daß er sich, während sie noch mit dem Körper zusammen sind, nicht mit dem Körper identifiziert und so die Ekstase des Wissens, wer sie wirklich sind, erleben, ohne dabei den menschlichen Wachzustand aufgeben zu müssen.
Wie können sie das? Wie kann ich das machen?
ES IST EINE Frage des Gewahrseins, des Erreichens eines Zustands totaler Bewußtheit, wie ich schon früher sagte. Du kannst nicht durch Tun in diesen Zustand gelangen, du kannst nur total bewußt sein.
Wie? Wie? Es muß doch irgendwelche Hilfsmittel geben, die du mir nennen kannst.
TÄGLICHE MEDITATION IST eines der besten Hilfsmittel, um diese Erfahrung zu erschaffen. Auf diesem Wege kannst du eine Lebensenergie in das höchste Chakra leiten … und sogar im Wachzustand deinen Körper verlassen.
In der Meditation versetzt du dich in einen Zustand der Bereitschaft, totale Bewußtheit zu erfahren, während dein Körper wach ist. Diesen Zustand der Bereitschaft nennt man echte Wachheit. Du mußt nicht in Meditation sitzen, um das zu erfahren. Die Meditation ist ein gutes Hilfsmittel, ein Instrument. Aber du mußt dafür nicht sitzen und meditieren.
Auch solltest du wissen, daß es noch andere Formen von Meditation gibt. Es gibt auch die Meditation beim Innehalten, beim Gehen, beim Tun, bei der sexuellen Aktivität.
Das ist der Zustand der echten Wachheit.
Wenn du in diesem Zustand innehältst, dann bleib einfach wie angewurzelt stehen, geh nicht weiter, hör auf zu tun, was du gerade tust, bleib für einen Moment ruhig und sei einfach da, wo du gerade bist. Du wirst genau zu dem, wo du gerade bist.
Dieses Innehalten, und sei es auch nur für einen Moment, kann ein Segen sein. Schau dich langsam um, und du wirst Dinge wahrnehmen, die du im Vorübergehen nicht bemerkt hast. Den würzigen Geruch der Erde nach einem Regenschauer. Die Haarlocke über dem linken Ohr deiner Geliebten. Das wahrhaft gute Gefühl, ein Kind spielen zu sehen.
Du brauchst deinen Körper nicht zu verlassen, um das zu erfahren. Das ist der Zustand der echten Wachheit.
Wenn du in diesem Zustand gehst, atmest du in jede Blume, fliegst du mit jedem Vogel, fühlst du jedes Knirschen unter deinen Füßen. Du findest Schönheit und Weisheit. Denn Weisheit findet sich, wo immer Schönheit zur Form gelangt. Und Schönheit gelangt überall zur Form, gestaltet sich aus allem Stoff des Lebens. Du brauchst nicht danach zu suchen. Es kommt auf dich zu.
Und du brauchst deinen Körper nicht zu verlassen, um das zu erfahren. Das ist der Zustand echter Wachheit.
Wenn du in diesem Zustand etwas tust, verwandelst du jede Aktivität in Meditation und somit in ein Geschenk, in eine Opfergabe – von dir an deine Seele und von deiner Seele an das Alles. Beim Geschirrspülen genießt du die Wärme des Wassers, das deine Hände umschmeichelt, und bestaunst das Wunder des Wassers und der Wärme. Bei der Arbeit am Computer siehst du die Worte in Reaktion auf die Befehle deiner Finger auf dem Bildschirm erscheinen und freust dich über die Kraft des Geistes und des Körpers, die deinem Willen gehorchen.
Beim Kochen fühlst du die Liebe des Universums, die dir diese Nahrung gebracht hat, und du erwiderst dieses Geschenk und steckst die ganze Liebe deines Wesens in die Zubereitung dieses Mahls. Es spielt keine Rolle, wie ausgefallen oder einfach es ist. Suppe kann durch Liebe zur Köstlichkeit werden.
Du brauchst nicht deinen Körper zu verlassen, um das zu erfahren. Das ist der Zustand echter Wachheit.
Wenn du in diesem Zustand Sex hast, dann weißt du um die höchste Wahrheit von Wer-du-Bist. Das Herz deiner oder deines Geliebten wird dein Zuhause. Ihr oder sein Körper wird zu dem deinen. Deine Seele bildet sich nicht mehr ein, von irgend etwas getrennt zu sein.
Du brauchst nicht deinen Körper zu verlassen, um das zu erfahren. Das ist der Zustand echter Wachheit.
Wenn du im Zustand der Bereitschaft bist, bist du in der Wachheit. Ein Lächeln kann dich dorthin bringen. Ein einfaches Lächeln. Laß einfach alles sein, halte inne für einen Moment und lächle. Über nichts. Nur weil es sich gut anfühlt. Nur weil dein Herz ein Geheimnis weiß. Und weil deine Seele weiß, was das für ein Geheimnis ist. Lächle darüber. Lächle viel. Es wird heilen, was immer dich quält.
Du bittest mich um Hilfsmittel, und ich gebe sie dir.
Atme. Das ist ein weiteres Hilfsmittel. Mach lange und tiefe Atemzüge. Atme langsam und sanft. Atme das weiche süße Nichts des Lebens ein, so voller Energie, so voller Liebe. Es ist Gottes Liebe, die du ein- und ausatmest. Atme tief, und du kannst sie fühlen. Atme sehr, sehr tief, und die Liebe wird dich zum Weinen bringen.
Aus Freude.
Denn du bist deinem Gott begegnet, und dein Gott hat dich zu deiner Seele geleitet.
Wer eine solche Erfahrung einmal gemacht hat, für den ist das Leben nie wieder dasselbe. Menschen sprechen davon, »auf dem Gipfel« oder in vollkommener Ekstase gewesen zu sein.
Ihr Seinswesen hat sich für immer verändert.
Ich danke dir. Ich verstehe. Es sind die einfachen Dinge. Die einfachsten Handlungen und die reinsten.
JA. ABER DU sollst wissen, daß manche Menschen jahrelang meditieren und dies nie erleben. Es hat damit zu tun, wie offen jemand ist, wie bereitwillig. Und auch, wie sehr jemand sich von jeglichen Erwartungen fernhalten kann.
Sollte ich jeden Tag meditieren?
WIE BEI ALLEN Dingen gibt es auch hier kein »du solltest« oder »du solltest nicht«. Es geht nicht um die Frage, was du tun solltest, sondern was zu tun du wählst.
Manche Seelen streben danach, ihren Weg in Gewahrsein und Bewußtheit zu gehen. Manche erkennen, daß die meisten Menschen in diesem Leben schlafwandeln, unbewußt sind.
Sie gehen ohne Bewußtsein durchs Leben. Doch Seelen, die sich für die Bewußtheit entscheiden, wählen einen anderen Pfad. Sie gehen einen anderen Weg.
Sie sind bestrebt, allen Frieden und alle Freude, Grenzenlosigkeit und Freiheit, Weisheit und Liebe zu erfahren, die das Einssein mit sich bringt, nicht nur, wenn sie den Körper »fallen« ließen und er eingeschlafen ist, sondern auch, wenn sie den Körper erweckt haben.
Von einer Seele, die eine solche Erfahrung erschafft, sagt man:
»Sie ist erweckt.«
Andere aus der sogenannten New-Age-Szene sprechen hier von einem Prozeß der »Bewußtseinserweiterung«.
Es spielt keine Rolle, welchen Begriff du benutzt – Worte sind die am wenigsten verläßliche Kommunikationsform. Es läuft alles darauf hinaus, daß du in Bewußtheit lebst. Und dann wird sie zur totalen Bewußtheit.
Und was ist es, dessen du dir schließlich total bewußt wirst?
Du wirst dir schließlich total bewußt, wer du bist.
Tägliche Meditation ist eine Möglichkeit, wie du das erreichen kannst. Doch das erfordert Engagement, Hingabe – eine Entscheidung, nach der inneren Erfahrung zu streben, nicht nach äußerem Lohn.
Und denk daran, die Stille birgt die Geheimnisse. Und so ist der süßeste Klang der Klang der Stille. Das ist das Lied der Seele.
Wenn du an das Lärmen der Welt glaubst statt an die Stille der Seele, bist du verloren.
Also ist die tägliche Meditation eine gute Idee.
EINE GUTE IDEE? Ja. Aber nimm noch einmal zur Kenntnis, was ich hier gerade sagte. Das Lied der Seele kann auf viele Weisen gesungen werden. Der süße Klang der Stille kann oft und vielfältig vernommen werden.
Manche hören die Stille im Gebet. Manche singen das Lied in ihrer Arbeit. Manche suchen die Geheimnisse in stiller Kontemplation, andere in einer weniger kontemplativen Umgebung.
Wenn die Meisterschaft erlangt ist – oder auch nur eine periodische Erfahrung ist –, kann der Lärm der Welt selbst inmitten all des Getöses verstummen, können die Ablenkungen zum Schweigen gebracht werden. Alles Leben wird dann zur Meditation.
Alles Leben ist Meditation, in der du das Göttliche betrachtest. Das wird echte Wachheit oder Achtsamkeit genannt.
Alles im Leben ist, wenn es so erfahren wird, gesegnet. Es gibt keine Kämpfe und Schmerzen und Sorgen mehr. Es gibt nur die Erfahrung, die du benennen kannst, wie immer du möchtest. Du kannst dich dazu entscheiden, das alles als Vollkommenheit zu bezeichnen.
Also nutze dein Leben und alle Ereignisse darin als eine Meditation. Geh in Wachheit, nicht als einer, der schläft. Bewege dich mit Achtsamkeit, nicht achtlos, und verweile nicht in Zweifeln und Ängsten, nicht in Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, sondern lebe in permanentem hellen Glanz und in der Sicherheit, daß du zutiefst geliebt bist. Du bist immer eins mit mir. Du bist immer und ewig willkommen. Willkommen zu Hause.
Denn dein Zuhause ist in meinem Herzen und das meine in dem deinen. Ich lade dich ein, das in deinem Leben zu erkennen, so wie du es ganz sicher in deinem Tod erkennen wirst.
Dann wirst du wissen, daß es keinen Tod gibt und daß das, was ihr Leben und Tod nennt, beides Teile derselben nie endenden Erfahrung sind.
Wir sind alles, was ist, alles, was je war, und alles, was je sein wird, Welt ohne Ende.
Amen.