7
Zurück im Wald
Sam saß vorne neben PJ, und die bleichen Fremden hockten eingezwängt auf der Rückbank des Camaro, umgeben vom Reisemüll.
»Wenn du nicht der Verantwortliche bist, musst du mich mit deinem Vorgesetzen sprechen lassen«, forderte der Albino. Er hatte die ganze Fahrt über gemeckert und sich aufgeführt, als hielte er sich für ziemlich wichtig.
PJ stieg auf die Bremse, als der Waldweg endete. »Hör zu, Bleichgesicht« – er wandte sich um und funkelte den Mann an –, »ich hab mich von einem durchgeknallten Schimpansen mit einem Baseballschläger verdreschen lassen. Ich hab euch Mittelalter-Freaks mit Togas und Schwertern am Hals. Und eben habe ich zwanzig Minuten lang den ekligsten Schleim, den ich je gesehen und gerochen habe, aufgewischt, damit mein Vater, der zufällig der einzige Polizist am Ort ist, ihn nicht an seinem Arbeitsplatz vorfindet. Ich lasse dich nicht mit meinem ›Vorgesetzten‹ sprechen, bis ich erfahren habe, was hier los ist, und wahrscheinlich nicht mal dann!«
Sam beobachtete ihre Reaktion. Sie schienen überrascht von dem scharfen Ton, den PJ anschlug.
»So, als Erstes will ich wissen«, fuhr PJ fort, »was es mit dem Zottelvieh auf sich hat. Raus mit der Sprache.«
Die Fremden sahen sich an. Mit einer Kopfbewegung bedeutete der Mann der Frau erneut, nichts zu sagen. Sie verzog das Gesicht, wollte offenbar etwas erzählen.
»Na schön!«, schnaubte PJ. »Ich habe euch hergebracht, so wie ihr gewollt habt. Es wäre toll, wenn ihr jetzt das Beweisstück mitnehmen und euch bitte in Luft auflösen würdet.«
Pj stieg aus und ging um den Camaro herum, um zu prüfen, ob die Luft rein war. Sobald er außer Hörweite war, wandte die Frau sich dem Albino zu und deutete aus dem Fenster. »Da ist der Pfosten, Whitey. Darunter liegt der Tunnel. Wenn wir zurück in Untererde sind, können wir den anderen berichten, dass –«
»Psst, Bree, warte.« Der Mann namens Whitey zeigte auf Sam, der sie über die Rückenlehne hinweg anstarrte. Die Frau hatte ihn völlig vergessen.
»Wow!«, sagte Sam. »Es gibt noch mehr von euch?«
Bree sah Whitey reumütig an. Er bedachte sie mit einem funkelnden Blick. »Das ist der Grund, warum du still sein und mich reden lassen sollst«, sagte er.
»Ihr wohnt unter der Erde?«, fuhr Sam fort. »Oh, Mann! Wie ist es dort denn so?«
»Es ist ein Geheimnis«, brummte Whitey und gewährte Sam einen Blick auf den Dolch unter seinem Gürtel. »Verstanden?«
Sam zuckte zurück.
»Warte, Whitey«, sagte Bree und betrachtete Sam. Sie sah ihn abschätzend an und lächelte freundlich. »Er scheint ehrenwert zu sein.«
»Was?«, fragte Sam.
»Was?«, fragte Whitey.
Bree zwinkerte dem Albino zu. »Ich wette, dieser feine junge Knabe besitzt das Herz eines Kriegers. Leider können wir ihn nicht mitnehmen.« Mit ernstem Blick wandte sie sich Sam zu. »Aber wir können dir den heiligen Schwur der Verschwiegenheit abnehmen, nicht wahr, junger Krieger?«
Sam nickte. Noch nie hatte ihn jemand ehrenwert oder einen feinen jungen Knaben genannt und erst recht nicht einen Krieger.
Bree hielt ihm die offene Handfläche hin. »Okay, dann lege deine Hand an meine und sprich mir nach.«
Sam hob die Hand und drückte sie gegen die der Frau.
Klack!
In dem Moment öffnete PJ den Wagenschlag. »Alles klar, die Luft ist rein«, sagte er.
Bree schüttelte rasch Sams Hand und zwinkerte ihm zu, als PJ ihnen bedeutete auszusteigen.
PJ öffnete den Kofferraum und machte ein angewidertes Gesicht, während sie das tote Tier heraushoben. Es hing wie ein leerer Fellsack an ihren Händen, schien überhaupt keine Knochen zu haben. Danach fischte PJ die blutgetränkten Wischlappen heraus und warf sie einen nach dem anderen in den Wald. Anfangs halfen ihm Bree und Whitey dabei, aber als er den letzten Lappen entsorgt hatte und sich zu den beiden umwandte, hatten sie schon wieder ihre Schwerter gezückt. »Hey, ganz ruhig, ja?«, sagte er und hob abwehrend die Hände.
»Wir wollen euch nicht töten«, sagte Whitey, »wir sind im Begriff zu verschwinden.«
»Prima«, erwiderte PJ. »Wird auch Zeit.« Er senkte die Stimme. »Aber hey, niemand darf erfahren, was heute Abend geschehen ist, okay?«
»Einverstanden«, sagte Whitey. »Wir erzählen es nicht weiter. Und du auch nicht.«
Sam saß im Auto und lauschte, bis die Neugier ihn übermannte. Er stieg aus und schlich um die hintere Stoßstange, um zu sehen, was da vor sich ging. Bree und Whitey standen mit offenen Umhängen da, und Sam sah, dass sie darunter mittelalterliche, kunstfertig vernähte Lederrüstungen trugen – Krieger-Rüstungen. »Cool!«, sagte er.
Mit ihren Schwertern in Händen wirbelten Bree und Whitey herum. Die Klingen stoppten knapp vor Sams Kehle.
PJ fuhr ebenfalls herum. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf den Boden. »Pass doch auf! So, wie die beiden mit ihren Schwertern rumfuchteln, könnte leicht jemand verletzt werden, du zum Beispiel, oder schlimmer noch, ich! Steig wieder ein.«
»Aber ich wollte mir doch nur die Schwerter und die Rüstungen anschauen und –«
»Nein«, sagte PJ.
»Und ich will wissen, was es mit dem Tunnel unter dem Bewegungsmelder auf sich hat.«
Bree legte den Finger auf die Lippen, um Sam zu erinnern, dass er nichts verraten sollte.
»Was?«, blaffte PJ. »Ein Tunnel? Vergiss es! Ich hab keinen Bock, mir noch mehr verrücktes Zeug anzuhören. Ich werde nicht auf einen kleinen Punk bei seinem Abenteuertrip nach Fantasialand aufpassen. Seit ich dich kenne, hab ich nichts als Scherereien.«
Sams Grinsen erlosch.
»Genau genommen war es idiotisch von mir, auf einen zwölfjährigen Verlierer zu hören. Von wegen Schmuggelware! Wir haben hier draußen nichts außer Ärger gefunden. Sobald wir zurück in Sumas sind, hockst du dich wieder in deine beschissene Zelle und setzt dein langweiliges kleines Leben fort.«
Sams Unterlippe bebte. Es war ja nicht so, als wäre er es nicht gewohnt, ausgeschimpft zu werden – das tat sein Vater ständig. Es war nur, dass er gedacht hatte, endlich etwas Aufregendes entdeckt zu haben, an dem er teilhaben konnte. Aber PJ hatte recht. Sobald die Fremden verschwunden waren, würde sein Leben wieder todlangweilig sein. Die Vorstellung, in den schäbigen kleinen Trailer seines Vater zurückzukehren, um dort wegen der geklauten Feuerwerkskörper bestraft zu werden, war schon schlimm genug. Aber die Aussicht, den ganzen Sommer und vermutlich auch darüber hinaus nichts Besseres zu tun zu haben, als vor der Tankstelle herumzuhängen, war unerträglich für Sam. Es glich praktisch einem Todesurteil.
Die beiden Krieger starrten ihn an. Ganz egal, wie er es anstellte, er wollte nicht, dass sie ihn weinen sahen. Er blinzelte die Tränen weg und rannte zum Auto zurück.
PJ wandte sich zu Bree und Whitey. »So, wenn ihr beide jetzt genauso abzischen würdet wie der Kleine, wäre ich zufrieden.«
»Du hast Dinge gesehen, die du nicht hättest sehen sollen«, sagte Whitey. »Du weißt Dinge, die du nicht wissen solltest.«
»In dem Fall sollten wir ihn vielleicht um Hilfe bitten«, sagte Bree hoffnungsvoll. »Er hat bereits –«
»Hör auf mit dem Unsinn«, schimpfte Whitey. »Wir können von ihm nichts erwarten, außer dass er vergisst, was er gesehen hat.«
»Keine Sorge«, sagte PJ, »du wärst überrascht, wie schlecht mein Gedächtnis sein kann, wenn ich mich anstrenge. Sobald ihr verschwunden seid, hab ich alles vergessen. Die Probleme anderer Leute kümmern mich einen feuchten Dreck.«
Whitey nickte Bree zu. »Siehst du, er ist zu nichts zu gebrauchen.«
Bree schien enttäuscht zu sein. Sie sah PJ an, und einen Moment lang ruhten ihre Blicke aufeinander. Ihre grünen Augen wirkten traurig, aber gleichzeitig lag eine stille Entschlossenheit in ihnen.
Whitey wandte sich um und bedeutete Bree, ihm zu folgen. Sie löste den Blick von PJ und winkte kurz, dann verschmolzen sie und der Albino lautlos mit dem Unterholz, als hätte es sie nie gegeben.
PJ atmete durch. Er merkte, dass er Bree unbewusst nachwinkte. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich um.
»Alles klar«, murmelte er, während er zum Wagen zurücktrottete. »Die Verrückten sind weg, dem Affen ist der Saft ausgelaufen, der Schleim ist weggewischt. Wenn das kein seltsamer Tag war, dann weiß ich auch nicht.« Er schüttelte die Arme aus, um sich zu entspannen. »Aber jetzt ist alles wieder gut.«
Er öffnete die Tür des Camaro und schaute hinein. »Hey, Sam?«
Der Wagen war leer. Nur der Rucksack des Jungen lag auf dem Beifahrersitz. PJ nahm ihn und wandte sich um. »Sam?«