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Verhandlungen
Nach den unbefriedigenden Ereignissen in der Arena war Eww-Yuk in seine Halle zurückgekehrt und hatte Zerstreuung gesucht, indem er die von den Menschen gestohlene Glocke an seinen Soldaten ausprobierte. Sie lernten schnell. Jedes Mal, wenn er die Glocke läutete, eilten alle Gnome, die in Hörweite waren, zum Arsenal, um sich in Erwartung einer Schlacht eine Waffe zu greifen. Natürlich gab es gar keine Schlacht, und jedes Mal, wenn er die panischen Gesichter seiner Soldaten sah, schlug sich Eww-yuk amüsiert auf die Schenkel.
Nun saß er an seinem Steintisch und schärfte mit einer groben Feile seine glänzenden Hauer. Brains stand vor ihm und deutete auf eine Steintafel mit Abbildungen von Sams Turnschuh. Eww-Yuk grunzte und rülpste, während Brains ihm seine Entdeckungen erläuterte.
»Die Oberseite des Fußkleids besteht aus Tierhaut«, sagte Brains. »Aber die Unterseite ist viel interessanterrrrr. Sie besteht aus einem unbekannten Material, das ich ›Boing‹ nenne.«
»Boing?«, fragte Eww-yuk stirnrunzelnd.
»Ja. Boing ist robust, aber biegsam, und es springt auf und ab.« Brains schlug den Schuh auf die Tischplatte. »Siehst du? Boing-boing-boing.« Brains lächelte und wiederholte das Ganze. »Boing-boing-boing!« Der kleine Gnom starrte auf den Schuh, abermals völlig fasziniert. Er schlug noch einmal zu und noch einmal und noch einmal. »Boi-boi-boingggg! Boi-oinggg! Boi-oi-oi-oinggg!«
»Ich habe es verstanden!«, herrschte Eww-yuk ihn schließlich an. »Aber wozu soll dieses Boing mir nützlich sein?«
Brains sammelte sich. »Wenn unsere Soldaten Boing hätten«, erklärte er, »könnten sie das fleischfressende Gras überqueren, ohne sich die Zehen abbeißen zu lassen.«
»Ah, und Soldaten mit Zehen sind mir dienlicher als Soldaten ohne Zehen. Mir gefällt deine Denkweise, Brains. Wie stellen wir dieses Boing denn her?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Arrgh«, bellte Eww-yuk und trat die Steintafel mit den Abbildungen um. »Komm zurück, wenn du Ergebnisse vorweisen kannst!«
In dem Moment platzte ein Gnom herein und zog PJ am Kragen hinter sich her.
»Arrrgh!«, knurrte Eww-yuk. »Was soll das?«
Der Wachposten stieß PJ auf den Steinboden vor Eww-yuks Stuhl. »Er sagt, er hat einen Termin«, erklärte er. »Ich weiß zwar nicht, was das ist, aber es klingt wichtig.«
Brains eilte an Eww-yuks Seite und flüsterte ihm so aufgeregt ins Ohr, dass die Wörter nur ein unverständliches Nuscheln waren und Eww-yuk ihm eine Kopfnuss verpassen musste, damit sein Chefdenker endlich verstehbar sprach. »Er ist gekleidet wie der Junge«, sagte Brains schließlich. »Sieh doch, seine Füße … mehr Boing!«
Eww-yuk nickte und winkte den Wachposten fort. »Gute Arbeit. Deine Dummheit wird nur von deinem blinden Gehorsam übertroffen.«
»Vielen Dank, General«, erwiderte der Wachposten grinsend. »Aber da ist noch etwas, was ich sagen wollte …« Der Gnom runzelte die Stirn und überlegte angestrengt.
»Du wolltest nichts mehr sagen«, raunte PJ ihm zu.
»Nein?«, fragte der Wachposten. »Denn ich erinnere mich an –«
»Du erinnerst dich an gar nichts«, fiel PJ dem vergesslichen Gnom ins Wort.
Der Wachposten zuckte mit den Schultern, verbeugte sich vor Eww-yuk und ging.
Der General blickte neugierig auf PJ hinab. »Also, Mensch, du hast einen Termin bei mir, ja? Das könnte interessant werden, denn soweit ich mich erinnere, war ich noch nie mit einem Menschen verabredet.«
»Du klingst wie ein intelligenter Gnom«, sagte PJ.
»Ja. Ich kann gut sprechen. Ich bin General Eww-yuk, und ich werde hier herrschen, wenn der jetzige Große Gnom das Zeitliche gesegnet hat.«
»Dann bin ich anscheinend an den Richtigen geraten«, sagte PJ. Er holte tief Luft, stand auf und schaute Eww-yuk geradewegs in die hellgelben Augen. »Ich möchte dir ein Angebot machen, Yukker.«
Eww-yuk hob eine buschige Braue. »Ich nehme an, es beinhaltet, dass ich dich nicht ausweiden und am Spieß braten lassen soll, weil du dich mit Lügen bei mir eingeschlichen hast.«
»Äh, ja … unter anderem. Wie auch immer, ich bin auf der Suche nach einem Jungen, der weggelaufen ist. Vielleicht hast du ihn ja gesehen. Er ist etwa so groß.« PJ legte die Hand mit der Handfläche nach unten an die Brust. »Er trägt ein einigermaßen cooles Konzert-T-Shirt und Turnschuhe.«
Brains hörte aufmerksam zu und murmelte: »Turnschuhe? Hmmm.«
»In der Gegend gibt es wahrscheinlich nicht allzu viele Leute, auf die die Beschreibung zutrifft, oder?«
Nachdenklich strich Eww-yuk sich übers Fell. »Und falls ich diesen Jungen gesehen haben sollte …?«
»Nun, ihr Gnome mögt doch neue Gerätschaften, stimmt’s?«
»Gerätschaften?« Eww-yuk straffte den Rücken.
Brains sprang an Eww-yuks Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Eww-yuks gelbe Augen blitzten. »Ah, ja, neue Gerätschaften! So was mögen wir sehr. Hast du etwas für uns?«
»Ich trage sie nicht bei mir«, sagte PJ vorsichtig, »aber ich kenne jemanden, der weiß, wo sie sind, und ich kann euch zeigen, wie sie funktionieren.«
»Was genau ist es denn? Kann es mir beim Klettern helfen?« Eww-yuk erhob sich von seinem Stuhl und trat auf PJ zu. »Lässt es ferne Dinge näher erscheinen? Sag’s mir, sag’s mir, sag’s mir!«
PJ hob die Hände und bedeutete Eww-yuk innezuhalten. »Hey, hey, hey, immer mit der Ruhe. Habt ihr den Jungen?«
»Ja, ja, natürlich«, sagte der General. »Ich habe das Menschenkind. Und jetzt verrate es mir! Zeig her! Zeig her oder verrate es mir!«
Brains hüpfte von einem Bein aufs andere, war ebenso aufgeregt wie Eww-yuk.
»Beweise mir, dass der Junge bei euch ist«, forderte PJ.
Eww-yuk gab Brains ein Zeichen, der rasch Sams Turnschuh hervorholte. PJ trat heran, um ihn in Augenschein zu nehmen, doch Brains schlang die Arme um den Schuh und hütete ihn eifersüchtig.
Es spielte keine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gnome mehr als ein Paar Kinderturnschuhe besaßen, war verschwindend gering. »Ihr habt den Jungen noch nicht gekocht und verspeist, oder?«, fragte PJ.
»Ich jedenfalls nicht«, sagte Eww-yuk und sah Brains an. Der Chefdenker schüttelte den Kopf.
»Okay, mein Angebot lautet folgendermaßen«, sagte PJ. »Ich besorge euch diese wundersamen Geräte, und ihr rückt den Jungen raus. Ein Tauschgeschäft sozusagen. Abgemacht?«
»Und wir sollen euch nicht auffressen?«, vergewisserte sich Eww-yuk.
»Das ist Teil der Abmachung, ja«, sagte PJ. »Genau genommen möchte ich, dass ihr uns gehen lasst.«
Eww-yuk besprach sich mit Brains. Sie fauchten und knurrten sich eine Weile an, während PJ sich nervös umschaute und die Wachen im Raum zählte. Er war bei zehn angelangt, als Eww-yuk wieder zu ihm hinabblickte.
»Wir sind im Geschäft«, sagte der General und lächelte. »Brains, bring den Jungen her. Und du, Mensch, verrätst mir jetzt, worum es geht.«
»Nun, bei euch gibt es einen Burschen namens Slurp«, begann PJ, »und er …«