20
Die Arena
Sam fand sich in einem achteckigen Raum wieder. Er hatte den schweren Riegel an der Außenseite der Tür gesehen, als die Wachen ihn hineinschubsten, deshalb wusste er, dass keine Fluchtmöglichkeit bestand. Sein Herz pochte wie verrückt, seit sie den Gnom mit dem Auto überrollt hatten, und er war todmüde. Er setzte sich auf eine Steinbank, um sich auszuruhen.
Zum ersten Mal fragte er sich, wie er in ein solches Schlamassel hatte hineingeraten können. Die Folge mehrerer falscher Entscheidungen, befand Sam.
Er steckte in nicht geringen Schwierigkeiten. Er hockte allein in einer Gnom-Zelle, tief unter der Erde, und wartete darauf, in eine Art Arena geworfen zu werden, was ein schlimmeres Los zu sein schien, als gefressen zu werden. Aber er konnte im Augenblick nichts dagegen tun, deshalb streckte er sich aus und versuchte sich zu entspannen.
Da schwang die Tür auf, und ein buckliger alter Gnom schlurfte in den Raum, der aus dem blanken Fels herausgeschlagen war. »Argh«, begrüßte ihn der Gnom.
»Argh«, versuchte Sam sich in der einsilbigen UrSprache seiner Gastgeber.
Der Gnom sah ihn verwirrt an, dann lachte er. »Arr-ar-arrrrgh.« Er humpelte zu Sam hinüber und zog einen langen zerkratzten Dolch unter dem Wams hervor.
Sam schnürte es die Kehle zu. Offenbar hatte man den alten Kerl geschickt, um ihn endgültig zur Strecke zu bringen. Ich schätzte, mein Karate-Tritt hat die Gnome nicht sonderlich beeindruckt, dachte er.
Aber der Gnom tat ihm nichts. Im Gegenteil, er reichte Sam die Waffe, mit dem Griff voran. Sam zögerte. Ist das ein Trick?, fragte er sich. Vorsichtig nahm er den Dolch entgegen und musterte seinen buckligen Besucher.
»Jaaa«, sagte der Gnom, »du könntest zustoßen. Ich bin unbewaffnet.«
Sam überlegte, spürte des Gewicht des Dolchs. Für einen zwölfjährigen Jungen war die Waffe so groß wie ein Schwert und lag ihm perfekt in der Hand. Es war fast, als hätte man sie eigens für ihn ausgewählt. Sam blickte zur Tür.
»Gut«, sagte der Gnom und zeigte auf Sams Kopf. »Du überlegst. Ist die Tür abgesperrt? Stehen Wachen davor? Bin ich dein Verbündeter oder dein Feind? Du weißt es noch nicht, und deshalb denkst du nach, bevor du handelst. Guuuut!«
Der Gnom bedeutete Sam, ihm die Waffe zurückzugeben. Sam zuckte mit den Schultern und reichte ihm den Dolch. Der Gnom verzog das Gesicht und schlug Sam mit der flachen Klingenseite auf den Kopf; dann gab er ihm den Dolch wieder zurück. »Gib niemals deine Waffe her. Niemals!«
»Wer bist du?«, fragte Sam und rieb sich den Kopf. »Und was willst du von mir?«
»Fragen über Fragen. Wer bist du denn? Und was möchtest du?«, entgegnete der Gnom.
»Ich bin Sam. Und am liebsten würde ich dir in den pelzigen Hintern treten, weil du mich gehauen hast.«
»Ahhhh«, sagte der Gnom, und seine gelben Augen blitzten. »Ein Tritt ist gut, aber nicht in den pelzigen Hintern deines Gegners. Triff ihn hier –« Schneller als ein zuschnappender Mungo sprang der alte Gnom vor und trat Sam von hinten ans Bein, so dass er auf die Knie fiel. »Und hier.« Er trat Sam in den Rücken, und Sam stürzte auf den Bauch.
Der Gnom sprang auf ihn und nagelte Sam am Boden fest. Er beugte sich zu ihm hinunter, seine ledrigen Lippen nur Zentimeter von Sams Ohr entfernt. »Ich bin Slouch«, flüsterte er. »Ich gebe dir ein paar Tipps für die Arena. Wenn du gut zuhörst, überlebst du vielleicht.«
Sam hielt das zerkratzte Mini-Schwert in der Hand. Es war aus dem gleichen leichten Gestein gemeißelt, aus dem die Gnom-Keulen bestanden, war aber spitz zugefeilt und besaß messerscharfe Ränder. Slouch reichte Sam ein großes zerschlissenes Lederstück. Es hatte rote Flecken und war voller Löcher. »Was ist das?«, fragte Sam.
»Dein Schutzpanzer«, sagte Slouch.
Sam runzelte die Stirn, während der Gnom ihm half, das abgewetzte Lederwams anzuziehen. Schließlich setzte Slouch ihm einen Steinhelm auf, der Sam über die Augen rutschte.
»Wenn du in der Arena bist, hältst das Schwert immer erhoben, argh?«
»Argh«, antwortete Sam.
Slouch trat zurück und musterte Sam in seinem Schlachtengewand wie ein Vater, der seinen Sohn zum ersten Mal im Baseballdress der Kinder-Liga bewundert. Sam fühlte sich nicht wie ein Krieger. Er kam sich lächerlich vor. Aber Slouch nickte zufrieden. Er drehte Sam zu einem Steintor um.
»Und wecke ein bisschen Feuer in dir«, sagte Slouch und klopfte Sam auf den Bauch. »Das mögen die Zuschauer.«
Das Tor rumpelte in die Höhe. Sam zögerte, aber Slouch versetzte ihm einen herzhaften Schubs durch die Öffnung, und er taumelte hinaus.
Sam schob den Helm hoch, der ihm wieder über die Augen gerutscht war, und blickte sich um. Er stand in einer Arena von der Größe eines Tennisplatzes. Rundherum ragte eine ovale Steintribüne auf, die bis auf den letzten Platz mit knurrenden Gnomen besetzt war. Eww-yuk saß auf einem erhöhten Sitzplatz in der dritten Reihe und blickte mit einem breiten Lächeln auf das sich anbahnende Ereignis hinab. Zwei Plätze weiter saß Slurp, der Gnom-Hauptmann, und brütete vor sich hin. Zwischen ihnen stand ein leerer Thron.
Die Zuschauer erblickten Sam, und ein donnerndes Geknurre brach los. »Arrgh! Arrrgh! Arrrrrrrgh!«
Sam wusste nicht, was er tun sollte, also winkte er. »Argh«, knurrte er zurück.
Die wütenden Gnom-Rufe wurden doppelt so laut.
»Oh«, murmelte Sam in sich hinein, »freundliches Publikum.«
Plötzlich rumpelte auf der anderen Seite der Arena ein riesiges Tor in die Höhe.
»Mann«, sagte Sam und schob den unsäglichen Helm erneut hoch.
Die Menge verstummte. Sam umfasste sein Mini-Schwert so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Das Tor war viel größer als jenes, durch das Sam hereingekommen war. Es rumpelte weiter und weiter nach oben, und aus dem Schatten krabbelte … ein Käfer.
Der Käfer war so groß wie eine Maus. Sam blickte an dem Insekt vorbei in die dunkle Öffnung, um seinen wahren Gegner zu erblicken, aber da war niemand. Entrüstet stellte der kampfbereite Käfer sich auf die Hinterbeine und richtete sich zu seiner vollen Größe von etwa fünfzehn Zentimetern auf.
Sam marschierte geradewegs auf ihn zu, den Dolch locker in der Hand. Der Käfer ging in die Offensive, die Vorderbeine zum Angriff erhoben. Die Menge hielt den Atem an. Sam runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern, hob den Fuß und zertrampelte den Käfer.
Knirsch!
Frenetischer Jubel brach los.
»Arrgh! Argghh! Arrrrrrrgggggggggggh!«
Verblüfft ließ Sam den Blick über die Tribüne wandern. Er hatte gewonnen, er war ein Star. Er winkte erneut, zur lautstarken Verzückung der Zuschauer, dann marschierte er zu Slouch zurück.
»Gut gemacht«, sagte der alte Gnom und humpelte aufgeregt umher. »Aber halte deine Waffe immer erhoben.« Slouch gestikulierte mit seinem haarigen Arm. »Hoch, hoch, hoch … argh?«
»Argh«, murmelte Sam. Er schob sich an Slouch vorbei und ging in die Wartekammer, wo er sich hinsetzte und verwirrt mit dem Dolch herumspielte und sich fragte, was für einen Gegner sie als Nächstes für ihn bereithielten.