48

Zurück in der Arena

Sam tastete sich durch den pechschwarzen Tunnel, dicht hinter PJ, der jedes Mal zusammenfuhr, wenn Cheep sich schutzsuchend an ihn schmiegte.

»Wo sind wir?«, fragte Sam.

»Weiß ich nicht«, sagte PJ. »Der Gnom, den wir gerade verjagt haben, ist in die Richtung davongeflitzt, aus der ich gekommen bin. Deshalb gehen wir in die entgegengesetzte Richtung weiter.«

Plötzlich torkelten Sam und PJ aus der Dunkelheit auf ein weitläufiges, hell erleuchtetes Gelände. Rundherum ragten steinerne Tribünen empor. »Oh«, sagte Sam. »Die Arena.«

Hinter ihnen lugte Cheep hervor. »Cheep?« Das Insekt klang genauso besorgt wie Sam.

In der Nähe stand eines der Tore offen, durch das die Kämpfer das Feld betraten. Eine gebeugte Gestalt kam herausgeschlurft. Sam erkannte den Gnom, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Es war sein Kampftrainer, Slouch.

»Argh, mein Mensch und mein Insekt. Schön, dass ihr zurück seid, meine Kämpfer. Ah, und ihr habt einen neuen Rekruten mitgebracht! Guuut. Ich mag es, wenn ich meine Bestände aufstocken kann.«

»Moment mal«, sagte Sam. »Deine Bestände? Cheep und ich haben dir gehört

»Was geht hier vor?«, flüsterte PJ.

»Alle Kämpfer gehören mir.« Slouch grinste. »Die Arena ist meine Show.«

»Also gewinnst du immer, egal, wer von uns siegt!«

»Ich kann dabei nicht verlieren. So gefällt es mir besten! Komm, ich bringe dich ins Quartier zurück. Das Publikum liebt dich.« Slouch stierte Sam gierig an und streckte seine langen knorrigen Krallen nach ihm aus.

»Pfoten weg, Freundchen!«, rief PJ. »Ich habe zu viel durchgemacht wegen dieses Jungen, als dass ich zulassen könnte, dass ihn am Ende ein Verlierer wie du in die Finger kriegt.« PJ stellte sich zwischen Slouch und Sam, während Cheep sich wie üblich angstschlotternd zusammenkugelte. PJ bedeutete Sam, auf seinen Insektenfreund zu klettern.

Sam wollte die bevorstehende Auseinandersetzung nicht verpassen, wollte nach ihrem Sieg über Bargle auch diesmal wieder dabei sein. Aber von Cheeps Rücken aus hatte man den besten Blick in der ganzen Arena. Er schlang die Arme um eines von Cheeps Beinen und kletterte hinauf.

»Willst du Slouch erzählen, er wäre ein Verlierer, Mensch?«, herrschte der Gnom PJ an. »Ich erzähl dir, was ein Verlierer ist: jemand, der etwas zu tun versucht, aber dabei stirbt. Oder schlimmer noch, jemand, der erst gar keinen Versuch wagt.« Slouch grinste und ließ wie eine Katze die Krallen ein- und ausfahren.

PJ zog das kleine Messer heraus, das Whitey ihm gegeben hatte. »Halt die Waffe erhoben!«, rief Sam ihm zu.

»Spiel hier nicht den Besserwisser, Mann«, sagte PJ, befolgte aber Sams Rat und hielt das Messer hoch.

»Arrrrrgh«, knurrte Slouch und begann, PJ zu umkreisen.

Der wich durch die Arena zurück, um zu dem näher kommenden Gnom Abstand zu halten.

Von seinem Hochsitz aus beobachtete Sam die beiden Kontrahenten. Er musste PJ doch irgendwie helfen können, überlegte er. Aber was könnte er als Waffe verwenden?

»PJ«, flüsterte Sam plötzlich, »lock ihn dicht heran und wirf mir das Messer zu.«

Slouch achtete nicht auf Sams Geflüster und stürzte sich auf PJ.

PJ duckte sich, als Slouchs Krallen ihm über die Wange fuhren. Es war offenkundig, dass er den Gnom nicht besiegen konnte. Irgendwann würde Slouch in seiner amateurhaften Deckung eine Lücke finden und ihn übel zurichten. Mit tänzelnden Schritten wich PJ zu Sam zurück, bis der alte Gnom ihn in die Ecke getrieben hatte, die die Mauer und Cheeps zusammengerollter Körper bildeten. »Du bist gut, Mensch. Ich sehe, dass du aus jedem meiner Manöver lernst. Soll ich dir beibringen, wie man in der Arena kämpft? Oder möchtest du lieber gleich sterben?«

PJ drückte sich an die Mauer. Sam blinzelte ihm zu.

»Nein«, sagte PJ, ohne den Blick von Slouch abzuwenden. »Ich glaube, eher bringen wir dir was bei.« PJ senkte seine Waffe.

Slouch grinste, als er sah, was PJ tat. Er trat einen Schritt auf ihn zu, die messerscharfen Krallen erhoben. »Ich bin alt. Ich habe viele Kämpfe bestritten, und noch mehr habe ich mir angesehen! Was, bitte schön, sollte ich von dir lernen können?«

Noch während Slouch sprach, stürzte er sich erneut auf PJ, versuchte ihn zu überraschen. PJ, der keinen Plan zu haben schien, ließ sich auf alle viere fallen und warf Sam das Messer zu.

Sam fing es und stieß es Cheep in den Hintern.

»Skriii!« Schlagartig explodierte Cheep aus seiner Fötusstellung. Sein machtvoller Schwanz entrollte sich, schnellte über PJs Kopf hinweg und katapultierte Slouch wie einen Golfball in die Luft. Wusch! Der alte Gnom flog quer durch die Arena und schlug auf der Steintribüne auf.

Platsch!

Dunkler Schleim spritzte über mehrere Sitzreihen, und der Gnom namens Slouch, der unzählige Menschen, Insekten und andere unbekannte Tiere in den Tod geschickt hatte, existierte nicht mehr.

PJ schüttelte sich und stand auf.

»Teamarbeit«, rief Sam Slouch nach. »Das war es, was du von zwei Verlierern noch hättest lernen können.«

Cheep blinzelte beleidigt und rieb sich mit den Vorderbeinen den Bauch. »Ich meine, von drei Verlierern.« Sam klopfte dem massigen Insekt auf den Allerwertesten. »Tut mir leid, Kleiner … äh, Großer, dass ich dich gepiekst habe. Es musste sein. Der Schmerz lässt bald nach.«

»Cheep?« Cheep blickte sich um. Da die unmittelbare Gefahr vorbei war, nahm er nun zum ersten Mal seine Umgebung wahr. Plötzlich hob er den Kopf, sprang auf die Tribüne und preschte wie von der Tarantel gestochen die Ränge hoch.

Sam klammerte sich an Cheeps Rücken. »Hey, was soll das?«

»Wo wollt ihr hin?«, rief PJ ihnen nach. Er stieg über die Innenmauer und eilte seinem kleinen und seinem großen Gefährten hinterher.

»Cheep!«, quiekte das Insekt.

Ganz oben auf der Tribüne erkannte Sam, warum sein Insektenfreund so plötzlich losgestürmt war. Hinter dem Gemäuer der Arena erstreckte sich eine große offene Höhle. »Das ist es!«, rief Sam PJ zu. »Ein Weg aus der Stadt!«

PJ kam oben an und und blickte über den Tribünenrand in die Tiefe. Der Höhlenboden lag zehn Stockwerke unter ihnen.

»Ich meine, es wäre ein Weg aus der Stadt«, fügte Sam stirnrunzelnd hinzu, »wenn wir fliegen könnten.«

PJ funkelte Cheep an. »Na toll, Kakerlake. Du hast nicht zufällig Flügel unter dem Exoskelett, oder?«

In dem Moment stürmte eine Horde Gnome in die Arena. »Hier entlang! Ich kann sie riechen!« Bargle führte den kleinen Soldatentrupp zur Tribüne.

Cheep blickte über den Mauerrand, dann schaute er erwartungsvoll zu Sam und PJ zurück. »Cheep!«

»Was?«, rief Sam.

Die Gnome stürmten auf die Tribüne, kletterten über die Sitzreihen nach oben.

»Cheep!«, quietschte Cheep.

»Was soll das heißen?«, fragte PJ.

Cheep gab auf und sprang von der Mauer.

»Cheep, nicht!«, rief Sam und beugte sich über den Abgrund.

»Cheep ist tot, Junge«, sagte PJ und packte Sams Arm. »Sieh nicht hin.«

»Gleich haben wir sie!«, brüllte Bargle von unten. Tatsächlich hatten die Gnome sie fast erreicht.

Plötzlich tauchte Cheeps Kopf über dem Mauerrand auf. »Cheeeeep!«, kreischte das Insekt.

Sam blickte hinab. Cheeps zahllose Beine klebten wie Saugnäpfe an der senkrechten Mauer. »Steig auf!«, sagte Sam und zog PJ auf Cheeps Rücken, während die Gnome mit erhobenen Äxten und Keulen die Tribüne hochstürmten. Die beiden Jungen hielten den Atem an, und Cheep ließ sich wieder in die Tiefe gleiten.

Im nächsten Moment krabbelte Cheep wieselflink die Mauer hinab, während Sam und PJ sich an seinen Hals klammerten. Von oben starrten ihnen die wütenden Gnome hinterher, die nichts tun konnten, außer ihnen wüste Flüche nachzurufen.

»Ypeeeee!«, schrie Sam.

PJ hielt sich fest, die Augen zugekniffen. »Ich schaue nicht hin«, sagte er. »Das erledigst du für uns beide, ich hab nämlich Höhenangst!«

Garstige Gnome
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