15
Kleiner Imbiss
Als Sam zehn Jahre alt war, hatte sein Freund Brian ihn einmal mit hochgezogenem Reißverschluss im Schlafsack eingeschlossen, bis er schrie, er würde ersticken. Genauso fühlte er sich jetzt, während er zusammengerollt in Bargles schaukelndem Lumpensack lag – gefangen, hilf- und atemlos.
Seinen Orientierungssinn hatte er längst verloren. Anfangs hatte er noch mitbekommen, wie die Wesen ihn vom Hang hinunterschleppten und den Sack irgendwo aufhängten. Auch hatte er herausgefunden, dass sie sich Gnome nannten. Der Name war gefallen, während sie lautstark diskutierten, was sie mit ihm anstellen sollten.
Es überraschte Sam, dass sie Englisch sprachen. Sie hatten einen rollenden, leicht kanadischen Akzent, aber nach einigen Minuten des Lauschens hatte Sam sich an ihr Gegrunze gewöhnt und verstand sie recht gut.
Loszubrüllen würde ihm nichts nützen, dachte er. Es war ohnehin niemand in der Nähe, der ihm helfen konnte, deshalb sparte er sich seine kostbare Atemluft und zwang sich zur Ruhe. Er benötigte seinen ganzen Verstand und all seine Kraft für den Fall, dass sich eine Fluchtmöglichkeit ergab.
Bargle krabbelte auf allen vieren über die weite Ebene der riesigen Höhle; den Lumpensack hatte er sich auf den Rücken gebunden. Seine pelzigen Beine hoben und senkten sich rhythmisch, auf und nieder, auf und nieder, und der Höhlenboden führte in gleichmäßigen Abständen auf und ab wie eine sanfte Dünung – ein endloses Meer aus uralter gehärteter Lava.
Die Lavafelder zu überqueren machte Bargle hungrig, aber eigentlich machte ihn praktisch jede Tätigkeit hungrig.
Speichel quoll ihm zwischen seinen scharfen Zähnen hervor, lief ihm über die gebogenen Hauer und tropfte zu Boden, während er unablässig voranhastete. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und blieb stehen.
»Bargle hat Hunger«, schnaubte er und schlug gegen den Lumpensack. »Großen Hunger.«
Sams Stimme war gedämpft, aber er jaulte so laut er konnte auf. »Hey, lass das!«
»Ein kleiner Happs, ja?«, sagte Bargle. »Ich brauche was zu beißen.«
»Lass mich raus«, forderte Sam.
»Raus? Klar doch. Ja, ja, ja …« Bargle zückte sein krummes Messer. »Ich glaube, das Oberschenkelfleisch schmeckt am besten.«
»Moment mal«, sagte Sam, dem plötzlich aufging, dass Bargle ihn meinte. »Ich bin doch keine Mahlzeit!«
»Mahlzeiten wissen gar nicht, ob sie eine Mahlzeit sind oder nicht«, grunzte Bargle.
»Eben. Du darfst mich nicht auffressen. Du sollst mich doch zu diesem General soundso bringen.«
Das gab Bargle zu denken. »Aber ich bin doch soooo hungrig.«
»Hör zu, du darfst mich nicht fressen. Vergiss nicht den Befehl des Generals.«
»Nur einen kleinen Happs vom –«
»Nein!«, beharrte Sam.
»Arrgh!« Bargle warf sich den Sack unsanft über die Schulter. »Du bist eine unfaire Mahlzeit. Wir sehen weiter, wenn wir ankommen. Ja, das werden wir!« Damit setzte er den holprigen Weg über die Lavafelder fort.