9. KAPITEL

Bei Sonnenschein und in bester Laune öffnete Shelby am Montagmorgen die Tür von »Calliope«. Allerdings hätte es ihre Stimmung auch nicht beeinflusst, wenn ein Monsun durch die Straßen gefegt wäre. Sie dachte glücklich an den langen, faulen Sonntag, den sie mit Alan verbracht hatte.

Shelby setzte sich hinter den Ladentisch, die Morgenzeitung lag vor ihr. Wie üblich las sie zuerst die vergnügliche Seite mit den Karikaturen. Treffend und überaus witzig! Sie lachte laut und hoffte, dass der Vizepräsident an diesem schönen Tag seinen Sinn für Humor nicht zu Hause vergessen hatte.

Aus Erfahrung wusste sie, dass die meisten Menschen im Rampenlicht nichts gegen diese Art von Publizität einzuwenden hatten, wenn es nicht zu schlimm wurde. Gezeichnet war die Spalte mit G. C., wodurch der Autor sich eine gewisse Anonymität bewahrte. Sicherlich hatte Grant das auch nötig, er traf zu oft in Schwarze.

Mir liegt es nicht, dachte Shelby. Ich sage meine Meinung lieber offen und frei heraus.

Nach wenigen Minuten verdunkelte sich die Tür, und Maureen Francis stand im Laden.

»Hallo!« Shelby schob die Zeitung beiseite. Die Architektin war wieder sehr gepflegt und nach der letzten Mode gekleidet. »Sie schauen fabelhaft aus.« Shelby bewunderte neidlos das schicke Kostüm der jungen Frau.

»Guten Tag.« Maureen stellte einen Aktenkoffer auf dem Ladentisch ab. »Ich möchte meine Töpfe mitnehmen und mich bedanken.«

»Fein, ich hole die Kartons.« Shelby verschwand im Hintergrund, wo Kyle verpackte Sachen verwahrte. »Wofür bedanken?«

»Für die Empfehlung.« Maureen schaute neugierig um die Ecke in Shelbys Werkstatt. »Das ist ja großartig!«, rief sie überrascht aus und bestaunte die Arbeitsscheibe und die vollen Regale. »Es würde mich brennend interessieren, Sie einmal beobachten zu dürfen.«

»Mittwochs oder samstags – und wenn ich in rechter Stimmung bin. Dann zeige ich Ihnen, wie es gemacht wird.«

»Darf ich Sie etwas Dummes fragen?«

»Natürlich.« Shelby sah erstaunt auf. »Drei dumme Fragen pro Woche sind erlaubt.«

Maureen deutete mit der Hand auf den Laden und die Werkstatt. »Wie schaffen Sie das alles allein? Ich weiß recht gut, wie schwer es ist, sich selbstständig zu machen. Sie sind dazu noch künstlerisch tätig … Woher nehmen Sie die Zeit? Das Kaufmännische muss schließlich auch erledigt werden.«

»So dumm ist Ihre Frage gar nicht«, erwiderte Shelby. »Aber ich erhole mich bei dem einen vom anderen. Hier bin ich allein. Dort«, sie wies auf den Verkaufsraum, »habe ich Gesellschaft. Es gefällt mir, mein eigener Herr zu sein. Geht es Ihnen nicht ähnlich? Sonst wären Sie sicher noch immer in Lohn und Brot in Chicago.«

»Oh ja. Trotzdem gibt es manchmal noch Tage, an denen ich mich am liebsten in die Sicherheit einer festen Anstellung zurückflüchten möchte.« Maureen musterte Shelby von der Seite. »Haben Sie nie solche Anwandlungen?«

»Ach wissen Sie, ich betrachte mein geschäftliches Risiko mit einem gewissen Vergnügen. Aber darüber hinaus bin ich fest davon überzeugt, dass irgendwo irgendwer ein Netz gespannt hat und mich auffängt, wenn ich stürzen sollte.«

Maureen lachte. »So kann man es auch sehen. Genieße und vertraue deinem guten Stern.«

»Ja, so ungefähr meine ich es.« Shelby reichte Maureen den ersten Karton, die zwei anderen klemmte sie sich selbst unter die Arme. »Hat Myra Ihnen geholfen? Das meinten Sie doch.«

»Ja. Ich rief sie an und erwähnte Ihren Namen. Sofort hat sie mich für heute zum Brunch eingeladen.«

»Myra trödelt nicht«, stellte Shelby zufrieden fest und pustete ihren Pony aus den Augen. »Sagen Sie mir auch Bescheid, was dabei herauskommt?«

»Selbstredend«, versprach Maureen. »Ich finde es fantastisch, dass Sie mir helfen wollen.«

»Wenn Sie wirklich gut sind …« Shelby zuckte mit den Schultern und schrieb die Quittung aus. »Aber erst einmal abwarten, Myra ist eine harte Nuss.«

»Das macht nichts.« Maureen holte ihr Scheckbuch hervor. »Ich möchte schrecklich gern wissen, wie es mit Senator MacGregor ausgegangen ist, obwohl es mich überhaupt nichts angeht. Erst später ist mir eingefallen, wer der Mann war. Ich hielt ihn für einen normalen liebeskranken Verrückten.«

Shelby gefiel diese etwas paradoxe Bezeichnung gut. »Er ist ein Dickkopf«, erwiderte sie und reichte Maureen den Karton. »Glücklicherweise.«

»Das freut mich. Es gibt wenig Männer, die etwas von einem Glücksbringer verstehen. Vielleicht schau ich tatsächlich mal bei Ihnen rein, wenn Sie arbeiten.«

Als Maureens kleines Auto um die Ecke verschwunden war, ging Shelby langsam und nachdenklich in ihre Werkstatt zurück und betrachtete sinnend die kraterförmige grüne Schale. Sie beschloss, dass Gefäß als Überraschung für Alan einzupacken.

Alan trug an diesem Morgen noch immer die Erinnerung an das Gespräch vom Samstag mit sich herum. Leos Worte hatten ihm klargemacht, dass er mehr im Mittelpunkt des Interesses stand, als ihm lieb war. Zum ersten Mal seit langer Zeit fiel es ihm schwer, sich auf die Fragen der Reporter zu konzentrieren, die wie üblich sein Büro belagerten.

»Senator!« Die Sekretärin sprang auf, als er eintrat. »Das Telefon läutet ununterbrochen.« Sie lief mit ihrem Block hinter Alan her und las ihm vor, wer angerufen hatte.

»Später.« Er schloss seine Tür mit Nachdruck. Zehn Minuten wollte er für sich selbst haben, seine Gedanken ordnen und zu Atem kommen.

Er trat an das große Fenster und sah hinaus. Die weißen Türme des Kapitols grüßten herüber, und auf dem Platz davor leuchteten bunte Blumen in großen runden Pflanzschalen. Man hatte sie nach dem Bombenattentat dorthin gestellt, als freundliche, aber wirkungsvolle Absperrung.

Wie verschieden ist das menschliche Sinnen und Trachten! Die einen geben ihr Bestes, um eine heile Welt aufzubauen, und andere wiederum denken nur an Zerstörung. Wenn ich, wie sich Leo ausdrückte, meinen Hut in den Ring werfen würde, wäre es mein täglich Brot, mich damit auseinanderzusetzen. Wie lange kann ich diese Entscheidung noch hinausschieben? Noch drängte die Zeit nicht, wenigstens in dieser Hinsicht.

Anders verhielt es sich auf rein privater Ebene. Er musste Shelby gegenüber Farbe bekennen. Nicht nur Namen, Heim und Familie musste sie mit ihm teilen, sondern eventuell auch den Präsidentensessel. Damit wäre auch ein Teil von ihrem Leben dem Land und den damit verbundenen Verpflichtungen versprochen.

Eine Trennung von Shelby würde für ihn nie mehr infrage kommen. Sie war seine Frau, eine Eheschließung konnte nur noch die formelle Bestätigung dieser Tatsache sein. Allerdings musste er Shelby davon erst überzeugen.

Als auf seinem Schreibtisch die Lampe aufleuchtete, war Alan ungehalten über diese Unterbrechung. Kaum fünf der geforderten zehn Minuten waren vergangen. Ärgerlich hob er den Hörer ab. »Ja?«

»Tut mir leid, Senator, aber es ist Ihr Herr Vater.«

Alan verzog das Gesicht. Auch das noch. »Also gut, Arlene, ich nehme das Gespräch. Und seien Sie nicht böse, aber heute ist der Teufel los.«

Sofort wurde ihr Ton freundlicher. »Ist schon in Ordnung. Mr. MacGregor ist etwas … aufgeregt.«

»Sie sollten sich beim diplomatischen Corps bewerben, Arlene.«

Sie lachte, dann stellte sie das Gespräch durch.

»Hallo, Dad!«

»Soso! Am Leben bist du also noch.« Die tiefe, grollende Stimme klang ironisch. »Deine Mutter und ich glaubten schon, dir sei etwas Ernsthaftes zugestoßen.«

Alan verbiss sich das Lachen. »Wie recht du hast. Neulich habe ich mich beim Rasieren geschnitten. Wie geht es dir?«

»Er fragt, wie es mir geht!« Daniel MacGregor schickte einen Seufzer durch den Draht, der jedem leidgeprüften Vater alle Ehre gemacht hätte. »Mich wundert, dass du überhaupt weißt, wer ich bin. Aber darum geht es nicht. Deine Mutter macht sich Sorgen um ihren Ältesten.«

Alan lehnte sich zurück und hörte sich die folgenden Sätze mit geteilter Aufmerksamkeit an. Man musste seinen Vater ausreden lassen, das wusste er aus Erfahrung. Schließlich gelang es ihm, nach der Mutter zu fragen. »Ist sie da?«

»Sie musste zu einem Notfall ins Krankenhaus.«

Alan wusste ganz genau, dass sein Vater nur auf diese günstige Gelegenheit gewartet hatte, um ungestört seine Meinung sagen zu können. Anna MacGregor brauchte nämlich ihren Mann nicht, wenn sie mit ihren Kindern sprechen wollte.

»Und was macht Rena, die zukünftige Mom?«, warf Alan ein.

»Da du zum Wochenende hier erwartet wirst, kannst du das selbst sehen«, wurde er informiert. »Deine Geschwister wollten, dass die Familie sich vollzählig treffen soll. Justin und Diana kommen auch.«

»Da hast du ja allerhand zu tun gehabt«, murmelte Alan.

»Was sagst du? Sprich deutlicher.«

»Ich sagte, dass dann ja allerhand Unruhe auf dich zukommt.«

»Um deiner Mutter willen kann ich meine Ruhe schon einmal opfern. Sie macht sich viel zu viele Gedanken um ihre Kinder, besonders um dich, weil du allein lebst, ohne Frau und Familie. Schließlich bist du der älteste Sohn«, Daniel MacGregor genoss sein Lieblingsthema, »und immer noch Junggeselle. Deine jüngeren Geschwister sind beide verheiratet. Aber du verbringst deine Zeit mit Herumflirten, anstatt dir deiner Pflicht bewusst zu werden, was die Fortführung der MacGregor’schen Linie angeht.«

Alans Laune wurde zusehends besser. Er lächelte sogar. »Was das angeht, kannst du dich eigentlich nicht beklagen. Vielleicht kriegt Rena ja sogar Zwillinge.«

»So!« Daniel MacGregor dachte kurz nach. Möglich wäre das allerdings. Es hatte schon verschiedene Zwillingsgeburten in der Familie gegeben. Im Anschluss an das Gespräch würde er gleich die Chronik daraufhin nachlesen. Schnell fuhr er fort: »Wir erwarten dich also am Freitagabend.« Er zog tief an der verbotenen Zigarre, dann legte er von Neuem los. »Was ist an den merkwürdigen Geschichten dran, die man in den Zeitungen findet?«

Alan stellte sich unwissend. »Kannst du nicht deutlicher werden?«, fragte er scheinheilig.

»Vielleicht – hoffentlich! – war es nur eine Zeitungsente. Ich sollte doch eigentlich meinem eigenen Fleisch und Blut vertrauen können.«

»Ich verstehe dich immer noch nicht.« Natürlich wusste Alan ganz genau, woher der Wind wehte. Aber das Gespräch war zu schön, um nicht ausgekostet zu werden.

»Als ich las«, dröhnte die väterliche Stimme mit vorwurfsvollem Unterton durch den Hörer, »dass mein Sohn und Erbe seine Zeit damit verbringt, mit einem Spross der Campbells zu fraternisieren, hielt ich das selbstverständlich für einen Druckfehler. Wie heißt das Mädchen?«

Beinahe tat der Vater ihm leid. Alan wusste, dass er ihm wehtun würde. »Welches Mädchen?«, wich er aus.

»Verdammt noch mal, Junge, halte mich nicht für dumm! Die hübsche Rothaarige natürlich, die wie ein Elfenkind aussieht. Sie ist gut gebaut und hält sich gerade. Viel mehr ist auf dem Bild ja nicht zu erkennen.«

»Shelby«, antwortete Alan und legte eine Pause ein. »Shelby Campbell.«

Totale Stille. Alan machte sich auf allerlei gefasst. Hoffentlich vergisst er nicht, wieder Luft zu holen, dachte er. Schade, dass ich sein altes Seeräubergesicht nicht beobachten kann.

»Campbell!« Das Wort explodierte in Alans Ohr. »Eine diebische, mörderische Campbell also.«

»Ja, Vater, ihre Meinung von den MacGregors ist ähnlich schmeichelhaft.«

»Keiner meiner Söhne wird einem Angehörigen des Campbell-Clans auch nur Guten Tag wünschen.« Daniel MacGregors Stimme überschlug sich fast. »Ich werde dich persönlich verprügeln, Alan Duncan MacGregor!« Diese Drohung hatte seit mehr als fünfundzwanzig Jahren keine Bedeutung mehr, aber die Lautstärke war gleich geblieben. »Das Fell zieh ich dir über die Ohren!«

»Du wirst die Chance dazu bekommen, wenn ich zum Wochenende mit Shelby anreise.«

»Eine Campbell in meinem Haus – ha!«

»Ganz richtig, eine Campbell in deinem Haus.« Alan regte sich überhaupt nicht auf. »Und eine Campbell in deiner Familie noch vor Jahresende, wenn es nach meinen Wünschen geht.«

»Du …« Gefühle recht gegensätzlicher Art kämpften in Daniel MacGregor. Einerseits war es sein Herzenswunsch, den ältesten Sohn verheiratet und als Familienvater zu erleben. Andererseits … »Du denkst ernsthaft daran, eine Campbell zur Frau zu nehmen?«

»Ja, ich habe sie auch schon gefragt. Aber vorläufig will sie mich noch nicht haben.«

»Sie will nicht? Das wird ja immer schöner! Was für ein hirnloses Geschöpf muss das sein! Typisch Campbell«, brummte er. »Sind alles dumme Heiden.« Zauberei war nach seiner Ansicht nicht unbedingt auszuschließen. »Wahrscheinlich hat sie dich verhext. Du hattest doch sonst immer deine Sinne beieinander. Also gut, bring dieses Campbell-Mädchen zu mir«, entschied er schließlich. »Der Sache will ich auf den Grund gehen.«

Nur mit Mühe konnte Alan das Lachen unterdrücken. Seine gute Laune war vollkommen wiederhergestellt. »Ich werde sie fragen.«

»Fragen? Was soll das denn heißen? Du bringst sie her, das ist ein Befehl.«

Alan stellte sich Shelby und seinen Vater zusammen vor und entschied, dass er dieses Erlebnis nicht für zwei Drittel der Wählerstimmen missen wollte. »Bis Freitag also, Dad. Und grüß Mutter von mir.«

»Freitag, geht in Ordnung.«

Alan legte den Hörer auf. Vater wird jetzt ärgerlich seine Hände aneinanderreiben und sehnsüchtig auf Mutters Rückkehr warten. Das verspricht ein höchst interessantes Wochenende zu werden. Wenn Shelby einverstanden ist.

Am Spätnachmittag parkte Alan seinen Wagen vor Shelbys Haus. Zehn Stunden konzentrierter Arbeit lagen hinter ihm. Er war müde und abgespannt, doch als Shelby ihm die Tür öffnete, verspürte er davon nichts mehr.

Sie sah die Linien in seinem Gesicht und die Schatten um seine Augen. »War es ein schlimmer Tag für die Demokratie?«, fragte sie, nahm seinen Kopf in die Hände und küsste ihn zärtlich.

»Lang war er zumindest.« Alan zog Shelby an sich. Von dieser Art der Begrüßung würde er nie genug bekommen. »Tut mir leid, dass es spät geworden ist.«

»Jetzt bist du hier, das ist die Hauptsache. Einen Drink?«

»Keine schlechte Idee.«

»Dann komm, ich werde dir für ein paar Minuten häusliche Eigenschaften vorgaukeln.« Sie führte Alan zum Sofa, knotete ihm den Schlips auf und löste den Kragen. Dann zog sie ihm die Schuhe von den Füßen.

Er beobachtete Shelbys Bemühungen sehr wohlgefällig. »Daran könnte ich mich gewöhnen«, meinte er.

»Das rate ich dir nicht«, wehrte Shelby ab und ging an die Hausbar. »Vielleicht findest du mich beim nächsten Mal total erschöpft und pflegebedürftig vor.«

»Dann kann ich dich umsorgen«, bot Alan sofort an und nahm dankbar den Scotch entgegen.

Shelby hockte sich zu ihm. »Das brauchte ich«, sagte sie.

»Den Drink?«

»Dummerchen – dich.« Alan küsste sie gründlich. »Nur dich. Berichtest du mir jetzt von deinem Ärger im Büro?«

Alan ließ den scharfen Whisky langsam über seine Zunge gleiten. »Ich hab’s schon vergessen. Wie war dein Tag? Was machen die Geschäfte?«

»Ruhig am Morgen und hektisch am Nachmittag. Eine Gruppe Studenten hat mich überfallen, offenbar ist Töpfern in. Dabei fällt mir ein, dass ich etwas für dich habe.« Sie sprang auf und lief davon. Alan streckte die Beine aus. Plötzlich fühlte er sich überhaupt nicht mehr müde, es ging ihm blendend.

»Hier. Ein Geschenk.« Sie setzte den Karton auf Alans Knie. »Es ist zwar nicht im romantischen Stil, wie deine es waren, aber dafür ist es einmalig.« Erwartungsvoll beobachtete sie, wie er den Karton öffnete.

Schweigend hob er das Gefäß hoch und hielt es in beiden Händen. Zu der schwungvollen Form passte das tiefe Grün ausgezeichnet. Unter der Oberfläche blitzten hier und da kleine hellere Lichter. Für Alan war diese Schale das wichtigste Geschenk, das er im Leben bekommen hatte.

»Die ist wunderschön, Shelby. Wirklich wunderschön.« In der einen Hand hielt er die Schale, in die andere nahm er ihre Hand. »Von Anfang an hat mich fasziniert, dass in so kleinen Händen ein so großes Talent wohnt.« Er küsste ihre Finger, bevor er Shelby wieder ansah. »Danke. Du hast daran gearbeitet, als ich dir in der Werkstatt zusah, nicht wahr?«

»Dir entgeht nicht viel.« Mit dem Finger strich sie über die glänzende Fläche. »Ich dachte dabei an dich. Eigentlich gehörte es dir schon damals. Als ich in deinem Haus war, fand ich, dass es dorthin passt.«

Behutsam versenkte Alan die Schale wieder in dem Karton und stellte ihn auf den Boden. »Und du passt zu mir«, sagte er.

Aus seinem Mund hörte sich diese Feststellung ganz selbstverständlich an. Shelby legte ihren Kopf an Alans Schulter. »Wollen wir uns etwas vom Chinesen bestellen?«, fragte sie.

»Was ist mit dem Film? Der interessierte dich doch.«

»Das war heute Morgen. Jetzt würde ich lieber hier süßsaures Schweinefleisch essen und mit dir auf der Couch schmusen.« Als Alan bereitwillig ihr Ohr küsste, fügte sie hinzu: »Eigentlich wären ein paar alte Cracker und etwas Käse genug.«

Alan suchte und fand ihre Lippen mit seinem Mund. »Vielleicht sollten wir zuerst schmusen und anschließend essen?«

»Du hast einen solch ausgeprägten Sinn für Ordnung«, bemerkte Shelby, lehnte sich in die weichen bunten Kissen zurück und zog Alan mit sich. »Und ich mag es, wie du ihn anwendest. Küss mich, Alan, so wie du mich beim ersten Mal geküsst hat, genau hier auf der Couch. Es hat mich verrückt gemacht.«

Ihre Augen waren halb geschlossen und ihre Lippen leicht geöffnet, Alan griff in ihr Haar. Er hatte diesmal nicht die Geduld, zu der er sich das erste Mal gezwungen hatte. Zu wissen, wie es mit Shelby war, erregte ihn mehr, als es sich nur vorzustellen. Sie war so begehrenswert, wie kein fieberhafter Traum es ihm vorgaukeln konnte. Und sie war bei ihm – greifbar und willig, sich ihm auszuliefern.

Alan kostete ihre Lippen – langsam, genießerisch, wie Shelby es liebte. Die Begier, mit ihr eins zu sein, konnte Alan nur kontrollieren, weil er wusste, dass sie beide Zeit dafür hatten. Shelby seufzte, dann zitterte sie. Dabei hatte er sie nicht einmal berührt – bis auf das kleine neckende Spiel seiner Lippen mit ihren Lippen.

Alan hatte nicht gewusst, dass Qual so süß sein konnte. Und die ganze süße Qual fühlte er in diesem Augenblick, wo Shelby sein Hemd öffnete und mit ihrer Hand träge Kreise auf seiner Brust zeichnete.

Shelby liebte es, Alan zu fühlen. Und sie wusste, dass sie niemals genug davon bekommen würde. Es brachte ihr reine Freude und erregte sie zur gleichen Zeit. Schon immer war es ihre Art gewesen, alles, was sie bewunderte, mit ihren Händen und Fingern zu erforschen. Mit Alan war es nicht anders.

Der Duft seiner Seife haftete ihm auch noch nach einem ganzen Arbeitstag an. Sein Herz schlug hart und schnell, obwohl er Shelby immer noch mit langsamer, nervtötender Gründlichkeit liebkoste. Sie ließ ihre Hände hinauf zu seinen Schultern gleiten, um ihn von seinem Hemd zu befreien, um seine warme Haut ganz zu fühlen.

Alan küsste sie auf einmal hart und lange. Er zog sie schnell aus, so als ob er mit seiner Geduld am Ende sei, und presste sie mit einer solchen Kraft an sich, dass auch sie in der aufkommenden Leidenschaft die Kontrolle über das, was sie tat, verlor.

Alan hörte, wie Shelby seinen Namen herausschrie, aber er konnte ihr nicht antworten, weil er selbst von einem Sturm der Empfindungen davongetragen wurde. Etwas Wildes brach aus ihm heraus, das ihm bis dahin fremd geblieben war. Er hatte Angst, dass er Shelby wehtun könnte, aber auch das hatte er nicht mehr unter Kontrolle. Shelby zitterte unter ihm, bog sich ihm entgegen, wollte mehr von ihm haben. Mit der Zunge brachte Alan sie zu einem Höhepunkt, wo ihr Verstand aufhörte zu arbeiten und nur Gefühle Gültigkeit hatten.

Shelby wusste nicht, was Alan sagte, hörte nur seine heisere Stimme. Sie wusste auch nicht, was sie antwortete, wusste nur, dass ihr nichts zu viel wäre, was immer er auch von ihr verlangen mochte.

Wie durch einen Schleier sah sie sein Gesicht über sich. In seinen Augen stand ein Grübeln. Das war alles, was sie erkannte.

»Ich kann ohne dich nicht leben«, sagte er leise. »Und ich werde es auch nicht.«

Dann küsste er sie wieder so hart und so wild, dass Shelby alles um sich herum vergaß.

Zwei Stunden später hockte Shelby mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Bett. Sie trug einen winzigen japanischen Seidenkimono und stocherte mit ihrer Gabel in süßsaurem Chopsuey auf einem Pappteller.

»Es kühlt leider schnell aus«, stellte sie mit Bedauern fest. Im Hintergrund spielte das Fernsehgerät leise Begleitmusik zu einer Sendung, deren Qualität durch die tote Bildröhre schlecht zu beurteilen war.

Alan lag bequem ausgestreckt neben Shelby. Sein Kopf ruhte auf weichen Kissen. Amüsiert beobachtete er ihren gesunden Appetit. »Warum lässt du das Gerät nicht reparieren?«

»Es stört mich nicht, aber früher oder später wird es gemacht.« Sie stellte den leeren Teller beiseite und legte eine Hand auf ihren Bauch. »Hmm, das war gut.« Ihr Blick wanderte wohlwollend von Alans Gesicht hinunter zu seinem athletischen Körper. »Ich möchte wissen, wie viele Leute in der Weltstadt Washington sich darüber im Klaren sind, wie fantastisch Senator MacGregor in seiner Unterwäsche ausschaut.«

»Nur ein kleiner, ausgewählter Kreis.«

Mit einem Finger fuhr sie hinunter bis zu seinen Füßen. »Du solltest in deinem jetzigen Aufzug im Fernsehen Wahlpropaganda machen.«

»Dem Himmel sei Dank, dass du nicht für die Medienabteilung zuständig bist.«

»Alles Muffel – das ist das ganze Problem.« Sie legte sich in ihrer ganzen Länge auf Alan. »Denk nur an all die ungeahnten Möglichkeiten.«

Er ließ seine Hand unter ihren Kimono gleiten. »Das tue ich auch.«

»Diskret platzierte Anzeigen in überregionalen Magazinen, kurze Spots in der Hauptsendezeit.« Mit dem Ellbogen stützte sie sich auf seine Schulter. »In dem Fall ließe ich mein Gerät sofort reparieren.«

»Überlege die weltweiten Konsequenzen, die es nach sich ziehen könnte – überall Regierungsbeamte in ihrer Unterwäsche!«

Shelby zog die Stirn kraus, als sie sich das vorstellte. »Gütiger Himmel, so etwas könnte ein nationales Unglück verursachen.«

»Ein internationales«, verbesserte Alan. »Denn wenn der Ball erst einmal rollt, gibt es kein Halten mehr.«

»Also lieber nicht.« Shelby küsste Alan leicht auf den Mund. »Ich sehe ein, dass es deine patriotische Pflicht ist, die Kleider anzubehalten. Außer bei mir«, fügte sie hinzu und spielte vergnügt mit dem Hosenbund.

Lachend zog er ihren Kopf zu sich herunter, um sie zu küssen. Mit der Zungenspitze fuhr sie ihm leicht über die Lippen. »Shelby …«

»Shelby«, wiederholte er einen Moment später. »Ich möchte etwas mit dir besprechen. Wenn ich es jetzt nicht tue, dann werde ich bestimmt wieder abgelenkt.«

»Ist das ein Versprechen?« Mit den Lippen strich sie über seine Kehle.

»Kommendes Wochenende muss ich etwas erledigen.«

»Oh!« Sie fing an, an seinem Ohrläppchen zu knabbern. In der Not rollte Alan sich auf den Bauch und hielt Shelby unter sich gefangen. »Mein Vater rief heute an.«

»Ah.« Ihre Augen blitzten vor Übermut. »Der Gutsherr.«

»Diese Bezeichnung würde ihm gefallen.« Alan hielt Shelbys Hände fest, um sie davon abzuhalten, seinen Verstand zu benebeln. »Er hat eines seiner berühmten Familien-Weekends organisiert. Komm mit mir.«

Erstaunt runzelte Shelby die Stirn. »Zur MacGregor-Burg in Hyannis Port? Unbewaffnet?«

»Wir hissen die weiße Flagge.«

Einerseits wäre Shelby zu gern mitgefahren, andererseits hätte sie sich am liebsten verkrochen. Was sollte sie tun? Ein Besuch bei Alans Familie kam einer endgültigen Verbindung gefährlich nahe, und der wollte sie doch aus dem Wege gehen.

Alan hörte förmlich, was in Shelbys Kopf vor sich ging. Er schob seine Enttäuschung beiseite und änderte seine Taktik. »Ich habe den Befehl bekommen, das Mädchen zu bringen«, begann er. Shelby runzelte die Stirn. Aha, ich bin auf dem richtigen Weg, dachte Alan und fuhr fort: »Diese Tochter eines diebischen, mörderischen Campbell.«

»Hat er das so gesagt?«

»Wörtlich«, bestätigte Alan.

Da schob Shelby angriffslustig ihr Kinn vor und fragte: »Wann fahren wir?«