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PJ

Während Sam Hill sich im Laster zu schaffen machte, fuhr PJ Myrmidon in seinem schnaubenden olivgrünen 69er Camaro durch die friedvollen Washingtoner Wälder auf Sumas zu. Er wischte den Schmutz von der Innenseite der Windschutzscheibe und erblickte ein Straßenschild, auf dem stand:

Sumas, Washington – 10 Meilen

Kanada – 11 Meilen

Noch zehn Minuten Freiheit, dachte er. Nach drei Tagen Fahrerei war er fast am Ende des Trips. Mit einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal ließ er den Camaro aufheulen, trommelte zu einem Song von Slug Bait aufs Lenkrad und schüttelte rhythmisch die langen Haare. Aufkleber von anderen Rockbands wie Social Disease, Shelf Life und The Wags zierten seine Stoßstange, und sein kalifornisches Nummernschild wackelte in der Halterung. Fast-Food-Verpackungen und Limo-Dosen stapelten sich bis in Schienbeinhöhe auf dem Wagenboden. PJ griff in den Haufen hinein und fischte einen halb gegessenen Hamburger heraus. Das Ding war matschig, labberig und zwei Tage alt. »Lecker!« PJ grinste und hob den Hamburger zum Mund.

Zehn Meilen weiter donnerte er nach Sumas hinein. Es war Abend, die Sonne versank hinter den Tannen, und kein einziges Geschäft hatte noch geöffnet. Es war noch nicht einmal dunkel, doch nirgends war ein Mensch zu sehen. Vor einem der kleinen Läden schlief ein alter Hund, aber er lag so still da, dass PJ sich nicht sicher war, ob der Kläffer noch lebte. Das ganze Städtchen wirkte wie tot, besonders für einen Burschen aus Los Angeles.

Dann tauchten hinter ihm plötzlich blitzende blaue und rote Lichter auf. Seufzend nahm PJ den Fuß vom Gaspedal. Die Reifen rollten über den knirschenden Kies am Straßenrand, bis der Camaro schließlich zum Stehen kam und PJ mit dem abgebrochenen Griff die Scheibe herunterkurbelte. Der intensive Duft von Farmen und Wald flutete ins Wageninnere, und PJ hörte, wie die Vögel sich anzwitscherten, als würden sie miteinander sprechen.

Der Polizist trat heran, schaute auf das Nummernschild, beugte sich neben dem Auto herab und sah PJ durch das offene Fenster stirnrunzelnd an. »Warst ein bisschen schnell, Sohn, findest du nicht?«

»Tut mir leid«, sagte PJ lahm.

»Und wie in aller Welt kommst du dazu, die ganze Strecke von Kalifornien bis hierher alleine hochzufahren?«

»Was?« PJ zuckte die Achseln. »Ich bin siebzehn.«

»Das meine ich ja. Du bist erst siebzehn.«

»Autofahren ist doch kein Verbrechen. Hier ist mein Führerschein.« PJ hielt seine Fahrerlaubnis nach draußen.

Der Polizist nahm den Führerschein und betrachtete das Foto. »Autofahren zu dürfen ist ein Privileg. Missbrauche es nicht, indem du dich in meiner Stadt nicht ans Tempolimit hältst, Percy.«

PJ verzog das Gesicht. »Ich nenne mich jetzt PJ.«

»Nun, du hast dich verspätet, PJ.«

»Nur um einen Tag.«

»Wir treffen uns auf der Station, Junge. Und fahr langsam, hörst du?«

»Jawohl, Sir«, sagte PJ und verdrehte die Augen. »Und, hey, kriege ich bitte meinen Führerschein zurück … Dad?«

Officer Myrmidon reichte seinem Sohn den Führerschein, wandte sich um und ging zu seinem Streifenwagen. PJ legte den Gang ein und folgte seinem Vater zu Sumas bescheidener Polizeistation. Der Streifenwagen verschwand hinter dem kleinen Gebäude, während PJs Camaro rumpelnd davor zum Stehen kam.

PJ schüttelte den Kopf. Sein Vater hatte das Städtchen, in dem er vor über zwanzig Jahren in den Polizeidienst eingetreten war, niemals verlassen. PJ dagegen war es gewohnt, immer auf Achse zu sein. Er und seine Mutter waren nach Kalifornien gezogen, als er noch ein kleiner Junge war, und nachdem er mit sechzehn den Führerschein erworben hatte, ließ er nun seinerseits ständig seine Mutter sitzen und unternahm, wann immer er Lust dazu hatte, irgendwelche Spritztouren.

Er stieg aus und streckte seine steifen Glieder. Vor ihm auf dem Rasen stand ein kleines Holzschild mit der Aufschrift:

PFLICHTERFÜLLUNG, SICHERHEIT,
VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN

JOHN H. MYRMIDON

ÖRTLICHE POLIZEI

PJ blickte auf sein T-Shirt mit dem Anarchie-Zeichen hinab. »Vielleicht wurde ich ja adoptiert«, murmelte er, und dann ging er den Weg hinauf und fragte sich beiläufig, wer wohl der kleine sommersprossige Junge war, den er auf der Rückbank im Streifenwagen seines Vaters hatte sitzen sehen.

Garstige Gnome
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