10. Kapitel
»Du hattest doch angeboten, mir Geld zu leihen«, sagte Charlotte in ihrer gewohnt unverblümten Art.
Fern nickte. »Gewiß doch. Wieviel brauchst du?«
»Eine ganze Menge, aber du bekommst alles zurück.«
Sie hatten sich an einem schönen Samstagnachmittag am Pavillon im Botanischen Garten getroffen. Charlotte liebte diesen Ort, konnte sich aber noch immer nicht dazu durchringen, Ferns Einladung anzunehmen, wenn diese sich dort an den Sonntagen mit ihren Freundinnen traf. Ihr war nicht danach, Fremden zu begegnen, vor allem, seitdem ihr dank der hämischen Bemerkungen einiger Damen im Hotel bewußt geworden war, daß sich ganz Brisbane über ihren Anspruch auf den Familienbesitz das Maul zerriß.
Ihr Verhalten schien aus dem Rahmen zu fallen, doch das scherte Charlotte wenig.
»Sie wollen nicht mehr für deinen Unterhalt aufkommen, nicht wahr?« fragte Fern besorgt.
»Doch, doch, soweit ist es gottlob noch nicht. Es hat nichts mit dem Unterhalt zu tun. Ich habe einen sehr netten, neuen Anwalt verpflichtet, einen Mr. Craig Winters. Kennst du ihn?«
»Nein. Wie bist du auf ihn gekommen?«
»Bei einem Spaziergang bin ich auf seine Kanzlei gestoßen, drüben in der Terrace. Er ist neu in Brisbane.«
Fern wirkte beunruhigt. »Also wirklich, Charlotte, du solltest ein bißchen vorsichtiger sein. Ich hätte dir doch jemanden empfehlen können.«
»Ich bin sehr zufrieden mit Mr. Winters. Er ist überaus zuvorkommend und zur Abwechslung einmal bereit, nach meinen Anweisungen zu handeln.«
»Du willst doch nicht tatsächlich gegen deine Söhne vor Gericht ziehen? Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe nichts dagegen, dir das Geld zu leihen, wenn du es für richtig hältst. Aber die besten Anwälte haben dir doch bereits abgeraten. Wenn dein Mr. Winters nun trotz alledem andeutet, er könne das Testament erfolgreich anfechten, verhält er sich sehr verantwortungslos.«
Charlotte löffelte Sahne auf ihren Teller. »Ich bin ganz süchtig nach diesem Passionsfruchtkuchen. Er ist einfach köstlich, noch besser als der Schokoladenkuchen. Die Küche hier ist ausgezeichnet.« Als sie den Kuchen aufgegessen hatte, betupfte sie sich die Lippen mit einer Serviette und trank einen Schluck Tee.
»Ich habe dieses Thema ihm gegenüber noch gar nicht angeschnitten. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, daß ich einen Prozeß nicht gewinnen kann. Das sollte Victor und Rupe inzwischen auch aufgegangen sein. Sie halten mich vermutlich für einen furchtbaren Dummkopf.«
»Ihre Haltung ist zwar empörend, aber das glaube ich dann doch nicht.«
»Und wenn schon! Mit deiner Hilfe werde ich ihnen eins auswischen. Wenn ich überhaupt etwas von Austin gelernt habe, dann das: Man darf niemals aufgeben. Solange man gemein genug ist, gewinnt man auch. Und er konnte sehr gemein sein.«
Fern antwortete nicht. Es stimmte, Austin war ein harter, rücksichtsloser Geschäftsmann gewesen; dennoch konnte sie seiner Witwe in diesem Punkt nicht rückhaltlos zustimmen.
»Wenn du einverstanden bist, wäre alles geregelt.«
»Was denn bitte?«
»Wie du weißt, wurde Springfield in mehrere große Gebiete aufgeteilt, von denen jedes als unabhängige Farm bestehen könnte …«
»Ja.«
»Die Anträge wurden bereits eingereicht, und Victor hat einige Grundstücke erworben, doch er zögert die anderen Käufe hinaus, da er erst das Geld dafür aufbringen muß.«
»Und?«
»Nun, wie schon erwähnt, ist ein Abschnitt, und zwar der neben Austins, auf meinen Namen eingetragen. Ich habe vor, ihn zu kaufen.«
»Das kannst du nicht!«
»Und ob ich das kann. Mr. Winters war im Landministerium und hat die eingereichten Anträge durchgesehen. Darin steht es schwarz auf weiß, Fern!« rief Charlotte aufgeregt. »Sie haben es mir praktisch auf einem Silbertablett serviert. Ich muß nur noch das Geld zusammenbringen, und schon gehört mir das Herzstück von Springfield. Das Land jenseits des Tales, die besten Weidegründe!«
»Und was sagt dein Mr. Winters dazu?«
Charlotte grinste. »Ich glaube, er ist noch ein wenig mißtrauisch. Wir haben uns mehrfach unterhalten, und es würde mich nicht wundern, wenn er Erkundigungen über mich eingezogen hätte. Er machte so gewisse Andeutungen bezüglich familiärer Probleme. Wie auch immer, er ist ein Gentleman und handelt in meinem Namen. Er ist bereit, das Land für mich zu erwerben.«
Sie bestellte ein weiteres Stück Kuchen. »Victor und Rupe bewachen dort draußen aus lauter Angst vor Siedlern, die ihr kostbares Land für sich beanspruchen könnten, ihre Grenzen. Sie sind noch gar nicht auf die Idee gekommen, daß ich ihnen mit meinem Anspruch in die Quere kommen könnte.« Charlotte lehnte sich zurück. »Wer ist denn jetzt der Dummkopf?«
»Willst du das wirklich tun? Ich meine, ist es legal?«
»Sieh mich nicht so entsetzt an, Fern. Du weißt sehr wohl, daß es legal ist. Und verbindlich. Und wenn du mir das Geld nicht leihen willst, wird Mr. Winters laut eigener Aussage die Mittel problemlos anderweitig aufbringen. Ich gelte noch immer als Herrin von Springfield. Ich habe in dem Haus, das auf Austins Grundstücksabschnitt steht, Wohnrecht auf Lebenszeit. Dieses Gebiet wurde bereits gekauft. Und wie Mr. Winters sagt, ist mein Name allein schon Sicherheit genug.«
Die Kellnerin trat an ihren Tisch. »Tut mir leid, Madam, der Passionsfruchtkuchen ist uns ausgegangen. Möchten Sie vielleicht etwas anderes?«
Charlotte war so in ihre Grundstücksangelegenheit vertieft, daß sie nur mit »Nein, danke« antwortete und sogleich ihr Gespräch mit Fern wieder aufnahm.
»Nun, wie denkst du darüber?«
Fern war sich da selbst nicht so sicher. Sie dachte an Austin, der bei diesem Vorschlag einen Tobsuchtsanfall erlitten hätte. Aber Austin war tot, und eine neue Ära war angebrochen.
»Er wäre außer sich«, sagte sie schließlich leise, beinahe verschwörerisch, und Charlotte wußte augenblicklich, wen sie meinte.
»Geschähe ihm recht. Er hat mich um den sauer verdienten Anteil meines Bruders gebracht. Was ist nun, leihst du mir das Geld?«
»Ich weiß nicht, die Idee erscheint mir ziemlich radikal.«
»Mach jetzt keinen Rückzieher. Es ist keine unausgegorene Idee, sondern ein sinnvoller Plan, das weißt du ganz genau. Es ist meine letzte Chance, sonst bin ich am Ende, ruiniert. Sie werden das Haus übernehmen, falls sie es nicht längst schon getan haben, und ich ende in einem Hinterzimmer, wo ich von ihren Almosen leben darf.«
Sie sprachen lange über die Konsequenzen, die dieser Schritt nach sich ziehen würde. Fern mußte zugeben, daß Charlotte nichts anderes übrigblieb, doch die Auswirkungen auf das künftige Familienleben waren eine ganz andere Sache. Sie hatte von Victor keine Antwort auf ihre Bitte um Versöhnung erhalten, nur Rupes kurz angebundene Absage.
»So wie es aussieht, werde ich in der Lage sein, dir das Geld bald wieder zurückzuzahlen«, fuhr Charlotte fort. »Du brauchst dir diesbezüglich also keine Sorgen zu machen. Mr. Winters sagte, er würde einen offiziellen Darlehensvertrag aufsetzen, wenn du möchtest, mit einer Zinsvereinbarung und allem drum und dran.«
»Er denkt wirklich an alles«, murmelte Fern.
»Also?«
»Also ja, Charlotte. Ehrlich gesagt, fällt mir auch keine andere Lösung ein. Aber ich hoffe inständig, wir tun das Richtige.«
Charlotte zeigte sich großzügig und beglich die Rechnung. »Noch eins, Fern. Kannst du es dir leisten, das Grundstück, das Austin auf deinen Namen eingetragen hat, auch noch zu kaufen?«
Fern war verblüfft. Ihre Schwägerin meinte es wirklich ernst und würde sich nicht von ihren Söhnen über den Tisch ziehen lassen. Insgeheim klatschte sie ihr dazu Beifall.
»Ich denke schon. Je größer dein Druckmittel, desto besser«, antwortete sie.
Zu Ferns Mißbehagen schlang Charlotte voller Begeisterung ihre Arme um sie und drückte sie an sich, während die anderen Gäste sie mißbilligend anstarrten. »Fern, du bist ein Schatz! Eine liebe, gute Freundin. Das werde ich dir nie vergessen. Kommst du am Montagmorgen mit zu Mr. Winters? Dann können wir alles in die Wege leiten.«
Cleo kam weder in dieser noch in einer anderen Nacht in sein Zimmer. Rupe war verärgert.
»Wenn du mich liebtest, würdest du es tun«, warf er ihr vor.
»Niemand braucht es zu erfahren.«
Von wegen, dachte Cleo. Von ihren Brüdern wußte sie, daß Männer nur zu gern über solche Dinge miteinander sprachen, sich förmlich damit brüsteten, und sie wollte jede peinliche Situation vermeiden. Louisa schien sehr froh zu sein, daß sie und Rupe so viel Zeit miteinander verbrachten, doch Cleo wußte, wo ihr Platz war. Immerhin war sie hier nur die Gouvernante, und die Atmosphäre auf Springfield war auch ohne diesbezügliche Komplikationen schon angespannt genug.
Außerdem hoffte sie, daß Rupe ihr einen Heiratsantrag machen würde. Manchmal, wenn er besonders liebevoll war, spürte sie, daß er kurz davorstand, doch dann zog er sich wieder zurück und benutzte seine Enttäuschung als Vorwand, um seinen Ärger an ihr auszulassen.
»Du hältst mich nur hin«, warf er ihr zornig vor, doch Cleo blieb ruhig.
»Das ist nicht meine Absicht. Vielleicht sollten wir nicht so viel Zeit miteinander verbringen, zu zweit, meine ich.«
»Da hast du allerdings recht«, sagte er, nur um sie zu kränken. »Ich werde ohnehin für ein paar Tage fort sein.«
Sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, nach dem Ziel seiner Reise zu fragen, das sie früher oder später ohnehin von Louisa erfahren würde.
»Auf Jocks Farm findet ein dreitägiges Rennen statt«, erzählte diese dann auch prompt. »Normalerweise fahren wir alle zusammen hin, da es sich um ein großes Ereignis handelt, aber diesmal bleibe ich hier. Meinetwegen soll Victor allein gehen. Ich jedenfalls werde dieser alten Hexe Crossley nicht noch einmal die Gelegenheit geben, mich zu beleidigen.«
Da auch Victor zu Hause blieb, besuchte Rupe das Rennen schließlich allein. Er brach auf, ohne sich von Cleo verabschiedet zu haben.
Sie war enttäuscht. Rennveranstaltungen auf dem Land boten beste Unterhaltung. Wenn sich Louisa nicht derart über Mrs. Crossley aufgeregt hätte, wären sie gemeinsam hingefahren. Sie wünschte Rupe eine erdenklich schlechte Zeit, was jedoch ziemlich unwahrscheinlich schien. Schließlich strömten gewöhnlich unverheiratete Mädchen aus dem ganzen Bezirk zu derartigen Veranstaltungen, und Rupe würde bestimmt voll auf seine Kosten kommen.
Doch Cleo schüttelte ihre Sorge wie immer ab. Rupe war hinter ihr her, soviel war klar. Nun wollte sie sehen, ob es ihm um mehr als nur um Sex ging.
Die Walkers waren mit den gleichen komplizierten Erwerbsvorgängen beschäftigt wie die Brodericks, da auch sie den von Jock erschlossenen Riesenbesitz erhalten wollten. Zum Glück stand ihnen ein erfahrener Richter, Jocks Sohn, mit Rat und Tat zur Seite und wachte darüber, daß die gepachteten Grundstücke nach und nach Familienmitgliedern und langjährigen, treuen Dienstboten übertragen wurden.
Alle Mitarbeiter des Landministeriums, vom Abteilungsleiter bis hinunter zum jüngsten Sekretär, kannten schon bald die imposante Erscheinung von Richter Walker und suchten das Weite, sobald sie ihn kommen sahen, da er sie das Fürchten gelehrt hatte.
Zunächst einmal war Richter Walker entsetzt gewesen angesichts der kolossalen Beträge, die aus seinem Familienvermögen in die Kassen der Regierung flossen. Jedesmal, wenn er mit dem Gedanken an das viele schöne Geld das Gebäude des Ministeriums betrat, was nicht selten vorkam, geriet er in Rage. Er war nämlich entschlossen, sich von den Mitarbeitern über jeden Morgen und jeden Penny Rechenschaft ablegen zu lassen. Der Richter studierte jede Landkarte sorgfältig, verlangte, daß die offiziellen Kopien in jedem Detail übereinstimmten, und zog oftmals Vermesser hinzu, um sich von ihnen strittige Grenzziehungen bestätigen zu lassen. Walker erwies sich als Meister der Schikane und brüllte Angestellte des Ministeriums nieder, wenn diese sich über die abenteuerliche Form der Grundstücke ausließen, die von der herkömmlichen Vorgehensweise der staatlichen Landvermesser, für gewöhnlich rechteckige Gebiete abzuteilen, weit abwichen. Wie Austin Broderick kannten auch die Walkers ihr Land wie ihre Westentasche und sorgten dafür, daß jedes Grundstück über einen Zugang zum Wasser verfügte, doch das konnten die Beamten nur ahnen.
Als es an der Zeit war für die ersten Zahlungen, ließ Richter Walker sich nicht mit von einfachen Angestellten erteilten Quittungen abspeisen, sondern verlangte zusätzliche Prüfungen und Bestätigungen aus den oberen Etagen. Dies gab ihm willkommene Gelegenheit, die zuständigen Ministerialbeamten als Räuber und Landesverräter zu beschimpfen. Während er die Grundstücke nacheinander käuflich erwarb und ausstehende Zahlungen aus Mangel an Bargeld hinauszögerte, wachte er adlergleich über den Rest seiner Ländereien für den Fall, daß ein Siedler daran Interesse bekunden sollte. Daneben behielt er auch die Grundstücke seiner Nachbarn im Auge und verlangte von den Beamten, Dutzende von Landkarten heranzuschaffen, die mit seinem Besitz nicht das geringste zu tun hatten. Sie folgten seiner Aufforderung, da sie mittlerweile gelernt hatten, daß man am besten fuhr, wenn man seine Wünsche tunlichst erfüllte.
Das Interesse des Richtes an anderen Besitzungen erwuchs teils aus Pflichtgefühl, teils aus Neugier. Er war begierig zu erfahren, wie es die anderen hielten, wieviel sie sich leisten konnten, bevor es im Portemonnaie weh tat.
So entdeckte er, daß Austin Brodericks eigener Abschnitt vor dessen Tod offiziell erworben worden war und später einige weitere Grundstücke auf Victors und Louisas Namen hinzugekommen waren. Dann gab es da noch einen Abschnitt, der auf Rupes Namen lief, und auch Charlotte war kürzlich als Eigentümerin aufgenommen worden. Desgleichen Fern Broderick, deren Namen er mit grimmiger Befriedigung las. Offensichtlich war Victor inzwischen soweit, auf entfernte Familienmitglieder und Strohmänner zurückgreifen zu müssen, um die neuen Gesetze zu umgehen. Denn was sollte Fern Broderick schon mit einem Stück Weideland anfangen wollen!
Doch der Name Harry Broderick tauchte nirgends auf, und diese Tatsache nagte an ihm. Dieser Idiot von Schwiegersohn besaß einfach kein Verantwortungsgefühl. Obwohl er auf der Liste der Eigentümer der Springfield-Anteile fehlte, hatte er auf eine Anfechtung des Testaments verzichtet.
»Kein Rückgrat«, murmelte der Richter, als er das Landministerium verließ und den Weg zu seinem Club einschlug. Diese Behörde war schlecht für seinen Blutdruck; ein paar Gläser guten Scotchs waren da ein ausgezeichnetes Gegenmittel. Im Club würde er Freunden, die nächste Woche zum Rennen fuhren, einen Bericht für seinen Vater mitgeben. In diesem Jahr würden er und seine Frau nicht dabeisein können, da seine Anwesenheit in Brisbane geboten war, wenn sich die Aufteilung der Farm nach ihren Wünschen gestalten sollte.
Lochearn, die Farm der Walkers, verdankte ihren Namen der schottischen Heimat von Jocks Vorfahren, doch nur wenige konnten ihn richtig aussprechen, und bei Jock hieß sie meist nur ›mein Land‹. Lange Zeit galt es als Witz, sie auch nur so zu nennen. Jeder kannte ›Jocks Land‹, und im Laufe der Jahre war diese Bezeichnung in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.
Als Liebhaber von Vollblütern besaß Jock eine private Rennbahn auf der Ebene hinter dem Haus. Anfangs war das Rennen nichts als ein Kräftemessen mit seinen Freunden gewesen, die ihre besten Pferde über die improvisierte Rennstrecke jagten, doch bald wurde es zu einem gesellschaftlichen Ereignis, auf dem sich alljährlich die sich nach etwas Abwechslung sehnenden Bewohner benachbarter Farmen einfanden, um teilzunehmen oder einfach nur zuzuschauen.
Inzwischen hatte sich das Ganze zu einer dreitätigen Renngala ausgeweitet, komplett mit Jockeys, Buchmachern und was sonst noch alles dazugehörte. Auch der Ball am letzten Abend durfte nicht fehlen. Die Koppel neben der mittlerweile hervorragend ausgebauten Rennstrecke verwandelte sich in dieser Zeit in eine Zeltstadt. Harry und Connie wurden hier bei ihrer Ankunft herzlich begrüßt.
Sie machten sich auf den Weg zum Haus, wo die Familie und enge Freunde untergebracht waren, und wurden vor der Tür von Ada Crossley empfangen.
Sie umarmte ihre Nichte Connie und zeigte sich erfreut, daß sie in ihrem Zustand die lange Fahrt so gut überstanden hatte.
»Komm herein, meine Liebe. Ich habe dir das Zimmer nach Westen gegeben, weil es am ruhigsten ist.« Da sie selbst keine Kinder hatte, war sie froh, daß Jock endlich einen Urenkel und sie eine Großnichte oder einen Großneffen zum Lieben und Verwöhnen bekommen sollte.
»Harry, wie geht es dir?« fragte sie mit fester Stimme, als er mit ihrem Gepäck nachgekommen war.
»Sehr gut, Ada, vielen Dank. Und dir?«
»Besser denn je.«
Sie schob Connie in ihr Zimmer, hielt Harry jedoch zurück.
»Einen Moment, ich möchte noch mit dir reden. Du siehst bemerkenswert gut aus, junger Mann.«
»Vielen Dank.«
»Das ist kein Kompliment. Es heißt, du habest einen Zusammenbruch erlitten. Ich war nicht darauf gefaßt gewesen, daß du aussiehst wie das blühende Leben.«
Er lachte. »Das macht die Landluft, Ada. Es gibt nichts Besseres.«
»Wie du dir vorstellen kannst, hast du dich mit dieser Abstimmung nicht gerade beliebt gemacht. Aber vorbei ist vorbei. Der Richter ist im übrigen immer noch wütend, daß du Austins Testament nicht angefochten hast.« Sie wies mit dem Kopf auf das Schlafzimmer. »Wegen Connie.«
Harry seufzte. »Ich kann es nicht jedem recht machen. Das habe ich schmerzlich erfahren müssen.«
Sie nickte. »Das glaube ich gern. Aber du hast dich auf die Seite deine Mutter gestellt und damit in meinen Augen alles wieder wettgemacht. Du hast wirklich Mut, Harry. Und jetzt geh hinein und kümmere dich um deine Frau.«
Auf diese etwas barsche Art verlieh Ada Crossley ihren Gefühlen Ausdruck. Anders als Charlotte, die erst als Braut in den Bezirk gekommen war, war sie selbst hier aufgewachsen und hatte zeitlebens mit ihrem Bruder um Jocks Aufmerksamkeit wetteifern müssen. Sie erinnerte sich gern daran, wie gut sie bereits mit zwölf Jahren reiten konnte und ihren älteren Bruder bei jeder Gelegenheit geschlagen hatte.
»Sie hat das Herz eines Löwen!« pflegte Jock zu sagen.
Ihre Mutter, eine sanfte Schottin, die sich mehr für Heim und Herd interessierte, war ganz anders gewesen. Sie lebte in der ständigen Angst, Ada könne einen Unfall erleiden, so wild, wie sie ritt.
»Clarrie lernt fleißig, aber das Mädchen ist ein rechter Wildfang«, beklagte sie sich bei Jock. »Sie sollte nicht bei der Geburt von Schafen zusehen und das Gerede der Scherer mit anhören. Wir sollten sie in ein Internat geben.«
Doch Ada weigerte sich, und Jock ebenso. Die Ausbildung seines Sohnes war ihm wichtiger.
Clarrie verließ sein Zuhause und kam fortan nur noch in den Ferien heim. Er wurde ein angesehener Richter, und alle waren stolz auf ihn. Zu spät begriff Ada, daß ihre Mutter recht gehabt hatte. Sie lebte in der rauhen Welt des Busches, während ihr Bruder Mitglied der eleganten Gesellschaft von
Brisbane war. Dank des Familienvermögens hatte er sogar mit seiner Braut eine Reise nach Europa unternehmen können, während sie, Ada Crossley, nie von zu Hause weggekommen war.
Mit einunddreißig heiratete sie gegen den Willen ihrer Mutter einen Scherer, einen hoffnungslosen Trinker, der ins Herrenhaus einzog und sich benahm, als sei es sein eigenes. Eines Abends war er zu weit gegangen. Im Rausch hatte er sich mit einem Gürtel auf Ada gestürzt, doch diese, gestählt durch die Erfahrungen in der rauhen Männerwelt, entwand ihm den Gürtel und schlug zurück. Auf Dauer konnte sie es jedoch nicht mit ihm aufnehmen; seine Fausthiebe und Tritte trafen sie, bis ihr Gesicht von blauen Flecken übersät war und mehrere Rippen gebrochen waren.
Als Ada reglos in der Ecke lag, weinte er und bettelte sie aus lauter Angst um Vergebung an. Danach rannte er um sein Leben, zu Recht, denn Jock verfolgte ihn mit einem Gewehr. Der Rest der Geschichte blieb im Dunkeln.
Es hieß, er habe sich ein Pferd geschnappt und sei nach Springfield geritten, um dort Zuflucht zu suchen. Alle Männer von Lochearn waren ihm auf den Fersen. Man erzählte sich auch, er sei bei einem Sturz vom Pferd umgekommen, als er auf Broderick-Land über eine ausgetrocknete Wasserrinne springen wollte. Ada jedoch bezweifelte das. Als man seine Leiche fand, wurde sie in einem verschlossenen Sarg nach Lochearn gebracht und dort bestattet. Sie durfte ihren Mann nicht noch einmal sehen, wollte es auch gar nicht.
Kurz darauf legten Austin Broderick und Jock ihren Streit, den sie über ein herrliches Stück Weideland geführt hatten, sang- und klanglos bei. Austin erhielt das Grundstück ohne weiteren Protest zugesprochen.
Was sollte sie davon halten? Sie war überzeugt, daß sich Austin und ihr Vater um den Mann gekümmert hatten, der sie beinahe getötet hätte; mehr wollte sie gar nicht wissen.
Zum Glück war sie ihn los.
Nun dachte sie über Charlottes Situation nach. Da sie forscher als diese war und es mit einem Mann zu tun hatte, der nicht ihr über alles geliebter Gatte, sondern nur ihr Vater war, hatte sie ihn geradeheraus gefragt, welche Stellung sie nach dem Tod ihrer Mutter laut seinem Testament auf der Farm einnehmen würde. Zu ihrer Erleichterung erfuhr sie, daß sie und ihr Bruder Lochearn zu gleichen Teilen erben sollten. Darüber hinaus besaß sie Wohnrecht auf Lebenszeit. Ada hatte immer zu Charlotte aufgesehen, die ihr unter anderem dabei geholfen hatte, nach dem Tod ihrer Mutter in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Durch sie lernte sie die Mitarbeit in den Clubs und Vereinigungen der Landfrauen schätzen und begann Frauen und Kinder auf abgelegenen Besitzungen zu unterstützen. Erst dabei wurde ihr bewußt, wie sehr die stille Charlotte anderen Menschen half. Mittlerweile hatte Ada mit dem Segen ihrer Freundin viele soziale Aufgaben übernommen. Sie war Präsidentin mehrerer Organisationen, hatte Listen von fähigen Hebammen aufgestellt, ihr Heim zum Zentrum der Leihbücherei für Damen gemacht und bezahlte aus eigener Tasche eine Krankenschwester, die die Pflege und Ernährung kleiner Kinder überwachte.
Ada galt als Kraftquelle des Bezirks, worauf sie stolz war. Der ungeheure Andrang beim Rennen bot ihr eine weitere Gelegenheit, reine Frauenversammlungen abzuhalten, bei denen Probleme besprochen und Lösungen angeboten werden konnten.
Doch sie würde niemals wieder heiraten.
Als sie erfuhr, daß Austin Springfield seinen beiden Söhnen hinterlassen hatte, so daß Charlotte praktisch wie eine Haushälterin in ihrem eigenen Heim leben mußte, geriet sie außer sich. Bevor sie Charlotte besuchen konnte, hatte diese die Farm bereits verlassen. Die restlichen Informationen erhielt sie von ihrem Bruder, Richter Walker, und betrachtete die Haltung von Victor und Rupe Broderick fortan als verachtenswert.
Gewöhnlich waren die Brodericks als Nachbarn und enge Freunde gerngesehene Gäste auf Lochearn. Als Ada nun Rupe, den weithin bekannten Schürzenjäger, auf das Haus zukommen sah, ging sie ihm sofort entgegen. Eigentlich wollte sie ihn von ihrem Grund und Boden weisen, was jedoch Aufsehen erregt und ihren Vater vermutlich verärgert hätte. Also begrüßte sie ihn statt dessen kühl und abweisend.
»Guten Tag, Rupe. Sind Victor und Louisa auch mitgekommen?«
»Nein, sie haben sehr viel zu tun.«
Darauf wette ich, dachte sie bei der Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit Louisa Broderick.
Sie stieß einen Seufzer aus. »Auch gut. Wir sind dieses Jahr völlig ausgebucht, weil so viele Leute an den Start gehen. Du findest sicher ein Bett in der Unterkunft für alleinstehende Männer.«
Diese schroffe Zurückweisung erstaunte Rupe, doch er fuhr sich nur grinsend mit der Hand durch die zerzausten blonden Haare. »Natürlich, vielen Dank. Wissen Sie vielleicht, ob William Pottinger bereits eingetroffen ist?« Unter diesem Vorwand wollte er schon auf die Tür des Hauses zugehen.
»Noch nicht«, beschied ihn Ada.
»Dann passe ich ihn später ab.« Mit erzwungener Lässigkeit schlenderte er davon, den Rucksack über die Schulter geworfen, und gesellte sich zu den Männern in der Unterkunft. Er suchte sich ein Bett aus, gab einem der chinesischen Wäscher seine Kleidung zum Bügeln und trat auf die Veranda hinaus. Dort ließen mehrere seiner Freunde eine Flasche Rum kreisen und begafften die Mädchen, die vor ihren Augen in ihren schönsten Kleidern umherspazierten.
»Eine echte Modenschau, was?« bemerkte er fröhlich. Es störte ihn nicht weiter, daß ihm die Gesellschaft der Walkers versagt worden war. Hier unten würde er sich ohnehin besser amüsieren können.
»Wo ist denn dein Mädchen?« wollten die anderen wissen.
»Welches Mädchen?«
»Komm schon, Rupe, die Gouvernante. Wie ich höre, wirst du allmählich brav.«
»Red’ keinen Quatsch. Mal sehen, was sich im Zelt so tut.«
Schon bald ließ er sich von der überschäumenden Atmosphäre anstecken. Er flirtete, überprüfte die Reihe der Rennpferde auf mögliche Sieger, trank zuviel, stolperte bei einem lächerlichen Tauziehen umher, wurde beim Barbecue wieder nüchtern und mischte sich beim Rennen unter die Zuschauer, wobei er seine Wettscheine schwenkte.
Rupe amüsierte sich bestens, bis er Harry und Connie in der Menge entdeckte.
Er schwankte auf seinen Bruder zu. »Hat dir der Boß freigegeben?«
Harry ignorierte die hämische Frage. »Wie geht es dir, Rupe?«
»Ganz toll! Hab’ schon auf zwei Gewinner gesetzt.«
»Schön für dich. Hast du noch einmal über Charlottes Bitte nachgedacht?«
»Bitte? Ist wohl eher eine Forderung. Brauch’ ich nicht. Sie wird schon noch einsehen, daß wir im Recht sind. Du hast es ja auch getan.« Er sah, wie Connie auf ihren Mann zukam und sich im letzten Moment abwandte, um Rupe nicht begegnen zu müssen.
»Connie schmollt noch, was?«
»Treib es nicht zu weit«, knurrte sein Bruder. »Kommt Victor auch?«
»Nein. Hatte keine Zeit. Was interessiert es dich überhaupt?«
»Er hat ein bißchen mehr gesunden Menschenverstand als du, Rupe, und ich möchte erfahren, was er bezüglich unserer Mutter zu unternehmen gedenkt.«
»Wir müssen wegen Charlotte gar nichts unternehmen. Sie ist uns zu Hause jederzeit willkommen.«
Harry hatte genug von ihm. »Wie überaus großzügig von dir. Hoffen wir, daß sie dich hinauswirft, sobald sie wieder da ist.«
»Da kannst du lange warten.«
Verunsichert machte Rupe sich davon. Sein nächstes Pferd verlor, ebenso das folgende. Er unterhielt sich mit zwei Mädchen von der Ballymore-Farm, fand ihre Gesellschaft aber langweilig und schlenderte zurück zum Zelt. Dort stand er untätig herum, das Glas in der Hand. Bestimmt wußten alle, daß man ihm die Männerunterkunft zugewiesen hatte, während sein Bruder im Haus schlief. Er versuchte sich einzureden, daß Harry nur deswegen dort untergebracht sei, weil Connie zur Familie gehörte, doch er wußte sehr wohl, es steckte mehr dahinter. Ada Crossley war ein harter Brocken und hätte sich nicht gescheut, Harry das Haus zu verbieten, wenn sie ihn dort nicht haben wollte.
An diesem Abend saß Rupe mit Freunden inmitten der Zelte und Planwagen am Lagerfeuer. Sie genossen den Abend, doch er selbst konnte ihre Freude nicht teilen. Er vermißte Cleo und beneidete Victor und Louisa, die klugerweise zu Hause geblieben waren. Als sich die laute Fröhlichkeit gelegt hatte und die üblichen Lieder angestimmt wurden, ging er schlafen, vorbei an den funkelnden Lichtern des Hauses. Er bemühte sich die Tatsache zu verdrängen, daß er sich zum ersten Mal im Leben wirklich einsam fühlte.
Am nächsten Tag kehrte seine Zuversicht zurück. Er hatte beschlossen, Harry und die Zurückweisung durch die Walkers zu ignorieren, da ihm anderenfalls nur der Rückzug nach Springfield geblieben wäre; und so leicht würde er sich nicht geschlagen geben. Er verlegte sich tatkräftig aufs Feiern und umwarb sogar William Pottingers ungelenke Tochter.
Dies schien den Anwalt zu freuen. Er lud ihn zum Tee unter bunten Sonnenschirmen ein. Pottinger schwafelte über den ungeheuren Menschenandrang bei diesem Rennen und wie schön es doch sei, daß sich die jungen Leute so prächtig amüsierten. Er war zu taktvoll, um auf die Probleme der Brodericks einzugehen, und bemerkte nur, daß ihn die Fortschritte freuten, die der freie Erwerb von Springfield-Land mache.
Rupe verstand nicht, worauf Pottinger hinauswollte. Zwar hatten Charlotte und Harry ihre Drohungen, das Testament anzufechten, nicht wahr gemacht, doch Victor wollte die offizielle Vermögensverteilung abwarten, bevor er weitere Ländereien kaufte. Der Anwalt hatte ihnen ein Arbeitskonto eingerichtet, damit die finanziellen Angelegenheiten der Farm weiterlaufen konnten, doch das Bargeld in den Safes war bereits aufgebraucht. Alle anderen Bankkonten und Aktien waren eingefroren, bis die Eigentumsverhältnisse geklärt wären. Es dürfte sich nur noch um Tage handeln, doch konnten die Käufe in der Zwischenzeit unmöglich Fortschritte gemacht haben.
»Wir haben nur die vier Grundstücke gekauft«, sagte Rupe.
»Wir halten uns an die Regeln, die Sie uns auferlegt haben. Sobald alles geklärt ist, werden wir mit den Käufen jedoch zügig fortfahren.«
»Ich dachte schon, ihr beide hättet euer eigenes Geld eingesetzt«, erwiderte der Anwalt.
Welches Geld? fragte Rupe im stillen bitter. Austin hatte dafür gesorgt, daß weder Victor noch er eigenes Vermögen besaßen.
»Nein. Wir warten ab, bis das Testament meines Vaters vollstreckt ist.«
»Das ist aber seltsam. Könnte es sein, daß eure Anwälte in Brisbane ohne eure Erlaubnis weitergekauft haben?«
Rupe lachte. »William, solange die kein Geld sehen, rühren die doch keinen Finger.«
»Du solltest besser mit Jock reden. Er hat mir versichert, daß ihr zwei weitere Abschnitte gekauft hättet.«
»Woher will er das wissen?«
»Von Richter Walker. Er weiß über alles Bescheid und erzählte, daß zwei weitere eurer Grundstücke in Eigenbesitz übergegangen seien. Erst letzte Woche.«
Pottinger hielt inne und schlug sich mit der Hand vor den Mund. »Mein Gott, Rupe, euch werden doch wohl keine Siedler durchs Netz geschlüpft sein?«
Rupe machte sich auf die Suche nach Jock. Er fand ihn in den Ställen, niedergeschlagen, da sein bestes Pferd lahmte. Entsprechend war Jock nicht in der Stimmung, sich mit den Problemen von Springfield zu befassen.
»Hör zu, mein Sohn«, sagte er, »wenn der Richter sagt, sie sind verkauft, dann ist es so! Victor hat vermutlich bloß vergessen, es dir zu erzählen. Sieh dir diese Schönheit an! Wie konnte das nur passieren? Sie ist ein Champion, kein Pferd im Staat kann es mit ihr aufnehmen …«
Er war den Tränen nahe. Rupe ließ ihn in Ruhe und machte sich auf den Weg zur Männerunterkunft, um seine Sachen zu holen. Vergessen waren sein Angebot, Marie Pottinger zum Ball zu begleiten, und die Gewinne, die er bei einem der Buchmacher einkassieren wollte. Er sattelte sein Pferd und verließ Lochearn in dem Moment, als die Rufe der begeisterten Zuschauer den Start des letzten Rennens an diesem Tag anzeigten.
Er traf spät am Abend auf Springfield ein. Victor, Louisa und Cleo spielten in Austins Höhle Karten. Sie sahen ihn überrascht an, da sie ihn nicht so früh zurückerwartet hatten, doch er verlor keine Zeit mit Erklärungen und kam gleich zur Sache.
»Victor, hast du letzte Woche zwei weitere Grundstücke gekauft?«
»Was zum Teufel soll das heißen? Natürlich nicht.«
Rupe ließ sich in einen Sessel fallen. »Jesus, dann haben sich hier Siedler eingeschlichen!«
»Wie? Woher willst du das wissen?« fragte Victor verblüfft.
»Von Jock. Und er hat es vom Richter gehört.«
»Das kann nicht stimmen.«
»Sie behaupten es aber.«
»Jesus, welche Grundstücke denn?«
»Das konnte mir Jock nicht sagen. Er dachte, du hättest sie gekauft.«
»Wie willst du herausfinden, ob es wahr ist?« fragte Louisa.
»Gleich am Montag telegrafiere ich nach Brisbane. Vorher können wir nichts unternehmen. Vermutlich haben sie da bloß etwas mißverstanden.«
»Das würde einem Richter Walker doch nicht passieren«, warf Rupe ein.
»Ihm nicht, aber vielleicht Jock.«
»Wie war das Rennen?« fragte Louisa.
»Mehr Fremde denn je«, entgegnete Rupe. »Ich habe mich aber gut unterhalten, bis dieses Thema aufkam. Die Walkers scheinen zuviel Geld zu haben. Mehr Zelte als im Zirkus, und jeder takelt sich auf, als ginge es nach Ascot. Man fühlt sich gar nicht mehr wie auf einem Landfest, alles viel zu steif. Früher hat es mehr Spaß gemacht.«
»Waren Connie und Harry auch da?« wollte Louisa wissen.
»Ja, aber ich habe sie kaum gesehen. Kann ich etwas zu essen haben? Ich bin schon fast verhungert.«
Cleo sprang auf. »Hannah ist ausgegangen, aber wir können ja mal nachsehen, was die Vorratskammer zu bieten hat. Komm mit.«
Victor zwinkerte seiner Frau zu, als die beiden das Zimmer verließen. »Meinst du, er ist wirklich deshalb nach Hause gekommen? Klingt ein bißchen weit hergeholt.«
Sie lächelte. »Vielleicht hat er Cleo vermißt. Sie waren unzertrennlich, bevor er zu den Walkers geritten ist. Ich hatte mich schon gewundert, weshalb er sie nicht eingeladen hat mitzukommen. War er im Haus untergebracht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Victor, hast du eigentlich mit Rupe über die Nebenfarmen gesprochen? Daß er sich dort ein eigenes Heim einrichten könnte?«
Ihr Mann, der offensichtlich nicht allzu erpicht darauf war, sich auf dieses Thema einzulassen, fingerte nervös an den Spielkarten herum, als erwarte er jeden Moment die Rückkehr der anderen beiden. »Das ist nicht mehr möglich, Louisa.«
»Wieso nicht?«
»Weil wir beschlossen haben, die Außenposten zu verkaufen, um Springfield kompakter zu gestalten. Wir müssen den Gürtel enger schnallen.«
»Deinen Vater würde der Schlag treffen!«
»Er mußte sich niemals wirklich mit dem freien Grunderwerb befassen. Die Farmen bringen einen guten Preis, und wir hatten ohnehin immer mehr Land, als wir gebrauchen konnten. Den Luxus der Nebenfarmen können wir uns nicht länger leisten.«
Louisa lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah ihn an. »Und nun? Springfield gehört euch beiden zusammen. Wenn Rupe heiratet, leben zwei Ehefrauen im Haus. Und so wie es aussieht, kann Charlotte jeden Augenblick heimkommen und ihr Wohnrecht beanspruchen.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, seufzte Victor. »Dieses Haus ist riesengroß. Warum sollte hier nicht mehr als eine Frau leben können? Und Cleo wohnt doch bereits hier. Mit Austins Alleinherrschaft ist es endgültig aus und vorbei.«
»Dafür schwingt Charlotte dann wieder das Zepter. Zudem macht es einen gewissen Unterschied, ob eine Gouvernante hier wohnt oder eine Ehefrau. Warum hast du mich in dem Glauben gelassen, Rupe würde ausziehen?«
Victor legte den Arm um sie. »Es wird alles gut, Liebes, mach dir keine Sorgen. Lassen wir es einfach auf uns zukommen.«
»Das kannst du vielleicht«, murmelte sie. »Ich glaube, Harry hat es von Anfang an richtig gemacht. Er ist ausgezogen und war alle Probleme auf einen Schlag los. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: ein Leben mit meiner Schwiegermutter oder deinem kleinen Bruder. Cleo meint, sie könne Rupe bändigen, aber da kennt sie ihn schlecht. Im Grunde verdient sie mein Mitleid.«
»Keineswegs. Er ist nur ein bißchen dickköpfig. Darin kommt er sehr nach Austin.«
»Er hat mit Austin überhaupt nichts gemein!« widersprach Louisa hitzig. »Soweit ich weiß, hat er die schwarzen Frauen immerhin respektiert, was man von Rupe weiß Gott nicht behaupten kann. Cleo kann froh sein, daß die Schwarzen nicht mehr da sind.«
Nun wurde Victor wütend. »Woher hast du dieses Geschwätz?«
»Es ist allgemein bekannt, du brauchst also gar nicht so unwissend zu tun. Springfield ist Charlottes Heim, daran kann ich nichts ändern, aber ich will, daß Rupe von hier verschwindet. Du verlangst zuviel von mir. Einer muß gehen, entweder er oder ich.«
»Wenn ich mich nicht irre, hast du so etwas schon mal im Zusammenhang mit meinen Eltern gesagt«, gab er zurück. »Weshalb sagst du nicht einfach, daß du nicht auf Springfield leben willst?«
Mit einer heftigen Armbewegung wischte Louisa die Karten vom Tisch. »Ich habe dich geheiratet, nicht deine ganze verdammte Familie! Dein kostbares Springfield interessiert mich nicht im mindesten, ich will ein eigenes Zuhause haben. Warum kannst du das nicht verstehen?«
Sie stürmte aus dem Zimmer. Victor bückte sich nach den Karten.
Über all den aufregenden Ereignissen rund um ihre Verschwörung – so pflegte Fern ihre Geschäfte zu bezeichnen – waren die beiden Frauen zu guten Freundinnen geworden.
»Und was geschieht jetzt?« fragte sie, als Charlotte in einem bequemen Sessel auf der Vorderveranda Platz genommen hatte. Sie rückte einige Kissen zurecht und ließ sich in ihren Sessel sinken. Sie saß gern bei Sonnenuntergang draußen auf der langgestreckten, gefliesten Veranda und ließ die Welt an sich vorüberziehen.
Charlotte seufzte. »Das weiß ich auch nicht so genau. Ich hoffe nur, ich habe das Richtige getan.«
»Guter Gott, für solche Bedenken ist es jetzt ein bißchen zu spät. Mr. Winters sagte, wir seien nun stolze Besitzerinnen von erstklassigem Weideland. Sind wir jetzt echte Squatter?«
»Wohl kaum. Echte Grasherzöge haben es im Blut. Man kann sich nicht einfach in diese Bruderschaft einkaufen. In den Downs gibt es Leute, die bereits vor Jahren eine Farm gekauft haben, und sie gelten noch immer nicht als vollwertige Mitglieder des Squatteradels.«
Als der Herrgott den Humor verteilte, hatte Charlotte nicht gerade ›Hier‹ geschrien, dachte Fern bei sich.
»Das war nur ein Scherz«, sagte sie beschwichtigend; die Besorgnis ihrer Schwägerin konnte sie aber gut nachfühlen. Immerhin hatte sie einen entscheidenden und darüber hinaus recht bizarren Schritt unternommen, um sich aus ihrer prekären Lage zu befreien. Allerdings hatte sich Fern, die immer ein waches Auge auf wirtschaftliche Entwicklungen hatte, insgeheim damit beruhigt, daß diese Entscheidung ja schließlich nicht unumkehrbar sei. Charlotte gegenüber wollte sie dies jedoch lieber nicht erwähnen, da sie fürchtete, damit deren Entschlossenheit gegenüber den Söhnen ins Wanken zu bringen.
»Du gehörst natürlich bereits zu dieser Elite …« sagte sie lächelnd.
»Erinnere mich bitte nicht daran. Kannst du dir vorstellen, daß mich eine dieser schrecklichen Frauen im Hotel als die Herzoginwitwe Mrs. Broderick bezeichnet hat? Ist das nicht furchtbar?«
Fern brach in lautes Gelächter aus. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst bei mir einziehen.«
»Vielen Dank, aber ich bleibe doch lieber im Hotel.«
»Als Märtyrerin?«
»Ach was! Aber es ist an sich ganz gemütlich dort, und Victor und Rupe müssen mir den Aufenthalt bezahlen. Da werde ich ihnen doch nicht den Gefallen tun und ausziehen. Sie sollen so richtig schön ins Schwitzen kommen.«
»Das tun sie doch sowieso schon. Aber ich weiß immer noch nicht, was du als nächstes tun willst. Uns gehören jetzt also diese Grundstücke. Wie sollen wir sie verwalten?«
Charlotte sah zum blaßblauen Himmel auf, wo ein Schwarm Ibisse lautlos über die Baumkronen glitt. Die untergehende Sonne tauchte ihre weißen Schwingen in ein rosiges Licht. »Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Victor muß seine Tiere von unserem Land holen, damit wir einen eigenen Bestand aufbauen und einen Verwalter einstellen können. Zweifellos wird er uns den Zugang zu den großen Scherschuppen verweigern. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß wir Ada Crossleys Einrichtungen benutzen dürfen.«
»Wer ist das?«
»Jock Walkers Tochter von der Nachbarfarm.«
»Die Schwester des Richters?«
»Genau.«
Unwillkürlich zuckte Fern zusammen. »Ich verstehe.«
Charlotte legte ihr dar, daß sie sich im Grunde nicht von den Siedlern unterschieden, die ein Stück Land von der Regierung erworben hatten, und erklärte detailliert, wie diese ihre Schaffarmen aufbauen würden. Im Vergleich zu Springfield war ihr Besitz winzig, verfügte jedoch über ausgezeichnete Weiden. Bisher hatte Fern die immensen Ausmaße von Austins Farm, die an einigen Stellen fünfzig Meilen breit war, nie richtig erfassen können, und war beeindruckt von Charlottes sachlicher Einschätzung. Sie schien genau zu wissen, wie viele Schafe jede Weide aufnehmen konnte, sprach über die natürliche Erweiterung und Reduzierung ihrer Herden und so viele andere Dinge, daß Fern nicht mehr mitkam.
»Du klingst wie Austin!«
»Er war ja auch ein guter Lehrmeister. Ich war nicht immer nur Hausfrau. Früher waren wir bei Wind und Wetter draußen, kämpften Seite an Seite um die neugeborenen Lämmer und schützten die frisch geschorenen Schafe vor Kälte und Feuchtigkeit. Wir kauften gemeinsam die Zuchtwidder ein und verwöhnten sie wie unsere eigenen Babys. Ein erstklassiges Schaf erkenne ich auf den ersten Blick. Daher ärgere ich mich jetzt auch so, daß Austin mich zu seiner Haushälterin gemacht hat und meine Söhne mich wie einen alten Klepper im Schuppen hinter dem Haus abstellen wollen.«
»Nicht gerade der richtige Platz für eine Herzoginwitwe, was?« fragte Fern augenzwinkernd.
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Charlotte ernsthaft. »Im übrigen gibt es einen viel einfacheren Weg, unseren neuen Besitz zu verwalten.« Zum ersten Mal brachte sie ein Lächeln zustande. »Wir verpachten ihn an Springfield.«
Fern seufzte erleichtert. »Wieso hast du das nicht gleich gesagt?«
»Weil ich vermute, daß Victor eine Weile braucht, bis er diese Möglichkeit erkennt und uns, falls überhaupt, ein entsprechendes Angebot unterbreitet. Das bedeutet für mich ein Einkommen und für dich eine Rente. Bis dahin müssen wir nur dann einen neuen Bestand aufbauen, wenn wir es wirklich wollen. Wir haben das Land gekauft, das sollte fürs erste genügen.«
»Ich frage mich, wie sie reagieren, wenn sie es erfahren.«
Charlotte schüttelte den Kopf. »Nicht allzu erfreut, fürchte ich. Ich wünschte, ich würde mich bei dieser Sache wohler fühlen. Sie werden mich hassen.«
»Einen Moment.« Fern verschwand im Haus und kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem eine Karaffe und zwei kleine Kristallgläser standen. Sie reichte Charlotte einen Sherry.
»Kein Wort mehr, bis wir einen Schluck von meinem Besten getrunken haben. Du steckst mich schon an mit deiner Nervosität.«
Charlotte kippte die Hälfte in einem Zug hinunter. »Ich habe Victor und Rupe heute geschrieben. Ich möchte nicht, daß sie es von jemand anderem erfahren. Sie sollen nicht als Narren dastehen. Ich habe ihnen erklärt, daß sie mir keine andere Wahl gelassen haben.«
»Oh Gott, ich fürchte, ›nicht allzu erfreut‹ ist die Untertreibung des Jahrhunderts.«
Charlottes Brief traf am gleichen Tag ein, an dem die Brodericks einen Reiter nach Cobbside geschickt hatten, wo er ein Telegramm an die Anwälte in Brisbane aufgeben sollte. Darin erkundigte sich Victor nach kürzlich getätigten Käufen von Springfield-Ländereien.
Als Reiter war Spinner ausgewählt worden, der sich über den freien Tag sehr freute. Man hatte ihn nämlich angewiesen, in der Stadt auf Antwort zu warten.
Allerdings störte ihn die Tatsache, daß er als Schwarzer nicht das Pub betreten durfte, obwohl er auf Springfield wie alle anderen Viehhüter behandelt wurde. Da er inzwischen jedoch voller Stolz den Rang eines bezahlten Arbeiters bekleidete, konnte er einen weißen Viehhüter dazu überreden, ihm im Pub einen Schnaps zu kaufen. Damit ging er in den Park neben dem neuen Rathaus, wo sich die Schwarzen zu versammeln pflegten.
Sie waren neugierig auf seine Heiratspläne, doch er weigerte sich, über dieses Thema zu sprechen.
»Hast du kalte Füße bekommen, Spinner?«
»Ist das Mädchen vielleicht zu schlau für dich?«
»Warum willst du unbedingt auf Springfield bleiben? Der große Boß ist tot, und den anderen bist du egal.«
Jeder in der schwarzen Gemeinschaft mischte sich in fremde Angelegenheiten, und Spinner spielte schon mit dem Gedanken, lieber neben dem Kolonialwarenladen zu warten, der gleichzeitig als Postamt fungierte. Dann spuckte jedoch ein alter Mann seinen Tabak aus und meldete sich zu Wort.
»Vielleicht wartet er auf seine eigenen Leute. Die kommen zurück, oder?«
»Wer sagt das?« knurrte Spinner.
Der alte Kerl nickte, grinste und kratzte sich am Schenkel.
»Sie kommen zurück. Ein paar Leute haben es gesehen. Sie haben es gesagt.«
»Was genau haben sie gesehen?«
»Die Emu-Leute haben gesehen, daß Honig verschwindet. Fischfallen. Kleine Lager. Alles auf deinem Land. Du bist kein Schwarzer mehr, sonst würdest du es auch gesehen haben. Da muß jemand sein.«
»Wo? Auf Springfield?«
»Was erzähle ich denn die ganze Zeit? Die Leute wandern umher. Gehen woanders hin. Sehen Zeichen. Da leben Schwarze. Sie bewegen sich. Erst sind sie auf einer Seite vom Fluß, dann auf der anderen.« Er gackerte fröhlich, als er sah, wie verblüfft Spinner wirkte.
»Ach, Unsinn! Wenn dort Schwarze leben würden, wüßte ich Bescheid.« Er kehrte in die Stadt zurück, kaufte sich beim Bäcker eine große Fleischpastete, verschlang sie gleich auf der Hintertreppe des Ladens und ließ sich dabei durch den Kopf gehen, was er soeben erfahren hatte.
Es stimmte, er würde es nicht merken, wenn einheimische oder fremde Aborigines Springfield beträten, doch die Stammesleute würden es wissen. Sie zogen ständig umher, ohne sich um Grenzen zu kümmern, die ohnehin nur für die Weißen galten. Ihnen würde auffallen, wenn Vogeleier in den Nestern fehlten, wenn Nußbäume erst kürzlich geplündert worden wären, wenn ein nackter Fuß Gras niedergetreten hätte. Ihren scharfen Augen entging nichts, daher waren sie auch so gute Fährtenleser. Doch Spinner hatte diese Kunst verlernt, da er sie in seinem neuen Leben nicht brauchte.
Er aß seine Pastete auf und wünschte sich, er könne sich noch eine leisten, weil sie so gut geschmeckt hatte. Sie war mit dicken Fleischstücken gefüllt und troff von Bratensoße. Er leckte sich die Finger und dachte nach. Wenn die Leute deutliche Zeichen im Busch entdeckt hatten, mußte ihre Vermutung stimmen. Was aber hatte das mit ihm zu tun? Wäre Boß Broderick noch am Leben, so hätte er ihm diese Neuigkeiten bereitwillig überbracht, um seine Umsicht unter Beweis zu stellen. Das hätte dem alten Mr. Austin gefallen. Er hätte dem Boß erzählen können, daß er all diese Zeichen selbst bemerkt hatte. Sich als großartigen Kerl darstellen. Doch Victor und Rupe besaßen keinen Draht zu den Schwarzen und konnten vermutlich ganz gut auf ihre Gegenwart verzichten.
Am besten er vergaß die ganze Sache gleich wieder. Nur Moobuluk konnte er nicht ignorieren; doch wenn der Zauberer etwas von ihm wollte, würde er sich mit Sicherheit bei ihm melden. Wäre er zornig, würde er als Dingo mit flammenden Fängen auftauchen. Bisher aber hatte er keinen Grund, zornig zu sein. Von den kleinen Jungen gab es nach wie vor keine Spur, dessen war Spinner gewiß.
Um kurz vor fünf erhielt er ein Antworttelegramm für Victor Broderick. Er ritt damit rasch durch die Dunkelheit, wobei er verzweifelt an seine Liebste dachte und die Geister anflehte, Moobuluk möge ihn von seinem uneinlösbaren Versprechen entbinden, nach Kindern Ausschau zu halten, die nie zurückkehren würden.
Nioka sah von ihrem Lager aus, wie der Reiter, der in Richtung des Hauses unterwegs war, eine Abkürzung durch den Busch nahm, blieb aber im Verborgenen. Es war Spinner, der ihr ohnehin nicht weiterhelfen konnte. Sie würde bis zu diesem und notfalls auch den nächsten zwanzig Weihnachtsfesten auf die Jungen warten. Sie würden nach Hause kommen, dessen war sie sicher.
Dennoch legte sich ein Hauch von Melancholie über sie, während sich die Tage hinzogen und die Einsamkeit sie wie eine lästige Wespe umsummte. Wie oft sie sie auch zu vertreiben suchte, sie kehrte immer wieder zurück. Die Euphorie der ersten Tage war verflogen. Zunächst hatte es Spaß gemacht, allein die alten Stammesorte aufzusuchen; auch an Nahrung mangelte es ihr nicht. Wie im Rausch war sie durch den unberührten Busch gestreift, hatte ein Lager aufgeschlagen, wo es ihr gefiel, war in die hochgelegenen Wälder gewandert und hatte auf die weiten Grasebenen hinuntergeblickt, bis sie wieder eins wurde mit der natürlichen Schönheit des Landes und seiner Geschöpfe, doch selbst dieses Gefühl von Freiheit und Macht begann nun zu verblassen.
Sicher, die Heimkehr hatte ihr neues Selbstvertrauen geschenkt. In der Fremde war sie nie sie selbst gewesen, obwohl die Horde am See sie freundlich behandelt hatte. Auch Liebe hatte sie dort erfahren, die jedoch vom tragischen Ende ihrer Schwester und der ständigen Sorge um die Jungen überschattet wurde. Nioka zweifelte nicht daran, daß ihre Rückkehr der richtige Schritt gewesen war. Sie gehörte hierher, wo sie eine starke Frau sein konnte, die nicht von Kummer und Unsicherheit gequält wurde.
Andererseits vermißte sie nach Wochen selbstgewählter Einsamkeit allmählich doch andere Menschen. Diese Schwäche vertrug sich natürlich nicht mit ihrem großartigen Plan, allein zu leben, bis die Jungen wiederkehrten. Sie wünschte, die anderen würden ebenfalls heimkommen, doch diese Hoffnung war vergeblich. Die Angst des Clans, weitere Kinder zu verlieren, war einfach zu groß.
Möglicherweise konnte sie sich der Horde anschließen, die auf Jocks Farm lebte. Dort würde man sie bestimmt willkommen heißen. Doch ihre Widerspenstigkeit hielt sie davon ab. Man würde ihr viele Fragen stellen, auch die Weißen würden neugierig werden und wissen wollen, woher sie kam und was aus den anderen Leuten des Clans geworden war. Sie war nicht in der Stimmung, ihnen irgend etwas zu erzählen. Was ihre Leute taten und ließen, ging die Weißen überhaupt nichts an.
Tief im Busch stieß sie auf ein junges Känguruh, das allein umherhüpfte. Seine Mutter war vermutlich tot, vielleicht den Dingos zum Opfer gefallen, und sie drückte es an sich. Nioka war dankbar für die Gesellschaft. Sie flocht einen Beutel aus Schilf, legte das Tierchen hinein, hängte ihn sich über die Schulter und genoß die Wärme des pelzigen Körpers an ihrem Rücken.
Im Antworttelegramm bestätigen die Anwälte den Inhalt von Charlottes Schreiben. Ihre Schwiegertochter freute sich. »Ich bin ja so erleichtert«, sagte sie zu Cleo. »Die Männer hatten sich schon Sorgen gemacht, daß sich Siedler bei uns eingenistet hätten. Zum Glück haben Charlotte und Fern Broderick die Grundstücke gekauft und dazu beigetragen, die Farm zu erhalten.«
»Das ist schön. Mir sind die Auseinandersetzungen wegen des Testaments natürlich nicht entgangen. Meinen Sie, sie will ihren Söhnen auf diesem Wege ein Friedensangebot unterbreiten?«
»Schon möglich. Es wird ja auch allmählich Zeit. Eigentlich gab es von Anfang an keinen Grund zum Streiten, da Austins Anweisungen sehr deutlich formuliert sind.«
»Da haben Sie wohl recht.« Dennoch hegte Cleo gewisse Vorbehalte bezüglich der Gerechtigkeit dieses Testaments. Sie hatte lange über den Standpunkt der Witwe nachgedacht und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Austin Broderick seine Söhne auf Kosten seiner Frau allzu großzügig bedacht hatte. Was hatte er ihr denn schon hinterlassen? Nur das Recht, im Haus zu leben. Cleo konnte es Charlotte nicht verdenken, daß sie darüber entrüstet war und nun versuchte, einen sichereren Zugriff auf den Besitz zu erhalten. Aber natürlich stand es ihr nicht zu, einen Kommentar dazu abzugeben.
Als die Tageshitze nachließ, unternahm sie mit Teddy einen Spaziergang bis zum Abhang, von dem aus sich ein Blick auf das weite Tal bot.
»Da ist Daddy«, rief der Junge und deutete auf eine Gruppe von Reitern, die die Talsohle durchquerte. Die Reihe der Männer auf den rhythmisch dahintrabenden Tieren wirkte sehr anmutig. Bei genauerem Hinsehen entdeckte Cleo, daß nicht Victor, sondern Rupe die Gruppe anführte. Sie wünschte, sie könnte diesen Anblick auf einem Bild festhalten: die gelassen reitenden Männer, die Silhouetten der Pferde vor den zarten Staubwolken, das vergilbende Wintergras und dahinter das üppige Grün des Gebüschs an den Hängen jenseits des Tales.
»Das dort vorn ist Onkel Rupe«, sagte sie mit Stolz in der Stimme.
»Und da ist mein Daddy, auf dem grauen Pferd.«
Sie spähte wieder in die Ferne. »Stimmt. Sollen wir ihnen entgegengehen?«
»Ja! Ja!« schrie Teddy begeistert und ergriff ihre Hand.
»Komm, Cleo, lauf. Sonst sind sie vor uns da.«
Victor erfuhr als erster von der Bestätigung der Anwälte.
»Was soll das heißen, es war nur Charlotte?« Er nahm den Hut ab und warf ihn aufs Sofa.
»Und Fern Broderick. Es waren gar keine fremden Siedler.«
Gereizt sagte er zu Louisa: »Du redest wirres Zeug. Wer hat was gekauft?«
»Das habe ich dir doch gesagt. Jock Walker hatte recht. Zwei weitere Grundstücke sind jetzt in freien Grundbesitz übergegangen, und zwar jene, die auf Charlotte und Fern eingetragen waren.«
»Wer hat sie bezahlt?«
»Die beiden, nehme ich an.«
»Wo ist Charlottes Brief? Und das Telegramm?«
Er las beides durch, stürmte – darin erinnerte er an Austin – ans Fenster und rief nach Rupe, der gerade mit Cleo aus den Stallungen kam.
»Willst du meine Bilder sehen?« fragte Teddy.
»Jetzt nicht. Geh und sag Rupe, er soll sofort zu mir kommen.«
Der Junge rannte davon. Louisa sah ihren Mann erstaunt an.
»Ich dachte, es würde dich freuen.«
»Freuen? Begreifst du denn nicht? Sie haben einen Teil von Springfield gekauft. Er gehört uns nicht mehr!«
»Aber du hast doch selbst gesagt, es stehe lediglich auf dem Papier. Daß dieses ganze Aufteilen von Springfield nur wegen der neuen Gesetze durchgeführt wird …«
Victor kochte. »Aber bloß dann, wenn wir die Grundstücke selbst erwerben.«
»Was macht es denn für einen Unterschied? Charlotte und Fern gehören doch zur Familie.«
Victor zog Rupe fast über die Schwelle. »Komm rein, los! Würdest du meiner Frau bitte erklären, wie es für uns aussieht, wenn Charlotte das Grundstück gekauft hat, das wir ihr auf der Käuferliste zugeteilt haben?«
Rupe lachte. »Das kann sie gar nicht! Sie hat kein Geld.«
»Oh doch, sie steckt mit Fern unter einer Decke. Sie haben die auf sie eingetragenen Grundstücke gekauft, offensichtlich mit Ferns Geld. Wahrscheinlich hat Mutter sie gegen uns aufgehetzt, um sich an uns zu rächen.« Er gab Rupe Charlottes Brief, der ebenso knapp wie deutlich war und sich auf die nüchternen Tatsachen beschränkte.
Rupe starrte fassungslos darauf. »Das verstehe ich nicht. Wie haben die beiden das geschafft?«
»Ganz einfach. Wir haben die Ansprüche auf ihre Namen angemeldet, und das haben sie ausgenutzt. Sie haben diese Grundstücke erworben und beanspruchen nun die Eigentumsrechte daran.«
»Das wollten wir doch ohnehin.«
Victor explodierte. »Wieso kapiert das denn keiner von euch? Wir hätten diese Grundstücke als Eigentümer von Springfield und mit unserem Geld erworben, so wie es ursprünglich geplant war …«
»Das stimmt, und sie haben uns nun die Mühe abgenommen und Kosten erspart«, fügte Rupe hinzu.
»Du verdammter Dummkopf! Sie haben uns gar nichts erspart. Ihnen gehört ein Abschnitt im Herzen der Farm und einer auf dem Land, das wir verkaufen wollten. In der Mitte von Springfield klafft somit ein Loch.«
Rupe ließ sich in einen Sessel fallen. »Na gut, aber was ist so schlimm daran? Dann wird Charlotte es uns eben wieder überschreiben. Wir haben Vieh auf dem Land stehen.«
Endlich dämmerte es Louisa. »Oh Gott, ihr wolltet ihr keinen Anteil geben, also hat sie sich einen gekauft.«
»Brillante Schlußfolgerung!« meinte Victor sarkastisch.
»Rede nicht in diesem Ton mit mir! Es ist so verdammt kompliziert. Ihr gehört demnach gutes Weideland – und wenn schon? Eure eigene Mutter wird euch doch keine Schwierigkeiten machen wollen.«
»Sie hat unser Land gestohlen!« sagte nun auch Rupe wütend. »Da sie das Testament nicht anfechten konnte, hat sie es sich hinter unserem Rücken erschlichen. Und ist durchaus in der Lage, uns eine Menge Ärger zu bereiten.«
»Wie denn zum Beispiel?« fragte Louisa.
Victor zündete sich einen Stumpen an, den Blick auf Austins Porträt gerichtet. »Zuerst einmal könnte sie oder diese verfluchte Fern das Land verkaufen, wann immer es ihr paßt.«
»Falls wir dem keinen Riegel vorschieben«, sagte Rupe. »Wir werden bestraft, weil Charlotte ihren Willen nicht bekommen hat. Sie könnten verlangen, daß wir unser Vieh von ihrem Land entfernen. Sie können eigene Herden aufbauen. Eine Einzäunung fordern. Verwalter einstellen, die eigene Häuser brauchen.«
»Vergiß Ferns Land«, entgegnete Victor. »Ich mache mir Sorgen um Charlottes Grundstück. Es könnte tatsächlich zu einer Farm innerhalb von Springfield werden. Was aber sollten wir dagegen unternehmen? Wir können sie nicht damit durchkommen lassen.«
Auch beim Abendessen war das Thema allgegenwärtig. Cleo hörte höflich zu, obwohl sie die ganze Sache eher belustigend fand, doch sie behielt ihre Meinung wohlweislich für sich. Schließlich beschloß man, Victor solle an Charlotte schreiben und seiner Entrüstung darüber Ausdruck verleihen, daß sie ihre gemeinsamen Erwerbspläne für eigene Zwecke ausgenutzt habe.
Er brauchte mehrere Entwürfe, bis er ein Schreiben aufgesetzt hatte, das auch Rupe zufriedenstellte.
Darin teilte Victor seiner Mutter mit, daß sie anscheinend keine Unterstützung durch ihre Söhne mehr benötige, wo sie sich den Erwerb eines so großen Grundstücks leisten könne. Die Zahlungen an sie würden deshalb umgehend eingestellt. Außerdem wies er darauf hin, daß man ihr den Zugang zu ihrem Grundstück verwehren würde, obgleich er bezweifelte, daß dieses Verbot vor Gericht standhalten würde. Immerhin hatte er das Recht, ihr die Benutzung der Wollschuppen zu untersagen.
Auf Rupes Drängen drohte er weitere drakonische Maßnahmen an, die den Betrieb einer Farm innerhalb Springfields äußerst schwierig gestalten würden.
Zuletzt äußerte er auf Anraten seiner Frau den Wunsch, daß diese unerfreuliche Situation bald ein Ende finden möge. In einem reichlich späten Versuch, sich versöhnlich zu zeigen, entschuldigte er sich für die Mißstimmung, die zwischen ihnen entstanden sei und gab der Hoffnung Ausdruck, daß man von nun an glücklicheren Tagen entgegensehe.
Victor überblickte sehr viel besser als Louisa und Rupe, welche Schwierigkeiten auf sie zukommen konnten, und war überaus nervös. Charlotte war eindeutig auf dem Kriegspfad und erwies sich als durchaus ernst zu nehmende Gegnerin. Rupe hatte ihnen letztlich doch von der Zurückweisung durch Ada Crossley erzählt, was seine Sorge nur noch verstärkte. Im Notfall konnte Charlotte im Bezirk ganz sicher auf größere Unterstützung zählen als sein Bruder und er.
Bevor er den Brief versiegelte, schob er ohne das Wissen der anderen einen kleinen Zettel in den Umschlag.
Teddy vermißt seine Großmutter.
Victor und Jock planten, dem Zuchtwidder der Brodericks einige von Jocks Mutterschafen zuzuführen. Zu Victors Überraschung begleitete Ada Crossley ihren Vater nach Springfield.
Die massige Frau im unförmigen Reitanzug, die sich den großen Hut, der ihr gebräuntes Gesicht beschattete, mit einem Tuch festgebunden hatte, glitt flink wie ein junges Mädchen von ihrem Vollblüter.
»Wie geht’s, Victor? Ich hatte dich eigentlich beim Rennen zu sehen erwartet.«
»Ich hatte zu tun.«
»So ein Pech, es war nämlich ein echtes Spektakel. Weshalb ist Rupe so früh gegangen?«
»Keine Ahnung. Er trifft seine eigenen Entscheidungen. Ich sage Louisa Bescheid, daß du hier bist.«
Er erwartete schon halb, daß Ada ablehnen würde, nach allem, was Louisa ihm über ihre unerfreuliche Begegnung in Cobbside erzählt hatte, doch Ada sagte nichts. Also schickte er einen Viehhüter los, der seiner Frau die Ankunft der Gäste ankündigen sollte.
»Was will sie bloß?« fragte Louisa die Köchin. »In der Stadt behandelt sie mich wie Dreck, und jetzt taucht sie seelenruhig zum Morgentee auf. Eigentlich sollte ich mich indisponiert geben.«
Hannah schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Dann hätte Victor es ihr gleich sagen müssen. Außerdem gibt es gewisse Anstandsregeln, an die man sich halten muß. Ich habe frischen Kuchen gebacken, Sahne gibt es auch dazu. Ich mache noch ein paar von meinen Pikelets, die Jock so gern mit Brombeermarmelade ißt. Keine Bange, ich werde sie richtig verwöhnen.«
Als sie mit Victor und ihrem Vater an der Vorderseite des Hauses entlangging, bemerkte Ada das welke Laub auf dem Kiesweg. Der Zustand des Vorgartens ärgerte sie.
»Du lieber Himmel, seht euch diese armen Rosensträucher an! Victor, sie brauchend dringend Wasser. Und wie die Blumenbeete aussehen! Das sind einjährige Pflanzen, die müssen ausgetauscht werden.«
»Er hat Besseres zu tun«, fuhr Jock sie an.
»Natürlich, es war ja auch Charlottes Garten.«
Victor verstand den versteckten Vorwurf, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Schließlich machte er mit Jock die Geschäfte, nicht mit ihr.
Der Morgentee im sonnigen Frühstückszimmer war köstlich. Louisa bot ihre besten bestickten Tischdecken und Servietten, das Silberbesteck und Charlottes Lieblingsporzellan auf. In Ermangelung frischer Blumen dekorierte sie den Tisch mit Blütenzweigen aus dem Obstgarten und plazierte die verzierte silberne Kuchenetagere in der Mitte.
Als Ada hereinkam, ahnte Louisa sofort, was ihr blühte.
»Ah, diese Kuchenetagere. Ich habe sie immer bewundert. Spielte sogar schon mit dem Gedanken, sie mitgehen zu lassen. Wußtest du, daß der Premierminister sie Austin und Charlotte zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hat? Das war vielleicht ein Fest! Erinnerst du dich noch, Jock?«
»Auf Springfield hat es so viele Feste gegeben. Du kannst nicht erwarten, daß ich mich an jedes einzelne erinnere.« Er lachte glucksend, während er Platz nahm. »Vermutlich konnte ich mich nicht mal am nächsten Tag dran erinnern.«
»Wie heißen noch mal diese kleinen Pfannkuchen?« fragte er und lud sich den Teller voll.
»Pikelets«, antwortete Louisa.
»Stimmt. Hannah kennt meine Schwäche für diese Dinger. Reich mir bitte die Marmelade. Die Sahne auch. Man muß sie essen, solange sie heiß sind.«
Im Verlauf der Mahlzeit konnte Louisa erleichtert aufatmen. Sie war dankbar für Hannahs Backkünste und die Diskussionen der Männer über die Vorzüge diverser Merinoschafe. Doch Ada konnte nicht ganz auf ihre Sticheleien verzichten.
»Und wann dürfen wir mit Charlotte rechnen?« fragte sie und griff nach einem weiteren Stück Kuchen mit Zuckerguß.
Die Frage erfüllte ihren Zweck: Bei Jock fiel der Groschen, er erkannte sein Stichwort.
»Was habe ich da über Charlotte gehört? Eure Mutter kauft euch den Boden unter den Füßen weg? Ganz schön clever, was?«
»Wovon redest du?« fragte Victor kühl.
»Komm mir nicht auf die Tour, mein Junge. Charlotte hat sich ein Stück von Springfield gekauft, wußtest du das nicht?«
»Natürlich, aber das ist weiter kein Problem.«
»Wenn du meinst«, grinste Jock. »Ada, es wird Zeit für uns.«
»In der Tat. Schließlich hast du ihnen jetzt alles weggegessen.« Sie nickte Victor und Louisa zu. »Vielen Dank für diesen bezaubernden Morgen. Wie schön, daß es euch nichts ausmacht, wenn Charlotte nun auch ein Teil gehört. Richtet ihr bitte aus, daß sie sich jederzeit an ihre Nachbarn um Hilfe wenden kann.«
»Sie haben uns ausgelacht«, sagte Louisa zu Victor, nachdem sie weg waren.
Er schüttelte den Kopf. »Jock schon, sie nicht. Ada hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen. Du mußt wissen, daß nicht mehr er, sondern sie auf der Farm das Sagen hat. Lochearn ist nach Springfield der größte Besitz in den Downs. Wenn sie es auf uns abgesehen hat, sitzen wir in der Patsche, das weiß sie ganz genau.«
»Was kann sie denn schon tun, außer uns unfreundlich zu behandeln?«
»Uns in die Isolation treiben. Scherer abwerben. Ihnen sagen, daß sie sich entscheiden müssen, entweder bei uns oder bei allen anderen zu arbeiten. Das ist schon vorgekommen. Austin hat vor einigen Jahren einen Squatter boykottiert, der Schafe von Nachbarfarmen gestohlen hatte. Man hat ihn förmlich vertrieben.«
»Das ist aber etwas anderes. Er war immerhin ein Dieb.«
»Mag sein, aber die Squatter bilden eine sehr enge Gemeinschaft. Austin war sehr beliebt, doch wir haben nie darüber nachgedacht, daß Charlotte ebenso großes Ansehen genießt …«
»Hat Ada Crossley es etwa geschafft, alle gegen uns aufzuhetzen?«
»Nur wenn sie glauben, wir täten Charlotte Unrecht. Ada hat uns heute eine faire Warnung zukommen lassen. Louisa, wir sind in ernsten Schwierigkeiten.«
Er unternahm den Versuch, Rupe soweit zu überzeugen, daß dieser die Situation ernst nahm. »Bevor uns alles entgleitet, sollten wir mit Charlotte einen Waffenstillstand schließen.«
»Wie denn?«
»Wir geben ihrer ursprünglichen Forderung nach. Mehr will sie ja gar nicht. Dann gehört ihr ein Drittel von Springfield. Ich vermute, sie ist zufrieden, wenn sie dem Namen nach Mitbesitzerin ist, und wird uns die Farm führen lassen. Sie fühlt sich einfach ausgeschlossen. Wir müssen ihr nur geben, was sie verlangt, und zwar unter der Bedingung, daß sie uns ihr und Ferns Grundstück überschreibt.«
Rupe goß sich noch einen Whisky ein und betrachtete nachdenklich sein Glas. »Wir geben ihr also ein Drittel und erhalten im Gegenzug ein Zehntel. Ich war nie ein Rechengenie, aber das scheint mir doch ein sehr schlechtes Geschäft zu sein. Da muß sie uns schon etwas mehr anbieten.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Laß das doch ihre Sorge sein.«
Ada Crossley verschwendete keine Zeit. Sie verzichtete zwar darauf, Charlotte mitzuteilen, daß sämtliche Freunde sie im Kampf gegen ihre geldgierigen Söhne unterstützen würden, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, aber da ihr das einzige Hotel in Cobbside gehörte, wies sie den Geschäftsführer an, die Viehhüter von Springfield künftig abzuweisen.
Diese Entscheidung stiftete Unruhe in der Stadt, und es kam zu einigen Tätlichkeiten, doch das kümmerte sie nicht. Einige Männer von Springfield wurden wegen Ruhestörung eingesperrt – immerhin war der Friedensrichter Adas Cousin. In mehreren Agrargemeinschaften bildeten sich neue Ausschüsse, in die die Brodericks nicht als Mitglieder aufgenommen wurden. Die Tennisturniere, die gewöhnlich auf Springfield stattfanden, wurden verlegt. Der Metzger und der Pferdepfleger, die beide für Springfield und Lochearn arbeiteten, erklärten übereinstimmend, daß die Arbeit bei Jock sie zu sehr in Anspruch nehme, um noch nach Springfield zu kommen. So ging es immer weiter.
Victor flehte Rupe an, nachzugeben. Er wußte, daß eine gemeinsame Leitung der Farm auch ohne diese zusätzlichen Probleme schwierig genug wäre. Außerdem war ihm der Gedanke gekommen, daß Charlotte ihn Rupe als Boß vorziehen und als Puffer zwischen ihnen beiden fungieren könnte.
Doch Rupe blieb eisern bei seiner Haltung, trat großspuriger auf denn je und sonnte sich in seiner neuen Rolle als Mitglied des Landadels mit eigenem Einkommen.
»Auf die Lokalmatadore können wir doch verzichten. Ich habe beschlossen, einige Freunde aus Brisbane zu einer Wochenendparty einzuladen. Vielleicht bleiben sie auch länger, wenn sie Lust haben. Wir können eine Jagd, einen Angelausflug und eine Dinnerparty für den Samstag organisieren.«
»Das solltest du besser erst mit Louisa abklären.«
»Wieso?«
»Aus Höflichkeit.«
Rupe runzelte die Stirn. »Victor, eines möchte ich ein für allemal klarstellen: Das hier ist mein Zuhause. Ich brauche Louisa nicht um Erlaubnis zu fragen, wenn ich Gäste einladen möchte. Ich entscheide, wen ich wann herbitte. Und wenn Charlotte heimkehrt, gilt das gleiche für sie. Wir haben eine Köchin und mehrere Hausmädchen; es reicht, wenn sie entsprechend instruiert sind.«
»Zum Teufel damit!« schrie Victor und packte Rupe an den Schultern. »Das hier ist auch Louisas Heim, und du behandelst sie gefälligst mit Respekt! Sie führt den Haushalt …«
Rupe stieß ihn zornig weg. »Versuch nicht, mich zu gängeln, mein Freund. Ich könnte selbst eine Frau herbringen. Und sie wird dann auch nicht um Erlaubnis bitten müssen!«
»Welche Frau? Was soll das heißen? Willst du vielleicht Cleo heiraten?«
Er zuckte die Achseln. »Das habe ich nicht gesagt. Von ihr war gar nicht die Rede.« Beim Hinausgehen sah er sich noch einmal um. »Wie du siehst, wird Louisa vielleicht nicht allzu lange allein regieren.«
Rupe begab sich in den ehemaligen Flügel seines Vaters. Mittlerweile hatten es sich alle angewöhnt, das Billardzimmer zu nutzen, doch er hatte sich das Büro nebenan gesichert, wo er ungestört alte Journale und Bücher durchblättern und sich wichtig fühlen konnte.
Er zündete sich eine Zigarre an und legte die Füße hoch. Er hatte Victor ganz schön auf die Palme gebracht, vor allem mit dem Hinweis auf Charlottes Rückkehr, die bestimmt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, nachdem sie ihr den Unterhalt gestrichen hatten. Wenn er selbst erst mit Cleo verheiratet war, würde es drei Mrs. Brodericks im Haus geben. Sehr zum Unwillen Louisas.
Durchs Fenster sah er einen Schwarm Kraniche, der in Richtung des Flusses zog. Nach der Trockenzeit versammelten sich stets Tausende von Vögeln auf den Wasserläufen von Springfield und boten Gästen einen herrlichen Anblick. Eigentlich müßten jetzt Besucher hier sein, dachte er bei sich. Seine Familie blickte leider nicht weit genug voraus, sonst wäre allen längst klar geworden, daß eines Tages drei Frauen auf Springfield leben würden. Harry war ausgezogen, doch was war mit ihm? Erwarteten sie, daß er als alter Hagestolz endete?
Rupe war davon überzeugt, daß Louisa der Schlüssel zu seinen Plänen war. Mochte Victor noch so entschlossen sein, eisern zu sparen, um so viel Land wie möglich aus den Fängen von Siedlern zu befreien, für eine Befreiung seines Bruders mußte es auch noch reichen. Rupe mußte über seinen eigenen Witz lachen.
Er wollte nichts als einen anständigen Unterhalt, damit er und seine Frau angemessen reisen konnten, wohin es ihnen gefiel. Rupe sehnte sich nach dem Leben eines Gentleman-Squatter. Er hatte keineswegs die Absicht, den Rest seines Lebens bei seiner unglückseligen Familie zu verbringen und Tag für Tag das gleiche zu tun. Drei Frauen würden ihn diesem Ziel näherbringen. Wenn er Louisa genügend schikanierte, würde sie allein schon aus Eigennutz darauf bestehen, daß Victor ihm und seiner Frau soviel Geld gab, daß sie Springfield verlassen konnten. Ihm stand die Hälfte der Gewinne zu; im Gegensatz zu Charlotte hatte er ein Anrecht auf diese Unterhaltszahlung, egal, ob er nun blieb oder ging.
Und seine Mutter würde es sicher auch begrüßen, wenigstens eine der beiden Frauen los zu sein.
Nein, Victor, diesen Streit wirst du nicht gewinnen, dachte er bei sich. Vielleicht mußt du noch ein paar Grundstückabschnitte mehr verkaufen als erhofft, aber ich bin bald samt Frau und deinem Segen unterwegs.
Charlottes Antwort bestärkte Rupe in der Überzeugung, daß Victor die Probleme allmählich über den Kopf wuchsen. Dieser war im Grunde seines Herzens Farmer, selbst wenn seine Herden Hunderttausende von Tieren umfaßten. Er glaubte noch immer selbst dafür sorgen zu müssen, daß seine Schafe zu jeder Jahreszeit ausreichend Futter und Wasser erhielten, geschoren und geschützt wurden; er wachte über das Weideland wie auch den Anbau der Nutzpflanzen für den Haushalt, das Wohlergehen seiner Zuchtschafe ebenso wie der mehr als hundert Pferde. Was Victor brauchte, war ein ruhiges Leben, das friedvolle Leben eines hingebungsvollen Farmers. Wenn es nach ihm ginge, hätte Charlotte heimkommen, ein Drittel des Besitzes als stille Teilhaberin halten und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern können.
Doch drei Frauen im Haus würden ihm diese Ruhe nicht gönnen. Und nun kam Charlotte tatsächlich heim, mehr noch, ihre Antwort enthielt die Warnung, daß die eigentliche Schlacht noch bevorstand.
Sie hatte auf den Brief ihrer Söhne rasch und heftig reagiert.
Ihr vergeßt, daß Ihr in meinem Haus lebt. Ich hoffe, Ihr habt es gut in Ordnung gehalten, denn ich kehre in Kürze heim. Eure Selbstsucht kennt anscheinend keine Grenzen. Ich werde nicht zulassen, daß Ihr meinen Unterhalt streicht. Er wird auch nach meiner Rückkehr weiterlaufen, sonst könnt Ihr Euch darauf gefaßt machen, daß ich als Herrin von Springfield einige Abstriche an Eurer Unterbringung vornehmen werde.
Louisa zuckte zusammen. »Was meint sie damit?«
»Das weiß Gott allein«, antwortete Rupe. »Vielleicht will sie uns ja in die Arbeiterquartiere abschieben. Du solltest besser wieder ihre Vorhänge hervorholen.«
»Das werde ich nicht tun!«
Victor hatte Wichtigeres im Kopf als die Vorhänge. »Sie kann mit dem Haus tun und lassen, was sie will. Habt ihr den Rest denn nicht gelesen? Sie sagt, sie spiele mit dem Gedanken an den Verkauf ihres Landes, falls es mit uns zu keiner Einigung über ihren Anteil an Springfield komme. Verkauf!«
»Sie blufft doch nur«, sagte Rupe gähnend.
»Hat sie auch geblufft, als sie uns das Land vor der Nase weggeschnappt hat? Es ist eine Sache, wenn es Mutter gehört, aber eine ganz andere, wenn sich nun Fremde darauf breitmachen … Sie würden praktisch vor unserer Haustür wohnen und Zugang zum Fluß haben.«
»Sie ist doch völlig verrückt geworden!«
Victor kaute nervös an einem Fingernagel. »Ein Grund mehr, sich vor ihr in acht zu nehmen. Wir werden ihren Unterhalt nicht streichen und wir werden sie hier nach allen Regeln der Kunst willkommen heißen. Louisa, es würde dir nicht weh tun, wenn du ein paar Sachen an ihren ursprünglichen Platz zurückstelltest.«
»Das werde ich nicht tun. Wenn du es so haben willst, dann mußt du es schon selbst tun. Ich habe dieses Haus verschönert, es sieht endlich nicht mehr aus wie ein Museum.«
»Ich bitte dich lediglich um ein wenig Entgegenkommen.«
»Nein, du gibst ihren Drohungen nach. Meinetwegen soll sie dich schikanieren, aber ich lasse es mir nicht gefallen. Zuerst Austin, jetzt sie. Ich persönlich glaube, daß euer allmächtiger Vater dieses ganze verdammte Chaos verursacht hat, weil er immer nur an sich und seinen Riesenbesitz dachte.«
»So groß wie eine englische Grafschaft«, zitierte Rupe grinsend Austins Lieblingsspruch. »Nicht, daß er je eine aus der Nähe gesehen hätte.«
Victor kochte vor Wut. »Haltet endlich den Mund! Austin hat uns einen Besitz hinterlassen, auf den wir stolz sein können, und nun löst er sich vor unseren Augen auf, was euch überhaupt nicht zu stören scheint.«
»Deine Mutter aber auch nicht«, fauchte Louisa. »Wenn sie das Land tatsächlich verkauft, dann aus Rache für Austins Testament. Zeit der Vergeltung, wie die Aborigines sagen. Ich glaube, darauf wollte sie die ganze Zeit hinaus. Warum sonst hätte sie dieses Land gekauft?«
Rupe ließ die beiden allein weiterstreiten, fühlte sich jetzt aber doch ein wenig verunsichert. Zunächst hatte es ihn geärgert, daß sich Charlotte in ihren Besitz eingekauft und Fern Broderick ebenfalls hineingezogen hatte, doch bei näherer Betrachtung hatte er diese Tatsache gar nicht mehr als so schlimm empfunden. Schließlich konnten sie die Weiden für ein Taschengeld von ihr pachten, so daß ihre Würde keinen Schaden nahm und sie bekämen, was sie wollten. Doch ein Verkauf war ausgeschlossen. Dies war erstklassiges Weideland, dessen Verlust sich in den Profiten niederschlagen würde. Und der Profit war das einzige, das zählte.
Er beschloß, Charlottes Ankunft erst einmal abzuwarten. Wenn sie wirklich die Absicht hatte zu verkaufen, blieb als letzte Lösung, ein ruhiges, klärendes Gespräch zwischen ihr und Harry einzufädeln. Auf ihn würde sie ganz bestimmt hören.